RiVGH Helmut Petz Wintersemester 2008/09 Vorlesung UMWELT- UND PLANUNGSRECHT A. GRUNDLAGEN DES UMWELTRECHTS (Fortsetzung) … II. VERFASSUNGSRECHTLICHE GRUNDLAGEN … 5. Föderale Kompetenzordnung a) Umweltgesetzgebung früher: uneinheitliche Kompetenzgrundlagen für den Bereich des Umweltrechts (insb. Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes im Naturschutz- und Wasserrecht; im Übrigen Gesetzgebungskompetenzen sowohl des Bundes als auch der Länder für einzelne Umweltrechtsbereiche); deshalb erhebliche Schwierigkeiten bei der Gesetzgebung hinsichtlich einzelner Materien (Bodenschutzgesetz; einheitliches Umweltverwaltungsverfahren etc.) als auch bei der Schaffung eines einheitlichen UGB; überdies Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG nach der Rspr. des BVerfG (E 106, 62/135 ff., 144 – AltenpflegeG; E 111, 226/253 ff. – Juniorprofessur) sehr hohe Hürde für Bundesgesetzgeber Föderalismusreform I: zwar nicht Einführung eines einheitlichen Kompetenztitels "Recht der Umwelt"; aber jedenfalls deutliche Konzentration der Kompetenzen beim Bund (alle Kernkompetenzen im Bereich des Umweltschutzes in der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes, zumeist als konkurrierende Kompetenz); Erforderlichkeitsklausel im Umweltrecht anwendbar, Art. 72 Abs. 2 GG ganz überwiegend nicht mehr 2 Abweichungsgesetzgebung der Rahmengesetzgebungskompetenz: Umweltdumping Länder im Bereich der bisherigen "kompetitiver Föderalismus" vs. ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes: Atomrecht, Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG konkurrierende Gesetzgebungskompetenzen des Bundes: wichtige Materien: Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG: Recht der Wirtschaft (z.B. EnEG) Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG: Bodenrecht Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG: Lebensmittel- und Tierschutzrecht Art. 74 Abs. 1 Nr. 21GG: Wasserstraßen Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG: Straßenverkehr Art. 74 Abs. 1 Nr. 23 GG: Schienenbahnen Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG: Abfallbeseitigung, Luftverschmutzung und Lärmbekämpfung Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG: Naturschutz und Landschaftspflege Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG: Raumordnung Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG: Wasserhaushalt 4 Varianten: Kernkompetenz des Bundes: konkurrierende Gesetzgebungskompetenz ohne Erforderlichkeitsschranke und ohne Abweichungskompetenz der Länder (z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 18, 24 GG) Erforderlichkeitskompetenz des Bundes: konkurrierende Gesetzgebungskompetenz mit Erforderlichkeitsschranke (z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, 20, 22 GG) Abweichungskompetenz: konkurrierende Gesetzgebung des Bundes ohne 3 Erforderlichkeitsschranke, aber mit begrenzter Abweichungskompetenz der Länder (z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG: abweichende Regelungen über den Naturschutz ohne die allgemeinen Grundsätze des Naturschutzes; z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG: abweichende Regelungen über den Wasserhaushalt ohne stoff- oder anlagenbezogene Regelungen; Abgrenzungsprobleme, strittig ist z.B., naturschutzrechtliche Eingriffsregelung noch zu Grundsätzen des Naturschutzrechts gehört) konkurrierende Gesetzgebung des Bundes ohne Erforderlichkeitsschranke, aber mit unbegrenzter Abweichungskompetenz der Länder (z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG) ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder: nur noch bei