Referat „Der Neue Ethik

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Walter Schaupp
Ethik-Symposium der Barmherzigen Brüder 20. Oktober 2010, Eisenstadt
Referat „Der Neue Ethik-Kodex“
Spreche zu Ihnen als Moraltheologe mit Schwerpunkt auf medizinethischen Fragen und
gleichzeitig als Vorsitzender der Ethikkommission der BB Österreich – Verfasser des neuen
Ethikkodex im weitesten Sinn … bin stolz darauf, dass der Kodex fertig ist … ein sehr gutes
Stück Arbeit geworden!
Aus meiner Sicht einige Bemerkungen zum Hintergrund der Entstehung des neuen Kodex …
1. Erste Gedanken zu Ethik
Der Sinn von Ethik liegt in der Sorge um das richtige Handeln – Dies angesichts der
konstitutiven Verletzbarkeit des Menschen, wie Jürgen Habermas dies formuliert – Wir
Menschen brauchen einander, wir müssen uns nahe sein, andererseits ständige Gefahr des
Missbrauchs, der Ausbeutung des einen zugunsten des Anderen. In diesem Verständnis hat
Ethik von ihrem Ursprung her zu tun mit Achtsamkeit und Sensibilität für den Menschen,
seine Bedürfnisse und sein Leben.
Dieser konkrete Mensch steht mit seinen Bedürfnissen, seinen Hoffnungen und Sehnsüchten,
wie es das 2. Vatikanum formuliert, im Schnittpunkt von sowohl säkularer Ethik wie auch
von christlichem Ethos. Beide wollen letztlich dem Menschen dienen: „Die Sorge um kranke
und gebrechliche Menschen sowie um Menschen mit einer geistigen oder körperlichen
Behinderung zählt zum Kern eines christlichen, aber auch säkular-humanistischen Ethos“
(Präambel des Kodex).
Diese Sorge um das richtige Handeln ist heute in kaum einem anderen Bereich so präsent und
virulent wie im Bereich der Gesundheitssorge. Während man früher einfach von „ärztlicher
Ethik“ sprach, kam es in den letzten Jahrzehnten zu einer zunehmenden Ausweitung des
Anliegens: von ärztlicher Ethik zu medizinischer Ethik, von dort zu biomedizinischer Ethik
oder überhaupt Bioethik – von dort wiederum zum vielleicht allgemeinsten Bereich einer
Ethik der Gesundheitssorge.
2. Ethischer Orientierungsbedarf im Gesundheitsbereich
Herausforderungen der modernen Medizin
Die Notwendigkeit ethischer Orientierung ist gestiegen a) angesichts eines Zuwachses von
Handlungsmöglichkeiten der modernen wiss. Medizin. Man denke nur an all die
Entscheidungsschwierigkeiten am Lebensende.- (b) Zusätzlich hat die moderne Medizin eine
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ganze Reihe ambivalenter Folgen, die aufgefangen werden müssen – es braucht die ständige
Sorge, dass sie nicht in Inhumanität umschlägt
-- denken sie an das Stichwort
„Medikalisierung der Schwangerschaft“ - Welche und wie viel an Medizin dient wirklich
dem Menschen?
- (c) Ihre streng naturwissenschaftliche Orientierung ist eine ständige
Versuchung, den Menschen als Person aus dem Blick zu verlieren. – (d) Die steigenden
Möglichkeiten erhöhen die Kosten, sodass die Allokationsfragen immer drängender werden
(Problem knapper Ressourcen) – führt uns die moderne Medizin notwendig in eine neue
Klassengesellschaft?.
Wertplurale Gesellschaft
Gleichzeit leben wir in einer wertpluralen Gesellschaft, wo es keine verbindliche moralische
Autorität mehr gibt, sondern verschiedene Weltanschauungen, religiöse Haltungen und
kulturelle Kontexte nebeneinander existieren. –
Für die Medizin allgemein führt dies dazu, der individuellen Werthaltung des Patienten /
Klienten mehr Beachtung zu schenken, sich wirklich an ihm zu orientieren – Für die
Barmherzigen Brüder, die sich selbst einer bestimmten Konfession verpflichtet wissen, führt
dies zur Notwendigkeit, sich einerseits am individuellen Patienten zu orientieren, sich
andererseits aber auch in einer wertpluralen Gesellschaft ein bestimmtes Profil zu geben.
Kranke, Alte und Behinderte als vulnerable Gruppen
Ein besonderer Bedarf an Ethik im Gesundheitsbereich ergibt sich daraus, dass man es hier
immer wieder mit Menschen zu tun hat, die ihre eigenen Rechte nicht mehr wirklich ausüben
können, die vielfältig eingeschränkt sind, verletzbar, abhängig und auf andere angewiesen. Sie
sind
ausgeliefert
und
instrumentalisierbar
für
die
Interessen
von
Gesellschaft,
wissenschaftlicher Medizin u.a. wie die Geschichte gezeigt hat.
Weil sie so in besonderer Weise auf die Achtsamkeit, Sensibilität und Fürsorge der sie
Betreuenden angewiesen sind, kommt ein medizinisches Ethos ohne die Werte von Fürsorge
und Empathie nicht aus.
