Faculteit Letteren & Wijsbegeerte Vakgroep Duitse Letterkunde Ex Oriente Lux Über die Geschichte des Buddhismus, seinen Aufschwung in Deutschland und Hermann Hesses Siddhartha Masterproef voorgelegd tot het behalen van de graad van Master in de taal- en letterkunde: Frans – Duits Academiejaar 2014-2015 Auteur: Tom Clapuyt Ter Lindenstraat 10 8792 Desselgem – Waregem België Matrikelnr.: 01103239 Tel.: 0476 / 72.20.73 Promotor: Prof. Dr. Marcus Hahn Dankeswort An erster Stelle möchte ich mich bei Prof. Dr. Marcus Hahn für die angenehme, ausführliche Betreuung, sowohl der Bachelor- als auch der Magisterarbeit, bedanken. Die Bemerkungen, Korrekturen und Vorschläge waren mir eine notwendige Hilfe für die Herstellung meiner Arbeit. An zweiter Stelle möchte ich mich bei meinem Vater, meiner Mutter, meinem Bruder und meiner Freundin, aus logischen Gründen, bedanken. An dritter Stelle möchte ich mich bei der Fachgruppe für deutsche Literaturwissenschaft für das interessante Studium insgesamt bedanken. Die Wärme der Fachgruppe ist lobenswert. Bedanken möchte ich mich ebenfalls bei der Fakultätsbibliothek Letteren en Wijsgebeerte für die Bücher und die Arbeitsräume, die zur Verfügung stehen. Die Freundlichkeit des Personals ist ebenfalls lobenswert. Inhalt Einführung S. 1 1. Buddha, Buddhismus und das Abendland S. 4 1.1 Die Geschichte des Buddhismus S. 5 1.2 Leben und Lehre Buddhas S. 11 1.3 Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland S. 18 2. Hesse und der Orient S. 27 2.1 Eine frühe Begeisterung S. 27 2.2 Hesses Indienreise S. 33 3. Siddhartha, eine indische Dichtung S. 42 3.1 Eine indische Dichtung S. 42 3.2 Die Abweichung vom Ideal S. 53 3.3 Eine westöstliche Dichtung S. 59 Schlussfolgerung S. 71 Bibliografie S. 75 Wörter: 29 645 Einführung 83%. So hoch ist die Popularität des Dalai Lama in Deutschland laut einer Umfrage, die Harris Interactive1 im Januar 2009 durchführte. Tendzin Gyatsho, denn so heißt das heutige geistliche Oberhaupt der Tibeter, erobert damit den zweiten Platz, zwischen Barack Obama, der kaum ein Prozent mehr bekam, und Angela Merkel, die sogar zwanzig Prozent weniger erhält. Ein gleichlautendes Ergebnis ergab eine Umfrage des Spiegel schon im Jahre 2007, wobei der Buddhismus mit 43% als „friedlichste Religion“ gewählt wurde, während das Christentum 41% und der Islam kaum 1% bekamen.2 Die Begeisterung wurde im vergangen Jahr wiederum bestätigt, als das geistliche Oberhaupt in Deutschland auf Besuch war. Nachdem Gyatsho im Mai schon Frankfurt am Main besucht hatte, hatte im August Hamburg die Ehre, ihn zu empfangen. Nicht weniger als 4000 Zuschauer kamen zur Fraport Arena Frankfurt3, während 7000 Zuschauer im ausverkauften Congress Center Hamburg4 saßen. Die Zahlen illustrieren die wachsende Popularität des Buddhismus. Die Lehre ist beliebter als je zuvor und nie hatte die ‚Religion‘ so viel Anhänger wie heute. Die Popularität des Dalai Lama und seiner Lehre ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass der Buddhismus vor knapp 150 Jahren im Abendland kaum bekannt war. Seit ihrem Eintritt hat diese Lehre dennoch einen erstaunenswerten Aufschwung genommen. In Deutschland fand die „indische Wunderglocke“5 im 19. Jahrhundert allmählich Verbreitung, wobei Arthur Schopenhauer und dessen Opus Magnum Die Welt als Wille und Vorstellung6 als wichtigster Vermittler und Einfluss galten, wie der Historiker und Redakteur der Zeitschrift Buddhismus Heute Michael den Hoet im folgenden Zitat verdeutlicht: 1 Harris Interactive organisierte, in Zusammenarbeit mit FRANCE 24 und The International Herald Tribune, das „World Leaders Opinion Barometer“. Insgesamt wurden 6299 Erwachsene zwischen 16 und 64 aus fünf Ländern (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und den Vereinigten Staaten) befragt. Insgesamt bekam der Dalai Lama 77% aller Stimmen, was indirekt die große Bekanntheit des Buddhismus illustriert. Die Ergebnisse sind frei verfügbar unter http://www.harrisinteractive.fr 2 Vgl.: Umfrage: Dalai Lama beliebter als der Papst. Spiegel Online. 14.07.2007. http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/umfrage-dalai-lama-beliebter-als-der-papst-a-494452.html (abgerufen am 05.02.2015). 3 Vgl. Timo Frasch: Dalai Lama in Deutschland. Frankfurter Allgemeine Zeitung. 14.05.2014. http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/dalai-lama-in-deutschland-kann-man-fast-alles-unterschreiben12939561.html (abgerufen am 07.02.15). 4 Vgl. Tausende hören Dalai Lama in Hamburg. Norddeutscher Rundfunk. 24.08.2014. http://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Dalai-Lama-zu-Besuch-in-Hamburg,dalailama310.html (abgerufen am 07.02.15). 5 Vgl. Maximilian Kern: Das Licht des Ostens. Die Weltanschauungen des mittleren und fernen Asiens (Indien – China – Japan) und ihr Einfluss auf das religiöse und sittliche Leben, auf Kunst und Wissenschaft dieser Länder. Stuttgart: Union Deutsche Verlagsgesellschaft 1922. Der Buddhismus wurde als Lösung für die gesellschaftliche Krise der Zwischenkriegszeit unter Namen wie „indische Wunderglocke“ propagiert, wie später verdeutlicht wird. 6 Leipzig: Brockhaus 1819. 1 Was Schopenhauer über den Buddhaismus (so nannte er ihn) schrieb, weckte Interesse. Wer in den nächsten Jahrzehnten im deutschen Sprachraum zum Buddhismus kam – z.B. Neumann, Zimmermann, Dahlke, Grimm, Nyânatiloka, Lama Govinda -, hatte in der Regel Werke des aus Danzig stammenden Philosophen gelesen.7 Das Interesse für Schopenhauer hing damit zusammen, dass er der erste Philosoph war, der sich überhaupt mit dem ‚Buddhaismus‘ im deutschen Sprachraum auseinandersetzte, in einer Zeit, in der die Quellen kaum vorhanden und mangels Überlieferung nur schwer zugänglich waren. Seine Schriften inspirierten eine lange Reihe Philosophen und Künstler, so auch Friedrich Nietzsche und Richard Wagner. Zu dieser Reihe gehört ohne Zweifel auch Hermann Hesse. Mit seiner 1922 erschienenen „indischen Dichtung“ Siddhartha schuf er die erste literarische Interpretation des Buddhismus im deutschen Sprachraum, der diese Arbeit sich widmet. Zum einen illustrierte Hesse das Leben des historischen Buddha, während er zum anderen eine moderne Interpretation seiner Lehre anbot. Das spätere Kultbuch der Hippiebewegung ruft dennoch mehrere Fragen hervor, auf die diese Untersuchung eine Antwort zu geben versucht: Auf welche Weise manifestiert sich der Buddhismus in Siddhartha? Wo weicht die Erzählung der ursprünglichen Lehre Buddhas ab? Woher kannte Hesse den Buddhismus eigentlich? Was wussten seine Zeitgenossen eigentlich über die Lehre Gautamas? Wie kam diese Tradition überhaupt in das Deutschland der 1920er Jahre? Warum erhob die Hippie-Generation Siddhartha zum Kultbuch in den 1960er Jahren, 40 Jahre nach dessen Veröffentlichung? Die Untersuchung fokussiert sich nur auf den ursprünglichen Buddhismus, die Lehre des historischen Buddha. Die Lehre Buddhas hat seit ihrer Entstehung unzählbare Schulen und Varianten entwickelt, die zueinander oft widersprüchlich waren und sind, wie aus dem ersten Teil dieser Arbeit hervorgeht. Die vorliegende Analyse beschränkt sich dennoch auf die ursprüngliche Lehre Buddhas, die in Hesses Roman thematisiert wird und den Kern aller Varianten bildet. Die Geschichte der übrigen Religionen Indiens, das neben dem Buddhismus schon in frühester Zeit die Heimat des Brahmanismus und des Jainismus war, wird in dieser Arbeit nur am Rande mitbetrachtet und ist außerdem schon ausführlich und tiefgehend beschrieben worden. Nicht nur die allgemeine Entwicklung der Religionen8, sondern auch ihre Verhältnisse untereinander9 sind heutzutage weitgehend erforscht. 7 Michael den Hoet: „Ein Baum mit tiefen Wurzeln. Anfänge des Buddhismus im deutschen Kulturkreis“. In: Buddhismus Heute 34 (2002), S. 3. 8 Vgl. Fred Clothey: Religion in India: a historical introduction. London: Routledge 2006. 9 Vgl. Jacques Scheuer: L’Inde, entre hindouisme et bouddhisme: quinze siècles d’échanges. Brüssel: Académie royale de Belgique 2013. 2 Das vorliegende Werk besteht also aus drei Hauptteilen. Der erste Teil dieser Arbeit beschäftigt sich mit der historischen und kulturellen Frage, wer Buddha war, wie seine Lehre in das Abendland kam und warum sie so schnell im deutschen Sprachraum an Popularität gewann. Der mittlere Teil untersucht, was Hesse eigentlich genau über Indien und seine Religionen wusste und woher seine Kenntnisse stammten. Im letzten Teil wird untersucht, wie Hesse diese Kenntnisse in seiner literarischen Praxis verwendet hat, durch eine genaue Analyse des Buddhismus in Siddhartha. Die drei Teile dieser Arbeit sind komplementär zu verstehen, denn die ersten zwei machen den dritten verständlich, während der dritte Teil ein neues Licht auf die ersten beiden wirft. Diese Komplementarität bildet zugleich die Stärke und den Sinn dieser Arbeit, die nicht nur eine Tiefenanalyse des Buddhismus in Siddhartha liefert, sondern diese Analyse zugleich mit der Geschichte des Phänomens und des Autors verbindet, die beide für ein ganzheitliches Verständnis des Buches erforderlich sind. Die Untersuchung steht deshalb auf einem kulturgeschichtlichen und einem literaturwissenschaftlichen Boden. Im Zentrum der beiden ersten Teile steht einerseits die religions- und kulturwissenschaftliche Frage, wie der Buddhismus in den Westen und in die Welt Hesses kam, während andererseits die literarische Frage, wie Hesse dieses Modell verarbeitet hat, ins Zentrum des dritten Teiles gerückt wird. Die Ergebnisse dieser Arbeit liefern einen Beitrag zu einem tieferen Verständnis der Darstellung des Buddhismus in der Literatur und ermöglichen es dem Leser, die kulturelle Geschichte einer Tradition und eines Autors mit ihrer wohl bekanntesten Illustration zu verbinden. 3 1. Buddha, Buddhismus und das Abendland Obwohl der Buddhismus nie die Anhängerzahl der großen Weltreligionen erreichte, steht er mit knapp 535 Millionen Buddhisten auf dem vierten Platz in der Liste der größten Religionen, nach dem Christentum, dem Islam und dem Hinduismus.10 Der Titel ‚Weltreligion‘ ist, in Bezug auf den Buddhismus, dennoch einigermaßen problematisch, denn im Gegensatz zu den drei oben genannten Weltreligionen, beten die Buddhisten kein göttliches Wesen an. Siddhartha Gautama, der historische Buddha, ist das große Muster des Weges zur Erleuchtung, ohne jedoch göttliche Ansprüche zu haben.11 Vielmehr als seine Person ist seine Lehre oder Dharma wichtig, wie Peter Harvey, Emeritus für buddhistische Studien an der Universität Sunderland, am Anfang seines Werkes verdeutlicht: As ‚Buddha‘ does not refer to a unique individual, Buddhism is less focused on the person of its founder than is, for example, Christianity. The emphasis in Buddhism is on the teachings of the Buddha(s), and the ‘awakening’ of human personality that these are seen to lead to.12 Vielleicht liegt der Grund seiner Anziehungskraft gerade in seinem Atheismus. Statt Gott, Allah oder Wischnu, ist der Buddhist imstande, die Erlösung selbst zu erreichen. Aber wie verschieden der Buddhismus auch von den monotheistischen Religionen ist, seine Geschichte ist genauso reich und vielschichtig. Wie die übrigen großen Religionen, kennt der Buddhismus eine Menge Varianten und Schulen, die oft miteinander im Streit liegen, wie letztens die Demonstrationen gegen den Dalai Lama in Hamburg illustrierten.13 „Der Buddhismus“ ist deshalb schwer zu definieren, wie Helwig Schmidt-Glintzer, Sinologe an der Universität Göttingen, sofort in seiner Einleitung zum Thema erwähnt: Was ist der Buddhismus, und was ist die Lehre des Buddha? Die Antwort wird vielfältig sein und auch nicht erschöpfend, denn in seiner etwa zweieinhalbtausendjährigen Geschichte hat der Buddhismus viele Gesichter gezeigt, so daß die Rede von dem Buddhismus nicht statthaft ist.14 Obwohl der Buddhismus nicht als feste Einheit betrachtet werden kann, wird im Folgenden versucht, die Geschichte der Lehre so klar wie möglich zu skizzieren. Dieser erste 10 Vgl. Peter Harvey: An Introduction to Buddhism. Teachings, History and Practices. New York: Cambridge University Press 2013, S. 5. 11 Die ursprüngliche Lehre, das sogenannte „kleine Fahrzeug“, ist atheistisch. Im sogenannten „großen Fahrzeug“ spielen die Bodhisattvas die Rolle eines Mittlerwesens, zwischen dem Menschen und dem Nirwana, und bekommen dadurch einen göttlichen Rang. Vgl. 1.2: Leben und Lehre Buddhas. 12 Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 2. 13 Der sogenannte „innerbuddhistische“ Streit dreht um die tibetische Gottheit Dorje Shugden, die in der vorbuddhistischen Volksreligiosität ihren Ursprung findet. Der Dalai Lama sieht ihre Verehrung als Aberglauben, während die Shugden-Verehrer behaupten, der Dalai Lama unterdrücke ihre Religion. 14 Helwig Schmidt-Glintzer: Der Buddhismus. München: Beck 2008, S. 9. 4 Abschnitt widmet sich zu diesem Zweck drei Fragen. Der erste Teil behandelt die Frage, wie der Buddhismus entstand und zur ‚Weltreligion‘ wurde. Im zweiten Teil steht die Frage im Zentrum, wie das Leben und die Lehre des historischen Buddha aussahen. Im letzten Teil wird analysiert, wie der Buddhismus in das Abendland Eingang fand, wobei vor allem die Situation Deutschlands betrachtet wird. 1.1 Die Geschichte des Buddhismus Der Buddhismus entstand vor mehr als zwei Jahrtausenden in Indien, als Siddhartha Gautama, der historische Buddha, im 5. Jahrhundert vor Christus seine Lehre verkündigte. Bald hatte er eine Menge Anhänger, die ausschließlich aus Mönchen bestand. Ihre Begeisterung für den Buddhismus wurde durch die Unzufriedenheit mit dem damaligen Brahmanismus verstärkt. Dieser Brahmanismus, der heutzutage als Hinduismus eine der Hauptreligionen Indiens geworden ist, ging aus dem Vedismus hervor. Der Vedismus war die ursprüngliche Religion der hauptsächlich aus dem Iran stammenden Einsiedler, die ab 1500 vor Christus große Teile Indiens eroberten. Ihre heiligen Texte, die sogenannten Veden, waren ursprünglich mündlich überlieferte Gesänge, die später verschriftlicht wurden. Die vier heiligen Sammlungen, alle auf Sanskrit, waren der Rigveda, der Samaveda, der Yajurveda und der Atharvaveda, wobei die erste Sammlung ohne Zweifel die älteste ist. Später wurden die Brahmanas und die Upanishaden hinzugefügt. Die Einwanderer nannten sich selbst ‚Arier‘. Um die Hilfe der Götter zu erhalten, wurden Opfer dargebracht. Allmählich wurden die Priester, die die Opfer vollzogen, mächtiger. Sie fingen an, die Götter durch Opferriten zur Hilfe zu zwingen und nannten sich selbst Brahmanen, weil sie der Lehre des Brahman-Atman anhingen, wodurch der Brahmanismus entstand. In dieser Religion ist das Brahman die universelle, allumfassende Seele, während das Atman die persönliche Seele des Menschen ist, die versucht, wieder eins mit dem Brahman zu werden, wie Harvey verdeutlicht: In these, Brahman is seen as the substance underlying the whole cosmos, and as identical with the Ātman, the universal Self which the yogic element of the Indian tradition had sought deep within the mind. By true knowledge of this identity, it was held that a person could attain liberation from reincarnation after death, and merge back into Brahman.15 Weil nur die Priester imstande waren, durch heilige Verse und Opferriten das Brahman zu manipulieren und zu kontrollieren, erhoben sie sich selbst zur höchsten Schicht der 15 Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 10. 5 Gesellschaft: „The great responsibility of the priests in this regard was reflected in them placing themselves at the head of what was regarded as a divinely ordained hierarchy of four social classes […].”16 Sie standen damit höher als die drei anderen Schichten, das heißt als die Krieger, die Bauern und die Sklaven. Sie wollten damit ihre Macht sicherstellen und aus dieser hierarchischen Ordnung entstand später das heutige Kastensystem Indiens. Bald fingen die übrigen Kasten, die durch diese Religion unterdrückt wurden, damit an, andere Systeme zu suchen. Sie wurden die sogenannten Samanas, oft alte Krieger, die als Asketen und Bettelmönche herumzogen. Während des 5. Jahrhunderts vor Christus entstanden zugleich große Königreiche, wodurch die alten, kleinen Gemeinden zusammengeschlossen wurden und ökonomisch mächtige Städte entstanden. Durch diese Urbanisierung fand die alte, vedische Weltansicht Eingang in die breiten Massen und wurde stark diskutiert, sowohl durch Brahmanen als Samanas, wie Harvey zeigt: The Samaṇas rejected the Vedic tradition and wandered free of family ties, living by alms, in order to think, debate and investigate. Many came from the new urban centres, where old certainties were being questioned, and increasing disease from populationconcentration may have posed the universal problem of human suffering in a relatively stark form. They therefore sought to find a basis of true and lasting happiness beyond change and insecurity.17 Aus deren Reformbewegungen entstanden neue Religionen, worunter der Buddhismus und der Jainismus, die bis heute weiterleben und zusammen mit dem Hinduismus die drei anerkannten Religionen des heutigen Indiens bilden.18 Der Jainismus war die Lehre des Prinzen Vardhamana Mahavira und entstand gleichzeitig mit dem Buddhismus, obwohl er weniger stark auf den Brahmanismus reagierte. Wie Buddha verließ auch Mahavira als junger Mann Familie und Heimat, um als Asket zu leben und später seine Lehre zu verkündigen. Obwohl Buddhismus und Jainismus gemeinsame Grundsätze haben und die beiden Religionen einen praktischen Weg zur Erlösung anbieten, spielt im Jainismus Askese eine wichtige Rolle, während Buddha den sogenannten „mittleren Weg“ anpries: „While the Buddha agreed with the Jains on such matters as rebirth and non-violence, he saw their theory of karma as somewhat mechanical and inflexible, and opposed their asceticism as too extreme.