Prozeßmanagement im Mittelstand als Ausgangspunkt für die

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Prozeßmanagement im Mittelstand als Ausgangspunkt für die
Einführung des Wissensmanagements
Erfahrungen und Schlußfolgerungen aus einem Praxisprojekt
Dr. Franz Lehner, Ulrich Remus
Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik III
Universität Regensburg
Universitätsstr. 31
D-93053 Regensburg
{franz.lehner, ulrich.remus}@wiwi.uni-regensburg.de
Zusammenfassung
Die kontinuierliche Steuerung und Verbesserung der Geschäftsprozesse im Rahmen eines
Prozeßmanagements zielt darauf ab, Unternehmen dem ständigen Wandel und Wettbewerb
erfolgreich anzupassen. Das Prozeßmanagement scheint nicht nur für Großunternehmen, sondern
auch für Klein- und Mittlere Unternehmen (KMU) ein vielversprechender Ansatz zu sein.
Allerdings müssen aufgrund der spezifischen Merkmale des Mittelstandes einige Besonderheiten
beachtet werden. Dies betrifft u.a. die Rolle von externen Beratern, die eine Einführung des
Prozeßmanagements bei KMU unterstützen sollen. Als Erfolgsfaktoren sind hier vor allem die
neuen Aufgaben als Coach, Moderator und Tutor, die Hilfe zur Selbsthilfe, starke Einbeziehung des
Kunden, dezentrale Modellierungsaktivitäten und die Umsetzungsorientierung zu sehen. Dargestellt
werden die Besonderheiten anhand der Beschreibung eines Projekts zur Einführung eines
Prozeßmanagements bei einem mittelständischen Verlagshaus. Neben der Darstellung der
Vorgehensweise und der einzelnen Projektphasen werden auch die gemachten Erfahrungen in
diesem Projekt wiedergegeben. Sogenannte ‚Lessons Learned‘ dokumentieren aus Sicht der
Prozeßmodellierung,
der
Projektteilnehmer
und
der
externen
Berater
die
spezifischen
Anforderungen, die an ein erfolgreiches Prozeßmanagement für KMU gestellt werden. Daß eine
prozeßorientierte Analyse des Unternehmens auch als Ausgangspunkt für die Einführung eines
Wissensmanagement verstanden werden kann zeigt ein Ausblick auf ein Anschlußprojekt zum
Wissensmanagement. Die Speicherung von Prozeßwissen in ein Process Warehouses legt dafür den
Grundstein und kann als Basis für die prozeßorientierte Analyse der Wissensverarbeitung in diesen
Prozessen dienen.
179
1 Einführung
1.1 Vorbemerkungen
Weltweit ist derzeit in der gesamten Wirtschaft ein massiver Umstrukturierungsprozeß zu
beobachten. Den Hintergrund bilden die Umwelt dyna mik und der Wettbewerbsdruck, die in den
Unternehmen die Entwicklung oder die Aktivierung neuer Fähigkeiten erzwingen. Diese
Anpassungsleistungen erfolgen in den seltensten Fällen automatisch, sondern setzen (Lern)Prozesse voraus. Wichtige Ziele sind dabei die Erhöhung der organisatorischen Effizienz und
Flexibilität. Um nun weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben, setzen viele Betriebe auf eine
Umstellung ihrer Unternehmensstruktur. Dabei zeigt sich ein klarer Trend weg von der funktionalen
und hin zu einer Prozeßorientierung. Zur Umsetzung dienen Instrumente wie „Business Process
Reengineering“, „Geschäftsprozeßoptimierung“ oder „Prozeßmanagement“. Die Einführung des
Prozeßdenkens wird von manchen auch als dritte, eigenständige Sichtweise neben Struktur- und
Ablauforganisation bezeichnet (z.B. [Bier91]).
Auch im Mittelstand ist man inzwischen mit den Herausforderungen sich ändernder
Wirtschaftsstrukturen konfrontiert. Relevant sind in der Folge neue Kooperations formen, der
Einsatz innovativer Computertechnologien (Client/Server, Multimedia, Internet, Intranet etc.) sowie
die Differenzierung von Produkten und Dienstleistungen. Eine maßgebliche Rolle für die Sicherung
der Wettbewerbsfähigkeit kommt insbesondere den neuen informations technischen Möglichkeiten
zu. Ihr Einsatz steht jedoch in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Reorganisation
bisheriger Arbeitsabläufe. Die Themen Informationsverarbeitung bzw. Informationstechnologien
und Prozeßabläufe können daher nicht unabhängig voneinander gesehen werden. Das
Prozeßmanagement, das ursprünglich als Thema für große oder größere Unternehmen entwickelt
wurde, gewinnt damit in einem neuen Kontext an Bedeutung, wobei aber eine Anpassung der
Methodik an die spezifische Situation im Mittelstand erforderlich ist.
Die Bedeutung entsprechend angepaßter Lösungen und Modelle kann allein schon aus dem
wirtschaftlichen Potential des Mittelstands abgeleitet werden (siehe dazu u.a. [Alb86], [Baye92],
[Berg90], [oV98]). Dazu kommt, daß der Mittelstand in Europa einen besonderen Stellenwert hat,
da 83 Prozent aller Beschäftigten in Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern tätig sind. Bei
statistischen Erhebungen ergab sich im Jahr 1990 für die rund 2 Millionen mittelständischen
Unternehmen in Deutschland (ohne neue Bundesländer) folgendes Bild (vgl. [Inst93], 14):
?? 99,8% aller steuerpflichtigen Unternehmen gehören dem Mittelstand an,
?? 49,4% aller steuerpflichtigen Umsätze wurde von diesen Unternehmen erwirtschaftet,
180
?? sie beschäftigten 66% aller Arbeitnehmer, und
?? bildeten 80% aller Lehrlinge aus.
Allerdings existiert im Mittelstand ein hoher informationstechnischer Nachholbedarf. Je kleiner ein
Unternehmen ist, desto geringer ist auch die Wahrscheinlichkeit, daß er über ausgebildetes ITPersonal verfügt. Der Standard bei Hardware- und Softwareausstattung bleibt hinter dem Stand von
Großunternehmen zurück und führt in der Folge zu entsprechenden Wettbewerbsnachteilen (vgl.
[oV98]).
Genau mit dieser Thematik setzt sich der vorliegende Beitrag auseinander. Ziel der Autoren ist nach
einer Bestandsaufnahme der besonderen Situation des Mittelstands die Präsentation und Diskussion
der Erfahrungen aus einem Praxisprojekt. Im Rahmen dieses Projekts wurde überprüft, inwieweit
Konzepte des Prozeßmanagements auch auf diese Zielgruppe übertragen werden können und
welche Besonderheiten bei der Projektdurchführung zu beachten sind. In Form von lessons learned
werden die Erfahrungen wiedergegeben, die während des Projekts gewonnen wurden. Insbesondere
werden Probleme, Vor- und Nachteile der gewählten Vorgehensweise aus den Perspektiven der
verschiedenen
Projektteilnehmer
(Berater,
Kunde)
und
im
speziellen
aus
Sicht
der
Prozeßmodellierung beleuchtet. Damit können auch Aussagen über das 'richtige' Maß an
Beratungsleistung für mittelständische Unternehmen abgeleitet werden. Dies ist insofe rn wichtig, da
im Mittelstand über erbrachte Beratungsleistungen oft große Unzufriedenheit geäußert wird (vgl.
[Sche97], 79). Die Ergebnisse werden abschließend in Beziehung zum Wissensmanagement
gesetzt. Die Prozeßmodellierung steht zu diesem neuen Thema in einer engen Verbindung und
bildet zugleich eine wichtige Basis dafür (vgl. [Lehn00]). Gleichzeitig ist ein zunehmendes
Interesse an entsprechenden Lösungen für den Mittelstand zu beobachten (vgl. [Frau99]). Die im
vorliegenden Beitrag präsentierte Fallstudie soll eine Fortsetzung in dieser Richtung finden.
1.2 Abgrenzung und besondere Situation des Mittelstands
Das Verständnis oder die Abgrenzung von ”mittelständischen Unternehmen” ist keine einfache
Aufgabe. Eine Eingrenzung kann anhand verschiedener Kriterien geschehen, die im folgenden kurz
erörtert werden. Damit soll zugleich eine erste Grundlage für das Verständnis der besonderen
Situation des Mittelstands geschaffen werden.
