Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2017 Wahlprüfsteine des Kompetenzzentrums Selbstbestimmt Leben Köln Das Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben (KSL) im Regierungsbezirk Köln nimmt die anstehende Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zum Anlass, um anhand mehrerer Wahlprüfsteine die Einstellung der verschiedenen politischen Parteien zu behindertenpolitischen Themen zu erfragen. Zu folgenden Themen werden Fragen an die Parteien gerichtet: 1) Behinderung und Arbeit Nach wie vor sind Menschen mit Behinderung überproportional stark von Arbeitslosigkeit betroffen. Viele Menschen mit Behinderung finden sich früher oder später in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) wieder. Obwohl die dort untergebrachten Personen grundsätzlich wieder auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereitet werden sollen, gelingt der Wechsel von der Werkstatt in diesen allgemeinen Arbeitsmarkt nur äußerst selten. Das neu im Bundesteilhabegesetz vorgesehene Budget für Arbeit bildet zwar ein erfolgversprechendes Instrument hierzu, wird aber in seiner Wirksamkeit deutlich eingeschränkt durch die finanzielle Obergrenze von ca. 1150 € als Zuschuss für Arbeitgeber. Hier besteht für die einzelnen Bundesländer die Möglichkeit, diese Obergrenze zu erhöhen. Auch wird in der Beratungspraxis häufig von Diskriminierungen im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) von Menschen mit Behinderung bei der Stellensuche oder im Arbeitsleben berichtet. Hinzu kommt, dass viele öffentliche Arbeitgeber nur unzureichend die Schutzbestimmungen zu Gunsten von Menschen mit Behinderung beachten, insbesondere von Schwerbehinderten. a. Wie steht Ihre Partei zu dieser Problematik und welchen Lösungsansatz hält Ihrer Partei hierfür bereit? b. Wie möchte Ihre Partei die Wechselquote von der Werkstatt in den allgemeinen Arbeitsmarkt verbessern? „Selbstbestimmt Leben“ Behinderter Köln e.V. Pohlmanstraße 13, 50735 Köln Vereinsregister Köln Registernummer VR 6155 c. Wird sich Ihre Partei dafür einsetzen, dass durch Landesrecht die Obergrenze des Lohnkostenzuschusses im Rahmen des Budgets für Arbeit angehoben oder gestrichen wird (§ 61 Abs. 2 SGB IX (BTHG))? d. Wie wird Ihre Partei dem Diskriminierungsschutz zu Gunsten von Menschen mit Behinderung insbesondere über das AGG mehr Geltung und Durchsetzungskraft verleihen? 2) Öffentlicher Personenverkehr/Mobilität Auch im Jahr 2017 sind öffentliche Verkehrsmittel für Menschen mit Behinderung nur unzureichend nutzbar. Zahlreiche Straßenbahn- oder U-BahnLinien sind überhaupt nicht nutzbar, gerade im Bereich der Deutschen Bahn sind viele Bahnhöfe mit dem Rollstuhl nicht erreichbar. Seit einiger Zeit kommt erschwerend der systematische Ausschluss von Menschen mit E-Scooter von der Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs hinzu. a. Wie wird sich Ihre Partei dafür einsetzen, dass öffentliche Verkehrsmittel einschließlich der Deutschen Bahn inklusiv, d. h. für alle Menschen mit und ohne Behinderung gleichermaßen erreichbar und nutzbar werden? b. Wie steht Ihre Partei zum Ausschluss von Menschen mit E-Scooter von der Nutzung von Bussen und Bahnen und welche Lösungskonzepte halten Sie für diese Personengruppe bereit? c. Wie will Ihre Partei eine Rücknahme dieses Verbots bzw. eine Veränderung der Rahmenbedingungen im öffentlichen Personennahverkehr dergestalt erreichen, dass auch diese Personen uneingeschränkt Busse und Bahnen wieder mit E-Scooter benutzen können? 3) UN-Behindertenrechtskonvention Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) wurde vorbehaltlos durch die Bundesrepublik Deutschland ratifiziert und ist somit geltendes Recht. Diese Konvention ist für Menschen mit Behinderung von besonderer Bedeutung, dies auch aufgrund der Tatsache, dass das Thema Behindertenpolitik aus dem ausschließlich sozialrechtlichen Kontext herausgelöst und als Menschenrechtsthema angesehen wird. Dennoch wird der UN-BRK häufig die bindende Rechtswirkung abgesprochen und behauptet, es handele sich um eine unverbindliche Konvention. a. Wie steht Ihre Partei zur UN-BRK? b. Erkennt Ihre Partei die rechtliche Verbindlichkeit der UN-BRK an? Seite 2 von 6 c. Wie gedenkt Ihre Partei, die UN-BRK und ihre Wirkung zu Gunsten von Menschen mit Behinderung künftig zu verbessern? 