Kwame Anthony Appiah Ethische Experimente Übungen zum guten

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Unverkäufliche Leseprobe
Kwame Anthony Appiah
Ethische Experimente
Übungen zum guten Leben
267 Seiten, Broschiert
ISBN: 978-3-406-59264-5
© Verlag C.H.Beck oHG, München
Vorwort
Dieses kleine Buch ist der Versuch, die Arbeit des Moralphilosophen,
die mein Fachgebiet darstellt, mit der Tätigkeit von Wissenschaftlern
aus einigen anderen Fachgebieten und mit den Fragen ganz gewöhnlicher, nachdenklicher Menschen zu verknüpfen, die ein anständiges
Leben führen möchten. Auf den folgenden Seiten werden zahlreiche
Philosophen zu Wort kommen, aber auch viele andere Fachleute der
einstmals so genannten moral sciences – Psychologen, Ökonomen, Anthropologen und Soziologen.
Die Sozialwissenschaften sind von recht unmittelbarer Bedeutung für
unser alltägliches Leben. Denn wie wir handeln sollen, hängt von der
Beschaffenheit der Welt ab, sodass wir uns in unseren alltäglichen Entscheidungen auf Wissen aus jeglichen Bereichen stützen können. Weniger offenkundig ist die Tatsache, dass auch empirische Forschung für
moralische Urteile bedeutsam sein könnte. Doch bevor wir unsere Wahl
treffen, müssen wir uns manchmal zumindest in groben Zügen vorstellen, was es heißt, ein gutes Leben zu führen. Das war eine der wesentlichen Einsichten des Aristoteles. Ich möchte nun behaupten, dass wir
uns frei der Mittel zahlreicher Fachgebiete bedienen sollten, um diese
Vorstellung genauer zu bestimmen, und dass wir damit an eine lange Tradition anknüpfen. Ich denke, in den Geisteswissenschaften versuchen wir
stets, die Gegenwart im Blick auf die Vergangenheit zu erhellen. Nur so
können wir eine Zukunft schaffen, die unserer Hoffnung würdig ist.
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Vorwort
Mühevoll an der genealogischen Arbeit, mit der ich beginnen werde,
ist die Tatsache, dass «experimentelle Philosophie» durchaus nichts
Neues, sondern ebenso alt ist wie der Ausdruck «Philosophie». Der
Gemeinplatz, den ich hier in Frage stellen möchte, ist die Ansicht, die
Philosophie habe gleichsam an Reinheit gewonnen, als sie sich aus
jenen Forschungsfeldern zurückzog, die heute zu den Natur- und Sozialwissenschaften gehören. Das zweite Kapitel ist eine Fallstudie zur
empirischen Moralpsychologie. Im Mittelpunkt steht dabei die Herausforderung, die eine, wie man sagt, «situationsbezogene» Forschung für
die Wiederbelebung der Tugendethik darstellt. Ich denke, die vermeintliche Konfrontation könnte uns zeigen, was am Begriff der Tugend
Wert hat und was nicht. Im dritten Kapitel betrachte ich etwas genauer
den verwirrenden Status der Intuition innerhalb der Moralphilosophie,
wobei ich den Schwerpunkt auf die Unterscheidung zwischen Erklärungen und Gründen lege. Das vierte Kapitel nimmt den Gedanken
ernst, wonach gewisse «sittliche Empfindungen» möglicherweise tief in
der menschlichen Natur verankert sind, und erkundet die Übereinstimmungen zwischen diesen mutmaßlichen Urgrößen und der expliziten
moralischen Reflexion, wie wir sie in unseren Traditionen finden. Im
letzten Kapitel werde ich diese Untersuchungen mit dem ethischen
Projekt in seinem umfassenden klassischen Sinne verknüpfen. (In den
Anmerkungen finden Sie zusätzliche Zitate, einige Vorschläge zur
weiteren Lektüre und gelegentlich auch Hilfsargumente oder sonstige
Beobachtungen. Sie können die Anmerkungen wie die Beigaben auf
einer DVD behandeln. Oder anders gesagt: Sie sollten sich nicht gedrängt fühlen, dort nachzuschauen, sofern Sie nicht das Bedürfnis dazu
verspüren.)
Die Experimente, von denen im Titel die Rede ist, sind in gewissem
Sinne nicht meine eigenen. Im gesamten Buch behandele ich experimentelle Arbeiten, die etwas über unsere Moral auszusagen scheinen.
Das tue ich als Philosoph, weil ich der Überzeugung bin, dass unser
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Fachgebiet zu diesen Diskussionen etwas beizutragen hat, und ich tue
es, wie ich gerne zugebe, als jemand, der sich eher für den Blickwinkel
des Philosophen interessiert als für den des Psychologen oder des Ökonomen. Dennoch möchte ich die Erkenntnisse und Entdeckungen
anderer Fachgebiete in mein eigenes aufnehmen und befürchte dabei
nicht, dass uns Philosophen dadurch unsere Eigenständigkeit verloren
gehen könnte. Die Philosophie sollte offen für alles sein, was sie aus
Experimenten lernen kann. Sie braucht dazu keine eigenen Labors einzurichten.
Doch ich möchte Sie bitten, das gesamte Buch in einem anderen
Sinne als ein Experiment zu begreifen. Den Anlass zu diesem Buch bildete die Einladung, im Jahr 2005 die Flexner Lectures am Bryn Mawr
College zu halten. Und diese Einladung bot mir die Möglichkeit, die
Bedeutung einer weitgehend noch laufenden Arbeit für die Entwicklung meiner Ansichten zu unseren handlungsleitenden Werten zu erkunden – und zwar in einem anderen Sinne «experimentell», nämlich
versuchsweise, tentativ.
Das Ergebnis ist gleichsam ein Zwischenbericht aus diesem Labor der
Reflexion, ein Bericht, der sich, wie das Flexner-Komitee verlangt, an
ein Publikum aus Nichtfachleuten wendet … oder eigentlich an jeden,
der sich für die moral sciences interessiert.
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