“19 Tatsächlich lebten die Jainisten laut strengen Normen, um das Karma zu bezwingen und dem Kreislauf der Wiedergeburten zu entkommen. 16 Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 9. Ebd., S. 11. 18 Andere Protestbewegungen, wie die Ajivikas, kannten weniger Anhänger und sind heutzutage völlig verschwunden. 19 Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 13. 17 6 In dieser Zeit entstand der Buddhismus. Der Buddhismus hatte nicht die Absicht, die großen Massen zu erreichen, sondern richtete sich an einzelne Mönche, die Erlösung suchten, wie Henri Arvon, Emeritus Professor für Philosophie in Paris, in seiner Einführung zum Buddhismus verdeutlicht: Dans sa première prédication, le « sermon de Bénarès », Bouddha ne s’adressa pas à la foule, mais à cinq moines. Fait significatif et qui fixe dès sa première manifestation le caractère véritable du bouddhisme primitif. Ce n’est pas une doctrine qui cherche à gagner l’adhésion de la masse – les discours de Bouddha ne s’adressent que dans des cas extrêmement rares à des laïcs –, mais qui présuppose, pour être comprise et suivie, l’état monacal.20 Die Lehre bedeutete deshalb einen Bruch mit dem Kastensystem. Sie stand für alle offen, die bereit waren, als Mönch im gelben Gewand pilgernd und bettelnd durch das Leben zu gehen. Obwohl mönchische Askese und Entsagung der einzige Weg zur Erlösung waren, entstanden bald neue Auffassungen, wodurch auch Laien am buddhistischen Leben teilhaben konnten. Sie blieben dennoch Außenseiter, die eher aus finanziellen als aus religiösen Gründen toleriert wurden. Die Bettelmönche waren für Nahrung, Kleidung und Unterkunft von den Laien abhängig, die oft als reiche Wohltäter auf Erlösung hofften und sogar Häuser und Grundstücke schenkten. Der Laienbuddhismus nahm bald so große Dimensionen an, wodurch das Problem entstand, die Verehrung Buddhas symbolisch zu repräsentieren. Bald entstand ein Kult, wo die Reliquien Buddhas verehrt und Denkmäler errichtet wurden. Die Gebeine Buddhas wurden in sogenannten Stupas aufbewahrt und verehrt, wie in Rangoon, wo bis heute seine Haare aufbewahrt sind. Daneben entstanden Tausende und Tausende von Abbildungen, die selbst heutzutage in jeder Ecke der Welt zu finden sind.21 Eine dritte Form der Verehrung waren die Wallfahrten, die die wichtigsten Stätten seines Lebens als Ziel hatten. Frühere und heutige Pilger hatten und haben die Wahl zwischen Kapilavastu, seinem Geburtsort, Bodhgaya, wo seine Erleuchtung eintraf, Sarnath, dem Ort der ersten Rede, und Kushinagar, wo der Buddha starb. Dieser Kult vereinfachte die Verbreitung des Buddhismus in Indien. Die erste große Verbreitungswelle des Buddhismus in Indien und der Welt fand während des 3. Jahrhunderts vor Christus statt, dank Ashoka dem Großen. Ashoka, „le 20 Henri Arvon: Le bouddhisme. Que sais-je? Vendôme: Imprimerie des Presses Universitaires de France 1998, S. 49. 21 Die Geschichte will, dass die buddhistische Kunst nicht der indischen Tradition entspricht, sondern der griechischen. Die Eroberungen Alexanders des Großen haben die Kunst griechisch beeinflusst. Vgl. Hugh van Skyhawk: „Ist die Gandhara-Kunst griechisch beeinflusst?“. In: Zur Debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern 1 (2012), S. 19-21. 7 Constantin du bouddhisme“22, war der König der Dynastie der Maurya. Im Jahre 268 vor Christus übernahm er die Herrschaft und beschäftigte sich hauptsächlich, wie seine Vorfahren, mit der Eroberung neuer Gebiete. Sieben Jahre später, im Jahre 261 vor Christus, eroberte seine Armee Kalinga, wodurch er den Höhepunkt seiner Macht erreichte. Die Einnahme der Stadt war dennoch, rein politisch betrachtet, ein Pyrrhussieg. Durch das Anschauen des großen Elends, das er verursacht hatte, wurde der Herrscher geläutert und fing an, alle Gewalt zu hassen. Er sah, wie der Buddhismus Frieden und Mitleid ausstrahlte, und beschloss, sein Leben dem Buddhismus und dessen Verbreitung zu widmen. Dank Ashoka fand der Buddhismus Eingang in Sri Lanka23 und Myanmar24. Er schickte sogar Gesandtschaften nach Ägypten, Syrien und Makedonien, obwohl nicht bewiesen ist, dass sie je dort ankamen. Ashoka widmete sich nicht nur dem Buddhismus, sondern regierte auch laut dessen Prinzipien, wie Harvey illustriert: He inaugurated public works, such as wells and rest-houses for travelers, supported medical aid for humans and animals, and gave aid for the fostering of such measures in regions beyond his empire. Dhamma-officials were appointed to encourage virtue, look after old people and orphans, and ensure equal judicial standards throughout the empire. While Asoka retained some judicial beatings, he abolished torture and, perhaps, the death penalty (Norman, 1975). Released prisoners were given some short-term financial help, and encouraged to generate karmic fruitfulness for their future lives.25 Die Aufklärung würde erstaunt sein. Jagen, der Sport der Könige, wurde sogar durch Wallfahrten ersetzt und der Hof aß vegetarisch. Ob Ashoka wirklich so ein aufgeklärter Herrscher war, wie die Quellen behaupten, lässt sich bezweifeln. Buddhistische Propaganda hat sicherlich eine Rolle gespielt und das Bild Ashokas weitgehend beeinflusst. Nach seinem Tod wurde Indien erneut durch griechische Könige erobert. Diese standen dem Buddhismus nicht feindlich gegenüber, wie die berühmten Gespräche des griechischen Königs Milinda mit dem buddhistischen Mönch Nagasena illustrieren.26 Die darauffolgenden skythischen Dynastien empfanden ebenso Sympathie für den Buddhismus. Die Ironie will, dass dort, wo der Buddhismus entstand, er heutzutage weitgehend verschwunden ist. Die genaue Geschichte des Buddhismus in Indien ist schwer zu rekonstruieren. Die wichtigsten Quellen sind die Zeugnisse der chinesischen Pilger, die die heiligen Orte des Buddhismus besuchten. Obwohl der Buddhismus im 5. Jahrhundert nach 22 Arvon: Le bouddhisme, S. 82. Bis 1948 Ceylon. 24 Birma 25 Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 101. 26 Die Milindapanha ist ein wichtiger Text der Theravada-Schule, der Strömung des sogenannten ‚kleinen Fahrzeugs‘. 23 8 Christus seine Blütezeit hatte, scheint er danach allmählich zu verschwinden. Im 8. Jahrhundert fing die brahmanische Gegenreformation an, aber der wirkliche Todesstoß war die islamische Invasion: „En 1193, Ikhtiyar-un-din Mohammed Bakhtyar prend la capitale du Bihâr d’assaut, détruit les monastères et massacre les moines. C’est ainsi que s’achève la carrière indienne du bouddhisme qui s’étend sur près de quinze siècles.“27 In dieser Zeit waren die meisten Buddhisten eigentlich schon Hindus geworden, eine Konversion, wofür der Buddhismus irgendwo selbst verantwortlich war, wie Arvon zeigt: En accueillant de la façon la plus large les croyances populaires, le bouddhisme se rapproche de plus en plus de l’hindouisme. En principe, la fusion aurait pu se faire aussi bien au profit du bouddhisme. Mais l’hindouisme, s’appuyant d’une part sur l’organisation sociale de l’Inde puisqu’il défend le régime des castes, fort d’autre part de l’autorité que les Védas gardaient auprès du peuple, était mieux armé pour le combat que le bouddhisme qui se plaçait en dehors de la vie active et qui ignorait la tradition sacrée de l’Inde.28 Arvon verdeutlicht, dass sowohl Buddhisten als auch Hindus der islamischen Invasion zum Opfer fielen. Der eigentliche Grund für den Sieg des Hinduismus war seine gesellschaftliche Einbettung im Kastensystem, wodurch er besser gegen die Invasion bewaffnet war. Wenn die Muslime dem Buddhismus den Todesstoß gaben, war der eigentliche ‚Streit‘ zwischen dem Buddhismus und dem Hinduismus schon längst geführt. Das Verschwinden des indischen Buddhismus hat die Lehre dennoch nicht daran gehindert, sich in großen Teilen Asiens zu verbreiten.29 Schon früh festigte der Buddhismus sich in Sri Lanka, Thailand und Myanmar, wofür vor allem die oben beschriebene Politik Ashokas verantwortlich war. Mahendra, laut der Überlieferung Sohn oder Bruder Ashokas, ging als Gesandter nach Sri Lanka, wo er den damaligen König Tissa bekehrte. Sri Lanka war seit seiner Bekehrung einer der wichtigsten Orte des Buddhismus, wo im 1. Jahrhundert vor Christus der Pali-Kanon30 entstand und bis heute der Zahn des Buddha aufbewahrt ist. Die Gesandten Ashokas gingen bis Myanmar, wo Anuruddha, der damalige König, im 11. Jahrhundert den Buddhismus zur Staatsreligion erhob. Myanmar ist heutzutage noch immer ein buddhistischer Staat mit bekannten buddhistischen Wahrzeichen, wie die ShwegadonPagode in Rangun, einer der weltweit berühmtesten Stupas. Thailand ist seit seiner Entstehung im 11. Jahrhundert immer ein buddhistischer Staat gewesen. Wahrscheinlich wurde die Lehre durch Kontakte mit Sri Lanka angenommen. In Kambodscha bestanden 27 Arvon: Le bouddhisme, S. 86. Ebd., S. 87. 29 Eine detaillierte Beschreibung aller Daten, Orte und Namen bietet Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 194-236. 30 Vgl. 1.2: Leben und Lehre Buddhas. 28 9 während 1000 Jahren Buddhismus und Brahmanismus nebeneinander. Im 15. Jahrhundert wurde, durch thailändische Einflüsse, der Buddhismus die dominante Religion, die er bis heute geblieben ist. In Tibet, dem „Dach der Welt“, errang der Buddhismus seinen größten Sieg. Die Legende sagt, dass König Srongtsan Gampo im 7. Jahrhundert zwei buddhistische Prinzessinnen heiratete, wodurch die Lehre Eingang fand. Wahrscheinlicher ist, dass indische Mönche um 750 nach Christus die Lehre predigten. Der Buddhismus hatte eine lange Entwicklung31 und wird heutzutage als „Lamaismus“ bezeichnet. Die zwei wichtigsten Lamas, die zugleich politische Macht beanspruchen, sind der Dalai Lama und der Penchen Lama. Der Dalai Lama, anno 2015 Tendzin Gyatsho, hat die weltliche Macht, der Penchen Lama, Gyeltshen Norbu32, die geistliche Macht. Schließlich fand der Buddhismus in China und Japan Eingang. Wie der Buddhismus in China kam, ist zum Teil rätselhaft. China und Indien waren durch den Himalaja und gigantische Wüsten getrennt, was Kontakte schwer machte. Der Kontakt mit dem Buddhismus geschah hauptsächlich dank der sogenannten „Seidenstraße“. Dennoch gab es schon im 1. Jahrhundert nach Christus Kontakte, wobei Turkestan eine wichtige Rolle spielte. Dort wurden buddhistische Werke aus dem Sanskrit ins Chinesische übersetzt und erreichten so den chinesischen Kulturraum. Daneben brachten chinesische Pilger, die Indien besuchten, die Lehre nach China mit. Der Buddhismus stand dennoch immer im Schatten des Konfuzianismus und des Taoismus und wurde oft abgelehnt, weil die Chinesen dem Rückzug aus dem aktiven Leben feindlich gegenüberstehen. In Japan fand der Buddhismus weniger Widerstand. Der Shintoismus war weniger tief in der japanischen Kultur eingewurzelt, wodurch die beiden Religionen sich fließend mischten. Heutzutage sind sie, durch ihre gemeinsame Geschichte, nicht leicht zu unterscheiden. Japan lernte den Buddhismus durch Korea kennen, das als Brücke zwischen dem chinesischen und japanischen Kulturraum fungierte. Im 6. Jahrhundert33 schickte der König des damaligen koreanischen Reiches Paekche eine Gesandtschaft nach Japan, die buddhistische Texte und Abbildungen als Geschenk mitbrachte. Der Buddhismus verbreitete sich allmählich und ist heutzutage in 31 Vgl. Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 202-210. Der heutige Penchen Lama ist umstritten. 1995 erkannte der Dalai Lama, ohne Rücksprache mit der chinesischen Regierung, Gendün Chökyi Nyima als Reinkarnation des Penchen Lama an. Die chinesische Regierung, mit der Wahl nicht einverstanden, hält Gendün Chökyi Nyima bis heute irgendwo in Gefangenschaft und erkannte Gyeltshen Norbu als 11. Penchen Lama an, der wiederum durch die tibetische Exilregierung nicht anerkannt wird. Die Diskussion hängt mit der Besetzung Tibets durch China zusammen, die unter 1.2 ausführlicher besprochen wird. 33 Die genaue Jahrzahl ist von Autor zu Autor verschieden. Harvey behauptet 538, Schmidt-Glintzer 552, Arvon 522. 32 10 verschiedene Sekten gegliedert. Die Rolle des chinesischen und japanischen Buddhismus soll nicht unterschätzt werden. Die sogenannte Zen-Strömung wurde, dank chinesischer und japanischer Lehrer, in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika bekannt. 1.2 Leben und Lehre Buddhas Der erste Teil dieser Untersuchung hat gezeigt, dass der Buddhismus in der Geschichte Asiens von großer Bedeutung ist. Um einerseits den Einfluss dieser Lehre und andererseits die Bearbeitung Hesses völlig verstehen zu können, wird in diesem Abschnitt untersucht, was der historische Buddha eigentlich sagte und wie sein Leben aussah. Die Überlieferung der buddhistischen Lehre geschah dank einer großen Anzahl von Schriften, wobei der Unterschied zwischen kanonischer und nichtkanonischer Literatur betrachtet werden muss. Zur nichtkanonischen Literatur gehören hauptsächlich die Lebensbeschreibungen einzelner, vollendeter Personen, wie eines der wichtigsten Werke des Buddhismus, die schon erwähnte Milindapañhã34. Der buddhistische Kanon, in mehreren Sprachen überliefert, wird in die sogenannten „Drei Körbe“ oder Tripitaka gegliedert und besteht logischerweise aus drei Teilen. Der wichtigste Teil ist das sogenannte Suttapitaka und umfasst die Lehrreden Buddhas, worauf die ursprüngliche Lehre basiert. Das Vinayapitaka umfasst die Ordensregeln für das Leben der Mönche, der Laien und der Gemeinde und ist der Kanon für „Pflicht, Zucht und Ordnung“35. Das Abhidhammapitaka umfasst die dogmatischen Abhandlungen und wird als „Kanon der Scholastik“36 bezeichnet. Die kanonischen Sammlungen werden nach ihrer jeweiligen Sprache benannt. Der älteste und bekannteste Kanon ist der sogenannte „Pali-Kanon“, der während des 3. Konzils37 in Sri Lanka im 1. Jahrhundert vor Christus festgelegt wurde. Andere Traditionen behaupten, der „Sanskrit-Kanon“ des 2. Jahrhunderts nach Christus sei der erste Kanon gewesen. In der gleichen Zeit wurde der Kanon ins Chinesische übersetzt, wodurch der „Chinesische Kanon“ 34 Der Text beschreibt, wie der buddhistische Mönch Nagasena den indo-griechischen König Menandros, für seine Weisheit berühmt, in einem dialektischen Wettstreit besiegt, wodurch letzterer zum Buddhismus konvertiert. Salvatore Lavecchia, Professor für Geschichte, verdeutlicht dennoch, dass die Gespräche eine didaktische Funktion hatten. Sie waren buddhistische Propaganda, gegen den Hinduismus, denn in ganz Indien war nur ein Buddhist fähig, den hochbegabten König zu besiegen. Vgl. Salvatore Lavecchia: „Was wusste die griechische Antike über den Buddhismus?“. In: Zur Debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern 1 (2012), S. 17-18. 35 Schmidt-Glintzer: Der Buddhismus, S. 46. 36 Ebd. 37 Nach dem Tod Buddhas fand das erste Konzil statt. Seine Schüler versuchten, die Lehre genau zu bestimmen, um sie mündlich zu überliefern. Kaum ein Jahrhundert später fand das zweite Konzil statt, weil die Interpretation der Lehre schon Anlass zur Entstehung mehrerer Gruppierungen gewesen war. Das dritte Konzil fand unter Ashoka statt und legte den Pali-Kanon fest, um die Schulen wieder zu einigen. Aber die Mönchsgemeinschaft war schon längst gespaltet, und nur die ersten zwei Konzilien werden von allen Schulen anerkannt. 11 entstand. Im 8. Jahrhundert entstanden Übersetzungen ins Tibetische, die Autorität haben, weil die ursprünglichen Quellen der tibetischen Übersetzungen oft verloren gegangen sind. Neben der Textüberlieferung sind die Monumente, wie die schon erwähnten Stupas, sowie die zahlreichen Kunstwerke wichtig, um das Leben und die Lehre Buddhas zu rekonstruieren. Die Biographie Buddhas fängt traditionell nicht mit seinem Leben, sondern mit einer Beschreibung seiner früheren Leben an, wie Harvey verdeutlicht: The traditional biography does not begin with Gotama’s birth, but with what went before it, in his many lives as a Bodhisatta, a being (Pali satta) who is dedicated to attaining bodhi: ‘enlightenment’, ‘awakening’, buddhahood. […] He then spent many lives, as a human, animal and god, building up the moral and spiritual perfections necessary for Buddhahood.38 Buddha brauchte, laut dem Prinzip des Samsara, mehrere Leben, um dem Kreislauf der Wiedergeburten zu entkommen. Als historischer Buddha wurde er das letzte Mal geboren, um seine Lehre zu verkündigen, bevor er endgültig in das Nirvana ging. Die Leben des Buddha werden in den sogenannten Jātaka-Erzählungen beschrieben, die Teil des Suttapitaka des Pali-Kanons sind. Siddhartha Gautama, in der Form seiner letzten Wiedergeburt, wurde um 560 vor Christus in Lumbini geboren und starb, laut der Überlieferung, im Alter von 80 Jahren. Die genauen Daten seines Lebens sind in der Forschung stark umstritten. Fest steht, dass er der Sohn eines reichen Königs namens Suddhodana war. Seine Mutter hieß Maya und starb eine Woche nach der Geburt ihres Sohnes. Er gehörte zum adligen Geschlecht der Shakya, wodurch er oft als Shakyamuni oder „Weise der Shakya“ bezeichnet wird. Bei seiner Geburt wurde prophezeit, dass er entweder ein großer Herrscher, Cakkavattin, oder ein großer religiöser Lehrer, Buddha, sein würde. Sein Vater wollte, aus politischen Interessen, dass Siddhartha sein Nachfolger wurde und tat alles, um zu verhindern, dass er einen anderen Pfad wählen würde. Um zu gewährleisten, dass er dem weltlichen Leben anhing, lebte Siddhartha im Palast seines Vaters im großen Luxus, umgeben von Reichtum und Frauen. Nur selten bekam er die Erlaubnis, den Palast zu verlassen, und bevor er in die Stadt ging, ließ sein Vater alle alten, kranken und sterbenden Leute verschwinden. Siddhartha schien ein ausgezeichneter Herrscher zu werden. Schon mit 16. Jahren gewann er einen Kampf im Bogenschießen, wodurch er die Hand seiner Kusine Yasodhara bekam. Aber das Scheinglück Siddharthas wurde bald zerstört. Während vier Ausflügen, die ihn in die Stadt führten, sah er einen Greis, einen Kranken, eine Leiche und einen Bettelmönch. Die ersten drei Erscheinungen bewiesen, dass das Leiden besteht, während die letzte eine mögliche Lösung anbot. In derselben Nacht, 38 Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 15. 