PEDILOSOPHIE ALS INTERBISZIPLINAMES EXPERIMENT Klaus

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PEDILOSOPHIE
ALS
INTERBISZIPLINAMES EXPERIMENT
Klaus Ratschiller
ISSN 1028-2734
EOsigeimfTLiirter Beiträge zur Tectanikdiskessioini
Heft 5
Herausgegeben von
Arno Bamme, Peter Baumgartner, Wilhelm Berger, Ernst Kotzmann
ISSN 1028-2734
In dieser Schriftenreihe veröffentlicht das IFF, Arbeitsbereich Technik- und Wissenschaftsforschung, Arbeitsmaterialien, Diskussionsgrundlagen und Dokumentationen, die
nicht den Charakter abgeschlossener Forschungsberichte tragen, aber dem jeweils
interessierten Fachpublikum zugänglich gemacht werden sollen. Beabsichtigt ist, neuere
Forschungsresultate schnell, auch in vorläufiger Form, ohne aufwendige Aufarbeitung
in die wissenschaftliche Diskussion einzubringen.
Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist nur mit der Zustimmung des Instituts gestattet.
INHALT
Vorbemerkung
Methodische Anmerkungen zu den Gesprächsprotokollen
Der Ort der Gespräche
1
3
4
Gesprächsprotokolle
7
Das Verhältnis von Philosophie und Interdisziplinaritat:
Versuch einer Standortbestimmung
Das Verhältnis von Philosophie und Interdisziplinaritat
als räumlich und zeitlich bestimmtes Verhältnis
Philosophie als Metadiskurs
Die Sonderstellung der Philosophie
Philosophie als Letztbegründung von Interdisziplinaritat
Die "ideologische Ebene" des Verhältnisses von Philosophie
und Interdisziplinaritat
Die Ideologie der Interdisziplinaritat
Der Räum der Interdisziplinaritat
Die Ökonomie als Begründung von Interdisziplinaritat
Obersetzung/Transfer/Vermittlung
Brauchbarkeit
Die Erklärung der Interdisziplinaritat aus der Ordnung
der Wissenschaften
Exkurs: Interdisziplinaritat als Zusammenarbeit von
Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften
Der interdisziplinäre Raum
Das interdisziplinäre Klima
Philosophie und der interdisziplinäre Raum
Abschließende These
Verzeichnis der verwendeten Literatur
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Dieser Bericht besteht aus zwei größeren Teilen: Gesprächsprotokolle und Theorieteil. Diese Aufteilung entspricht im wesentlichen
meiner Arbeitsmethode und der Reihenfolge der Arbeitsschritte.
Im ersten Teil wurden die von Mag. Hubert Wank und mir geführten
Gespräche protokolliert. Mit ihm habe ich auch die Fragestrategie
erarbeitet. Sie ist einerseits das Resultat der vorhergehenden Beschäftigung mit dem Thema. Die in der Literatur aufgeworfenen Fragestellungen tauchen vermittelt im Interviewleitfaden auf.
Andererseits gingen in die Fragen Aspekte meiner Beschäftigung mit
der Rolle der Philosophie in der Gegenwart ein. Ihre zunehmende
Marginalisierung bei gleichzeitig hoch gespannten Erwartungen für
Interdisziplinaritäte Forschungszusammenhänge bildeten von Anfang
an den grundlegenden Problemkomplex innerhalb dieses Projekts. Es
wurde der alle meine Überlegungen leitende Widerspruch.
Im Gegensatz zur ursprünglichen Idee, die Gesprächspartner an unterschiedlichen Instituten der verschiedenen Universitäten aufzusuchen, entschied ich mich - nicht zuletzt aus praktischen Gründen
- nur Personen, die in Klagenfurt" als Philosophen oder am IFF arbeiten, zu befragen.
Da Mag. Wank und ich alle Gesprächspartner sehr gut kannten, waren ohne größere AnlaufSchwierigkeiten intensive Gespräche, zum
Teil mit Diskussionscharakter, das Ergebnis. Diese und viele andere Gespräche gaben mir wichtige Hinweise für die weitere Behandlung des Themas.
Mit wenigen Ausnahmen verstärkte sich der oben genannte Widerspruch, der auch meiner persönlichen Wahrnehmung des Verhältnisses
von Philosophie und Interdisziplinaritat entspricht.
Die Protokolle sollen diese Einschätzung der Lage der Philosophie
in möglichst vielen Differenzierungen wiedergeben.
Im zweiten Teil, der eine Standortbestimmung von Philosophie und
Interdisziplinaritat vornimmt, konfrontiere ich die mir wesentlich
erscheinenden Konsequenzen aus der Diagnose des Zustands der Philosophie mit verschiedenen Begründungsversuchen von Interdisziplinaritat.
Die Argumentationslinie ist kurz zusammengefaßt: Philosophie ist
nicht die integrative Kraft, die einen neuen Zusammenhang der Wissenschaft begründen könnte. Ihre analytische Arbeit richtet sich
im Gegenteil gegen synthetische Vorstellungen, aber auch gegen die
Zersplitterung von Wissenschaft in Einzeldisziplinen.
Interdisziplinaritat ist eine durch Ökonomie, Ideologie, Wissenschaftstheorie und durch den Verweis auf reale Probleme gut begründete Notwendigkeit. Der Diskurs der Philosophie richtet sich
aber auch gegen solche Begründungsversuche und trifft "unter" ihnen auf den "Raum der Interdisziplinaritat", den ich als bestimmte
Kommunikationsform beschrieben habe.
Interdisziplinaritat und Philosophie bilden in diesem Raum einen
Diskurs, dessen Effizienz weder ökonomisch noch ideologisch gemessen werden kann.
Der Gebrauchswert dieses Projekts besteht meines Erachtens in der
Zerstörung von Funktionen, die Philosophie im Interdisziplinaritäten Zusammenhang im allgemeinen zugeschrieben werden. Gleichzeitig
soll eine Perspektive des Verhältnisses von Philosophie und Interdisziplinaritat frei werden, die zwei Konsequenzen für Interdisziplinaritäte Forschung haben könnte:
- Philosophie leistet keine letzte Begründung von Interdisziplinaritat, sondern ist der schärfste Kontrahent solcher
Letztbegründungen
- Philosophie verknüpft sich mit einer Interdisziplinaritat, die auf solche Begründungen verzichtet und eröffnet
damit gemeinsam mit ihr das Feld des Experiments
Methodische Anmerkungen zu den Gesprächsprotokollen
Die folgenden Protokolle sind Zusammenfassungen von Gesprächen,
die jeweils etwa 75 bis 90 Minuten dauerten. Sie sind selbst also
schon Interpretationen und vermitteln nicht mehr die authentische
Sprechweise der Interviews.
Es lag nicht in meiner Absicht, persönliche Motivationen aus Gesprächen abzuleiten, die aufgrund der Thematik immer schon sehr
gegenstandsbezogen und selbstreflexiv waren, die per se auf einer
Metaebene stattfanden. Alle befragten Personen versuchten selbst,
der Motivation von Philosophie und Interdisziplinaritat nachzugehen. Sie leisteten also selbst die Interpretationsarbeit, die
ich in den Zusammenfassungen möglichst adäquat nachzuvollziehen
bestrebt war.
Gewisse Brüchigkeiten in der Argumentation und Gedankensprünge,
wie sie in den Gesprächsprotokollen zum Ausdruck kommen, liegen
zum einen an der Thematik, die ja kaum eindeutige oder widerspruchsfreie Argumentationen zuläßt, zum "anderen an der Problematik der Reduktionsarbeit des Zusammenfassens, sowie an der
Struktur der Gespräche selbst.
Wenn ich auch - methodisch betrachtet - lediglich die Rolle des
Interviewers bzw. Fragestellers einnahm, hatte ich doch im Sinne
eines Produzenten von Diskussionsangeboten eine interaktionsanregende Funktion. Aus dieser Perspektive werden Fragen zu Interventionen, die ein Gespräch in unterschiedliche Richtungen zu lenken vermögen. Der heterogene Charakter und die Lebendigkeit der
auf Casette aufgezeichneteten Gespräche verschwinden in der Reduktion der Zusammenfassung. Trotzdem läßt sich keine homogene Argumentatiosstruktur destillieren, wo die fehlende Dokumentation der
Fragen notwendigerweise Lücken und Sprünge produziert. Zudem haben
Fragen im Gespräch immer auch Antwortcharakter, da sie sich auf
Aussagen der Interviewten beziehen und somit auf Gesagtes reagieren, indem sie beispielsweise eine Argumentationsfigur abrunden
bzw. neue Richtungen des Antwortens erschließen können.
Es ist intendiert, durch die protokollierte Zusammenfassung der
Gespräche in Form einer Rekonstruktion der Argumentationsleitlinien der interviewten Personen, eine Annäherung
zur Herausabil-
dung von Antwortmöglichkeiten und damit einen ersten Schritt zur
Kommentierung des Themas zu leisten.
Der Ort der Gespräche
Die Protokolle haben nicht den Anspruch, der mancherortens erhobenen Aufforderung zu einer "Philosophie der Interdisziplinaritat"
(z.B. in: Kocka 1987) nachzukommen. Man kann ganz allgemein von
Standortbestimmungen sprechen, die in ihrer Summe ein Stimmungsbild davon zeichnen, wie Philosophie auf die Herausforderung neuer
Wissensformationen und -Organisationen reagieren kann und will.
Einer ersten Beobachtung folgend, will ich den Protokollen zwei
Thesen als Leseorientierung voranstellen:
1. Alle Gespräche wurden mit Personen geführt, die in Klagenfurt
am Institut für Philosophie oder am Institut für Fernstudien arbeiten bzw. mit beiden enge Arbeitskontakte pflegen. Trotz mehr
oder weniger intensiver bekanntschaftlicher Beziehungen zwischen
den Institutsmitgliedern gibt es kaum Kooperationen inhaltlicher
Art zwischen dem Institut für Philosophie und dem Institut für
Fernstudien, das sich ja dezidiert als außeruniversitäre Institution versteht und daher auch wesentlich sein Selbstbewußtsein bezieht. Sowohl von der Organisationsform, als auch von den wissenschaftlichen Kompetenzen der Institutsmitglieder und von den Forschungsinteressen her, ist das IFF definiert als ein interdisziplinär arbeitendes Institut. Das Institut für Philosophie und das
IFF sind keine Kooperationspartner, sehr wohl bestehen aber Zusammenarbeiten über persönliche Beziehungen, bzw. über dritte Forschungsfelder, wie etwa die Gruppendynamik.
Ich will und kann hier nicht der Geschichte dieses lokalen Konfliktes nachgehen, der sich vielmehr als Fehlen einer Konflikt
"Kultur" (vgl. Heintel 1986) oder als Geschichte einer Entfremdung
darstellt. (Als Anmerkung sei jedoch gesagt, daß es sicher eine
lohnende Aufgabe wäre, eine Rekonstruktion dieser Geschichte zu
versuchen, weil anhand von übersichtlichem Material einiges von
der Problematik der Universität, ihrer Reform, der Stellung der
Philosophie und neuere Oppositionen wie außer/inneruniversitär
oder ältere, wie Theorie/Praxis zur Darstellung kommen könnte.)
These: Aufgrund
des Wissens um die Entfremdung
zwischen dem
Institut
für Philosophie
und IFF, welche in den
Gesprächen
kaum zum Ausdruck kam (was bezeichnend
ist),
kann man
fest-
stellen,
daß es in Klagenfurt keinen organisierten
und systematischen Austausch zwischen Philosophie
und
Interdisziplinaritat
gibt.
Er beschränkt
sich auf "Personalunionen"
oder
persönliche
Bekanntschaften.
Dieser Nicht-Austausch
auf offizieller,
organisatorischer
und theoretischer
Ebene bestimmt
das lokale Verhältnis
von Philosophie
und
Interdisziplinaritat.
2. Auffallend an den Gesprächen war, daß sich die Befragten so gut
wie gar nicht auf die Arbeit von Institutskollegen bezogen und
sich nicht mit den Inhalten, die das Institut für Philosophie repräsentiert, auseinandersetzten. Es wurden ausschließlich je eigene Positionen zum Thema bzw. zur Philosophie geäußert. Die Heterogenität der Aussagen wird durch den Protokollstil zwar eingeebnet, hebt sie andererseits auf ein allgemeineres Niveau.
Zu Gunsten einer allgemeinen Reflexion von Philosophie bzw. ihrem
Verhältnis zur Interdisziplinaritat, die sich auch äußert als allgemeine Selbstreflexion des Philosophen, wird in den Gesprächen
auf eine spezifische Selbstreflexion des eigenen Ortes im konkreten Arbeitszusammenhang, verzichtet. Resultat ist nicht die Auseinandersetzung mit einem bestimmten Begriff von Philosophie oder die
Reinstallierung eines solchen, sondern seine Heterogenität. Es
gibt verschiedene Weisen zu philosophieren, die keine einheitliche
Sicht einer Philosophie, ihrer Funktion im allgemeinen oder ihrer
Aufgabe im interdisziplinären Zusammenhang im speziellen produzieren.
These: Unter dem Namen Philosophie
verbirgt
sich eine nicht
auf einen Sinn reduzierbare
Vielheit
von Denkweisen. Diese
Heterogenität
des Denkens macht es schwer,
Aufgabenstellungen
auf organisatorischer
oder institutioneller
Ebene zu
definieren. Sie zersetzt
die organisatorische
oder
institutionelle
Ebene. Kooperationen
und Interessen
von Philosophen sind auf
dieser Ebene nicht
repräsentiert.
These 2 liefert eine wesentliche Begründung für die in der ersten
These gemachten Beobachtungen.
Zu Beginn aller geführten Interviews stellte ich die gleichlautende Frage nach dem Stellenwert von Philosophie in der interdisziplinären Forschung. Die Frage war bewußt allgemein gehalten,
setzte jedoch explizit die Philosophie in Verbindung mit Interdisziplinaritat. Die Wortwahl "Stellenwert" provozierte zudem Antwor-
6
t e n , d i e auf die zwei vordergründigen Bedeutungsebenen des Wortes
e i n g i n g e n : e r s t e n s auf den räumlichen Aspekt, der durch " S t e l l e "
b e z e i c h n e t i s t , und z w e i t e n s n a t ü r l i c h
auf das Problem der Wertigkeit.
Die e r s t e Reaktion auf d i e s e Eingangsfrage i s t dem j e w e i l i g e n Protokoll vorangestellt.
GBSPRÄCHSPROTOKOLLB
1. Gesprich
Gesprächspartner A: Philosoph, Gruppendynamiker, mehrfache Erfahrungen mit interdisziplinären Projekten
"jedenfalls einen sehr hohen. Ab einem gewissen Grad an Interdisziplinaritat kann ich mir gar nicht vorstellen, daß es ohne Philosophie geht. Selbst in kleinen interdisziplinären Projekten, in
denen beispielsweise Geographen und Psychologen zusammenarbeiten,
da geht's vielleicht noch, daß es ohne Philosophie auskommt, aber
wenn mehreres zusammenkommt, das stelle ich mir vor wie einen umgekehrten Baum, wenn verschiedene Quellen bzw. Quellgebiete zusammenlaufen, wenn's dann zu einem breiteren Strom wird, dann können
die das nicht mehr überblicken, meine ich, und entweder fangen sie
selbst an zu philiosophieren oder es gesellt sich zum Interdisziplinären auch noch ein Philosoph dazu."
Interdisziplinaritat wird
als
wissenschaftsimmanenter
Prozeß
bestimmt.
