Musik und Theater Juni 2013

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«… wie eine Bergtour»
Immer wieder Neues zu erkunden, auch Hörgewohnheiten in Frage zu stellen,
ohne die bekannten Meisterwerke zu vernachlässigen. Dies haben sich Bettina Boller,
Judith Gerster und Stefka Perifanova als Absolut Trio vorgenommen.
Judith Gerster, Stefka Perifanova und
Bettina Boller (von links) haben sich als
Individualistinnen getroffen und im intensiven Zusammenspiel zur gemeinsamen
Identität gefunden.
An die diesjährige 78. Musikwoche Braunwald sind sie als «Ensemble in Residence»
eingeladen. Musik & Theater traf die drei Musikerinnen zum Gespräch.
Bruno Rauch
Die Sitzungen im Radiostudio sind soeben abgeschlossen. Bettina Boller, Violine, Judith Gerster, Cello, und Stefka
Perifanova, Klavier, haben drei anstrengende Aufnahmetage hinter sich. Aber
sie sind aufgekratzt und zufrieden: Die
Aufnahmen liefen rund und schneller als geplant. Allerdings bedeutet das
Spielen im Studio ohne Publikum, ohne
Reaktion im Saal eine zusätzliche Herausforderung für jeden Künstler. Umso
wichtiger sind da Funktion und Person
des Tonmeisters, der die Aufnahme wachen Ohrs steuert und sogar mitgestaltet, wie das Andreas Werner tut, der das
Ensemble bei seinen drei bisherigen
Einspielungen begleitet hat. Er unterstützt die Musikerinnen in idealer Weise
in ihrem Streben nach Authentizität.
«Wir halten wenig von einer risikolosen und dadurch sterilen Studioarbeit.
Klar sind da und dort Schnitte unumgänglich, aber der Zug der Aufnahme
soll nicht durch zahlreiche Cuts geglättet werden», sagt Bettina Boller. Das
Resultat sind «nicht geschönte» Aufnahmen, die keine nennenswerten Niveauunterschiede zum Live-Auftritt erkennen lassen, wie das mitunter der Fall ist.
Vielleicht ist es ein Detail, aber dennoch
bezeichnend für den Anspruch der drei
an sich selbst: «Wir haben die Plattenfirma auch gebeten, für Cover und Booklet
keinen Photoshop anzuwenden. Heutzutage sind ja die Möglichkeiten des Eingriffs sowohl optisch als auch akustisch
fast unbegrenzt, was die Gefahr der Verfälschung in sich birgt.»
Eingespielt wurden das 2. Trio von
Volkmar Andreae aus dem Jahr 1908 sowie die Trios von Raffaele d’Alessandro,
1936, und Sándor Veress 1963 (die CD
erscheint beim Label Musiques Suisse). Dieses Programm, das – etwas grosszügig
aufgefasst – die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts umspannt, scheint typisch für
das Ensemble. Die Geigerin bestätigt,
dass das Ensemble eine grosse Affinität
zur Musik dieser Epoche des Übergangs
von der Spätromantik zur Moderne hat.
Als Klammer verbindet die drei Komponisten ebenfalls ihre (Wahl-)Heimat
Schweiz. Zudem sind die «Sechs Miniaturen» von d’Alessandro noch nie eingespielt worden: Raritäten – auch das ein
Anliegen des Absolut Trios! «Was nicht
heisst», betont Judith Gerster, «dass
Bilder: absolut trio
Das Absolut Trio ist «Ensemble in Residence» der Musikwoche Braunwald 2013
festival
Absolut Trio in Braunwald
Bettina Boller (Violine),
Judith Gerster (Violoncello)
Stefka Perifanova (Klavier)
Samstag, 29. Juni 2013, 20.45 Uhr,
Hotel Bellevue
Werke von Robert Schumann, Volkmar
Andreae.
Dienstag, 2. Juli 2013, 20.30 Uhr,
Hotel Bellevue
Werke von Fanny und Felix Mendelssohn,
Raffaele d’Alessandro.
Freitag, 5. Juli 2013,10.50 Uhr,
Hotel Bellevue
Werke von Tobias PM Schneid (*1963),
David Sonton Caflisch (*1974) (UA),
Arnold Schönberg.
Matinee «Alt im Duo – Neu im Solo».
Sonntag, 30. Juni 2013, 11.45 Uhr,
Dorfkirche Braunwald
Bettina Boller (Violine), Judith Gerster
(Violoncello),
Werke von Beethoven, Cécile Marti (1973),
Luciano Berio.
Informationen und Detailprogramme:
www.musikwoche.ch
wir nicht auch gerne wieder mal klassisches Repertoire spielen – Beethoven,
Haydn …»
«… aber nicht zu häufig, denn da
dominiert teilweise das Klavier zu sehr
und die beiden Streicher spielen die
rechte und linke Hand», wirft die Pianistin ein und erntet damit Schmunzeln.
