„Menschen haben einen Hang zum Apokalyptischen“ 09.05.2008 | 18:22 | MATTHIAS AUER (Die Presse) Klimaschutz ist ineffektiv, echte Probleme nicht „sexy“ genug für Medien, sagt Statistiker Bjørn Lomborg. Die Presse: Herr Lomborg, Sie haben Ihre Karriere bei Greenpeace begonnen, heute gelten Sie als „liebster Feind“ der Szene. Warum haben Sie die Seite gewechselt, oder sehen Sie sich selbst noch als Umweltschützer? Bjørn Lomborg: Es ist nicht so, als wäre ich auf die dunkle Seite der Macht gewechselt. Ich finde es gut, dass es die Umweltschützer gibt. Wichtiger ist es, die richtigen Prioritäten zu setzen. Es kommt darauf an, was gut für die Umwelt ist und nicht, was sich im Fernsehen medial gut ausschlachten lässt. Welche Themen sollten Ihrer Ansicht nach denn stärker in die Medien? Lomborg: Eines der größten Probleme ist die Luftverschmutzung in Räumen, die etwa beim Kochen auf offenen Feuerstellen entsteht. Zwei Milliarden Menschen leiden darunter, 1,1 Millionen von ihnen sterben jedes Jahr daran. In den Medien hören wir davon nichts, weil es nicht sexy genug ist. Richtige Entscheidungen fallen aber nicht wegen guter Bilder, sondern aufgrund der richtigen Daten. Man darf auch nicht vergessen, dass unsere Probleme nicht nur mit der Umwelt zu tun haben. Manchmal ist es am besten, dafür Sorge zu tragen, dass sich Menschen entwickeln können. Wichtiger als die Klimadebatte wäre es etwa, Millionen an Aids-Opfern zu verhindern und armen Staaten Entwicklung zu ermöglichen. In ihrem Buch „Cool It“ betonen Sie ja die positiven Seiten des Klimawandels (weniger Kältetote, etc.). Gerade in Entwicklungsländern überwiegen aber die negativen Folgen, etwa für die Landwirtschaft in Afrika. Lomborg: Natürlich ist der Agrarsektor betroffen. Wenn man sich die statistischen Modelle aber genau ansieht, erkennt man, dass die Produktivität insgesamt in diesen Ländern nach oben gehen wird. Mit besserer medizinischer Versorgung und ökonomischer Erziehung werden die Chancen steigen. Über den Agrarexport werden die Länder ohnedies nicht reich, sondern mit Industrien, wie man an China sieht. Außerdem kurbelt die globale Erwärmung die Agrarproduktion in den westlichen Ländern an. Etwa in Kanada oder in Russland. Al Gore hat ein ähnliches Thema gewählt wie Sie. Er bekommt den Friedensnobelpreis, Sie sind eher umstritten. Was macht er besser? Lomborg: Al Gore schwimmt auf einer Welle, die gerade „hip“ ist. Es ist chic, sich Sorgen über die globale Erwärmung zu machen. Die Menschen hatten immer schon einen Hang zum Apokalyptischen. In den Sechzigern gab es Panik wegen der Überbevölkerung, später wegen des Waldsterbens. Alles wichtige Themen, aber keines ist absolut zu setzen. Man muss Al Gore aber zu Gute halten, dass er Amerikas Rechten gezeigt hat, dass es den Klimawandel gibt. Insgesamt schadet er der Bewegung, weil man unter Panik keine guten Entscheidungen trifft. Wie sollte man sie stattdessen treffen? Lomborg: Smart. Sehen Sie sich das Kyoto-Protokoll an. Für immense Kosten würde (selbst, wenn es voll durchgezogen würde) der Klimawandel gerade mal um sieben Tage nach hinten verschoben werden. Also alles eine Kosten-Nutzen-Frage? Lomborg: Heute konzentrieren wir uns darauf, sofort tonnenweise CO2 einzusparen, statt die richtigen Entwicklungen voranzutreiben, um künftig effektiver einsparen zu können. In Deutschland werden Solarzellen mit Milliardenbeträgen subventioniert. Der Netto-Effekt ist gleich null. Besser wäre es, das Geld in die Entwicklung guter und billiger Solarzellen zu investieren. Denn solange es teurer ist, CO2 zu verhindern, als fossile Brennstoffe zu verbrennen, wird man höchstens