181
Quantitative Abgrenzungskriterien
Um kleine und mittelständische Betriebe von Großunternehmen abzugrenzen, kann entweder der
Umsatz oder die Beschäftigtenzahl herangezogen werden. Die Bundesregierung bezeichnet in
”Grundsätze einer Strukturpolitik für kleine und mittlere Unternehmen” unter Ziffer 5.1
Unternehmen mit 1 bis 40 Mitarbeiter als industrielle Kleinbetriebe und Unternehmen mit 50 bis
499 Mitarbeitern als Mittelbetriebe. Auch im Mittelstandsbericht der Bayrischen Staatsregierung
wird die Beschäftigtenzahl für KMU mit 1 bis 499 angegeben. Die Höhe des Jahresumsatzes sollte
gleichzeitig unter 100 Millionen DM liegen (siehe dazu Abb. 1). Diese Zahlen beruhen auf einem
Vorschlag des Instituts für Mittelstandsforschung in Bonn und werden in der Politik häufig als
Arbeitsgrundlage verwendet (vgl. [Inst93]).
Unternehmensgröße
Jahresumsatz (DM)
Beschäftigte
klein
bis <1 Mio.
bis 49
mittel
1 bis<100 Mio.
50 bis 499
groß
100 Mio. und mehr
500 und mehr
Abb. 1: Abgrenzung der Unternehmen mittels Umsatz und Beschäftigtenzahl
Quelle: [Bayr92], 21
Diese Form der Abgrenzung wird jedoch in der Literatur häufig kritisiert, da bei der Wahl der
Grenzen aufgrund subjektiver Einflüsse eine gewisse Willkür nicht vermieden werden kann. Wenn
es z.B. darum geht, alle Wirtschaftsbereiche gemeinsam zu untersuchen, dann sind quantitative
Merkmale zur Ab grenzung aufgrund mangelnder Vergleichbarkeit grundsätzlich schlecht geeignet
(vgl. [PfKe90], 16). Um diese Probleme etwas zu entschärfen, wurden weitere Kriterien entwickelt,
um
den
Mittelstandsbegriff
abzugrenzen.
Dazu
zählen
vor
allem
die
qualitativen
Abgrenzungsmerkmale, die im nächsten Abschnitt vorgestellt werden.
Qualitative Abgrenzungsmerkmale
In der Literatur werden eine Vielzahl von qualitativen Merkmalen aufgeführt. Im folgenden wird
deshalb eine Auswahl vorgenommen und nur die wichtigsten Grundmerkmale zusammengestellt,
die den Wesenskern von KMUs verkörpern. Auf branchen- und betriebsindividuelle Gegebenheiten
wird jedoch nicht näher eingegangen (vgl. u.a. [PfKe90], 18-20):
1.
Die Unternehmensführung und das Kapital werden vom Inhaber selbst in einer Hand vereinigt
(Identity of management and ownership). Dies unterscheidet den persönlichen, selbständigen
”Eigentums-Unternehmer” vom ”Direktor-Unternehmer” aus der Großunternehmung.
182
2.
Es liegt keine juristische Abhängigkeit des mittelständischen Betriebs von größeren
Unternehmen vor (z.B. durch Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge), oder sonst
verbundenen
Unternehmen
(Scheinselbständigkeit).
Betriebliche
Vorgänge
sind
der
Geschäftsführung teilweise bis in alle Einzelheiten bekannt, Aufbau und Abläufe sind
überschaubar. Häufig befassen sich die Geschäftsführer auch mit operativen Aufgaben.
3.
KMUs zeichnen sich im allgemeinen durch eine im Vergleich zu Großunternehmen geringeren
Produkt- und Marktbereiche aus. Diese Konzentration auf einige wenige Produkte birgt jedoch
ein großes Risiko, da sich das Unternehmen dadurch Marktschwankungen völlig ausliefert und
kaum Kompensationsmöglichkeiten durch ein breitgefächertes Angebot möglich sind
(Extremfall: Zulieferer in der Automobilbranche).
4.
Mittelständische Betriebe weisen meist eine einfachere und im allgemeinen auch flexiblere
Organisationsstruktur auf. Ein mittleres Management findet man kaum vor, ebenso wenig wie
stark ausgeprägte Bürokratien oder Formalismus.
5.
Die Mitarbeiter in der Administration besitzen meist eine allgemeine kaufmännische
Ausbildung, wodurch sie vielseitig einsetzbar sind. Auch gibt es kaum spezialisiertes Personal
im Vertrieb, im Personalwesen, und auch nicht im DV-Bereich. Spezialisierung findet sich vor
allem im Kerngeschäft. Typisch ist auch eine starke persönliche Bindung zwischen den
Mitarbeitern und der Unternehmensleitung.
6.
Mittelständische Unternehmen verhalten sich bei der Anwendung neuer Produkt- und
Produktionstechnologien äußerst flexibel, obwohl sie häufig große Defizite im Bereich
Forschung
und
Entwicklung
aufweisen.
Sie
sind
auf
unternehmensexterne
Forschungsergebnisse angewiesen, die von ihnen meist schneller als in Großunternehmen zu
marktfähigen Produkten und Dienstleistungen umgesetzt werden können.
7.
Die Absatzseite ist geprägt durch eine geringe Produkt- und Marktbreite.
8.
Am
Beschaffungsmarkt
ist
die
Position
von
KMUs
gegenüber
Großunternehmen
vergleichsweise schwach.
9.
Die Produktion ist durch eine geringe Arbeitsteilung gekennzeichnet. Eine la ngfristige
Massenproduktion findet in der Regel nicht statt.
10. KMUs haben deutliche Einschränkungen bei den Finanzierungsmöglichkeiten im Vergleich zu
größeren Unternehmen. Bei ihnen ist eine Fremdverschuldung nur bis zu einem gewissen Grad
möglich, darüber hinaus bleibt nur die Finanzierung durch Gewinne und Abschreibungen.
183
1.3 Informationstechnologien und Prozeßmanagement als Erfolgsfaktor
Zur Erlangung wettbewerbsmäßiger Vorteile sollten kleine Unternehmen heute die gleichen
erfolgsbestimmenden Systeme einsetzen wie Großunternehmen. In erster Linie besteht der informationstechnische Vorteil eines kleinen Unternehmens in der Fähigkeit, den Computereinsatz
schnell mit den geschäftlichen Zielen in Einklang zu bringen. Der Nachteil der fehlenden Größe
oder Spezialisierung gegenüber Großunternehmen kann auf diese Weise ausgeglichen werden.
Dazu zählt natürlich auch die größere Flexibilität gegenüber Kunden, die spezielle Dienstleistungen
nachfragen.
Auf zwei Schwachstellen in mittelständischen Unternehmen wird jedoch immer wieder
hingewiesen. Die eine ist das Kapital, die andere ist die (Informations-)technologie bzw. das
Informationsmanagement. In Studien und Untersuchungen wird häufig festgestellt, daß die Kapitalbzw. Finanzsituation ein wesentliches Hindernis für neue Entwicklungen sind. Anreize und
Instrumente sind hier ohne nachhaltige politische Unterstützung vermutlich nur schwer zu schaffen.
Etwas anders sieht es bei der Entwicklung neuer Produkte und Verfahren aus. Während die
Entwicklung hier im allgemeinen noch unproblematisch verläuft, bereitet die Integration der neuen
Technologien oder die Marktdurchdringung und die damit verbundene Umstrukturierung von
Arbeitsabläufen erhebliche Schwierigkeiten.
Die Aktualität des Themas wird durch die rasante technologische Entwicklung (Multimedia,
Intranet, Internet, Electronic Commerce etc.) noch einmal verstärkt. Dazu kommt als Hintergrund in
vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen eine unzulängliche und veraltete ComputerInfrastruktur, eine generelle Phase des wirtschaftlichen Umbruchs sowie ein verstärkter
Wettbewerbsdruck. Der Mittelstand wird zunehmend auch für IT-Anbieter interessant. Compaq
erwartet in diesem Segment für 2000 europaweit eine Kaufkraft von 64 Milliarden Dollar (vgl.
[oV98]) Insgesamt erfordert dies eine unternehmerische Reaktion und die Entwicklung geeigneter
Instrumente. Die Bedeutung des Themas kommt auch in der umfassenden Mittelstandsförderung im
Rahmen von EU-Programmen zum Ausdruck.
Im Computerbereich standen lange Zeit Anwendungen im Mittelpunkt, die auf zentralen
Großrechnern aufbauten (Host- oder Mainframe-Lösungen). Mit Variationen, die lediglich die
Leistungsfähigkeit der Rechner betreffen, dominieren solche Systemarchitekturen selbst heute noch
stark die DV-Landschaft im Mittelstand. Die zentralistische Computerlösung geht dabei häufig
Hand in Hand mit zentralisierten Organisationsstrukturen. Beides entspricht inzwischen nicht mehr
den Möglichkeiten und auch nicht mehr den Anforderungen.
