kultur Eskalation P.S.14.10.2016 Erben Oberlehrer Die Ankündigung, «sehr frei» nach Molière, für die Neufassung von Barbara Terpoorten und Rolf Hermann für «Die Geizige» von Sempione Productions, wünschte man sich für manch andere Adaptionen. Daniel Ziegler klagt nicht wie Patrick Süskinds berühmter Kontrabassist sein Leid, sondern demonstriert in seinem Soloprogramm «Bassimist» oberlehrerhaft, aber mit viel Verve, warum ohne Bass alles nichts ist. Palma Fiacco Caroline Gerber übernimmt künftig im Duo mit Peter Doppelfeld die Leitung des Theater Stok und zeigte zum Spielzeitauftakt ebenda die Inszenierung von «Gott des Gemetzels» mit ihrem Theater Touché. S treng genommen ist es nicht Caroline Gerber, die sich vorstellt, sondern es ist die Presse, die sich erst jetzt für sie und ihre Arbeit interessiert. Acht Jahre lang ab dem Jahr 2000 leitete die ausgebildete Lehrerin und Master in Theaterpädagogik ein Kinder- und Jugendtheaterprojekt in Rapperswil und realisierte ab 2006 zwei bis drei Inszenierungen pro Spielzeit mit den SchülerInnen der Kantonsschulen Zug und Hottingen. Sie gründete 2010 das Theater Touché und ein Jahr später das Theater Pur und engagierte sich stark in weiteren Bereichen, wie Theatertreffen von TAG, Theater im Gymnasium. Aktuell bildet sie sich weiter zur Kulturmanagerin. Für ihre Inszenierung von Yasmina Rezas «Gott des Gemetzels» wählt sie einen verschiedenen Ansatz von Jürgen Gosch, der die Uraufführung am Schauspielhaus inszenierte, und auch von Roman Polanski, der den Stoff verfilmte. Durch die Zweisprachigkeit ihres Ensembles kann sie zwischen höflichem Geplänkel der Elternpaare in Hochsprache und weniger freundlichen, lauten Gedanken in Dialekt changieren. Ein Hin- und Her, das auch das Bühnenbild mit einer Holzwippe wieder aufnimmt. Zwischen den Akten überlässt sie das Feld der Musikerin Vicky Papailiou, die mit der unterschiedlichen Interpretation am Akkordeon von «Luegid vo Bärg und Tal» die folgende Verschiebung der Gemengelage jeweils vorwegnimmt und einmal an der Gitarre mit einem italienischen Dialektschnellgesang die eigentliche Ohnmacht der gesamten Szenerie übersetzt und zeitgleich einen Sehnsuchtsseufzer nach einer Lösung ausstösst. Die wechselnden Konstellationen zwischen den Paaren hinsichtlich einzelner Ansichten lässt sie nicht wie die beiden oben genannten Regien bis zum bitteren Ende in hochgradig gekünstelter Contenance knallhart gegen die Wand fahren, sondern Caroline Geber entscheidet sich für die totale (alkoholgestützte) Eskalation, was auch eine Art ist, die verlogene Selbstdarstellung der Figuren als gesittet-gebildete WeltbürgerInnen blosszustellen. froh. «Der Gott des Gemetzels», 6.10., Theater Stok, Zürich. E s geht um Geld und um Familie. Ein bisschen noch um Liebe, eher aber um das Unvermögen, diese auf die Reihe zu bekommen. Elfriede und ihre Töchter Camille und Vero sind alles Goldmaries, zumindest äusserlich, wenngleich in Schnittvariationen (Kostüm: Rudolf Jost). Elfriede (Suly Röthlisberger) hat anlässlich ihres 70. Geburtstags alle herbefohlen, also eingeladen. Ist aber zu sparsam, etwas zu kochen – es hat ja noch Eingemachtes. Sie will die wichtigen Sachen noch zu Lebzeiten regeln, was ihre unterschiedlichen Töchter befürworten, bis es zur regelrechten Rappenspalterei vonseiten Mutter hinsichtlich des zu erwartenden Erbes geht. Unterkunft, Mahlzeiten, Waschdienst, Kinderhüten – all