4) Inklusive Schule, gemeinsames Lernen Seit einigen Jahren widmet sich Nordrhein-Westfalen verstärkt der schulischen Inklusion von Kindern mit und ohne Behinderung. Unbestritten besteht hierbei noch erheblicher Bedarf an Weiterentwicklung, auch sind inklusive Strukturen in den Schulen noch nicht ausreichend finanziell hinterlegt. Dennoch erfüllt es die betroffenen Kinder und deren Eltern mit großer Sorge, wenn im Rahmen von Wahlprogrammen und Wahlkampfveranstaltungen das Prinzip der Inklusion und deren Umsetzung im schulischen Bereich zunehmend infrage gestellt wird. a. Wie steht Ihre Partei zur gemeinsamen Unterrichtung von Kindern mit und ohne Behinderung? b. Wie steht Ihre Partei generell zur schulischen Inklusion? c. Wo sieht Ihre Partei Probleme bei der Inklusion und deren Umsetzung? d. Wie möchte Ihre Partei diesen Problemen begegnen? 5) Wohnen, Leben im Quartier Die Suche nach barrierefreien und gleichzeitig bezahlbaren Wohnungen gerät mehr und mehr zu einem fast aussichtslosen Unterfangen. Wenn barrierefreier Wohnraum verfügbar ist, handelt es sich zumeist um Wohneinheiten im gehobenen Preissegment. Dieser ist für Menschen mit Behinderung, die sich oftmals im Bezug von Transferleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts befinden, nicht finanzierbar und somit auch nicht verfügbar. Aber auch für diejenigen behinderten Menschen, die über ein eigenes Erwerbseinkommen verfügen, ist barrierefreier Wohnung zumeist unerschwinglich. Neubauten über das Instrument des Sozialen Wohnungsbaus sind zuletzt kaum mehr zu finden. Dies verstärkt den Mangel an bezahlbarem Wohnraum gerade für Personen, die auf eine barrierefreie Wohnung angewiesen sind. Auch eine Modernisierung bestehender Bauten im Sinne einer barrierefreien Umgestaltung findet in der Praxis aus Kostengründen kaum statt. Die private Wohnungswirtschaft unternimmt kaum nennenswerte Aktivitäten, barrierefreien Wohnraum zu bezahlbaren Kosten zu schaffen. a. Wie ist diese Sichtweise Ihrer Partei auf diese Problemlage? b. Was möchte Ihre Partei unternehmen, um diesem Problem zu begegnen? Seite 3 von 6 c. Welche Rolle muss hierbei aus Ihrer Sicht der Soziale Wohnungsbau übernehmen? d. Wie gedenkt Ihre Partei, dem Problem der fehlenden Barrierefreiheit sowohl im Wohnungsbestand als auch bei Neubauten zu begegnen? e. Inwieweit sieht Ihre Partei eine Verpflichtung der privaten Wohnungswirtschaft zur Schaffung und Stärkung der Barrierefreiheit? 6) Persönliche Assistenz Unbestritten gehört die Persönliche Assistenz zu den wesentlichen Errungenschaften, mit denen für Menschen mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen ein Leben außerhalb stationärer Wohneinrichtungen überhaupt erst möglich ist. Die Persönliche Assistenz wird zwar nicht generell, aber in zahlreichen Einzelfällen durch die angesprochenen Leistungsträger erschwert oder gar unmöglich gemacht, um die damit verbundenen Kosten einzusparen. Für die Betroffenen bedeutet dies, dass für sie ein Leben in einer eigenen Wohnung, so wie es für Menschen ohne Behinderung Alltag ist, ausgeschlossen bleibt bzw. langwierigen und sehr belastenden Auseinandersetzungen erkämpft werden muss. Diese Vorenthaltung ist mit Art. 19 UN-BRK nicht vereinbar, gibt diese Vorschrift behinderten Menschen doch das Recht, frei zu entscheiden, wie und mit wem sie leben möchten und dass sie nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen für Menschen mit Behinderung zu leben. Das Leben in einer eigenen Wohnung erfährt somit einen menschenrechtlichen Schutz, eine Vorenthaltung ist als Menschenrechtsverletzung zu qualifizieren. Persönliche Assistenz hat sich in den vergangenen Jahren zu einem