Ausgegangen
wird
von
einer
Wissenschaft,
die
arbeitsteilig zerfällt. Bei der Arbeitsteilung handelt es sich
nicht um eine ontologisch
fundierte Trennung,
sondern um
Separationserscheinungen, die selbst über den Charakter des
Mangels den Motor zur Weiterentfaltung von Wissenschaft enthalten.
Philosophie ist selbst von Arbeitsteilung betroffen, da sie in
ihrer Theoriebildung nach und nach auf Mathematik, Astronomie bzw.
auf die "große Naturwissenschaft" verzichtet hat.
Interdisziplinaritat ist die Antwort auf einen Mangel, der bestimmt ist als ein Mangel an Verständnis für die aufklärungsbedürftige Sache. In Gegenbewegung zum 19. Jahrhundert, dem Jahrhundert der krassen Arbeitsteilung, hebt sich in der Gegenwart die
Arbeitsteilung eher wieder auf. Man braucht Interdisziplinaritat
für die eigene Arbeit. Es lohnt sich über den Zaun zu schauen.
Bei der Interdisziplinaritat handelt es sich nicht um das Problem
der Legitimation für die eigene Wissenschaft, sondern um ein Bedürfnisproblem. Die Strukturierung der Bedürfnisse, ihr Obergang
in Forschungspraxis, läuft über das Interesse von Einzelwissen-
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schaftlern, nicht über die Einzelwissenschaften. Anfangsmotivation
für das gegenseitige Helfen ist der Eigenprofit, der im eigenen
Lernen besteht. Obergangsfelder entstehen, wo gemeinsame Kompetenzen liegen. Es gibt kein fertiges Sortiment oder Angebot, das Einzelwissenschaften vorweisen könnten, sondern Nachfrage und Interesse, deren Gemeinsamkeit erst nach einem Prozeß der Vorurteilsbearbeitung festgestellt werden kann (die "blöden* werden eliminiert, die "guten* werden diskutiert und dienen selbst als deren
* phantasievolle' Oberbrückung). Das gemeinsame Interesse ist nicht
nur gesteuert durch die vorhandene gemeinsame Idee, sondern ebenso
durch das Interesse am je eigenen Gegenstand.
In diesem Prozeß, also ab einem gewissen Grad an Interdisziplinaritat geht es gar nicht ohne Philosophie. Sie ist die reflexive
Instanz in der Interdisziplinaritat, wenn es Schwierigkeiten gibt.
Schwierigkeiten etwa im Finden einer gemeinsamen Sprache, nach der
zu suchen gemeinsames Anliegen sein muß. Philosophie kann hier einerseits ein Minimum an gemeinsamen Begriffen vorschlagen, andererseits könnte man sie selbst als allgemeine Sprachkritik definieren.
.
Wenn das Bedürfnis nach Interdisziplinaritat besteht, kann der
Philosoph versuchen, die gestellte Problematik durch neue Verbindungen ("wer immer Verbindungen schafft, kann philosophieren") zu
bearbeiten. Seine Überlegungen zu Querverbindungen können selbst
wieder Ausgangspunkt für den Ruf nach anderen, jetzt zusätzlich
benötigten Einzelwissenschaften sein.
Das Netz der Zusammenarbeit ergibt saich erfahrungsgemäß eher
durch Bekanntschaft oder Bekanntheit der Namen, als durch reine
formale, institutionelle Verbindungen. Begründet könnte das werden
durch ein bestimmtes Maß an Freiheit oder Freiwilligkeit, die interdisziplinäre Arbeit erfordert. Interdisziplinaritat ist nicht
erzwingbar. Ein Pflichtbegriff findet sich nur in der eigenen Disziplin.
Die gesellschaftlichen Begründungen von Interdisziplinaritat sind
Alibiargumente, denn die Gesellschaft bezahlt sich ja einen
Freiraum von den ihr einnehmbaren Zielen und Zwecken. Die Gesellschaft weiß nicht, was in den von ihr bezahlten Institutionen gemacht wird.
Wenn man schon von Druck zur Interdisziplinaritat spricht, läuft
dieser nicht über eine ideologische Begründung von Interdisziplinaritat selbst, nicht über einen "neuen Wahrheitsbegriff", sondern
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über die ökonomischen Interessen von einerseits Wissenschaftlern,
und andererseits den Auftraggebern für ein zu lösendes Problem.
Die Transformation der wissenschaftlichen Neugier, sowie der interdisziplinären Arbeit in einen Ratschlag, der Resultat einer
Auftragsarbeit sein kann (aber nicht sein muß, siehe etwa das System der Fellows bei IBM), vollzieht sich dann allerdings über die
zentrale Rolle der Ökonomie als eigener Vernunft. In der Frage,
wie man Ratschläge geben kann, spielen Philosophie und Gruppendynamik jedoch eine wichtige Funktion, da sie hier ihre Vermittlungskompetenzen sowohl in vertikaler, als auch in horizontaler
Arbeitsteilung anwenden können. Das geforderte Arbeitsergebnis
entspringt persönlichem Zeitdruck, ökonomischen Fristen und befriedigt ad hoc wichtige Fragen für die nicht-wissenschatliche
Praxis. In der Wissenschaft spricht man von Zwischenresultaten und
prinzipieller Unabschließbarkeit von Forschungsthematiken. Dieser
Widerspruch bleibt auch für interdisziplinäres Arbeiten bestehen.
Sieht man Interdisziplinaritat als Reaktion auf einen Mangel der
Einzelwissenschaften zum gegenwärtigen Stand der Wissenschaftsentwicklung, so ist sie per se keinesfalls eine Technik wissenschaftliches Arbeiten dem Gesetz der Ökonomie zu unterwerfen.
2. Gespräch
Gesprächspartner B: Philosoph, mehrfache Erfahrungen in interdisziplinärer Projekten, sowie mit deren Organisation
"Schwierige Frage... (Lachen)...Ja, da müßte man von der anderen
Seite herkommen und einmal fragen, was die interdisziplinäre Forschung überhaupt für einen Stellenwert hat, und da glaube ich, das
ist in gewissem Sinn einfach eine Arbeitshypothese mittlerer
Reichweite. Das ist für mich so, daß ich da irgendwie in einem interdisziplinären Zusammenhang drinnenbin und, ja, um in dem Zusammenhang arbeiten zu können, eine bestimmte Gelassenheit brauche.
Das heißt zum Beispiel, jetzt, wo ich in Berlin war, mit einem Soziologen, daß man einen Soziologen nicht eines Soziologismus bezichtigen darf, oder so. Das heißt, daß da eigentlich irrsinnig
viele unverbundene Diskurse nebeneinander stehen und daß man da
halt einmal nebeneinanderstehende Ergebnisse herausbekommt. Das
Interdisziplinäre wäre dann praktisch eine Haltung, die man dann
darin entwickelt und nicht eine gesellschaftliche Utopie oder
Ideologie in der Wissenschaft. Ideologie ist es sicher in der Wis-
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senschaft, nur ich möchte es nicht verwechseln, daß es quasi das
Projekt sein soll, womit man jetzt seine Arbeit legitimiert, daß
sie eben interdisziplinär ist."
Der gemeinsame Raum der Interdisziplinaritat ist bestimmt durch
einen gemeinsamen Gegenstand und durch die Obsession, ihn zu erklären, oder sich die Obsession selbst zu erklären. Er kommt zustande durch Sympathie, Nähe, Vorantreiben des Gesprächs durch
Mißverständnisse, Verfehlen von Bedeutungen, Erklärung von Erklärungen, durch gegenseitiges Verfehlen.
Um in diesem Raum arbeiten zu können, ist vom Wissenschaftler eine
bestimmte interdisziplinäre Haltung gefordert, die sich charakterisieren läßt durch die Gelassenheit, mit unverbundenen, nebeneinander herlaufenden Diskursen umzugehen, was bestimmte persönliche
Eigenschaften voraussetzt. Man darf nicht eitel sein, es geht
nicht um's Recht haben. Der interdisziplinäre Raum soll geschützter Raum ohne Neidstruktur und Oberzeugungswahn sein.
Interdisziplinaritat als Projekt wäre die Entfaltung von Unterschiedlichkeiten, ohne die ja nicht miteinander geredet werden
würde. Dagegen steht die leitende Ideologie von Interdisziplinaritat, die das einheitliche Resultat, die Fähigkeit zu integrieren,
Unterschiedliches einem Prinzip zu unterstellen, fordert. Doch in
jedem Augenblick ist die ideologische Funktion von Interdisziplinaritat zu Ende. Der interdisziplinäre Raum diffamiert dessen
Ideologie und verfolgt dessen Scheitern. Als Arbeitshypothese zur
Interdisziplinaritat gilt: man begibt
sich
auf ein
gemeinsames
Feld, und die Verfolgung
des gemeinsamen Projekts
ist
die
Verfolgung dessen Scheiterns.
Von Interdisziplinaritat zu sprechen heißt
also von einer Diskussionskultur, einer Rettung der "Lust am Text"
(das heißt am Gegenstand), von einer Art existenziellen Positivismus zu sprechen.
Es bleibt zu beachten, daß die aktuelle Diskussion um Interdisziplinaritat jedoch vielmehr zwischen verschiedensten politischen
Legitiroationsversuchen und ökonomischen Machtstrategien (Konzerne,
Staat als Auftraggeber) angesiedelt ist.
In solchen Diskursen wird der Philosophie die Rolle der integrativen Wissenschaft zugeordnet, als wäre Interdisziplinaritat das empirische Feld der Philosophie, aus dem sie dann den Sinn der Geschichte filtern könnte. Sie wird der Aufforderung zur Praxis,
Aufklärung und Didaktik nur unter dem Verdacht dauernder Produk-
11
tion von Simulationen nachgehen können. Die Zumutung, das Leben zu
erklären, es zu verstehen, Lebensberatung zu liefern, muß Philosophie zurückweisen.
Wenn ohne Entfaltung der Unterschiedlichkeit kein Gespräch zustandekommt, so entsteht es jedoch auch nicht ohne die Hypothese des
Gelingens. Der Mantel der Integration ist die erfolgversprechendste Maske der Philosophie; ihre Strategie ist die des Fragens bis
an die Ränder des Begriffs. Als Glücksmoment für den Philosophen
im interdisziplinären Raum wäre das Aufzeigen der Verbindungen
zwischen dem Projekt und seinem Scheitern. Philosophie ist Kommentar des Scheiterns, nicht das Scheitern selbst. Sie redet nicht
vom ontologischen Verlust des Sinns, sondern stellt Bezüge her zum
Verlust des Sinns.
Auf die Frage, was ein geglücktes interdisziplinäres Projekt wäre,
antwortet der Philosoph konsequent mit der Frage nach dem Glück.
Es ist die Einheitlichkeit des Sinns, die an ein Ende gekommen
ist. Die Notwendigkeit zur Aufhebung kommt an kein Ende. Das ist auf eine Formel gebracht - die Kernstruktur der Moderne.
Der Philosoph wehrt sich gegen den Anspruch, Philosophie als integrative Wissenschaft in den interdisziplinären Raum zu integrieren, da Integration nur aufgrund fundamentaler Ausblendungen möglich ist. Wenn die Gegensätze ihre lebendige Wechselwirkung verlieren, entsteht das Bedürfnis der Philosophie nach Dekonstruktion. Philosophie ist die
interdisziplinäre Disziplin, da sie
selbst mehrere Sprachspiele betreiben kann. Es gibt keine Verpflichtung in einem Sprachspiel zu bleiben, wie etwa in der Physik. Sie ist nicht definiert durch einige wenige Paradigmen, woraus keine Hoffnungen, aber Möglichkeiten abgeleitet werden können.
Daraus folgt nicht die Utopie der Bewältigung von Komplexität,
sondern die Idee des Philosophierens als Experiment. Wird in einer
"Hinreise" die Problematik zu Ende gedacht, so müssen in einer
"Rückreise" die Bedingungen, Zufälle und Lücken der Hinreise gedacht und gesetzt werden. Wenn sie sich nicht auf ein Allgemeines
bezieht, so bedeutet Philosophie ein unendliches Setzen/Neusetzen
>
von Bedingungen.
Setzt Philosophie in diesem Sinn Interdisziplinaritat als Experiment, versteht sie das interdisziplinär zu bearbeitende Problem
als experimentelle Anordnung, dann könnte man die Funktion von
Philosophie in einer räumlichen Metapher bestimmen:
Philosophie
12
befindet
bestimmt.
sich
am Rand des Experiments,
indem sie
diesen
immer neu
3. Gespräch
Gesprächspartner C: Philosoph
"Du, mir ist das schwer mit der Frage. Das hängt damit zusammen,
daß die Philosophie, was ihre Stellung in all diesen interdisziplinären Geschäften betrifft, leicht zu Selbstüberschätzung geneigt hat in der Vergangenheit immer wieder, und ich oft den Verdacht hatte, daß daran so Sachen leicht zu scheitern anfangen.
Wenn es nämlich einmal wirklich darum geht mit anderen Wissenschaften zusammenzuarbeiten, dann stellen sich eben soviele spezielle Probleme, die gar nicht erlauben, daß der Stellenwert des
eigenen Fachs oder der eigenen Oberlegungsformen von vornherein
festgelegt ist. Also meine Erfahrung ist immer eher die gewesen,
wann ich selber in interdisziplinären Veranstaltungen oder Projekten mitgearbeitet habe, daß es am leichtesten oder am besten geht,
wenn man gemeinsam Probleme entdecken kann. Darüber stellt sich
diese Frage nach dem Stellenwert der Philosophie, nach was die da
füer eine Bedeutung hat, für mich erst sehr spät oder gar nicht.
Deshalb habe ich jetzt etwas Probleme mit der Frage."
Philosophie neigt in der Bestimmung ihres Stellenwerts im interdisziplinären Kontext leicht zu Selbstüberschätzung. Demgegenüber
steht ihr eigenes Scheitern, das sie viel eher als Disziplin definieren könnte. Während immer noch der Stellenwert von Philosophie
zur Debatte steht, dementiert sie sich selbst oft nur noch in Auflösungsvorschlägen: "Krisen" oder Forderungen nach dem "Praktischwerden" oder Selbstbescheidung als Wissenschaftstheorie machen seit lkängerer Zeit Philosophiegeschichte. Philosophie hat
Schwierigkeiten sich als Einzeldisziplin zu definieren, als Fach
ist sie ein Phantasma.
In ihrem Verhältnis zu den Einzelwissenschaften reproduziert Philosophie ihr unglückliches Bewußtsein gegenüber der Theologie. Sowie Philosophie Abschied von genuinen Fragestellungen nahm, mußten
die Einzelwissenschaften philosophische Fragestellungen aufgeben.
Erst durch das Verbot von ontologischen Fragestellungen entsteht
das Problem der Philosophie als Einzeldisziplin, also auch deren
Disziplinierung. In einer Metapher gesprochen: Philosophie
ist
die
13
Mutter, die' immer Tochter
ter wurde, hatte sie ihre
wieder
verloren.
(der Theologie) war; bevor sie zur MutTöchter (die Einzelwissenschaften)
schon
Als
Integrationsfigur0
o Formatiexungsfehlerl
Entschuldigen Sie die Störung
Wir bitten um Geduld.
14
ist sie die leere
Mutter,
die nun ihre Töchter um sich
scharen
will,
was nichts
anderes ist,
als die ffiederkehr
ihrer
verdrängten
Tochterschaft.
