Dialog-Diskussionsbeitrag Nr. 6 September 2006 Japan: Gründe für die anhaltende Stagnation Stefan Balduf Hanns Martin Schleyer-Stiftung Beiträge zum Dialogseminar in Blaubeuren 1 Inhaltsverzeichnis I. Problemstellung S. 2 II. Japan: Gründe für die anhaltende Stagnation S. 2 1. Die japanische „Bubble Economy“ S. 2 2. Wirtschaftspolitische Maßnahmen gegen die Stagnation S. 4 2.1. Geldpolitik S. 4 2.2. Fiskalpolitik S. 5 3. Die japanische Finanzmarktkrise S. 7 4. Japan in der Liquiditätsfalle S. 8 5. Kontrollierte Inflation als Lösung? S. 10 5.1. Zinsparität, relative Kaufkraftparität und negative Risikoprämie S. 10 5.2. Auswirkungen von Inflationserwartungen S. 11 III. Aktueller Ausblick S. 12 Literaturverzeichnis S. 13 Anhang S.14 2 I. Problemstellung Japan as Number One, ein Japan das von 1979 bis 1989 noch mit einer Wachstumsrate von durchschnittlich 3,9% des BIP glänzte1, das war einmal. Mittlerweile stockt der wirtschaftliche Motor in Japan. Vom Emerging Japanese Superstate ist man weit entfernt. Diese Arbeit soll einen Überblick darüber geben, wie es zu der lang andauernden Stagnation Japans kam. Zunächst wird auf die japanische Blasenwirtschaft eingegangen, die als Ursprung allen Übels gilt. Wir werden sehen warum geld- und fiskalpolitische Maßnahmen nicht fruchteten und welch entscheidende Rolle die japanische Finanzmarktkrise spielte. Schließlich wird untersucht, wie Japan durch eine kontrollierte Inflationspolitik die Krise bewältigen könnte. II. Japan: Gründe für die anhaltende Stagnation 1. Die japanische „Bubble Economy“ Die japanische bubble kann am besten mit der Konjunkturtheorie F.A. v. Hayeks erklärt werden. Sie besagt, dass Konjunkturumbrüche Folge einer verzerrten Zinsstruktur bei inflatorischer Geldmengenentwicklung sind. Es ergibt sich folgende Wirkungskette: Die Zinsen werden unter den Zinssatz bei freiwilligem Sparen gesenkt, stark steigende Investitionen und Aktienkurse sind die Folge. Die Kurs- und Preisentwicklung bei Aktien und Sachwerten löst sich schließlich von der wirtschaftlichen Entwicklung. Steigt nun der Zinssatz wegen eines Liquiditätsmangels an, der oft mit einer restriktiven Geldpolitik einhergeht, könnten sich die Aktien- und Sachanlagen als überbewertet erweisen. Dies zieht dann eine Strukturbereinigung nach sich, die Zulieferer, Abnehmer und Finanzinstitute in die Misere bringt.2 Ihren Ursprung hat die japanische bubble mit dem Plaza-Abkommen 1985, auf Basis dessen versucht wurde Wechselkurse politisch zu steuern.3 Japan, dessen Währung, der Yen, zu dieser Zeit aufwertete, kam dies gelegen: Die Bank of Japan konnte so mit einer expansiven Geldpolitik die Exporte fördern und der Aufwertung des Yen 1 vgl. Saxonhouse / Stern (2002), S. 1. vgl. Schnabl / Starbatty (1998). 3 Dies gelingt freilich nur, wenn die wichtigsten Notenbanken mitspielen (vgl. Schnabl / Starbatty (1998).). 2 3 entgegenwirken. Sie senkte die Leitzinsen. Somit nahmen die Investitionskosten ab und erleichterten die Anpassung der Exportunternehmen an die Aufwertung des Yen. Neben den niedrigen Zinsen kam noch ein zweiter Faktor ins Spiel: die risikofreudige Kreditvergabe der Banken – was Paul Krugman mit dem Begriff des moral hazard erklärt. Allgemein bezeichnet moral hazard eine Situation, in der jemand ein Risiko eingeht, für das er im Schadensfall nicht selber einsteht, sondern ein Dritter. Das heißt die Einleger der Hausbanken japanischer Keiretsu4 gingen davon aus, dass ihre Einlagen sicher seien, da ja der Staat hinter ihnen steht. Diese Sorglosigkeit wurde rigoros ausgenutzt. Zwar bestanden bei der Einlagenverwendung Beschränkungen, wie z.B. dass ein bestimmtes Maß an Eigenmitteln vorhanden ist. Doch diese wurden in den 80ern im Zuge der Deregulierung gelockert oder gänzlich aufgehoben. So war es nicht