Kleinere und mittlere Unternehmen sind im Zuge der skizzierten Entwicklungen mit besonders
184
vielen Problemen konfrontiert. Eines davon betrifft die veralteten Informationstechnologien sowie
die Informationsinfrastruktur, deren Anpassung an neue technologische Möglichkeiten und an die
Erfordernisse eines sich wandelnden Marktes in den letzten Jahren immer wieder hinausgeschoben
wurde.
Bullinger [Bull95] faßt die Chancen und die Anforderungen an die Unternehmen, welche sich durch
die neuen technologischen Möglichkeiten ergeben, unter folgenden Punkten zusammen:
• weltweite Präsenz
• weltweite Kooperation bzw. Austausch von Informationen
• direkter und weltweiter Vertrieb
• ständige Kundennähe
• Sachkompetenz für komplexe Systeme auch vor Ort beim Kunden
• Kurze Reaktions-, Bearbeitungs- und Produktionszeiten
• technische Zusammenarbeit von räumlich getrennten Gruppen
• flexible Unternehmensstrukturen und flexible Arbeitszeitmodelle
• Standardisierung und offene Schnittstellen für technische Systeme
• Umweltfreundlichkeit
Hier setzt die Herausforderung der neuen Multimedia- und Kommunikationstechnologien an. Die
technische Machbarkeit bedeutet allerdings nicht automatisch eine betriebswirtschaftlich sinnvolle
Nutzung. Die tatsächliche Leistungsfähigkeit von Technologien und Systemen muß vielmehr
erprobt und sinnvolle Anwendungskonzepte erarbeitet werden. Die dürftige empirische Basis in
Verbindung mit einer äußerst heterogenen Branchensituation machen aber die Suche nach
Vorbildern schwer. Unter diesen Rahmenbedingungen kommt es daher ganz besonders darauf an,
Tendenzen im Hard- und Softwarebereich richtig einzuschätzen, neue softwaretechnische Lösungen
in die Praxis umzusetzen und bestehende Systeme zu integrieren.
Ziel des Prozeßmanagements ist es, durch eine Abstimmung aller betrieblichen Ressourcen und
Abläufe die Realisierung strategischer Erfolgsfaktoren eines Unternehmens zu vereinfachen bzw.
erst zu ermöglichen. Durch Optimierung von Geschäftsprozessen können bedeutende Wettbewerbsvorteile erzielt werden. Die Voraussetzung dafür wird durch die Prozeßmodellierung
geschaffen. Einschränkend ist festzustellen, daß sich der Einsatzbereich einer prozeßorientierten
Betrachtung hauptsächlich auf repetitive Vorgänge mit geringen Ent scheidungsspielräumen
beschränkt.
185
Die Konzepte für das Prozeßmanagement, die heute zur Verfügung stehen, sind keineswegs
Patentrezepte. Dies spiegelt sich deutlich in der Situation einschlägiger Lehrbücher wieder.
Genauso wie bei Großunternehmen ist daher auch bei mittelständischen Unternehmen eine
Umsetzung auf die spezifische Unternehmenssituation notwendig. Es handelt sich dabei um eine
klassische Managementaufgabe. Sofern das Know- how dafür im Unternehmen nicht verfügbar ist,
sollten externe Ressourcen bzw. Beratungsleistungen dafür in Anspruch genommen werden.
Allgemein läßt sich ein erfolgreiches Prozeßmanagement nur mit informationstechnischer
Unterstützung gewährleisten. Erst durch die organisatorische Einbindung der Datenströme im Sinne
einer
"Electronic
Data
Integration"
können
die
Problemfelder
informations-
und
kommunikationstechnisch unterstützter und organisationsübergreifender Prozeßketten gelöst
werden (vgl. [Wilm93], 112). Dabei zeigt sich ein weiteres entscheidendes Element, das den
Fortschritt der prozessualen gegenüber einer rein funktionalen Betrachtung von Unternehmen deutlich macht: Prozesse sind zumindest bereichsübergreifend, oft sogar organisations übergreifend
definiert. So geht die Analyse über die übliche "Abteilungsblind heit" hinaus und bietet eine
Hilfestellung auf dem Weg zu einem Gesamtkonzept.
Mit der Prozeßorganisation soll letztlich das optimale Zusammenwirken aller Funktionen in einem
Unternehmen (und zwar unabhängig von ihrer aufbauorganisatorischen Einordnung) ge währleistet
werden (vgl. [BüGe92]). Im Rahmen der klassischen Aufbauorganisation vollzieht sich das Prozeßmanagement parallel und in Ergänzung zu dieser. Eine grundlegende Umgestaltung der
Unternehmensorganisation ist dabei weder vorgesehen noch erforderlich.
Nachdem die Bedeutung des Prozeßmanagements und der Informationstechnologie festgestellt
wurde, wird im folgenden eine Fallstudie zur Einführung des Prozeßmanagements vorgestellt.
2 Fallstudie – Einführung des Prozeßmanagements in einem Verlagshaus
Das Projekt wurde gemeinsam vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik III der Universität
Regensburg mit einem Verlagshaus durchgeführt. Dabei wurde die Grundlage für die prozeßorientierte Neuausrichtung des Unternehmens in Form der Einführung eines Prozeßmanagements
gelegt. Bei dem Unternehmen handelt es sich um ein typisches mittelständisches Unternehmen mit
ca. 70 Mitarbeitern, das sich auf das Verlegen und den Vertrieb von Schulbüchern spezialisiert hat.
Intern sind die Abteilungen des Unternehmens nach den klassischen Funktionen (Beschaffung,
Produktion, Vertrieb usw.) gegliedert. Das Funktionsdenken zwischen diesen Bereichen ist aber
nicht so stark ausgeprägt, wie bei größeren Unternehmen, da durch die kleine Betriebsgröße
durchaus auch ein Verständnis für die anderen Bereiche vorhanden ist.
186
Gewisse Funktionen, wie z.B. die Zuständigkeit für die Informations- und Kommunikationssysteme
oder der Vertrieb sind ausgelagert und gehören nicht zum Kerngeschäft des Unternehmens. Einige
der später angeführten Probleme stehen in einem direkten Zusammenhang mit diesem
'Outsourcing'. In diesem Punkt ist das Unternehmen gewissermaßen typisch für die eben
dargestellte Situation im Mittelstand. Der Stand der eingesetzten Informationssysteme läßt zwar den
ebenfalls angesprochenen Erneuerungsbedarf erkennen, die ersten Projekte wurden aber bereits
aufgesetzt. Auch der Internetauftritt wurde inzwischen begonnen, sowie die Entscheidung für die
Übertragung der fachlichen Verantwortung für alle IV-Belange an einen Informationsmanager
getroffen.
Die nachfolgenden Beschreibung der Projekterfahrungen werden zunächst die Ziele, Rahmenbedingungen und Anforderungen dargestellt, die dieses Projekt maßgeblich beeinflußt haben.
Danach wird auf die Besonderheiten bei der Projektorganisation und beim Ablauf eingegangen, in
denen sich die Einführung des Prozeßmanagements gegenüber einem Großunternehmen
unterscheidet. Dieses Vorgehen beeinflußt alle typischen Phasen der Einführung eines
Prozeßmanagements, wie die Prozeßidentifikation, die Prozeßmodellierung, die Analyse und die
Maßnahmen zur Implementierung. Auf die Erfahrungen bei der Modellierung und der
anschließenden Umsetzung wird noch etwas näher eingegangen.
2.1 Rahmenbedingungen und Zielsetzungen des Projekts
Ein erfolgsbestimmender Faktor bei der Einführung eines Prozeßmanagements ist die Analyse der
Geschäftsprozesse. Diese Analyse wird durch die Modellierung dieser Prozesse deutlich erleichtert.
Bevor aber mit der Modellierung begonnen werden kann, sollten die Ziele klar definiert werden, die
ein Unternehmen mit der Modellbildung verfo lgt. Ohne klare Zieldefinition bringen Maßnahmen
und Instrumente zur Prozeßmodellierung oft nicht den gewünschten Erfolg. Dies liegt daran, daß
der Anwendungsbereich breit gefächert ist und die Werkzeugauswahl und das Vorgehensmodell
bestimmt. Mag für die Einführung eines Qualitätsmanagement noch eine grobe, teilweise auch
textuelle Beschreibung der Geschäftsprozesse ausreichen, so müssen für die Einführung von
Workflowsystemen die Geschäftsprozeßmodelle weitaus detaillierter und formaler gefaßt werden.
Im vorliegenden Projekt standen zunächst die folgenden Ziele im Vordergrund:
?? Prozeßtransparenz: Die Prozeßanalyse bzw. - modellierung sollte zu einer ganzheitlicheren
Sicht
auf
das
zu
modellierende
Unternehmen
führen
und
die
wesentlichen
Unternehmensprozesse für alle Mitarbeiter transparenter machen.