Insgesamt braucht es also den Schritt von der rein fachlichen Kompetenz zu einer genuin
ethischen Kompetenz, die in nichts anderem besteht, als die Möglichkeiten der modernen
Medizin wirklich zum Wohl des Menschen und in gerechter Weise einzusetzen: Wie werden
Fachwissen und Fachkompetenz menschlich eingesetzt? Zum waren Wohl des Patienten?
Wann und wo wird Medizin inhuman?
3. Ebenen der ethischen Urteilsbildung
Allgemein geht es immer wieder um die Frage, wie wir den Respekt vor der menschlichen
Würde in den vielfältigen Situationen des medizinischen und pflegerischen Alltags realisieren
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können. Menschliche Würde ist dabei zugleich ein Begriff der säkularen Ethik wie auch der
theologischen Ethik (Mensch als Abbild Gottes).
Konkret erfordert dies, sich auf grundlegende und universelle ethische Prinzipien zu besinnen
wie Respekt vor der Autonomie, Nicht-Schadens-Prinzip, Fürsorgeprinzip, Prinzip der
Gerechtigkeit.
Immer braucht des die Formulierung konkreter Normen (Verbote und Gebote) – es gibt kein
Ethos, das ohne solche auskommen würde – es bekommt dadurch seine Identität und
Festigkeit.
Allerdings braucht es immer die Anwendung auf den konkreten Einzelfall, auf die konkrete
Situation. Gute Ethik braucht also immer beides: Verbindliche Orientierung und offenen
Raum für ein Entscheiden im Sinn des Menschen, um den es hier und jetzt geht. – Darin liegt
u.a. der Sinn der christlichen Lehre von der Gewissensfreiheit.
Ethisch gutes Entscheiden und Handeln wird dabei um bleibende Spannungen nicht
herumkommen:
a) Spannungsverhältnis von allgemeinen Normen und dem Anspruch der konkreten
Situation (seit Aristoteles über Thomas auch Inhalt christlich-katholischer Ethik)
b) Spannungsverhältnis von Selbstbestimmung und Fürsorge
c) Spannungsverhältnis von universellen menschlichen Werten und kulturellem Kontext
In der Ethik lässt sich nicht alles im Voraus festlegen – gerade deshalb benötigt es
individuelle ethische Kompetenz und Hilfestellungen für die konkrete Entscheidungsfindung.
4. Strukturelle Voraussetzungen ethischer Kultur
Gute ethische Entscheidungen haben ihre Voraussetzungen, um die man wissen muss:
– Wissen und Information
– Dialog und Kommunikation … der individuelle Blick ist oft befangen … es braucht
eine Argumentationskultur … Bereitschaft zum Austausch …
– Zeit und Raum
– Mut und Zivilcourage - vgl. Angst vor rechtlichen Konsequenzen – Vertrauen
All dies benötigt wieder strukturelle Voraussetzungen, die dies ermöglichen:
 Kodex als ein erstes Instrument – aber auch Fortbildung – dient dem Wissen und
der Information
 Ethikgremien / Ethikforen
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 Systematische klinische Ethikberatung (Beteiligung aller Betroffenen; Zeitrahmen
festlegen; es gibt Personen, an die man sich wenden kann; es gibt Personen, die
sich mit Fragen beschäftigen, die allgemein geklärt werden sollen)
 Zuverlässige Ansprechpersonen
5. Einbettung in ein christliches Ethos der Hospitalität
Der zweite Grundanspruch des Kodex „Hospitaltität“ steht zunächst für zwei Dinge:
a) Das besondere Charisma der Barmherzigen Brüder
b) Für eine besondere Entfaltung des allgemein christlichen Ethos – Hospitalität ist eine
Ausformung christlicher Spiritualität – muss eingebettet in die christliche Tradition
und Kirche verstanden werden
Dies hat ohne Zweifel zunächst normative Konsequenzen: „christlich“ steht für ein
bestimmtes Werteprofil mit bestimmten Akzentsetzungen und Optionen – auch und gerade im
Hinblick
auf
viele
aktuelle
medizinethische
Debatten
(Euthanasie,
PID,
Embryonenexperimente u. eSZ-Forschung).
Man darf aber keineswegs vergessen, dass sich der Sinn dieses Moments darin nicht
erschöpft: Hospitalität bzw. umfassender christliche Spiritualität ist eine positive
Sinnperspektive, eine Sinnressource, die zum Handeln befähigen und ermutigen soll.
Nach dem Zeugnis des Evangeliums soll dieses Handeln eine größere Gerechtigkeit, eine
größere Menschlichkeit spiegeln als vielfach in der Gesellschaft verwirklicht.
Diese größere Gerechtigkeit ist innerlich mit einer Großzügigkeit verknüpft, wie sie letztlich
Gott zukommt: einer Großzügigkeit in der Aufnahme und Annahme von Menschen, die das
Pflichtgemäße übersteigen soll. – Es ist diese Großzügigkeit, die immer wieder die großen
Ordensgründer ausgezeichnet hat in ihrem Handeln, auch Johannes von Gott, und die in der
Umwelt Erstaunen auslöst.
Ich wünsche den BB und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viel Freude und die Kraft zu
dieser Großzügigkeit im Einsatz für die Menschen – gerade in einer Zeit genauerer und
detaillierterer Kostenkalkulationen.
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