Interdisziplinaritat in ihrer produktiven Form tritt dort auf, wo
sich das Problem der Einzelwissenschaft erst gar nicht stellt. Sie
ist das Produkt eines Scheiterns aufgrund der axiomatischen Grenzen von Einzelwissenschaften. Probleme, die auftreten, sind kein
Beweis freiwilligen Austretens aus einem axiomatischen Schema.
"Man wird hinausgetreten" (Versagen). Hier wäre vielleicht ein
Stellenwert von Philosophie anzusetzen, denn man könnte Philosophen als Spezialisten im Scheitern bezeichnen. Es gibt aber in der
Philosophie noch wenig Selbstbewußtsein gegenüber der eigenen Geschichte scheiternder Fragestellungen. Erst der Stolz auf die eigene Geschichte des Scheiterns würde ihre Abgründe und Widersprüche freilegen.
Weil die eigene Axiomatik nicht ausreicht zur Lösung eines Problems, entstehen gemeinsame Problemstellungen verschiedener Disziplinen. Sie werden philosophisch, indem sie fragen. Alle gelungenen Beispiele von Interdisziplinaritat zeigen diese Struktur des
Scheiterns als Ursprung und des daraus entstehenden Fragens als
Konsequenz. Das interdisziplinäre Gespräch ist insofern Mythos,
als nie Disziplinen miteinander sprechen, sondern immer Personen,
die schon die Grenzen ihrer Wissenschaft überschritten haben. Interdisziplinaritat wird dort zum Problem und muß wie ein Schild
vorangetragen werden, wo die Grenzen der Disziplinen nicht aufgelöst werden. So wäre die Diskussion um Interdisziplinaritat paradoxerweise die Verschleierung von Obersetzungsproblemen aufgrund
territorialer Kämpfe. Jede Disziplin ist ein Garten mit Zaun, jede
zeigt der anderen die Zäune, nicht was drinnen ist. Daß sich Zäune
ähneln ist klar, so wird die Ähnlichkeit von Zäunen zur simulierten Gemeinsamkeit, zur Karikatur eines Gesprächs.
Eine andere Möglichkeit könnte sich aus einem Gespräch ergeben,
das das gemeinsame Problem im Zentrum hat: die Zäune verschwinden
und erweisen sich als Produkte institutioneller Einbildungskraft.
Damit verschwindet das Problem der Obersetzung. Zwar ist die "Problemsprache" eine spezifische Sprache, jedoch keine Fachsprache.
Im Fragen entsteht eine neue, dritte Disziplin, die wesentlich
auch von der Unverfügbarkeit der Gesprächssituation lebt. In dem
Maße, wie Legitimation mittels spezifischer Axiomatik verschwindet, erscheint eine neue Qualität von Gespräch. Es geht um's Zuhö-
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ren, um "das Mitgehen in anderen Gärten", was viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Im "Mitgehen" oder im gemeinsamen Fragen eliminieren sich Fachprobleme von selbst, eine allgemeine und verständliche Sprache ist das Resultat. Man würde viel besser von
Transdisziplinarität sprechen, einer Eigenschaft, die übrigens auratischen Persönlichkeiten zugesprochen wird.
Wenn im Mythos von der Interdisziplinaritat die Weltformel versprochen scheint, zu der alle Einzelwissenschaften ihren Teil beitragen, so ist der Widerstand gegen diesen Mythos zum einen aus
dem Versagen dieses Versprechens, zum anderen aus dem andersgelagerten Bedürfnis nach dem Vorwärtstreiben der Fragen und nicht der
Antworten zu erklären. Diese Differenz von Fragen und Antworten
taucht wieder auf in der Differenz von verkaufbarem Arbeitsergebnis und dem Ergebnis für den einzelnen, taucht negativ auf in der
Differenz zwischen "Papiererzeugung und Inspirationsdefizit". Eine
Differenz, die vielleicht auch eine institutionelle Grenzziehung
wie z.B. zwischen Inner- und Außeruniversitärem unterläuft. Es
wäre die Frage zu stellen, wie das Umfeld beschaffen ist, wie und
ob seine Bedingungen zu organisieren sind, in dem etwas "Neues"
entsteht. Inspirationsfelder zu organisieren bedeutet in erster
Linie Umgang mit unstrukturierter Zeit, in der vielleicht nichts
passiert, das heißt Umgang mit Enttäuschung.
Die Enttäuschung hängt zusammen mit der Einsicht in die Langfristigkeit komplexer Probleme, mit dem Leiden an abstrakter Vorstrukturiertheit der Zeit und der nur bedingten Möglichkeit aus
der Zeitordnung auszubrechen. Zwischen Bescheidenheit als philosophischer Tugend par excellence und extremem Wunsch nach Gemeinsamkeit sowie philosophischer Erfahrung mit Einsamkeit gilt es, das
Thema und die Problematik des Gesprächs selbst nicht zum Verschwinden, sondern zum Leuchten zu bringen.
3. Gespräch
Gesprächspartner D: Philosoph
"Das ist eine blöde Frage...(Lachen)...Zu erst einmal überhaupt
keinen. Na, ich geh' mal von dem Ist-Zustand aus und von der Bewertung und dem Prestige, was momentan in der Öffentlichkeit für
Philosophie existiert. Ich habe gerade gehört, daß der philosophische Einführungsunterricht an höheren Schulen noch einmal gestutzt
werden soll, aus dem Grunde, daß die Politiker fürchten müssen,
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hier ein kritisches Potential heranzuzüchten, das sie dann beim
nächsten Wahlgang nicht mehr wählt. Das heißt, wir sind immer noch
besser als Religion, denn bei Religion würde man sich aufgrund des
Konkordats nicht trauen die Stunden zu reduzieren, aber beim philosophischen Einführungsuinterricht scheint hier noch eine Lücke
zu sein, die noch nicht genützt ist, das heißt eine Abschaffungslücke. Also..., Stellenwert..., ich gehe nur einmal aus von diesem
objektiven Stellenwert aus, existiert
nicht,
es ist kein Stellenwert da, den man sehen kann, den man greifen kann, für das was wir
hier machen, denn wir bilden ja in erster Linie Lehramtskandidaten
aus..."
Philosophie hat keinen Stellenwert in interdisziplinären Arbeitszusammenhängen. Andere Wissenschaften lauern nicht auf das, was
Philosophie an Paradigmen zu bieten hat. Die einzelnen communities
machen ihren eigenen Gang: männlich, Trip auf unendlich gestellt.
Philosophie wird benötigt um rückwirkende Legitimationen, Alibis,
Nachweise eines Forschungskontinuums zu liefern. Dagegen steht die
Realität des Forschungsfortschritts, der sich zeigt als zufällig,
diskontinuierlich und irrational.
Ehemals zentrale Fragen der Philosophie sind entweder abgewandert,
wie z.B. die Auseinandersetzung mit Natur in die Technik oder haben sich zersetzt, wie der Komplex von Moral, Ethik und politischer Verantwortlichkeit. Das Verhältnis von Philosophie zu Politik ist gekennzeichnet durch nicht mehr klar voneinander abzugrenzende Haltungen der arroganten Oberhebung oder der Subversion;
reale Strategien des praktischen Philosophierens hingegen lassen
sich gut beschreiben als parasitäre SubUnternehmungen.
Auf einer pragmatischen Ebene also hat Philosophie kein Prestige
in der Öffentlichkeit. An der Universität wurde aus ihrer ehemals
starken Stellung eine periphere Existenz. Mit den Kürzungen des
Forschungsetats und des Stundenbudgets im universitären Bereich,
ihrer "bevorzugten Stellung" im Sanierungsprogramm, korrespondiert
die Tatsache, daß keinerlei Erwartung in ihre Brauchbarkeit existiert. Der Präsenz in den Medien entspricht keine reale Bedeutung. Mediale Präsenz ist im Gegenteil die Erscheinungsform ihrer
Bedeutungslosigkeit. Die Geschichte ihrer Zusammenarbeit mit Macht
ist eine Geschichte des Scheiterns von Syracus bei Piaton bis Le-
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nin und Stalin. Daraus läßt sich aber ein skeptisch-fröhlicher
Schluß ziehen: Philosophie produziert keine Resultate, deshalb
spekuliert sie ungebunden, was sich andere Disziplinen nicht leisten können. Aufgrund von Handlungsentlastung kann man also auf
einer spekulativen Ebene von Hoffnung sprechen. Wenn sich Philosophen nicht damit begnügen wollen als Bibliothekare Vergangenheit
zu verwalten, eröffnen sich für sie Freiheiten, die darin liegen,
keinen anständigen Beruf zu haben. In freier Spekulation leisten
sie sich Spielerei, Oberschuß und Luxus.
Die reale Ebene ist für Philosophie gestrichen, Verständigungsebenen werden liquidiert, der Philosoph zieht sich aus politischer
Verantwortlichkeit zurück und zeigt sich nicht mehr für alles verantwortlich. Die daraus resultierende neue Beweglichkeit sollte
sich nicht wieder im Denken neuer Herrschaftsmöglichkeiten verbrauchen, denn gemessen an dem, was heute Politik heißt, ist Philosophie notwendig entpolitisiert.
In der Philosophie sammelt sich der "letzte Mist an Fragen", sie
ist selbst eine Restkategorie. Die Möglichkeiten der Philosophie
liegen in ihrer Wirklichkeit als parasitäre Existenz und ihrem
Vermögen, sich mit einer Menge unbeantwortbarer Fragen zu beschäftigen. Allein auf dieser spekulativen Ebene begibt sich der Philosoph in neue Belangbarkeiten. Seine Arbeit besteht im Abbrechen
alter Abhängigkeiten und Zuständigkeiten, indem er bloß den Impulsen seines eigenen Denkens folgt, sich in Präzision und Folgsamkeit gegenüber den Gedanken übt. Die Belangbarkeit verzieht sich
in die Buchstaben und den Text. In diesem Zusammenhang erklärt
sich die Aktualisierung von Form- und Stilfragen. In diesem Spiel
setzt sich der Philosoph selbst auf's Spiel: Inszenierung und Lebenspraxis sind neue Kompetenzbereiche.
Auf der realen Ebene wird er konsequent unbrauchbar für die Legitimation von wissenschaftlichen und politischen Tätigkeiten. Wurde
die Suche nach festen Identitäten zur öffentlichen Aufgabe, so erweist er sich nun als Theoretiker der Verflüssigung und des Verschwindens, weil er selbst immer schon verschwunden ist.
Interdisziplinaritat liegt im Trend gegenwärtiger Forschungsstrategie; dafür spricht ihre massive Anwendung im militärischen Bereich und in der "Sanierungsforschung". Sie selbst ist niemals als
Ganzes zu fassen, sondern ein verblasenes Unternehmen, ein rie-
18
siges pädagogisches Geschäft, ein bildungspolitisch gut motiviertes Geschäft.
Die Arbeitsweise der Wissenschaften kann weder als interdisziplinär, noch als säuberlich-disziplinär beschrieben werden: am Anfang
liegt die Räuberei, man bedient sich, schlachtet aus. Die Kooperation unter den Wissenschaften ist nur eine Bezeichnung für ein
sehr aggressives gegenseitiges Verhalten. Es geht darum, sich abzuspalten, nicht sich zu binden. Im "Biotop der Wissenschaften"
lebt der Virus der Interdisziplinaritat. Es wird "vernichtet, versteinert, ausgesaugt". Es geht um Zerstörung und Vermehrung. Wer
hier auf's Ganze will (das Ganze meint), ist der erste Selbstmordkandidat: vielmehr geht es um Anpassung.
In diesem Raum passiert auch die parasitäre Anpassungsleistung von
Philosophie.
5. Gespräch
Gesprächspartner E: Philosoph
"Der Möglichkeit nach alle, der Wirklichkeit nach keine, weil sie
mit dem Handikap belastet ist, den geschichtlich entwickelten
Größenwahn zu vertreten, der bei allen anderen Wissenschaften das
Mißtrauen eben gegenüber ihrem Größenwahn hinterläßt, wodurch es
sozusagen eher erschwert ist als erleichtert, zu sowas wie Interdisziplinaritat zu kommen, obwohl sie eigentlich die Mittel dazu
hätte und sie bereitstellen könnte. Das heißt ein Philosoph muß
sich erst ausweisen darüber, daß er nicht nur Philosoph ist, daß
er in den anderen Wissenschaften, um deren Projekte es jeweils
geht, firm ist und dann muß er noch fähig sein vergessen zu machen, darüberhinaus, daß er seine fachliche Kompetenz ausgewiesen
hat, muß er noch fähig sein, die anderen vergessen zu lassen, daß
er Philosoph ist, weil jedesmal, wenn er zu seiner eigenen Fachsprache Zuflucht nimmt, liegt schon am Tisch die große Frage:
jetzt schwirrt er wieder ab, oder: jetzt wird er wieder unverständlich, jetzt philosophiert er wieder. 'Du mit deinen Philosophierereien bist mir ein rechter Greuel' sagt die Frau gehorsam,
um einen Poeten zu zitieren."
Der Philosoph ist nicht nur Philosoph, sondern muß sich auch in
anderen Wissenschaften auskennen, um gegebenenfalls bei anderen
19
Wissenschaften vergessen zu lassen, daß er nur Philosoph" ist. Das
Verhältnis zu anderen Wissenschaften ist belastet durch den geschichtlcih entwickelten Größenwahn, den er vertritt und der Interdisziplinaritat eher erschwert als erleichtert.
Im System von Wissenschaften, das territoriale Abgrenzungen bestimmt, gibt es Widerstände gegen Universalisten. Es entsteht die
Opposition von Exaktheit und Dampfplauderei. Es geht dem Philosophen wie dem Theologen vor 200 Jahren, wenn er nun von Einzelwissenschaften als Allerweltsschwätzer eingeschätzt wird.
Philosophen produzieren Ideologie ohne sich dem entziehen zu können. Es wäre Ziel philosophischen Fragens, die Grenze zwischen
notwendig falschem Bewußtsein über sich selbst und dem Gedanken,
wie man eine Epoche auf den Begriff bringt, zu untersuchen. Anhand
der Theorien politischer Bewegungen, wie der Arbeiterbewegung oder
der Grünen, läßt sich die Nähe von Theorie und Ideologie zeigen.
Philosophie als Zulieferer von ideologischen Versatzstücken im interdisziplinären Arbeitszusammenhang ist insofern Anachronismus,
als die Techniker ohnehin die modernen Theologen sind. Sie vertreten das Interesse am Absoluten. Das Interesse an Interdisziplinaritat, am absoluten, perfekten Durchdringen des kleinsten Details
durch eine Forschergemeinschaft setzt sich an die Stelle alter
Gottesvorstellungen. Um tun zu können, was Technik tut, braucht
man Ideologie; zumindest die von der Notwendigkeit des Fortschritts und der Technik.
Jenseits des ideologisch und wissenschaftstheoretisch gefestigten
Bildes von Einzelwissenschaften arbeiten diese wesentlich weniger
methodisch und bedürfen ebenso des philosophischen Staunens wie
des poetischen Ausdrucks. Vielleicht füllen die Einzelwissenschaften nur Positionen alter Systeme auf, ohne das Bewußtsein ihres
Ortes im System. Die Schwierigkeiten mit dem Forschungsgegenstand
könnten daher rühren. Der Forschungsstand ist nicht mehr aufzunehmen. Der Gegenstand wird zu groß bei gleichzeitigem Bedürfnis alles zu wissen. Das Argument, alles sei zu kompliziert geworden,
scheint aber von einem Fortschrittsgedanken geprägt zu sein, denn
die Komplexität von heute zeugt nicht nur von zunehmendem Wissensstand, sondern auch von Reduktion vergangener Komplexität.