12 wo sein Sohn Rahula geboren wurde, verließ er Frau und Kind, um mit 29. Jahren den Weg zur Erlösung anzutreten. In den nächsten sechs Jahren schloss er sich den Brahmanen an. Durch extreme Askese versuchten sie, die Erlösung zu erreichen. Aber dem Tod ins Auge schauend, sah er ein, dass dieser Weg nicht zur Erlösung führen konnte und trennte sich von seinen Lehrern. Er fing an, weiter zu meditieren, aber er vermied die früheren Extreme und folgte dem sogenannten „mittleren Weg“. Er widerstand dem Dämon Mara, der ihn in Versuchung führen wollte und dafür seine schönen Töchter schickte. Er hatte nur sein Ziel vor Augen, und im Alter von 35. Jahren erreichte Siddhartha die Erleuchtung oder Bodhi, während er unter einem Feigenbaum meditierte. Der Legende nach, blieb er danach vier Wochen unter dem Baum sitzen, zögernd über sein Schicksal: After meditatively reflecting on his awakening, he pondered the possibility of teaching others, but thought that the Dhamma he had experienced was so profound, subtle and ‘beyond the sphere of reason’, that others would be too subject to attachment to be able to understand it.39 Die Gottheit Brahma Sahampati bemerkte es rechtzeitig und bat Buddha, aus Mitleid mit der Welt seine Lehre zu verbreiten. Den Rest seines Lebens opferte er tatsächlich, um der Menschheit zu zeigen, welcher Pfad zur Erleuchtung führt. Die ersten Mönche, die seine Lehre hörten, waren seine fünf früheren Gefährten, die als Asketen lebten. Für sie hielt er in Benares seine berühmte erste Rede. Die nächsten 45 Jahre seines Lebens sollte er die Erleuchtung verkündigen, bis er an einer Lebensmittelvergiftung starb. Fakten und Legenden mischen sich in der Biographie Buddhas. Was der Realität und was der Legende entspricht, ist schwer zu sagen. Das hängt mit dem Ziel seiner Biographie zusammen. Der Buddhismus, im Grunde atheistisch, hält die Lehre für wichtiger als ihren Begründer. Das Leben des Buddha ist eine Illustration seiner Lehre, wie Harvey verdeutlicht, wenn er über die Quellen spricht: The details of these are in general agreement, but while they must clearly be based around historical facts, they also contain legendary and mythological embellishments, and it is often not possible to sort out one from the other. While the bare historical basis of the traditional biography will never be known, as it stands it gives a great insight into Buddhism by enabling us to see what the meaning of the Buddha’s life is to Buddhists: what lessons it is held to contain.40 Die gleiche Meinung vertritt Arvon. Nicht die historische Überprüfbarkeit der Biographie sei wichtig, sondern die Illustration des Buddhismus, die sie bietet. 39 40 Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 22. Ebd., S. 15. 13 Aber was waren nun eigentlich die Grundsätze seiner Lehre? Alles beruht auf den vier sogenannten „edlen Wahrheiten“, die Buddha während seiner ersten Rede in Benares offenbarte. Die erste Wahrheit ist die Wahrheit des Dukkha oder des Leidens, die Buddha folgendermaßen erläutert: Dies, ihr Mönche, ist die heilige Wahrheit vom Leiden: Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Tod ist Leiden, mit Unliebem vereint sein ist Leiden, von Liebem getrennt sein ist Leiden, nicht erlangen was man begehrt ist Leiden, kurz das fünffache Haften am Irdischen ist Leiden.41 Das Leben ist Leiden. Buddha selbst lernte diese Wahrheit nur nach seiner späten Konfrontation mit der Außenwelt kennen. Diese Wahrheit illustriert zugleich das Ziel seiner Lehre: dem Leiden entkommen. Trotz dieses pessimistisch anmutenden Ausgangspunktes, darf der Buddhismus nicht als eine rein pessimistische Lehre betrachtet werden, wie Harvey bemerkt: Is Buddhism ‘pessimistic’ in emphasizing the unpleasant aspects of life? Buddhism teaches that transcending the stress of life requires a fully realistic assessment of its pervasive presence. One must accept one is ‘ill’ if a cure is to be possible: ignoring the problem only makes it worse. It is certainly acknowledged that what is ‘painful’ is not exclusively so. The pleasant aspects of life are not denied, but it is emphasized that ignoring painful aspects leads to limiting attachment, while calmly acknowledging them has a purifying, liberating effect.42 Obwohl Schopenhauer diese negative Seite des Buddhismus als Bestätigung seiner Philosophie zu schätzen wusste, darf die Lehre nicht darauf reduziert werden.43 Das Zitat illustriert, was Buddha als den „mittleren Weg“ anpries. Er hatte das Äußerste der beiden Lebensweisen erprobt. Als Sohn eines Königs hatten Leiden und Tod keinen Platz in seinem Leben gehabt, während er als besitzloser, bettelnder Samana mit dem entgegengesetzten Extremfall konfrontiert wurde. Aus der Einsicht, dass beide Wege nicht zur Erlösung führen, entstand seine Lehre. Sie bietet einen Ausweg aus dem Kreislauf des Leidens, ohne sich dafür als Asket das Leben verbieten zu müssen. Die nächsten drei Wahrheiten bieten eine Lösung für die Einsicht der ersten Wahrheit. Die zweite edle Wahrheit erklärt, warum das Leiden ein notwendiges Übel im Menschenleben ist: Dies, ihr Mönche, ist die heilige Wahrheit von der Entstehung des Leidens: es ist der Durst (nach Sein), der von Wiedergeburt zu Wiedergeburt führt, sammt Lust und 41 Für die Übersetzung der Reden Buddhas wurde das klassische Werk des Indologen Oldenberg gewählt. Hermann Oldenberg: Buddha. Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde. Berlin: Wilhelm Hertz 1881, S. 215. 42 Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 54. 43 Cfr. 1.3: Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland. 14 Begier, der hier und dort seine Lust findet: der Durst nach Lüsten, der Durst nach Werden, der Durst nach Macht.44 Die Ursache von Dukkha oder Leiden ist Tanha oder Begehren. Der Begriff Tanha umfasst eine Menge Begierden. Nicht nur Lüste wie Sex, Nahrung oder Macht gehören dazu, aber auch der Wille zum ewigen Leben. Sogar Suizid, als Ausdruck des Willens, alles Leid loszuwerden, ist Tanha. Die Begierden bilden einen Teufelskreis, denn „the more things a person craves for, the more opportunities for frustration, dukkha”45. Die zweite Wahrheit hängt mit den grundlegenden Prinzipien des Samsara und des Karma zusammen. Samsara ist der Kreislauf der ewigen Wiedergeburten, wodurch der Mensch immer erneut leiden muss. Um diesen Kreislauf loszuwerden und Nirvana zu erreichen, muss der Mensch die Erlösung, das Erwachen oder Bodhi erreichen. Aber dafür muss er frei von Karma sein, was nur durch eine fehlerlose Lebensweise erreicht werden kann. Tanha verursacht Karma und muss deshalb gemieden werden, wie Harvey verdeutlicht: „Craving also brings pain as it leads to quarrels, strife and conflict between individuals and groups, and motivates people to perform various actions with karmic results shaping further rebirths, with their attendant dukkha.”46 Wie ausweglos die Situation auch scheinen darf, die dritte edle Wahrheit bringt ein Fünkchen Hoffnung: „Dies, ihr Mönche, ist die heilige Wahrheit von der Aufhebung des Leidens: die Aufhebung dieses Durstes durch gänzliche Vernichtung des Begehrens, ihn fahren lassen, sich seiner entäussern, sich von ihm lösen, ihm keine Stätte gewähren.“ 47 Wie stark die Begierden auch sind, nur der Verzicht führt zum Nirvana. Der Mensch muss alle Bande mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fahren lassen, um die Erlösung zu finden: „When craving and other related causes thus come to an end, dukkha ceases. This is equivalent to Nirvana […], the ultimate goal of Buddhism.“48 Die vierte edle Wahrheit hängt unmittelbar mit der dritten zusammen und bietet dem Mönch einen praktischen Weg zur Erlösung: Dies, ihr Mönche, ist die heilige Wahrheit von dem Wege zur Aufhebung des Leidens: es ist dieser heilige, achttheilige Pfad, der da heisst: rechtes Glauben, rechtes Entschliessen, rechtes Wort, rechte That, rechtes Leben, rechtes Streben, rechtes Gedenken, rechtes Sichversenken.49 Buddha bietet seiner Gemeinde acht Prinzipien, laut denen man leben muss, um Nirvana zu erreichen. Wie abstrakt die Liste auf den ersten Blick auch anmuten darf, die Schritte 44 Oldenberg: Buddha. Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde, S. 215. Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 63. 46 Ebd. 47 Oldenberg: Buddha. Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde, S. 215. 48 Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 73. 49 Oldenberg: Buddha. Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde, S. 215. 45 15 befolgen eine sichere Logik, denn „the order of the eight Path-factors is seen as that of a natural progression, with one factor following on from the one before it“50. „Rechtes Glauben” bedeutet, dass der Buddhist Einsicht in die vier edlen Wahrheiten erworben hat, wodurch er richtiges Handeln oder „rechtes Entschließen“ lernt. „Rechtes Wort“ beinhaltet, dass der Buddhist keine Lügen oder Beleidigungen ausspricht, während „rechte Tat“ darauf hinweist, dass Verbrechen wie Mord oder Diebstahl verboten sind. „Rechtes Leben“ bedeutet logischerweise, dass der Buddhist keine Lebewesen schaden darf. Als konkrete Beispiele für Laien nennt Buddha das Verkaufen von Fleisch, Tieren, Waffen, Drogen oder sogar Menschen. „Rechtes Streben“ ist das Vermeiden von Gefühlen wie Hass und Zorn, während „rechtes Gedenken“ darauf hinweist, dass der Buddhist sich seiner körperlichen Funktionen, wie Atmen und Bewegen, und seiner Gefühle bewusst wird. „Rechtes Sichversenken“ kann als Ziel dieser Handlungen gesehen werden und bezeichnet die Fähigkeit, tief meditieren zu können. Der achtfache Pfad wird oft in drei Gruppen eingeteilt. Die ersten zwei Fähigkeiten gehören zur Gruppe der Weisheit oder Paññā, die mittleren drei zur Gruppe der Sittlichkeit oder Sīla, die letzten drei zur Gruppe der Meditation oder Samādhi. Die acht Kategorien erklären warum das Rad des Gesetzes oder Dharmachakra, das Symbol des Buddhismus, acht Speichen hat. Mit der Verbreitung des Buddhismus in Asien und der Welt fing zugleich die weitere Entwicklung der Lehre an. Die wichtigsten Richtungen Asiens waren das sogenannte „kleine“ und „große Fahrzeug“, während in Tibet der „Lamaismus“ entstand. Die Schulen des großen und kleinen Fahrzeugs spalteten sich schon während des zweiten Konzils, kaum ein Jahrhundert nach dem Tod Buddhas. Absicht des Konzils war es, die Lehre, die seit dem ersten Konzil mündlich überliefert wurde, zu verschriftlichten. Aber die Konsenssuche scheiterte und die Mehrheit der Mönche beschlossen, die strengen Ordensregeln zu lockern und eine eigene Schule zu stiften, das große Fahrzeug. So war das erste Schisma, das bis heutzutage besteht, vollzogen. Das kleine Fahrzeug oder Hinayana bestand, obwohl mit weniger Anhängern, weiter und verbreitete sich schon früh in Sri Lanka, Hinterindien und Südostasien51 in Form des Theravada52. Der Name war ursprünglich eine Beleidigung, die sich „aus einer Haltung der 50 Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 82. Thailand, Birma, Laos und Kambodscha. 52 Seit dem dritten Konzil entstand der Theravada oder die Lehre der Älteren, der den Kanon à la lettre respektiert. Die beiden Schulen, Hinayana und Mahayana, gaben ihrerseits Anlass zur Entstehung mehrerer Richtungen, die die Grundlagen der jeweiligen Schule respektieren. 51 16 Überheblichkeit der Vertreter des ‚Großen Fahrzeugs“53 erklärt. Das kleine Fahrzeug ist dennoch die ältere Lehre, die auf die ursprünglichen Reden Buddhas zurückgeht, wie sie im Pali-Kanon behalten sind. Der große Unterschied zum großen Fahrzeug ist zum einen, dass die Hinayana Schule nur nach persönlicher Erlösung strebt, wie Buddha es gepredigt hat, und zum anderen, dass das große Fahrzeug oder Mahayana keinen festen Kanon respektiert. Die Anhänger des großen Fahrzeugs behaupten dennoch, ihre Lehre sei eigentlich schon in den ursprünglichen Schriften behalten. Sie lehnen die ‚egoistische‘ Suche nach persönlicher Erlösung ab und sehen die sogenannten Bodhisattvas als Ideal. Im Gegensatz zum Arhat, der das Nirvana erreicht hat und dem Samsara entkommen ist, verzichtet der Bodhisattva, der seinerseits die Erleuchtung gefunden hat, zu Lebzeiten auf den Eintritt ins Nirvana, um als Lehrer den suchenden Buddhisten zu helfen. Die wichtigste, irgendwo logische Folge dieser Auffassung war, dass der Buddhismus seinen Atheismus verlor. Die Mahayana Richtung wurde zum Massenphänomen, das bald die Bodhisattvas und Buddhas als Götter zu verehren anfing, während die Rolle des historischen Buddha verschwand. Sie fungieren als Medium zwischen der menschlichen und göttlichen Welt und sind sogar imstande, Samsara und Karma zu beeinflussen. Als Teil des Mahayana entstand das Vajrayana oder „Diamantfahrzeug“. Die Grundlagen des großen Fahrzeugs wurden behalten, aber mit sogenannten „Tantras“ ergänzt. Die Tantras muten magisch an und sollen helfen, das Nirvana zu erreichen. Sie bestehen nicht nur aus Meditationstechniken und besonderen Ritualen, sondern auch aus dem Aussprechen von sogenannten „Mantras“ oder heiligen Versen und Wörtern.54 Aus dieser Richtung entstand der sogenannte tibetische „Lamaismus“. Im 8. Jahrhundert kamen Padmasambhava und Shantarakshita, zwei indische Lehrer, auf Einladung des tibetischen Königs Thrisong Detsen nach Tibet und verbreiteten den Buddhismus, der sich auf einer Übersetzung des Tripitaka und der Tantras basierte. Der Lamaismus ist, aus historischen Gründen, die heute weltweit bekannteste Form des Buddhismus, wie Schmidt-Glintzer verdeutlicht: Im Westen wird seit einigen Jahrzehnten mit dem Buddhismus in besonderem Maße Tibet in Verbindung gebracht. Dies hat nicht zuletzt seinen Grund darin, daß seit der Besetzung durch die Volksrepublik China im Jahre 1959 Tausende von Tibetern, einschließlich des Dalai Lama, ins Exil gegangen sind und Zuflucht in Indien, Nordamerika und Europa gefunden haben. Dies hat auch dazu geführt, daß gerade in 53 54 Schmidt-Glintzer: Der Buddhismus, S. 51. In dieser Richtung zeigt sich der Einfluss des Hinduismus, wo „Om“ als heilige Silbe gilt. 17 Europa die anderen buddhistischen Bewegungen Asiens in geringerem Maße wahrgenommen wurden.55 Nachdem in China 1949 die Kommunistische Partei unter Führung von Mao Zedong die Macht ergriff, fingen die ersten Invasionen Tibets an. Die tibetische, schlecht ausgerüstete Armee war nicht fähig, Widerstand zu leisten. Nach deren Kapitulation übernahm Tendzin Gyatsho, kaum 15 Jahre alt, die Macht. Mai 1951 wurde das sogenannte 17-PunkteAbkommen unter Druck unterzeichnet. Obwohl China versprach, die soziale und religiöse Struktur des Landes nicht ändern zu wollen, entstanden bald brutale Konflikte. 8 Jahre später brach der Tibetaufstand aus, die blutig niedergeschlagen wurde. Der Dalai Lama, für sein Leben fürchtend, floh nach Indien, wo die tibetische Exilregierung entstand. In den darauffolgenden Jahren wurden tausende Klöster und Denkmäler zerstört. Die Situation hat sich seither nicht gebessert. Die Tibeter dürfen nicht ausreisen, Religion- und Pressefreiheit sind unbekannt und Folter und Todesstrafe sind gang und gäbe. Der Name des Dalai Lama darf nicht ausgesprochen werden, Abbildungen sind streng verboten. 1.3 Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland Obwohl die Verfolgung des Dalai Lama die Begeisterung für den Buddhismus sichtbar machte, war diese eigentlich schon viel länger im deutschen Sprachraum anwesend. In diesem Abschnitt wird skizziert, wie der Buddhismus eigentlich in Deutschland kam, warum er an Popularität gewann und wie er sich verbreitete. Die Forschung scheint sich darüber einig, dass Arthur Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung eine zentrale Rolle bei der Rezeption des Buddhismus in Deutschland gespielt hat.56 Schopenhauer veröffentlichte sein Opus Magnum Anfang 1819, in einer Zeit, wo die Auseinandersetzung mit fernöstlichen Religionen das erste Mal salonfähig geworden war, wie den Hoet verdeutlicht: Was Europa betrifft, waren die Grundlagen für eine fruchtbare Beschäftigung mit Buddhismus lange Zeit nicht gegeben. Erst nach der Überwindung des Mittelalters, mit Renaissance und Aufklärung entstanden langsam mehr Offenheit und Interesse für andere geistige Angebote, als sie die Kirche bereit hielt.57 55 Schmidt-Glintzer: Der Buddhismus, S. 112-113. Schmidt-Glintzer nennt die Chinamission des Jesuitenordens im 17. und 18. Jahrhundert als ersten Einfluss, aber verdeutlicht, dass die Missionare vor allem Missverständnisse und Fehlinterpretationen mit nach Hause nahmen. 57 den Hoet: „Ein Baum mit tiefen Wurzeln. Anfänge des Buddhismus im deutschen Kulturkreis“, S. 1. 