«… wie eine Bergtour» Immer wieder Neues zu erkunden, auch Hörgewohnheiten in Frage zu stellen, ohne die bekannten Meisterwerke zu vernachlässigen. Dies haben sich Bettina Boller, Judith Gerster und Stefka Perifanova als Absolut Trio vorgenommen. Judith Gerster, Stefka Perifanova und Bettina Boller (von links) haben sich als Individualistinnen getroffen und im intensiven Zusammenspiel zur gemeinsamen Identität gefunden. An die diesjährige 78. Musikwoche Braunwald sind sie als «Ensemble in Residence» eingeladen. Musik & Theater traf die drei Musikerinnen zum Gespräch. Bruno Rauch Die Sitzungen im Radiostudio sind soeben abgeschlossen. Bettina Boller, Violine, Judith Gerster, Cello, und Stefka Perifanova, Klavier, haben drei anstrengende Aufnahmetage hinter sich. Aber sie sind aufgekratzt und zufrieden: Die Aufnahmen liefen rund und schneller als geplant. Allerdings bedeutet das Spielen im Studio ohne Publikum, ohne Reaktion im Saal eine zusätzliche Herausforderung für jeden Künstler. Umso wichtiger sind da Funktion und Person des Tonmeisters, der die Aufnahme wachen Ohrs steuert und sogar mitgestaltet, wie das Andreas Werner tut, der das Ensemble bei seinen drei bisherigen Einspielungen begleitet hat. Er unterstützt die Musikerinnen in idealer Weise in ihrem Streben nach Authentizität. «Wir halten wenig von einer risikolosen und dadurch sterilen Studioarbeit. Klar sind da und dort Schnitte unumgänglich, aber der Zug der Aufnahme soll nicht durch zahlreiche Cuts geglättet werden», sagt Bettina Boller. Das Resultat sind «nicht geschönte» Aufnahmen, die keine nennenswerten Niveauunterschiede zum Live-Auftritt erkennen lassen, wie das mitunter der Fall ist. Vielleicht ist es ein Detail, aber dennoch bezeichnend für den Anspruch der drei an sich selbst: «Wir haben die Plattenfirma auch gebeten, für Cover und Booklet keinen Photoshop anzuwenden. Heutzutage sind ja die Möglichkeiten des Eingriffs sowohl optisch als auch akustisch fast unbegrenzt, was die Gefahr der Verfälschung in sich birgt.» Eingespielt wurden das 2. Trio von Volkmar Andreae aus dem Jahr 1908 sowie die Trios von Raffaele d’Alessandro, 1936, und Sándor Veress 1963 (die CD erscheint beim Label Musiques Suisse). Dieses Programm, das – etwas grosszügig aufgefasst – die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts umspannt, scheint typisch für das Ensemble. Die Geigerin bestätigt, dass das Ensemble eine grosse Affinität zur Musik dieser Epoche des Übergangs von der Spätromantik zur Moderne hat. Als Klammer verbindet die drei Komponisten ebenfalls ihre (Wahl-)Heimat Schweiz. Zudem sind die «Sechs Miniaturen» von d’Alessandro noch nie eingespielt worden: Raritäten – auch das ein Anliegen des Absolut Trios! «Was nicht heisst», betont Judith Gerster, «dass Bilder: absolut trio Das Absolut Trio ist «Ensemble in Residence» der Musikwoche Braunwald 2013 festival Absolut Trio in Braunwald Bettina Boller (Violine), Judith Gerster (Violoncello) Stefka Perifanova (Klavier) Samstag, 29. Juni 2013, 20.45 Uhr, Hotel Bellevue Werke von Robert Schumann, Volkmar Andreae. Dienstag, 2. Juli 2013, 20.30 Uhr, Hotel Bellevue Werke von Fanny und Felix Mendelssohn, Raffaele d’Alessandro. Freitag, 5. Juli 2013,10.50 Uhr, Hotel Bellevue Werke von Tobias PM Schneid (*1963), David Sonton Caflisch (*1974) (UA), Arnold Schönberg. Matinee «Alt im Duo – Neu im Solo». Sonntag, 30. Juni 2013, 11.45 Uhr, Dorfkirche Braunwald Bettina Boller (Violine), Judith Gerster (Violoncello), Werke von Beethoven, Cécile Marti (1973), Luciano Berio. Informationen und Detailprogramme: www.musikwoche.ch wir nicht auch gerne wieder mal klassisches Repertoire spielen – Beethoven, Haydn …» «… aber nicht zu häufig, denn da dominiert teilweise das Klavier zu sehr und die beiden Streicher spielen die rechte und linke Hand», wirft die Pianistin ein und erntet damit Schmunzeln. Konsens