Koothrabella vulgaris Der gemeine Jingelrein Auf Schutträngen, in Mooren und an den Böschungen vieler Wege wächst der hübsch anzusehende und genügsame gemeine Jingelrein (Koothrabella vulgaris). Der Jingelrein ist eine krautige mehrjährige Pflanze, die etwa einen halben Schritt hoch werden kann. Während seitlich an den verzweigten, buschig wachsenden Stängeln bis zur Blattspreite gelappte dunkelgrüne Blätter sprießen, wachsen an deren Enden die Blüten der Pflanze. Diese weißen, mit violetten Tupfen gezeichneten Röhren sitzen auf kleinen, S-förmig gekrümmten Stielen und weisen den für die Familie der Röhrenblütler charakteristischen Bau auf. Die Blütenröhre wird von den miteinander verwachsenen Kronblättern gebildet und umschließt Staub- und Fruchtblätter. Das Ende der Blütenröhre wird von einem markanten Sporn gebildet. Die Kelchblätter sind zurückgebildet. Durch einen ausgefeilten Mechanismus wird die Bestäubung der Pflanze durch Insekten gewährleistet. Der Eingang der Röhre wird von einer Oberlippe, einer leicht vorstehenden Unterlippe und den beiden seitlichen Fahnen gebildet. Wenn ein Insekt auf der Unterlippe landet und Reusenborsten Staubblätter angelockt von verführerischem Nektarduft Sporn Stempel Oberlippe in die Röhre kriecht, klappen, durch die Reizung von Tasthaaren ausgelöst, die Fahne beiden Fahnen blitzschnell zusammen und schließen das Insekt in der Röhre ein. Der einzig verbleibende Ausgang für das Insekt Unterlippe liegt nun am anderen Ende der Röhre. Auf Fruchtknoten dem Weg dorthin muss das Insekt aber mit Samenanlagen zunächst an den zahlreichen Staubblättern, danach am Fruchtknoten und an dessen in die Röhre hineinragenden Stempel und schließlich an den Reusenborsten, die verhindern, dass Insekten von hinten in die Röhre gelangen, vorbei kriechen. Nach einigen Minuten, wenn das Insekt wieder in die Freiheit gelangt ist und die Tasthaare im Röhreninneren nicht mehr gereizt werden, öffnet sich die Röhre wieder und der Vorgang kann von neuem beginnen. Auf ihrem Weg durch die Blütenröhre werden die Insekten mit dem Pollen des Jingelrein eingepudert. Beim Besuch der nächsten Blüte streifen sie am Stempel mit der klebrigen Narbe vorbei übertragen so den Pollen. Die Samenzellen aus den Pollenkörnern wachsen dann bis zu den Samenanlagen im inneren des Fruchtknotens und befruchten dort die Eizellen. Darauf hin bilden sich im Fruchtknoten 12 bis 18 kleine, schwarze, kugelförmige Samen. Während der Reifung der Samen vertrocknet die Blütenröhre und der Fruchtknoten bildet eine holzige Kapsel, die schließlich aufplatzt und die Samen verschleudert. Die Blütezeit des Jingelrein dauert von Vorsommer bis Blätterfall, so dass der Jingelrein vom Frühling bis in den Herbst hinein, die Fluren schmückt. Die Samenreife beginnt nur etwa einen Monat versetzt und dauert von Neusommer bis Graunacht. Nach der Samenreife, wenn der Winter einsetzt und die Nachtfröste heftiger werden, vertrocknen die oberirdischen Teile der Pflanze. Nur die Wurzel, die gleich einem Pfahl in die Erde hineinragt und leicht verdickt ist, überdauert den Winter. Durch die eingelagerten Nährstoffe kann im nächsten Frühjahr eine neue Pflanze aus der Wurzel sprießen und der Lebenszyklus des Jingelrein beginnt von Neuem. Da der gemeine Jingelrein weit verbreitet ist und sowohl in den gemäßigten Breiten Nandûns als auch Earhûns vorkommt, schenkten ihm Naturforscher nur wenig Beachtung und taten ihn als gewöhnliches und nutzloses Kraut ab. Wie jedoch erst kürzlich durch die angesehene Botanikerin Carsina Perken, die sich der Erforschung von isolierten Ökosystemen verschrieben hat, in einem Hochmoor im Westen des Seranai-Gebirges, mitten im Territorium der