56 18 Der Einfluss der früheren Kontakte mit dem Buddhismus, unter anderem durch die griechische Kultur58, dank der Eroberungsfeldzüge Alexanders des Großen, war völlig verschwunden. Während das Christentum tonangebend geworden war in Europa, war der Islam in Vorderasien dominant geworden, wodurch der kulturelle Austausch zwischen beiden Kontinenten ein abruptes Ende nahm. Ein Jahrtausend später, in der Zeit Schopenhauers, bot sich erneut die Chance, sich mit dem Buddhismus auseinanderzusetzen. Die Quellen dieser Zeit waren äußerst beschränkt. Schopenhauer verließ unter anderem auf die Übersetzungen Isaak Jakob Schmidts. Schmidt, ein deutscher Wissenschaftler, kam mit dem Buddhismus durch die Kalmückenmission in Berührung. Die russische Zarin Katharina II. hatte in den 1760er Jahren deutsche Kolonisten eingeladen, um die dünn besiedelten Flächen an der Wolga zu bewohnen. Diese befanden sich in Nachbarschaft zu den Kalmücken, wodurch sich auch Kontakt mit den dort wohnenden Buddhisten ergab. Schmidt lernte die kalmückische Sprache, neben Mongolisch und Tibetisch, um als Übersetzer buddhistischer Texte zu arbeiten. Er wurde damit der „erste deutschsprachige Autor und Übersetzer buddhistischer Bücher“59. Schopenhauer sah die Lehre Buddhas als eine Bestätigung seiner eigenen Weltansicht. Wichtig ist, dass Schopenhauer sein Werk schon vollendet hatte, bevor der Buddhismus im Westen bekannt wurde. Deshalb sah er seine Philosophie als einen reinen Ausdruck der fernöstlichen Weisheit, wie Peter Abelsen, Forscher an der Universität Hawaii, verdeutlicht: When the tenets of Buddhism became known in Europe during the third and fourth decade of the nineteenth century, Arthur Schopenhauer was delighted with the affinity they showed to his own philosophy. Having completed his main work Die Welt als Wille und Vorstellung as early as 1818, he considered it an entirely new (and thus pure) expression of the wisdom once taught by the Buddha – at times he even called himself a ‘Buddhaist’.60 Schopenhauer war überzeugt, dass seine Weltansicht und der Buddhismus im Grunde genommen zwei Ausdrücke desselben Denkens waren. Seine pessimistische Weltansicht stimmte mit der ersten edlen Wahrheit des Buddhismus, der Wahrheit des Leidens, überein. Schopenhauer drückte sie unter anderem folgendermaßen aus: „Will man wissen, was die Menschen, moralisch betrachtet, im Ganzen und Allgemeinen werth sind; so betrachte man ihr Schicksal, im Ganzen und Allgemeinen. Dieses ist Mangel, Elend, Jammer, Quaal und 58 Vgl. Salvatore Lavecchia: „Was wusste die griechische Antike über den Buddhismus?“. den Hoet: „Ein Baum mit tiefen Wurzeln”, S. 2. Ob er den Titel wirklich verdient, ist zu bezweifeln. Eigentlich hat er eher über den Buddhismus geschrieben und nicht sosehr Texte übersetzt. Als ersten Übersetzer erkennen die meisten Autoren Karl Eugen Neumann an, der als erster den Pali-Kanon übersetzte. 60 Peter Abelsen: „Schopenhauer and Buddhism“. In: Philosophy East and West 43 (1993), S. 255. 59 19 Tod.“61 Obwohl es deutliche Parallelen zwischen Schopenhauer und dem Buddhismus gibt, muss die Interpretation dennoch etwas nuanciert werden. Schopenhauer war viel pessimistischer als die Buddhisten, wie Abelsen selbst bemerkt: „Schopenhauer often put emphasis on Buddhism’s pessimistic outlook on earthly existence, but compared to his world view, which is very severe, Buddhism seems almost cheerful.”62 Dieselbe Meinung vertritt den Hoet. Er verdeutlicht, dass Schopenhauer zum einen weitgehend pessimistischer war, zum anderen grundlegende buddhistische Konzepte falsch interpretiert hat. So sah er das Nirvana als das Erlöschen aus der Welt, als ein Nichts, als einen rein negativen Aspekt, während die Buddhisten gerade darin eine Lösung für das Leiden sehen: Hätte es in Schopenhauers Leben einen authentischen Lehrer gegeben, der ihm dargelegt hätte, dass Samsara und Nirvana die gleiche Grundlage haben und dass Leid loszulassen bedingungslose Freude entstehen lässt, wäre der deutschen Nachwelt das lange vorhandene Klischee einer welt- und lebensverneinenden Religion wohl erspart geblieben.63 Tatsächlich ist der Buddhismus in den kommenden Jahren oft fehlerhaft als eine pessimistische Religion interpretiert worden, während er gerade eine Lösung für das Leiden bietet. Das Leiden ist der Ausgangspunkt des Buddhismus, nicht dessen Ende. Dennoch darf man Schopenhauer nicht zu eng interpretieren, denn die Quellen waren schwer zugänglich. Das Verdienst Schopenhauers war nicht so sehr seine Interpretation des Buddhismus, sondern vielmehr dessen Verbreitung, die er in Deutschland bewirkte. Dank ihm fand der Buddhismus endgültig Eingang in den deutschen Kulturraum. In den darauffolgenden Jahren genoss die Lehre allmählich größere Popularität. Die wichtigsten Wegbereiter nach Schopenhauer waren einerseits die deutschen Übersetzer und Theoretiker buddhistischer Texte, andererseits die Mitglieder der sogenannten „Theosophischen Gesellschaft“. Laut Christoph Gellner, als Forscher in Theologie an der Universität Luzern tätig, war die Übersetzung Karl Eugen Neumanns, dank dessen „der Buddha endgültig in die deutsche Geisteswelt eintrat“64, von großer Bedeutung im deutschen Sprachraum. Der in Wien geborene Neumann fing ursprünglich eine Karriere im Bankwesen an, entdeckte aber bald, dass Schopenhauer und dessen indische Quellen ihn mehr interessierten. Er kehrte seiner Karriere den Rücken, konvertierte zum Buddhismus und studierte Philosophie und Religion an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Nach seinem Studium widmete er sich, als 61 Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. Band 1. Leipzig: Brockhaus 1859, S. 415. Abelsen: „Schopenhauer and Buddhism“, S. 255. 63 den Hoet: „Ein Baum mit tiefen Wurzeln”, S. 4. 64 Christoph Gellner: „Wie der Buddha in den Westen kam. Hermann Hesse, Luise Rinser und Adolf Muschg“. In: Hermann Hesse Jahrbuch. Band 3. Hg. v. Mauro Ponzi. Tübingen: Max Niemeyer 2006, S. 47. 62 20 erster im deutschen Sprachraum der Übersetzung des Pali-Kanons.65 In Berlin studierte er sogar bei Hermann Oldenberg, dem Indologen. Oldenberg, ein weiterer Wegbereiter des europäischen Buddhismus, genoss damals schon Anerkennung. Sein bekanntestes, „epochemachendes“66 Werk, Buddha. Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde67, war anhand der ursprünglichen Pali-Quellen geschrieben und führte zur weiteren Begeisterung für die Lehre. Ein dritter Name, der erwähnt werden soll, ist Friedrich Zimmermann. Mit seinem 1888 veröffentlichten Werk Buddhistischer Katechismus zur Einführung in die Lehre des Buddha Gotama68 leistete er Pionierarbeit. Wie Neumann, war er durch die Lektüre Schopenhauers vom Buddhismus begeistert. Ein letzter, nennenswerter Wegbereiter war Thomas William Rhys Davids. 1881 gründete er in London die Pali Text Society. Ziel dieser Gesellschaft war, kritische Ausgaben des Pali-Kanons zu publizieren, sowie Übersetzungen zu liefern. Die meisten Texte des Pali-Kanons waren gegen 1910 publiziert worden. Die Gesellschaft ist heutzutage noch immer aktiv, und hatte 2009 schon 188 Sammelbände und 97 Übersetzungen produziert.69 In der gleichen Zeit spielte die „Theosophische Gesellschaft“ eine wichtige Rolle.70 Sie wurde 1875 in New York gegründet, fand aber schnell europäische Verbreitung. Sie etablierte sich 1879 in Deutschland71 und 1897 in Österreich. Die Gesellschaft fungierte als „a bridge between East and West“ und war „the first organized group in the West to advocate the adoption of Indian religious beliefs and practices“72. Die Gründer, Helena Blavatsky und Henry Steel Olcott, sahen im Buddhismus „die Quelle aller Religionen“73. Die Schule war im Grunde eine Mischung verschiedener Traditionen, wie „Neo-Platonic mysticism, other elements of the Western esoteric tradition, Hindu and Buddhist ideas and a religious version of evolution“74. Blavatsky war eine exzentrische Figur, die behauptete, geheime tibetische ‚Meister‘, wie Jesus und Buddha, hätten ihre Bücher diktiert, die sie als Hellseherin geschrieben habe. Die Anhänger der Gesellschaft waren oft enttäuschte Westler, die sich wahrscheinlich nicht so sehr aus esoterischer Begeisterung, sondern vielmehr aus Protest 65 Vgl. Karl Eugen Neumann: Buddhistische Anthologie: Texte aus dem Pali-Kanon. Leiden: Brill 1892. Schmidt-Glintzer: Der Buddhismus, S. 114. 67 Berlin: Wilhelm Hertz 1881. 68 Braunschweig: C.A. Schwetschke und Sohn 1888. 69 Alle Informationen sind unter www.palitext.com erhältlich. 70 Vgl. Karl Baier: Meditation und Moderne: zur Genese eines Kernbereichs moderner Spiritualität in der Wechselwirkung zwischen Westeuropa, Nordamerika und Asien. Band 1. Würzburg: Königshausen & Neumann 2009, S. 291-428. 71 1879 in Hamburg, 1884 in Elberfeld. 72 Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 420. 73 Schmidt-Glintzer: Der Buddhismus, S. 113. 74 Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 420-421. 66 21 gegen die damalige Gesellschaft anschlossen, wie Harvey illustriert: „In the West, it attracted people who found the conventional structures of society inhibiting, for example intelligent, creative people with little formal education, or women chafing at their social position.“75 Wie bei Schopenhauer, war das Verdienst der Gesellschaft eigentlich nicht so sehr die esoterische Lehre an sich, sondern vielmehr die Verbreitung einiger buddhistischen und hinduistischen Konzepte im Westen. Die Gesellschaft kannte, wie der Buddhismus selbst, manche Spaltungen. Aus einer dieser Richtungen kam Rudolf Steiner, der 1913 die Theosophische Gesellschaft verließ um die „Anthroposophische Gesellschaft“ zu gründen. Die oben beschriebenen Vermittler blieben bis zum Ersten Weltkrieg dominant. Wie zerstörerisch der Erste Weltkrieg auch gewesen sein darf, für die Verbreitung des Buddhismus schien er eine Blütezeit zu schaffen. Das hing mit der weitverbreiteten Empörung der Zwischenkriegszeit zusammen, die zum Beispiel in Oswald Spenglers Der Untergang des Abendlandes76 reflektiert wird. Die Befürworter des Buddhismus priesen die Religion als eine Lösung an, da wo das Christentum und die sich rasch entwickelnde Technologie gescheitert waren. Ein typischer Vertreter dieser Tendenz war Maximilian Kern, der mit seinem Sammelband Das Licht des Ostens Furore machte. Um Anhänger zu gewinnen, skizzierten die Autoren ein „Krisen-Panorama“77 der Nachkriegszeit, was Kern in seinem Vorwort zum Sammelband unverhüllt tut. Er behauptet, der Westen sei gescheitert und der Mensch sei mehr als „ein chemischer Verbrennungsofen“78. An der Stelle der Wissenschaften solle wieder das innere Leben des Menschen treten. Das Christentum könne dazu nicht mehr reichen, der Mensch habe selbst die Verantwortung, Neues zu finden, am besten in der Form des Buddhismus: „So sind wir große Menge von heute nicht mehr im Sinne von einst Kinder an Gottes Hand: auf uns allein gestellt sollen wir die Welt für uns und uns für die Welt neu erringen. Und aus dem Osten tönen, heiliges Heil verkündend, bronzene Glocken!“79 Jürgen Mohn, Professor für Religionswissenschaft an der Universität Basel, verdeutlicht, dass Kern in einer Zeit lebte, wo die alten, traditionellen Strukturen durchbrochen wurden. Europa und der Westen mussten sich „intellektuell, kulturellzivilisatorisch und machtpolitisch“80 neu definieren und an andere Kulturen anpassen. Auf der Suche nach neuen Wahrheiten entstanden „illustrierte Weltgeschichten, morphologische 75 Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 421. Wien: Braumüller 1918 (Band 1) und München: Beck 1922 (Band 2). 77 Jürgen Mohn: „Das ‚Licht des Ostens‘ und die Suche nach der ‚Religion der Zukunft‘: Wahrnehmung und Adaption des Buddhismus in Deutschland vor und nach dem Ersten Weltkrieg“. In: Zur Debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern 1 (2012), S. 22. 78 Kern: Das Licht des Ostens, S. 7. 79 Ebd. 80 Mohn: „Das ‚Licht des Ostens“, S. 22. 76 22 Völker- und Kulturvergleiche, Untergangsgesänge des Abendlandes und futuristische Fortschritts-Euphorien“, die um „die Gunst der Leser, der Intellektuellen und zunehmend der Massen buhlen“81. Neue, früher unbekannte und zum Teil nicht bestehende Probleme tauchten auf und wurden diskutiert: Die Herausforderung und der Wandel durch Technik und Wissenschaft, der Bedeutungsverlust der traditionellen, konfessionell institutionalisierten Religionen und deren Organisationsformen, die Auseinandersetzung um Individualismus und Gemeinschaft, die Hoffnung auf Erneuerung in einer empfundenen Krisensituation.82 Mohn erklärt die sich entfaltende Faszination für den Buddhismus aus drei Gründen. Erstens ist die Lehre mit der Wissenschaft vereinbar, weil der Buddhismus nicht ein göttliches Wesen, sondern den Menschen selbst in der Mitte stellt, der durch sein eigenes Denken eine Lösung finden kann. Zweitens bot die Lehre eine Alternative zum Christentum, drittens gab sie eine Antwort auf den Individualismus, durch die das Individuum erneut in eine Gemeinschaft zu integrieren war. Diese drei Aspekte kamen zusammen „in einer allgemeinen (vor dem Ersten Weltkrieg) und in einer konkreten (nach dem Ersten Weltkrieg) Krisenerfahrung der Moderne“83. Der Mensch suchte erneut Hoffnung, die, laut Autoren wie Kern, aus dem Osten kam. Der Buddhismus fing in dieser Zeit an, im Alltag Verbreitung zu finden. Am Anfang der deutschen Rezeption des Buddhismus wurde vor allem theoretisch über die Lehre nachgedacht, aber „ein direkter Erfahrungsaustausch mit Buddhisten Asiens fand lange nicht statt“, wie den Hoet verdeutlicht, „dies änderte sich erst als einzelne Deutsche, Österreicher und Schweizer nach Asien reisten, um dort mit Buddhismus vertraut zu werden“84. Zu diesen Asienreisenden gehörte Hermann Hesse, der dennoch enttäuscht von der Reise zurückkam.85 Wichtige Vorläufer Hesses waren unter anderem der schon erwähnte Karl Neumann, Florus Anton Gueth86, Paul Dahlke87 und Georg Grimm88. Der Eingang des Buddhismus in die 81 Mohn: „Das ‚Licht des Ostens“, S. 22. Ebd. 83 Ebd., S. 24. 84 den Hoet: „Ein Baum mit tiefen Wurzeln”, S. 5. 85 Vgl. 2: Hesse und der Orient. 86 Gueth war der erste Deutsche, der 1903 ein buddhistischer Mönch wurde, Nyānatiloka Mahāthera genannt. Seine ersten Quellen waren Schopenhauer und Zimmermann. 87 Wiederum durch Schopenhauer inspiriert, machte der Arzt eine Reise nach Indien und gründete 1923 das Buddhistische Haus in Berlin-Frohnau, den ältesten Tempel Europas. 88 Der Richter las, typischerweise, Schopenhauer, vertiefte sich dadurch in den Buddhismus und stiftete 1921 die „Altbuddhistische Gemeinde“ in Utting am Ammersee, die 2002 aufgelöst wurde. 82 23 deutsche Literatur ist in dieser Epoche zu situieren. Neben Hesses Siddhartha, beschäftigten Autoren wie Rainer Maria Rilke, Bertolt Brecht und Thomas Mann sich mit dem Thema.89 Der Buddhismus hat seither alle Schichten der Bevölkerung erreicht. Oft wurde angenommen, dass der Buddhismus während der NS-Zeit verschwand. Volker Zotz zeigt dennoch, dass der Buddhismus und der Nationalsozialismus mehr als das Hakenkreuz gemeinsam hatten. Zotz, Philosoph und Religionswissenschaftler an der Université de Luxembourg, zeigt, wie bei Schopenhauer, der Quelle der deutschen Buddhisten, schon eine Verbindung zwischen Buddhismus und Antisemitismus bestand. Diese Verbindung galt nicht als problematisch. So war zum Beispiel Johannes Hannemann, ein Schüler Georg Grimms, Mitglied der NSDAP. Er bekam sogar die Erlaubnis von Josef Goebbels, als Buddhist einen waffenlosen Militärdienst leisten zu können. Der Jurist Reinhard Höhn war seinerseits zugleich Buddhist und SS-Oberführer. 1935 schenkte er Heinrich Himmler zu Weihnachten die Reden des Buddha. Das stellte für die Nazis, laut Zotz, kein Problem dar: „Das Bekenntnis zum Buddhismus war nichts Anrüchiges und wurde von Autoritäten in Partei und Staat respektiert.“90 Andererseits standen die Buddhisten dem Nazi-Regime oft positiv gegenüber, selbst „in buddhistischen Ländern, von denen viele Kolonien der Gegner Deutschlands waren, bestand vielfach ein positives Bild von Hitler und dem Nationalsozialismus“91. Als mögliche Erklärung für diese gegenseitige Toleranz führt Zotz zwei Gründe an. Einerseits bestanden, seit dem Achsenvertrag, enge Beziehungen zwischen Deutschland und Japan, wo der Buddhismus ein wichtiger Teil der Kultur war. Außerdem zogen die Buddhisten sich nicht aus dem gesellschaftlichen Leben zurück, was für die Nationalsozialisten wichtig war. Andererseits sahen die deutschen Buddhisten inhaltliche Berührungspunkte mit dem Nationalsozialismus. Die Idee des Nirvana glaubten sie durch das Aufgehen in der anonymen Masse verwirklicht. Das Elend und das Leid des Krieges und der Judenverfolgung erklärten sie anhand der Idee des Karma. Alles Leiden war selbst verursacht, durch Schuld in früheren Leben, wodurch es „unschuldige Opfer“92 nicht geben kann.93 In der Zeit zwischen der großen Katastrophe und heute hat der deutsche Buddhismus sich allmählich weiter entwickelt. Die Gruppen, Vereine und Institute die sich dem Buddhismus widmen, sind mittlerweile unzählbar geworden. Grundlegend waren die 89 Vgl. Heinrich Detering, Maren Ermisch und Pornsan Watanangura: Der Buddha in der deutschen Dichtung. Zur Rezeption des Buddhismus in der frühen Moderne. Göttingen: Wallstein 2014. 90 Volker Zotz: „Swastika und Hakenkreuz. Zum Verhältnis von Buddhismus und Nationalsozialismus“. In: Zur Debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern 1 (2012), S. 25. 91 Ebd. 92 Ebd., S. 26. 93 Zotz behauptet auf keinen Fall, die Buddhisten seien alle Nazis gewesen. Er zeigt, dass sie gegen das Regime keinen Widerstand geleistet haben, und einige sich sogar der Diktatur anschlossen. 