187
?? Prozeßmanagement: Um die Prozeßorientierung auch organisatorisch zu verankern wurde
beschlossen, ausgehend von den Ist-Prozessen ein Prozeßmanagement einzuführen, das eine
kontinuierliche Steuerung und Verbesserung der Prozesse verspricht. Neben der Neueinführung
von organisatorischen Verantwortlichkeiten wie einem Process Owner und Process Teams
wurde auch an die Entwicklung und Einführung eines Process Warehouses gedacht.
Die Einigung auf diese Modellierungsziele war nicht ganz einfach, da es dem Unternehmen
zunächst nicht bewußt war, daß mit den Zielen das weitere Projekt determiniert wird. Die Wahl der
genannten Ziele begründet sich darin, daß man sich zum Zeitpunkt des Projektbeginns in der
glücklichen Lage befand, aufgrund einer stabilen Marktposition in unmittelbarer Zukunft keine
extern bedingten Anpassungs- oder Reorganisationsmaßnahmen vornehmen zu müssen. Man wollte
aber für zukünftige Marktänderungen gerüstet sein und entschied sich daher für eine
prozeßbezogene Analyse des Unternehmens, ohne dabei gleich an ein Verbesserung der Prozesse
im Sinne von “radikalen” BPR-Maßnahmen zu denken. Damit war zugleich garantiert, daß man mit
der Methode der Prozeßmodellierung Erfahrungen sammeln konnte. Über weitere Zie le, wie
Geschäftsprozeßoptimierung oder die Geschäftsprozeßanalyse als Anstoß zur Einführung von
Standard (Verlags-)SW zu benutzen, sollte erst nach dem Erreichen der oben definierten Ziele
entschieden werden.
Eine wichtige Rahmenbedingung bildete noch der Umstand, daß beim Projektpartner wie
vermutlich bei den meisten mittelständischen Unternehmen ein stark kostenorientiertes Denken
vorherrschte und überdies nur geringe personelle Ressourcen verfügbar waren. Damit sind Projekte,
die neben dem Tagesgeschäft laufen müssen, oftmals nur schwer durchzuführen. Eine Vorgabe
bestand also darin, das Projekt mit möglichst geringem Aufwand durchzuführen. Außerdem
besaßen die Mitarbeiter beim Projektbeginn keinerlei Kenntnisse über das Themenfeld
Prozeßorganisation, -management und -modellierung. Sie mußten daher einerseits geschult und
andererseits auch stark motiviert werden. Auch die Tatsache, daß bereits schlechte Erfahrungen mit
externen (Management-)Beratern gemacht wurden, führte dazu, daß der Mitarbeiterpartizipation
eine besondere Bedeutung beigemessen wurde. Eine große Hilfe war allerdings das ausgezeichnete
Arbeitsklima und der Bereitschaft zur Weiterbildung. Auch der Umstand, daß die Fluktuationsrate
gering war und die Mitarbeiter sich sehr gut kannten, trug zu einer effektiven Arbeit am Projekt bei.
Die üblichen Probleme, die bei einer Projektbesetzung durch Mitarbeiter aus unterschiedlichen
Bereichen auftreten, waren somit schon im Vorfeld weitgehend ausgeräumt.
188
2.2 Projektorganisation und Projektablauf
Das Projekt bestand auf Kundenseite aus einem Projektleiter, der gleichzeitig auch Geschäftsführer
des Unternehmens ist. Damit wurde zum einen sichergestellt, daß genügend Ressourcen
bereitgestellt werden konnten und auch ausreichen Entscheidungsbefugnis bestand. Zum anderen
hatte dies den Vorteil, daß der Geschäftsführer auch den besten Überblick über alle Prozesse besaß
und so die Modellierungsteams optimal koordinieren konnte.
Die Projektgruppe setzte sich des weiteren aus den leitenden Mitarbeitern des Unternehmens
(„Führungskreis“) zusammen. Innerhalb der Projektgruppe wurden noch Modellierungsteams
gebildet. Die Modellierungsteams entsprachen den Kernprozessen und besaßen Teamleiter, die
später für die Funktion des Prozeßmanagers vorgesehen waren. Diese Mitarbeiter waren zudem für
die Modellierungsergebnisse verantwortlich, so daß auf diese Weise auch die Qualität der Modelle
sichergestellt werden konnte. Diese Mitarbeiter nahmen an allen Modellierungsworkshops teil und
waren maßgeblich an der Verteilung der Modellierungskompetenz in die einzelnen Fachabteilungen
beteiligt. Durch dieses Schneeballprinzip konnte das Wissen optimal auf die Mitarbeiter verteilt
werden, so daß eine dezentrale Modellierung mit zentraler Koordination erst möglich wurde. Für
die Vorteile einer dezentralen Modellierung mit einem zentralen Prozeßmanagement siehe u.a.
[GeWa98].
Die Laufzeit des Projekts betrug insgesamt 6 Monate (10/98 bis 4/99). In dieser Zeit wurden 5
Projektsitzungen bzw. Workshops mit externer Moderation und Beteiligung durch den Lehrstuhl für
Wirtschaftsinformatik durchgeführt. Vom Verlag waren 8 Mitarbeiter beteiligt. Die Rolle des
Lehrstuhlteams bestand in der Projekt- und Prozeßbegleitung (“Hilfe zur Selbsthilfe”). Die
eigentliche Modellierung sollte dezentral von Mitarbeitern des Unternehmens durchgeführt werden.
Mit dieser Konstruktion wurde die Absicht verfolgt, das Projekt zum „Selbstläufer“ zu machen
(zentraler Anschub mit einer dezentralen Beteiligung).
Ein wesent licher Beitrag wurde von der starken Identifikation der Mitarbeiter mit den Projektzielen
erwartet, die wiederum durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Berater (Lehrstuhlteam) und den
Projektmitarbeitern aus dem Verlagshaus gefördert wurde. Entscheidende Erfolgsvoraussetzungen
liegen also aufgrund der geringen Ressourcen, die eingesetzt werden können, auf der
motivationalen Ebene und auf der Beziehungsebene.
In einer ersten Sitzung wurden zunächst die Ziele und Vorstellungen, die mit der
Geschäftsprozeßmodellierung verbunden sind, dargestellt und geklärt, welche Ziele für dieses
Projekt im Vordergrund stehen sollten. Neben einer kurzen Darstellung der bisherigen Erfahrungen
mit dem Prozeßmanagement wurde ein im Unternehmen bereits vorliegender Entwurf einer
189
Prozeßlandkarte gründlich überarbeitet und die Haupt- und Serviceprozesse ermittelt (siehe
Abbildung 3).
Der nächste Schritt bestand darin, die Projektmitarbeiter im Rahmen eines Workshops mit den
Grundlagen der Modellierung von Geschäftsprozessen vertraut zu machen. Hinter dieser
Entscheidung steht die Annahme, daß nur die Mitarbeiter selbst inhaltlich korrekte Prozeßmodelle
erstellen können. Die Ergebnisse der Modellierung wurden in regelmäßigen Abständen durch eine
zentrale Instanz kontrolliert (Lehrstuhlteam). Um die Mitarbeiter in die Modellierungsmethodik
einzuführen, wurde ein Prozeß ausgewählt und gemeinsam als Musterprozeß modelliert. Aus
didaktischen Gründen wurde ein Prozeß ausgewählt, der gut strukturiert, isolierbar und möglichst
vielen Mitarbeitern vertraut bzw. bekannt war.
Im Rahmen die ser 'Vorabmodellierung' sollten Erfahrungen gesammelt werden, die gegebenenfalls
auch zur Anpassung des festgelegten Projektablaufs und der Vorgehensweise führen sollten.
Wichtige Modellierungsparameter wie das Finden des geeigneten Detaillierungsgrades, die Frage
nach den inhaltlichen Aspekten bei der Modellierung ('Was soll modelliert werden'), sowie das
syntaktisch richtige Modellieren und das Vorgehen ('wie wird modelliert') standen im Vordergrund.
Für die Darstellung wurde die Methode der erweiterten ereignisgesteuerten Prozesskette (eEPK)
nach Scheer gewählt, da diese Methode sowohl leicht zu erlernen ist und sich zudem durch eine
breite Werkzeugunterstützung auszeichnet. Die Entscheidung über den Werkzeugeinsatz wurde zu
diesem Zeitpunkt zunächst offen gelassen. Aufgrund der Erfahrungen bei der Modellierung des
Musterprozesses war aber schnell klar, daß eine Werkzeugunterstützung erforderlich sein würde.