20
Philosophie kann, wenn sie ihr eigenes Verhältnis zur Ideologie
reflektiert, dem Dualismus von Einzelwissenschaft und Ideologie
des allgemeinen Fortschritts durch die Wissenschaft entgehen und
in interdisziplinären Projekten ihr eigenes Vermögen, die Totalität immer wieder einzuklagen, zur Verfügung stellen. Am Leitfaden
eines alten systematischen Philosophierens hat der Philosoph eine
Vorstellung, wie die Mittel zur Verständigung über einen Gegenstand ausschauen könnten.
Zwei Positionen in der interdisziplinären Forschung könnten sich
für den Philosophen ergeben: zum ersten könnte Philosophie Nahtstelle zwischen unterschiedlichen Projekten sein, indem sie allgemeinere Interessen bearbeitet, oder sie leistet einen Transfer vom
Besonderen in's Allgemeine, z.B. vom Mikrosoziologischen in's Makrosoziologische, wie beim Projekt "Der autoritäre Charakter", das
in Verbindung mit den Arbeiten zur "Dialektik der Aufklärung" entstand. Zum zweiten erweist sich Philosophie gerade durch diese Ambitionen - wenn sie damit nicht bloße Forschungslegitimation betreibenwill - als Störfaktor in Projekten, in denen die Interdisziplinaritat ohnehin schon durch andere Interessen legitimiert
wird, etwa durch nationale, militärische oder ökonomische. Als
Störfaktor macht Philosophie eine Gratwanderung, denn sie will
sich als Eindringling auch bezahlen lassen. Man darf nicht vertrauen in die bezahlte Möglichkeit von Subversion, in die Möglichkeit gegen die Intention von Auftraggebern und willigen Einzelwissenschaftlern zu arbeiten. Soll der Philosoph die Dignität eines
Projekts verstärken, als Aufputz dienen, indem er den Reiz der
Sicht des Anderen vertritt, soll er der Produktion Dauerhaftigkeit
verleihen, indem er das Allgemeine Vertritt, so verwickelt er sich
in Widersprüche und gefährdet seine Brauchbarkeit, da seine Arbeit
wesentlich Verzögerung ist, Umwege beschreitet, eine andere Zeitdimension erfordert.
Genau diese Struktur bringt ihn wieder in die Nähe seiner Fremdbestimmung als Schwätzer: er repräsentiert den überschuß eines Projekts. Damit ist er gleichzeitig schon wieder an der Grenze zum
Größenwahn der "zeitlosen Gedanken".
Philosophie im interdisziplinären Zusammenhang muß eine Vorstellung von Arbeit entwickeln, die sie offensiv vertreten kann. Mit
den Effizienzkriterien des naturwissenschaftlich-technischen Komplexes kann sie es nicht aufnehmen.
21
Es läßt sich zeigen, daß die interdisziplinäre Gemeinschaft immaginär ist. Nur teilweise realisiert sie sich, oft am Rande von Tagungen, bei denen nicht vorstrukturierte Wahrnehmungen und Gespräche möglich sind. Im Gespräch liegt die Möglichkeit von überraschendem, surrealem Aufeinandertreffen von weit Auseinanderliegendem. So erscheint
die Gefahr der Einebnung durch Organisation
kleiner.
Letztlich geht es um die Frage der Herstellbarkeit von Bedingungen, die den von Philosophie intendierten Möglichkeiten - Störung,
Umweg, Transfer vom Einzelnen in's Allgemeine - Raum geben. Es ist
etwa mindestens widersprüchlich Bekanntschaft unter den Projektteilnehmern als Kriterium vorauszusetzen, um das geplante "gestörte Funktionieren" zu ermöglichen, denn genauso gut könnte dadurch eine bloße Andeutungssprache ("eh schon wissen") entstehen.
Im Gegensatz dazu kann eine hierarchische Organisationsstruktur
wieder produktive Destruktionsprozesse initiieren.
Man müßte die Rahmenbedingungen für Interdisziplinaritat erleichtern, indem etwa Wissenschaftlerkolonien nach dem Muster der
Künstlerkolonien gegründet werden könnten, in denen es sich ungestört denken ließe. Die Frage ist, wieviel Luxus sich eine Gesellschaft leisten kann und wieviel Luxus der Wissenschaftler ungestraft in Anspruch nehmen kann, ohne daß seine ursprüngliche Forschungsintention Schaden nimmt. Die Lehrformel vom "freien Austausch von Informationen und persönlicher Begegnung" sagt nämlich
noch nichts über das Funktionieren der Interaktion und deren Inhalte aus.
Verschwendung ist ein relativer Begriff, der sich am Normalverhalten mißt, dessen eigener Anteil an Verschwendung in solchen Oppositionen unhinterfragt bleibt. Auf eine allgemeine Formel gebracht: es geht um Organisation
von Verschwendung,
das heißt um
deren
Umleitung,
nicht
um eine neue
Verschwendung.
6. Gespräch
Gesprächspartner F: Mathematiker, mehrfache Erfahrung mit
d i s z i p l i n ä r e n Projekten sowie mit deren Organisation
inter-
22
"Ist unterschiedlich. Das hängt wohl sehr davon ab, wie weit
interdisziplinär
so ein Projekt ist. Also vielleicht zwei
Beispiele: ein Beispiel ist das eine Projekt gewesen, mit dem
Titel * Energiesparen'. Also es ging darum, verschiedene Techniken,
die normalerweise getrennt behandelt werden, von Bauingenieuren,
Architekten, Heizungstechnikern irgendwie zusammenzuführen. In
diesen drei technischen Disziplinen herrschen zum Teil ganz eine
andere Sprache, z.B. zwischen Architekt und Bauingenieur, und gewisse andere Paradigmen. Allerdings wurde da z.B. die Philosophie
nie bewußt miteinbezogen, sondern die ist irgendwie im Hintergrund
gestanden. Zwar hat man so kurz angeschnitten, was heißt denn eigentlich Sparen, was heißt denn eigentlich Energie, aber das war,
ich möchte das fast vergleichen mit, < so, jetzt entspannen wir
uns, die Probleme sind jetzt gelöst oder noch nicht gelöst, jetzt
lassen wir die Diskussion so philosophisch auslaufen oder wir fangen mit ein bißchen Philosophiean, damit wir da irgendwie in's Gespräch kommen >. Und im Gegenteil, ich habe das dann eher abwertend empfunden, auch bei den Seminaren, wo Techniker, wenn sie
einmal nicht sicher .sind, welches Verfahren jetzt richtig ist,
dann sprechen sie immer von der Philosophie des..., und dann kommt
halt immer ein Verfahren oder eine Methode. Also da ist Philosophie kaum zum Zug gekommen. Als zweites Beispiel - da ist der
Stellenwert recht hoch, das ist allerdings ein gescheitertes Projekt -, das ist ein Bildungsprojekt der Erwachsenenbildung, und da
ist es wiederum darum gegangen Bausteine zu entwickeln zu naturwissenschaftlichen Themen, das war der eine Teil, und zu sprachlichen, literarischen Themen auf der anderen Seite. Da war es für
uns so, bei dem naturwissenschaftlichen Teil, bei dem ich mitgearbeitet habe, daß die philosophischen Probleme eigentlich im Vordergrund gestanden sind, verglichen mit den Fakten und Daten und
auch Theorien der Naturwissenschaften. Da ist Philosophie für mich
insbesondere sehr wichtig, daß wir da eigentlich immer unsere eigene Lage miteinbezogen haben, das, was für mich eigentlich immer
sehr stark mit P. zu tun hat."
Interdisziplinaritat ist nicht etwas, das man schaffen muß, sondern es ist das Genuine. Der Alltag ist der optimale Gegenstand
von Interdisziplinaritat, und aus ihm entstehen ununterbrochen interdisziplinäre Probleme. Man könnte das Alltagsverhalten als Analogie zum interdisziplinär arbeitenden Wissenschaftler setzen
23
(schon der Haushalt läßt sich nur interdisziplinär bewältigen).
Diese Definition geht also nicht von dem System der Wissenschaften
aus, sondern von der sich nicht unter Disziplinen subsumierbaren
Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist komplex, so wie die Gegenstände
oder Produkte menschlichen Eingreifens selbst materialisierte Interdisziplinaritat sind.
Interdisziplinaritat ist nicht nur eine Frage konkreter Organisation, sondern gleichzeitig schon Resultat einer technisch-medialen
Vernetzung (von der Zeitschrift bis zum Computer) , die aber noch
nichts über die qualitative Verbesserung von Forschung aussagt.
Fachgrenzen lösen sich erst auf, wenn die Neugier als eigentlicher
Impuls der Interdisziplinaritat das philosophische Dilemma der
Einzelwissenschaften, nämlich sich selbst mit den eigenen Paradigmen erklären zu wollen, überwindet.
Wenn es stimmt, daß der Alltag der ideale Gegenstand der Interdisziplinaritat ist, so stellt sich für die Interdisziplinaritat die
Frage, nach der Verantwortlichkeit von Wissenschaftlern neu. Es ist
falsch, Interdisziplinaritat als kollektiven Ersatz für das Universalgenie zu denken, also eine individuelle Ethik anzuwenden.
Das ethische Kriterium für Interdisziplinaritat wäre der Aufbau
von Handlungskompetenz, was sofort den Alltag als Forschungsgegenstand a priori relativiert. Der Alltag ist eine black box, die,
wenn man sie öffnet, aus immer neuen besteht. Falsch und sinnlos
wäre es, sie alle durchschauen, also interdisziplinär öffnen zu
wollen. Wissen kann nicht der einzige leitende Begriff von Interdisziplinaritat sein, denn Umgang mit Komplexität heißt, praktische (auch im Sinn von einfachen) Umgangsformen zuzulassen.
Anhand der großen interdisziplinären Projekte - Manhatten Projekt,
Raumfahrt, SDI - läßt sich die Dialektik von Interdisziplinaritat
zeigen. Ein Zusammenschluß von Wissenschaftlern arbeitet an der
Analyse und Verwirklichung eines gigantischen Problems und wird
dabei als Kollektiv zur black box, in der Begriffe wie Individuum,
Freiheit, Verantwortung, ja selbst Wissenschaft hintergrundlos
werden.
Steht die Lösung eines Problems im Vordergrund eines interdisziplinären Projekts, so kommen allgemeine Fragestellungen nicht auf.
24
Ist aber genügend kritisches Potential und Zeit vorhanden, so rücken meist über die Einbeziehung der eigenen Lage philosophische
Probleme in den Vordergrund.
Der Wunsch nach einem Philosophen taucht allerdings auch in solchen Konstellationen kaum auf. Philosophie dient zur Verständigung
über die Fachgrenzen hinaus: Fragen nach dem Inhalt und Sinn eines
Projekts oder Methodendiskussionen sind Auslöser des Entstehens
von Philosophie in der Interdisziplinaritat. Es zeigt sich dann,
daß alle Fachdisziplinen ihre Philosophie selbst stricken, besonders in den jeweiligen Fachdidaktiken.
Letztlich dient philosophische Argumentation der Legitimation nach
außen hin. Das Projekt muß interessant gemacht werden, es muß
gesellschaftlich relevant sein, man muß es verkaufen können.
Sowohl Darstellung als auch Reflexion des Projekts bedienen sich
philosophischer Sprechweise.
Von
der
Philosophie
wäre
die
Verschärfung
solcher
in
interdisziplinären Projekten auftauchenden Fragen zu erwarten.
Ihre Hauptaufgabe wäre das Aufmerksammachen von Aporien, die
Bereicherung
des
Szenarios
durch
Darstellung
und
Verständlichmachung von Widersprüchen. Da Philosophie nicht
unmittelbar zur Lösung einer engen Aufgabenstellung beiträgt, kann
sie die Problemstellung erweitern, mehrere Möglichkeiten oder
Allgemeines aufzeigen. Aufgrund ihrer Erfahrung mit strukturellen
Problemen liegt ihr Aufgabenbereich darüberhinaus in der Reflexion
von
institutionellen
und
organisatorischen
Bedingungen
von
Forschung. Sie kann leichter Zusammenhänge etwa zwischen dem
Auftraggeber und den sozialen Implikationen eines Projekts im Auge
behalten,
als
andere
Fachdisziplinen,
deren
Auftrag
im
interdisziplinären
Projekt
enger
gesteckt
sein
muß.
Der
Einzelwissenschaftler
muß
sich
auch
als
Teilnehmer
an
interdisziplinären Projekten andauernd als Einzelwissenschaftler
qualifizieren. Der Philosoph kann sich zunächst einmal zu jedem
Problem äußern. Daran knüpft sich ein nicht unberechtigter
Vorwurf, daß sich Philosophen oft in esoterischen, allgemeinen
Diskussionen verlieren. Philosophen arbeiten sehr grenzenlos,
daraus resultieren vielleicht ihre Schwierigkeiten reale Grenzen
zu überschreiten. Der Mathematiker setzt sich viel engere Grenzen,
lebt aber von deren Überschreitung.
25
7. Gespräch
Gesprächspartner G: Philosoph, Sozialwissenschaftler
"Vorweg glaube ich, daß Philosophie überhaupt ohnehin Interdisziplinaritat schon mal begründet, sozusagen im Sinne von Wissenschaftstheorie, die Philosophie fordert, die in der Interdisziplinaritat liegt und diese definiert oder bestimmt. Ich würde sagen,
daß der Gedanke der Interdisziplinaritat von der Philosophie her
kommt. Ich vermute, daß Einzelwissenschaft wahrscheinlich eher die
Tendenz hat, nicht interdisziplinär sein zu wollen, traditionell."
Wenn man konkrete Erfahrungen mit Gruppenarbeit macht und an einer
interdisziplinären Thematik arbeitet, befindet man sich als
Philosoph in einer sehr zwiespältigen Situation. Ein gemeinsames
Interesse und persönliche Zuneigung haben eine Arbeitsgruppe
konstituiert, in der relativ schnell aufgrund unterschiedlicher
Kompetenzen
Rollenaufteilungen
im
Gruppenprozeß
und
Spezialistentum in bezug auf die Thematik entstehen.
Interdisziplinaritat und Philosophie bilden ein komplexes Paar,
wobei
Philosophie
selbst
wohl
schon
Interdisziplinaritat
begründet. Dennoch hat das philosophische Interesse die Tendenz,
feste Strukturen permanent aufzusprengen und damit auch einmal
festgelegte Rollen in der interdisziplinären Arbeit zu behindern.
Dem einmal erschlossenen interdisziplinären Kontext steht die
philosophische Lust gegenüber, Sprengarbeit am Problem zu leisten,
also den Problemzusammenhang ad infinitum zu erweitern. Es gibt
einen Punkt, ab dem Reduktionen philosophieimmanent nicht mehr zu
leisten sind. Das angesammelte Material wird zuviel, und nun
werden Ordnungskriterien tragend, die in einer Gegenbewegung die
Philosophie an einem peripheren Ort (etwa im Anmerkungsapparat)
verankern, um nicht den Arbeitserfolg und die Zeitökonomie der
Gruppe und des Projekts zu ruinieren.
Als Theoriearbeiter wurde man zur Zumutung für andere, und der
unrealistische Umgang des Philosophen mit Zeitdruck, beschränkten
Mitteln, dem notwendigen Ergebnis und den räumlichen Bedingungen
wird zur Provokation für diejenigen, denen man vertrauen muß und
will,
da
sie die
zeitlichen und
materiellen
Bedingungen
26
repräsentieren und organisieren, um
Projekts zu gewährleisten.