verhaltensbezogenem Lärm (siehe Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG), im Fischereirecht sowie im - subsidiär anzuwendenden - Polizei- und Sicherheitsrecht Übergangsvorschrift Art. 125b GG (insb. Abs. 1 Satz 2); Zweck: ungestörte Erarbeitung UGB b) Umweltverwaltung Vollzugszuständigkeit der Länder in nahezu sämtlichen Bereichen des Umweltrechts: Vollzug der Landesgesetz und nicht gesetzesakzessorischer Verwaltungsvollzug, Art. 30 GG: z.B. BayImSchG Vollzug der Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten (Landeseigenverwaltung, Art. 83, 84 GG); Bund kann Behördeneinrichtung und Verwaltungsverfahren regeln oder selbst Verwaltungsvorschriften erlassen, Art. 84 Abs. 1 und 2 GG; Regelung bedarf aber nicht mehr der Zustimmung des Bundesrats; dafür Abweichungskompetenz der Länder; Umweltverfahrensrecht fällt unter Art. 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 GG und ist deshalb abweichungsfest 4 Vollzug der Bundesgesetze im Auftrag des Bundes (Bundesauftragsverwaltung, Art. 85 GG): z.B. Kernenergieverwaltung, Art. 87c GG Bundeseigene Verwaltung: im wesentlichen nur Verwaltung der Bundeswasserstraßen, Art. 87 Abs. 1 Satz 1, Art. 89 GG 5 III. GRUNDPRINZIPIEN DES UMWELTRECHTS 1. Überblick Grundprinzipien des Umweltrechts; auf unterschiedlichen Aktionsebenen (Völkerrecht; Gemeinschaftsrecht; nationales Recht) herausgebildet; politischer Ursprung (z.B. Umweltprogramm BReg von 1971 sowie Fortschreibung im Umweltbericht BReg von 1976); nach und nach zunehmend verrechtlicht (erstmals Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, Art. 16; Fortschreibung im Einigungsvertrag, Art. 34 EV); Rechtsverbindlichkeit nur dort, wo Geltung ausdrücklich gesetzlich normiert; auf verschiedenen Ebenen zum Teil divergierende Inhalte herkömmliche Prinzipientrias: Vorsorgeprinzip: Primärziel, Belastungen und Gefahren für die Umwelt bereits im Vorfeld zu vermeiden Verursacherprinzip: determiniert als Sekundärziel die Verantwortlichkeiten für Umweltbeeinträchtigungen (Adressaten von Umweltschutzmaßnahmen; finanzielle Lastenverteilung; mittelbar auch Präventivfunktion) Kooperationsprinzip: bestimmte Art und Weise der Operationalisierung des Umweltschutzrechts (organisatorische und instrumentelle Umsetzung) angereichert wird diese Prinzipientrias - entsprechend den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben - durch einen integrativen Ansatz (Integrationsprinzip): Schutzauftrag für die Umwelt in ihrer Gesamtheit daneben werden im Schrifttum eine Reihe weiterer Grundprinzipien erörtert, die entweder Konkretisierungen oder Ausnahmen der Hauptprinzipien sind (vgl. im Überblick z.B. Klöpfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 4), wie insbesondere das Nachhaltigkeitsprinzip (vgl. Schmidt/Kahl, Umweltrecht, 2006, § 1 Rn. 22; Klöpfer, Umweltschutzrecht, 2008, § 3 Rn 13) 6 2. Vorsorgeprinzip a) Zweck und Inhalt wichtigstes Prinzip des Umweltrechts; von der bloß reaktiven Schadensbeseitigung zum präventiven und planenden Umweltschutz (Vermeidung und Verminderung von Umweltbelastungen an der Quelle, Schutz vor Auswirkungen von Umweltbelastungen heute im Wesentlichen zwei Varianten: Risiko- und Gefahrenvorsorge (sicherheitsrechtlicher Aspekt; nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 UGB-RefE zentraler oder sogar alleiniger Aspekt; insoweit dort nahe am Schutzprinzip/Teilaspekt der Gefahrenabwehr) Ressourcenvorsorge (bewirtschaftungsrechtlicher Aspekt) aa) Risiko- und Gefahrenvorsorge Gefahrenvorsorge schon im Vorfeld der sicherheitsrechtlichen Gefahrenschwelle Dimensionen: technische Vorkehrungen zur Vermeidung und