42 4 Stiefkind Konzept – Es lohnt, an der Idee zu arbeiten nicht der Normalfall. Etwas noch so brillant Erfundenes oder Erforschtes ist nicht automatisch auch marktfähig. Forschungslogik und Marktlogik sind grundverschieden. 4.6 Was ein gutes unternehmerisches Konzept leisten muss An das Entrepreneurial Design müssen wir hohe Anforderungen stellen, weil es eine ganze Reihe von Problemen für den Gründer lösen muss. Was gutes Entrepreneurial Design leisten muss 1. 2. 3. 4. 5. 6. klare Marktvorteile herausarbeiten einen Vorsprung vor Imitatoren sichern vor technologischer Obsoleszenz schützen vor wirtschaftlicher Obsoleszenz schützen den Finanzierungsaufwand minimieren das Marketing muss integraler Bestandteil des Entrepreneurial Design werden Das erste und wichtigste Kriterium ist, dass das Ideenkonzept Marktvorteile gegenüber den etablierten Konkurrenten aufweist. Betriebswirtschaftler kennen die unique selling proposition, das Alleinstellungsmerkmal, mit dem Sie im Markt auftreten. Es geht aber um mehr. Eine Gründung hat Erfolgschancen, je größer dieser Marktvorteil ist. Es lohnt also, so lange an der Architektur Ihres Designs zu tüfteln, bis ein erheblicher Marktvorteil herausgearbeitet werden kann. Am Beispiel Teekampagne: der niedrige Preis. Je klarer der Vorsprung vor Ihren Konkurrenten, desto besser natürlich. Der Vorteil muss aber auch deutlich erkennbar sein. Jeder Metzger behauptet, sein Schweinebauch sei der beste und preiswerteste. Das heißt, Kunden müssen den Vorteil wahrnehmen und in seinem Umfang beurteilen können. Bei der Teekam- 4.6 Was ein gutes unternehmerisches Konzept leisten muss 43 pagne war dies die Wahl einer bekannten, als hohe Qualität eingeschätzten Teesorte. Sollten Sie Erfolg haben, ist Ihnen eines sicher: Imitatoren. Die aber können Ihnen sehr gefährlich werden. Wenn sie über etablierte Vertriebsnetze verfügen, über viel Kapital und hohe Werbebudgets, ist das Risiko groß, dass Sie überholt werden. Würde ein Patent hier schützen? Die moderne Antwort lautet: Ja, aber nur kurze Zeit. Sobald die Konkurrenz erkennt, dass es eine neue Lösung gibt, findet man auch andere Wege. Eine technologische Innovation, sagen Mitchell und Coles, gebe einem Unternehmen höchstens einen Vorsprung von sechs bis zwölf Monaten; ein Vorteil im Konzept könne sich länger auswirken, vor allem, wenn man es kontinuierlich weiterentwickle.21 Schauen wir uns den Business-Wettbewerb Berlin-Brandenburg 1998 an: Einer der ersten Preise geht an das Team „Cortologic“. Es hat ein Spracherkennungsmodul entwickelt, das bei den Juroren hohe Anerkennung findet. Nicht nur diese, auch Geldgeber finden das Konzept überzeugend und investieren in das Unternehmen. Gibt es das Unternehmen im Jahre 2007 noch? Die Antwort lautet: Nein. Kann dies überraschen? Ebenfalls: Nein. Auf der ganzen Welt wird an verbesserten Techniken zur Spracherkennung geforscht. Unter diesem Aspekt ist es eine hervorragende Leistung, dass ein Berliner Team – und sei es nur für kurze Zeit – an der Spitze der Entwicklung steht. Aber wie lange? Kann nicht übermorgen in Taiwan, Singapur, Silicon Valley oder München eine, und sei es nur leicht verbesserte Technologie erarbeitet werden? Dies wird sogar mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten. Unter diesem Gesichtspunkt ist es höchst riskant, ja geradezu fast aussichtslos, auf Dauer die Spitzenstellung halten zu wollen. Sie müssen also eine Antwort darauf finden, wie Sie der raschen technologischen Obsoleszenz (Veralterung) begegnen können. Wenn Sie in einem international gut aufgestellten und vernetzten Forschungskontext tätig sind, wird dies realistisch sein. Aber für wen von uns Normalmenschen trifft das