verwunderlich, dass mehr Kredite vergeben und die Bonitätsprüfungen lockerer durchgeführt wurden.5 Beides zusammen löste einen Spekulationsboom auf den Aktien- und Immobilienmärkten aus und trug dazu bei, dass die bubble wuchs und wuchs. So war der Gesamtwert der Aktien aller japanischen Unternehmen höher als der Gesamtwert der Aktien aller US-Unternehmen – und das bei nicht einmal der Hälfte der Einwohner und des BIP! Dass der ganze US-Staat Kalifornien weniger Wert war als das Grundstück des Kaiserpalastes (2,5 qkm), zeigt wie immens die Überbewertung auf dem Immobilienmarkt war.6 Doch jede Blasenwirtschaft hat früher oder später ihr jähes Ende: Als die besorgte Bank of Japan Anfang 1990 anfing die Zinsen nach und nach anzuheben platzte die bubble und die Kurse auf den Aktien- und Immobilienmärkten brachen ein. Repräsentativ dafür ist der Verlauf des Nikkei Index (vgl. Abb. 1). Die Konsequenzen waren rückläufige Investitionen, rückläufiger Konsum und daher rückläufige Gesamtnachfrage. Zwar erwirtschaftete Japan nach dem Platzen der bubble kontinuierlich Leistungsbilanzüberschüsse (vgl. Abb. 2) – eine Schrumpfung war seit 1991 nur in zwei von acht Jahren zu beobachten – doch man hatte zunehmend mit steigender Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Darüber hinaus war das wirtschaftliche Wachstum unterproportional zum 4 Keiretsu sind Gruppen gleichgesinnter Unternehmen, die um eine Hausbank herum organisiert sind. Da sie in der Regel stark aneinander beteiligt sind, bedarf es keiner besonderen Rücksichtnahme auf die Aktionäre seitens des Managements. 5 vgl. Krugman (2001), S. 95ff. und Schnabl / Starbatty (1998). 6 vgl. Krugman (2001), S. 93. 4 Wachstum der Produktionskapazitäten.7 Man sprach nun von einer Wachstumsdepression: Die Wirtschaft wuchs nicht stark genug um von den parallelen Kapazitätszuwächsen Gebrauch zu machen. Folglich nahm die Arbeitslosigkeit weiter zu und viele Produktionsstätten waren nicht ausgelastet. Dieser Zustand hielt gut 8 Jahre an und ehe man sich versah, war Japan in eine Wachstumsrezession geraten.8 Dies zeigte sich in dreierlei Hinsicht: Auf dem Gütermarkt mussten japanische Exportunternehmen Einbußen in Südostasien hinnehmen. Zudem waren Zweigwerke japanischer Unternehmen gezwungen, ihre Produktion zu drosseln oder kurzzeitig gar komplett stillzulegen. Dies veranschaulicht die Auswirkungen bei den Direktinvestitionen. Auf dem Kapitalmarkt nahm der Bestand fauler Kredite bedrohlich zu, was ausschlaggebend für die japanische Finanzmarktkrise war.9 2. Wirtschaftspolitische Maßnahmen gegen die Stagnation 2.1. Geldpolitik Auf dem Weltwirtschaftsgipfel 1987 in Venedig erklärten die G7-Staaten, außenwirtschaftliche Ungleichgewichte zu beseitigen, indem Überschussländer – allen voran Japan – die Binnennachfrage stärken und Überschüsse abbauen sollen.10 Japan wollte diesen Forderungen nachkommen und setzte auf eine expansive Geldpolitik. Dabei bediente sich Bank of Japan des Standardrezepts zur Rezessionsbekämpfung: Sie senkte den Zinssatz. Das heißt die Japaner sollten sich günstig Geld leihen können um zu konsumieren. Nach dem keynesianischen IS-LM-Modell verschiebt sich die LM-Kurve bei einer expansiven Geldpolitik nach rechts, die Zinsen sinken und die Investitionen steigen.11 12 Die Auswirkungen bei flexiblen Wechselkursen sind klar: Die Geldmenge M wird ausgeweitet, die Rendite auf Yen-Anlagen sinkt, der Kurs des Yen zum Dollar 7 Nur 1996 war ein gleichstarkes Wachstum zu erkennen. vgl. Krugman (2001), S. 100. 9 vgl. Schnabl / Starbatty (1998). 10 vgl. Schnabl (2000), S. 80f. 11 vgl. Görgens (2002), S. 154f. 12 Bei einer der keyensianischen Position entsprechenden vergleichsweise zinsunelastischen Investitionsgüternachfrage (steiler Verlauf der IS-Kurve) führt auch eine Zinssatzsenkung auf Null – wie es in Japan der Fall ist – nur zu einem geringen Anstieg des Gleichgewichtseinkommens (vgl. Görgens (2002), S. 154f.). 