Verminderung von Emissionen technische oder organisatorische Vorkehrungen gegenüber Unfall- oder Störfallrisiken Inhalte: vom Vorsorgeprinzip erfasst sind auch zeitlich und räumlich noch entfernte Risiken zeitlich: in die Zukunft weisende Perspektive (u.U. über mehrere Generationen) räumlich: erfasst sind auch Ferntransporte von Schadstoffen Fälle mit geringer Eintrittwahrscheinlichkeit: Schwelle für staatliches Handeln ist erreicht, wenn Besorgnispotential besteht; Restrisiken (z.B. Mobilfunk) sind demgegenüber hinzunehmen (kein Null-Risiko-Prinzip) Umweltbelastungen, die erst im Zusammenwirken mit anderen schädlich 7 werden können Schutz empfindlicher Bevölkerungsgruppen Gebot der Belastungsminimierung (z.B. nach dem Stand der Technik); Grenzen: Grundrechte/Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unter Umständen Beweiserleichterungen oder Beweislastumkehr (z.B. im Zivilrecht <vgl. BGHZ 92, 143>; aber auch im VwR denkbar) bb) Ressourcenvorsorge Umweltvorsorge im Sinne einer vorausschauenden Umweltplanung und zukunftsverträglichen Ressourcenbewirtschaftung; Ziel, für zukünftige Nutzungen Freiräume zu erhalten (s. auch Nachhaltigkeitsprinzip) b) c) Dogmatische Herleitung sog. Ignoranztheorie ("Handeln im Ungewissen", vgl. Erbguth/Schlacke, Umweltrecht 2005, § 3 Rn. 4): behördliche Risikoentscheidungen erfordern eine gewisse Sicherheitszone vor der Gefahrenschwelle sog. Freiraumtheorie: Schaffung und Erhaltung (sicherheitsrechtlicher) Freiräume Rechtsnatur und Rechtswirkungen allgemeine Gesetzesgrundlage für Vorsorgeprinzip fehlt; deshalb derzeit (wohl) allein durch Fachgesetze getragen; siehe aber § 1 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 UGB-RefE! nur objektiv-rechtliches Prinzip; nach h.M. keine drittschützende Wirkung (keine subjektive Rechtsposition des Bürgers, dass jenseits des Schutzprinzips Umweltvorsorge betrieben wird); deshalb auch keine hieraus ableitbare Klagebefugnis d) Einfachrechtliche Verankerung Vorsorge als allgemeiner Gesetzeszweck: z.B. § 1 BImSchG § 1a WHG Verpflichtung zur Minimierung denkbarer Schadensrisiken durch 8 Beachtung der nach dem Stand von Wissenschaft und Technik möglichen Vorsorgemaßnahmen: z.B. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG § 7a WHG Verschlechterungsverbot: insb. § 2 Abs. 1 Nr. 5 und 13 BNatSchG Vorsorge als Planungsdirektive: z.B. § 2 Abs.2 Nr. 8 ROG § 1 Abs. 5, Abs. 6 Nr. 7, § 1a BauGB 3. Verursacherprinzip a) Zweck Umweltprogramm der BReg. 1971: "Jeder, der die Umwelt belastet oder sie schädigt, soll für die Kosten dieser Belastung oder Schädigung aufkommen"; insoweit lediglich Kostenzurechnungsprinzip: Verursacherprinzip bestimmt, wem einzelne Umweltbeeinträchtigungen zuzurechnen sind und wer für die Beseitigung bzw. Verminderung in die Pflicht genommen werden soll general- und spezialpräventive Wirkung (mittelbar verhaltenssteuernde Wirkung aufgrund der auf einen Schädiger zukommenden finanziellen Belastungen) Schwächen: rein ökonomische Betrachtung der Umweltgüter kann effektiven Umweltschutz nicht gewährleisten; Verursacherprinzip deshalb immer auf Ergänzung durch Vorsorgeprinzip angelegt b) Inhalt und Rechtswirkungen Vorsorgeprinzip wird heute allgemein weiter verstanden: nicht bloß ökonomisches Kostenzurechnungsprinzip/Sekundärrechtsfolgenprinzip mit dem Ziel einer Internalisierung der Kosten von Umweltbeeinträchtigungen sondern auch finanzielles und materielles Verantwortungsprinzip, das 9 Verantwortlichen im Sinne einer Nichtverursachung beeinflussen soll, etwa durch o Zurechnungsprinzip im Sinne der sicherheitsrechtlichen Störerverantwortung (Adressat für