materialien zum philosophikum

Werbung
MATERIALIEN ZUM PHILOSOPHIKUM
DW DREYSSE
FERDINAND KRAMER
1960 FERDINAND KRAMER – Rede zur Übergabe des PHILOSOPHIKUMS
„ICH ÜBERGEBE IHNEN HEUTE EIN HAUS ZUM
GEBRAUCH ...“
„...
Es musste ein Hochhaus werden, weil unsere Universität mitten in
der Stadt liegt und keinen Campus besitzt. Will sie sich ausdehnen, dann muss sie zwangsläufig in die Höhe wachsen. Sie werden aber vielleicht an diesem Hochbau schon eine Neuordnung
bemerkt haben. Er hat keine tragenden Mauern oder Stützen in seinem Inneren. Das ist keine Marotte des Architekten, sondern die
Konsequenz einer Entwicklung, die noch lange nicht abgeschlosssen ist: Die Anordnung der Stützen, die die größtmögliche Freiheit
der räumlichen Aufteilungen gibt. Voraussichtlich wird sich in der
Philosophischen Fakultät, für die dieses Haus entstand, im Laufe
der nächsten Jahrzehnte noch vieles umgruppieren.
Schon jetzt hatten wir mit den verschiedenartigen Wünschen für
die Raumeinteilung zu rechnen, die sogar während der Bauzeit
öfter geändert wurde. Wie groß soll z.B. ein Seminarraum sein?
Da hatten wir uns nach den angegebenen Zahlen zu richten.
Wenn aber die Tendenz dahin geht,
künftig wieder
Seminare mit weniger Teilnehmern zu
veranstalten, dann
wird in diesem
Hause die räumliche Veränderung
relativ einfach sein.
Für den Architekten
hieß da: „flexibel“
bauen. Er muss Räume vergrößern und
verkleinern können,
evtl. auch Stockwerke zu einer Einheit
zusammenfassen,
er muss mit einem
Wort: „montieren“.
Dieses Gebäude ist
im Wesentlichen
ein Montagebau.
1960 FERDINAND KRAMER – Rede zur Übergabe des PHILOSOPHIKUMS
„DIESES GEBÄUDE IST IM WESENTLICHEN
EIN MONTAGEBAU.“
... Das Haus hätte sich natürlich auch als Eisenbeton-Konstruktion
ohne Innenstützen bauen lassen. Der
Bau hätte zweifellos wuchtig gewirkt
wie z.B. die repräsentative Fassade
vom Haus der Deutschen Kunst in
München, die den Nationalsozialisten so gut gefiel. Wir haben aber
eine Konstruktion vorgezogen, die
einerseits praktischer und andererseits billiger ist und die überdies mit
ihren Stützen sehr elegant wirken
kann: Den Stahlskelettbau mit
Außenstutzen ohne Betonummantelung. Diese Bauweise war bisher
nicht erlaubt. Auf unsere Anregung
hat die interessierte Industrie
umfangreiche Versuche angestellt,
um zu beweisen, dass bei Feuerkatastrophen die Außenstutzen nicht
den gefährlichen Temperaturen ausgesetzt sind, die der Gesetzgeber
annahm.
...“
1960 FERDINAND KRAMER – Rede zur Übergabe des PHILOSOPHIKUMS
„...