8 5 steigt, was einer Abwertung entspricht. Demzufolge steigen die Nachfrage nach japanischen Gütern und somit auch die Gesamtnachfrage. So senkte man in Japan seit den späten 80ern den langfristigen Zinssatz (vgl. Abb. 3) und weitete die Geldmenge kontinuierlich aus (vgl. Abb. 4). Im September 1995 wurde der Diskontsatz auf ein historisches Tief von 0,5% gesenkt. 13 Doch die Nachfrage stagnierte trotzdem. Aber warum war das so? Mitte der 80er sank der Leistungsbilanzüberschuss zwar im internationalen Vergleich (vgl. Abb. 5) und die Wirtschaft wurde angekurbelt, doch nach dem Platzen der bubble kehrte der Leistungsbilanzüberschuss auf das alte Niveau zurück. Das Problem war, dass die expansive Geldpolitik zwar kurzfristig wirkte, aber auf lange Sicht gesehen keinen konjunkturellen Aufschwung einleiten konnte.14 Das Versagen der Geldpolitik lässt sich ferner mittels der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage begreiflich machen. Sinkt das Preisniveau P bzw. wird die Geldmenge M ausgeweitet, steigt das Verhältnis von M zu P. In der Folge sinkt der Zins, die Investitionen und die Gesamtnachfrage steigen an. Weil aber der Nominalzins in Japan nicht weiter fallen konnte, da er sich bei Null befand, blieb der erhoffte Nachfrageeffekt aus. Es musste ein anderes Mittel herhalten: Die Fiskalpolitik. 2.2. Fiskalpolitik Ist aufgrund zu geringer privater Investitionsgüternachfrage keine Vollbeschäftigung möglich, so hilft in der Klassik eine expansive Fiskalpolitik15 weiter, die in einem klassichen Modell die gleiche Wirkung hat wie eine Erhöhung der privaten Investitionsgüternachfrage. 16 Im IS-LM-Modell entspricht dies einer Rechtsverschiebung der ISKurve. Die Wirkungskette ist wie folgt: Die Staatsnachfrage steigt und somit die Nachfrage nach japanischen Gütern und die Gesamtnachfrage. Ebenso steigt die Rendite auf Yen-Anlagen, der Yen wertet auf. Demgemäß gehen die Exporte zurück, die Importe steigen. Infolgedessen nehmen die Leistungsbilanz, die Nachfrage nach japanischen 13 vgl. Schnabl / Starbatty (1998). vgl. Schnabl (2000), S. 86. 15 Diese ist zum einen durch einen kreditfinanzierten Ausgabenanstieg des Staates möglich - der Staat investiert selbst - oder durch Steuersenkungen, was einer Erhöhung des verfügbaren Einkommens der Haushalte entspricht. 16 vgl. Görgens (2002), S. 182f. 14 6 Gütern sowie die Gesamtnachfrage wieder etwas ab - es kommt zu einem crowding out. Insgesamt verbleibt aber ein positiver Nettoeffekt. Die japanische Konjunktur stagnierte in den 90ern so stark wie noch nie seit der Nachkriegszeit. Dies begünstigte die japanische Wirtschaftspolitik, die nach Ito im Abschwung grundsätzlich zu einer nachfrageorientierten Finanzpolitik tendiert. 17 Forderungen nach einer Stimulierung der Inlandsnachfrage (naiju) machten sich breit. Der Begriff naiju verfolgt dabei zwei Ziele: erstens die Rückführung des Leistungsbilanzsaldos und zweitens die Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Nachfragestruktur zugunsten von ausländischen Gütern.18 Nun umfasst die Fiskalpolitik Staatsausgaben und Steuersenkungen. Schauen wir uns zunächst die Struktur der Steuern in Japan an. Die Ersparnisbildung war maßgeblich für den Leistungsbilanzüberschuss, nicht zuletzt weil insgesamt Kapitaleinkünfte auf ein Vermögen von 14,5 Mio. Yen steuerfrei waren (vgl. Tab. 1). So forderte das Ausland, die steuerliche Sparförderung abzuschaffen, was ab 1988 auch umgesetzt wurde. Man erhoffte sich dadurch eine geringere Sparquote und mehr Konsum. Zusätzlich wurden die direkten Steuern gesenkt, wie z.B. 1994 die Grunderwerb-, Einwohner- und Einkommensteuer. Doch waren diese Steuersenkungen der 90er meist zeitlich begrenzt und trugen nur wenig dazu bei, die Konjunktur anzukurbeln. Daneben wirkte die Einführung der Umsatzsteuer in Höhe von 3% im Jahre 1989 dem entgegen. Aufgrund der unentschlossenen Steuerpolitik, die erst mit der japanischen Finanzmarktkrise wieder in Diskussion geriet, setzte die japanische Regierung hauptsächlich auf eine nachfrageorientierte Fiskalpolitik. 