Nach dieser gemeinsamen Einführung wurden Kleingruppen gebildet, und zwar für jeden
Hauptprozeß der Prozeßlandkarte ein Team. Diese Teams waren selbständig für die Modellierung
ihres Prozesses zuständig. Die Ergebnisse der Modellierung wurden zuerst in den einzelnen
Prozeßteams besprochen und regelmäßig im Projektausschuß (Plenum) den anderen Teams
vorgestellt und dort diskutiert. Durch mehrere Reviewrunden wurde so die Qualität der Modelle
sichergestellt
Nach der vollständigen Erfassung der Ist-Abläufe wurden die ursprünglichen Projektziele noch
einmal diskutiert und eine kleine Revision vorgenommen. In einem weiteren Schritt sollten die
Prozeßmodelle zusätzlich auch inhaltlich auf mögliche Schwachstellen analysiert werden. Erkannte
Schwachstellen im Prozeßablauf sollten von allen beteiligten Mitarbeiter an den Prozeßmanager des
jeweiligen Teams gemeldet werden. Zusätzlich wurden Ziel- und Steuergrößen für die Prozesse
festgelegt, um eine Basis für das spätere Prozeßmanagement aufzubauen.
Die durch die Modellierungsteams erstellten Modelle wurden in regelmäßigen Abständen durch
190
Modellierungsexperten kontrolliert, um die Modelle auf Syntax und Qualität zu überprüfen. Dies
erfolgte teilweise im direkten Kontakt (email, Telefon), teilweise bei zusätzlichen Teamsitzungen
mit den externen Beratern.
2.3 Erfahrungen bei der Prozeßmodellierung und der Einführung de s Prozeßmanagements
Ein Problem bei der Modellierungspraxis bestand in der Identifikation und Abgrenzung der
Prozesse. In der Theorie finden sich dazu einige Ansätze. Allerdings besitzen diese Ansätze oft kein
systematisches Vorgehen (vgl. [Hess99]). Generische Ansätze gehen davon aus, daß jedes
Unternehmen die gleichen Prozeßtypen besitzt. Diese Prozeßtypen werden dann auf der nächsten
Ebene unternehmensspezifisch zerlegt. Die zweite Gruppe, die sogenannten spezifischen Ansätze
unterstützen die Abgrenzung durch Vorgehensmodelle und eventuell durch Visualisierungstechniken. Darunter fallen auch Abgrenzungen, die auf einer ressourcen- und marktorientierten
Sichtweise basieren. Unter den ressourcenorientierten Ansätzen faßt Hess noch transaktions- und
problemorientierte Ansätze. Ein Beispiel für die erstgenannte Klasse ist die Gliederung nach
[FeSi98]. Die zweite Klasse findet sich bei [Gait83], 66-71. Dieser Ansatz wurde schließlich zur
Abgrenzung der Kernprozesse gewählt.
Die Kern- bzw. Hauptprozesse können dabei nach dem Konzept der Kernkompetenzen abgegrenzt
werden. Allgemein können folgende Kernkompetenzen unterschieden werden (vgl. [Gait94], 101)
?? Kreationskompetenz: Marktanalysen, Leistungsangebote (auch DL) definieren, marktfähige
Leistungen entwickeln.
?? Realisationskompetenz: Marktseitige Anforderungen in marktfähige Leistungen umsetzen Produkte zukaufen, Materialbereitstellen, Produkte fertigen, distribuieren, Zusatzleistungen
anbieten.
?? Transaktionskompetenz: Marktfähige Leistungen marktgängig machen - Absatzmarkt
schaffen, Produkt vertreiben, Aufträge abwickeln, Wartung.
Diese Kernkompetenzen werden von den Kunden direkt wahrgenommen und begründen damit die
Klassifizierung von Kernprozessen. Die in Tabelle 1 dargestellten Prozesse ließen sich beim
Verlagshaus identifizieren und in das Modell der Kernkompetenzen einordnen.
191
Kreationskompetenz
Realisationskompetenz
Transaktionskompetenz
Marktbeobachtung
Herstellungsprozeß
Auftragsabwicklung
Wahl strategischer Partner
Werbematerialerstellung
Handelsprozesse (EH,GH)
Entwicklungsprozeß
Analysen für strat.Partner
Absatzmarktadministration
-Verkaufsförderung
Auftragsgewinnung
-Pressebetreuung,
-Veranstaltungsorganisation
-Großkundenbetreuung,
-Außendienstbetreuung
Außendienstprozesse
Tab. 1: nach Kernkompetenzen abgegrenzte Prozesse des Schulbuchverlages
Die Prozesse werden nachfolgend noch kurz beschrieben. Zum besseren Verständnis wird vorher
aber die Aufbaustruktur des Verlages vorgestellt. Diese besteht aus einer Geschäftsleitung und vier
Funktionsbereichen: Marketing, Administration, Lektorat und Herstellung. Der Bereich Marketing
ist weiter unterteilt in den Vertrieb, die Werbung, und den Außendienst. Das Lektorat besteht aus
der Bildredaktion sowie zwei eigenständigen Gruppen, die Lektoratsprojekte durchführen. Der
Funktionsbereich Herstellung teilt sich auf der Verlagsseite in Gestaltung und Produktionsplanung
auf. Teile der eigentlichen Produktion werden extern an eine Druckerei vergeben.
Die Auftragsgewinnung erfolgt durch mehrere kleinere Prozesse, die teilweise zeitlich parallel
durchgeführt werden. Im einzelnen umfaßt dies Prozesse zur Werbematerialerstellung, Pressebetreuung, Veranstaltungsorganisation, Analysen für strategische Partner und der Großkunden- und
Außendienstbetreuung. Ein Auftrag kann entweder vom Buchhandel, direkt vom Endkunden oder
über Bedarfsmeldungen der Schulen in den Verlag eingehen. Die Auftragsart bestimmt im
wesentlichen den weiteren Prozeßablauf. Neben dem Bestellungsvorgang wird auch die
Rechnungsabwicklung durchgeführt. Schnittstellen gibt es u.a. zur Herstellung, wenn z.B. durch
einen Engpaß ein Nachdruck von Schulbüchern angestoßen wird.
Daneben gibt es die „typischen“ Entwicklungs-, Herstellungs- und Vertriebs- bzw. Logistikprozesse. Der Entwicklungsprozeß umfaßt die Generierung und Prüfung von Ideen für neue Bücher
bzw Buchkonzepte. Wird eine Idee akzeptiert werden Layoutvorschläge erstellt, diskutiert und
schließlich über das endgültige Layout entschieden. Parallel dazu wird das Schulbuch-Projekt
vorkalkuliert und in einer abschließenden Sitzung über die Annahme dieses Projektes entschieden.
Bei einer positiven Entscheidung werden weitere Prozesse angestoßen, wie die Approbation, die
192
Vertragsabwicklung und schließlich die Herstellung.
Nachdem das Projekt in die Verlagssoftware eingetragen wurde, startet der eigentliche
Herstellungsprozeß. Im Vorfeld wird für das Projekt eine Terminplanung und Kalkulation
durchgeführt. Nach der Ermittlung der Druckauflage wird der Druckauftrag erstellt, über die
Vergabe entschieden und der Druckauftrag schließlich erteilt. Parallel dazu werden zusammen mit
der Produktion und dem Lektorat das Layout entworfen und der Umschlag gestaltet. Nach der
Auswahl der Grafiker und der Erstellung der Grafiken werden die Satz- und Reproarbeiten
durchgeführt. Des weiteren werden extern in einem Filmstudio die Filme belichtet und an die
Druckerei weitergegeben. Die Druckerei liefert die gedruckten Bücher an den Verlag und nach
einer Kontrolle (Lieferung und Rechnung) einschließlich Nachkalkulation wird das Projekt
abgeschlossen.
Auftragsgewinnung
Auftragsabwicklung
Auftragsabwicklung
Pädagogik
Endkunde
Auftragsabwicklung
Schulbuch
Auftragsabwicklung
Pädagogik
Buchhandel
Entwicklung
Herstellung
externe
Handelsprozesse
Autorenbetreuung
Abb. 2: ausgewählte Kernprozesse des Schulbuchverlages
193
Die nachfolgenden Handelsprozesse sind für den Vertrieb der Produkte verantwortlich. Im
Einzelhandel werden Teilprozesse wie die Sortimentsgestaltung, der Ladenve rkauf und der
Versandhandel ausgelöst. Im Großhandel bestehen die wichtigsten Aufgaben in der Wahl
strategischer Partner und dem Angebot von Logistik-Leistungen. Die Administrationsprozesse
(Autorenabrechnung,
Lieferantenabrechnung,
Abrechnung
mit
Verwertungsgesellschaften,
Rechtsauskünfte) sind als Serviceprozesse zu verstehen und werden parallel zu den Kernprozessen
durchgeführt.