bedeutenden Arbeitsmarktfaktor entwickelt. Während früher viele Assistenzkräfte dieser Tätigkeit parallel zum eigenen Studium und damit für einen befristeten Zeitraum nachgegangen sind, hat sich dieses Tätigkeitsfeld mehr und mehr zu einer dauerhaften Beschäftigung und damit auch zu einem etablierten Berufsfeld entwickelt. Schätzungen gehen von bis zu einer halben Million Assistenzkräfte in Deutschland aus. a. Wie steht Ihre Partei zur Persönlichen Assistenz? b. Wie steht Ihre Partei zum Recht auf ein Leben in einer eigenen Wohnung, auch wenn dies im Einzelfall mit höheren Kosten verglichen mit der stationären Unterbringung verbunden ist? c. Wie steht Ihre Partei zum Vorrang der ambulanten Hilfe, gerade vor dem Hintergrund des Art. 19 UN-BRK? d. Wie beurteilt Ihre Partei die wirtschaftliche Bedeutung der Persönlichen Assistenz als Jobmotor? Seite 4 von 6 7) Schutz vor Demütigung, Gewalt und sexuellem Missbrauch in stationären Einrichtungen für Menschen mit Behinderung Nicht zuletzt durch die Enthüllungen des Teams Wallraff vor wenigen Tagen ist das Thema Gewalt und Erniedrigungen in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung erneut und eindringlich vor Augen geführt worden. Solche Übergriffe sind unter anderem darauf zurückzuführen, dass derartige Einrichtungen nach außen abgeschottet sind und es somit für Außenstehende kaum möglich ist, Einblicke zu gewinnen und Transparenz zu schaffen. Auch für die dort untergebrachten Menschen mit Behinderung ist es nicht zuletzt aufgrund des bestehenden Machtgefälles kaum möglich, sich zur Wehr zu setzen. Aber auch die unzureichende Kontrolle, Begleitung und Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Einrichtungen durch die Leitungsebene bildet einen gefährlichen Nährboden für die beschriebenen Vorfälle. a. Für wie relevant hält Ihre Partei das Problem von derartigen Übergriffen in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung? b. Wie möchte Ihre Partei diesem Problem begegnen? 8) Politische Partizipation von Menschen mit Behinderungen Nicht zuletzt durch den behindertenpolitischen Grundsatz „Nicht über uns ohne uns“ wird die Forderung behinderter Menschen nach einer vollen und wirksamen Partizipation gleichberechtigt mit anderen begründet und legitimiert. Die Partizipation behinderter Menschen hat sich zwar in der jüngeren Vergangenheit verbessert, ist jedoch an vielen Stellen bislang nur unzureichend gewährleistet. So sind beispielsweise Räumlichkeiten für Gremienarbeit häufig nicht barrierefrei. Auch die Bereitstellung schriftlicher Unterlagen in einer angepassten Form (Brailleschrift, Großdruck, Leichte Sprache usw.) ist nicht in jedem Fall gewährleistet. Die Kommunikation mittels Gebärdensprachdolmetscher, Schriftdolmetscher oder in Leichter Sprache ist oftmals nicht möglich. Schließlich fehlt es an den notwendigen Teilhabeleistungen (Mobilitätshilfe, Assistenz), um vollumfänglich politisch partizipieren zu können. a. Wie steht Ihre Partei der Forderung nach vollumfänglicher und gleichberechtigter und politischer Partizipation von Menschen mit Behinderung gegenüber? b. Welche Schritte wird Ihre Partei unternehmen, um diese Partizipation zu verbessern? c. Inwieweit wird sich Ihre Partei dafür einsetzen, dass insbesondere im Bereich der Kommunikation bzw. der Bereitstellung von Unterlagen in Seite 5 von 6 einer im Einzelfall nutzbaren Form, aber auch im Hinblick auf die notwendigen Teilhabeleistungen Verbesserungen bei der politischen Partizipation zugunsten von Menschen mit Behinderung erreicht werden? d. Wird sich Ihre Partei dafür einsetzen, die Gemeindeordnung mit dem Ziel wirksamerer Partizipationsmöglichkeiten für behinderte Menschen, z. B. vergleichbar zu den Kinder- und Jugendhilfeausschüssen, zu verändern? Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie uns Ihre Positionen anhand der übermittelten Wahlprüfsteine darstellen würden und stehen für weitere Rückfragen jederzeit gerne zur Verfügung. Köln, 26. März 2017 Seite 6 von 6