19 In der Tat stellte die japanische Regierung im Zeitraum von 1986 bis 1998 zahlreiche Konjunkturprogramme auf die Beine, die zu mehr Arbeitsplätzen und einem Wirtschaftsschub führen sollten (vgl. Tab. 2). Doch die Zahlen sprachen dagegen: 1991 bestand noch ein Haushaltsüberschuss von 2,9% des BIP, 1996 jedoch ein Haushaltsdefizit von 4,3%.20 Die Ursache ist hier in der demographischen Entwicklung zu suchen.21 In Japan herrschte zunächst - wie in vielen Ländern - ein Babyboom. Später ging die Geburtenra17 vgl. Itô (1992), S. 162. vgl. Schnabl (2000), S. 87f. 19 vgl. Schnabl (2000), S. 90ff. 20 vgl. Krugman (2001), S. 106. 21 Diese erklärt möglicherweise auch die hohe Sparquote und die geringe Investitionsnachfrage Japans (vgl. Schnabl (2000), S. 60ff.). 18 7 te zurück. Das Durchschnittsalter stieg. Dies traf auch auf die Anzahl der Pensionäre zu, die Anzahl der Erwerbspersonen sank. Anstatt nun auf eine solide Haushalts- und Finanzpolitik zu setzen, wurde 1997 unter Premierminister Ryutaro Hashimoto die Umsatzsteuer – diese wurde im vorigen Absatz schon erwähnt – um 5% erhöht und Japan geriet wieder in eine Rezession. Wieder versuchte man mit deficit spending das Problem zu lösen. Dieser Versuch schlug aber fehl. 3. Die japanische Finanzmarktkrise Oft wird die Depression damit erklärt, dass die Bankenkrise von 1930 die Kreditmärkte langfristig lahm legte. Zwar wäre in Japan seitens der Wirtschaft genügend Investitionsbereitschaft und Bonität vorhanden gewesen, aber die Banken waren oftmals selbst Pleite oder verfügten nicht über die entsprechenden Mittel. Die zweite Möglichkeit die Wirtschaft in Schwung zu bringen bestand also darin, die Liquidität der Banken zu erhöhen. So bereitete den Banken der Abbau der faulen Kredite, die nach dem Platzen der Spekulationsblase 1991 entstanden waren, und die lange Stagnation Probleme. Die Zinsmargen waren mittlerweile im Vergleich zu den USA verschwindend gering (vgl. Abb. 5) und die Gewinnmargen der Banken sanken in den 90ern wegen der Niedrigzinspolitik auf ein Minimum (vgl. Abb. 6). Dementsprechend unlukrativ war die Vergabe von neuen Krediten, was vor allem kleineren Unternehmen zu schaffen machte. Größere Firmen traf dies nicht so hart, da sie einen besseren Zugang zum Kapitalmarkt hatten.22 Obendrein war es bei solch niedrigen Gewinnmargen nahezu unmöglich für die Banken Gewinne in ausreichender Höhe zu erwirtschaften, um Kreditausfälle zu decken und die faulen Kredite schrittweise abzuschreiben.23 Die Höhe der faulen Kredite bezifferte sich offiziell im März 1997 noch auf 27 Bio. Yen, im September 1997 schon auf 76 Bio Yen. Inoffizielle private Schätzungen gingen sogar von 80 bis 100 Bio. Yen aus, was ungefähr 20% des damaligen BIP entsprach.24 Bei einer (durchaus realistischen) 22 vgl. Motonishi / Yoshikawa (1999), S. 21. Taizo Motonishi und Hiroshi Yoshikawa sind sogar davon überzeugt, dass eine extrem schlechte Performance im Corporate Investment der wichtigste Faktor ist, um die lange Stagnation in Japan zu erklären (vgl. Motonishi /Yoshikawa (1999), S. 2. 23 vgl. Goyal / McKinnon (2003), S. 354 und Fukao (2003), S. 372ff. 24 vgl. Schnabl / Starbatty (1998). 