Technik Klimaaktive Fassaden durch Sonnenschutzsysteme Eine Gebäudehülle, intelligent wie die Haut Intelligente Gebäudehüllen verändern ihre Eigenschaften — nismus. Um die gewünschte Reaktionsmöglichkeit auf Hitze wie die Haut eines Menschen. Die Flexibilität, die die mensch- und Kälte, Dunkelheit und Licht zu erreichen, müssen Fassa- liche Haut aufweist, kann eine Fassade aber nicht eins zu eins den über ein Zusammenspiel von vier technischen Kompo- imitieren, schliesslich ist sie kein natürlich arbeitender Orga- nenten verfügen. Text und Bilder Ulrich Lang Der g-Wert einer Wärmeschutzverglasung lässt sich durch einen aussen Der U-Wert von 1,1 eines Wärmeschutzglases lässt sich durch die Kombi- liegenden Raffstore variieren. In Verbindung mit einem Raffstore nation eines Rollladens mit einem innen liegenden, aluminiumbeschich­ verbessert ein Sonnenschutzglas diese Wirkung nur unwesentlich und ist teten Rollo auf 0,7 reduzieren. Das Sonnenschutzsystem hat folglich den somit keine energieeffiziente Lösung. gleichen Effekt wie der Wechsel von Zweifach- auf Dreifach-Isolierglas. Die menschliche Haut fungiert als Schutz- die in den Muskeln entstehende Wärme über chen. Mit einstellbaren Sonnenschutzsyste- hülle, übernimmt überlebenswichtige Funk- die Haut nach aussen abgeleitet, die Blut- men kann man heute verschiedene Aspekte tionen und verfügt über vielfältige Anpas- gefässe weiten sich und das Blut wird durch wie Wärmeeintrag, Blend- und Sichtschutz, sungsmechanismen. Ihr spezieller Aufbau die Verdunstungskälte der schweissnassen Tageslichtnutzung, solare Wärmegewinnung und Auskühlschutz miteinander verbinden. sorgt beispielsweise dafür, dass die Körper- Haut gekühlt. temperatur permanent reguliert und der Kör- Die Haut ist als Barriere zwischen Aussen- per vor Wärmeverlusten, Kälte und äusseren welt und Organismus eines der wichtigsten Sonnenschutz als Kernfaktor Einflüssen geschützt wird. Besteht die Gefahr Organe des Menschen und dient im Bereich Fassaden können, im Gegensatz zum Sinnes- einer Überhitzung, fungiert sie wie eine Kli- des nachhaltigen Bauens als Vorbild für organ, nicht schwitzen oder eine Gänsehaut maanlage — die Schweissdrüsen machen klimaaktive Fassaden. Diese haben einen bekommen. Dennoch ist deren wichtigste die Oberfläche feucht, das Wasser verduns- grossen Einfluss auf die klimatischen Ver- Aufgabe, die klimatischen und baukonstruk- tet und kühlt dabei die Hautober­fläche ab. hältnisse im Gebäude. Je flexibler Gebäude- tiven Bedingungen in Einklang zu bringen. Sinkt die Aussentemperatur, ­ziehen sich die hüllen in Abhängigkeit von Tages- und Jah- Denn ob ein Gebäude funktioniert, energie- Adern der Haut zusammen, das vermeidet reszeit sowie von Wetter und Klima reagieren effizient und behaglich ist und von den Nut- eine übermässige Auskühlung des Körpers. können, desto weniger Energie wird benö- zern akzeptiert wird, hängt massgeblich von Und auch bei körperlicher Anstrengung wird tigt, um behagliche Bedingungen zu errei- der Konzeption der Gebäudehülle ab. Erst das 60 architektur + technik 4 | 2013 perfekte Zusammenspiel der verschiedenen Gewerke und deren Wirkungsweisen macht aus der Gebäudehülle eine klimaaktive Fassade, die sich automatisch an die gegebenen Witterungseinflüsse anpasst. Den grössten äusseren Einfluss auf die Gebäudehülle hat heute die Sonnenenergie. Deshalb haben bauphysikalischen Grössen wie der Wärmedurchgangskoeffizient, der Gesamtenergiedurchlassgrad und der Lichttransmissionswert einen hohen Einfluss auf die Klimafaktoren im Gebäude. Integrale Planungen mit dem Fokus auf die Gewerke der Gebäudehülle sind deshalb gefragter denn je. Ziel muss dabei sein, über die Steuerung des Sonnenschutzes hinauszugehen. Intelligent gesteuerter Sonnenschutz bietet enorme Potenziale zur Verbesserung der Energieeffizienz und des Raumklimas. So hat eine vom Industrieverband für Technische Textilien, Rollladen, Sonnenschutz e. V. (ITRS) in Auftrag gegebene Studie jüngst ermittelt, dass dynamische Rollladen- und Sonnenschutzsysteme allein beim Nutzwärmebedarf bis zu 44 Prozent Energie einsparen. Kein Wunder, denn flexible Sonnenschutz- Konzentriert man sich auf den Blendschutz, fällt schnell auf, dass sich die Varianz des Licht­ transmissionsgrades beim Einsatz von Sonnenschutzglas deutlich verschlechtert. systeme können die Anforderungen an den Wärme- und Blendschutz bei grösstmöglicher abzuhalten und so eine Überhitzung der Auch die dritte relevante Grösse, der Licht- Tageslichtnutzung bestens erfüllen. Räume zu vermeiden. Hier gilt der Grundsatz: transmissionsgrad (T), muss im Kontext Faktoren im Kontext je kleiner