überhaupt
den Abschluß des
Man macht als Philosoph im Projektzusammenhang arbeitend die
Erfahrung, daß sich eine bestimmte romantische Vorstellung von
Arbeit letztlich nur als persönliches Problem oder Fehlverhalten
interpretieren läßt. Das Gefühl, unendlich viel Zeit zu haben, in
einer "scientific community" endlos lang darüber reflektieren zu
wollen, was überhaupt der Gegenstand der Arbeit sei, die
Vermischung von persönlichem Alltag und Wissenschaft, von Privatem
und öffentlichem, beschreiben ein Bedürfnis, das sich an den
konkreten Arbeitsverhältnissen bricht. Die Bilder dieser Form des
Philosophierens
entstammen
einem
romantischen
Vokabular:
Spaziergänge, illustre Orte, das Austauschen von Aufzeichnungen,
eine gewisse Gelassenheit und vor allem die Ungewißheit, ob man
noch ankommen will.
Natürlich will und muß man ankommen. In einer Übersetzung in
psychologisierende Sprache registriert man gewisse Peinlichkeiten
an dieser romantischen Arbeitsutopie,
denn man
müßte von
Betroffenheit, Interesse, Lust und Spaß reden.
Im Interview oder Gespräch gibt es etwa dieses Versprechen einer
offenen Zeitstruktur. Man spielt sich Fragen zu, redet herum,
deutet an, denkt dialogisch, begibt sich auf Umwege, nähert sich
an und entfernt sich. Die konkreten Arbeitserfordernisse drängen
solche Formen des offenen Sprechens in Oppositionen, wie etwa in
die von Genauigkeit und Schlampigkeit oder Anwendbarkeit und
Unbrauchbarkeit. Auf diese Weise philosophierend wird man zum
Außenseiter, produziert
Gefühle persönlichen
Ungenügens und
konstituiert paradoxer Weise seine Selbstdefinition noch durch
unmäßige Identifikation mit dem Gegenstand, der sich ja gerade im
Philosophieren zu verflüchtigen drohte. Man
findet
keinen
angemessenen Ort mehr für sich und seine Arbeit.
Diese
Form
des
Philosophierens
leistet
kein
gemeinsames
Verständnis innerhalb der Arbeitsgruppe, höchstens als Widerstand
gegen den Philosophen, der sich lächerlich macht und sich eher aus
dem Arbeitskreis hinauskatapultiert. Der Philosoph hat keinesfalls
Recht; gerade er, der sich mit Alltag beschäftigen will, findet
nur idealisierende und ästhetische Formulierungen für seinen
27
Alltag. Trotzdem bleiben gerade interdisziplinäre Themen und
Arbeitszusammenhänge reizvoll für den Philosophen, da durch die
besondere Prozeßhaftigkeit interdisziplinärer Forschung gewisse
Begrenztheiten des Verständnisses von Wissenschaft als Konglomerat
von sich ihrer
selbst sicheren und mit
sich identischen
Einzelwissenschaften aufgelöst werden.
Nicht abzuschätzen ist allerdings der Grad an Verunsicherung durch
"Fremdwissen". Als Philosoph tendiert man vielleicht dazu, sein
Feld sehr auszubreiten, sich Interdisziplinaritat eher durch
Selbststudium anzueignen. Genau das spricht allerdings gegen die
Lust des Philosophen am Dialog und weist ihn eher als Experten von
Geistergesprächen aus. Dem Experten eines anderen Fachs begegnet
man philosophierend vielleicht a priori zu mißtrauisch. Man neigt
leicht zum Größenwahn, sich selbst überall einarbeiten zu wollen.
Diese Haltung
stört
die zu
entwickelnde
interdisziplinäre
Gesprächskultur, die eben auch auf Vertrauen aufgebaut ist und
überläßt
erst
recht
nur
dem
Experten
das
reibungslose
Funktionieren interdisziplinärer Arbeit.
28
yBjUjÜ&TWIS. VOM. PHILOSOPHIB UND INTBRDISZIPLIMARIT&Ti..._VERSUCH
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PÄ?L.
Das Verhältnis von Philosophie und Interdisziplinaritat als räumlich und zeitlich bestimmtes Verhältnis
Wenn es um den Stellenwert von Philosophie für die interdisziplinäre Forschung geht, liegt es nahe, dieses Verhältnis auf seine
räumlichen und zeitlichen Bestimmungen hin zu untersuchen. Dafür
spricht, daß schon in den zitierten ersten Reaktionen auf die
Frage nach dem Stellenwert räumliche Anordnungen vorgenommen werden.
Natürlich ist es die Entscheidung des Interpreten, die räumliche
Metaphorik vor der zeitlichen zu behandeln - insofern ist das auch
eine Entscheidung in der Zeit. Die Betonung des Raumes erlaubt es,
Verhältnisse synchron zu rekonstruieren, ein Feld zu bestimmen,
die Kräfteverhältnisse und damit Macht zu beschreiben, ohne schon
eine bestimmte geschichtliche Abfolge zu produzieren oder eben sofort in Schwierigkeiten mit einem Begriff von Geschichte zu kommen.
Die folgenden Anmerungen zum Raummodell benutzen bewußt nur die
erste Reaktion auf die Frage nach dem Stellenwert, um zu zeigen,
daß jedes Sprechen über das Verhältnis von Philosophie und Interdisziplinaritat von Beginn an einen Raum eröffnet, der selbst
schon eine erste Verortung des Problemzusammenhangs darstellt.
Prinzipiell kann von einem vertikal und einem horizontal dominierten Raummodell gesprochen werden.
Einerseits wird von einem hohen Stellenwert gesprochen, der im
Bild des Baumes Überblick und Weitsicht verheißt (vgl. A) . Dieses
Modell impliziert den Gedanken den Gedanken eines kleinen und
großen Raums von Interdisziplinaritat, wobei der durch Philosophie
geleistete Oberblick in logischer Konsequenz die kleinen Zusammenhänge in größere transferiert.
Das räumlich vertikale Modell legt zudem die Assoziation zu einer
zeitlichen Achse nahe, die eine historische Genese des Entstehens
von Philosophie/Philosophieren nahelegt. Philosophie und Interdisziplinaritat stehen zueinander in einem kausalen Zusammenhang
(vgl. G) . Es existiert ein hierarchisches Verhältnis zwischen Phi-
29
losophie, Interdisziplinaritat und Einzelwissenschaft.' Auch die
Verortung der Philosophie in den Hintergrund oder Vordergrund, die
Einschätzung eines hohen oder niederen Stellenwerts, folgt diesem
Modell (vgl. F).
Dieses räumlich-zeitliche Modell gewährt eine auf den ersten Blick
eindeutige Antwort auf die Frage nach dem Stellenwert. Zumindest
der Struktur und Raumaufteilung nach kann eine positive Aufgabenstellung für Philosophie vermutet werden.
Durch das Sprechen in horizontalen Metaphern, in denen von nebeneinanderstehenden und unverbundenen Diskursen die Rede ist,, wird
ein Raum von Interdisziplinaritat skizziert, in dem die Stelle und
der Wert von Philosophie noch nicht markiert ist (vgl. B) . Hier
wird der Versuch unternommen über bestimmte soziale Kompetenzen,
wie Gelassenheit (B) oder das Entdecken gemeinsamer Probleme (C)
eine Verbindung zwischen Philosophie und Interdisziplinaritat herzustellen. Eine Stellenwertsdiskussion, wenn sie überhaupt stattfindet, stellte sich in den Gesprächen als äußerst komplexes und
widersprüchliches Unterfangen dar. Größenwahn (E) und Selbstüberschätzung (C) werden angeführt, um einer allzu schnellen und
selbstsicheren Definition des Ortes von Philosophie vorzubeugen.
Um einer möglichen Definition überhaupt vorzubeugen, wird auf
einen Ist-Zustand (D) oder auf die Differenz von Möglichkeit und
Wirklichkeit (E) hingewiesen. Diese Antworten mißtrauen offensichtlich einer allzu selbstverständlichen Verknüpfung von Philosophie und Interdisziplinaritat, womit sie vorerst einer Ortsbestimmung der Philosophie und damit gleichzeitig einer Bestimmung
ihrer Wertigkeit ausweichen, bzw. verweisen die Philosophie auf
ein Feld , in dem diese keinen Stellenwert besitzt (D).
Drei Strategien sind anzuführen, wie auf den räumlichen Aspekt der
Frage eingegangen wird:
1) Philosophie
und Interdisziplinaritat
in dem Philosophie
2)
3) Das Verhältnis
tuiert
nicht
einen Raum,
eine bevorzugte Stellung einnimmt (A/F/G)
Interdisziplinaritat
Philosoph befindet
konstituieren
konstituiert
einen Raum, in dem sich der
und eine bestimmte Haltung einnehmen muß (B/C)
von Interdisziplinaritat
a priori
und Philosophie
konsti-
einen gemeinsamen Raum, zumindest in bezug
auf die gegenwärtige reale Bedeutung von Philosophie (D/E)
Philosophie als Metadiskurs
30
Die Schwierigkeit
das Resultat
des
Fragens zu sein.
der Philosophie
ihre
Problems,
gleichzeitig
Funktion
Objekt
zu bestimmen
und Subjekt
ist
des
"Sofern die Philosophie sich als Metasprache versteht, muß sie
scheitern. Sofern sie etwas anderes als Metasprache sein will,
verfehlt sie eines ihrer Ziele: die Strenge, den Beweise. Als Reflexion (oder Reflex) will die Philosophie Metasprache sein. Als
Vorschlag und Projektion (Projekt, Entwurf) dementiert sie dieses
Vorhaben. Als gesprochenes Wort (parole) und als Stil zerstört sie
es gar... So etabliert sich die Philosophie in der Dualität: Diskurs und mehr als Diskurs, Entfremdung und Kampf gegen Entfremdung." (Lefebvre 1975, S. 277 f.)
Die grundlegende Schwierigkeit des Philosophen, seine Funktion
oder seine Position anzugehen, reproduzierte sich auch in den geführten Gesprächen.Gefragt nach der Stellung der Philosophie in
der interdisziplinären Forschung, befindet er sich in dem Dilemma,
gleichzeitig Gegenstand und Subjekt der Frage zu sein.
Jede Ortsbestimmung bedeutet also gleichzeitig, sich außerhalb
dieses Ortes stellen zu müssen, ein Mißverhältnis, welches innerhalb des Reflexionszusammenhangs nicht
auflösbar
erscheint.
Will man Aufgaben der Philosophie bestimmen, das heißt hier die
Philosophie in ein abwägbares Verhältnis zur Interdisziplinaritat
zu bringen, so bleibt der eigentliche Reflexionsgegenstand die
Philosophie selbst. Nimmt man dagegen eine Orts- und Aufgabenbestimmung vor, so funktioniert das nur um den Preis, genau die
Orts- und Aufgabenbestimmung schon vorweggenommen zu haben.
Die Sonderstellungder Philosophie
Die selbstreflexive
Struktur
iert ihre
Sonderstellung.
des "Diskurses"
Philosophie
konstitu-
Wesentliche Indizien für dieses Strukturproblem von Philosophie
lassen sich auch in den Gesprächen finden: Philosophie wird in jedem Gespräch eine wenn auch je unterschiedliche Sonderstellung
eingeräumt, von denen ich die beiden dipolaren Extrempositionen
wie folgt skizzieren würde: entweder wird die Philosophie als re-
31
flexive Instanz beschrieben, ohne die jede komplexere Form interdisziplinärer Forschung gar nicht funktionieren könne, oder aber
sie stört eben das reibungslose Funktionieren interdisziplinärer
Arbeit dadurch, indem sie ihre Reflexion in's Unendliche treibt.
Ihre Position wird entweder sehr hoch angesetzt als zentrale Position der Vermittlung und der Legitimation von Forschung und Forschungszielen überhaupt, oder sie nimmt die sehr viel unbestimmbareren Orte des Voyeurs, des Parasiten bzw. des "Oberschusses an
der Peripherie" ein. Diese beiden Positionen schließen sich nicht
aus, sondern sind eben Resultat der Schwierigkeiten im Hin-undher-pendeln zwischen Metaebene und eigenem Gegenstandsbezug einen
eindeutigen Ort zu bestimmen, von wo aus gesprochen wird.
Philosophie als Letztbegründung von Interdisziplinaritat
Eine zentrale
Funktion von Philosophie
kann angenommen werden,
wenn sie
Letztbegründungen
von Interdisziplinaritat
vornehmen
kann. Kann sie das nicht leisten,
steht sie in Opposition zu einer
Idee von
Interdisziplinaritat.
Kann man eine letzte Instanz annehmen, von der aus die Einzelwissenschaften ihre Sinnbestimmung erhalten, und nimmt man zweitens
einige Letztbestimmungen vor, die den Sinn von Wissenschaft festlegen, so wäre diese Frage schnell geklärt, und die Philosophie
könnte ihre zentrale Stelle reklamieren. Sie würde gewissermaßen
den Sinn von Wissenschaft und somit auch von Interdisziplinaritat
verwalten.
Größere Erklärungsmodelle, wie die von Interdisziplinaritat als
Reaktion auf einen Mangel, Interdisziplinaritat als genuine Form
von Wirklichkeit oder die Wiederkehr der Theologie in der Interdisziplinaritat sind historische Konstrukte, deren Erklärungswert
an dieser Stelle nicht näher erläutert werden kann. Ihr Wahrheitswert ist Gegenstand einer philosophischen Diskussion, deren Resultat wiederum in unserem Zusammenhang nur bestimmte philosophische
Positionen bestimmen könnte, nicht aber die Beschaffenheit des interdisziplinären Raums. Eine geschichtsphilosophische Begründung
von Interdisziplinaritat unterliegt wieder dem eingangs beschriebenen Dilemma philosophischer Metadiskussionen. Sie hilft in der
Bestimmung des Orts von Philosophie im interdisziplinären Raum
nicht weiter. Festzuhalten bleibt, daß solche Ableitungen von In-
32
terdisziplinarität einen Zugang der Philosophie zur Interdisziplinaritat und ihren Stellenwert als Verwalterin großer Erklärungszusammenhänge mitbegründen. Anzumerken ist noch, daß dem Versuch
großer Erklärungen das Bewußtsein des Scheiterns aller bisherigen
großen Erklärungen gegenübersteht, deren Produktion vielleicht
aber unhintergehbar ist im philosophischen Diskurs.
Wird jedoch diese Position aufgegeben oder durch historische Erfahrungen revidiert, erscheint nun dieser Philosophie die Idee der
Interdisziplinaritat als illegitimer Nachfahre des eigenen historischen Anspruchs auf ein Zentrum, von dem aus Sinn produziert
wird. In der Selbstreflexion der eigenen Geschichte wird die Philosophie somit zum Störfaktor für die Idee der Interdisziplinaritat.
Die Ideen der Interdisziplinaritat und der Philosophie erweisen
sich als Konkurrenten, außer es gelänge der Philosophie, sich als
das Wesentliche und die Interdisziplinaritat nur als eine ihrer
Erscheinungsformen zu setzen. An dieser Stelle und auf dieser
Ebene wäre eine doppelte Frage zu formulieren: Wenn Philosophie
einen Ort innerhalb der interdisziplinären Forschung angeben und
eine Aufgabenstellung formulieren kann, laufen alle - auch die
kritischen - Reflexionen auf eine Legitimationsleistung interdisziplinärer Ideologie hinaus. Kann Philosophie das nicht leisten,
steht sie in Opposition zur Idee der Interdisziplinaritat.
Die "ideologische Ebene" der Verhältnisses von Philosophie und Interdisziplinaritat
Der Gegensatz
von Legitimation
und Opposition
bzw.