Konsens dagegen besteht bezüglich des
Anspruchs, auch bekannte Musik neu
zu lesen. So ist es denn eine Besonderheit des Trios, Vertrautes in Relation zu
selten Gespieltem zu setzen, wie das unlängst auf einer CD geschah, wo Musik
von Schubert und Schumann mit zeitgenössischen, zum Teil eigens für das Trio
komponierten Stücken kombiniert wurde. Das öffne die Ohren für beides und
etabliere auch gewisse «Wahlverwandtschaften» – wie denn auch der Titel jener CD lautet, die kürzlich beim Label
Solo Musica erschienen ist.
Gleichzeitig zeugen Aufnahmen abseits des Mainstreams, wie sie das Absolut Trio jetzt zum dritten Mal vorlegt,
nicht nur von der Vielseitigkeit des Ensembles, sie dokumentieren auch die
Vielfalt der musikalischen Landschaft.
Die intensive Vorbereitung wie auch die
Tage im Studio selbst seien mit einer
Bergtour vergleichbar, sagt Judith Gerster. Und zwar sowohl gruppendynamisch
als auch klanglich und interpretatorisch.
Trotz langer Tradition und beachtlicher Literatur für Triobesetzung, gilt das
Streichquartett als kammermusikalische
Königsdisziplin. Warum haben sich die
drei Frauen dennoch fürs Trio entschieden? Bettina Boller: «Ich empfinde das
Klaviertrio als besonders attraktiv, weil
hier zum Streicherklang ein perkussives
Element bereichernd hinzutritt.» Ein
weiterer Aspekt sei die Intonation, die
im Quartett heikler zu finden sei und
die gemeinsame Arbeit darum auch reibungsanfälliger mache.
Schliesslich kommt noch ein dritter
Aspekt, diesmal psychologischer Natur,
zur Sprache: Während man im Quartett von einem Primarius spricht, ist
diese Bezeichnung im Trio unüblich.
Es entspräche auch gar nicht der künstlerischen Auffassung der drei Frauen,
denen jedwedes Machtgerangel fremd
ist. Beim Proben werden Spiel- und Ausdrucksweisen diskutiert, versucht und
gegebenenfalls verworfen. Behutsam
tastet man sich an eine klangliche Vision heran, bis eine Lösung gefunden ist,
die allen dreien entspricht. «Das kann
und darf sich auch reiben – aber immer
im konstruktiven Sinn», erklärt Judith
Gerster. Stefka Perifanova doppelt nach:
«Eine einseitige Dominanz gibt es nicht
– man muss sich Zeit lassen, verschiedene Wege zu gehen.»
Dies sei ebenfalls ein Grund, warum sich die drei fürs Trio entschieden
haben: Die Dreier-Konstellation berge
weniger die Gefahr der Pattsituation
von zwei zu zwei, ist Bettina Boller überzeugt. Und man ahnt, dass gerade die
unterschiedliche Wesensart der drei
Frauen die künstlerische Attraktivität
des Ensembles ausmacht: eine – bei
aller Individualität – gemeinsame musikalische Identität. Im Spiel bestätigt
sich, was auch das Gespräch offenbart:
Während Bettina Boller gewissermassen
den Part der Unruhe und des Antriebs
übernimmt, wirkt Stefka Perifanova als
stabilisierendes, ruhiges Element; Judith
Gerster schafft die im besten Wortsinne
vermittelnde und doch eigenständige
Brücke. Es klingt geradezu banal, und
doch muss man es so sagen: Hier stimmt
die Chemie – musikalisch wie menschlich.
«Der Überblick nimmt zu.»
Das Trio feiert heuer sein zehnjähriges
Bestehen. Gegründet wurde es allerdings nicht, wie es oft vorkommt, noch
während des gemeinsamen Musikstudiums oder im Anschluss daran. Den
Beginn machten die Geigerin Bettina
Boller und die Cellistin Imke Frank 1995
als Duo – «eine höchst intensive Zeit
des Austausches und der Auseinandersetzung», erinnert sich Bettina Boller.
Nach acht Jahren entschlossen sich die
beiden, das Duo zum Trio auszuweiten
und fanden in Stefka Perifanova die ideale Partnerin.
