Geschichte Die Klarinette hat keine wirklichen Vorfahren Die meisten Instrumente, die wir heute kennen, sind Weiterentwicklungen schon sehr alter Instrumente. Das gilt auch für die meisten Holzblasinstrumente. Flöten aus Knochen sind schon in der Steinzeit benutzt worden. Die älteste bekannte Flöte stammt aus Baden-Württemberg und ist ca. 35.000 Jahre alt. Sie wurde aus einem Schwanenknocken hergestellt - zu einer Zeit, als Bohrer noch völlig unbekannt waren. Sie ist recht sauber (!) pentatonisch gestimmt. Das ist bestimmt kein Zufall und spricht dafür, dass es schon vor 35.000 Jahren ein klares Tonsystem gab, Pentatonik ist ja auch heute noch ein in der ganzen Welt verbreitetes System (z.B. chinesische Musik). Ein Tonsystem braucht man aber eigentlich nur, wenn mehrere Musiker zusammen spielen müssen - gab es also schon in der Steinzeit in Baden-Württemberg Holzblasensembles? Vermutlich müssen wir uns wohl an diesen Gedanken gewöhnen; gemeinsam Musik zu machen, scheint zum Menschsein dazuzuzgehören. Man nimmt heute an, dass sich die Vorfahren der modernen Holzblasinstrumente in Kleinasien entwickelt haben, und dann über die Türkei nach Europa gekommen sind. Doppelrohrinstrumente wie das Aulos auf dem etruskischen Bild waren beispielsweise schon im alten Ägypten und Griechenland bekannt, man sieht sie auf Wandmalereien in Grabkammern und auf Weinkrügen. Diese Instrumente entwickelten sich schrittweise weiter - über das in türkischen Tanzmusikgruppen heute noch benutzte Instrument bis hin zur heutigen Oboe und zum Fagott. Die Klarinette aber ist ein Instrument, das praktisch um 1700 "erfunden" wurde; sie ist die Ausnahme, die nicht über eine schrittweise Weiterentwicklung eines bereits bestehenden Instruments entstand. Das Chalumeau Es gab zwar schon sehr lange Instrumente mit einfachem Rohrblatt, die als Hirteninstrument bekannt waren: Das Zummarah und das Arghul. Bei ihnen war das Blatt aus dem Rohr selbst herausgearbeitet. Wenn man von einem Vorfahren der Klarinette sprechen will, ist es am ehesten das in Europa verbreitete Chalumeau (sprich: Schalumoh). Der Name kommt aus dem Griechischen/Lateinischen: (von Calumus = Rohr). Das Chalumeau wurde im Deutschen auch Schalmei genannt. Es war ein Hirteninstrument und wurde fast immer solo, also allein, gespielt: ("Es tönen die Lieder, der Frühling kehrt wieder, es spielet der Hirte auf seiner Schalmei..."). Unter Schalmei versteht man aber auch ein doppelrohriges, also ein oboenähnliches Instrument. Dieses Instrument hat wiederum nichts zu tun mit dem heute Schalmei genannten, mehrrohrigen Blasinstrument. Es gibt leider keine erhaltenen Chalumeaus mehr, aber man nimmt an, dass sie ziemlich ähnlich wie eine Blockflöte ausgesehen haben müssen, und wie die untere Oktave der heutigen Klarinette klangen. Man weiss, dass es nur um die neun Töne (das untere Register der heutigen Klarinette) spielen konnte. Darüber hinaus stimmte es nicht besonders gut. Deshalb war es für die meisten Komponisten und ernsthaften Musiker uninte- ressant (für einen einsamen Hirten, der ja nicht mit anderen zusammen spielt, fällt das aber nicht so ins Gewicht). Es wurde nur selten eingesetzt, wenn man eine Hirtenszene darstellen wollte. Warum gibt es keine Vorfahren der Klarinette? Das Problem bei der Entwicklung der Klarinetten-ähnlichen Instrumente wie dem Chalumeau wird deutlich, wenn man sich klarmacht, was passiert, wenn man eine Tonleiter auf einem Instrument wie der Blockflöte spielt: Es gibt acht oder neun Tonlöcher für die untere Oktave (man hat ja 10 Finger), und dann ein Oktavloch. Bei allen anderen Blasinstrumenten (eben ausser der Klarinette) führt das "Überblasen" oder das Öffnen eines