zu? 44 4 Stiefkind Konzept – Es lohnt, an der Idee zu arbeiten Aber selbst wenn es gelänge, technologisch an der Spitze zu bleiben, reicht das ja allein für den Erfolg nicht aus. Auch auf der Ebene der wirtschaftlichen Obsoleszenz müsste sich das Unternehmen behaupten. Wenn morgen in China diese oder eine vergleichbare Leistung in einer größeren Serie, mit besseren Economies of Scale gefertigt wird, wird das Gründungsunternehmen das Nachsehen haben. Aus diesen Überlegungen folgt im Grunde paradoxerweise, dass die Überlebenschancen steigen, wenn die Gründung gerade nicht auf eigene Hightech-Entwicklung setzt. Sondern offen und flexibel bleibt und jeweils die technologisch am weitesten entwickelte oder preiswerteste Lösung am Markt einkauft. Natürlich gibt es erfolgreiche technologieorientierte Gründungen. Man muss aber fairerweise die hohen Risiken betonen, die für Gründer mit einer Hightech-Entwicklung angesichts der weltweiten Forschungs- und Wettbewerbsintensität gegeben sind. Je geringer Ihr Finanzierungsaufwand ist, den Ihr Entrepreneurial Design erfordert, desto besser für Sie. Nicht nur ersparen Sie sich die vielen Canossa-Gänge zu Banken und anderen Kapitalgebern, Sie liegen auch insgesamt mehr auf der sicheren Seite. Vor allem, je weniger Fremdkapital Sie benötigen, also Kapital, das Sie zurückzahlen müssen, und das nicht zum Kapitalstock Ihrer Company gehört, desto geringer ist die Gefahr, dass Sie durch ängstliche Kapitalgeber, die vorschnell den Glauben an Ihren Erfolg verlieren und ihre Kapitaleinlage zurückfordern, in einen Liquiditätsengpass getrieben werden. Es lohnt also, lange zu tüfteln, um den Kapitalaufwand so niedrig wie möglich zu halten. Wichtig ist, dass Sie die Frage des Kapitalaufwands zu einem Teil und Maßstab der Qualität Ihres Entrepreneurial Design machen. Gleiches gilt für das Marketing. Die Fragen, wie Ihr Marketing funktionieren soll, gehört zu den Aufgaben in Ihrem Ideenkonzept. Als Grundsatz können wir formulieren: Je ausgefallener die Idee ist, desto größer sind Ihre Chancen, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Schrägheit ist 4.6 Was ein gutes unternehmerisches Konzept leisten muss 45 in Sachen Marketing ein positiver Faktor. Wie muss mein Marktvorteil aussehen, damit das Marketing leichtfällt? Ihre Idee vor allem entscheidet mit darüber, wie erfolgreich Ihr Marketing sein kann. Das Marketing entsteht bei der Entwicklung des Konzepts, darf nicht erst im Nachhinein hinzugefügt werden. Marketing ist integraler Bestandteil eines guten Konzepts. Nicht: Wir haben ein Produkt – ja, wie verkaufen wir es denn jetzt? Halten wir uns alle diese Punkte vor Augen, wird deutlich, wie viel mehr in einem guten Ideenkonzept steckt als nur ein Einfall oder eine Anfangsidee. Abraham Lincoln wird der Satz zugeschrieben: „Wenn ich zehn Stunden Zeit hätte, einen Baum zu fällen, würde ich neun Stunden davon auf das Schärfen der Axt verwenden.“ So sollte man es auch beim Gründen halten. Im Bereich der Konzept-kreativen Gründungen ist das Entrepreneurial Design die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg eines Unternehmens. Wirklich exzellent wird Ihr Entrepreneurial Design, wenn es gelingt, drei weitere Prinzipien bei der Ausarbeitung des Ideen-Puzzles zu befolgen. Prinzipien eines High Potential Entrepreneurial Design UÊ ->iÀL>ÀiÌ UÊ v>V iÌ UÊ ,ÃiÊiÀi Das Konzept muss Skalierbarkeit ermöglichen. Die Leistungen müssen sich vervielfältigen lassen. Möglichst in dem Sinne, dass bei Wachstum die Kapazitäten nicht proportional erweitert werden müssen, sondern Synergieeffekte auftreten. Software ist das bekannteste Beispiel dafür. Eine professionell programmierte Software ermöglicht