Brauchbarkeit
und Unbrauchbarkeit
beherrscht
eine Ebene des Sprechens über das
Verhältnis
von Philosophie
und Interdisziplinaritat.
Man wird sie
die "ideologische
Ebene" nennen.
Die Ideologie der Interdisziplinaritat
Die Ideologie
der Interdisziplinaritat
etabliert
interdisziplinäre
Forschung im politischen
und ökonomischen
Raum und
funktioniert
primär über eine Idee des Fortschritts
in der Verbindung von Theorie und Praxis.
33
Philosophie muß sich in ein Verhältnis zur Ideologie der Interdisziplinaritat begeben. Zum einen ist das begründet durch ihre eigene Nähe zur Ideologie, von der keine Theorie frei ist, sobald
sie in Zusammenhang mit Räumen des Handelns oder auch nur praxisorientierter Forschung kommt.
Auch die Legitimation einer Philosophie, die nur den philosophischen Gedanken verantwortlich ist, ist nicht anders als ideologisch zu leisten. Zum anderen hat sich Philosophie mit dem Stellenwert auseinanderzusetzen, die ihr in der interdisziplinären
Ideologie zugewiesen wird.
Der Kern interdisziplinärer Ideologie ist in den geführten Gesprächen hinreichend beschrieben worden: Sie ist angesiedelt zwischen
politischen Legitimationsversuchen und ökonomischen Machtstrategien.
Integrationsfähigkeit, die Forderung nach einem einheitlichen Resultat, Verschleierung herrschender Machtkämpfe von Einzelwissenschaften, die Notwendigkeit von Fortschritt und Technik, die Rede
von der zunehmenden Komplexität der Probleme (als hätte es je weniger gegeben) sind ihre Bestandteile. Philosophie soll dieser
Ideologie durch Reflexion zusätzliche Argumente liefern, um die
unter diesem Deckmantel geleitete Forschung besser zu verkaufen
und gesellschaftlich relevanter zu machen.
Daß dieser Deckmantel reine Alibifunktion besitzt und außerdem die
erfolgversprechende Maske des Philosophen selbst ist, läßt vermuten, daß sich das Verhältnis von Philosophie und Interdisziplinaritat auf einer anderen Ebene vielleicht nicht mehr nur als Gegensatz oder als Legitimation verstehen lassen.
Der Raum der Interdisziplinaritat
Mehrere Erklärungsmodelle
versuchen den Raum von
Interdisziplinaritat
zu konstituieren.
Dadurch entsteht
ein sehr
differenziertes
Modell, ein Feld, das von den unterschiedlichsten
Kräften
durchzogen wird. Eine erste
Konsequenz daraus ist,
daß ideologische
Begründungszusammenhänge als Erklärungsmuster
für
Interdisziplinaritat immer zu kurz
greifen.
Die „Ökonomie als Begründung von Interdisziplinaritat
34
"Im ökonomischen
Diskurs gilt
die Regel,
daß, was geschieht,
nur
dann geschehen
kann, wenn es bereits
beglichen,
also
geschehen
ist."
(Lyotard
1987, 16) Die so beschriebene
Sphäre des
Tauschs
bestimmt
Übersetzung,
Transfer,
Brauchbarkeit
als oberste
Prinzipien der interdisziplinären
Forschung.
Es geht um eine
Optimierung
des In- und Output-Verhältnisses,
das heißt
um Erhöhung der
Leistungskraft
durch interdisziplinäre
Forschung.
Interdisziplinäre Forschung liegt im Schnittpunkt ökonomischer Interessen, die sich nie nach der Aufteilung wissenschaftlicher Territorien ausrichten. An dieser Stelle erscheint es mir wichtig
darauf hinzuweisen, daß der Einfluß der Ökonomie sich bis in die
Arbeitsweise der Wissenschaftler erstreckt.
Erstens sind es ökonomische Interesen der Wissenschaftler selbst,
die sie an interdisziplinärer Forschung teilnehmen lassen. Genau
diese Interessen strukturieren die Arbeitsweise vor, indem eine
bestimmte Zeitökonomie wirksam wird, der eine Zielgerichtetheit
der Forschung immanent ist. Im Resultat trifft_sich wissenschaftliche Forschung und ökonomisches Interesse.
Zweitens ist es aber die enge Koppelung von Wissenschaft und Technologie, die die Verbindung von Ökonomie und Wissenschaft kaum
noch entflechtbar macht. Daniel Bell diesen Strukturwandel als
Grundlage für die Definition der postindustriellen Gesellschaft
bestimmt. "Erstens sind hauptsächlich durch Organisation der Forschungs- und Entwicklungsbemühungen, Wissenschaft und Erfindung
systematisch gekoppelt worden. Und zweitens versucht man neuerdings durch Erarbeitung moderner technologischer Prognoseverfahren
"das Meer" der technischen Möglichkeiten zu erforschen, d.h. die
künftigen Entwicklungsbereiche abzustecken, damit die Industrie
oder die Gesellschaft systematisch planen und Kapitalmöglichkeiten, Bedürfnisse und Produkte im voraus planen kann. Diese Verschmelzung von Wissenschaft und Innovation und die damit verbundene Möglichkeit, das technologische Wachstum systematisch zu organisieren, zählt zu den wichtigsten Grundlagen der postindustriellen Gesellschaft." (Bell 1979, 202)
Die Notwengigkeit, die wissenschaftliche Arbeit für die politischen, nationalen und ökonomischen Interessen zur Verfügung zu
stellen, verlangt die Umsetzung von Wissenschaftssprache in einen
Diskurs, der ökonomischen Regeln folgt (Ratschlag).
35
Die ökonomische Erklärung kann aber letztlich nur das Funktionieren der Ökonomie auch in der interdisziplinären Forschung erklären, sie kann hingegen keine Auskunft geben über den spezifischen
Charakter der interdisziplinären Forschung. Sie zeigt - was wenig
überrascht -, daß das interdisziplinäre Feld untrennbar ist von
ökonomischen Strukturen. Das Wirksamwerden der Ökonomie in allen
Lebensbereichen heißt natürlich auch, daß dieses Erklärungsmodell
unhintergehbar ist und auf jeder anderen Erklärungsebene angewendet werden kann.
Ober setzung/Transfer/Vermittlung
Obersetzung,
Transfer,
Zirkulation
des Wissens
Vermittlung
sind
als verkaufbare
Voraussetzungen
Information.
für
die
Man kann die Verschmelzung von Wissenschaft, Technologie und Ökonomie als System beschreiben, dessen Endzeck auf die Optimierung
seiner Leistungsfähigkeit hinausläuft. Nicht zufällig steht die
Kybernetik, die einer solchen Idee des sozialen Netzes Pate steht
auch als Übersetzungshilfe für interdisziplinäre Forschungszusammenhänge zur Verfügung.
Man könnte von einer einzigen großen Obersetzungs- und Transfermaschine sprechen. Zentral ist der Begriff der Information, die einerseits technische Kanäle passieren können muß
und andererseits alle Sprachen in sich aufnehmen können muß. Information ist die neue Tauscheinheit, erfüllt also die Funktion
des Geldes. Der Zusammenhang von Information und Macht ist evident.
Interdisziplinaritat wiederholt den Zwang zum Transfer. "Immer
wieder wird von der wichtigen "Dolmetscherfunktion" gesprochen.
Denn allein in der Terminologie und im Grundverständnis über wissenschaftliche Methodik liegen zwischen einzelnen Fachwissenschaften häufig Welten."(Kreibich 1986,357)
Mitteilbarkeit wird zum Kriterium für die Definition von Wissenschaft selbst. "Wissenschaft, die nicht mitgeteilt wird, ist
keine Wissenschaft. "(Price,zit.n.Bell,184) Immer wichtiger werden
Orte im System, die als Obersetzungsmaschinen funktionieren. "Da
die Neuigkeiten nicht mehr schlicht berichtet werden können, sondern der Interpretation bedürfen, müssen die Journalisten mehr und
36
mehr als Vermittler und Übersetzer fungieren, d.h. eine sinnvolle
Auswahl aus dem gewaltigen Informationsstrom treffen und zum anderen die meist nur Experten verständlichen Informationen erklären. " (Bell, 354)
Der Obersetzer ist der neue Experte. Er knüpft
das Band zwischen Wissenschaft, Ökonomie und Konsument, indem
seine Auswahl Sinnhaftigkeiten als Effekt hat. "Nur wenn es gelingt, technischen Fortschritt durchschaubar zu machen, kann damit
gerechnet werden, daß er auch akzeptiert wird. Die Aufgabe heißt
daher: Verstärkte Aufklärung, um zu verhindern, daß fehlende soziale
Akzeptanz
in
der
Zukunft
zum
Engpaßfaktor
werden
..."(Bundesvorstand der Deutschen Industrie zit.n.Kreibich,449)
Lyotard sprich in diesem Zusammenhang von der Ideologie der kommunikativen Transparenz (Lyotard 1986,27).
Interdisziplinaritat ist eine Schaltstelle für die Vernetzung und
Übersetzung. In ihrem Versuch, zwischen den einzelnen Disziplinen
zu vermitteln gehorcht sie der Strategie der Ökonomie und optimiert den Gewinn. "Es geht jetzt darum, daß verschiedene Forschungsbereiche besser zusammenwirken und die Anwendung der Forschungsergebnisse beschleunigt werden. Reserven liegen in einem
besseren
Zusammenspiel
von
Wirtschaft
und
Wissenschaf t. " (Bundesforschungsbericht 1984 zit.n.Kreibich,450) Zentrale
Aufgaben der Interdisziplinaritat, wie sie ideologisch bestimmt
ist, sind
Arbeiten des Transfers:
"Vermittlungs-,Moderator,Koordinator- und Katalysatorfunktion"(Kreibich, 427). "Wissensund Technologietransfer ist hier ganz allgemein der Diffusionsprozeß von wissenschaftlichen Kenntnissen und elementaren Technologien in die jeweils höheren Subsysteme der Gesellschaft bis zur
Beeinflussung bzw. Prägung der Umwelt der sozialen Systeme mit ihren
kollektiven
Werten
und
Normen."(OECD-Report
1971
zit.n.Kreibich,427)
Brauchbarkeit
Brauchbarkeit
oder Anwendbarkeit
sind die
satz von Forschungsgeldern.
Eine Spaltung
brauchbarem Wissen ist die Konsequenz.
ebenso die Wissenschaften,
wie auch die
Kriterien
für den Einvon brauchbarem und unDiese Trennung
betrifft
Wissenschaftler.
Brauchbarkeit von Wissen mißt sich im ökonomischen Diskurs natürlich an seiner Tauschbarkeit, d.h. seiner übersetzbarkeit. Ein
37
weiteres Kriterium von Brauchbarkeit des Wissens ist sein rechtzeitiges Zustandekommen, um der prinzipiellen Dringlichkeit der
Probleme gerechtzuwerden. Die Koppelung von Wissenschaft und Technologie scheint in Bezug auf die Performativität per se die Geisteswissenschaften zu benachteiligen. Der Geldstrom fließt in die
Richtung größerer Performativität. Die Einbindung der Geisteswissenschaften in den wissenschaftlich-technologischen Komplex ist
eine zentrale interdisziplinäre Idee.
Dies läßt sich interpretieren als Reaktion auf die "Krise der Experten" (Heintel 1986, 34), denn: "Globalere Probleme werden durch
unser Expertenwissen weder gelöst, noch in ihren verschiedenen Dimensionen überhaupt integrativ erkannt." (ebd. 35) Die Brauchbarkeit der Geisteswissenschaften kann im interdisziplinären Kontext
quasi als Umwegrentabilität gebucht werden, indem sie die reale
Globalität der Probleme einklagt. Aus der Sicht der Geisteswissenschaft werden selbst andere "Effizienzkriterien" eingefordert:
"Das einzige, das außer Zweifel steht, ist die Tatsache, daß man nicht ohne weiteres den Gegenstand unserer
Forschung und Lehre in Maschinensprache übersetzen
-kann. Das heißt aber lange nicht, daß damit * bewiesen
ist, daß die Sprachsignale, mit denen wir zu tun haben,
eine Bremse und ein Störfaktor in der Mutation von sozialen Formen ist. Die Wahrheit ist nämlich genau das
Gegenteil. Denn: in einer Gesellschaft, in der das Wissen die tragende Produktivkraft wird, kann jede Denkinnovation nur dzu beitragen, qualitative Mutationen zu
verursachen. Aus der scheinbaren Unverständlichkeit eines Satzes kann sein Wahrheitsgehalt nicht abgeleitet
werden; genausowenig aber kann aus der tatsächlichen
Unübersetzbarkeit von Sätzen in Maschinensprache - aus
ihrem ökonomischen Nicht-Wert also - ihre letztinstanzliche Unbrauchbarkeit für gesellschaftliche Innovationsprozesse abgeleitet werden. Dieser Satz ist nicht
der Satz eines Experten. Ein Experte hat nicht die Aufgabe und Funktion, transzendentale Sätze zu produzieren
(Sätze also, deren Wahrheit nicht empirisch beweisbar
ist) , sondern vorwiegend die Funktion, innerhalb eines
bestimmten Netzes von Zwängen und strategischen Richtlinien, Modelle auszuarbeiten und durchführbar zu machen. Die Arbeit der Reflexion über Sätze, empirische
Tatsachen und Ausdrucksformen, die unsere Arbeit und
soziale Aufgabe ist, ist an den gleichen Kriterien
nicht meßbar. Unsere soziale Verantwortung
besteht
nämlich darin, unsere Einbildungskraft auf Produkte der
Einbildungskraft und der sozialen Imagination zu richten (bzw. auf diskursive Formationen, die Gesellschaften tragen und bearbeiten). Die soziale 'Leistung'einer
solchen Arbeit leuchtet jedem ein. Ihre Notwendigkeit
kann aber nur nach bestimmten Kriterien bestimmt werden, die ihrer evidenten binarischen Bearbeitung zuwiderlaufen." (Dubost o.J., 275 f.)
38
Die Erklärung der Interdisziplinaritat aus der Ordnung der Wissenschaften
Interdisziplinäre
Forschung reagiert
auf die Krise der Wissenschaft.
Die Oberwindung disziplinarer
Grenzen, der Kluft zwischen
Geistesund Naturwissenschaften,
sowie die Differenz
zwischen
Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft
ist als Aufhebung einem Fortschrittsmodell
verpflichtet,
das ideologisch
abgesichert
werden
muß.
Für das zwanzigste Jahrhundert spricht man von einer ungeheuren
Ausdifferenzierung des Wissens bei gleichzeitiger zunehmenden Vernetzung der einzelnen disziplinären Territorien, etwa in Großprojekten wie dem Manhatten-Projekt zur Entwicklung der Atombombe. Es
"zeigt nicht nur alle Merkmale der neuen wissenschaftlichen und
organisatorischen Methoden der Wissensproduktion,(...) sondern
auch die neuen Formen der Innovationssteuerung und des Technologie- und Personaltransfers."(Kreibich,611)
Bei der Ordnung der Wissenschaften handelt es sich eben nicht nur
um einen Entwicklungsstand der "immanenten Logik" »sondern zu einem guten Teil um die soziale Organisationsform von Wissenschaft
selbst (vgl.Bell,191f). Spezialisten und Einzeldisziplinen geraten
in die Schere von Differenzierung und Vernetzung. "Immer mehr von
immer weniger zu wissen scheint das Schicksal von Spezialisten,
und doch ist ohne solche Spezialisierung wissenschaftlicher Fortschritt nicht denkbar. Aus ihr folgt jedoch mit Notwendigkeit eine
zunehmende Komplexität sowohl der Wissenschaftsorganisation als
auch der Wissenschaften."(Kaufmann 1987,64) Die Kritik an den Einzeldisziplinen geht Hand in Hand mit dem Argument von notwendigem
Fortschritt, das abgesichert wird durch den Hinweis auf die Dringlichkeit der realen Probleme und deren Komplexität. "Die realen
Probleme verlangen in ihrer wechselseitigen Vernetzung interdisziplinäres Vorgehen und lassen einzelwissenschaftliche Resultate bei
ihrer Lösung systematisch als falsch erscheinen."(Bamme u.a.