8 Gewinnmarge von 2%25 würde es über 100 Jahre dauern, um die (inoffiziell geschätzten) Kreditausfälle zu kompensieren (vgl. Abb. 8).26 Verschärfend kam hinzu, dass die Mindesteigenkapitalquote auf 8% angehoben wurde.27 Warum erhöhten die Banken nicht einfach ihre Zinssätze im Aktivgeschäft? Mitsuhiro Fukao führt dies auf die sog. government-sponsored financial instituions (GSFIs) zurück, deren Anteil am Kreditmarkt im Jahr 2000 26% betrug. Außerdem besaßen sie entscheidende Wettbewerbsvorteile: Sie akzeptierten Sondertilgungen ohne Vertragsstrafen und da der Staat hinter allem stand, machten ihnen Kreditausfälle weit weniger zu schaffen. Somit konnten die Banken ihre Kreditzinsen nicht signifikant über denen der GSFIs ansetzen.28 So führt man die Liquiditätsfalle Japans – diese wird im nächsten Teil dieser Arbeit behandelt - auf die finanzielle Schwäche der Banken zurück. Dem sollte 1998 mit einem Bankenhilfsprogramm in Höhe von 500 Mio. Dollar entgegengewirkt werden. Doch die Banken hatten ja nicht die Vergabe von sauberen Krediten verringert, sondern die faulen Kredite abgebaut. Folglich blieb die gewünschte Kreditausweitung aufgrund der Rekapitalisierung aus und letztendlich schlug wieder ein Versuch fehl, die wirtschaftliche Lage zu verbessern.29 4. Japan in der Liquiditätsfalle Ausgangspunkt sind die bisherigen Geschehnisse: Da die langfristigen Zinssätze auf ein sehr niedriges Niveau gebracht wurden und die kurzfristigen sogar auf Null und die expansive Geld- und Fiskalpolitik der Deflation keinen Einhalt gebieten konnte, kam die Wirtschaft nicht in Schwung. Die Gewinnmargen der Geschäftsbanken wurden immer kleiner, die Vergabe neuer Kredite stetig unrentabler und es war nahezu unmöglich die Kreditverluste, die sich nach dem Platzen der Spekulationsblase offenbarten, aus aktuellen Gewinnen rasch auszugleichen. 25 Es wird vorausgesetzt, dass diese ceteris paribus konstant bleibt. vgl. Goyal / McKinnon (2003), S. 356. 27 vgl. Schnabl / Starbatty (1998). 28 vgl. Fukao (2003), S. 379f. 29 vgl. Krugman (2001), S.108f. 26 9 Darauf basierend herrscht unter den führenden Ökonomen mittlerweile Einigkeit darüber, dass sich Japan in der ach so gefürchteten Liquiditätsfalle befindet.30 Abb. 9 illustriert die Liquiditätsfalle mittels des IS-LM-Modells. Dabei wird bei der vollkommen zinselastischen Geldnachfrage eine Erhöhung des realen Geldangebots, bedingt durch Preisniveausenkungen oder expansive Geldpolitik, ohne Zinssatzsenkung in der Spekulationskasse aufgenommen. Eine expansive Geldpolitik wie in Japan hat eine Verschiebung von LM0 nach LM1 zur Folge. Der Zinssatz i und das Gleichgewichtseinkommen Y bleiben jedoch unverändert, da die Geldnachfrage im Bereich der Liquiditätsfalle parallel zur Abszisse verläuft.31 32 Paul Krugman veranschaulicht dieses Phänomen mit Hilfe seines Babysittingbeispiels.33 Überträgt man diese Metapher auf Japan, bedeutet das, dass in Japan in der Rezession selbst bei einem Nullzins gespart wird mit der Absicht, das Ersparte für bessere Zeiten aufzuheben. In der Tat ist die Sparquote in Japan sehr hoch (vgl. Abb. 10). Doch warum sparen die Japaner selbst bei einem Zinssatz von Null? Da in Japan Deflation herrscht, erhoffen sich die Sparer selbst bei einem Nullzins noch den Vorteil, dass ihr Geld in Zukunft an Wert gewinnt. Daher herrscht unter Ökonomen weitgehend die Meinung, dass sowohl eine weitere expansive Geld- und Fiskalpolitik als auch Strukturreformen nicht aus dieser Situation herausführen. 34 Einen der ersten Lösungsansätze lieferte Paul Krugman: „The answer is that an economy that is in an liquidity trap needs expected inflation – that is, it needs to convince the people that the yen they are tempted to hoard will buy less a month or a year from now than they do today.”35 Das heißt Japan benötigt, falls es sich wirklich um eine Liquiditätsfalle handelt, wovon Krugman ausgeht, eine kontrollierte Inflationspolitik. Doch dürfte dies in Japan ein grö30 vgl. Saxonhouse / Stern (2002), S. 12. vgl. Görgens (2002), S. 193. 