Oktavlochs dann dazu, dass die Töne, die man dann greift, genau eine Oktave höher klingen. Das lernt man schnell, und es hat für den Instrumentenbauer Vorteile: Die Löcher und ihre Abstände für die obere Oktave sind genau die gleichen wie für die untere Oktave. Bei der Klarinette ist das aber anders: Überbläst man die Klarinette (bzw. drückt die Überblasklappe) erklingt sie eine Oktave plus eine Quinte höher, also 8 + 5 = 12 Töne, eine sogenannte Duodezime. Das muß ein Spieler erst lernen. Es hat aber auch vertrackte Rückwirkungen auf den Aufbau des Instruments: Die Lochabstände für den unteren Tonbereich müssten andere sein als für den oberen. Da das nicht so einfach geht, muß man einen Kompromiss finden. Das haben die Instrumentenbauer vor 1700 nicht beherrscht, vor allem, weil sie den theoretischen Hintergrund nicht kannten. Erfindung der Klarinette C. H. Denner hatte es nun nach langem Experimentieren mit dem Chalumeau geschafft, ein Instrument zu bauen, mit dem man nicht nur die Naturtöne (also das untere Register, dass heute bei der Klarinette folgerichtig auch Chalumeau-Register heisst) spielen konnte, sondern eben auch halbwegs sauber die oberen Töne, indem man es überblies. Darüber hinaus musste er die Töne, die direkt unter dem Duo-Dezim-Sprung liegen, durch zwei zusätzliche Löcher (Klappen) hinzufügen. Die Probleme bei der Stimmung musste man mit dem Ansatz ausgleichen. Die ersten Klarinetten waren noch sehr einfach und sahen wie eine etwas grössere Blockflöte aus, mit anfangs zwei, später drei Klappen, aber sie hatten jetzt plötzlich einen grösseren Tonumfang als eine Oboe oder Trompete. Daneben konnte man verhältnismässig laut spielen, und technisch komplizierte Läufe ausführen. Man ersetzte mit dem neuen Instrument zuerst die hohen Trompeten, die sogenannten "Clarini". Daher dürfte sich auch der Name des Instrumentes ableiten. Das Instrument war eine Sensation, und verbreitete sich ungeheuer schnell. Vivaldi schrieb bereits 1740 drei Concerti grossi, und Händel komponierte 1748 eine Ouvertüre, wo er Klarinetten in d einsetzte. Es wird weithin angenommenue dass es Denner war, der das Instrument erfand; nur über ihn existiert ein kurz nach der Erfindung erscheinender namentlicher Hinweis. In letzter Zeit wird diskutiert, ob es eventuell auch andere Erfinder gab. Dafür gibt es aber bisher keine gesicherten Anhaltspunkte. Im Orchester in Mannheim gab es um 1760 bereits dauernd zwei Klarinettenstimmenue wobei diese Musiker gleichzeitig noch Oboisten waren. Ab 1778 waren es "volle" Klarinettisten. Kurz danach schrieb Mozart bereits seine ungeheuer anspruchsvollen Klarinettenwerke, unter anderem das berühmte Konzert in A für Bassettklarinette. Zu der Zeit hatten Klarinetten maximal fünf Klappen, kaum vorstellbar, dass man solche Stücke damit spielen konnte, aber es muss gegangen sein; denn die Kritiker waren begeistert. Iwan Müllers Klappen Iwan Müller war ein deutscher Klarinettenvirtuose und Instrumentenbauer, der die Klappenmechanik revolutionierte. Während die alten Klappen eine einfache Kipp-Mechanik und ein Filzpolster hatten, so dass sie nie wirklich perfekt schlossen, entwickelte er die Löffel-Klappe mit Lederpolster und die versenkten Löcher mit erhabenem, konischen Ring, wie sie heute üblich sind. Insgesamt hatte Müllers Klarinette 12 Klappen. Daneben veränderte Müller das Blatt bis nahe in seine heutige Form und entwickelte die Blattschraube. Leider akzeptierte das Pariser Konservatorium seine Entwicklungen im Jahr 1812 nicht, weil man dort glaubte, dass eine chromatische Klarinette, also eine, die jede Tonart spielen kann, den spezifischen Charakter der unterschiedlichen Klarinetten zerstören