„SCHWIERIGER WAR HINGEGEN DIE FRAGE DER
EINRICHTUNG DER RÄUME...“
Wie soll ein Studierzimmer aussehen? In der Kunstgeschichte gibt es ein sehr
instruktives Beispiel für den Wandel der Ansichten zu diesem Thema. Ich meine das Gehäus des heiligen Hieronymus. Die ältesten Darstellungen zeigen
ihn auf einem Thron in der Kirche. Dann wird allmählich die Kirche zum
Gehäus. Die Kapellennischen beginnen sich mit Büchern zu füllen - vorzugsweise übrigens mit unordentlichen aneinander gelehnten und aufeinander
getürmten Folianten. Der Thron wird zum Stuhl und aus dem Altar macht der
Heilige einen Schreibtisch. Man merkt es daran, dass sich zu Kruzifix und
Bibel nacheinander Instrumente, Totenschädel, Sanduhr und andere arbeitshindernde, aber kontemplationsfördernde Gegenstände auf dem Tisch ansammmeln. Der Löwe vervollständigt das Interieur als romantisches Haustier. Er fehlt
in den späteren Darstellungen nie, ohne dass es jemals gelungen wäre, den
allegorischen Bezug dieses edlen Raubtieres auf die Tätigkeit des Forschers
hinreichend aufzuklären. Auch spätere, weniger fromme und weniger allegorische Zeiten haben das Gehäuse des Hieronymus noch lange als das Sinnbild
der Klause des gelehrten Mannes betrachtet. Türme von unaufgeräumten
Büchern, wenig bis gar kein Platz auf dem Schreibtisch und vor allem ein
ostentativ unausreichender Lichteinfall sind seine Requisiten. Woher kommt die
1960 FERDINAND KRAMER – Rede zur Übergabe des PHILOSOPHIKUMS
Unordnung? Ist sie vielleicht die notwendige Konsequenz davon gewesen,
dass die Kirche zum Interieur gemacht wird, dass Thron und Altar sozusagen
zum Hausgebrauch entweiht werden? Sicher ließe sich hier eine Innenarchitektonische Parallele zu der Verwirrung denken, die eintrat, als Gott sah, dass die
Menschen nicht ihm, sondern sich zu Ehren den babylonischen Turm bauten.
...“
1960 FERDINAND KRAMER – Rede zur Übergabe des PHILOSOPHIKUMS
„... UNSERE AUFGABE BESTAND NICHT DARIN, EINE
ARBEITSATMOSPHÄRE, SONDERN ARBEITSBEDINGUNGEN
ZU SCHAFFEN.“
„...
Als Architekt habe ich mir eine eigene Auslegung jener Tatsache der Unordnung gestattet: Hieronymus hat sich die Kapelle als eine Notwohnung eingerichtet und er wird mit den Bedingungen, die für einen anderen Zweck waren,
nicht fertig. Aus dieser Not hat man später eine Tugend machen wollen: die
Tugend des Geistes, der sich von keiner Unordnung, ja nicht einmal von
Löwen als Mitbewohnern am Denken hindern lässt.
Ich muss aber gestehen, dass ich mich an diesem Vorbild nicht orientieren
konnte. Unaufgeräumten Bauten und Einrichten ist eine Forderung, ähnlich der
berühmten Zauberregel, keinesfalls an einen weißen Elefanten zu denken. Und
was den gehinderten Lichtfall betrifft: ... unsere Aufgabe bestand nicht darin,
eine Arbeitsatmosphäre, sondern Arbeitsbedingungen zu schaffen. Richtiges
Licht, ausreichende Luft, angenehme Sitze, leicht transportable Tische (Möbel
kommt von mobile - beweglich), nicht zu lange Wege oder Kletterpartien zu
den Büchern und ähnliches mehr. Das ging allem anderen vor - jedoch nur bis
zu einer gewissen Linie, die heute oft und leicht überschritten wird. Es ist die
Grenzlinie zwischen dem Zweckmäßigen und dem Bequemen. Natürlich
haben wir darauf geachtet, dass den Benutzern dieses Hauses Möbel zur Verfügung stehen, die so bequem sind, dass sie lange sitzen können, ohne vom
Sitzen zu ermüden. Aber doch nur so, dass sie den Stuhl nicht störend empfinden und nicht etwa als Einladung zur völligen Entspannung, wie sie im Schlaf
eintritt. Es gibt eine Arbeitsbequemlichkeit und eine Ausruhbequemlichkeit und
beides sollte sauber geschieden bleiben.
1960 FERDINAND KRAMER – Rede zur Übergabe des PHILOSOPHIKUMS
„MÖBEL KOMMT VON MOBILE – BEWEGLICH“
...“
FERDINAND KRAMER – Funktionsbeschreibung PHILOSOPHIKUMS
FERDINAND KRAMER: KOSTEN- UND
FUNKTIONSKURZBESCHREIBUNG
DES PHILOSOPHIKUMS
„...
1960
Das Philosophische Seminargebäude ist
ein Stahlskelett-bau bei dem Fertigteile,
Curtainwalls, vorgefertigte Wände und
Aluminium-Fenster-Elemente verwendet
wurden. Die tragenden Stützen liegen
außerhalb des Gebäudes und lassen
somit den Innenraum für jede gewünschte Einteilung frei.
