Peter Weingart: Wissenschaftssoziologie

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Peter Weingart 2003: Wissenschaftssoziologie. Transcript
Verlag, Bielefeld, 176 Seiten, ISBN 2-933127-37-8, € 13,80
Der Band „Wissenschaftssoziologie“ erscheint in der Reihe „Einsichten –
Themen der Soziologie“ des transcript Verlages. In dieser Reihe werden
Texte publiziert, die in grundlegende Themen und Forschungsansätze der
Soziologie einführen. Dem entspricht auch der von Peter Weingart vorgelegte Band: Er umreißt in verständlicher und bündiger Form das weitläufige Gebiet wissenschaftssoziologischer Forschungen.
Insgesamt folgt die Darstellungslogik der Vorstellung, dass sich zwei
grundlegende Herangehensweisen der Wissenschaftssoziologie unterscheiden lassen. Zum einen eine „Orientierung ‚nach innen’, das heißt auf
die interne Beschaffenheit der Wissenschaft“ (S. 127), zum anderen eine
„Orientierung ‚nach außen’“ (S.129), das heißt im Hinblick auf Beziehungen der Wissenschaft zu anderen Bereichen der Gesellschaft.
Nach einer Einleitung (Kapitel I) werden im ersten Teil des Buches
(Kapitel II bis V) Theorien und Forschungsergebnisse behandelt, die der
zuerst genannten Herangehensweise entsprechen. Seinen Überblick beginnt der Autor mit Mertons Untersuchungen zum wissenschaftlichen Ethos, sowie mit Arbeiten, die sich der Struktur wissenschaftlicher Kommunikation widmen. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Analysen zum
Zusammenhang zwischen epistemischen und institutionellen Strukturen
der Wissenschaft. Hier spannt der Autor einen Bogen ausgehend von den
Arbeiten Kuhns zum Paradigmenwechsel, über Bourdieus Analysen des
wissenschaftlichen Feldes, Whitley’s professionalisierungs-theoretisch
ausgerichtete Untersuchungen, bis hin zu den Studien zur Finalisierung
der Wissenschaft, den Analysen des „strong program“ sowie diskursanalytischen Arbeiten. Einen dritten Schwerpunkt bilden Analysen zur sozialen Konstruktion wissenschaftlichen Wissens. Der Autor führt hier insbesondere in die Laborstudien Knorr-Cetinas und in die Actor-NetworkTheory ein.
In einer Zwischenbilanz (Kapitel VI) weist der Autor den Laborstudien und den Analysen der experimentellen Praxis eine theoriehistorische
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und -systematische Schlüsselstellung zu. Einerseits überwänden sie die
theoretischen Engführungen der institutionalistisch, also allein auf die
spezifischen Normen des wissenschaftlichen Handelns ausgerichteten
Ansätze. Andererseits sei ihr zentrales Argument zu kritisieren, dass es
keine epistemologische Differenz zwischen den Verfahrensweisen der
Wissenschaft und denen anderer gesellschaftlicher Bereiche gäbe. Mit
Blick auf diesen „entscheidenden Punkt der Auseinandersetzung“ (S. 84)
findet der Autor eine Antwort in den differenzierungstheoretisch angelegten Arbeiten Niklas Luhmanns. Für Luhmann ist Wissenschaft, neben
Recht, Politik, Wirtschaft etc., ein funktional ausdifferenziertes System
der Gesellschaft, das sich, wie jedes soziale System, gleichermaßen durch
Geschlossenheit und Offenheit auszeichnet. Die Probleme der Zuordnung
und Spezifizierung wissenschaftlichen Handelns, die die Wissenschaftssoziologie von Merton bis Knorr-Cetina nicht lösen konnte, werden hier
unter Bezug auf die Leitdifferenz eines spezifischen Codes überwunden.
Im Falle der Wissenschaft ist dies der Code wahr/unwahr. Die Wissenschaft schließt nur Kommunikationen ein, die sich an diesem Code orientieren und die sich mit Hilfe anderer, am selben Code orientierter Operationen reproduzieren – und nirgendwo sonst in der Gesellschaft kann sich
eine wissenschaftliche Kommunikation ereignen. Es gibt entsprechend
keine direkten Außenkontakte zu anderen Systemen. Die Umwelt kann
nur dadurch auf das System einwirken, dass sie im System Irritationen
produziert. Dabei handelt es sich aber um systeminterne Konstruktionen,
die daraus resultieren, dass Umweltdaten nach der Maßgabe der internen
Operationen und Anschlussfähigkeiten behandelt werden. Luhmann hält
für diesen Sachverhalt den Begriff der strukturellen Kopplung bereit.
Genau an diesen theoretischen Vorschlag der allgemeinen Systemtheorie knüpft Weingart an. Er fragt, wie sich gerade unter der Voraussetzung einer operativen Geschlossenheit der Wissenschaft, die sich auf der
Grundlage des je nur für die Wissenschaft spezifischen Codes herstellt,
strukturelle Kopplungen zu anderen Teilsystemen der Gesellschaft aufbauen: „Die strukturellen Kopplungen des Wissenschaftssystems zur Politik, zur Wirtschaft und neuerdings besonders zu den Medien werden
zum neuen ‚strategischen Gegenstand’ der wissenssoziologischen Forschung“ (S. 87). Diesem Gegenstand widmet sich der zweite Teil des Buches. Knapp und unter Hinzuziehung wichtiger Studien auf diesem Gebiet wird das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik (Kapitel VII),
Wissenschaft und Wirtschaft (Kapitel VIII) sowie Wissenschaft und Medie hochschule 2/2004
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dien (Kapitel IX) analysiert. Schon allein die Luhmannsche Prämisse legt
dabei nahe, dass sich diese Verhältnisse nicht der Form linearer Kausalitätsschemata fügen. Und entsprechend zeigt der Autor anhand vorliegender empirischer Untersuchungen, dass Modelle etwa der wissenschaftlichen Politikberatung, die dieser Form folgen, der Komplexität der faktischen Beziehungen zwischen Wissenschaft und Politik kaum angemessen
sind.
