Warum eine Hirnhälfte zur anderen passt

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WISSENSCHAFT & WETTER
Donnerstag, 3. September 2009
Warum eine Hirnhälfte zur anderen passt
Nervenzellenverbindungen beeinflussen Entwicklung zwischen Gehirnarealen
Die grobe Architektur des Gehirns sei im wesentlichen bei
der Geburt festgelegt, glaubten Wissenschaftler. Forscher
aus Göttingen und Jena entdeckten anderes: Weitreichende Verbindungen zwischen den
Nervenzellen tragen erst nach
dem Beginn des Sehens dazu
bei, unterschiedliche Bereiche
des Gehirns abzustimmen.
ie Aktivität von NervenD
zellen trägt zur Strukturbildung des Gehirns bei, so
dass die Informationsverarbeitung letztlich auch durch
Übung gelernt wird. Lange
Zeit sind Wissenschaftler davon ausgegangen, dass eine solche aktivitätsabhängige Strukturbildung nur lokal wirkt,
während die grobe Architektur
des Gehirns zum Zeitpunkt der
Geburt bereits angelegt ist.
Wissenschaftler aus Göttingen
und Jena zeigen jetzt, dass weit
reichende Verbindungen zwischen Nervenzellen dazu beitragen, die Entwicklung unterschiedlicher Bereiche des Gehirns und sogar der beiden Gehirnhälften
aufeinander
abzustimmen und dies über
Wochen nach dem Beginn des
Sehens.
Die Wissenschaftler Prof.
Fred Wolf vom Max-PlanckInstitut für Dynamik und
Selbstorganisation
und
Bernstein Zentrum für Computational
Neuroscience
Göttingen und
Prof. Siegrid
Löwel von der
Universität
Fred Wolf
Jena haben für
ihre Untersuchung Bereiche der Hirnrinde
untersucht, die Informationen
aus den Augen verarbeiten: die
primäre Sehrinde (V1), die auf
die Ermittlung von Konturen
spezialisiert ist, und die sekundäre Sehrinde (V2), die eher
auf größere und auch schneller
bewegte Reize reagiert. In jedes dieser Gebiete werden Informationen aus der Netzhaut
Nervenzellen in der Sehrinde reagieren bevorzugt auf Kantenverläufe in einer bestimmten Richtung.
Zellen, die auf die gleiche Richtung reagieren, sind in hier jeweils mit einer Farbe eingefärbt. Löwel
der Augen so auf die Sehrinde
übertragen, dass benachbarte
Orte auf der Netzhaut auch benachbarte Bereiche der Sehrinde aktivieren. In der Sehrinde
bilden sich im Laufe des Sehenlernens so genannte Kolumnen, Gruppen benachbarter
Nervenzellen, die gemeinsam
einen Teilaspekt der Sehleistung erbringen. Primäre und
sekundäre Sehrinde sind zwar
auf unterschiedliche Aspekte
der Bildverarbeitung spezialisiert, sie arbeiten jedoch eng
zusammen und sind über weiter reichende Nervenverbindungen miteinander verbunden: Regionen von V1 und V2,
die den gleichen Bereich des
Gesichtsfeldes analysieren, sind
besonders stark miteinander
verknüpft.
Wolf und seine Kollegen haben nun mit Hilfe komplexer
Bildanalyseverfahren entdeckt,
dass diese weit reichenden Verknüpfungen die Größe der Kolumnen und damit Struktur der
Gehirngebiete selbst beeinflusst. „Die Größe der Kolumnen variiert stark - sowohl innerhalb der Sehrinde als auch
von Individuum zu Individuum“, erklärt die Jenaer Professorin Löwel, die die Experimente durchgeführt hat. Dennoch ließen sich Regeln erkennen: Weisen in einem Tier zum
Beispiel bestimmte Bereiche
von V1 besonders große Kolumnen auf, so zeigen die entsprechenden Bereiche in V2,
die den gleichen Bildbereich
verarbeiten, auch große Kolumnen.
Entsprechend verschalten
Es sind also die Bereiche in
der Größe ähnlich, zwischen
denen auch lang reichende neuronale Verknüpfungen bestehen. Diese Korrelationen bestehen nicht von Geburt an, sondern entstehen erst in den Wochen nach der Öffnung der
Augen. Nach der Geburt kann
der Mensch noch nicht perfekt
sehen. Diese Sinneswahrnehmung muss erst gelernt werden,
indem sich das Gehirn entsprechend verschaltet.
„Die erste Phase des Sehenlernens dauert bei uns Menschen sechs Monate und bei
Katzen etwa 18 Wochen. Es
war lange Zeit nicht klar, warum diese Entwicklungsprozesse so lange dauern“, sagt
Wolf. Offenbar wird in dieser
Lernphase die Architektur unterschiedlicher Hirnbereiche
aufeinander abgestimmt, damit
am Ende die linke Hirnhälfte
zur rechten passt. „Wie in einer
globalisierten Welt, in der es
lokale und weitreichende Kontakte gibt und beide gleich
wichtig sind, basiert auch der
Informationsaustausch während der Hirnentwicklung auf
einem Zusammenspiel von kurzen und weitreichenden neuronalen Verbindungen“, so Wolf.
Auf diese Forschungen baut
ein neuer Verbund im Rahmen
der Förderinitiative „Bernstein
Fokus: Neuronale Grundlagen
des Lernens“, der von Löwel
koordiniert wird. Das Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF) bewilligte
für dieses Projekt mehr als 3
Mio Euro von denen über
500 000 Euro auf das von Wolf
geleitete Teilprojekt am MaxPlanck-Institut für Dynamik
und Selbstorganisation in Göttingen entfallen.
mps/chb
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