ordnungsrechtliche Gebote und Verbote etc.) o Zurechnungsprinzip auch für Anreizinstrumente (z.B. Abgaben) Maßstab für Zurechnung: erhebliche Nachweisprobleme (im Sinne einer conditio sine qua non) bei komplexen Wirkungszusammenhängen (z.B. Waldschaden), deshalb rechtliches Zurechnungsprinzip, das der Gesetzgeber nach Gerechtigkeits-, Billigkeits- oder politischen Zweckmäßigkeitserwägungen ausgestalten kann c) 4. Einfachrechtliche Verankerung Vermeidungs-, Verminderungs- oder Beseitigungspflichten (z.B. Autos, § 38 BImSchG; Hausmüllbeseitigung) Auferlegung "ersparter" Kosten bei pflichtwidrigem Verhalten Auferlegung der Kosten für Ausgleichs- und Kompensationsmaßnahmen (z.B. naturschutzrechtliche Eingriffs- und Ausgleichsregelung in der Bauleitplanung, § 135a BauGB) Belastung mit politisch festgesetzten Knappheitspreisen für die Umweltnutzung (z.B. Emissionshandel) Kooperationsprinzip kein umweltspezifisches, aber doch ein umwelttypisches Prinzip Bekenntnis zu gemeinsamer Verantwortung von Staat und Bürgern und zur gegenseitigen Abhängigkeit und Beeinflussbarkeit beider Bereiche im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat (vgl. auch § 1 Abs. 2 Nr. 4 UGB-RefE) Aufgabenverteilungsprinzip: Wandel vom imperativen zum paktierenden Staat (z.B. informelle Absprachen; freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft zur Vermeidung staatlicher Maßnahmen <VerpackungsV; 10 Atomausstieg etc.>) 5. Einbindung privater Verantwortung (Stichwort: "Verantwortlicher Freiheitsgebrauch") Erhöhung der gesellschaftlichen Akzeptanz Gefahr inhaltlicher Kompromisse zu Lasten des Gemeinwohls und der Belange des Umweltschutzes Fehlende rechtsstaatliche Sicherungen, insbesondere hinsichtlich betroffener Dritter, wenn Normsetzungen oder behördliche Anordnungen durch informelle Absprachen oder SelbstverpflichtungsAbkommen ersetzt werden staatliche Gewährleistungsverantwortung als notwendiges Korrektiv, soweit Aufgaben des Umweltschutzes privatisiert werden kooperatives Aufgabenwahrnehmungsprinzip, z.B. Anhörung "beteiligter Kreise" (§ 51 BImSchG), Betroffenenbeteiligung, Verbandsbeteiligung (§ 58 ff. BNatSchG) Einbringung von Sachverstand; Komplettierung entscheidungserheblichen (Abwägungs-) Materials Repräsentation von (organisierten) Interessen aber auch: erhöhte Mitwirkungspflichten (z.B. in Form von materiellen oder prozessualen Präklusionswirkungen) Integrationsprinzip Zweck: Schutz der Umwelt in ihrer Gesamtheit; gemeinschaftsrechtliche Wurzeln (UVP-RL und IVU-Richtlinie) Aspekte des Integrationsprinzips: interne Integration: medienübergreifender Ansatz (z.B. § 5 Abs. 1 Satz 1 BImSchG: "… hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt …"; § 10 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG; ) externe Integration: Berücksichtigung der Umweltbelange auch in nur des 11 mittelbar umweltrelevanten Politiken (insb. Querschnittsklausel des Art. 6 EGV) gesetzliche Ausprägungen: 6. § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UVPG ("Wechselwirkungen zwischen Umweltgütern") § 75 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwVfG (formelle Konzentrationswirkung) § 42 ff. UGB-RefE (integrierte Vorhabengenehmigung) Nachhaltigkeitsprinzip in der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG zwar nicht ausdrücklich benannt, aber impliziert (Zukunftsverantwortung des Staates "für künftige Generationen")); Ausprägungen etwa in naturschutzrechtliche Eingriffs- und Ausgleichsregelung, §§ 18 ff. BNatSchG Verschlechterungsverbote, § 33 Abs. 5, § 34 Abs. 1 BNatSchG Raumordnung, § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, 3 ROG