das. Selbst bei unerwartet hohen Kapazitätsausweitungen sollten die Programme nicht neu geschrieben werden müssen. (Also anders als beim Start der Teekampagne, als wir in Sachen Software während 46 4 Stiefkind Konzept – Es lohnt, an der Idee zu arbeiten des Wachstums des Unternehmens dreimal völlig neu beginnen mussten.) Einfachheit ist ein hilfreiches Prinzip. Die meisten Fehler bei der Gründung entstehen durch nicht bewältigte Komplexität. Besonders bei raschem Wachstum multiplizieren sich die Probleme und führen zu typischen Wachstumskrisen in neu gegründeten Unternehmen. Ein altes Sprichwort sagt: Jeder Schwachkopf kann Dinge kompliziert machen. Es verlangt mehr Hirn, Dinge so zu durchdenken, dass sie möglichst einfach und überschaubar bleiben. Complexity kills. It sucks your energy, flow and creativity. UNBEKANNTER AUTOR „Seien Sie risikobereit!“ Das ist ein oft gehörter, aber trotzdem richtig dummer Satz. Jedenfalls, wenn er gegenüber Gründern ausgesprochen wird. Das Prinzip muss stattdessen heißen: „Als Gründer müssen Sie so viel Risiken wie möglich vermeiden.“ Wir können uns diesen Gedanken am Beispiel des alpinen Bergsteigens verdeutlichen. Für die Besteigung der Eigernordwand müssen Sie sich nicht nur gut vorbereiten, Sie müssen auch möglichst alle erkennbaren Risiken ausschalten. Es bleiben dann selbst für erfahrene Bergsteiger noch genügend Risiken übrig. Gerade weil Sie sich in hoch riskantem Gelände bewegen – auch als Gründer –, müssen Sie so viele Risiken wie möglich vermeiden. Ein einziger falscher Schritt kann den Tod bedeuten. Ihr Einsatz und die Absturzrate sind einfach zu hoch. Im Flachland oder als Beamte sollten wir vielleicht risikobereiter sein. Aber als Gründer können wir es uns nicht leisten. „Viele Probleme erkennt man doch erst in der Praxis!“ Ja, das ist ein wahrer Satz. „The moment you have started, hell breaks loose“, sagt der erfahrene Gründer Guy Kawasaki. 4.6 Was ein gutes unternehmerisches Konzept leisten muss 47 Aber die Konsequenz kann doch nur lauten: Gerade wenn die Hölle losbricht, und man das vorher weiß, sollte man gut vorbereitet sein und die erkennbaren Risiken vorher bedacht haben. Wenn Sie einen guten Berater für solche Fälle brauchen, nehmen Sie Winston Churchill: „If you go through hell, keep going!“ Natürlich sind Theorie und Praxis verschieden. Sehr verschieden sogar. Stellen Sie sich vor, Sie sollen über ein Hochseil laufen. Links und rechts sehen Sie in die Tiefe. Ihr Coach sagt Ihnen, es sei ganz einfach. Sie müssten nur die Balance halten. Recht hat er. Jedenfalls in der Theorie. Er kann sogar die Formel für Balance an die Tafel schreiben. Die Formel ist richtig. Aber was nützt Sie Ihnen? Geht es wirklich um Balance? Wenn Sie auf einem Seil zehn Zentimeter über dem Boden laufen, ist das ein Kinderspiel. Wenn das Seil 20 Meter hoch gespannt ist, ist es theoretisch immer noch eine Frage der Balance. Aber praktisch ist es ein Riesenunterschied: Plötzlich kommt Angst ins Spiel, Versagenserlebnisse aus Ihrer Kindheit werden wach, Ihre Stressstabilität spielt eine große Rolle. Suchen Sie sich Vorbilder oder Berater, die möglichst viele Male über das Hochseil gelaufen sind. Die hier aufgeführten Punkte sollen unterstreichen: Sie brauchen ein wirklich gutes und ausgereiftes Konzept. Das braucht seine Zeit. Das heißt nicht, dass Sie langsam arbeiten, immer nur Bedenken wenden oder besonders zögerlich sein sollten. Aber das Ausreifen eines Konzepts und Zeitdruck passen nicht gut zueinander. Lassen Sie sich auch nicht von Freunden oder Bekannten in eine Gründung hineindrängen. „Jetzt hast du schon so lange darüber geredet, wann machst du es denn endlich?“ Seien Sie taub auf diesem Ohr.