F L U G P L A T Zdaktion Dienstag, 26. März 2013 re Jugend Bilder der jüdischen Kultur 22 Das Judentum und seine Feiertage Die Bilder, die auf dieser FLUGPLATZ-Seite den Davidstern bilden – das bekannteste Symbol des Judentums – sind fotografische Eindrücke unserer Autorinnen Christine Faget (22) und Ruth Juraschitz (19) aus der Welt der jüdischen Religion. Von oben angefangen im Uhrzeigersinn zeigen sie: religiöse Lektüre vor der Klagemauer in Jerusalem, einen orthodoxen Juden vor einer Plakatwand, die Alte Synagoge in Hechingen, einen jüdischen Jungen mitsamt seiner Kippa, gläubige Frauen vor der Klagemauer und einen Juden beim Binden eines Gebetsriemens. Alles, nur kein Brot Shalom allerseits! Am heutigen 26. März beginnt für gläubige Juden das Pessach-Fest. Es dauert acht Tage und erinnert an den Auszug des Volkes aus Ägypten, geführt von Moses – eines der fröhlichen Feste des Judentums. Grund genug für den FLUGPLATZ, mal nachzufragen, was da so passiert. Am Sabbat in Jerusalem Ich auf Reisen, am Sabbat in Jerusalem: Das bedeutet fast leere Straßen. Keine Busse. Viele religiöse Männer, die von Synagoge zu Synagoge gehen. Einmal in der Woche hält Jerusalem den Atem an, zumindest der jüdische Teil. Am schwierigsten war es für mich, dass keine Busse fuhren – nur Taxis. Arabische Taxis. Das erschwerte mir die Planung von abendlichen Aktivitäten deutlich. Freitagabends gab es bereits früher Abendessen als sonst: Damit das Personal pünktlich zum Sonnenuntergang, zu Beginn des Sabbats, zu Hause sein konnte. Weil klar war, dass wir das nicht schaffen würden, stellte uns das Hostel das Abendessen in Wärmebehältern zurück. Wir bedienten uns dann einfach selbst. Dafür bekamen wir mit, wie eine religiöse Familie in der Hostellobby Sabbat feierte, das traditionelle Gebet sprach, die Kerzen entzündete. Ein schönes Erlebnis. Allerdings gab es auch auf uns kurios wirkende Dinge. Der Aufzug etwa fuhr während des Sabbats ständig hoch und runter. Hielt auf jedem Stockwerk, sodass Menschen keine Knöpfe zu bedienen brauchten – das sei zu viel Arbeit, hieß es. Arbeit ist am Schabbat nämlich im Grunde verboten. RUTH JURASCHITZ, 19 Das Wort Judentum stammt vom Namen eines der zwölf israelitischen Stämme: „Juda“. Vor mehr als 3500 Jahren begann die Geschichte des Judentums. Von ihr handelt das gesamte Alte Testament der Bibel: Ein Mann namens Abraham vertraute nur einem einzigen Gott. Gott schloss mit ihm einen Bund der Freundschaft und der Treue. Das Volk Abrahams geriet in Ägypten in Gefangenschaft, Moses befreite es und führte es ins Land Kanaan zurück. Kanaan wurde nach dem jüdischen Glauben Abraham und seinen Nachkommen von Gott geschenkt. Auf ihrem Weg übergab Gott Moses auf dem Berg Sinai zwei Steintafeln: die zehn Gebote. Die Synagogen, von Juden auch als Beth Tefila (Haus des Gebets) oder Beth Midrasch (Haus des Lernens) genannt, sind keine reinen Gottesdienststätten. So gibt es in Synagogen auch angeschlossene Räume, in denen man sich zum gemeinsamen Schriftstudium trifft. Jede Synagoge beherbergt zudem eine Bibliothek – deshalb heißt Synagoge auf jiddisch auch „Schul“. Wichtige Gegenstände im Judentum sind die Kippa, die Kopfbedeckung der Männer, und die Thora, der erste und wichtigste Teil der hebräischen Bibel. Über 600 Vorschriften