Text zur PoWi-Klausur Nr. 3 / Jg. 12 11.03.09 Lohde-Reiff Quereinsteiger Von Robin Mishra 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 CDU-Mittelstandspolitiker Michael Fuchs ist ein Quereinstiger. Als erfolgreicher Unternehmer entschied er sich 2002, damals schon 53 Jahre alt, für den Bundestag zu kandidieren. Wenn Fuchs im rot-weiß gestreiften "Kürschner" blättert, dem Handbuch mit allen Abgeordneten des Deutschen Bundestages, findet er wenige Vertreter von seinem Schlage. Er blättert eine Seite auf und liest aus verschiedenen Lebensläufen vor. Typische Berufsstationen klingen so: "Verschiedene Parteiämter auf kommunaler Ebene", "Referentin bei einem Bundestagsabgeordneten", "Persönlicher Referent des thüringischen Kultusministers". Ein Leben für die Politik und von der Politik, gemäß dem Dreiklang: Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal. "Wir haben in Berlin zu viele Berufspolitiker, denen Erfahrungen aus einem eigenen Berufsleben fehlen", klagt Fuchs und schlägt den Kürschner wieder zu. "Solche Abgeordneten haben keine Selbstständigkeit im Denken mehr. Und weil sie von ihrem Mandat abhängig sind, sind sie leicht zu disziplinieren." Die Partei, die Partei, die hat immer Recht: Über die vielen Stromlinienförmigen ärgert sich Fuchs so sehr, dass er sie am liebsten in die raue Welt außerhalb des Regierungsviertels stoßen will. Sein Vorschlag: Jeder Abgeordnete sollte höchstens drei Legislaturperioden im Bundestag sitzen dürfen. Diese Idee hat mehr Nachteile als Vorzüge, hätten danach auch Kanzlerin Angela Merkel (fünf Legislaturperioden) und SPD-Chef Franz Müntefering (neun Legislaturperioden) längst die Politik an den Nagel hängen müssen. Aber in seiner Radikalität weist der Vorschlag von Fuchs auf ein großes Problem des Berliner Betriebs hin: Er wirkt hermetisch abgeriegelt und luftdicht verschlossen. Weil es zwar immer mehr Aussteiger, aber immer weniger Quereinsteiger gibt, sinkt die Qualität des politischen Personals. In allen Parteien ist, in unterschiedlicher Dramatik, die Personaldecke für Spitzenpositionen dünn. Nach dem Rücktritt von Kurt Beck als SPD-Chef kehrte Franz Müntefering zurück, der das Alter für die gesetzliche Rente überschritten hat, obwohl es auf seine Initiative hin auf 67 Jahre erhöht worden ist. Erwin Huber, knapp über 60, gab nach der CSU-Pleite bei der bayerischen Landtagswahl den Parteivorsitz an den knapp unter 60-jährigen Horst Seehofer weiter. Mit Innenminister Wolfgang Schäuble und Finanzminister Peer Steinbrück gehören zwei weitere anerkannte Schwergewichte der Großen Koalition zur Generation 60 plus. Auch die drei mächtigsten Politiker der Linkspartei, der Parteivorsitzende Lothar Bisky sowie die Fraktionschefs Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, haben die 60 überschritten. Personelle Auszehrung nach innen, sinkende Attraktivität nach außen. So zahlen die etablierten Parteien den Preis dafür, dass sie die Regel "Neue Besen kehren gut" so sträflich vernachlässigen. Höchste Zeit, eine Quote für Quereinsteiger einzuführen! Bestes Vorbild dafür sind die Frauenquoten. Auch sie waren bei ihrer Einführung umstritten, haben aber den Anteil weiblicher Führungskräfte in den Parteien und Parlamenten hochschnellen lassen. Die Grünen führten eine Frauenquote bereits bei ihrer Gründung 1979 ein, die SPD zog Ende der Achtziger-, die CDU Mitte der Neunzigerjahre nach. 1980 lag der Frauenanteil im Bundestag bei nur 8,2 Prozent, 1987 waren es 15,5 und nach der Wahl 1994 schon 26,9 Prozent. Seit 1998 liegt der Anteil weiblicher Bundestagsabgeordneter stabil bei knapp einem Drittel. Einer Quereinsteigerquote dürfte ähnlicher Erfolg beschieden sein. Sie würde den Parteienwettbewerb um ein interessantes Moment bereichern: Die Suche nach den Superstars, den attraktivsten Kandidaten für die "Wild Cards", die für Neulinge reservierten Plätze. Unter dem Motto "Zehn von außen" wollte der damalige SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering bereits im Jahr 2000 seine Partei aufmischen. Dem nächsten Bundestag sollten zehn sozialdemokratische Quereinsteiger, sprich: Nichtparteimitglieder, angehören. Der Wind der Funktionäre blies ihm so scharf ins Gesicht, dass die Pläne in der Schublade landeten. Mehr Lust auf Neues haben die Parteien seitdem nicht bekommen, eher klammern sie sich noch fester an überkommene Strukturen. Gründe genug für den Vorsitzenden der Sozialdemokraten, aber auch für die Chefs der anderen Parteien, die gute Idee wieder aufzugreifen. © Rheinischer Merkur Nr. 6 / 2009, Seite 3