32 Paul Krugman kritisiert, dass es sich beim IS-LM-Modell um ein quasi-statisches Modell handelt und es den Anschein erweckt, die Baisse könnte ewig dauern. Er favorisiert daher eine dynamische Analyse anhand des MM-CC-Modells. In diesem wird klar, dass es sich bei der Liquiditätsfalle um ein temporäres Problem handelt, welches nur eine Periode lang anhält. Dabei ist allerdings unklar, wie lange eine Periode ist (vgl. Krugman (1998a)). 33 vgl. Krugman (1998b). 34 vgl. Goyal / McKinnon (2003), S. 339. 35 vgl. Krugman (1998b), Note 2. 31 10 ßeres Unterfangen darstellen als erwartet, da die Übergewichtung der Preisstabilität fast schon Tradition hat. Sie ist daher politisch nur sehr schwer durchsetzbar. Ferner spricht die deflatorische Wechselkurentwicklung des Yen dagegen (vgl. Abb.11). 5. Kontrollierte Inflation als Lösung? 5.1. Zinsparität, relative Kaufkraftparität und negative Risikoprämie Um zu sehen, ob Inflationserwartungen das richtige Instrument darstellen, müssen wir zuerst einen Blick auf den Devisenmarkt werfen. Dort herrscht dann ein Gleichgewicht, wenn die Einlagen in allen Währungen dieselbe erwartete Rendite bieten. Dieses Gleichgewicht bezeichnet man als Zinsparität. In Japan sei die erwartete Rendite auf Anlagen in Yen, R¥, gleich der Rendite auf e E ¥/$ − E ¥/$ Anlagen in Dollar, R$, bereinigt um die erwartete Abwertungsrate, E ¥/$ 36 . Dabei e entspricht E ¥/$ dem erwarteten Wechselkurs von Yen zu Dollar und E ¥/$ dem aktuellen Kurs des Yen zum Dollar. Im Falle der Zinsparität gilt dann: R ¥ = R$ + e E ¥/$ − E ¥/$ E ¥/$ Rishi Goyal und Ronald McKinnon erweitern dieses Modell zusätzlich um eine negative Risikoprämie ϕ . Für eine japanisches Finanzinstitut ist eine Anlage in Dollaranleihen risikoreicher, da bei fallendem Yen/Dollar Kurs (= Aufwertung des Yen) die Anleihen beim Rücktausch von Dollar in Yen weniger Wert sind. Somit sinkt auch der Nettowert des Instituts selbst. Insofern stellt ϕ den Ausgabeaufschlag über das Wechselkursrisiko hinaus dar, den eine Dollaranleihe zahlen muss, um ein Finanzinstitut dazu zu bewegen, die Anleihe zu halten. Folglich ist ϕ für ein Gläubigerland wie Japan, dessen Forderungen in Dollar beziffert sind, negativ. Demzufolge hängt die Höhe von ϕ von dem Anteil an Forderungen bzw. Verbindlichkeiten in Fremdwährung und von der erwarteten Wechselkursabweichung. Je größer das Nettovermögen bzw. die Nettoverschuldung in 36 Je kleiner diese Ausdruck ist, desto weniger attraktiv ist die Anlage in Dollar. 11 Fremdwährung ist, desto negativer bzw. positiver ist ϕ . Folglich ist ϕ negativ korreliert ist mit dem Nettovermögen Fremdwährung.37 Insgesamt gilt bei Goyal und McKinnon: R ¥ = R$ + e E ¥/$ − E ¥/$ +ϕ E ¥/$ 5.2. Auswirkungen von Inflationserwartungen Schauen wir uns die Folge von Inflationserwartungen an: Wertet der Yen ab, bedeutet das, dass der Wechselkurs des Yen zu Dollar steigt. Der erwartete Wechselkurs des Yen e zum Dollar, E ¥/$ , ist dann größer als der aktuelle Wechselkurs des Yen zum Dollar, E ¥/$ . Die erwartete Abwertungsrate wird positiv, die erwartete Yenrendite auf Dollaranlagen steigt. Inflationserwartungen – wie sie Paul Krugman propagiert - hätten somit zur Folge, dass Auslandsinvestitionen in Dollar attraktiver werden.38 Die Japaner würden ihre Ersparnisse eher im Ausland anlegen, wodurch das Kapitalbilanzdefizit steigt und somit der Handelsbilanzüberschuss. Da dafür Yen in Dollar getauscht werden müssen, sinkt die Nachfrage nach Yen und er wertet ab. Japanische Exportgüter werden im Ausland billiger, Importgüter dagegen teurer – der Export steigt, der Import sinkt. Dadurch steigt auch der Handelsbilanzüberschuss an, was bedeutet, dass die Nachfrage nach japanischen Gütern insgesamt gestiegen ist – und wirkt