2009 erfolgte ein Wechsel am CelloPult, da sich Imke Frank zum Bedauern
ihrer Kolleginnen neu orientieren wollte. «Das war schon ein kleineres Erdbeben», gesteht Stefka Perifanova, «ein
heikler Moment jedenfalls, wo man sich
fragt, wie es weitergehen soll.» Doch dass
es weitergehen sollte, waren sich Geigerin und Pianistin rasch einig. Es sei zweifellos von Vorteil gewesen, dass sie beide
schon seit geraumer Zeit in der Musikerszene etabliert waren und über diverse
Kontakte verfügten. «Es war in unserem
Fall positiv, dass wir alle übers Studentenalter hinaus waren und wussten, wo
wir standen. Die grundsätzlichen Fragen
des Lebens und des Berufs, die einen im
und unmittelbar nach dem Studium umtreiben, sind zum grossen Teil geklärt»,
sagt auch Cellistin Judith Gerster.
So war es denn ein gleichermassen
vom Gefühl wie vom Verstand getragener Entscheid aller Beteiligten: Sie
sollte und wollte den Cellopart im Trio
übernehmen. Dennoch: Auch für die
«Neue» war es ein bedeutungsvoller
Schritt, ihren Platz in der bestehenden
Struktur zu finden. «Es dauerte eine
Weile, bis ich das Gefühl hatte, dass ich
nicht einfach der ‹Ersatz› war. Ich spürte
zwar gleich von Anbeginn, dass ich willkommen war. Dennoch stellte ich mir ab
und zu die Frage: Was war vorher? Doch
irgendwann – ich glaube, es dauerte ungefähr ein Jahr – spürte ich, dass wir zu
einem neuen Organismus zusammengewachsen waren, der sich nicht mehr an
der Vergangenheit orientierte.»
Nicht selten bringt das Trio Kompositionen zur Uraufführung, die eigens
für es geschrieben wurden: Werke von
Kelterborn, Käser, Lee, Caflisch und anderen. Klar, kenne man das Idiom der
Komponisten, und doch sei es jeweils
eine spannende Mischung von Vertrauen und Ungewissheit. Berührungsängste
und Grenzen jedoch gibt es kaum. Sie
sei immer wieder überrascht, was Komponisten an neuen Klangvorstellungen
einbrächten, sagt die Pianistin, die sich
nicht scheut, ihr Instrument entsprechend zu präparieren. Und die Cellistin
bringt nochmals die Bergtour ins Spiel:
«Natürlich braucht es am Anfang mitunter ein wenig Überwindung, in eine
ungewohnte Notation einzusteigen – so,
wie man vor einer anstrengenden Tour
in den Himmel guckt und hofft, es möge
regnen. Aber sobald man dann doch
losmarschiert, fällt’s mit jedem Schritt
leichter. Der Überblick nimmt zu.»
Das Trio ist bekannt dafür, dass es
zeitgenössische Werke mehrfach auf-
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festival
benswert. Dazu Bettina Boller: «Mit gefällt die Vorstellung, dass sich die Künstler dort manifestieren, wo sie leben und
eine Farbe in ihre Umgebung einbringen. Das wäre kaum möglich, wenn man
heute in Tokio und morgen in Seoul
spielt ...»
«Und sollte uns mal die Carnegie
Hall einladen, dann gehen wir doch,
oder?!», witzelt Stefka Perifanova. Zustimmendes Gelächter von beiden Seiten.
«Neue Musik ist in jedem Fall eine Horizonterweiterung, ungeachtet, ob sie einem gefällt
oder nicht.» Offenheit zu bewahren gehört zu
den Vorsätzen des Absolut Trios.
Diskografie
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Musiques Suisses
(erscheint im Sommer 2013)
führt: «Erst wenn ein Stück wiederholt
gespielt wird, kann man über seine Bedeutsamkeit urteilen. Man muss dem
Werk eine Chance geben», fordert Stefka Perifanova. Und Bettina Boller ergänzt: «Neue Musik ist in jedem Fall eine
Horizonterweiterung, ungeachtet, ob sie
einem gefällt oder nicht.»
Die drei Kammermusikerinnen spielen ebenfalls in anderen Ensembles,
sie unterrichten, haben zum Teil Familie und Kinder. Das bedingt, dass sie
in konzentrierten Blöcken zusammen
musizieren. Das permanente Leben aus
dem Koffer, das Jetten von Ort zu Ort
erachten sie nicht unbedingt als erstre-
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Käser und Lee.
Solo Musica SM180 (2013)
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mann (mit Peter Schweiger als Erzähler).
Guild GMCD7322 (2008)
„Äs Gsicht ohni Narbä isch
käs mänschlichs Gsicht.“
Von Tim Krohn, nach Calderón
Regie Beat Fäh
www.welttheater.ch
Das Welttheater findet im Freien statt. Das Spiel beginnt um 20.45 Uhr und dauert 1 ¾ Stunden.
Parkplätze stehen zur Verfügung. Billette: Ticketcorner 0900 800 800, www.welttheater.ch,
Spielbüro 055 422 16 92 (Gruppenreisen, Tageskasse). Wir freuen uns auf Ihren Besuch.
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