Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Praktische Ethikberatung in der Behindertenhilfe Fachtag „Eingliederungshilfe und Ethik“ Berlin, 21. April 2016 Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Klinische Ethikarbeit 1986 Ethikkommission Bethel 1996 Workshops Top-Down 1997 Arbeitsgruppen der Kliniken 2001 Koordinatorin 2002 Visiten auf Intensiv 2003 Ethikkomitee 2005 Klinischer Ethiker 2007 Ethikberatungsdienst 2011 Ausweitung der ethischen Visiten 2012 zusätzliche Klinische Ethikerin Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Die Arbeit der Klinischen Ethik • Anregung und Begleitung von Projekten – PV in einfacher Sprache – Umgang mit PV im pflegerischen Alltag – Unterstützung bei belastenden Situationen – Erarbeitung von Leitlinien • Handlungsempfehlung „Social Media“ • Fortbildung, Vorträge • Unterrichte, Ausbildung • Beratung zu PV und Vorsorgevollmacht • Rechtliche Entwicklungen – assistierter Suizid, Zwangsbehandlung • Mitarbeit im Klinischen Ethikkomitee und in externen Gremien • Qualifizierte Begleitung von Schwerstkranken im Krankenhaus • HELP+ • DNR-Dokumentation • Publikationen, wissenschaftliche Aktivitäten • PEG-Sonden • Fortbildungsblock „Palliative Versorgung im Krankenhaus“ Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Ziele ethischer Fallberatung verantwortungsvolle Entscheidungsfindung im Sinne und zum Wohl des Patienten/Bewohners durch Einbeziehung möglichst aller relevanten Perspektiven • • • • • • • Aufzeigen ethischer Fragestellungen Eruierung des Patientenwillens Ermittlung von Handlungsoptionen im konkreten Fall Abstimmung der weiteren Behandlung Erarbeitung einer Empfehlung Entlastung des Patienten, der Angehörigen und der Mitarbeitenden Entwicklung einer ethischen Kultur Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Formate der Ethikberatung • Klinisches Ethikkomitee • Ethische Visiten • Ethische Fallgespräche • Einzelgespräch, telefonische Beratung • … Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Klinisches Ethikkomitee • offizielles, beratendes Gremium • wird gefragt und ungefragt tätig • Mitglieder werden von der Geschäftsführung entsprechend der Satzung berufen • Zusammensetzung möglichst repräsentativ für die Berufsgruppen und Abteilungen der Einrichtung • Gäste werden bei Bedarf, beispielsweise zur Einbringung ihrer Expertise, eingeladen • Empfehlungen können von der zuständigen Hierarchieebene als Leitlinie oder Dienstanweisung in Kraft gesetzt werden • Arbeitsfelder einrichtungs- und patientenbezogen Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Ethische Visiten • ethische Visiten als fester Bestandteil der Dienststruktur • Vorteil: 1. 2. 3. 4. 5. zeitnahe Bearbeitung aktueller ethische Fragestellungen ohne nennenswerten Mehraufwand Regelmäßigkeit: drängende Themen werden nicht verschoben präventive Ethik Sensibilisierung der Beteiligten für ethische Fragestellungen im Krankenhaus Entlastung der Mitarbeiter und Zunahme der Arbeitszufriedenheit Ausbildungsfunktion Kobert, K.; Löbbing, T.: Erfahrungsbericht zu Ethikvisiten und ethischen Liaisondiensten als Elemente der Ethikberatung. In: Florian Steger (Hrsg.) (2013): Klinische Ethikberatung. Grundlagen, Herausforderungen und Erfahrungen. Mentis-Verlag. S. 113-126. Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Ethische Fallgespräche • Ethikberatungsdienst: 12 in Ethikberatung ausgebildete Personen (Ärzte, Ethiker, Sozial- und Milieupädagogen, Pflege, Psychologie, Seelsorge) • • • • • • • Moderator und Ko-Moderator bei Bedarf kurzfristige Anberaumung Teilnahme ist freiwillig prospektiv ausgerichtet Dokumentation Evaluation Rückmeldung an das KEK • juristische Verantwortung bei den behandelnden Ärzten und den Patienten bzw. ihren gesetzlichen Vertretern Kobert K., Pfäfflin M. Der klinische Ethikberatungsdienst im Ev. Krankenhaus Bielefeld. Ethik Med (2008); 20: 122-133 Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Rückblick (Ethikkonsile im EvKB und den vBS Bethel 2006-2015, N=434) Beteiligung eines gesetzlichen Vertreters des Patienten an ethischen Fallgesprächen 57,1% 61,7% 56,1% 56,9% 2012 2013 75,0% 73,0% 2014 2015 48,9% 39,6% 35,7% 22,9% 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Ethisch-rechtliches Fundament der Behandlung bei fehlender medizinischer Indikation Patientenwille (Einwilligung) Medizinische Indikation Therapie Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Ethisch-rechtliches Fundament der Behandlung bei Ablehnung durch den (mutmaßlichen) Patientenwillen Patientenwille (Einwilligung) Medizinische Indikation Therapie Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Patientenwille • • • • aktuell geäußert verfügter Wille mutmaßlicher Wille natürlicher Wille, nonverbale Äußerungen Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Grenzen der konventionellen Patientenverfügung Mittel der Inklusion Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Das bin ich … Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Vorsorgeregelungen • Empfehlung: – Vorsorgevollmacht + Patientenverfügung • Der gesetzliche Vertreter ist immer an den Willen des Verfügenden gebunden • Beratung empfohlen, PV den eigenen Wünschen und Vorstellungen anpassen! Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Wertepluralität • Rechtliche Vorgaben • Patientenbezogen: Orientierung am – verfügten und/oder – mutmaßlichen Patientenwillen in seinem Umfeld: Angehörige, Pflege, Hausärzte, Sozialdienst, Seelsorge, Ehrenamtliche, MDK • Wertanspruch der Trägerorganisation, Leitbild – Ethischer Referenzrahmen • ungeschriebene Gesetze: „Bei uns verhungert niemand.“ • … Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Ethikkonsile (N=434, 2006-2015) Palliativstation; 2% Psychiatrie: Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie; 10% Pädiatrie allgemein; 1% Neurologie; 5% Psychiatrie: umliegende Fachkrankenhäuser; 5% externe somatische Gericht; 0% Kliniken; 0% Hospiz; 1% Urologie; 0% Psychosomatik; 0% Neurochirurgie; 1% Altenheim; 3% Mara II: allg. Somatik; 6% Ambulanter Pflegedienst; 0% Behindertenhilfe; 3% Chirurgie; 2% Der Weg nach Hause/Kinderhospiz Bethel; 2% Mara I: Epilepsiezentrum; 0% Mara Heimbeatmung; 4% Frauenklinik; 1% Gerontopsychiatrie; 2% Kinderintensivstationen; 14% Innere Medizin; 4% Kinderchirurgie; 0% Kidron; 1% Intermediate Care und Wachzimmer; 2% Intensivstationen; 29% Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Fragestellung in Ethikkonsilen in der Behindertenhilfe (N=41) Behandlungsauftrag; 2,4% Dialysierbarkeit; 2,4% Zwangsmaßnahmen; 2,4% DNR Order; 2,4% Selbstgefährdung; 2,4% Patientenwille; 4,9% Nahrungs- und Flüssigkeitsrestriktio n und PEG/PEJ; 56,1% Therapiegestaltung; 12,2% Therapieziel; 14,6% Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik PEG-Sonde - Basisüberlegungen • Medizinische Behandlung - legitimationsbedürftiger Eingriff • Abbruch einer PEG-Sondenernährung = Abbruch einer lebensverlängernden Maßnahme • Ethische Rechtfertigung für – Beginn – Fortführung der Sonden-ernährung – Abbruch keine absolute Verpflichtung zum Lebenserhalt: Selbstbestimmungsrecht respektieren Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Besondere Herausforderungen in der Behindertenhilfe Patientenwille Einwilligungsunfähigkeit Menschen • sind nicht mehr • oder waren noch nie in der Lage, ihren selbstbestimmten Willen zu bilden und zum Ausdruck zu bringen Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Im Zweifel… • Mutmaßlicher Patientenwille Angehörigengespräche • bei Unklarheit immer für das Leben systematische Benachteiligung von Menschen mit kognitiven Einschränkungen? Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Zuständigkeit bis 18 Jahre i. d. R. die Eltern als Sorgeberechtigte Handhabe, ausgehend von der Vorstellung des Wohlergehens des Kindes Grenzen: klare Indikation, Lebensgefahr ab Erreichen der Volljährigkeit Eltern als gesetzliche Betreuer Handhabe, Entscheidung anhand des mutmaßlichen Patientenwillens oft schwer oder unmöglich Indikation als Notausgang? Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik „Vor der Ethik kommt die Fachlichkeit.“ (H.-M. Sass) Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Fachlichkeit Starker Widerstand Komplikationsrate + Nebenwirkungen und Komplikationen sind schwerer zu erkennen • Erfahrenes Setting – Zentren für Behindertenmedizin ärztliche Diagnostik und Therapie sowie spezifische Pflege • personalintensive Versorgung Natürlichen Willen eher respektieren Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Spezielle Bedingungen: Akzeptanz des Natürlichen Willens Folge: nicht alles, was medizinisch möglich ist, ist allen zugänglich: Herz-OP, intensive Reha-Behandlung, … Vorsorgeuntersuchungen - wider Willen? Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Spezielle Bedingungen: Akzeptanz des Natürlichen Willens Ausgrenzend und diskriminierend? Ärztliche Alleinentscheidung? Ethikkonsil Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Eindrücke – Akutsituation vs. Lebensraum Intensivstation – schwerstkranker Patient mit hohem Leidensdruck – fehlende Ausdrucks- und Verständigungsmöglichkeiten – Abwehr und Widerstand gegen medizinische und pflegerische Maßnahmen Nicht vereinbar? in der Regel schon: Kommunikation, Ethikkonsil Eingliederungshilfe – Mensch mit guter Lebensqualität – im Umfeld zufrieden – mit Interessen, Vorlieben und Abneigungen Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Themen eines Ethikkomitees • Patientenverfügungen – DNR - Kurz PV • PEG, Ernährung • Selbstbestimmtheit – z. B. elektronische Ortungssysteme • Macht • Aggressionen von Bewohnern und Mitarbeitern, herausforderndes Verhalten • Verweigerung von Medikamenteneinnahme, Pflege, u. a. • FEM - Fixierung und Sturzprophylaxe • rechtliche Fragen, Gerichtsurteile • Sexualität • Bewohner in palliativer Therapie • Krankenhauseinweisung, ITS, … Dr. med. Klaus Kobert Abteilung für Klinische Ethik Entwicklung der ethischen Fallgespräche (N=434, 2006 - 2015) 70 60 50 40 30 20 10 0 2006 Anzahl 13 2007 14 2008 27 2009 46 2010 49 2011 48 2012 57 2013 65 2014 52 2015 63