Im letzten Abschnitt des Buches (Kapitel X) diskutiert der Autor neue
Perspektiven wissenschaftssoziologischer Forschung. Auch dies geschieht auf der Folie der Theorie funktionaler Differenzierung. Hier stellt
der Autor die Frage nach der Reichweite jener aktuellen Diagnosen, die
etwa unter dem Begriff der Wissensgesellschaft oder unter dem Stichwort
der Institutionalisierung eines neuen Modus der Wissensproduktion
(„mode 2“) eine „Entdifferenzierung der Wissenschaft als Funktionssystem in ihrem Verhältnis zur Gesellschaft behaupten“ (S. 135). Weingart
gibt keine eindeutige Antwort, sondern er konstatiert einen Bedarf an
empirischer Forschung, um diese „Kernfrage“ (S. 141) zukünftig einer
Beantwortung näher zu bringen. Die Richtung einer entsprechenden begrifflichen Präzisierung sieht er dabei im „Konzept der gesellschaftlichen
Wissensordnung“ (S. 139), das mit der Unterscheidung von „Wissensformen“ arbeitet:
„Mit dem Begriff der Wissensordnung sind die gesellschaftlichen Arrangements der Produktion und Diffusion von Wissen gemeint, die über die
Normierung und Zertifizierung die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit von
Wissensbeständen regulieren und über die Kreditierung von Wissensakteuren
(Experten) auch die Hierarchie von Wissensformen. In der Wissensordnung
finden Auseinandersetzungen über die Legitimität von Wissensansprüchen,
kurz, über die Grenzen zwischen Wissenschaft und anderen Teilbereichen der
Gesellschaft und deren Wissensformen statt“ (S. 139).
Damit rückten Wissens- und Wissenschaftssoziologie „in dem Sinn näher
zueinander, als sie zusammen zu einer umfassenderen Theorie der Entwicklung und der wechselseitigen Beziehungen zwischen den Wissensformen in der Gesellschaft beitragen“ (S. 140) könnten.
Man mag sicher unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob sich dieser Vorschlag als anschlussfähig zu den vom Autor bemühten Prämissen
der Theorie funktionaler Differenzierung Luhmannscher Provenienz erweist. Unabhängig davon bietet Weingarts Vorschlag jedenfalls für die
Hochschulforschung besonders insofern eine interessante Perspektive, als
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er deren gesellschaftstheoretische Defizite verringern könnte. Jedem
Hochschulforscher sei daher der Band zur Lektüre empfohlen.
Manfred Stock (Wittenberg)
Lutz Bornmann: Stiftungspropheten in der Wissenschaft. Zuverlässigkeit, Fairness und Erfolg des Peer-Review. Waxmann
Verlag, Münster 2004, 192 Seiten, ISBN 3-8309-1341-9, € 25,50
Das Peer-Review ist das Verfahren zur Verteilung von Forschungsgeldern. Derartige Verteilungsentscheidungen sind sowohl im Hinblick auf
Fragen der Qualität von Wissenschaft als auch hinsichtlich gesellschaftlicher und individueller Auswirkungen hoch relevant. Doch das Peer-Review-Verfahren ist weitgehend unerforscht. Mit diesem Desiderat begründet Lutz Bornman das forschungsleitende Interesse seiner Dissertationsschrift „Stiftungspropheten in der Wissenschaft“. Als Untersuchungsgegenstand hat er sich das Peer-Review-Auswahlverfahren zur Verteilung
der Stipendien des Boehringer Ingelheim Fonds (BIF) an (Post-)DoktorandInnen ausgesucht. Der BIF fördert Forschungsvorhaben im Bereich
der theoretischen und klinischen Biomedizin.
In seiner Dissertation möchte Bornmann zwei Fragen beantworten: 1.
Erfüllt das Auswahlverfahren des BIF zur Vergabe von DoktorandInnenund PostdoktorandInnenstipendien seinen selbstformulierten Zweck, tatsächlich die besten NachwuchswissenschaftlerInnen zu fördern? 2. Ist die
existierende prinzipielle Kritik am Peer-Review gerechtfertigt? Zur Beantwortung der ersten Frage überprüft er die Reliabilität, Fairness und
Validität des Peer-Review im BIF-Auswahlverfahren. Die zweite Frage
bleibt leider in seinem Buch weitgehend offen; Bornmann referiert zwar
neuere Forschungsarbeiten zur Reliabilität, Fairness und Validität des
Peer-Review – deren Befunde erweisen sich als widersprüchlich –, doch
in der Bewertung seiner Forschungsergebnisse kommt Bornmann nicht
zu einer eigenen abschließenden Einschätzung der Qualität des Peer-Review.
Bornmann stellt den BIF als eine angesehene Stiftung öffentlichen
Rechts zur Förderung naturwissenschaftlich-biomedizinischer Grundladie hochschule 2/2004
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