würde. Man war überzeugt (und ist es ja zum Teil noch heute) dass einzelne Tonarten einen bestimmten Charakter haben. Klosés Instrument (Boehm) setzt sich in Frankreich (und dann in der Welt) durch Kurz danach brachte der deutsche Flötenbauer Theobald Boehm zwei Verbesserungen in den Instrumentenbau: Zum einen schaffte er eine mathematische Grundlage zur perfekten Berechnung der Position Tonlöcher, und zum anderen erfand er die Ringklappe. Die Ringklappe ermöglicht es, ein Loch zu schliessen, dass grösser ist, als der Finger, wobei der Finger genau auf der Ringklappe liegt. Auf dieser Basis hatte der Franzose Hyacinthe Klosé das "Boehm"-Klarinettenmodell entwickelt, das sein Instrumentenbauer Buffet 1839 baute. Klosé hatte es geschickter angestellt als Iwan Müller, sein Instrument wurde von der Pariser Akademie akzeptiert und wird heute in der ganzen Welt (mit Ausnahme Deutschlands und Oesterreichs) gespielt. Deutschland verfolgt einen eigenen Weg In Deutschland wurde das Boehm-System nicht übernommenue sondern das Müller-System verbessert. Eine Gegenüberstellung der beiden modernen Systeme findet sich hier. 1860 wurde die Klarinette von C. Baermann (von dem auch die bekannte Klarinettenschule stammt) überarbeitet. Einigen großen Anteil an der Entwicklung des deutschen Systems hat auch der berühmte Adolphe Sax, der belgische Erfinder des Saxophons. Das heute in Deutschland standardmäßig eingesetzte Instrument ist ein Oehler-System, das auf Oskar Oehler zurückgeht, einen Berliner Instrumentenbauer um 1900. Diese heutige Form der Klarinette hat 22 Klappen und 5 Ringe. Beide Systeme, Boehm und Oehler, sind heute im wesentlich gleichwertig, wenn auch im Klang und der Spieltechnik unterschiedlich. Dadurch entstehen Probleme für Komponisten und Spieler, wenn sie Stücke für das jeweils andere System schreiben oder spielen müssen. Grundsätzlich kann man sagen, dass gute Komponisten sich immer mit den Stärken und Schwächen der Instrumente auseinandersetzen; daher kann es manchmal grifftechnische Probleme auf dem einen System geben, die mit dem ursprünglich vorgesehenen (anderen) System ganz leicht gehen. Viel gravierender ist allerdings noch der Unterschied im Klang und dass vom nicht-deutschen Komponisten als selbstverständlich angenommene Vibrato, dem ein deutsches Instrument mehr Widerstand entgegensetzt und das wir auch nur selten lernen (siehe hierzu das Kapitel Klang). Das Oehler System hat eigentlich nur einen gravierenden Nachteil gegenüber Boehm: Bei zwei qualitativ vergleichbaren Instrumenten ist das Boehm System deutlich (zwischen 30% und 50%) günstiger. Sicher gibt es auf der Profi-Instrument-Seite deutsche Werkstätten, an die niemand sonst heranreicht, aber das ist für die Mehrheit von uns ja eher uninteressant. Da der Klang der modernen Boehm-Instrumente eher am Spieler liegt, und die ganze Bandbreite auch bei uns angeboten wird, fangen vor allem die Amateure an, umzudenken. Der Autor kann sich vorstellen, dass dies auf sehr lange Sicht das Aus für das Deutsche System bedeuten kann. Nur im Profibereich - hier muss man zumindest noch deutsch spielen - werden sich die Top-Instrumentenbauer sicher noch lange halten können. Sieht aus wie Deutsch und ist kein Oehler? Ein drittes System? In der Dixieland Band spielt ein alter Klarinettist auf etwas, dass eher Deutsch aussieht - es hat die typischen Gleitrollen, aber das Klappensystem sieht einfacher aus. Und so könnte man doch nicht Glissando auf einer deutschen Klarinette spielen? Dann ist es ein Albert System, ebenfalls ein Nachfahre des Müller Systems. Es hat sich im Jazz und der orientalischen Musik (Türkisch, Klezmer) gehalten, und wird hierfür auch noch hergestellt.