somit unterstützend für einen wirtschaftlichen Aufschwung.39 Doch wie steht es mit den Inflationsauswirkungen beim erweiterten Modell von Rishi Goyal und Ronald McKinnon? Sie führen die negative Risikoprämie zurück auf die jahrzehntelange Akkumulation von Dollaranleihen innerhalb japanischer Finanzinstitute und Fluktuationen im Yen-Dollar-Kurs. Letztere erhöhen das Risiko für japanische Anleger, die Dollaranleihen halten. Sie plädieren für eine Stabilisation des Wech37 Dies steht im Einklang mit der Theorie der relativen Kaufkraftparität. Diese besagt, dass sich der Wechselkurs zweier Währungen innerhalb einer beliebigen Zeitspanne um den gleichen Prozentsatz ändert wie die Preisniveaudifferenz zwischen den beiden Ländern. Sie ist in folgender Formel dargestellt, wobei π US die erwartete Inflationsrate der USA und π JP die erwartete Inflationsrate Japans anzeigt: e E¥/$ − E ¥/$ = π US − π JP E¥/$ Goyal und McKinnon berechnen ihre negative Risikoprämie, indem sie das Modell der Zinsparität mit dem der relativen Kaufkraftparität zusammenführen (vgl. Goyal / McKinnon (2003), S. 342ff.). 38 Eine Zinssatzsenkung hätte den gleichen Effekt. 39 vgl. Krugman (2001), S. 113. 12 selkurses, um so die negative Risikoprämie zu reduzieren.40 Inflationserwartungen reduzieren demgemäß ebenfalls die Risikoprämie, können diese ab einem bestimmten Punkt sogar ins positive wenden. III. Aktueller Ausblick Ob sich Japan mit kontrollierter Inflation aus der Liquiditätsfalle befreien kann und die Strukturprobleme in den Griff bekommt, bleibt offen. Neue Wege, wie etwa Verkäufe fauler Kredite an private Investoren, die hoffen aus diesen noch Profit zu schlagen, könnten den Prozess beschleunigen. Aber neben dem maroden Finanzsektor sind noch weitere Sektoren zu deregulieren, um eine wirtschaftliche Erholung herbeizuführen. Doch aktuelle Daten (Tab. 3) zeigen, dass man von einer Gesundung der Wirtschaft noch ein gutes Stück weit entfernt ist. Wie lange Japan noch „das Damoklesschwert über der Weltkonjunktur“41 bleibt, wird sich zeigen. 40 41 vgl. Saxonhouse / Stern (2002), S. 13. vgl. Schnabl / Starbatty (1998) 13 Literaturverzeichnis Fukao, Mitsuhiro 2003: Japan’s Lost Decade and its Financial System. 2003, The World Economy 26, 3, 365-384. Görgens, Egon / Ruckriegel, Karlheinz 2002: Grundzüge der makroökonomischen Theorie. Bayreuth, 2002, 8. Auflage. Goyal, Rishi / McKinnon, Ronald 2003: Japan’s Negative Risk Premium in Interest Rates: The Liquidity Trap and Fall in Bank Lending. 2003, The World Economy 26, 3, 339-363. Itô, Takatoshi 1992: The Japanese Economy. Cambridge, Mass.: MIT Press, c1992. Krugman, Paul 1998a: Japan’s Trap. MIT, Mai 1998. http://www.pkarchive.org/japan/japtrap.html Krugman, Paul 1998b: Babysitting the Economy. MIT, August 1998. In: Slate - The Dismal Science, 13.08.1998. http://web.mit.edu/krugman/www/jpage.html Krugman, Paul 1999: Can Deflation be prevented? MIT, Februar 1999. http://web.mit.edu/krugman/www/deflator.html Krugman, Paul 2001: Die Große Rezession. München, 2001, 1. Auflage. Titel der amerikanischen Originalausgabe: The Return of Depression. Motonishi, Taito / Yoshikawa, Hiroshi 1999: Causes of the Long Stagnation in Japan during the 1990’s: Financial or Real? Nagasaki University, University of Tokyo, August 1999, CIRJE Discussion Paper No. CIRJA-F-56. http://www.e.u-tokyo.ac.jp/cirje/research/dp/99/cf56/dp.pdf Saxonhouse, Gary / Stern, Robert 2002: Japan’s Lost Decade: Origins, Consequences, and Prospects for Recovery. University of Michigan, 2002, RSIE Discussion Paper No. 484. Schnabl, Gunther / Starbatty, Joachim 1998: Im Strudel der japanischen Krise. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 194, 22.08.1998, 13. Schnabl, Gunther 2000: Leistungsbilanz und Wirtschaftspolitik – das Beispiel Japan 1980 – 1996. Baden-Baden, 2000, 1. Auflage. 