Der 9-geschossige Hochhausbau ist der
erste Eisenskelettbau in der Bundesrepublik, bei dem die Außenstützen nicht mit
Beton ummantelt sind. Diese Bauweise
war bisher nicht erlaubt. Auf unsere
Anregung hat die interessierte Industrie
umfangreiche Versuche angestellt, um
zu beweisen, dass bei Feuerkatastrophen die Außenstutzen nicht den gefährlichen Temperaturen ausgesetzt sind, die
der Gesetzgeber annahm. Dieser Bau
ist also als eine Ausnahme von dem
betreffenden Gesetz entstanden: er ließ
sich in kürzester Zeit mit weniger
Arbeitskräften verwirklichen, als es die
heute übliche Bauweise kann. Das
Eisenskelett wurde in drei Wochen montiert. Ohne Verzögerung bei der Auslieferung der Brüstungsplatten wegen des
Stahlstreiks in U.S.A. wäre der Bau in
einem Jahr fertig gewesen.
32.000 cbm umbauter Raum
5.350.000.– DM
Mit Gerät pro cbm 167.– DM
12 Seminare resp. Institute
rd. 1.000 Studenten
100 Doktoranden
27 Professoren
20 Assistenten, 8 Sekretärinnen,
14 Hilfskräfte, 13 Lektoren
...“
FERDINAND KRAMER
FERDINAND KRAMER
*22. Januar 1898, † 4. November 1985, bedeutender deutscher Architekt und Designer des Funktionalismus.
Ernst May berief Kramer 1925 in das Frankfurter Hochbauamt, wo
er an der Gestaltung des Neuen Frankfurt mitwirkte. Nach dem
Ausschluss aus der Reichskammer der bildenden Künste und dem
gleichzeitig erteilten Berufsverbot sowie der Anprangerung seiner
Arbeiten als „entartete Architektur“ entschloss Kramer sich 1938
zur Emigration in die USA. Dort arbeitete er zunächst für verschiedene Firmen, bis er 1940 die Zulassung als Architekt erhielt und
einen Auftrag des gleichfalls emigrierten Instituts für Sozialforschung
(„Institute of Social Research“) übernahm. Ferner richtete er Warenhäuser ein, entwickelte ein Ladeneinrichtungssystem und entwarf
Kombinationsmöbel. 1952 wurde Kramer vom damaligen Rektor
Horkheimer nach Frankfurt berufen und arbeitete bis 1964 als Baudirektor der Johann Wolfgang Goethe-Universität. Er leitete den
Wiederaufbau der zerstörten Universitätsgebäude und erstellte
einen Gesamtplan für die Universität, der 1955 noch einmal überarbeitet wurde. Zusammen mit seinen Mitarbeitern entwarf er 23
Universitätsbauten sowie deren gesamte Inneneinrichtung.
BILDNACHWEIS UND
DANKSAGUNG
Das Bildmaterial und die Originaltexte stellte ausnahmslos Frau Professor Lore Kramer aus Archivbeständen von Ferdinand Kramer zur
Verfügung. Wir danken ihr herzlichst für ihre großartige Unterstützung. Die Fotografien stammen unserer Kenntnis nach ausschließlich aus dem Jahr 1960.
DW DREYSSE – Materialien zum PHILOSOPHIKUM
UMWANDLUNG DES FRANKFURTER
„PHILOSOPHIKUMS“ IN WOHNUNGEN
„...
Das Gebäude des Philosphikums ist einer der hervorragendsten
Universitätsbauten von Ferdinand Kramer und steht unter Denkmalschutz. Seine Archiktektur war als Manifest für eine radikale
Erneuerung Ende der 50er Jahre konzipiert. Sie knüpft einerseits an das neue Frankfurt der 20er Jahre, wie auch an die
Errungenschaften nordamerikanischen Bauens der 40er Jahre
an.
Das Gebäude sollte deswegen erhalten werden, auch wenn es
augenblicklich durch seinen heruntergekommenen Zustand eher
abstoßend wirkt.
...“
DW DREYSSE – Materialien zum PHILOSOPHIKUM
Philosophikum Ansicht „Parkseite“
Philosophikum Ansicht „Parkseite“.
Skizze mit Balkon. Die Flexibilität der Kramerschen
Bauweise erlaubt auch diese Variante.
DW DREYSSE – Materialien zum PHILOSOPHIKUM
ERHALT UND UMWANDLUNG DES PHILOSOPHIKUMS
WEISEN FOLGENDE VORTEILE AUF
„...