Durch folgende Maßnahmen, die kontinuierlich durchgeführt werden sollen, wurde das
Prozeßmanagement schließlich institutionalisiert:
?? Bestellen jeweils eines Prozeßmanagers (bzw. Process Owners) für die zentralen Prozesse.
Vorgeschlagen wurden hier die Verantwortlichen der Modellierungsteams.
?? Prozeßdaten erheben und dokumentieren (Bestimmen der Erfolgs- und Meßgrößen für die
Prozesse).
?? regelmäßige Sitzungen auf Teamebene und Bewertung der Prozeßqualität auf Basis der
vorliegenden Daten durch das Team (ggf. Maßnahmen einleiten).
?? Pflege des Prozeßmodells durch das zuständige Team; d.h. dezentrale Verbesserung der
Prozeßmodelle und Führen eines Prozeßtagebuches in dem Verbesserungsvorschläge bzw.
Änderungen gesammelt werden.
?? Regelmäßige Sitzungen der Modellierungsteams, um identifizierte Schwachstellen und
Verbesserungsvorschläge zu diskutieren.
?? Ein- bis zweimal pro Jahr Koordinationssitzungen aller Teams (Erfahrungen mit der Prozeßmodellierung und dem Prozeßmanagement austauschen und Maßnahmen abstimmen,
Kurzbericht über Prozeßqualität auf der Basis der Erfolgsgrößen durch jeden einzelnen
Prozeßmanager abgeben); gegebenenfalls Einbezug externer Fachleute bei diesen Sitzungen.
3 Lessons Learned und Entwicklung der Grundlagen für ein Wissensmanagement im Mittelstand
3.1 Lessons Learned
Aufgrund der besonderen Merkmale des Mittelstandes und der Erfahrungen im vorgestellten
Projekt bestehen einige Besonderheiten, die bei solchen Projekten beachtet werden sollten und in
denen eine Unterscheidung zu vergleichbaren Vorhaben in Großunternehmen besteht. Die
194
wesentlichen Punkte, die auch als Erfolgsfaktoren bei der Einführung eines Prozeßmanagements im
Mittelstand bezeichnet werden können, werden nachfolgend zusammenfassend aufgelistet:
?? Minimierung der Beratertage durch geeignete Werkzeuge (die dezentral durch den Kunden
eingesetzt werden können, durch praxisorientierten Wissenstransfer in Form von moderierten
Workshops und durch Nutzung von Support, wenn dieser benötigt wird (Pull-Prinzip).
?? Initial Workshops: Wie bei klassischen PM-Projekten ist die Managementbeteiligung und
Überzeugung eine der Erfolgsfaktoren. Hier lohnt es sich Zeit und Aufwand zu investieren.
?? Minimierung des Zeitaufwands für die Projektmitglieder. Ohne zusätzlichen Zeitaufwand ist
eine vernünftige Durchführung eines PM-Projekts nicht möglich. Daher sollte versucht werden,
die Projektarbeit in die tägliche Arbeit zu integrieren (Schwachstellen-Analyse und das
Sammeln von Prozeßinformationen).
?? Dadurch, daß in der Regel die Prozeßteams nicht so umfangreich sind, kann recht schnell ein
Konsens über den 'richtigen' Prozeßablauf gefunden werden. Dies hängt auch damit zusammen,
daß durch den größeren Überblick der Mitarbeiter in KMU auch ein breiteres Verständnis für
den Prozeßablauf existiert.
?? Da in KMU sehr viele Mitarbeiter täglich direkt mit dem Produkt bzw. mit den Kunden
konfrontiert sind und zu hohe Kosten, zu lange Lieferzeiten und Qualitätsmängel umgehend den
verantwortlich Mitarbeitern gemeldet werden, ist es sinnvoll nicht ausschließlich die
Führungsebene bei der (Schwachstellen-) Analyse und Verbesserung der Prozesse zu beteiligen,
sondern gerade Mitarbeiter aus den Fachabteilungen zu motivieren sich in diesen Prozeß
einzubringen.
Die hier dokumentierten Projektziele sind im Mittelstand gewöhnlich ohne externe Unterstützung
nicht realisierbar. Natürlich gibt es noch weitere Gründe, warum mittelständische Unternehmen
immer mehr nach Beratungsleistungen fragen. Allerdings sind die Methoden und Vorgehensweisen
der Beratungsbranche eher auf Großunternehmen abgestimmt, mit der Folge, daß mittelständische
Unternehmen mit der erbrachten Leistung häufig unzufrieden sind (vgl. [Sche97]). In der
Gegenüberstellung in Tabelle 2 wird zusammengefaßt, wie diese typischen Probleme im Rahmen
des vorliegenden Projektes gelöst wurden.
Bereits bei der Modellierung bzw. nach einer kurzen Analyse der Prozesse wurden folgende
Probleme bzw. Schwachstellen erkannt:
?? Die Analyse der Datenflüsse in den Prozessen zeigt, daß die Systeme (insb. die Datenarchitektur) wenig integriert sind. Stammdaten werden in zwei getrennten Datenbanken
195
gehalten. Die Daten sind teilweise redundant. Medienbrüche zeigen sich vor allem auch durch
Mehrfacheingaben von Daten und durch die Existenz einer Vielzahl von Dateien, die von den
Mitarbeitern dezentral gepflegt werden.
?? Bei der Analyse des Informationssystems zur Unterstützung der Verlagsprozesse wurde
deutlich, daß dieses veraltet ist. Das System kann insbesondere den gestiegenen
Informationsbedarf für die mittel- und langfristige Planung nicht mehr erfüllen. Von der
Geschäftsleitung und den Leitern der einzelnen Funktionsbereiche (insb. Marketing) werden
u.a. komplexere Bestandsauswertungen gewünscht. Ein Abrechnungssystem, zur Abrechnung
der Verträge mit Autoren, der Druckerei und anderen externen Partnern reicht alleine nicht mehr
aus.
?? Weitere, entscheidende Optimierungsmöglichkeiten sind bei den „outgesourcten„ Prozessen zu
erwarten. Durch die Prozeßmodellierung wurden die Schnittstellen zu diesen Prozessen
transparent und ein verbessertes Verständnis für die gesamte Wertschöpfungskette geschaffen.
Gerade die Zusammenarbeit mit den externen Partnern scheint entscheidend für die
Erschließung weiterer Optimierungsmöglichkeiten zu sein.
Probleme bei der Mittelstandsberatung
Lösungsvorschläge im Rahmen der Fallstudie
?? eingeschränktes Fachwissen
?? Einsatz von ”Modellierungsexperten” mit der Rolle
als Coach
?? zu geringe Branchenkompetenz
?? Diese kann nur schwer eingebracht werden, daher
Ansatz ”Hilfe zur Selbsthilfe”
?? unklarer Zeit- /Kostenrahmen
?? Klares Vorgehensmodell mit Meilensteinen
?? keine echte Unabhängigkeit
?? Kein ”Methodenzwang” bzw Einsatz spezieller
(insb. EDV-Beratung, z.B.: SAP,...)
Tools. Die Entscheidung über Methode und
Werkzeug traf der Kunde.
?? unzureichende Einbindung der Mitarbeiter
?? Dezentrale Modellierung mit zentraler
Koordination Rolle des Beraters: Coach,
Moderator, Tutor
?? unzureichende Umsetzungsorientierung
?? Regelmäßige Kontrollen der Umsetzungsaktivitäten
durch die Prozeßmanager verhindern, daß das
Prozeßmanagement ”versandet”
?? Analyseergebnisse veralten durch stetigen
Wandel sehr schnell
?? oft keine strategisch orientierte Beratung
?? Umsetzung eines Prozeßmanagements mit einer
kontinuierlichen Prozeßverbesserung
?? Die strategisch wichtigen Kernprozesse wurden
identifiziert und analysiert. Die Verbesserung soll
in weiteren Projektschritten erfolgen
Tab.2: Probleme und Lösungsvorschläge bei Beratungsprojekten für das Prozeßmanagement im Mittelstand.
196
Schließlich werden aus den drei zentralen Sichten, aus Aufgaben- bzw. Modellierungssicht, aus
Sicht der Projektmitglieder und aus Sicht der externen Berater noch die wichtigsten Erfahrungen
stichwortartig zusammengefaßt.
Sicht der Modellierung:
?? Sicherstellen der inhaltlichen Modellierungsqualität durch mehrere Review-Runden und
dezentrale Modellierung.
?? Sicherstellen der formalen Modellierungsqualität durch externe Berater (Modellierungsexperten).
?? Mitarbeiter werden anhand eines Musterprozesses im Rahmen eines Workshops in die Prozeßmodellierung (Vorgehen und Methode) eingelernt. Dieser Prozeß wird von ihnen selbst
bestimmt (starke Mitarbeiterpartizipation).