24 gesellschaftlichen Umbrüche der 1960er Jahre, dank „Studentenunruhen und mit Drogen experimentierende Hippies“94. Ursula Baatz, Religionsphilosophin in Wien, verdeutlicht, dass die zunehmende Freiheit des Individuums einen Aufschwung buddhistischer Vereine ermöglichte: Die späten 1960er Jahre waren offen für Veränderungen. Die 1950er und 1960er Jahre hatten einen Kulturbruch gebracht: der Wiederaufbau, aber mehr noch die Industrialisierung verlangten nach gut ausgebildeten Spezialisten. Der Übergang von einer Agrar- zu einer Industrie- und Wissensgesellschaft bedeutete für die Einzelnen neue biographische Möglichkeiten: bessere Ausbildung, neue Rollen vor allem für Frauen, Auflösung lokaler Zusammenhänge, aber auch der weltanschaulichen Lager. 95 Vor allem der Machtverlust der römisch-katholischen Kirche und der „erdrutschartige Schwund der Kirchgänger“96 boten Anlass zur Suche nach neuen Weltanschauungen. Die gleiche Meinung vertritt den Hoet. Während die buddhistische Szene bis 1960 überschaubar geblieben war, fing bald eine starke Verbreitung97 an und „ähnlich einem Baum, bei dem Äste in verschiedene Richtungen anfangen zu wachsen, sobald der Stamm erst hoch genug ist, bildeten sich im Laufe der Jahre neue Zweige heraus“98. Die Lehre war eigentlich ein Ast eines viel größeren Baumes. Die sich rasch entwickelnde Meditationsbegeisterung war der Knotenpunkt unzählbarer Bewegungen, die bis heute weiter gehen. Die Meditationskultur in seinen zahlreichen Formen, wie Zen und Yoga, ist ein Kernbereich moderner Spiritualität geworden. Die aktuell ausführlichste Übersicht bietet das Handbuch Karl Baiers, Meditation und Moderne.99 Der Umfang seines Werkes reflektiert zugleich das Ausmaß moderner Meditationsbewegungen, wie Mesmerismus, New Thought oder die Schule der Weisheit, um nur einige Beispiele zu nennen. Baier verdeutlicht in seiner Einleitung, dass das Gebiet zu umfangreich ist, um es in einem Werk fassen zu können: „Es wird nicht darauf abgezielt, eine möglichst lückenlose Rekonstruktion dieses umfangreichen Gebiets vorzulegen.“ Absicht ist, „in erster Linie exemplarische Positionen und paradigmatische Entwicklungsstränge“100 herauszuarbeiten. Baier zeigt, dass Meditation in der Moderne als Symbiose zwischen zwei Welten entstand: Einerseits gab es die 94 Michael den Hoet: „Ein Baum mit tiefen Wurzeln. Buddhismus im deutschen Kulturkreis“. In: Buddhismus Heute 35 (2003), S. 4. 95 Ursula Baatz: „Warum und wie üben Christen Zen?“. In: Zur Debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern 1 (2012), S. 15. 96 Ebd. 97 Neben den Hoet bietet Kurt Gakuro Krammer eine Übersicht der buddhistischen Vereine und Dachorganisationen in Deutschland. Vgl. Kurt Gakuro Krammer: „Ist der Buddhismus im Westen angekommen?“. In: Zur Debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern 1 (2012), S. 27-28. 98 den Hoet: „Ein Baum mit tiefen Wurzeln. Buddhismus im deutschen Kulturkreis“, S. 2. 99 Baier: Meditation und Moderne: zur Genese eines Kernbereichs moderner Spiritualität in der Wechselwirkung zwischen Westeuropa, Nordamerika und Asien. Würzburg: Königshausen & Neumann 2009. 100 Ebd., Band 1, S. 19. 25 Meditationsbewegungen Asiens, andererseits die schon vorhandenen westlichen Strömungen, wie die kirchliche Mystik, die sich gegenseitig beeinflusst haben. Die wichtigste, unmittelbar aus dem Buddhismus entstandene Meditationspraxis ist das sogenannte Zen. Die Pioniere dieser Bewegung waren der deutsche Jesuit Hugo Lassalle101 und der Philosoph Karlfried Graf Dürckheim102. Abschließend soll darauf hingewiesen werden, dass der deutsche Buddhismus angefangen hat, seine indischen Quellen zu beeinflussen. Krammer nennt das exemplarische Beispiel Henry Steel Olcotts. Der Mitgründer der Theosophischen Gesellschaft schrieb 1881 seinen Buddhistischen Katechismus103. Das Büchlein hatte die Absicht, die Jugend von Sri Lanka wieder mit dem Buddhismus vertraut zu machen. Es wurde zum Welterfolg, mit Übersetzungen in 20 Sprachen. 1885 entwarf Olcott außerdem die buddhistische Flagge, die heute weltweit angenommen wird. Krammer endet mit der Feststellung, dass der Kreis sich geschlossen hat: „Nachdem der asiatische Buddhismus im Westen angekommen ist und trotz der relativen Kürze des Prozesses schon wesentliche Schritte der Inkulturation durchlaufen hat, beginnen wesentliche Impulse des westlichen Buddhismus in Asien Fuß zu fassen.“104 101 Er war der erste Christ, der Erlaubnis erhielt, Zen zu lehren in Europa. Er verband das Zen mit der christlichen Mystik. 102 Vgl. Baier: Meditation und Moderne, Band 2, S. 813-904. 103 Henry Steel Olcott: Buddhistischer Katechismus. Berlin: Littera 2003. 104 Krammer: „Ist der Buddhismus im Westen angekommen?“, S. 28. Zu diesem wechselseitigen Einfluss hat Hesses Siddhartha ebenfalls einen Beitrag geleistet, wie im dritten Teil dieser Arbeit verdeutlicht wird. 26 2. Hesse und der Orient Nachdem im ersten Teil dieser Arbeit untersucht wurde, wie der Buddhismus entstand, was die Lehre beinhaltet und durch welche Kanäle sie Eingang in Deutschland fand, steht im Zentrum dieses Abschnitts die Frage, was Hesse darüber eigentlich wusste und woher seine Kenntnisse stammten. Das Kapitel besteht aus zwei Teilfragen: Erstens wird untersucht, wie Hesse schon in frühester Jugend die Lehre kennenlernte, während der zweite Teil sich einer Untersuchung seiner Indienreise und der daraus resultierenden Enttäuschung widmet. Während im letzten Teil dieser Arbeit der Text im Mittelpunkt steht, gilt hier der Autor selbst als Bezugspunkt. Anhand seines ausführlichen Briefwechsels und seiner autobiographischen Schriften wird versucht, einerseits einen Überblick über seine Kenntnisse und seine prägenden Erlebnisse zu geben, andererseits aber auch das diskursive Koordinatensystem zu bestimmen, für dessen Hintergrund sich sein Indiendiskurs entfaltet hat. Hesse, der 85 Jahre alt wurde, schrieb während seines Lebens nicht weniger als 44 000 Briefe. Die riesige Sammlung entstand, weil Hesse die letzten 25 Jahre seines Lebens als Einzelgänger in der Casa Rossa in Montagnola verbracht hat. Er war vollends damit beschäftigt, „die auf ihn eindringende Außenwelt auf Distanz zu halten“105, wie der Berliner Autor und Biograf Hesses Gunnar Decker verdeutlicht. Das Paradox seines Lebens ist deshalb, laut Decker, zugleich Außenseiter und Weltmensch gewesen zu sein: „Mit der Welt verkehrt er in den letzten fünfundzwanzig Jahren seines Lebens vielleicht intensiver als je zuvor, jedoch auf seine Weise – und bevorzugt schriftlich.“106 Quidquid id est, der Briefwechsel erlaubt einen guten Einblick in seine briefliche Selbststilisierung. 2.1 Eine frühe Begeisterung Die Orientbegeisterung Hesses fing schon seit seiner frühesten Jugend an, sich zu entfalten. In einem 1919 geschriebenen Brief behauptet der Schriftsteller selbst, das europäische, christliche Modell früh verlassen zu haben, um sich der östlichen ‚Weisheit‘ zu widmen: Ich bin seit vielen Jahren davon überzeugt, daß der europäische Geist im Niedergang steht und der Heimkehr zu seinen asiatischen Quellen bedarf. Ich habe jahrelang 105 Gunnar Decker: Hesse. Der Wanderer und sein Schatten. München: Hanser 2012, S. 11. Ebd. Decker verdeutlicht ebenfalls, dass Hesse aus einer Familie stammte, die sich selbst weitgehend dokumentiert hat. Eine Menge von Briefen, Notizen, Tagebüchern und sogar Postkarten ist aufbewahrt geblieben. 106 27 Buddha verehrt und indische Literatur schon seit meiner frühesten Jugend gelesen. Später kamen mir Lao Tse und die anderen Chinesen näher.107 Der Autor teilte die Überzeugung der Theosophischen Gesellschaft, Asien sei die Quelle aller Religionen. Das Zitat widerspiegelt das pessimistische Klima der Zwischenkriegszeit, das Autoren wie Kern und Spengler verstärkten. Wie Kern, war Hesse davon überzeugt, dass das Licht aus dem Osten kam.108 Die Behauptung, er habe seit seiner frühesten Jugend „indische Literatur“ gelesen, wirft die Frage nach der Quelle dieser Lektüre auf. Der unmittelbare Anlass seiner Lektüre und der darauffolgenden Begeisterung scheinen sein Großvater und dessen Indienmission gewesen zu sein, wie er in sämtlichen Briefen zum Thema selbst erwähnt: Mit des Großvaters indischer Sendung begann denn jenes besondere Seelenklima, jene eigentümliche Gestimmtheit und Empfänglichkeit für den Osten, die sich bei den Enkeln in so verschiedener Weise als westöstlich zu erkennen gab. […] [D]aß der Enkel Hermann bei den Upanishaden, beim Buddhismus und bei chinesischer Lebensweisheit in die Schule gehen werde, dazu hat des Alten Vorgang und Vorbild den Grund gelegt.109 Hesses Großvater, Hermann Gundert, war ein Philologe und Geistlicher. Er studierte am Seminar Maulbronn und promovierte zum Doktor der Philosophie an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Mit 21 Jahren ging er als christlicher Missionar nach Südindien, wo er unter anderem das heutige Schulsystem einführte. Er hatte eine hohe Begabung für Sprachen und widmete sich dem Studium mehrerer indischer Sprachen. 1859 bekam er die Ruhr und musste deshalb notgedrungen Indien verlassen. Bei seiner Rückkehr in Europa bekam er eine Stelle in Calw, wo er Mitglied des Calwer Verlagsvereins wurde und als Indologe tätig war. Als Sprachwissenschaftler schuf er unter anderem eine Bibelübersetzung in Malayalam 110. In dieser Sprache verfasste er ebenfalls die erste systematische Grammatik, die bis heute in Umlauf ist.111 Sein Einfluss auf Hesse soll nicht unterschätzt werden. Nicht nur Hesse, sondern auch sein Vetter Wilhelm Gundert wurden durch die indischen, sprachwissenschaftlichen Tätigkeiten ihres Großvaters begeistert, wie Hesse selber verdeutlicht: „Davon haben wir beide etwas mitbekommen, du die philologische, ich die poetische Freude an den Wundern 107 Hesse in einem Brief an Alice Leuthold, die Frau seines Freundes Fritz Leuthold. In: Materialien zu Hermann Hesses Siddhartha. Band 1. Hg. v. Volker Michels. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1975, S. 83. 108 Cfr. 1.3: Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland. 109 Hermann Hesse in einem Brief an Wilhelm Gundert, seinen Vetter, September 1960. In: Materialien, Band 1, S. 257. 110 Die Sprache wird an der Südwestküste Indiens gesprochen und hat ungefähr 33 Millionen Muttersprachler. 111 Vgl. Hermann Gundert: A Malayalam and English dictionary. Kottayam: Sahitya Pravarthaka 1962. 28 und Zaubern der Sprache, […]“112 Während Hesse sich der Literatur widmete, beschäftigte Wilhelm sich mit der sprachwissenschaftlichen Seite und schuf, laut Hesse, „das berühmteste geistliche Übungsbuch“113 des Zen-Buddhismus.114 Für die Indienbegeisterung Hesses waren dennoch nicht nur sein Großvater, sondern auch seine Eltern verantwortlich. Sie traten des Großvaters Nachfolge an und wurden Missionare in Indien. Sie beherrschten Malayalam, Kanaresisch 115 und Hindustani116 und brachten „viele indische Sachen, Kleider, Gewebe, Bilder“117 mit nach Hause. Hesse wuchs so in einer Umgebung auf, in der einerseits der Pietismus, andererseits die indischen Weltanschauungen tonangebend waren. Gellner betont diesen doppelten Einfluss und spricht in dieser Hinsicht von einer Erziehung „zwischen zwei Kulturen“, die sich durch eine „bemerkenswerte westöstliche Weltoffenheit“118 auszeichnete. Mit der ersten Tradition sollte Hesse in seinem späteren Leben dennoch völlig brechen, wie in seinen Briefen durchschimmert: Bei meinen Eltern und Großeltern war sehr viel Liebe für Indien und viel Bereitschaft zum Verständnis Indiens vorhanden, doch stand ihr Christentum im Wege, sie anerkannten Indien und seine Ideen sehr, aber stets mit dem Vorbehalt, daß doch eben die Lehre Jesu allein göttlich und endgültig sei, […].119 Hesse sah seinerseits das Christentum als ein Hindernis, um die indischen Ideen verstehen zu können. Nicht zufälligerweise lebte er in einer Zeit der zunehmenden Säkularisierung, in der das Christentum auf der Suche nach neuen Weltanschauungen verdrängt wurde, während seine Eltern im Europa der Vorkriegszeit fromm dem Pietismus anhingen. 120 Decker verdeutlicht, dass Hesses Bruch mit dem Christentum zugleich ein Bruch mit einer tiefverwurzelten Tradition seiner Familie war. Alle Hesses und Gunderts waren, ohne Ausnahme, schwäbische Pietisten gewesen. Für sie war die Familie „die kleinste Zelle einer 112 Brief an Wilhelm Gundert, S. 256-257. Ebd., S. 257. 114 Gemeint ist Wilhelm Gundert: Bi-yän-lu: Meister Yüan-wu's Niederschrift von der Smaragdenen Felswand. München: Hanser 1960. Das Bi-yän-lu ist eine Sammlung Anekdoten und Sentenzen des chinesischen und japanischen Zens. Gundert hat die Texte ins Deutsche übersetzt und erläutert, und seine Übersetzung ist noch immer tonangebend. 115 Die Sprache wird in Südindien gesprochen und zählt ungefähr 40 Millionen Muttersprachler. 116 Die Sprache wird in Nordindien gesprochen und zählt insgesamt 541 Millionen Muttersprachler. Sie hält die Mitte zwischen Hindu und Urdu, wird aber nicht als Standardsprache anerkannt. 117 Hermann Hesse: „Über mein Verhältnis zum geistigen Indien und China“. In: Materialien, Band 1, S. 305. 118 Christoph Gellner: Weisheit, Kunst und Lebenskunst. Fernöstliche Religion und Philosophie bei Hermann Hesse und Bertold Brecht. Mainz: Matthias Grünewald 1997, S. 79. 119 Hesse: „Über mein Verhältnis zum geistigen Indien und China“, S. 305. 120 Vgl. 1.3: Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland. Die Säkularisierungsthese ist umstritten. Vgl. Detlef Pollack: Säkularisierung – ein moderner Mythos? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland. Tübingen: Mohr Siebeck 2012. 113 29 einzigen großen Aufgabe: der Heidenmission“121. Hermann Hesse brach als erster der Familie aus dieser glaubensstrengen Welt aus und brachte „mit Nietzsche eine unerhörte Botschaft: Gott ist tot!“122. Statt des strengen Pietismus, sind die indischen Einflüsse seiner Familie bestimmend für seine spätere Weltanschauung gewesen. „Unbewußt sog ich so viel Indisches ein“123, gesteht Hesse darüber selber in einer seiner autobiographischen Schriften. Die Einflüsse seiner frühesten Jugend blieben tatsächlich lange unbewusst und es „bedurfte […] erst ganz konkreter Anstöße, ehe Hesses Interesse an der ihm von Kindheit an vertrauten indisch-asiatischen Geistigkeit wiedererwachte“124, wie Gellner erwähnt. Während seiner Pubertät hatte Hesse kaum Interesse für Indien und war sogar ein Sorgenkind der Familie. Das enfant terrible rebellierte vehement gegen seine Eltern und brach mit 15 Jahren sein Theologiestudium in Maulbronn ab, weil er „entweder ein Dichter oder gar nichts“125 werden wollte, wie er später selber sagte. Das war der Anfang einer Odyssee durch mehrere Schulen, wobei die ersten Zeichen einer Depression sich manifestierten. Am 20. März 1892 schrieb Hesse einen Brief an seine Eltern, in dem indirekt sichtbar wird, dass er unter einer Depression zu leiden hatte: „Ich bin so müde, so kraft- und willenlos; [...] Ich bin nicht krank, nur eine mir ganz ungewohnte Schwäche fesselt mich [....]“126, gesteht der damals kaum fünfzehnjährige Hesse. Er schließt seinen Brief mit einem Zitat Georg Herweghs: „Ich möchte hingehn wie das Abendrot.“127 Seinen Worten ließ er Taten folgen und kaum zwei Monate später unternahm er, infolge seiner unglücklichen Liebe zu Eugenie Kolb, einen Selbstmordversuch in der Anstalt Bad Boll, wo er damals residierte. In der Folge wurde er in einer Irrenanstalt in Stetten interniert. Kaum zwei Monate später wurde er entlassen, aber zu Hause ging die Rebellion gegen seine Eltern unermüdlich weiter und „die gegenseitigen Unverträglichkeiten scheinen unüberwindlich“128, wie Decker es beschreibt. Tatsächlich wurde die Situation so unhaltbar, dass seine Eltern sich verpflichtet sahen, ihn nach kaum 17 Tagen erneuter Freiheit wiederum in die Irrenanstalt zu schicken, was Hesse als Verrat ansah. Er fing an, stärker als zuvor an dem strengen Pietismus seiner Familie zu zweifeln. Den ersten 121 Decker: Hesse. Der Wanderer und sein Schatten, S. 23. Ebd., S. 24. 123 Hesse: „Über mein Verhältnis zum geistigen Indien und China“, S. 305. 124 Gellner: Weisheit, Kunst und Lebenskunst, S. 80. 125 Hermann Hesse: „Kurzgefasster Lebenslauf“. In: Hermann Hesse. Gesammelte Werke in 12 Bänden. Band 6. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970, S. 391. Die Parallele mit Victor Hugo, der mit 14 Jahren in seinem Schulheft behauptete, „Je veux être Chateaubriand ou rien“, ist unübersehbar. 126 In: Volker Michels: „Ich gehorche nicht und werde nicht gehorchen!” Hermann Hesse. Die Briefe 18811904. Berlin: Suhrkamp 2012, S. 86. 127 Ebd. 128 Decker: Hesse. Der Wanderer und sein Schatten, S. 83. 122 30 Brief an seine Eltern, den 30. August 1892, unterschrieb er mit „H. Hesse Nihilist“129, um am 4. September zu schreiben: „Ich kann eben in diesem Gott nichts als einen Wahn, in diesem Christus nichts als einen Menschen sehen, mögt Ihr mir hundertmal fluchen.“130 Sein ganzes weiteres Leben sollte der Autor zwischen „Phasen des Schöpferrausches“ und „Zeiten tiefster Depression“131 pendeln. Nicht zufälligerweise haben seine Romanfiguren, wie Harry Haller und Hans Giebenrath, mit Melancholie, Depression und Selbstmordwünschen zu kämpfen. Seine innerlichen Krisen hat Hesse nie überwunden, was sich in seinen sozialen Fähigkeiten widerspiegelte: „Ein Neurotiker, oft genug auf der Grenze des Psychopathischen, so erschien er Menschen, die mit ihm zu tun bekamen.“132 Dennoch schien es nach seiner Zeit in Stetten ein wenig besser zu gehen. 