1986,446)
Wenn es ein zentrales Charakteristikum von Wissenschaft ist, Herrschaft über Wirklichkeit antreten zu wollen, so geraten die Einzeldisziplinen zunehmend in den Verdacht die entscheidende Struktur
für
diesen
Herrschaftsanspruch
zu
liefern
39
(vgl.Bamme,447).Ausgegangen wird vom doppelten Wortsinn der Disziplin. Das Disziplinäre wird zum Indiz für
Ausübung von Macht,
deren Mechanismus der Ausschluß des Anderen ist:
"Der springende Punkt ist m.E., daß eine wissenschaftliche Disziplin immer etwas mit Disziplin
(im Sinne der
Alltagssprache) zu tun hat: mit dem Eingeschworensein
ihrer Vertreter auf eine bestimmte Sichtweise des Forschungsobjekts, mit dem unbedingten Festhalten an dem
disziplinären Paradigma, mit dem Gebrauch einer verbindlichen Terminologie, einer Fachsprache,
eines
ebenso verbindlichen Begriffsapparates, mit der strikten Einhaltung methodischer und experimenteller Standards usw.
Die disziplinäre Gemeinschaft ist immer
auch eine Diskursgemeinschaft, die sich in der Kommunikation untereinander auf einem bestimmten Argumentationsstand bewegt und disziplinspezifische Argumentationsschemata entwickelt, die jeder zu befolgen gehalten
ist, wenn er als zur Disziplin gehörig angesehen werden
will."(Kröber 1983,576)
Interdisziplinaritat ist in diesem Zusammenhang der Versuch auf
die historischen Grenzen der Wissenschaft zu reagieren.
"Disziplinen sind nichts Naturgegebenes, sondern etwas
durch die Wissenschaftsgeschichte Gegebenes. (... .) Zu
dem, was die historische Identität einer Disziplin oder
eines Faches ausmacht, gehören bestimmte Forschungsgegenstände,
Methoden,
Theorien,
Forschungszwecke. "(Mittelstraß 1987,153)
Interdisziplinaritat beschreibt über die Begriffe Einheit, Integration das Bemühen, der Macht durch Ausgrenzung entgegenzutreten.
Bedürfnisse, Verdrängtes und Orientierungslosigkeit sollen durch
eine "Zusammenschau" oder durch ein den verschiedenen Wissenschaften Zugrundeliegendes zurückgenommen werden.
Ein durchgängiges Argument zum Verhältnis von Disziplin und Interdisziplinaritat ist in der entsprechenden Literatur, in Diskussionen und auch in den von mir geführten Gespräche die dialektische
Beziehung zwischen Disziplin und Interdisziplinaritat. Gelungene
Interdisziplinaritat beruht auf Fachkompetenzen. Insofern ist Interdisziplinaritat selbst historischer Versuch der Aufhebung von
"spezialistischen
Erklärungsmodellen"(vgl.Heintel
1986,3). Als
Aufhebung eines historischen Zustands von Wissenschaft ist Interdisziplinaritat geprägt vom Vertrauen in den wissenschaftlichen
Fortschritt. In diesem Zusammenhang müssen für die Interdisziplinaritat Argumente erbracht werden, die ein Ziel des Fortschritts
angeben, seine Sinnhaftigkeit oder inhaltliche Qualität. Die historische Machtausübung von Wissenschaft wird verurteilt, weil sie
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zum einen nichts mehr zur Problemlösung beiträgt, zum anderen weil
sie selbst Probleme produziert. Nur selten werden die Machtstrategien von Interdisziplinaritat selbst thematisiert, am ehesten noch
in der Diskussion um die Grenze von Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft. An dieser Stelle wird häufig die Standartformulierung vom
Problem der "Verwissenschaftlichung des Alltags" verwendet. Das
kann jedoch schon als Indiz genügen, um daraufhinzuweisen, daß die
Idee der Interdisziplinaritat und ihre reale Erscheinungsform als
Vernetzung bzw Grenzüberschreitung eine neue Struktur von Macht
zeigt. Der historischen Form von Macht als Ausgrenzung folgt die
Macht als Eingrenzung.
Bxkurs: Interdisziplinaritat als Zusammenarbeit von Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften
Eine der relevantesten historischen Grenzen im System der Wissenschaft ist die Trennung zwischen Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften. Die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern beider Bereiche zählt zu den entscheidendem Aufgaben, interdisziplinärer
Forschung.
1983 machte die Deutsche Zeitschrift für Philosophie eine Umfrage
zum
Verhältnis
von
Disziplinarität
und
Interdisziplinaritat . (DT.Z.Philos . 1983 , 44 ff) Eine der gestellten Fragen war dabei
die folgende:
"Welchen Stellenwert messen Sie der Zusammenarbeit von Natur- und
Gesellschaftswissenschaften hierbei bei, welche Problemkreise wären für Sie diesbezüglich von besonderer Relevanz?"
Ich zitiere - leicht gekürzt - die Antworten darauf, um zu illustrieren, daß Interdisziplinaritat als Antwort auf disziplinäre
Grenzen durch Zweckbestimmung von Wissenschaft legitmiert werden
muß.
"Die sozialökonomische Analyse und Bewertung neuer Entwicklungen in Wissenschaft und Technik, die soziologische Erforschung von Auswirkungen neuer Produktionsverfahren und Erzeugnisse, die philosophische Durchdringung und Verallgemeinerung wichtiger fachwissenschaftlicher Probleme, die Beeinflussung, Erziehung, Überzeugung der Menschen, sich aus Wissenschaft und Technik
folgenden Erfordernissen zu stellen, erfordern vorrangig die Zusammenarbeit von Natur- und Gesellschaftswissenschaften. "
41
"Ihre Notwendigkeit rührt einfach daher, daß die Anwendung naturwissenschaftlich-technischer Erkenntnisse immer auch gesellschaftliche Konsequenzen hat.(...) Gesellschaftliche Umgestaltungen sind andererseits ebensowenig ohne umfassende Nutzung von Wissenschaft und
Technik möglich (...) Schließlich ist der Mensch als
Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse zugleich
aus der Natur hervorgegangen und ihr angehörend, stellt
er ein gesellschaftliches und biologisches Wesen dar,
für das die Natur und die menschliche Arbeit gleichermaßen den Quell allen Reichtums bilden."
"Die Zusammenarbeit von Natur-und Gesellschaftswissenschaften sehe ich als Grundvoraussetzung für die Bewältigung aller Aufgaben unserer Gesellschaft an. Natur
und Gesellschaft sind (...) gleichwertige Forschungsgegenstände, die sich ihrerseits natürlich dialektisch
zueinander verhalten. (Es geht) um die möglichst weitgehende Überwindung einer durch den Kapitalismus künstlich vollzogene Trennung bzw. Entfremdung von Naturund Gesellschaftswissenschaften."
"Die Zusammenarbeit zwischen Natur- und Gesellschaftswissenschaftlern - ist vom Standpunkt des Naturwissenschaftlers gesehen - unabdingbar notwendig in bezug auf
die gesellschaftliche und ökonomische Einbindung einer
Forschungsaufgabe, auf ihren wissenschaftstheoret.ischen
Hintergrund und auf ihre historischen Bedingungen und
Quellen."
"Dieser Stellenwert ist besonders in der heutigen Zeit
sehr hoch. Leider sind die Gräben noch sehr tief
(...).Die Arbeitsweise der Naturwissenschaftler ist
sehr speziell und punktuell, die der Ingenieurwissenschaftler und Techniker sehr pragmatisch und die der
Gesellschaftswissenschaftler breit und kommunikativ."
"Die Brücke für eine sinnvolle Zusammenarbeit von Natur- und Gesellschaftswissenschaften sind jene Wissenschaften, welche Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten untersuchen, die qualitativ verschiedenen Objekten gemeinsam sind. Dazu zählen hauptsächlich die Philosophie, die Mathematik und Kybernetik. (...) Die Betonung
von Querschnittswissenschaften (...) sollte als Schwerpunkt angesehen werden, da maßgeblich diese Wissenschaften fähig sind, disziplinäre Erkenntnisse und Erfahrungen aufzuarbeiten, und für komplexe Problemstellungen fruchtbar zu machen."
"Nahezu
alle
Gebiete,
die
die
Anwendung
der Wissenschaften betreffen, bedürfen einer solchen
Zusammenarbeit."
"Die Zusammenarbeit von Natur-, Technik- und Gesellschaftswissenschaften ist immer dann von größter Bedeutung, wenn das zu untersuchende Objekt bzw. die historische Thematik ein solches Bündel von Ereignissen,
Strukturen, Entwicklungslinien, Theorie u.a. mehr ist,
daß jeder Versuch, es mit dem Wissen und dem Theoriesy-
42
stem nur einer Disziplin aufzulösen, Vermessenheit
wäre. (...) Es ist ohne Zweifel, daß beispielsweise die
genaue Bestimmung des Kernprozesses der wissenschaftlich-technischen Revolution und die daraus folgende
strategische Orientierung auf künftige Aufgaben technisch-ökonomischer Entwicklung der Zusammenarbeit der
hier genannten Wissenschaften bedarf."
Auch wenn die Sprache in den zitierten Antworten sehr deutlich vom
DDR-Jargon geprägt ist läßt sich doch ein allgemeinerer Schluß
ziehen. Die Aufhebung disziplinarer Grenzen in der interdisziplinären Forschung muß letztlich mit Forschungszielen legitmiert
werden, die nicht wissenschaftsimmanent bestimmt werden können.
Drei wesentliche Begründungen werden vorrangig genannt: Die Komplexität der Probleme, der interdisziplinäre Charakter der Wirklichkeit oder eben des "Menschen selbst" und Probleme der Anwendung also der Steuerung, Planung und ökonomischen Umsetzung. Diese
Begründungen sind selbst wiederum nur durch ideologische Zielsetzungen begründbar.
Der interdisziplinäre Raum
Der interdisziplinäre
Raum zerstört
disziplinäre
Grenzen,
läßt
sich also nicht verorten,
da jede Verortung vom Schema der
Disziplinen ausgehen muß. Er ist nichts anderes als ein Raum von Kommunikation.
Der Ort des interdisziplinären
Raums ist also in der
Sprache. Es handelt
sich um eine Kommunikat ionsform des Fragens
und nicht
des Antwortens.
Damit ist
eine adäquate Haltung der
"Sprecher"
gefordert.
In allen Gesprächen tauchte jenseits von großen Modellen eine
Sprechweise auf, die in einem eher beschreibenden Stil versucht,
das Funktionieren von interdisziplinärer Arbeit zu zeigen. Kräfteverhältnisse werden dargestellt, die auf konkretere Weise Erklärungen für das Agieren von Personen im interdisziplinären Raum suchen.
Wesentlicher Bestandteil solcher Annäherung sind territoriale Metaphern: der Zaun, die Grenze müssen überschritten werden. Doch
die Überschreitung funktioniert nicht, wenn die territoriale Aufteilung dabei a priori bleibt. In der Überschreitung konstituiert
sich ein neuer Raum, der bestimmt ist von einem Gegenstand oder
einem Problem. Der Bezug zu diesem Problem lebt jetzt im wesentlichen davon, die territorialen Grenzen nicht mehr zu berücksichtigen. Nicht umsonst werden vom interdisziplinären Wissenschaftler
bestimmte Qualitäten verlangt, die insgesamt einem Vermögen entsprechen Grenzen zu sprengen, id sunt Obsession, Neugier, Neidlosigkeit, Interesse am Problem, Strategien des Fragens, Bereitschaft zur Verständigung, etc..
Dieser Forderungskatalog hebt nicht ab auf eine idealisierte Kommunikationsgemeinschaft. Deren Motive, Notwendigkeiten, Kräfteverhältnisse verschiedenster Art haben Bedingungen produziert, in
denen solche Felder entstehen können. Es ist jedoch wesentlich,
daß innerhalb dieser Felder alle Grenzen aufhebbar geworden sind.
Interdisziplinäre Räume sind also keine Räume der Vermittlung zwischen Disziplinen, sondern deren Aufhebung. Sie dementieren per se
alle Einschränkungen, denen sie unterworfen sind, und umgekehrt
sind es wieder die Rahmenbedingungen (Motive, Zwänge, Ökonomie),
die erneut Grenzen wiederherstellen, dieses Wechselspiel von Entgrenzung und Grenzsetzung erlaubt es nicht, den interdisziplinären
Raum als Ort der Idylle zu beschreiben. In ihm sind alle Kräfte
wirksam, die Machtverhältnisse konstituieren.
Im interdisziplinären Raum herrscht das Primat des Gegenstands,
welches die Unterwerfung unter seine Zeitbedingungen fordert, die
quer liegen zur Zeitökonomie der Wissenschaften, deren Macht in
der Zerstückelung des Gegenstands liegt.
Der verwendete Begriff vom interdisziplinären Raum leitet sich
nicht von einer ganz bestimmten Vorstellung von Interdisziplinaritat ab, sondern ist zuerst ein Raum von Kommunikation. "Interdisziplinaritat ist also nie ein gegebener, sondern ein herzustellender Zustand, eine spezifische, besonders voraussetzungsvolle Form
wissenschaftlicher Kommunikation" (Kaufmann 1987,70). Als besondere Erscheinungsweise des interdisziplinären Raums kann eine bevorzugte Stelle des Gesprächs angegeben werden. Der Ort des interdisziplinären Raums ist also die Sprache. Interdisziplinaritat
könnte nun als eine Form von Diskussionskultur bestimmt werden.
Zuhören, Mit- jemandem-mitgehen-können (hier klingt das Bild von
den Zäunen mit) , Aufmerksamkeit, Fragen als Methode des Arbeitens
wären Qualitäten dieser Kultur. Das interdisziplinäre Gespräch ist
gekennzeichnet durch einen Umgang mit existierenden Vorurteilen;
sein Motor ist das Sich-Verfehlen von Sender und Empfänger, das
44
Mißverständnis, das Problem der Verständigung. Das Problem der
Übersetzung von Fachgesprächen verschwindet und taucht als produktives Element in der Auseinandersetzung mit dem Problem wieder
auf.
Die offene Kommunikationsstruktur dementiert Regulierungen durch
den ideologischen oder ökonomischen Diskurs. Eine zentrale Bedeutung, von der aus Richtungen des Forschens angegeben werden könnten, leitet sich nicht von dem interdisziplinären Raum ab. Brauchbarkeit des Wissens, das Theorie-Praxis-Problem, Wertvorstellungen
oder Effizienz sind Übersetzungen interdisziplinären Sprechens,
die dieses wieder zum Verschwinden bringen. Auch wenn Zufälligkeiten, Unkontrollierbarkeit als Motor von Forschung, Entdeckungen,
von Wissenschaft überhaupt angeführt werden, so ist die gesellschaftliche Macht nur durch die Konstitution durchgehender Sinnhaftigkeit zu deuten. Sie liefert das wissenschaftliche Weltmodell, das genau jene Zufälligkeit und Sprünge wieder eliminiert.