14 Abb. 1: Langzeitchart des Nikkei 225 Quelle: www.trading-konzepte.de Abb. 2: Leistungs- und Kapitalbilanz i.w.S. Quelle: Schnabl (2000), S. 35. 15 Abb. 3: Nominaler langfristiger Zinssatz im internationalen Vergleich Quelle: Schnabl (2000), S. 51. Abb. 4: Jährliches Geldmengenwachstum (M1) Quelle: Schnabl (2000), S. 85. 16 Abb. 5: Leistungsbilanzentwicklung im internationalen Vergleich Quelle: Schnabl (2000), S. 103. Tab. 1: Steuervergünstigungen für Kapitaleinkünfte Steuervergünstigung Steuerbefreiung von Zinseinkünften auf Freibetrag maruyû Bankeinlagen, Wertpapiere und Investbis 3 Mio. Yen mentfonds tokumaruyû öffentliche Anleihen (bis 5 Jahre nach Ebis 5 Mio. Yen mission) zaikei zweckgebundenes Sparen von Angestellten bis 5 Mio. Yen unter 54 für Immobilienkäufe und Alterssicherung Postsparen Einlagen auf Sparkonten der Post bis 3 Mio. Yen zaikei (Postsparen) zweckgebundenes Sparen für Immobilienbis 0,5 Mio. Yen käufe auf Postkonten Quelle: Schnabl (2000), S. 89. Die Ausdrücke maruyû, tokumaruyû und zaikei lassen sich alle mit „Steuerbefreiung auf Zinseinkünfte“ übersetzen. Der Freibetrag entspricht dem Vermögen, dessen Zinseinkünfte unversteuert blieben. 17 Tab. 2: Konjunkturprogramme 1986 – 1998 Jahr / Regierung Summe Inhalt Sept. 1986 / Naka3,6 Bio. Yen öffentliche Investitionen sone 1987 / Nakasone 6,0 Bio. Yen öffentliche Investitionen Aug. 1992 / Miya8,6 Bio. Yen öffentliche Investitionen, Grundstückskäufe, zawa Zinssubventionen April 1993 / Miya13,2 Bio. Yen öffentliche Investitionen, Kredite an Kleinzawa und Mittelunternehmen, Stützung des Immobilienmarktes, Ausbau der sozialen Infrastruktur (Schulen/Universitäten) Sept. 1993 / Hoso6,25 Bio. Yen öffentliche Investitionen, Ausbau der sozialen kawa Infrastruktur, Stützung des Immobilienmarktes, Kredite an Klein- und Mittelunternehmen Feb. 1994 / Hoso15,25 Bio. Yen Senkung der Grunderwerbs-, Einwohner- und kawa Einkommensteuer um 20%, öffentliche Investitionen, Grundstückskäufe, Ausbau der sozialen Infrastruktur, Stützung des Immobilienmarktes, Kredite an Klein- und Mittelunternehmen, Agrarmarktsubventionen April 1995 / Muray9,5 Bio. Yen Milderung der Auswirkungen der Yenaufwerama tung, staatliche Hilfen für die Erdbebenopfer in Kobe, Importförderung, Förderung von Forschungseinrichtungen, Agrarmarktsubventionen Sept. 1995 / Muray14,22 Bio. Yen öffentliche Investitionen, Ausbau der sozialen ama Infrastruktur, Stützung des Immobilienmarktes, Wiederaufbau in Kobe, Agrarmarktsubventionen, Kredite an Klein- und Mittelunternehmen Dez. 1997 / Hashi2 Bio. Yen allgemeine Steuerentlastung moto April 1998 / Hashi16 Bio. Yen öffentliche Investitionen, Steuersenkungen, moto (3% BIP) Zinssubventionen, Subventionen Quelle: Schnabl (1998), S. 91. 18 Abb. 6: Ex-post Zinsmargen im Aktivgeschäft: Japan und USA Quelle: Goyal / McKinnon (2003), S. 353. Abb. 7: Ex-ante Gewinnmargen im Bankkreditgeschäft Quelle: Goyal / McKinnon (2003), S. 350. 19 Abb. 8: Zeit, die zum decken der Kreditausfälle benötigt wird, bei einem anfänglich gegebenen Anteil uneinbringbarer Aktivposten (Simulation). Quelle: Goyal / McKinnon (2002), S. 356. Abb. 9: Liquiditätsfalle im IS-LM-Modell i LM0 IS LM1 i0 = i1 Y0 = Y1 Quelle: Eigene Darstellung. Yr 20 Abb. 10: japanische Spar- und Investitionsquote Quelle: Schnabl (2002), S. 67. Abb. 11: Wechselkursentwicklung des Yen (Preisnotierung) Quelle: Schnabl (2002), S. 38. 21 Tab. 3: BIP, Arbeitslosenquote und Inflationsrate in % 1960 – 1991 1992 -2000 2000 2001 2002 2003 BIP-Wachstum 6,1 1,3 2,8 0,4 0,3 2,7 Arbeitslosenquote 1,8 3,4 4,7 5,0 5,4 5,3 Inflationsrate 5,3 0,4 -0,7 -0,7 -0,9 -0,2 Quelle: OECD. Für die Abschnitte 1960 -1991 und 1992 – 2000 sind die Durchschnittswerte angegeben. 2004 4,0 4,7 -0,1