1893 brach er endgültig die Schule ab, um als Mechaniker in einer Turmuhrfabrik eine Lehre zu machen. Dank des Lohnes gewann er die Unabhängigkeit von seinen Eltern, aber die monotone Arbeit löste zugleich einen Hunger nach Literatur und Erkenntnis aus und schon 1895 verließ er die Fabrik, um als Buchhändler in die Lehre zu gehen und noch im selben Jahr in einer Buchhandlung in Tübingen zu arbeiten. In den darauffolgenden Jahren fing er an, sich nach der Arbeit völlig der Literatur zu widmen. In dieser Zeit entstanden die ersten Gedichte, und der Erfolg seines 1903 erschienenen Peter Camenzind erlaubte ihm als freier Schriftsteller zu arbeiten. In dieser Situation muss Hesse mit dem Buddhismus in Berührung gekommen sein. Selbst erwähnt er, „erst im Alter von etwa 27 Jahren“133 wieder auf indische Gedanken gestoßen zu sein. So fing die zweite Phase seiner östlichen Annäherung an, wie in der Forschung betont wird: „Zunächst war es die Familientradition, welche ihm die asiatische Welt nahebrachte, bevor er sich später, bedrängt von inneren Krisen, selbständig und bewußt den asiatischen Philosophien zugewandt hat.“134 Unmittelbarer Anlass der Wiederentdeckung war seine Beschäftigung mit der Philosophie Schopenhauers, wie er selber erwähnt. Seine Begeisterung für den Orient wuchs allmählich und er traf sich öfters mit Gleichgesinnten: […], in den folgenden Jahren hatte ich häufig Begegnungen mit suchenden Menschen, meist von mehr oder weniger theosophischer Färbung, und fand mich auch durch sie 129 In: Michels: Die Briefe, S. 97. Ebd., S. 100. 131 Decker: Hesse. Der Wanderer und sein Schatten, S. 12. 132 Ebd., S. 14-15. 133 Hesse: „Über mein Verhältnis zum geistigen Indien und China“, S. 305. 134 Felix Lützkendorf: „Hermann Hesse in seinen Beziehungen zur Romantik und zum Osten“. In: Materialien zu Hermann Hesses Siddhartha. Band 2. Hg. v. Volker Michels. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1975, S. 77. 130 31 mehr und mehr auf indische Quellen gewiesen, lernte eine Übersetzung der BhagavadGita kennen und war von da an in indischen Ideen heimisch.135 Erneut zeigt sich der Einfluss der Theosophischen Gesellschaft im frühen 20. Jahrhundert.136 Durch die Indienbegeisterung dieser Gesellschaft lernte Hesse die Bhagavad Gita137 kennen und vertiefte sich allmählich in die buddhistische Lehre. Seine späteren Quellen waren, nach eigener Angabe, die epochemachenden Werke seiner Zeit: „Bald fand ich auch das Dhammapaddam138, von Neumann übersetzt, und Oldenbergs Buddhabuch139, später die Werke von Deußen.“140 Neben Neumann und Oldenberg schuf Paul Deussen, ein Historiker, Philosoph und Indologe, wichtige religionswissenschaftliche Werke zur indischen Philosophie, die Hesse inspirierten.141 Seine wachsende Begeisterung spiegelt sich in seiner literarischen Produktion der Zeit wider, wie in der 1908 erschienenen Erzählung Taedium vitae142, in der sich der Einfluss Blavatskys und Schopenhauers zeigt. Obwohl er zuerst mit dem Buddhismus in Berührung kam, wurde Hesse später stark von den chinesischen Lehren beeinflusst, die eine „Bereicherung und teilweise Korrektur“143 seines östlichen Wissens waren. Insbesondere Lao Tse, der Begründer des Taoismus, wurde ihm „für lange Zeit zur wichtigsten Offenbarung“144. Das spätere Denken Hesses stand im Zeichen Chinas, sodass er über „eine Wendung von Indien nach China, d.h. von dem asketischeren Denken Indiens zu dem bürgerlicheren, ‚bejahenderen‘ Chinas“145 sprach.146 Hesse gesteht selber, Siddhartha sei sowohl unter buddhistischen als auch taoistischen Einflüssen entstanden. Die Enttäuschung seiner Indienreise hat sicherlich einen Beitrag zu dieser Wende geliefert, wie im nächsten Abschnitt deutlich wird. 135 Hesse: „Über mein Verhältnis zum geistigen Indien und China“, S. 305-306. Vgl. 1.3: Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland. 137 Die Bhagavad Gita ist ein zentraler Text des Hinduismus, der, in der Form eines Gedichtes, die Quintessenz der Veden darstellt. 138 Eine 423 Verse zählende Anthologie der Reden des Buddha. Vgl. Karl Eugen Neumann: Der Wahrheitspfad: ein buddhistisches Denkmal. München: Piper 1918. 139 Gemeint ist Oldenberg: Buddha. Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde. 140 Hesse: „Über mein Verhältnis zum geistigen Indien und China“, S. 306. 141 Er schuf unter anderem eine Übersetzung von den Upanishaden. Vgl. Paul Deussen: Die Geheimlehre des Veda: ausgewählte Texte der Upanishad’s. Leipzig: Brockhaus 1921. 142 Die Erzählung berichtet die misslungene Liebesgeschichte des Protagonisten, der sich aus der Welt zurückzieht. 143 Hesse: „Über mein Verhältnis zum geistigen Indien und China“, S. 306. 144 Ebd. 145 Ebd. 146 Adrian Hsia hat Hesses Beziehung zu China ausführlich untersucht. Vgl. Adrian Hsia: Hermann Hesse und China. Darstellung, Materialien und Interpretation. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974. 136 32 2.2 Hesses Indienreise 1911 unternahm Hesse eine Indienreise, die ihn nach Ceylon, Sumatra und Singapur führte. Mehrere Gründe trieben ihn damals in das Morgenland. Zum einen war er auf der Suche nach dem Ursprung seiner Familie, zum anderen nach „einer echten Alternative zu Europa, das er noch vor Oswald Spenglers Kulturkreislauflehre an das Ende seiner Möglichkeiten gekommen sieht“147. Hesse wollte aus Europa fliehen um neue Hoffnung, die aus dem Morgenland zu kommen schien, zu finden und schloss sich damit der allgemeineren Enttäuschung avant la lettre an, ein Jahrzehnt bevor Kern „das Licht des Ostens“ und Spengler „den Untergang des Abendlandes“ propagierten.148 Später würde er über seine Reise selber sagen, dass er auch dort „das ungestillte Heimweh“149 nicht loswerden konnte: Indiens Geist gehörte noch nicht mir, ich hatte noch nicht gefunden, ich suchte noch. Darum floh ich damals auch Europa, denn meine Reise war eine Flucht. Ich floh es und haßte es beinahe, in seiner grellen Geschmacklosigkeit, seinem lärmigen Jahrmarktbetrieb, seiner hastigen Unruhe, seiner rohen, tölpelhaften Genußsucht.150 Auf seiner Suche nach ‚Indiens Geist‘ fand der verzweifelte Hesse jedoch nur Enttäuschung. Seine Flucht aus dem Europa der Vorkriegszeit hing ohne Zweifel mit dem wachsenden Nationalismus zusammen, dem Hesse feindlich gegenüberstand. Seine Aversion sollte sich drei Jahre später in seinem polemischen Aufsatz O Freunde, nicht diese Töne manifestieren. Seit der Veröffentlichung des antinationalistischen Essays galt der Autor in Deutschland als ‚Vaterlandsverräter‘, was für die Auflage seiner Bücher katastrophal war. Im Aufsatz, der am 3. November 1914 in der Neuen Zürcher Zeitung erschien, rief Hesse die deutschen Intellektuellen dazu auf, dem Nationalismus Widerstand zu leisten.151 In der darauffolgenden Zeit brach deswegen eine große Polemik gegen ihn aus. Heimo Schwilk, Redakteur der Welt und Biograf Hesses, betont in seiner Biografie die Hexenjagd, die gegen Hesse veranstaltet wurde. Der inzwischen siebenunddreißigjährige Autor war zur Persona non grata geworden und eine schwere Zeit brach an: Hesse wird in zwei Dutzend Blättern als Vaterlandsverräter diffamiert. Alte Freunde sagen sich von ihm los, aus Deutschland wird er mit Hassbriefen überschüttet, deutschnationale Buchhändler boykottieren ihn, der Verkauf seiner Bücher stürzt dramatisch ab.152 147 Decker: Hesse. Der Wanderer und sein Schatten, S. 269. Vgl. 1.3: Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland. 149 Hermann Hesse: „Besuch aus Indien“. In: Materialien, Band 1, S. 317. 150 Ebd. 151 Vgl. Heimo Schwilk: Hermann Hesse. Das Leben des Glasperlenspielers. München: Piper 2012, S. 169-195. 152 Ebd., S. 187. 148 33 Das Ereignis würde er später im Steppenwolf thematisieren. Der Vorfall erregte die Aufmerksamkeit des französischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers Romain Roland, mit dem eine lebenslange Freundschaft entstand. Nicht ohne Zufall ist der erste Teil des Siddhartha ihm gewidmet. In der Zwischenzeit hatte Hesse 1904 die erste seiner drei Frauen, Maria Bernoulli, geheiratet. Die Forschung ist sich darüber einig, dass die Reise nicht nur aus Indienbegeisterung, sondern auch durch eine familiäre Krise stattfand. Der Außenseiter Hesse war ein bürgerlicher Schriftsteller und Familienvater geworden und fühlte die Not, aus seiner Existenz zu flüchten. Acht Wochen zuvor war sein dritter Sohn Martin geboren worden, aber Hesse hatte sich mit seiner Frau schon längst auseinandergelebt und wollte Abstand gewinnen.153 Die Indienreise hatte damit ein dreifaches Ziel: Sie war „eine Selbstvergewisserung familiärer Ursprünge, ein Überschreiten europäisch-christlicher Horizonte auch, aber vor allem ist es eine Flucht aus der häuslichen Enge“ 154, wie Decker verdeutlicht. Hesses Indienreise war dennoch kein Unikum. Der Orient hatte einen magischen Ruf und übte seinerzeit auf europamüde Intellektuelle eine besondere Anziehungskraft aus. Die Kenntnisse über das damalige Indien waren beschränkt und dessen Bild äußerst naiv, was sicherlich die magische Wirkung verstärkte. Hesse verdeutlicht selbst, dass die Europäer kaum etwas Objektives über das Morgenland wussten: Schon seit hundert Jahren war besonders stark das Interesse für die Buddha-Lehre, und noch vor zwanzig Jahren war die Mehrzahl der Europäer der festen Meinung, die Völker Indiens seien alle Buddhisten, während in Wirklichkeit im eigentlichen Indien ja die Zahl der noch vorhandenen Buddhisten verschwindend klein ist.155 Die Begeisterung für den Buddhismus schien das Traumbild Indiens nur zu verstärken. Die Orientreise ermöglichte die Flucht aus dem ‚untergehenden‘ Europa, um sich der östlichen ‚Weisheit‘ zu widmen. Für Hesse war der Untergang des Abendlandes denn auch nicht sosehr auf politischer, sondern vielmehr auf intellektueller Ebene zu situieren. Hugo Ball, der mit Hesse befreundet war, verdeutlicht, dass der Untergangsgedanke damals etwas typisch Deutsches war. Die Intellektuellen fürchteten nicht den physischen Untergang, sondern den geistigen, denn „dies abgerechnet, war es bei Hesse doch anders gemeint als bei Spengler. 153 Er war alles andere als ein idealer Gatte und war oft abwesend. Selbst während der Schwangerschaft Marias war er erneut auf Reisen in Italien. 154 Decker: Hesse. Der Wanderer und sein Schatten, S. 269. 155 Hermann Hesse: „Aus Indien und über Indien”. In: Materialien, Band 1, S. 325. 34 Hesse sieht den Untergang mehr von innen kommen, aus der Tiefenseele […]“156, wie Ball erwähnt. Um das märchenhafte Orientbild und die Anziehungskraft der Orientreise verstehen zu können, muss ein Blick auf Edward Saids Orientalism157 geworfen werden. Said formuliert in seinem epochemachenden Werk die These, dass das exotische Orientbild aus westlicher, europäischer Sicht entstanden ist. Der Westen hat, laut Said, das märchenhafte Bild selbst geschaffen und bis heute instand gehalten. Er nennt das Phänomen „Orientalizing the Oriental“ und beschreibt es folgendermaßen: Orientalism is a style of thought based upon an ontological and epistemological distinction made between "the Orient" and (most of the time) "the Occident." Thus a very large mass of writers, among whom are poets, novelists, philosophers, political theorists, economists, and imperial administrators, have accepted the basic distinction between East and West as the starting point for elaborate theories, epics, novels, social descriptions, and political accounts concerning the Orient, its people, customs, "mind," destiny, and so on.158 Das Bild des Orients wurde, laut Said, in der Antike geschaffen und als das absolute Gegenbild des Abendlandes definiert. Der Westen wurde durch die Bibel und das Christentum, durch Marco Polo und Jean de Mandeville bestimmt und die Literatur dieser Protagonisten definierte das Morgenland ex negativo, wie Said verdeutlicht: „These are the lenses through which the Orient is experienced, and they shape the language, perception, and form of the encounter between East and West.“159 Said zeigt, dass das abendländische Bild des Orients sich so bis heute weiterentwickelt hat.160 Das westliche Denken über den Orient ist deshalb a priori determiniert und „because of Orientalism the Orient was not (and is not) a free subject of thought or action”161. Die Erwartungen an die Orientreise, die Hesse ebenfalls hegte und die zur Anziehungskraft der Reise beitrugen, waren in dieser Hinsicht irreal und unerfüllbar, was sicherlich mit zur Enttäuschung Hesses geführt hat. Die Orientreise an sich war nihil novi sub sole. Behrang Samsami, ein iranischer Forscher an der Freien Universität Berlin, verdeutlicht in seiner Promotionsschrift, die auf 156 Hugo Ball: „Hermann Hesse und der Osten“. In: Materialien, Band 2, S. 67. Das klassische Werk ist äußerst umstritten. Während die sogenannten ‚Postcolonial Studies‘ einerseits auf Saids Theorie basieren, stellen Kritiker andererseits die Legitimität eines solchen Begriffs in Frage. Selbst im Postkolonialismus selber herrscht Uneinigkeit über das Wesen der Forschungsrichtung. Vgl. Ato Quayson: Postcolonialism: theory, practice or process? Cambridge: Polity 2000. 158 Edward Said: Orientalism. New York: Pantheon 1978, S. 2-3. Hesse hat in dieser Hinsicht eine doppelte Rolle gespielt. Während Siddhartha einerseits einen Beitrag zum „Orientalismus“ liefert und das Bild des magischen Orients im Westen bestätigt, versucht das Buch andererseits eine Synthese des ‚westöstlichen‘ Denkens zu schaffen und hat es so einen Einfluss auf das Denken im Orient selber ausgeübt. (Vgl. 3.3: Eine westöstliche Dichtung) 159 Ebd., S. 58. 160 Vgl. Ebd., S. 186-260. 161 Ebd., S. 3. 157 35 Said weiterbaut, dass sie eine reiche Geschichte hat. Jede Epoche hatte seine eigenen Gründe, um eine Orientreise zu unternehmen. Samsami skizziert eine historische Entwicklung „von der Wallfahrt über die Grand Tour hin zur Moderne-Flucht“162. Schon in der Antike bestand die Begeisterung für das Morgenland, obwohl sie aus anderen Gründen entstanden war. Die ersten Kontakte zwischen Ost und West entstanden damals aus dem Interesse für die Luxusgüter der beiden Kulturen. Aus der Frage nach exotischen Produkten folgte „die Entstehung fantastischer Vorstellungen vom unbekannten Osten“163. Laut Samsami hat Herodot, der Indien als „Land der Wunder und des Reichtums“164 beschrieb, das Bild des Orients im Westen bis in die Moderne hinein geprägt. Der Orient galt seither als ein Land, wo fantastische Mischwesen zwischen kostbaren Rohstoffen lebten und wurde deshalb zum Reiseziel von Glücksrittern und Händlern. Unter Alexander dem Großen kamen „weitere Berichte über Land und Leute, Flora und Fauna des Orients“165 in den Westen, bis der Einfluss durch die arabische Herrschaft gehemmt wurde. Es dauerte bis 1095, bis wieder Kontakte zu blühen anfingen. Als Urban II. zur ‚Befreiung‘ des Heiligen Landes aufrief, brachte das indirekt eine Wiederentdeckung des Morgenlandes mit sich, und die Kreuzzüge stießen „eine ernsthaftere Beschäftigung des Westens mit den Sprachen, Kulturen und Wissenschaften des Orients an“166. Durch die Kreuzzüge entstanden im Orient europäische Königreiche und der Handel über die Seidenstraße blühte. Diese neue Stabilität war Anlass für Diplomaten, Missionare und Kaufleuten, eine Orientreise zu unternehmen. Nicht selten waren sie durch Marco Polo167 oder Jean de Mandeville168 angeregt. Das Ziel der mittelalterlichen Reise war also dreifach: Der Orient bot nicht nur wirtschaftliche Vorteile einerseits und neues Wissen andererseits, sondern auch mögliche Bündnispartner im Kampf gegen die Muslime. In dieser Zeit entstand die sogenannte peregrinatio religiosa oder Pilgerfahrt. Obwohl Jerusalem das beliebteste Ziel war, gewann der Orient eine allmählich größere Anzahl Pilger, die, um die Ostkirche gegen die Muslime zu verteidigen, Palästina antaten und so auf Erlösung hofften. Der Pilgerverkehr nach Indien stand zu dieser Zeit in Blüte, aber kam zum Erliegen, als die Osmanen zur östlichen Großmacht wurden und die Reise zu gefährlich geworden war. 162 Behrang Samsami: Die Entzauberung des Ostens: Der Orient bei Hesse, Wegner und Schwarzenbach. Bielefeld: Aisthesis 2010, S. 51. 163 Ebd., S. 38. 164 Ebd. 165 Ebd., S. 39. 166 Ebd. 167 Vgl. Marco Polo und Maurizio Scarpari: Il Milione. Turin: Einaudi 2005. 168 Vgl. Christiane Deluz: Le livre de Jehan de Mandeville: une géographie au XIV siècle. Löwen: Institut d’études médiévales 1988. 36 In der Frühen Neuzeit fanden wiederum große Änderungen statt. Samsami verdeutlicht, dass die Entdeckungsfahrten und die Astronomie das Bild der Fremde grundlegend geändert hatten. Das Universum wurde als grenzenlos und unendlich betrachtet und die Welt wurde zugleich kolonialisiert, wodurch die Fremde neubestimmt werden musste. Sie war nicht mehr „das ganz Andere, genau Abgrenzbare und Auszugrenzende“ des Mittelalters, sondern musste „als ein Teil des Eigenen, als eine Projektionsfläche europäischer Imagination in die neue Kosmos-Vorstellung“169 integriert worden. Für die Prägung des Orientbildes waren nicht nur die Reiseberichte der Händler und Gesandtschaften, sondern auch die Literatur von großer Bedeutung.170 Die blühende Orientbegeisterung fing mit Antoine Gallands Übersetzung der Märchen aus Tausendundeiner Nacht endgültig an. Die Literatur schuf und verstärkte das magische Bild des Orients durch fiktive Reiseberichte, wie de Montesquieus Lettres persanes. Die Fremde wurde weitgehend literarisiert und der Perspektivwechsel wurde als „Mittel zur Aufklärung und Kritik“171 angewendet. Samsami betont dennoch, dass gerade diese Literarisierung „zu einer Idealisierung des Orients als einer fantastischen, weil konflikt- und gewaltfreien Gegenwelt“ geführt hat, „die dann, unreflektiert übernommen, für wahr gehalten werden kann – übrigens auch und gerade, weil große Teile dieser Weltgegend zu diesem Zeitpunkt noch unerschlossen sind und daher der Imagination der Europäer keine Grenzen gesetzt werden.