dagegen besteht bezüglich des Anspruchs, auch bekannte Musik neu zu lesen. So ist es denn eine Besonderheit des Trios, Vertrautes in Relation zu selten Gespieltem zu setzen, wie das unlängst auf einer CD geschah, wo Musik von Schubert und Schumann mit zeitgenössischen, zum Teil eigens für das Trio komponierten Stücken kombiniert wurde. Das öffne die Ohren für beides und etabliere auch gewisse «Wahlverwandtschaften» – wie denn auch der Titel jener CD lautet, die kürzlich beim Label Solo Musica erschienen ist. Gleichzeitig zeugen Aufnahmen abseits des Mainstreams, wie sie das Absolut Trio jetzt zum dritten Mal vorlegt, nicht nur von der Vielseitigkeit des Ensembles, sie dokumentieren auch die Vielfalt der musikalischen Landschaft. Die intensive Vorbereitung wie auch die Tage im Studio selbst seien mit einer Bergtour vergleichbar, sagt Judith Gerster. Und zwar sowohl gruppendynamisch als auch klanglich und interpretatorisch. Trotz langer Tradition und beachtlicher Literatur für Triobesetzung, gilt das Streichquartett als kammermusikalische Königsdisziplin. Warum haben sich die drei Frauen dennoch fürs Trio entschieden? Bettina Boller: «Ich empfinde das Klaviertrio als besonders attraktiv, weil hier zum Streicherklang ein perkussives Element bereichernd hinzutritt.» Ein weiterer Aspekt sei die Intonation, die im Quartett heikler zu finden sei und die gemeinsame Arbeit darum auch reibungsanfälliger mache. Schliesslich kommt noch ein dritter Aspekt, diesmal psychologischer Natur, zur Sprache: Während man im Quartett von einem Primarius spricht, ist diese Bezeichnung im Trio unüblich. Es entspräche auch gar nicht der künstlerischen Auffassung der drei Frauen, denen jedwedes Machtgerangel fremd ist. Beim Proben werden Spiel- und Ausdrucksweisen diskutiert, versucht und gegebenenfalls verworfen. Behutsam tastet man sich an eine klangliche Vision heran, bis eine Lösung gefunden ist, die allen dreien entspricht. «Das kann und darf sich auch reiben – aber immer im konstruktiven Sinn», erklärt Judith Gerster. Stefka Perifanova doppelt nach: «Eine einseitige Dominanz gibt es nicht – man muss sich Zeit lassen, verschiedene Wege zu gehen.» Dies sei ebenfalls ein Grund, warum sich die drei fürs Trio entschieden haben: Die Dreier-Konstellation berge weniger die Gefahr der Pattsituation von zwei zu zwei, ist Bettina Boller überzeugt. Und man ahnt, dass gerade die unterschiedliche Wesensart der drei Frauen die künstlerische Attraktivität des Ensembles ausmacht: eine – bei aller Individualität – gemeinsame musikalische Identität. Im Spiel bestätigt sich, was auch das Gespräch offenbart: Während Bettina Boller gewissermassen den Part der Unruhe und des Antriebs übernimmt, wirkt Stefka Perifanova als stabilisierendes, ruhiges Element; Judith Gerster schafft die im besten Wortsinne vermittelnde und doch eigenständige Brücke. Es klingt geradezu banal, und doch muss man es so sagen: Hier stimmt die Chemie – musikalisch wie menschlich. «Der Überblick nimmt zu.» Das Trio feiert heuer sein zehnjähriges Bestehen. Gegründet wurde es allerdings nicht, wie es oft vorkommt, noch während des gemeinsamen Musikstudiums oder im Anschluss daran. Den Beginn machten die Geigerin Bettina Boller und die Cellistin Imke Frank 1995 als Duo – «eine höchst intensive Zeit des Austausches und der Auseinandersetzung», erinnert sich Bettina Boller. Nach acht Jahren entschlossen sich die beiden, das Duo zum Trio auszuweiten und fanden in Stefka Perifanova die ideale Partnerin. 