?? Die Mitarbeiter werden an der Entscheidung über den Werkzeugeinsatz beteiligt.
?? Die Ergebnisse der formalen Überprüfung (d.h. die am häufig gemachten Fehler) sollten direkt
mit den Modellierungsteams besprochen werden.
?? Modellierung ist nur mit einem Werkzeug sinnvoll durchführbar. Dies trifft auch für den
Mittelstand zu, der zwar kleinere Prozesse besitzt, die aber trotzdem zu groß und oft zu komplex
sind, um sie ohne einem professionellen Werkzeug zu modellieren.
?? Die Methode sollte an den Zielen und Anforderungen angepaßt sein und zudem schnell
erlernbar sein. Schnelle Erfolgserlebnisse am Anfang der Modellierung sind wichtige
motivationale Elemente.
Sicht der Projektmitglieder:
?? Aufwertung der eigenen und fremden Arbeit durch mehr Prozeßtransparenz
?? Der Prozeßablauf stellte sich oft als anders heraus als gedacht
?? andere Prozesse kennengelernt
?? Schwachstellen und Lücken werden in den Prozessen transparent
?? Wissen wird auf individueller Ebene transparent (die eigene Tätigkeit wird überprüft)
?? Wertschätzung gegenüber anderen Abteilungen
?? Schnittstellen zu anderen Abteilungen werden transparent
?? QS durch mehrere Review-Runden ist sinnvoll
197
?? PM muß organisatorisch durch Prozeßverantwortlichen verankert werden
?? die Arbeit mit dem Werkzeug war nach einer kurzen Einarbeitungsphase einfach
?? Problem: abteilungsübergreifende Dokumentation organisieren
?? Outsourcing von wichtigen Bereichen wurde transparent, sowie die damit verbundenen
mangelnden Eingriffsmöglichkeiten
Sicht der externen Berater:
?? Qualität der Modelle ist enorm wichtig
?? Initialzündung muß zentral gesteuert werden, danach ist die dezentrale Einbindung der
Fachabteilungen für die Sicherstellung der inhaltlichen Qualität der Modellierungsergebnisse
wichtig
?? Die Rolle des Beraters besteht mehr im Support, Moderation und Qualitätssicherung des
Projekts, als in der Umsetzung ('die Umsetzung erfolgt dezentral')
?? PM macht auch Sinn für kleine Unternehmen
3.2 Schaffung der Voraussetzungen für ein Wissensmanagement im Mittelstand
Die bewußte Auseinandersetzung mit dem Thema Wissensmanagement und die Einführung von
Wissensmanagementsystemen erfolgen in Unternehmen gewöhnlich nicht zweckfrei. Meist geht es
um die organisatorische Effizienz insgesamt oder um die Effizienz bestimmter Leistungen, um die
Lernfähigkeit und die Weiterentwicklung des Unternehmens oder von Unternehmensteilen, um die
Kooperation in Gruppen u.a.m. Diese Themen finden nun zunehmend auch im Mittelstand
Beachtung. Dies führte auch dazu, daß bei dem in der Fallstudie beschriebenen Verlagshaus
Überlegungen in diese Richtungen angestellt wurden. Der Vorschlag zur Umsetzung und
Einführung eines Wissensmanagements wird nachfolgend an diesem Beispiel noch etwas genauer
vorgestellt.
Da Prozesse als spezielle Wissensform gelten (vgl. [Lehn00]) besteht ein unmittelbarer
Zusammenhang, der durch die Prozeßorientierung
und auch durch den Einsatz von
prozeßorientierter Standardsoftware für den Mittelstand unmittelbar Relevanz hat. Mit der Analyse
und Dokumentation der Prozesse wird somit bereits eine wichtige Voraussetzung für ein
Wissensmanagement geschaffen. Der Sachverhalt ist allerdings so komplex, daß bei einer Analyse
oder näheren Beschreibung am besten mehrere Dimensionen oder Merkmale unterschieden werden
(die in der Praxis natürlich miteinander eng verflochten sind). Dazu gehören in Anlehnung an
198
Mandl und Lehner u.a.:
Situationsmerkmale
?? Kontext (Ort des Geschehens oder der Tätigkeit, worum geht es überhaupt)
?? Gruppenmerkmale (z.B. gemeinsame Interessen, gemeinsame Werte, Kohäsion)
?? Aufgabenmerkmale (Art der Aufgabe: routinisiert, motivierend usw.)
?? Individuum (z.B. welches Vorwissen bringen die Mitarbeiter mit sich)
?? Organisation (Verteilung von Verantwortung und Zuständigkeiten)
Interaktionsmerkmale
?? Wie erfolgt die Kommunikation in der Gruppe?
?? Wie erfolgt die Koordination bei der Erledigung der Aufgaben?
?? Wie erfolgen Aushandlungsprozesse (geteiltes und ungeteiltes Wissen)?
?? Welche emotional- motivatorischen Prozesse gibt es in der Gruppe?
Charakteristik der Lernprozesse im Unternehmen
?? Individuum -> Einzelleistung (Unterschieden wird zwischen Erweiterung und Verbesserung der
Handlungskompetenz des Einzelnen)
?? Gruppe -> Gruppen- bzw. Gesamtleistung (Unterschieden wird zwischen Erweiterung und
Verbesserung der Handlungskompetenz der Gruppe)
Technische Merkmale
?? Informations- und kommunikationstechnische Infrastruktur
?? Verfügbare Systeme und Werkzeuge
Auf diesem Grundverständnis baut der Vorschlag für einen Projektablauf auf, der die spezifische
Situation im Mittelstand bei der Einführung des Wissensmanagements berücksichtigt. Ein solcher
Schritt schließt Interessenskonflikte natürlich nicht aus. In bestimmten Fällen ist zu entscheiden was
wichtiger ist, das Prinzip der Kontrolle (zentralisierte Entscheidungen, hierarchische Machtposition)
oder Transparenz und freier Fluß von Informationen. Organisationen entwickeln auf diese Weise
ein ganz typisches Profil in Be zug auf ihre Wissensstruktur und Nutzungsformen. Das betriebliche
Wissensmanagement bezieht sich auf die Leistungserstellungsprozesse, insbesondere deren
Weiterentwicklung, sowie auf den Umgang mit neuen Herausforderungen (die oft erst als solche
199
identifiziert werden müssen). Es geht dabei u.a. um
?? eine bewußte Wahrnehmung und Gestaltung dieser Aufgabe (die unbewußt ohnehin in jedem
Unternehmen und in jeder Gruppe erledigt wird),
?? das Management des Prozesses, der zu dieser bewußteren Wahrnehmung führt (dies kann man
als „Einführung des Wissensmanagements“ bezeichnen),
?? einzelne und gezielte Interventionen, welche die Einführung unterstützen und begleiten (diese
haben noch am ehesten Projektcharakter),
?? sowie generell um die Stärkung der Fähigkeiten zum organisatorischen Lernen und zur
Selbstorganisation.
Ein Process-Warehouse, wie es im Rahmen der dargestellten Fallstudie geplant ist, ist allerdings
noch kein Wissensmanagement, es ist aber eine wichtige Vorstufe dazu. Vorgeschlagen wird ein
Vorgehen in vier Phasen. Anzumerken ist, daß es bisher kein brauchbares Verfahren zur
Beurteilung oder Messung des Wissens managements und seiner instrumentellen Wirkungen gibt.
Die tatsächliche Wirkung einer Intervention in das System „Wissens management“ ist daher nicht
wirklich prognostizierbar. Um Risiken und Fehlentwicklungen zu vermeiden, wird vorgeschlagen,
mit einem ausgewählten Prozeß und in einer ausgewählten Abteilung zu beginnen (Vorschlag:
Vertrieb). Bei positiven Erfahrungen können die Erfahrungen auf weitere Bereiche des
Unternehmens übertragen und die Aktivitäten ausgedehnt werden. Die einzelnen Phasen sind:
Phase I: Initiierung, Qualifikation und Zielfindung
Phase II: Wissensinventur, Analyse und Infrastrukturmaßnahmen
Phase III: Konzeption langfristiger Wissensmanagement-Strukturen
Phase IV: Kontinuierliche Verbesserung
Der gewählte Ansatz ist also prozeß- und abteilungsorientiert. Vorgeschlagen wird in der Phase I
den Vertriebsprozeß heranzuziehen. Ab Phase II sollte der Fokus erweitert werden (Das Vorgehen
ist eine Kombination aus struk turiertem Vorgehen, externer Intervention (Uni Regensburg) und
Selbstorganisations prozessen. Das Projekt wird inkrementell organisiert (d.h. für die Phase I wird
ein detaillierter Zeitplan aufgestellt, die weiteren Projektphasen werden mit fortschreitendem
Projekt präzisiert).