sind in der Thora vorhanden. Sie betreffen unter anderem das Essen, das koscher sein muss, das Beten und die angemessene Kleidung. Viele Juden tragen zum Beten armbandartige Gebetsriemen (siehe Bild auf der linken Seite). Männer tragen oft Gebetsschals. Im Judentum gibt es zahlreiche Feste. Derzeit ist die Zeit des Pessachfests – doch es gibt viele weitere: Rosch Haschana, der Neujahrstag, wird im Herbst gefeiert. Es ist die Erinnerung an den Beginn der Welt. Dort findet die Lesung von der BeinaheOpferung Isaaks durch Abraham statt. Sukkot, das Laubhüttenfest, erinnert an die Stämme, die durch die Wüste gewandert sind sowie an Gottes Hilfe und Rettung. Das Laubhüttenfest dauert sieben Tage. Man feiert fröhlich und ausgelassen. Es findet ebenfalls im Herbst statt. Simchat Tora ist das Fest der Gesetzesfreude. Es ist das Ende und der Neubeginn des Thora-Lesezyklus. Das Fest soll die Liebe und Verbundenheit zur Thora zeigen. Alle vorhandene Thorarollen werden aus dem Schrein genommen, es gibt Umzüge und Tänze mit der Thora. Das Channukkafest, das Lichterfest, wird etwa um die Weihnachtszeit der Christen herum gefeiert. Es ist die Erinnerung an die Neuweihe des Tempels im Jahr 164 v. Chr. Das Fest dauert acht Tage, es werden die acht oder neun Kerzen des ChannukkaLeuchters angezündet (die Menora hat nur sieben Kerzen). Das Fest Jom Kippur ist der Tag des Sünden-Erlasses und höchster jüdischer Feiertag. Man fastet tagsüber und arbeitet nicht. Fromme Juden tragen weiße Kleidung. Rundfunk und Fernsehen in Israel ruhen. Das neue Jahr wird um Mitternacht mit Feuerwerk freudig begrüßt. Das Pessachfest, das wie am heutigen Dienstag stets ungefähr zur Osterzeit stattfindet, dauert acht Tage. Der Haushalt wird gesäubert, etwa von allem, was mit Sauerteig in Berührung gekommen ist – unter anderem wird zur Zeit des Pessach nur ungesäuertes Brot gegessen (siehe Interview). Kinder befragen symbolisch den Vater nach der Bedeutung des Tages. Das Fest soll die Juden an den Auszug ihres Volkes aus Ägypten erinnern. MARLA GORENFLO, 16 „Es ist schwierig, die Regeln einzuhalten“ David Holinstat über Juden in Tübingen, religiöse Vorschriften, ihre strenge und liberale Auslegung und seine Lieblingsfeiertage Was wird an Pessach gefeiert? Wie viele praktizierende Juden in der Umgebung gibt es? Wo feiern die ihre Gottesdienste? FLUGPLATZ stellte diese Fragen David Holinstat, 58, dem Vorsitzenden des jüdischen Vereins „Bustan Shalom“. Wo befindet sich die nächstgelegene Gemeinde? Die IRGW (Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs) ist die Gemeinde für ganz Württemberg. Die Hauptsynagoge ist in Stuttgart. Sie hat Zweigstellen in einigen Städten, darunter Heilbronn, Esslingen, Ulm und Reutlingen. FLUGPLATZ: Wie viele praktizierende Juden gibt es zurzeit in Tübingen und Umgebung? HOLINSTAT: Das ist eine spannende Frage. Wir wissen es leider nicht. Wo ist die nächste Synagoge der Umgebung? In Reutlingen. Der Betsaal ist ausgestattet mit einem Thoraschrank, einer Thorarolle (mindestens zeit- David Holinstat und der Verein „Bustan Shalom“ David Holinstat, 58, ist einer von zwei Vorsitzenden des jüdischen Vereins „Bustan Shalom“ in Tübingen. Der Verein ist die erste offiziell eingetragene jüdische Organisation in Tübingen seit der Zerstörung der Synagoge