“172 In der Frühen Neuzeit wurde die Orientreise in die sogenannte Grand Tour oder Kavalierstour eingebaut. Diese Grand Tour war eine adlige Bildungsreise im Rahmen des Humanismus. Die mittelalterliche, christliche peregrinatio religiosa war säkularisiert und zielte nicht mehr auf persönliche Heilsgewinnung, sondern diente als peregrinatio academica dazu, „die daheim genossene Erziehung und die an der Universität erhaltene Ausbildung durch die ‚Erfahrung der Welt‘ zu erproben, neue Kenntnisse zu erwerben und sich selbst so gut wie möglich zu vervollkommnen“173. Das Ziel dieser Reise war also, als uomo universale und homme du monde heimzukehren. 169 Samsami: Die Entzauberung des Ostens, S. 43. Eine ausführliche Liste bietet Samsami: Die Entzauberung des Ostens, S. 45. 171 Ebd., S. 46. 172 Ebd. Die europäische Fehlinterpretation beschränkt sich nicht auf das Bild des Orients, das Said und Samsami untersuchen. In Marvelous Possessions hat Stephen Greenblatt analysiert, wie die Europäer ein ebenfalls magisches Bild der ‚Neuen Welt‘ geschaffen haben. Basierend auf unter anderem Christoph Kolumbus, Jean de Mandeville und Jean de Léry, zeigt er, wie sie aus europäischer Sicht interpretiert und erläutert haben, was sie sahen. Er rekonstruiert so „the European practice of representation“ und „the nature of the representational practices that the Europeans carried with them to America and deployed when they tried to describe to their fellow countrymen what they saw and did“. (Stephen Greenblatt: Marvelous Possessions. The Wonder of the New World. Oxford: Clarendon 1992, S. 7) Die Berichte über die Entdeckungsfahrten basierten laut Greenblatt häufig auf Fantasie und „Wonder“ ist der Schlüsselbegriff der Interpretation: „Columbus’s voyage initiated a century of intense wonder.“ (Ebd., S. 14) 173 Samsami: Die Entzauberung des Ostens, S. 54. 170 37 Im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts gewann die Orientreise wiederum eine neue Bedeutung. Die Morgenlandfahrt der Moderne war der Erbe der mittelalterlichen, religiösen Pilgerreise und der didaktischen Kavalierstour der Frühen Neuzeit, aber verlor die religiösen und didaktischen Züge, um zur Vergnügungsreise umgestaltet zu werden. Die Moderne war zugleich das Zeitalter der Industrialisierung, und das „hektische und unübersichtliche Leben in der modernen Großstadt“ förderte „das Bedürfnis nach Entspannung und Ablenkung vom industriell geprägten Alltagsleben.“174 Die Reise wurde so als Moderne-Flucht neu definiert. Die Gründe seiner Anziehungskraft waren nicht nur die Industrialisierung, sondern auch die politischen Umwälzungen, die mit der Französischen Revolution anfingen und das christliche Weltbild demontierten. Die „Entzauberung der christlichen Religion“175 war Anlass zur Suche nach neuen Weltanschauungen, die vom Osten erhofft wurden.176 In diesem historischen Rahmen ist Hesses Indienreise zu verstehen. Sie war ein erhofftes Heilmittel gegen „den Verlust an Natürlichkeit und Übersichtlichkeit, Glauben und Spiritualität in Europa“177. Hesse hatte an seine Indienreise große Erwartungen. Er bereitete sich sorgfältig vor, las Reiseführer, kaufte eine Ausrüstung für die Tropen und lernte Englisch bei seiner Schwester. Finanzielle Sorgen brauchte er sich nicht zu machen, denn sein Freund und Verleger Samuel Fischer hatte ihm einen Zuschuss ohne Bedingungen in Höhe von 4000 Mark gewährt. Schwilk betont Hesses Begeisterung, endlich den Ort der magischen Erzählungen seiner Jugend zu sehen: Er will endlich jene morgenländisch-indische Welt mit eigenen Augen sehen, die ihm seine Eltern mit ihren Erzählungen und Büchern nahegebracht haben und die er durch seine Lektüre der heiligen Schriften Altindiens bereits gut zu kennen meint.178 Die Enttäuschung sollte umso größer sein. Schon an Bord des Dampfers wurde peinlich deutlich, dass das Idealbild stark von der Realität abwich. Die Umstände waren keineswegs bequem, wie Schwilk verdeutlicht: „Hesse leidet unter der Hitze, den Moskitos, an Durchfall und Seekrankheit. Schlafen kann er in seiner schwülen Kabine, in der ein lärmender Ventilator kreist, nur mithilfe von Veronal.“179 In Indien angekommen, traf Hesse nicht das erhoffte, märchenhafte Land, sondern eine weitgehend europäisierte Zivilisation an. In seinen Aufzeichnungen über die Reise berichtet 174 Samsami: Die Entzauberung des Ostens, S. 57. Ebd., S. 46. 176 Vgl. 1.3: Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland. 177 Samsami: Die Entzauberung des Ostens, S. 69. 178 Schwilk: Das Leben des Glasperlenspielers, S. 162. 179 Ebd., S. 163. Veronal war der Markenname von Barbital, einem Schlafmittel, das bei hoher Dosierung tödlich war und deshalb als Arzneimittel verschwunden ist. 175 38 er darüber unter anderem Folgendes: „Ich lernte sogar, mich über Indien lustig zu machen, und ich schluckte die scheußliche Erfahrung, daß der seelenvolle, suchende Beterblick der meisten Inder gar nicht ein Ruf nach Göttern und Erlösung ist, sondern einfach ein Ruf nach Money.“180 Die Kolonisation hatte seine Spuren hinterlassen und Hesse wurde mit der „Entzauberung des Ostens“ konfrontiert, die Samsami als zentrale These propagiert. Die „Erreichbarkeit und Verfügbarkeit des Exotischen“ im 20. und 21. Jahrhundert durch „Eisenbahn und Dampfschifffahrt und später durch Auto, Flugzeug und Film“181 haben die Bezauberung des Orients zerstört, wie Samsami verdeutlicht: „Die Reise in den Orient verliert damit nach der pietas auch im Sinne der curiositas an Besonderheit, da der für Europa bestehende ‚Zauber des Fremden‘ durch die Verwestlichung und also Nivellierung der Weltkulturen abnimmt.“182 Diese Nivellierung war der Grund für Hesses Enttäuschung, was in seinen Briefen klar zum Ausdruck kommt. Als er 14 Jahre später an seine Reise zurückdenkt, spricht er von einer „untergehenden Welt“183. Die Lektüre eines Buches Martin Borrmanns, der 14 Jahre nach Hesse über seine Reise nach Sumatra berichtet, konfrontierte Hesse damals erneut mit der Verwestlichung Indiens, die er selber empfunden hatte. 184 Was 1911 schon angefangen hatte, schien sich nur weiterentwickelt zu haben, was für Hesse das Ende allen indischen Zaubers bedeutete: „In Bälde wird es kein primitives Volk in Asien mehr geben, und keinen Malaien, der nicht den kleinen Amerikaner spielte, und keinen Urwald, durch den nicht in Zement gefaßte korrigierte Flüsse gingen.“185 Nach zwei Monaten endete seine Reise, und „ein von dauernder Diarrhoe gezeichneter Hesse, der sich nur noch durch Opiate und Rotwein aufrecht halten kann, tritt die Rückreise nach Europa an.“186 Die Indienreise hatte etwas Paradoxes und änderte Hesses Weltsicht grundlegend. Wie negativ die Erfahrung auch gewesen war, für seine Beschäftigung mit östlichen Lehren hatte sie ihm neue Einsichten geliefert. Gerade weil er, laut Samsami, nicht „seinem stark von der Literatur geprägten Bild, sondern im Gegenteil dem realen, teilweise stark europäisierten Osten“ begegnete, „postuliert und ästhetisiert er in seinem nach der ‚Entzauberung‘ entstandenen Œuvre das ‚persönliche Asiatentum‘, d.h. die fiktive Begegnung 180 Hermann Hesse: „Indische Schmetterlinge“. In: Sehnsucht nach Indien. Literarische Annäherungen von Goethe bis Günter Grass. Hg. v. Veena Kade-Luthra. [3. Auflage]. München: Beck 2006, S. 157. 181 Samsami: Die Entzauberung des Ostens, S. 58. 182 Ebd., S. 59. 183 Hermann Hesse: „Sehnsucht nach Indien“. In: Materialien, Band 1, S. 323. 184 Vgl. Martin Borrmann: Sunda. Eine Reise durch Sumatra. Frankfurt am Main: Societäts-Druckerei 1925. 185 Hermann Hesse: „Sehnsucht nach Indien“, S. 323. 186 Schwilk: Das Leben des Glasperlenspielers, S. 167. 39 mit dem Orient und die Umwandlung ihrer Werte für die eigene Lebenswelt“187. Am Ende kam er, nach eigener Aussage durch einen Traum, zur Einsicht, dass er die Lösung nicht im Exotismus, sondern im „Rückweg ins Eigene, der alles Fremde in sich einschließt“188 finden würde.189 Die Forschung ist sich darüber einig, dass Hesse während seiner Indienreise zugleich mit der chinesischen Kultur in Berührung kam, die er pries und bewunderte und von der er stark beeinflusst wurde. Jürgen Weber, Sinologe und Germanist, behauptet sogar, dass Hesse auf seiner Suche nach Indien eigentlich China gefunden habe.190 Es kann tatsächlich nicht verneint werden, dass die chinesische Kultur Hesse stark beeindruckt hatte. Am 1. Juni 1912 schreibt er, kaum zurück in Europa, in einem Brief an seinen Freund Ludwig Thoma: „Ich war gegangen, um den Urwald anzusehen, die Krokodile zu streicheln und Schmetterlinge zu fangen, und fand nebenbei und ungesucht etwas viel Schöneres: die Chinesenstädte von Hinterindien und das chinesische Volk, das erste wirkliche Kulturvolk, das ich sah.“191 Die Chinabegeisterung wird in Abend in Asien wiederum bestätigt, als er die Chinesen „die heimlichen Herrscher des Ostens“192 nennt. Adrian Hsia, Sinologe und Hesseforscher an der McGill Universität in Montreal, relativiert die Chinabegeisterung Hesses jedoch. Er verdeutlicht, dass Hesse nur literarische Werke „des alten China“193 gelesen hatte, über das politische und soziale China seiner Gegenwart aber kaum etwas wusste. Er traf nur einige Chinesen Hinterindiens, während die „Geburtswehen des neuen China“194 für Hesse unbekannt blieben: Er wußte nichts vom Elend des Volkes und von der Korruption der gebildeten Schichten. Auch wußte er nichts von der Unterdrückung und Ausbeutung der Chinesen durch die Kolonialmächte, […] Ebenfalls kannte Hesse nicht den Zwiespalt des damaligen China, den Kampf zwischen Tradition einerseits und der politischen und technischen Orientierung nach europäischem Vorbild andererseits.195 187 Samsami: Die Entzauberung des Ostens, S. 73. Wie das „persönliche Asiatentum“ in der Praxis aussah, wird im letzten Teil dieser Arbeit verdeutlicht. 188 Schwilk: Das Leben des Glasperlenspielers, S. 166. 189 Eine genaue Analyse seiner Schriften über die Indienreise liefert Samsami: Die Entzauberung des Ostens, S. 73-148. 190 Vgl. Jürgen Weber: Indien gesucht, China gefunden. Chinesische Spuren in Leben und Werk des Dichters Hermann Hesse. Hamburg: Books on Demand 2011. 191 In: Hermann Hesse: Gesammelte Briefe. Band 1. Hg. v. Volker Michels. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1973, S. 204. 192 Hermann Hesse: „Abend in Asien“. In: Hermann Hesse. Gesammelte Werke in 12 Bänden. Band 6, S. 228. Abend in Asien ist ein seiner Berichte über die Indienreise, die er im Band Aus Indien gesammelt hat. 193 Adrian Hsia: Hermann Hesse und China. Darstellung, Materialien und Interpretation. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974, S. 65. 194 Ebd. 195 Ebd., S. 65. 40 Die sozialen und politischen Probleme des damaligen China waren Hesse unbekannt, aber gerade sein idealisiertes China war, genau wie Indien, auch schon der von Hesse verhassten „Europäisierung“ unterworfen. Gellner spricht in dieser Hinsicht über die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“196. Während die chinesische Jugend sich der Moderne anschließen wollte, sahen europäische Intellektuelle gerade in China einen Ausweg aus der Moderne: Hofften die Jungchinesen, fasziniert von westlich-säkularer Wissenschaft und Demokratie, der sie meist als Auslandsstudenten in Europa, USA und Japan begegnet waren, mit den „fortgeschrittenen“ Industrienationen der westlichen Moderne gleichzuziehen, so begrüßten umgekehrt zahlreiche westliche Intellektuelle und Literaten wie Hermann Hesse und Richard Wilhelm die fernöstlich-asiatische Geistigkeit, ihre Weisheit und Lebenskunst als Ausweg aus der Krise der modernen industrialisierten und durchrationalisierten Großstadtzivilisation!197 Gellner verdeutlicht, wie Hsia, dass Hesse nur „Auslandschinesen, chinesische Immigranten aus den südlichen Provinzen“198 traf und ein „idealisierte[s] Portrait“ dieser Begegnungen hergestellt hat, in dem „seine ganze Faszination für die in seinen Augen dem Abendland weit überlegene geistige Zivilisation und Lebensart der Chinesen“199 mitschwingt. Laut Hsia war dennoch dieser Schleier genau das, was Hesse eine Objektivität verlieh, weil er imstande war, „unbelastet von den aktuellen Problemen Chinas […] die Eigenart, das Wesen Chinas“ 200 zu erfassen. 196 Gellner: Weisheit, Kunst und Lebenskunst, S. 89. Ebd. 198 Ebd., S. 87. 199 Ebd., S. 88. 200 Hsia: Hermann Hesse und China, S. 65. 197 41 3. Siddhartha, eine indische Dichtung Während im zweiten Kapitel der Arbeit die Frage nach Hesses Quellen und nach seiner Beziehung zum Orient gestellt wurde, steht in diesem Teil der Text selber im Zentrum. Das dritte Kapitel besteht aus drei Teilfragen. Der erste Abschnitt widmet sich einer Analyse der buddhistischen Elemente im Siddhartha. Während im ersten Kapitel der Buddhismus theoretisch untersucht wurde, wird die Theorie im Folgenden mit Hesses Erzählung verglichen. Die buddhistischen Elemente des Siddhartha haben ein janusköpfiges Antlitz. Während die Erzählung einerseits die buddhistische Lehre thematisiert und illustriert, stellt sie andererseits eine scharfe Kritik dar. Im Zentrum des zweiten Abschnitts steht deshalb die Frage, wo und auf welche Weise Siddhartha die ursprüngliche Lehre kritisiert, um ein neues Modell, das auf die Bedürfnisse der zeitgenössischen Leserschaft reagiert, zu schaffen. Schließlich wird untersucht, wie Hesse im Siddhartha seiner synthetischen Weltanschauung, die als ‚westöstlich‘ definiert werden kann, literarisch Form gegeben hat und so „zwischen Orient und Okzident tragfähige Brücken“201 geschlagen hat, wie Michels es ausdrückt. Auf die chinesischen Einflüsse, die diese Weltanschauung weitgehend geprägt haben und ebenfalls im Buch spürbar sind, wird deshalb im dritten Teil tiefer eingegangen, wobei besonders die Lehre des Taoismus im Mittelpunkt steht. 3.1 Eine indische Dichtung In einem 1922 an Helene Welti geschriebenen Brief, charakterisiert Hesse den Siddhartha folgendermaßen: „Er ist als Dichtung nichts, sein Inhalt aber ist der Ertrag meines Lebens und zugleich einer bald zwanzigjährigen Vertrautheit mit Gedanken Indiens und Chinas.“202 Tatsächlich spielen im Siddhartha sowohl buddhistische, hinduistische als auch taoistische Gedanken mit. Während der chinesische Einfluss im dritten Teil genauer betrachtet wird, stehen im Zentrum dieses Abschnitts die buddhistischen und hinduistischen Einflüsse, die im Buch eng miteinander verknüpft und verwoben sind, wie die Germanistin Tanja Eisentraut verdeutlicht: „Teilweise werden die Begriffe so miteinander verschränkt und parallel verwendet, dass eine Trennung und eine eindeutige Zuordnung einzelner Elemente oft unmöglich ist.“203 201 In: Hermann Hesse: Siddhartha. Eine indische Dichtung. Berlin: Suhrkamp 2012, S. 204. In: Michels: Materialien, Erster Band, S. 165. 203 Tanja Eisentraut: Einfluss des Buddhismus auf Hermann Hesses Siddhartha. http://www.mythosmagazin.de/methodenforschung/te_siddhartha.pdf (abgerufen am 08.04.15), S. 18. 202 42 Am deutlichsten schimmert der indische Einfluss im Namensspiel durch. Nicht nur Siddhartha selber, der seinen Vornamen, wörtlich „Wunscherfüllung“, unverhüllt mit dem historischen Buddha teilt, sondern auch die übrigen Protagonisten haben ihren Namen aus buddhistischer und hinduistischer Tradition geerbt. Govinda, der Jugendfreund und Begleiter Siddharthas, stammt aus der hinduistischen Mythologie. Der Hinduismus hat, im Gegensatz zum Buddhismus, keinen Gründer und die verschiedenen Richtungen, in erster Linie Shivaismus, Vishnuismus und Shaktismus, beten außerdem andere Gottheiten an. Im Vishnuismus gilt logischerweise Vishnu, der bereits in den Veden erwähnt wird, als die wichtigste Manifestation des Göttlichen. Wie Buddha, hat Vishnu zahlreiche Reinkarnationen oder Avataras gekannt. Die achte seiner insgesamt zehn Wiedergeburten geschah in der Gestalt Krishnas, der als Govinda, neben anderen Beinamen, bezeichnet wird.204 Laut der Literaturwissenschaftlerin Maria-Felicitas Herforth traf Hesse auf den Namen während der Lektüre „eines alten indischen Lehrgedichts“205. Gemeint ist ohne Zweifel das indische Epos Mahabharata, in dem unter anderem die Abenteuer des Helden Arjuna gedichtet werden. Im Mahabharata ist Govinda der Freund und Wagenlenker Arjunas, der ihm hilft und am Ende zeigt, wie er richtig leben soll. Hesses Govinda fungiert genauso als Freund und Begleiter Siddharthas. Gleich am Anfang des Buches wird er in dieser Funktion dargestellt: Mehr als sie alle aber liebte ihn Govinda, sein Freund, der Brahmanensohn. […] Er wollte Siddhartha folgen, dem Geliebten, dem Herrlichen. Und wenn Siddhartha einstmals ein Gott würde, wenn er einstmals eingehen würde zu den Strahlenden, dann wollte Govinda ihm folgen, als sein Freund, als sein Begleiter, als sein Diener, als sein Speerträger, sein Schatten.206 Hesse hat Govindas Funktionen stilistisch betont mittels der Anapher von „als sein“. Obwohl die beiden Freunde sich trennen, als Govinda beschließt, seine „Zuflucht zum erhabenen Buddha“207 zu nehmen, begegnen sie sich erneut an wichtigen Wendepunkten im Leben Siddharthas. Als Siddhartha nach seinem misslungenen Selbstmordversuch in einen tiefen Schlaf versinkt und zur Einsicht kommt, überwacht Govinda seinen Freund, weil es gefährlich ist, „an solchen Orten zu schlafen, wo häufig Schlangen sind und die Tiere des Waldes ihre 204 Krishna bekleidet innerhalb des Hinduismus einen hohen Rang und findet weltweit Verbreitung durch die International Society for Krishna Consciousness, die Bhaktivedanta Swami Prabhupada 1966 gründete. Im Abendland ist die Bewegung als Hare-Krishna bekannt, wie zum Beispiel im Château de Petite Somme in der Nähe von Durbuy. 