Tark, beobachtet wurde, geht der Jingelrein dort eine besondere Wechselbeziehung mit einem Insekt ein und wird dadurch zu einer für die Tark äußerst nützlichen Lebensform. Im der Abgeschiedenheit des Tar’rakk-Moores entwickelte sich so manche ungewöhnliche Partnerschaft und so auch das Zusammenleben von gemeinem Jingelrein und der Geisterraupe, der Larve des Blauen Admirals. Der Blaue Admiral ist eine Schmetterlingsart, die fast ihre gesamte Lebenszeit als Larve fristet. Während die Geisterraupe, die ihren Namen ihrem weißen, fast durchscheinenden Körper verdankt, mehrere Jahre alt wird, lebt der erwachsene Schmetterling nach dem Schlupf aus der Puppe nur wenige Wochen. In dieser kurzen Zeitspanne paaren sich die Tiere und die Weibchen legen ihre Eier am Rand eines Moorauges ab, wo sich der Nachwuchs dank der spezifischen Mineralstoffzusammensetzung des Wassers gut entwickeln kann. Da in Tar’rakk aufgrund des nährstoffarmen Bodens nur wenige Pflanzen wachsen, hat sich die Geisterraupe hauptsächlich auf tierische Nahrung spezialisiert. Da die Raupe aufgrund ihrer schlechten Beweglichkeit aber keine geschickte Jägerin ist, bedient sie sich eines Tricks um sich ihre Nahrung zu beschaffen. Nach dem Schlupf der jungen Geisterraupen verbringen die Tiere zunächst einige Wochen schwimmend in Wasser und ernähren sich von abgestorbenen Pflanzenteilen am Grund der Mooraugen. Nach zwei Häutungen, wenn die Raupen eine Länge von etwa zwei Fingerbreiten erreicht haben, kommen sie aus dem Wasser und machen sich auf die Suche nach einer Jingelreinpflanze. Sobald sie eine passende Pflanze gefunden haben kriechen sie an ihr hinauf, um ihr restliches Raupenleben auf ihr zu verbringen. Die Tiere beginnen sogleich den Jingelrein mit einem Sekret zu benetzen, das sie in Drüsen am ihrem Hinterleib produzieren. Das schleimige Sekret schützt den Jingelrein vor Moorläusen, einem in Mooren weit verbreiteten Parasiten, der alle Arten von Pflanzen befällt und sich von deren Saft ernährt. Schließlich kriechen die Raupen zu den Blütenröhren der Pflanzen und klammern sich mit den Stummelfüßen ihres Hinterleibs am Blütensporn fest, so dass ihr Kopf und ihr Brustabschnitt mit den zu Fangdornen umgestalteten Gliedmaßen vor dem Ausgang der Blütenröhre hängt. So warten die Geisterraupen auf einen Blütenbesucher der, wenn er sich mühsam durch die Reusenborsten der Blütenröhre zwängt, leicht von der Raupe gefangen und verspeist werden kann. Dem Jingelrein gehen so zwar einige Bestäuber verloren, doch der Schutz vor den lästigen Moorläusen scheint dieses Manko mehr als auszugleichen. Im Herbst spinnen sich die Raupen in einen Kokon ein und überwintern als Puppen an den vertrockneten Stängeln des Jingelrein klebend, um im nächsten Jahr, wenn der Jingelrein erneut austreibt, wieder an ihm zu leben, ihn zu pflegen und von den Insekten zu fressen, die durch die Blüten des Jingelrein angelockt und festgesetzt, direkt in seine Fangarme kriechen. Die Tark, die schon seit jeher im Seranai-Gebirge leben, haben schon vor langer Zeit entdeckt, dass sie diese Gemeinschaft von Jingelrein und Geisterraupe nutzen können. So ziehen die Tark jedes Jahr im Frühjahr in das Tar’rakk-Moor hinauf und graben dort große und kräftige Jingelreinpflanzen aus, um sie mit zu ihren Oomi-Feldern zu nehmen und in großen Tonkübeln zwischen den Pflanzen aufzustellen. Die gefräßigen Geisterraupen fangen dort die so genannten Prachtfliegen, deren Larven auf den Oomi-Pflanzen leben und diese bei starkem Befall kahl fressen können. Durch das Aufstellen der Jingelrein-Pflanzen kann der Prachtfliegenbestand und damit der Befall der Oomi-Pflanzen aber eingedämmt werden. So sichern sich die Oomi-Bauern reichen Ertrag.