Die Eliminierung ist nicht allein aus einem Wissenschaftsmodell
abzuleiten, sondern, funktioniert erst in. der Fusionierung von Wissenschaft und Wissenschaftsanwendung, durch Aneignung von Wirklichkeit durch eine wissenschaftsideologische Praxis, deren zentraler Begriff der Fortschritt ist. Ein Fortschritt läßt sich aber
nur aus einem Sinnzentrum ableiten, das entweder als Ursprung oder
als Ziel funktioniert.
Ursprung und Ziel lassen sich nicht aus einer offenen Kommunikationsstruktur ableiten.
Das interdisziplinäre Klima
Interdisziplinäre
Kommunikation ist nicht organisierbar.
Rahmenbedingungen können für sie jedoch hinderlich
oder förderlich
sein.
Die Opposition gegen die Institution
Universität
ist in diesem Zusammenhang zu verstehen.
Die Universität
hat ihre
symbolische
Kraft, der Gesellschaft
das Bewußtsein ihrer selbst zu geben,
verloren
(vgl. Heinrich
1987).
Das interdisziplinäre
Klima
besetzt
diese Lücke, was nur noch ideologisch
zu leisten
ist.
Der interdisziplinäre Raum ist nicht identisch mit der Organisation von interdisziplinären Veranstaltungen. Immer wieder taucht
die Frage nach der Organisierbarkeit von Interdisziplinaritat auf,
45
denn in den Beispielen von geglückter und mißglückter Interdisziplinaritat wird weniger die Organisation von Interdisziplinaritat
als Initiator betont, als vielmehr Zufälligkeiten, Bekanntschaften
und/oder Freiwilligkeit. Diese Kriterien stehen nicht in Opposition zur Organisation, aber sie zeigen, daß der interdisziplinäre
Raum nicht durch Organisation bestimmt, sondern eher durch den unstrukturierten Raum, den Rand von Veranstaltungen etwa, und durch
die nicht vorstrukturierte Zeit konstituiert wird. Es geht um
Freiräume und Freizeit, wobei die Möglichkeit, ob die Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden können, bezweifelt wird. Vielleicht ist sogar von einer gegenteiligen Tendenz zu sprechen: Der
interdisziplinäre Raum entsteht trotz und gegen Organisation.
Wird jedoch versucht, eine Strukturierung des interdisziplinären
Raums vorzunehmen, also seinen "Ertrag" zu gewährleisten, wird die
Frage nach der Organisation entscheidend.
Die Universität, als ehemaliger Ort der Hoffnung und geistiger
Präsenz (vgl.Heinrich,11) wird zum typischen Repräsentanten einer
-alten wirkungslosen aber gefährlichen Form der Wissenschaftsorganisation.
"Unsere traditionellen Forschungsinstitute sind, sofern
sie nicht unter wirtschaftlichen Profitdruck stehen,
m.E.in ihrem historisch gewachsenen Aufbau eine direkte
Fortsetzung des analytisch-deduktiven Begriffs. Alles
ist hierarisch schon eingeteilt und gesondert, es
herrscht über- und Unterordnung, die Logik der Organisation spiegelt die Logik der Wissenschaft wider. Diese
Organisation fördert Spezialisierung und Objektforschung, sie erschwert (...) Teamarbeit, Interdisziplinaritat etc."(Heintel 1986, 51) "Globalprobleme warten
aber nicht, bis die Universitäten und ihre Verwaltung
begriffen haben. Daher werden sie immer mehr, wenn
überhaupt, außerhalb "gelöst".(Heintel 1986, 4)
Spricht Lyotard davon, daß der Krise der metaphysischen Philosophie die Krise der Universität entspricht (vgl.Lyotard 1986, 14),
so entspricht dieser Feststellung die Tatsache, daß Universitätsreformen nicht mehr über die synthetisierende Kraft von Philosophie legitmiert werden, sondern eine Umorganisation der Universität selbst vorgeschlagen wird (vgl.etwa H.Schelskys Reformvorschläge und deren Realisierung im Bielefelder Zentrum für interdisziplinäre Forschung).
46
Im Juni 1987 konnte ich an einer Tagung des IFF teilnehmen, zu der
sich alle Institutsmitglieder trafen, um den momentanen Stand der
Institutsentwicklung zu reflektieren bzw gemeinsam eine Selbstreflexion der Forschungsarbeit zu leisten. Das IFF beansprucht, eine
Organisationsform zu sein, die interdisziplinäres Arbeiten strukturell und inhaltlich ermöglicht. Eine der Arbeitsaufgaben war,
die persönlichen Motive am IFF zu arbeiten auf vier Ebenen zur
Darstellung
zu
bringen:
auf
der
intellektuellen,
politisch/praktischen, status - und karrieremäßigen sowie der erotischen.
Ich fasse im Folgenden stichwortartig die Wortmeldungen der Gruppe
zusammen, bei der ich als Zuhörer teilnahm. Im Wesentlichen wurde
nur die intellektuelle und politisch/praktische Ebene behandelt,
was im Plenum Anlaß zu Diskussionen gab, da eine strukturierende
Frage in der Aufarbeitung der einzelnen Gruppenberichte die nach
dem spezifisch weiblichen oder männlichen Muster der Selbstdarstellung war. Ich gehe auf diese Fragestellung nicht ein.
Ich will vielmehr zeigen, daß die Selbstdarstellungen genau den
bisher beschriebenen Strukturen der Begründung von Interdisziplinaritat folgen und als solche das bilden, was ich im Unterschied
zum Raum der Interdisziplinaritat das interdisziplinäre Klima nennen möchte.
Zusammenfassung:
- Es gibt einen Institutskonsens, gemeinsame Wissenschaftskonzeption (Frage nach Bildung wird gestellt im Rahmen einer Gesellschaftsveränderung, politische Problem werden auf wissenschaftlicher Ebene dargestellt, alle Problem sind per se interdisziplinär,
politische Umsetzbarkeit, Verbindungen zwischen Alltag und Wissenschaft sollen hergestellt werden, u.a.); diese Gemeinsamkeit
schließt Hetrogenitäten nicht aus
- der politische Konsens könnte mit linksalternativ umschrieben
werden. Intellektuelle Arbeit und politische Praxis stehen in einem dialektischen Verhältnis. Die intellektuelle Arbeit ist in
diesem Verhältnis als Ideologiekritik zu bezeichnen, die politische Praxis insofern als ideologisch, als sie einen idealen Typ
von Gesellschaft anstrebt. Die Trennung zwischen Theorie und Praxis ist institutionell nicht vorgegeben.
Der politische Konsens produziert eher ein intellektuelles
Klima. Es existiert ein Gefühl der Geborgenheit, eine Beziehungs-
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kultur und damit die Möglichkeit, Identitäten zwischen subjektiven
und Institutsinteressen herszustellen.
- Das Institut hat klar definierte Außengegener, insbesondere die
Universität bzw. einen überkommenen Begriff von Wisenschaft. Das
hat zwei Konsequenzen:1. Ausbildung einer Institutsidentität etwa
über die Koppelung der Begriffe von Gegenwissenschaft und kooperativer Wissenschaft und 2. Einnahme einer Kampfposition, Durchsetzungslust, Definierung des Selbstverständnisses über das Erfinderische, Expansion.
- Selbstreflexive Struktur des IFF selbst, indem es sich im unsicheren Terrain von Institutionskritik und eigener Etablierung als
Institution bewegt.
Das interdisziplinäre Klima ist jener diffuse Raum, der durch die
politische und organisatorische Durchsetzung der Idee von Interdiszipliarität entsteht. In seiner Beschreibung kreuzen sich alle
bisher beschriebenen Begründungsversuche und Erklärungen von
Interdisziplinaritat sowie der damit verbunden Ideologie.
Es übernimmt damit die Rolle, Ort kritischer Reflexion von Gesellschaft zu sein, eine Hoffnung die bis in die jüngere Vergangenheit
hinein noch die Universität repräsentierte. Der Raum der Interdisziplinaritat als Ort des Fragens bietet solche Perspektiven dagegen nicht.
Philosophie und der interdisziplinäre Raum
"Die Philosophie
ist
ein Diskurs,
dessen Regel
darin
besteht,
seine Regel (und die anderer Diskurse) zu finden.
In ihr versuchen
sich die Sätze mithin ohne Regel und ketten sich aneinander,
indem
sie sich einzig
von dem Wunder leiten lassen,
daß nicht alles
gesagt ist,
daß ein neuer Satz geschieht
und nicht vielmehr nichts. "
(Lyotard 1985, 73) Interdisziplinaritat
und Philosophie
konstituieren eine neue Disziplin:
die des Fragens. Deren Form ist das Experiment.
über die Beschreibung philosophischer Arbeitsweise kann nun die
Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Interdisziplinaritat
neu gestellt werden.
48
In den meisten Gesprächen wurde ein" Bild der philosophischen Arbeit produziert, das in der Gegenüberstellung von Größenwahn und
Unbrauchbarkeit gipfelt. Vor allem gemessen an den Erfordernissen
wissenschaftlicher Forschungspraxis wird Philosophie als Störung,
Oberschuß, Spielerei, Luxus oder Verschwendung charakterisiert.
Einerseits wird sie als produktive Kraft gewertet, wenn es darum
geht, Fronten aufzulösen, neue Bezüge herzustellen und selbstreflexive Forschungsprozesse einzuleiten, andererseits wird ihr Unvermögen betont, solche Erweiterungen des Forschungsfeldes oder
seine Zerlegung in sich selbstständig vervielfältigende Ebenen
wieder zurückzuneehmen.
Wiederum setzen ökonomische Bedingungen dem Philosophieren ein
Ende, und ideologisch-politische Begründungen übernehmen die Rolle
der Integration, die gleichzeitig auch schon Hindernisse einer
Entfaltung des Philosophierens darstellen.
Auffällig ist das regelmäßige Auftauchen der Einzahl: entweder es
wird von der Philosophie gesprochen, oder, wenn nicht mehr von einer Philosophie ausgegangen wird, spricht man von einem Philosophen.
Einzahl und eine damit zu assoziierende Einsamkeit stehen in Opposition zur interdisziplinären Gemeinschaft. Dies ermöglicht es,
den Widerspruch gegen die interdisziplinäre Forschung zu zementieren und spart das Problem philosophieimmanenter Widersprüchlichkeiten aus.
Man könnte das als den idelogischen oder wissenschaftspolitischen
Widerstand gegen Interdisziplinaritat bezeichnen, denn gerade das
Bild, das von Philosophie gezeichnet wird, zeugt vom Ende jeder
Einheitlichkeit. Philosophie ist entweder befreit oder abgeschnitten von identitätsf ordernden Strukturen, sie ist der Raum einer
unendlichen Zerstörung von Festen, ihre systematischen Fähigkeiten
können nur aus der Vergangenheit zitiert werden.
Ähnlichkeiten zwischen den Beschreibungen des interdisziplinären
Raums und der
Selbstbeschreibung der Philosophie werden auffällig. In der Bestimmung des interdisziplinären Raums als Ort von
Kommunikation sind Beschaffenheiten der Kommunikation sichtbar geworden, die den Anfordernissen des Philosophierens entsprechen.
Abseits eines einheitlichen Diskurses und fester Zielvorstellungen
entsteht ein Feld, indem sich philosophische und interdisziplinäre
Sprechweise treffen. Das Fragen ist deren gemeinsame Strategie.
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"Wie macht man Wissenschaften philosophisch ? Indem man ihnen philosophische Fragen stellt, sie sokratisch der Belanglosigkeit ihrer Antworten überführt, sie zwingt über das Motiv ihrer erkenntnis nachzudenken" (Hentig 1987,52).
Es ist die Form der Oberwindung von Grenzen und dementiert einen
territorial bestimmbaren Ursprung der Fragen. Das Scheitern, das
in den Gesprächen auf den unterschiedlichsten Ebenen behauptet
wurde, ist in diesem Feld nur die Bezeichnung der Unabschließbarkeit von Kommunikation. Mißt sich das Scheitern an zu bringenden
Arbeiten und zu lösenden Problemen, so wendet es sich im interdisziplinären Raum zu einer Philosophie der Vorläufigkeit. Das Ziel
ist nicht durchgängige Endgültigkeit und Sinnproduktion, sondern
die Markierung der Bedingungen und Grenzen von Sinn. Die Markierung von Grenzen durch deren Überschreitung wäre die Definition
des Feldes, das man als Feld des Experimentierens bezeichnen
könnte.
Philosophie ist sein Kommentar.
"Eine Profession verkauft ein Produkt oder eine Dienstleistung, die durch ihren Gebrauch definiert sind, deren Wert sich also im Prinzip bestimmen läßt. Die
Rechtmäßigkeit von Forderungen kann nach diesem Maßstab
bemessen werden. Was dagegen ein Schriftsteller, ein
Schauspieler, ein Wissenschaftler, sogar ein Lehrer
tut, kann nicht an einem solchen Maßstab gemessen werden, zumal heute. Seit Joyce, Cage, Frampton, Bohr, Artaud, Mai 68 besteht ihre Kultur" oder Bildung eher in
dem Vermögen, Grenzen in Frage zu stellen und zu experimentieren, als darin, in ihren Tätigkeiten überkommenen und tradierbaren Mustern zu folgen. Nie war sie in
solchem Maß 'philosophisch'". (Lyotard 1985, 29)
Der hier verwendete Begriff meint nicht das Experiment im herkömmlichen Sinn, als Lieferant von empirischen Tatsachen, die ein Primat vor der Theorie haben, das selbst durch die Physik und spätestens seit der Relativitätstheorie widerlegt ist, sondern das Umgehen mit Material nach Regeln, die das Experiment selbst erst
herstellt. Produkte solcher Experimente sind Versuchsanordnungen,
hypothetische Erkenntnisse, deren hypothetischer Charakter bewußt
ist.
Die Aufgabe von Philosophie ist die Analyse solcher Experimente,
das Auffinden ihrer Regeln. Dadurch macht sie selbst Experimente.
Abschließende These
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Die Aufgabe von Philosophie
in einem interdisziplinären
Projekt
besteht
in der Analyse dessen Bedingungen.
Indem sie diese
beschreibt,
setzt sie dem Projekt Grenzen. Das Projekt erscheint
als
experimentelle
Anordung. Die gewonnenen Arbeitsresultate
sind bestimmt von diesen Bedingungen.
Indem Philosophie
die Bedingungen
analysiert,
betreibt
sie Diskursanalyse
und Reflexion
der Gruppenprozesse.
Entsprechend
ihrer eigenen Diskursregel
dient die Analyse nicht der Legitimation,
sondern der Zerstörung jeder
Legitimation. Philosophie
kann also auch die Grenze zur Legitimation
hin
kommentieren.
Sie analysiert
die Macht der Wirksamkeit des ökonomischen Diskurses,
ist also Mitbedingung der Überschreitung
seiner
Wirksamkeit.
Indem Philosophie
die
Effekte
eines
interdisziplinären
Projekts
untersucht,
treibt
sie selbst die Anordnung des
Experiments
voran. Das interdisziplinäre
Experiment
repräsentiert
also keinen festzulegenden
Wissensstand
oder festen Korpus an Regeln. Es wird zur eigenen Überschreitung
der Grenzen, die
Philosophie ad infinitum
kommentiert.
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Umfrage. Disziplinaritat und Interdisziplinaritat in der wissenschaftlichen Forschung, in: DT. Z. Philos, Berlin 31 (1983) 1
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