der U-Wert, desto besser. Gleiches betrachtet werden. Dieser Wert bezieht sich gilt auch für die kalte Jahreszeit. Immer wenn auf die Lichtdurchlässigkeit und drückt den Die wohl wichtigste Kennzahl zur Beur- es aussen kälter ist als innen, ist ein niedri- direkt durchgelassenen, sichtbaren Strah- teilung von Transmissionswärmeverlusten ger U-Wert sinnvoll, um den Wärmeverlust lungsteil bezogen auf die Hellempfindlich- durch Bauteile an beziehungsweise in der zu verhindern. keit des menschlichen Auges aus. Damit die- Fassade ist der Wärmedurchgangskoeffizi- Ähnlich verhält es sich beim Gesamtenergie- ses nicht geblendet wird, sollte der T-Wert ent, der sogenannte U-Wert. Bestimmt wird durchlassgrad, dem sogenannten g-Wert. Er gerade an hellen Sommertagen gering sein. dieser im Wesentlichen durch die Wärme­ ist ein Mass für die Energiedurchlässigkeit von Bei trüben Witterungsverhältnissen dage- leitfähigkeit und Dicke der verschiedenen transparenten Bauteilen (Fenster) und ist die gen gilt das Gegenteil; je höher der T-Wert, verwendeten Materialien, aber auch durch Summe aus der direkten Transmission solarer desto mehr Tageslicht kann genutzt werden, die Wärmestrahlung und Konvektion an den Strahlung und der Wärmeabgabe nach innen ohne auf künstliche Lichtquellen zurück­ Oberflächen. Hier gilt die Faust­regel: je höher durch Strahlung und Konvektion. Im Sommer greifen zu müssen. der Wärmedurchgangskoeffizient, desto sollte dieser Wert gering ausfallen, also mög- Die detaillierte Betrachtung der verschiede- schlechter ist die Wärmedämmeigenschaft lichst wenig Energie in das Gebäude gelan- nen Faktoren im Kontext führt schnell zu der eines Stoffes. gen. Dies führt zu deutlichen Einsparungen Erkenntnis, dass intelligente Fassaden in der Ein Gebäude, das sich an warmen Tagen für die Kühlenergie — bis hin zum möglichen Lage sein müssen, ihre Eigenschaften aktiv aufheizt und über eine Fassade mit hohem Verzicht auf den Einsatz einer Klimaanlage. Im zu verändern und an aktuelle äussere Gege- U-Wert verfügt, kann die Wärme in lauen Winter dagegen ist das Ziel energieeffizienter benheiten anzupassen. Gerade die strah- Sommernächten so wieder nach aussen Bauweisen, möglichst viel Sonnenenergie in lungsphysikalischen Eigenschaften müs- abgeben (Nachtauskühlung). Anders ver- das Gebäude zu lassen. So kann es sich auf sen eine hohe Varianz aufweisen, damit die hält es sich jedoch tagsüber, wenn es gilt, die natürliche Weise aufheizen, was Heizkos- Gebäudehülle flexibel klimaaktiv reagieren Sonnenwärme vom Eindringen ins Gebäude ten spart. kann. Eine derart hohe Flexibilität erreicht 4 | 2013 architektur + technik 61 Technik Klimaaktive Fassaden durch Sonnenschutzsysteme Werden die Lamellen aussen liegender Systeme automatisch dem Sonnenstand nachgeführt, kann der Tageslichteintrag um das Dreifache erhöht werden. Dies gilt besonders für hoch reflektierende, weisse oder silberfarbene Lamellen. man heute durch den Einsatz intelligent ten Fassadentypen gibt das Unternehmen gesteuerter Sonnenschutzsysteme. Warema einen konkreten Leitfaden an die Vier Komponenten (online abrufbar unter www.warema.de/ Hand. Ein «Optimales Sonnenschutz­system» Um die physikalischen Grössen der Fassade optisystem) besteht aus vier Komponen- positiv, also im Sinne einer höchstmöglichen ten: Einer Wärmeschutzverglasung, einem Energieeffizienz, beeinflussen zu können, aussen liegenden Hitzeschutz, einem innen benötigt man heute intelligent gesteuerte liegenden Blendschutz und schliesslich einer und hoch flexible Sonnenschutzsysteme. intelligenten Steuerung. Die Wahl sollte auf eine Lösung fallen, wel- So wird beispielsweise für Pfosten/Riegel- che die jeweiligen Bedürfnisse der Nutzer, Fassaden die intelligent gesteuerte Kom- Ulrich Lang ist Leiter Objektberatung bei der die Nutzungsweise des Gebäudes sowie die bination aus aussen liegenden Raffstoren Warema AG (www.warema.ch). Er beschäf- Anforderungen an die Energieeffizienz best- mit innen liegenden, aluminiumbedampf- tigt sich seit Jahren mit der Entwicklung möglich unterstützt. ten Blendschutz-Rollos empfohlen. Gegen- intelligenter Lösungen für klima­ a ktive Der Autor Eine Lösung «von der Stange» gibt es dafür über einer entsprechenden Fassade ohne Gebäudehüllen. Lang referiert regelmäs­ nicht. Gefragt sind ganzheitliche und auf die Sonnenschutzsystem lässt sich ein Energie- sig auf Branchenevents, so auch auf der jeweiligen Anforderungen am speziellen Ort einsparpotenzial in Höhe von knapp 40 Pro- Messe für Nachhaltigkeit in Stuttgart . abgestimmte Lösungen. Für die gängigs- zent erzielen. 62 architektur + technik 4 | 2013 n