Interpretatorische Gedanken zu „Les pappillons“ von Christopher Breselge Das Stück lässt sich in drei Stationen gliedern. Diese Stationen sind rein akustisch wahrnehmbar. Der Text vollzieht diese Einteilung nicht, sondern besteht vielmehr aus einer einzigen Strophe. Die folgenden Überlegungen beziehen sich also zuerst ausschließlich auf die Akustik. Die akustischen Stationen umfassen jeweils drei Ebenen: Höreindruck, dessen notatorische Darstellung und die diesen Beiden zu Grunde liegende Bildebene. 1. Station (Exposition) Beginnen wir mit der zuletzt genannten: Wir befinden uns irgendwo in einem Gewimmel von Schmetterlingen, von unterschiedlichster Farbe und Gestalt. Auf uns aber, den Umschwirrten in diesem Meer der Gefühle wirkt das ganze Getümmel einfach nur bunt und berauschend. Noch bleibt uns der Blick auf die Schönheit des Individuums verschlossen Die musikalische Umsetzung dieser Expression erfolgt durch hohe durcheinanderwirbelnde Töne. Auch die pulsierende Frequenz ist extrem hoch. Durch den Gebrauch der Quarte an Stelle der Terz entsteht eine Spannung und Wirrung. Eine vom Hörer einzunehmende Gefühlslage ist nicht erkennbar, vielmehr soll er bewusst sich seiner Empfindungen nicht klar werden, nur in Berauschung dahintreiben, und auf weitere Anweisungen warten. Jedoch wird der aufmerksame Hörer sich bald eines langsam aufsteigenden Tones gewahr werden, der den Aufschwung zu etwas höheren andeutet. Zur selben Zeit aber schwillt auch der „Lärmpegel“ stetig an, bevor er sich nach einer letzten, durch Ritadando verzögerten Ekstase, schließlich abreißt und verstummt. Notatorische Ebene: Wir befinden uns in Fis-Dur. Die sechs Kreuze sind nichts anderes als Kreuzungen, Kreuzungen der Schönheit und Pracht, in einer Anhäufung wilden Getümmels. Neben den vielen, tausenden, von allen Ecken und Enden ergehenden Impulsen, kaum in Notenwerte zu Stimmen zu fassen, da eben nur Rauschzustand, und wie man eine Droge nicht fassen kann noch will, so ist es auch. Ja, neben der Masse der 8tel, 16tel, 32tel und schnelleren, erkennen wir dieses übergebundene Ganze; langsam aufsteigend bis es eine Quarte erreicht, als rief jemand um (Be-) Achtung. 2. Station (Hauptteil) Ja, es ist erkenntlich geworden. Was langsam aufgestiegen war, ist ein Schmetterling, ein Individuum, prächtig, nun gelangt zu hohem Fluge. Er hat sich befreit von der Gruppe um ihn herum. Wir folgen ihm. Seine Bewegung nehmen wir wie in Zeitlupe war. Am Anfang ist sein Flug sehr ruhig und gleichmäßig. Es scheint, als würde er mehr vom Wind getrieben, als dass er sich seiner Flügelschläge bediene. Aber schon nach kurzer Zeit nimmt er sie zu Hilfen, um eine Landung zu vollführen. Diese zweite Station wirkt auf den Hörer äußerst behaglich. Ihm scheint es, als sei dies das eigentliche Lied, die Melodie des Stückes. Der wirre Rausch ist vorüber, es kann aufgeatmet werden. Die Augen der Ohren öffnen sich, wir sehen eine einfache Sequenz steigend und fallend. Überraschende Sprünge gibt es nicht. Auch Verirrungen und Disharmonien sind in weitere Ferne entfallen. Für einen Augenblick liegt alles in himmlischer Perfektion. Doch dann, nach einem kurzen innehalten der Musik, scheint die Perfektion zu bröckeln. Die Musik ist nicht mehr so gleichmäßig, zu ihr gesellt sich ein neuer Rhythmus. Wieder einmal deutet alles auf Veränderung hin. Auch im Notenbild gibt es keine Überraschungen. Klare, gleichmäßige Achtelbewegungen. Ohne weiteres könnten sie Flugbahnen darstellen. Und wenn wir die beiden „b“ der Tonart genauer betrachten (und sie vielleicht etwas drehen und wenden) erkennen wir auf einmal auch den dazugehörenden Schmetterling. 3. Station (Klärung und Vollendung) Es sind nur noch einige kräftige Flügelschläge. Er sinkt, (übrigens sehr gut in den Noten zu verfolgen), lässt sich nieder auf einer Blüte, einem Blatt oder irgendwo sonst. Musikalisch ist dieses Zurückkehren zur Erde (und damit in Fis-Dur) äußerst anstrengend, ein bisschen disharmonisch und vor allem funktionell. Nach vier Achteln ist die Sache erledigt, wir befinden uns auf sicherem Boden und fast träumerisch, so als würden wir noch einmal kurz zurückblicken, endigen wir unser Stück. PS: Ein besonders Aufmerksamer kann feststellen, dass wir zwar wieder in Fis-Dur sind, dass aber die Quarte durch eine Terz ersetzt wurde. Der Text und eine metaphorische Deutung Der Text hat an sich erst mal nicht viel mit dem musikalischen Bild zu tun. Vermutlich handelt es sich um eine Art Liebes- oder zumindest eine starke Sympathiebekundung. Aber im Schlussvers geschieht etwas besonderes: Wie ein Störfaktor in der sonst englischen Sprache wirkt das franz. „pappillons“, und doch liegt gerade darin der Schlüssel des Liedes, zumal dieses Wort die Verbindung zwischen Musik und Text herstellt, und uns zusätzlich eine metaphorische Ebene des Liedverständnisses eröffnet. So ist nämlich metaphorisch betrachtet mit „pappillon“ nicht das Tier Schmetterling gemeint, sondern der Schmetterling im Bauch, das Gefühl. Diese Art von Schmetterlingen sind es, die uns zu Beginn des Stückes, wenn sie im Chaos vorliegen, uns in undurchsichtige Rauschzustände, in Ekstasen, aber auch in Unklarheiten und Irrungen bringen. Gerade, wenn es wie im Liedtext um eine Beziehung geht. In dem Lied kommt es nach Text und Musik bald zu einer Klärung. Ein Gefühl, eine Liebe kristallisiert sich heraus. Die Frage ist nur, ob diese Klärung bestand haben wird, oder ob der Schmetterling/ das Gefühl nicht notwendigerweise wieder zur Erde zurückkehren muss. Die Musik scheint das anzudeuten, denn wir kehren in die Ausgangstonart zurück. Und doch gibt es eine Veränderung, denn die harmonische Terz hat uns von der ungewissen Quarte „erlöst“. Der Text gibt uns keine weitere Auskunft. Es bleibt wie so oft, mehr oder weniger Interpretationssache!