das rechnet sie über die vergangenen zwanzig Jahre zu einem nicht gerade freundschaftlichen Stundenlohn zu ihren Gunsten gegen das potenzielle Erbe der Töchter auf. Die vermeintlich souveräne Camille (Barbara Terpoorten) verliert die Fassung bis zum Tobsuchtsanfall, und die eher vorlaut besserwisserische Vero (Vivien Bullert) verstummt bis nahe der Schnappatmung. Die Anwesenheit von Enkelinnen (Katharine Müller und Sanne Gruber) hat eher illustrativen Charakter, etwa so wie die Trauerpalme im Billigmöbelgartenparadies, erhalten gegen Ende indes ihr eigenes Pointenfeuerwerk. Zur Hauptsache besteht aber der Abend in der Regie von Sigi Terpoorten aus dem genüsslichen Hickhack der Töchter untereinander, hin zur Mutter und reziprok. Darin laufen alle drei Schauspielerinnen zur Höchstform auf, und ihre Spitzen stellen die wahre Ausgeburt von Boshaftigkeit dar. Das ist köstlich, selbst wenn die Handlung gegen Ende ein wenig ausfleddert und erst ganz zum Schluss angesichts des Unvermögens, die Liebe auf die Reihe zu bekommen, in Hass gegen den Mann per se – personifiziert durch eine ganz konkrete Figur – umschlägt und sich die drei zu Rächerinnen auf AltlastenEntsorgungsmission wieder zusammenraufen und dank diesem alle verbindenden Hass gegen etwas Aussenstehendes wieder zum Bollwerk Familie zusammenfinden. froh. «Die Geizige», 10.10., Miller’s Studio, Zürich. 18 H üten Sie sich vor der ersten Reihe. Denn ein leicht säuerlicher Lehrer, der wenig Verständnis für die trotz mehrfacher Wiederholung immer noch bestehenden Wissenslücken seines Publikums in Sachen Musiktheorie mitbringt, neigt zum Exempel statuieren. Das Zürcher Publikum im Comedyhaus war dafür geradezu prädestiniert: Musikalische Analphabeten, alle. Dass diese Tatsache die Rage des Vermittlers nicht mildert, sondern vielmehr in die Nähe einer Publikumsbeschimpfung steigert, liegt auf der Hand. Als Musiker ist Daniel Zieglers Begabung indes nicht weniger einseitig, von Didaktik und pädagogisch wertvoller Motivation der Lernverpflichteten hält er augenscheinlich überhaupt nichts. Aber es ist auch zum Verzweifeln: «Wie viele Noten gibt es», fragt er in den Saal – betretenes Schweigen. «Was ist eine Oktave?», «eine Terz?», «ein Akkord?» Es ist hoffnungslos. Also gut, denkt sich der Musiker und beginnt seinen musikalischen Grundkurs. Seine Abneigung umfasst nicht bloss die Ignoranz der Zuhörenden, sondern meint den Dudelfunk am Radio oder im Lift ebenso mit. Er demonstriert die Gleichförmigkeit der Basis von Blues, von Jazz, von Funk, ganz zu schweigen von Pop, und geht anhand einer Vielzahl von Beispielen zur Beweisführung seiner Theorie hinüber. Dann folgen Crashkurse in Takt, Melodie und Text – alles überbewertet oder, im Fall von Takt, einfach nicht die Naturbegabung von uns MitteleuropäerInnen. Nach der Pause prüft er das Hörvermögen mit dem Vorspielen bekannter Melodien unter Weglassung eines Intstruments, das natürlich wieder niemand errät. Dann folgen die schlagenden Argumente, weshalb dasselbe Resultat beim Fehlen des Basslaufs natürlich niemals rauskäme, weil der Bass die Essenz aller Musik ist. Natürlich ist Daniel Ziegler ein fast so begnadeter Manipulator wie Bassvirtuose, und darum sind sämtliche seiner Steilvorlagen exemplarisch für seine Thesen, die er ebenso widerwillig aufstellt, wie er kaum etwas mehr hasst, als Publikumsbeteiligung… froh. «Bassimist», 7.10., Comedyhaus, Zürich.