2009 erfolgte ein Wechsel am CelloPult, da sich Imke Frank zum Bedauern ihrer Kolleginnen neu orientieren wollte. «Das war schon ein kleineres Erdbeben», gesteht Stefka Perifanova, «ein heikler Moment jedenfalls, wo man sich fragt, wie es weitergehen soll.» Doch dass es weitergehen sollte, waren sich Geigerin und Pianistin rasch einig. Es sei zweifellos von Vorteil gewesen, dass sie beide schon seit geraumer Zeit in der Musikerszene etabliert waren und über diverse Kontakte verfügten. «Es war in unserem Fall positiv, dass wir alle übers Studentenalter hinaus waren und wussten, wo wir standen. Die grundsätzlichen Fragen des Lebens und des Berufs, die einen im und unmittelbar nach dem Studium umtreiben, sind zum grossen Teil geklärt», sagt auch Cellistin Judith Gerster. So war es denn ein gleichermassen vom Gefühl wie vom Verstand getragener Entscheid aller Beteiligten: Sie sollte und wollte den Cellopart im Trio übernehmen. Dennoch: Auch für die «Neue» war es ein bedeutungsvoller Schritt, ihren Platz in der bestehenden Struktur zu finden. «Es dauerte eine Weile, bis ich das Gefühl hatte, dass ich nicht einfach der ‹Ersatz› war. Ich spürte zwar gleich von Anbeginn, dass ich willkommen war. Dennoch stellte ich mir ab und zu die Frage: Was war vorher? Doch irgendwann – ich glaube, es dauerte ungefähr ein Jahr – spürte ich, dass wir zu einem neuen Organismus zusammengewachsen waren, der sich nicht mehr an der Vergangenheit orientierte.» Nicht selten bringt das Trio Kompositionen zur Uraufführung, die eigens für es geschrieben wurden: Werke von Kelterborn, Käser, Lee, Caflisch und anderen. Klar, kenne man das Idiom der Komponisten, und doch sei es jeweils eine spannende Mischung von Vertrauen und Ungewissheit. Berührungsängste und Grenzen jedoch gibt es kaum. Sie sei immer wieder überrascht, was Komponisten an neuen Klangvorstellungen einbrächten, sagt die Pianistin, die sich nicht scheut, ihr Instrument entsprechend zu präparieren. Und die Cellistin bringt nochmals die Bergtour ins Spiel: «Natürlich braucht es am Anfang mitunter ein wenig Überwindung, in eine ungewohnte Notation einzusteigen – so, wie man vor einer anstrengenden Tour in den Himmel guckt und hofft, es möge regnen. Aber sobald man dann doch losmarschiert, fällt’s mit jedem Schritt leichter. Der Überblick nimmt zu.» Das Trio ist bekannt dafür, dass es zeitgenössische Werke mehrfach auf- 23 24 festival benswert. Dazu Bettina Boller: «Mit gefällt die Vorstellung, dass sich die Künstler dort manifestieren, wo sie leben und eine Farbe in ihre Umgebung einbringen. Das wäre kaum möglich, wenn man heute in Tokio und morgen in Seoul spielt ...» «Und sollte uns mal die Carnegie Hall einladen, dann gehen wir doch, oder?!», witzelt Stefka Perifanova. Zustimmendes Gelächter von beiden Seiten. «Neue Musik ist in jedem Fall eine Horizonterweiterung, ungeachtet, ob sie einem gefällt oder nicht.» Offenheit zu bewahren gehört zu den Vorsätzen des Absolut Trios. Diskografie t5SJPTWPO"OESFBFE"MFTTBOESP7FSFTT Musiques Suisses (erscheint im Sommer 2013) führt: «Erst wenn ein Stück wiederholt gespielt wird, kann man über seine Bedeutsamkeit urteilen. Man muss dem Werk eine Chance geben», fordert Stefka Perifanova. Und Bettina Boller ergänzt: «Neue Musik ist in jedem Fall eine Horizonterweiterung, ungeachtet, ob sie einem gefällt oder nicht.» Die drei Kammermusikerinnen spielen ebenfalls in anderen Ensembles, sie unterrichten, haben zum Teil Familie und Kinder. Das bedingt, dass sie in konzentrierten Blöcken zusammen musizieren. Das permanente Leben aus dem Koffer, das Jetten von Ort zu Ort erachten sie nicht unbedingt als erstre- tj8BIMWFSXBOEUTDIBGUFOx 8FSLFWPO4DIVCFSU4DIVNBOO"OESFBF Käser und Lee. Solo Musica SM180 (2013) t8FSLFWPO4DIÚOCFSH,FMUFSCPSO;JNNFS mann (mit Peter Schweiger als Erzähler). Guild GMCD7322 (2008) „Äs Gsicht ohni Narbä isch käs mänschlichs Gsicht.“ Von Tim Krohn, nach Calderón Regie Beat Fäh www.welttheater.ch Das Welttheater findet im Freien statt. Das Spiel beginnt um 20.45 Uhr und dauert 1 ¾ Stunden. Parkplätze stehen zur Verfügung. Billette: Ticketcorner 0900 800 800, www.welttheater.ch, Spielbüro 055 422 16 92 (Gruppenreisen, Tageskasse). 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