EINS
Der Bebauungsplanentwurf für das ehemalige Universitätsareal sieht an dieser
Stelle entlang der Gräfstraße Wohnen vor. Die vorhandene Bruttogeschossfläche entspricht der vorgesehenen Neubebauung. Auch die erzielbare Wohnfläche ist vergleichbar groß.
Skizze:
Ausschnitt aus Bebauungsplanentwurf / Gräfstraße
Skizze:
Variation Bebauungsplanung Gräfstraße bei Erhalt des
Philosophikums / DW DREYSSE
DW DREYSSE – Materialien zum PHILOSOPHIKUM
ZWEI
Die im Philosophikum realisierbaren Wohnungen sind als
Loftwohnungen* geplant, exzellent orientiert und belichtet.
Diese Qualitäten können die Neubauten nach den Bebauungsplanentwurf nicht aufweisen.
...“
Eine Maisonette bzw. Maisonettenwohnung (frz. maison
= Haus, -ette: Verkleinerungsform) ist ein spezieller
Wohnungstyp, bei dem der
Wohnraum zusammenhängend mindestens zweistöckig innerhalb des Gebäudes angeordnet ist.
*Ein Loft, im Deutschen als Kurzform für Loftwohnung, ist ein zur Wohnung umfunktionierter Lager- oder Industrieraum. Das
Wort stammt aus dem Englischen und bedeutet schlicht Dachboden bzw. Speicher.
DW DREYSSE – Materialien zum PHILOSOPHIKUM
„...
DREI
Die Umwandlung des Philosophikums und damit der Verkauf des
dazugehörenden Grundstücks können sofort erfolgen. Die Verabschiedung eines B-Plans* für das Uni-Areal muss nicht abgewartet
werden.
*B-Plan. Ein Bebauungsplan regelt die Art und Weise der möglichen Bebauung von parzellierten Grundstücken und die Nutzung
der in diesem Zusammenhang stehenden von einer Bebauung frei zu haltenden Flächen. Der Bebauungsplan für das
Areal Campus Bockenheim ist noch nicht beschlossen. Seit 2004 liegt ein „Rahmenplan“, die Vorstufe zu einem verbindlichen B-Plan. Der B-Plan bedarf der Zustimmung der Stadtverordnetenversammlung und muss in einer 4-wöchigen
Offenlage den Bürgern vorgestellt werden. In dieser Offenlage ist Widerspruch möglich.
DW DREYSSE – Materialien zum PHILOSOPHIKUMS
VIER
Mit der Umwandlung könnte für die Öffentlichkeit das beachtenswerte Zeichen gesetzt werden, dass der Neuanfang in Bockenheim nicht mit Abbruch und Tabula Rasa beginnen muss.
DW DREYSSE, Professor Dipl. Ing., Architekt BDA. Mitglied des
Städtebaubeirats der Stadt Frankfurt.
Text, Fotos und Skizzen von DW Dreysse
Die Herausgabe der vorliegenden Broschüre wurde unterstützt von
der GEW Studierenden-Gruppe Frankfurt am Main.
...“
HERAUSGEBERINNEN – Materialien zum PHILOSOPHIKUM
Initiative Zukunft Bockenheim
Stadtteilbüro | Leipziger Str. 91
60487 Frankfurt
Telefon 069 71914944
www.zukunft-bockenheim.de
[email protected]
Öffnungszeiten
Dienstag-Freitag 15 bis 19 Uhr.
Samstags 11 bis 16 Uhr.
Ratschlag Campus Bockenheim
Angelika Wahl
Telefon 069 77 45 83
[email protected]
konzeptdesign+realisation_a.mönich_i_zukunft_bockenheim
Alexander Kluge 1958: „Bei weitem die glänzendsten Leistungen sind für mich die Universitätsbauten von
Ferdy Kramer in Frankfurt am Main: Der Hörsaal-Kubus, das Seminar-Hochhaus, das Biologische Camp, die
neue Mensa und die erst entworfene Universitätsbibliothek. Hier entsteht eine Universität aus einem geistigen Zusammenhang, und ich bin sicher, daß mehr noch als das, was in dieser Universität geschieht, das
Gehäuse die nächsten hundert Jahre überstehen wird. Kramers Bauen ist funktionell, billig und von einer
fast zarten Form, wie ich Ähnliches sonst in Deutschland kaum kenne.“
Frankfurt am Main 2010
Herunterladen