ein paar Westler überzeugen. Nicht aber den Großteil der restlichen Welt, der zum Westen aufschließen will. Sie treten gegen Panikmache in den Medien an und sagen: Alles wird besser. Reicht es, die ökonomischen Grundlagen der Menschen zu verbessern? Lomborg: Selbst nach pessimistischen Schätzungen wird jeder Mensch am Ende des Jahrhunderts acht bis zehn Mal reicher sein als heute. Für viele bedeutet das nicht nur, dass sie sich mehr kaufen können. Für sie geht es um den Unterschied zwischen leben und sterben. Klar, der Klimawandel bremst die Entwicklung um drei Prozent, das ist bei 1000 Prozent Plus aber zu vernachlässigen. Wie viel sollte uns Umweltschutz dann noch wert sein? Lomborg: Wir geben schon heute zwei bis drei Prozent des weltweiten BIP dafür aus. Das sind 800 Mrd. Dollar (517 Mrd. Euro) im Jahr. Die Frage ist, ob es das Beste ist CO2Emissionen zu reduzieren, um ein besseres Leben für alle zu ermöglichen. Ist es wirklich sinnvoll, 40 Dollar zu investieren, um einen Schaden in der Höhe von zwei Dollar abzuwenden? Dasselbe Geld könnte bei der HIV-Bekämpfung einen Schaden von 1600 Dollar verhindern. Welche Bedeutung hat der Freihandel bei diesem Thema? Lomborg: Freier Handel wird meist unterschätzt und, gerade im Agrarbereich, oft auch von westlichen Ländern unterbunden. Dabei sagen statistische Modelle: Eine gute Doha-Runde (Verhandlungen über mehr Freihandel, Anm.) würde die Welt jedes Jahr um 3000 Mrd. Dollar reicher machen. Fünf Sechstel des Geldes käme in den Entwicklungsländern an. Wer würde darauf achten, dass dieses Kapital nicht nur für Kühlschränke, Fernseher und Autos ausgegeben wird? Lomborg: Schon heute gibt es in den meisten Entwicklungsländern nur geringe staatliche Ausgaben, da kaum Ressourcen für Umweltschutz verfügbar sind. Solange es darum geht, das eigene Kind am Leben zu halten, ist es uninteressant, was mit der Umwelt passiert. Erst wenn das Kind gesund ist und in die Schule geht, können und sollen wir es uns leisten, uns darüber Gedanken zu machen. Der Reichtum der Bürger und Regierungen ist eine Bedingung für Umweltschutz. Welche Rolle sollten Unternehmen spielen? Haben auch sie eine Verantwortung? Lomborg: Am ehesten ist es ihre Aufgabe, Lösungen für die Probleme, die durch den Klimawandel entstehen, zu entwickeln. Die Verantwortung liegt aber nicht bei Firmen oder Individuen, die Gesellschaft muss sich der Thematik annehmen. Es ist zwar schön, wenn jeder seine Glühbirnen austauscht, wirklich helfen tut es nicht. Und Unternehmen können gerne sagen, dass sie „grün“ sind. Ihr eigentliches Ziel ist das nicht. Wenn die Gesellschaft dafür verantwortlich ist, braucht der Staat aber Geld. Welche Steuern würden Sie für die Umwelt einheben? Lomborg: Jeder Ökonom würde sich etwa für eine CO2-Steuer aussprechen. Allerdings nur in der Höhe der mittleren Kosten, von zwei Dollar je Tonne. Was wiederum keinen wirklichen Einfluss hätte. Die Steuer anzuheben mag politisch vielleicht interessant sein, ökonomisch ist es ineffektiv und bringt weniger Netto-Nutzen für die Welt. Steuern lösen das Problem der globalen Erwärmung nicht. Mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung aber schon. Wie sehen Sie die Zukunft der Energie? Lomborg: Solange nur von einem fossilen Brennstoff auf den anderen gewechselt wird, wird die globale Erwärmung immer schlimmer werden. Die Zukunft gehört der „grünen Energie“. Welche es sein wird, können wir heute nicht wissen. Was wir tun können, ist breit zu investieren, damit wir Mitte des Jahrhunderts eine echte Chance haben, die richtige Lösung zu wählen. ("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2008)