Beispiel für Projektplan Phase I:
1. Kick-off- meeting: Projekt, Ziele und Ablauf vorstellen; Projektteam begründen, Zeitplan und
Aufgaben gemeinsam festlegen (ca. ½ Tag).
200
2. Dokumentation und Erhebung: Wissensmanagement im Vertrieb (ca. 3 Tage Regensburg-Team
mit Unterstützung des Unternehmens, Interviews, strukturierte Erhebungsbögen, Checklisten
usw.).
3. Analyse, Veränderungsbedarf feststellen (ca. 2 Tage Regensburg-Team, 1 Tag Workshop mit
Mitarbeitern des Unternehmens zur Abstimmung der Ergebnisse); neue Rollen, Abläufe und
Aufgaben festlegen; wo wird „Technik“ benötigt? Usw.
4. Umsetzung und Implementierung: Unternehmen, Begleitung durch Uni Regensburg.
5. Abschluß-Workshop:
„Lessons-Learned“,
Rückblick
und
Bewertung
des
bisherigen
Projektverlaufs, Entscheidung: Projektende – oder Weiterführung und Übertragung der
Erfahrungen auf Phase II (1/2 Tag).
6. Parallel dazu 8 „Lerneinheiten“ im Abstand von 3 Wochen (6 Theorieeinheiten, 2 Fallbeispiele
und Erfahrungsberichte).
Das Projekt sollte im Prinzip „offen“ für die gesamte Firma sein. Für die Durchführung werden drei
Gruppen bzw. Ebenen unterschieden, denen unterschiedliche Rollen zukommen:
?? Projektgruppe: Vorschlag „Vertrieb“; in dieser Gruppe erfolgt in der Phase I die eigentliche
Umsetzungsarbeit, es wird also versucht, die Methoden des Wissensmanagements auf den
Vertriebsprozeß anzuwenden und ein Wissensmanagement in der Vertriebsabteilung zu
implementieren
?? Kernteam (Multiplikatoren): Zusammensetzung wie beim Projekt „Prozeßmanagement“,
teilweise Überlappung mit der Projektgruppe, nehmen am Schulungsprogramm teil; alle zwei
Monate Plenarsitzung mit der Projektgruppe zwecks Informationsaustausch, Überlegungen zur
Integration des Wissensmanagement für das Unternehmen insgesamt, Vorüberlegungen für
weitere Prozesse.
?? Alle Mitarbeiter (sollen übers Intranet und andere Informationsquellen über das Projekt
Bescheid wissen, sich informieren können, aber auch beitragen können); damit wird der
Tatsache Rechnung getragen, daß eine transparente Nutzung des Wissens und eine gute
Unternehmenskultur den Hauptansatzpunkt für ein erfolgreiches Wissensmanagement
darstellen. Diese Diskussion sollte aber koordiniert ablaufen.
Trainings- und Informationsmodule bilden einen wichtigen Baustein im Gesamtkonzept. Sie sollen
parallel zum Projektablauf zur Qualifizierung des Projektteams, aber auch der übrigen Mitarbeiter
beitragen. Mit dem zunehmenden Wissen soll die Motivation für eine anschließende Umsetzung
unterstützt werden. In Phase I soll vor allem der Wissensstand zum Wissensmanagement selbst
201
erweitert werden. Von einem verbesserten Verständnis wird ein konkreter Beitrag zum Projekt
sowie für die Umsetzung der Projektergebnisse im Unternehmen erwartet. Nach der
Instruk tionsphase sind jeweils eine Reflexion des bestehenden Ist- Zustands sowie Überlegungen für
einen Transfer vorgesehen. Vor allem in der Projektgruppe soll zu jedem Thema überlegt werden,
was das für das Unternehmen oder die Organisationseinheit konkret heißt, d.h. unmittelbar eine
Übersetzung auf die eigene Situation angestrebt werden (das muß nicht unbedingt Umsetzung oder
Realisierung heißen).
4 Zusammenfassung und Ausblick
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß ein genereller Innovationsbedarf bei der Computerinfrastruktur besteht, der aber vom Mittelstand selbst als solcher erkannt wird, wenngleich die
wirtschaftliche Situation oft ein gewisses Hindernis bildet. Fertigungs betriebe sind allerdings
deutlich weniger aktiv als Handels- und Dienstleistungsunternehmen. Dazu kommt, daß zur Zeit
nicht nur unternehmensinterne Struk turen und Abläufe sondern auch die Beziehungen von "innen
zu außen" in vielen Unternehmen neu gestaltet werden, d.h. es findet eine aktive Umstrukturierung
von Beschaffungs- und Absatzmärkten statt, zu der auch die datentechnische Vorwärts- und
Rückwärtsintegration von Lieferanten und Kunden zählt. So erhalten z.B. die als Warenwirtschaftssysteme bezeichneten technisch-organisatorischen Lösungen im Handel eine wichtige
Bedeutung, welche die innerbetrieblichen Warenströme integrieren, Schnittstellen zu Lieferanten
(z.B. automatische Bestellung und Disposition), zu Banken (z.B. Automatisierung des
Zahlungsverkehrs), zu Marktforschungsunternehmen (z.B. Analyse von Markt- und Verkaufsdaten)
und zu den Kunden (z.B. Selbstbedienung, Kassenterminals für den bargeldlosen Verkauf, OnlineShopping).
Gerade für kleinere und mittlere Unternehmen bieten sich aber durch die weltweite Vernetzung
über das Internet neue Chancen und auch neue Geschäftsfelder. Der Aufwand für eine globale
Präsenz und der Zutritt zu neuen Märkten ist vergleichsweise gering. Auch wenn der Nutzen meist
schwer quantifiziert werden kann, so ist man sich in der Fachwelt relativ einig, daß es in absehbarer
Zeit ein Wettbewerbsnachteil sein wird, nicht online präsent zu sein. Daraus leiten sich natürlich
auch neue Aufgaben für verschiedene Unternehmensbereiche ab, die einerseits die eingesetzte
Technologie, andererseits die Prozeßabläufe betreffen.
Die Darstellung der Geschäftsprozesse mit Hilfe von Prozeßmodellen führt neben der reinen
Dokumentationsfunktion zu einem besseren Verständnis der Prozeßabläufe durch die Beteiligten.
Dadurch wird sowohl das Denken in Prozessen als auch das Verständnis für fachfremde Prozesse
202
gefördert. Bei der Zielfindung für das dargestellte Projekt wurde absichtlich die Erstellung von SollModellen und damit auch Fragen des Reengineering der untersuchten Prozesse ausgeklammert. Mit
der Einführung eines Prozeßmanagements wurde aber klar, daß die Dokumentation der Ist-Prozesse
nur ein erster Schritt hin zu einer kontinuierlichen Verbesserung und Weiterentwicklung der
Prozesse sein kann. Ein Schritt hin zur Identifikation von Schwachstellen im Prozeßablauf wurde
bereits während der Modellierung durch die Dokumentation dieser potentiellen Schwachstellen
getan. Der Einsatz eines sogenannten Prozeßtagebuches sollte dagegen bereits während der
täglichen Arbeit in den Prozessen mögliche Schwachstellen dokumentieren.
Die Erfahrungen bei der Einführung des Prozeßmanagements waren im vorgestellten Beispiel
insgesamt positiv. Es wird daher die vorsichtige Vermutung ausgesprochen, daß bei entsprechender
Anpassung die Instrumente der Prozeßmodellierung auch auf den Mittelstand anwendbar sind. Um
das Wissen über die Prozeßabläufe für möglichst alle Mitarbeiter zugänglich zu machen, wird zur
Zeit am Aufbau eines Process Warehouses gearbeitet (vgl. [Sche98]). Dabei werden die erstellten
Prozeßmodelle in das firmeneigene Intranet integriert. Verbesserungsvorschläge können von allen
direkt oder indirekt am Prozess beteiligten Mitarbeitern an den Process Owner weitergeleitet
werden, der dann im Team über die vorgeschlagene Änderung entscheiden kann. Die aktive
Beteiligung der Mitarbeiter bei solchen Entscheidungen ist Voraussetzung für das Funktionieren
eines solchen Konzepts zur kontinuierlichen Prozeßverbesserung, für das der Aufbau eines Process
Warehouses ein wichtiger Bestandteil ist. Damit wird auch bereits der Grundstein für ein
Wissensmanagement gelegt. Wissensmanagement wird dabei ähnlich wie das Prozeßmanagement
als permanente Aufgabe verstanden, die mehr oder weniger bewußt in jedem Unternehmen
wahrgenommen wird. Für die bewußte und systematische Wahrnehmung dieser Aufgabe wurde ein
erster Vorschlag präsentiert, der in der Praxis erprobt werden soll.
203
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