im Jahr 1938. Der Verein ist offen auch für interessierte Nichtjuden, die sich dem Juden- tum verbunden fühlen. Außer dem Wiederaufbau der Tübinger Gemeinde, regelmäßige Zusammenkünfte mit Gottesdienst am Sabbat und Gottesdienste zu hohen Feiertagen veranstaltet Bustan Shalom Veranstaltungen für Juden, deren Freunde und Angehörige. Holinstat ist Amerikaner und wohnt seit rund 30 Jahren in Deutschland. Er ist Informatiker. Im Gespräch mit dem FLUGPLATZ betont Holinstat, dass seine Antworten seine persönliche Meinung wiedergeben. „Es gibt mindestens so viele Meinungen, wie es Juden gibt“, so Holinstat. „Andere Leute könnten durchaus ganz anderer Meinung sein.“ weise), einem Podest, wo die Thora ausgerollt und gelesen wird, und mit Gebetsbüchern. bereitet, das Pessach Seder. Während des Essens wird die PessachGeschichte vorgelesen. Das dauert vielleicht zwei Stunden, ist selber ein Ritual und enthält auch viele Rituale. Das Essen ist ganz besonders und hat viele symbolische Speisen. Stichwort Sabbat: Da gibt es ja ursprünglich sehr strenge Regeln. Wie wird das hier gehandhabt? Manche Juden versuchen, die Regeln sehr genau einzuhalten – und die Regeln sind tatsächlich streng! Andere versuchen, die Regeln in einer Form zu beachten, die etwas der heutige Zeit angepasst ist. Manche anderen beachten sie eher nicht. Ist es möglich, hier in Deutschland diese Regeln einzuhalten? Es ist überhaupt schwierig, diese Regeln einzuhalten – sie sollen uns aber daran erinnern, dass wir Juden sind. Es steht ja das wichtige Fest Pessach vor der Tür. Sind die Vorbereitungen schon im Gange? Ja, es wird schon vorbereitet. Eine der wichtigsten Regeln für das Pessach-Fest ist es, dass alles Brot und alle brotähnlichen Sachen (alles, was gesäuert ist) für diese Woche aus der Wohnung verschwinden muss. Wir essen nur Matzah, eine Art flaches Brot, das Was ist mit den Kindern? Die Kinder werden eingebunden – sie müssen etwa bestimmte Fragen stellen, auf die die Erwachsenen antworten. Es wird auch ein Stück Matzah versteckt, und die Kinder müssen es suchen. Der Finder kriegt Schokolade – und üblicherweise die anderen Kinder auch... David Holinstat nur aus einem besonderen Weizenmehl und Wasser gemacht ist, keine Hefe enthält und nicht aufgegangen ist. Was wird denn überhaupt an Pessach gefeiert? Der Auszug der Juden aus Ägypten, geleitet von Mosche. Mosche: also Moses. Welche wesentlichen Rituale gibt es? Es wird ein besonderes Essen vor- Wie ist es, wichtige religiöse Feste zu feiern, die in der Gesellschaft um einen herum nicht gefeiert werden? Zum Teil kaum Beachtung erhalten? Die jüdischen Feste gehören zu unserer Identität als Juden. Wir feiern sie gern, um die Bindung zum Judentum zu behalten. Es ist nicht wirklich wichtig, ob die Umgebung mitfeiert. Wichtig ist nur, dass wir uns in einer jüdischen Gemeinschaft zusammenschließen, um die Feste gemeinsam zu feiern. So – und zum Schluss: Welches jüdische Fest ist Ihr liebstes? Und warum? Pessach ist ein Lieblingsfest, weil es ein sehr freudiges, fröhliches Fest ist, das uns sehr an unsere Tradition erinnert. Interview: Ruth Juraschitz, 19 REDAKTION: Eike Freese Gabi Schweizer BORDTREFF: Montags 18 Uhr im Tagblatt TELEFON: 0 74 73 / 9 50-7 18 MAILS: [email protected] INTERNET: www.tagblatt.de/flugplatz