205 Maria-Felicitas Herforth: Königs Erläuterungen und Materialien. Hermann Hesse. Demian – Siddhartha – Der Steppenwolf. Hollfeld: Bange 2004, S. 59. 206 Hesse: Siddhartha, S. 12-13. 207 Ebd., S. 43. 43 Wege haben“208. Während der Schlüsselszene am Fluss, wo Siddhartha als Erleuchteter lebt, treffen die beiden sich ein letztes Mal. Doch bleibt der „Freund“, „Begleiter“, „Diener“ und „Speerträger“ am Ende weiterhin Siddharthas „Schatten“, der nicht in der Lage war, die Erleuchtung zu erreichen. Wie Govinda stammt auch der Fährmann Vasudeva aus der indischen Mythologie. Der Name taucht sowohl im Mahabharata als auch im Bhagavata209 auf, wo Vasudeva als Vater von Krishna gilt. Der Name des Fährmannes ist kein Zufall, sondern hängt mit der Symbolik des Flusses zusammen. Im 10. Buch des Bhagavatapurana steht, wie Kamsa, der König, Vasudeva und seine Frau Devaki neun Jahre gefangen hält und deren neugeborene Kinder tötet. Um das achte Kind, Krishna, zu retten, trägt Vasudeva es über den Fluss Yamuna und lässt es im benachbarten Dorf Gokul aufwachsen. Kamala und Kamaswami sind beide Anspielungen auf das hinduistische Prinzip des Kama. Kama, zugleich der Gott der erotischen Liebe, repräsentiert Lust und sexuelles Verlangen und soll, obwohl er für das häusliche Leben notwendig ist, überwunden werden auf dem Weg zur Erlösung. Nicht zufälligerweise kann Siddhartha nur nach seiner Trennung von Kamala und Kamaswami die Erleuchtung erreichen. Kamala, die im Siddhartha als schöne Kurtisane auftaucht, ist ein anderer Name für Lakshmi, die Gattin Vishnus, und bedeutet wörtlich „die Wunscherfüllende“. Sie ist die Göttin von Schönheit und erfüllt in Hesses Fassung Siddharthas sexuelle Wünsche, indem sie die „Freuden der Liebe“ 210 anbietet. Der Name Kamaswami scheint seinerseits eine Erfindung Hesses zu sein. Das Prinzip des Kama hat er mit dem Wort „Swami“, das auf Sanskrit wörtlich „Herr“ bedeutet, verbunden. Kamaswami ist so „der Herr der Wünsche“211, der als „reichste Kaufmann dieser Stadt“212 die materielle Seite des Kama für Siddhartha erfüllt. Während das Namensspiel explizit auf buddhistische und hinduistische Mythologie zurückgreift, enthält der Inhalt des Buches selbst implizit eine Menge buddhistischer Elemente. Sie zeigen sich am deutlichsten, wenn man den Lebenslauf des historischen Buddha mit dem Lebenslauf Siddharthas vergleicht, was sowohl Eisentraut, Herforth als Gellner betonen. Siddhartha wurde, wie Buddha, in einer adligen Kaste geboren. Während der historische Buddha als sogenannter Kshatriya in der Kaste der Krieger und Fürsten geboren 208 Hesse: Siddhartha, S. 109. Das Bhagavatapurana enthält Geschichten über Vishnu und seine Avataras und zählt 18 000 Verse. 210 Hesse: Siddhartha, S. 71. 211 Herforth: Königs Erläuterungen, S. 65. 212 Hesse: Siddhartha, S. 75. 209 44 wurde, stammt Hesses Siddhartha aus der dominanten Kaste der Brahmanen.213 Schon die Weissagung der zukünftigen Buddhaschaft verläuft parallel. Während die Väter einen geeigneten Nachfolger erwarten und Siddharthas Vater „einen großen Weisen und Priester“, „einen Fürsten unter den Brahmanen“214 heranwachsen sieht, weisen andere Stimmen auf die Buddhaschaft hin. Die Mutter des historischen Buddha träumte, dass im Himalaja ein weißer Elefant in sie hineindrang, was 46 Brahmanen als ein Zeichen der zukünftigen Größe erläuterten. In Hesses Siddhartha nimmt Govinda die Rolle des Weissagers auf sich: „Govinda wußte: dieser wird kein gemeiner Brahmane werden, kein fauler Opferbeamter, kein habgieriger Händler mit Zaubersprüchen, kein eitler, leerer Redner, kein böser, hinterlistiger Priester, und auch kein gutes, dummes Schaf in der Herde der Vielen.“215 Wiederum betont Hesse mittels der Anapher von „kein“ stilistisch, was Siddhartha nicht sein wird. Die Gedanken Govindas erinnern an die Weise, worauf Jesus über die Pharisäer sprach und sie als Heuchler abwertete. Auf die zukünftige Buddhaschaft Siddharthas wird am Anfang des Buches ebenfalls symbolisch verwiesen, weil Siddhartha „im Schatten des Feigenbaumes“216 aufwuchs, während der historische Buddha selber die Erleuchtung unter einer Pappelfeige erreichte. Die beiden brechen in der Tat resolut mit der Tradition des Elternhauses, um Erlösung in der Welt zu finden. Während Buddha mit 29 Jahren Frau und Kind verlässt, fängt die Verzweiflung Siddharthas schon in seiner Jugend an und er beschließt als junger Mann, Familie und Heimat zu verlassen, weil der Brahmanismus keine Antwort bietet: Die Waschungen waren gut, aber sie waren Wasser, sie wuschen nicht Sünde ab, sie heilten nicht Geistesdurst, sie lösten nicht Herzensangst. […] Aber wo waren die Brahmanen, wo die Priester, wo die Weisen oder Büßer, denen es gelungen war, dieses tiefste Wissen nicht bloß zu wissen, sondern zu leben?217 Die herrschende Unzufriedenheit mit dem dominanten Brahmanismus in der Zeit Buddhas wird in der Erzählung thematisiert und durch den Parallelismus betont. Während Buddha durch die Entdeckung des Leidens seine Suche anfing, um die Welt zu befreien, handelt 213 Die Brahmanen sind die oberste Kaste, die Kshatriya stehen auf dem zweiten, die Vaishyas (Händler und Grundbesitzer) auf dem dritten und die Shudras (Handwerker, Tagelöhner und Bauern) auf dem vierten Platz. Die sogenannten Parias oder Dalits sind aus dem Kastensystem ausgeschlossen (die sogenannten ‚untouchables‘). 214 Hesse: Siddhartha, S. 12. Die Wortwahl Hesses trägt zur orientalischen Atmosphäre des Buches bei. Siddharthas Vater erwartet einen ‚Weisen‘ und ‚Priester‘ und die Suche Siddharthas zielt auf ‚Weisheit‘. 215 Ebd. 216 Ebd., S. 11. 217 Ebd., S. 14-15. 45 Siddhartha also aus Mangel und Egoismus und hat seine persönliche Erleuchtung vor Augen.218 Hesse hat die orientalische Atmosphäre des Buches schon im ersten Kapitel stilistisch gestaltet. Siddhartha wächst in einer Priesterfamilie auf und lebt in einer paradiesischen Umwelt, wo der Brahmanismus im Zentrum steht: „Sonne bräunte seine lichten Schultern am Flußufer, beim Bade, bei den heiligen Waschungen, bei den heiligen Opfern.“219 Die Wortwahl Hesses steigert diese exotische Atmosphäre. So spielt Siddhartha nicht zufälligerweise im „Mangohain“220. Nicht nur das dichterische Wort „Hain“, sondern auch die exotische Mangofrucht verstärken die morgenländische Stimmung. Zugleich verwendet Hesse häufig theologische Begriffe der indischen Glaubenswelt, wie „Om“221, „Atman“222 und „Prajapati“223, wodurch die Lebensbeschreibung Siddharthas schließlich der Lebensbeschreibung eines Heiligen gleicht. So muten das Beharren Siddharthas gegen das Verbot des Vaters und sein Verlassen des Elternhauses hagiografisch an. Das Motiv erinnert unmissverständlich an das, was Christus im Evangelium nach Matthäus 19, 29 betont: „Und jeder, der um meines Namens willen Häuser oder Brüder, Schwestern, Vater, Mutter, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird dafür das Hundertfache erhalten und das ewige Leben gewinnen.“224 Sowohl Buddha als auch Siddhartha hoffen nach der Trennung durch Askese die Erlösung zu finden und schließen sich Gruppen von Samanas an, um durch extreme Entsagung das Ich zu überwinden: „Wenn alles Ich überwunden und gestorben war, wenn jede Sucht und jeder Trieb im Herzen schwieg, dann mußte das Letzte erwachen, das Innerste im Wesen, das nicht mehr Ich ist, das große Geheimnis.“225 Über Buddha wird berichtet, er habe in dieser Periode nur ein Reiskorn und einen Tropfen Wasser pro Tag verzehrt. Harvey betont die rücksichtslose Härte, womit Buddha sein Ich loswerden wollte, wie sie im Suttapitaka beschrieben steht: He practised non-breathing meditations, though they produced fierce headaches, stomach pains, and burning heat all over his body. He reduced his food intake to a few drops of bean soup a day, till he became so emaciated that he could hardly stand and his 218 Laut Eisentraut manifestiert sich in dieser individuellen Motivation der Einfluss des europäischen Gedankenguts. 219 Hesse: Siddhartha, S. 11. 220 Ebd. 221 Ebd. 222 Ebd. 223 Ebd., S. 14. Prajapati gilt als Schöpfergott in der vedischen Mythologie. 224 Die Bibel in der Einheitsübersetzung. Universität Innsbruck. http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/mt19.html (abgerufen am 16.05.14). 225 Hesse: Siddhartha, S. 24. 46 body hair fell out. At this point, he felt that it was not possible for anyone to go further on the path of asceticism and still live.226 Die Legende sagt, Buddha sei so abgemagert gewesen, dass er, die Hand auf seinem Magen haltend, seine Finger um sein Rückgrat schließen konnte. Genauso wie Buddha, widmet Siddhartha sich der extremen Askese und „das Fleisch schwand ihm von Schenkeln und Wangen“227. Aber wie stark Siddhartha und Buddha es auch versuchen, die Askese bringt keine endgültige Lösung für das Problem, weil das Ich sich immer wieder manifestiert: Ob Siddhartha tausendmal dem Ich entfloh, im Nichts verweilte, im Tier, im Stein verweilte, unvermeidlich war die Rückkehr, unentrinnbar die Stunde, da er sich wiederfand, im Sonnenschein oder im Mondschein, im Schatten oder im Regen, und wieder Ich und Siddhartha war, und wieder die Qual des auferlegten Kreislaufes empfand.228 Wie Buddha, sieht Siddhartha ein, dass die Qual des Samsara durch Askese nicht vernichtet werden kann. Sie beschließen deshalb, die Samanas zu verlassen und stoßen dadurch beide auf Feindseligkeit. Die Gefährten des Buddha sahen die Entscheidung als Verrat, wie Harvey verdeutlicht: „When Gotama took sustaining food to prepare himself for attaining jhāna, his five companions in asceticism shunned him in disgust, seeing him as having abandoned their shared quest and taken to luxurious living.”229 Der Älteste der Samanas reagiert genauso zornig, als Siddhartha und Govinda ihren Entschluss mitteilen: „Der Samana aber geriet in Zorn, daß die beiden Jünglinge ihn verlassen wollten, und redete laut und brauchte grobe Schimpfworte.“230 An dieser Stelle manifestiert sich eine weitere Ähnlichkeit zwischen Siddhartha und Buddha. Als Reaktion auf seine Wut stellt Siddhartha sich vor den Samana auf und „mit gesammelter Seele, fing er den Blick des Alten mit seinen Blicken ein, bannte ihn, machte ihn stumm, machte ihn willenlos, unterwarf ihn seinem Willen, befahl ihm, lautlos zu tun, was er von ihm verlangte“231. Der alte Samana ist „machtlos“ Siddharthas „Bezauberung“ erlegen und „so verneigte sich der Alte mehrmals, vollzog segnende Gebärden, sprach stammelnd einen frommen Reisewunsch“232. Die Szene erinnert an ein Attentat auf Buddha selbst, der laut einer Legende im Vinayapitaka dieselbe Zauberkraft demonstrierte. Buddhas Vetter, 226 Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 19. Hesse: Siddhartha, S. 23. 228 Ebd., S. 26. 229 Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 20. Jhāna ist Sanskrit und bezeichnet einen höheren Bewusstseinszustand, der das Ich losgeworden ist. 230 Hesse: Siddhartha, S. 35. 231 Ebd., S. 36. 232 Ebd., S. 36. 227 47 Devadatta, war eifersüchtig und verlangte seine Position, weshalb er drei misslungene Attentate unternahm. Für das dritte Attentat schickte er „the fierce man-killing elephant Nālāgiri“233, aber Buddhas Zauberkraft war stärker, wie Harvey verdeutlicht: „As the elephant charged, the Buddha calmly stood his ground and suffused the elephant with the power of his lovingkindness, so that it stopped and bowed its head, letting the Buddha stroke and tame it.”234 Aber die Bezauberung des alten Brahmanen ist nicht die einzige Verweisung auf das Leben des Buddha. Hesse hat eine weitere Anspielung auf den legendären Stoff des PaliKanons in die Erzählung eingewoben. Oldenberg berichtet, wie der Jüngling Sâriputta eines Tages Assaji, einen Schüler Buddhas, auf der Straße sieht und sofort erkennt, dass er erleuchtet ist, weil er „ruhig und voll Würde, mit gesenktem Blick“235 läuft. Als Sâriputta Assaji anspricht, ist sein erster Satz: „Deine Miene, Freund, ist hell, deine Farbe ist rein und klar.“236 Wie Sâriputta, erkennt Siddhartha sofort, dass Buddha, „der sich in nichts von den Hunderten der Mönche zu unterscheiden schien“237, erleuchtet ist: „Siddhartha sah ihn, und er erkannte ihn alsbald, als hätte ihm ein Gott ihn gezeigt.“238 Nicht zufälligerweise teilen Assaji und Buddha die gleichen Züge: Aber sein Gesicht und sein Schritt, sein still gesenkter Blick, seine still herabhängende Hand, und noch jeder Finger an seiner still herabhängenden Hand sprach Friede, sprach Vollkommenheit, suchte nicht, ahmte nicht nach, atmete sanft in einer unverwelklichen Ruhe, in einem unverwelklichen Licht, einem unantastbaren Frieden.239 Die Beschreibung erinnert an die zahlreichen Abbildungen des Buddha, der mit geschlossenen Augenlidern in vollkommener Ruhe zu sein scheint. Die anthropomorphe Beschreibung des Körpers des Buddha, der in einer synästhetisch anmutenden Einheit in „Ruhe“, „Licht“ und „Frieden“ atmet, bewirkt eine stilistische Intensivierung seiner Züge. Die ‚Erleuchtung‘ wird wörtlich mit Licht und Klarheit verbunden und Hesse betont, dass in der Gestalt des Buddha „nur Licht und Frieden“240 strahlt. Das Licht wird also, im Sinne der „conceptual metaphor“ Lakoff und Johnsons, mit der ‚Wahrheit‘ gleichgesetzt.241 233 Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 25. Ebd., S. 25-26. 235 Oldenberg: Buddha. Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde, S. 136. 236 Ebd. Oldenberg hat die Geschichte aus der Inschrift von Bairat, die unter Ashoka entstand, übersetzt. 237 Hesse: Siddhartha, S. 39. 238 Ebd. Der Topos findet sich in der Legendenbildung um Jeanne d’Arc, „l‘envoyée de Dieu“, wieder. Als Jeanne in Chinon ankommt, erkennt sie den Dauphin Karl VII., der einfach gekleidet unter seinen Hofbeamten saß, unmittelbar. 239 Ebd., S. 40. 240 Ebd. 241 Vgl. George Lakoff und Mark Johnson: Metaphors we live by. Chicago: University of Chicago Press 1980. 234 48 Nach der Begegnung mit Buddha selber hören die Parallelen zwischen den Lebensläufen auf. Siddhartha nimmt im Gespräch mit Buddha explizit Abstand von seiner Lehre, weil sie ihm, nach eigener Angabe, nicht weiterhelfen kann: Und – so ist mein Gedanke, o Erhabener – keinem wird Erlösung zuteil durch Lehre! […] Dies ist es, weswegen ich meine Wanderschaft fortsetze – nicht um eine andere, eine bessere Lehre zu suchen, denn ich weiß, es gibt keine, sondern um alle Lehren und alle Lehrer zu verlassen und allein mein Ziel zu erreichen oder zu sterben.242 Siddhartha entfernt sich so, nachdem er die Lehre der vier edlen Wahrheiten und des achtfachen Pfades gehört hat, von allen Lehren und Lehrern, um seinen eigenen Weg zu finden, in derselben Weise, wie der historische Buddha es tat. Obwohl Siddhartha resolut mit Buddha und seiner Lehre bricht, tauchen buddhistische Elemente im weiteren Verlauf der Erzählung auf. Sie manifestieren sich hauptsächlich in buddhistisch geprägten Symbolen. Die zwei auffallendsten Symbole, der Vogel und die Schlange, gehören zur indischen Tiersymbolik. Der Vogel taucht im Buddhismus als Symbol der Wiedergeburt auf, weil das Tier „durch das Ei und aus dem Ei“243 zweimal geboren wird, wie Herforth verdeutlicht. Der bekannteste mythologische Vogel ist der sogenannte Garuda, wie Robert Beer in seinem Handbuch zur buddhistischen Symbolik zeigt: „Garuda, the ‚Devourer‘, is the mythical lord of the birds in both the Hindu and Buddhist traditions.“244 Garuda, der halb Mensch und halb Adler ist, fungiert in der Mythologie zugleich als Götterbote, was Hesse im Vogeltraum literarisch verarbeitet hat. Siddhartha begegnet während eines Traumes einem Vogel, der ebenfalls eine symbolische Funktion erfüllt. Der Singvogel Kamalas, „der sonst stets in der Morgenstunde sang“245, ist stumm geworden, weil er tot im Käfig liegt. Als Siddhartha es bemerkt, nimmt er das Aas in seine Hand und wirft es auf die Straße. Er erschreckt vor seiner eigenen Tat und fühlt sich „so, als habe er mit diesem toten Vogel allen Wert und alles Gute von sich geworfen“246. Der Traum symbolisiert die vernachlässigte Suche nach Erlösung und das Sterben seiner inneren Stimme, die „Weiter! Weiter! Du bist berufen!“247 rief. Die Konfrontation mit seiner Vernachlässigung ist für Siddhartha zugleich Anlass zur Wiederaufnahme seiner Suche. Hesse vertieft im Siddhartha so eine Metapher, die er schon im Demian entwickelt hat. Dort sieht Sinclair das Ausbrechen des Vogels als Symbol für 242 Hesse: Siddhartha, S. 47-48. Herforth: Königs Erläuterungen, S. 54. 244 Robert Beer: The Handbook of Tibetan Buddhist Symbols. Illinois: Serindia 2003, S. 74. 245 Hesse: Siddhartha, S. 99. 246 Ebd., S. 100. 247 Ebd., S. 101. 243 49 seine Suche nach Sinn: „Der Vogel kämpft sich aus dem Ei. Das Ei ist die Welt. Wer geboren werden will, muß eine Welt zerstören.“248 Die Schlange ist einerseits das indische Symbol des Todes und andererseits der Wiedergeburt, weil das Tier durch die Häutung symbolisch erneut geboren wird. Die buddhistische und hinduistische Tradition repräsentiert sie als das göttliche Wesen Naga, das aus dem indischen Schlangenkultus stammt, wie Beer verdeutlicht: „The nagas are the serpent-spirits that inhabit the underworld. They have their origin in the ancient snake cults of India, which probably date back to the early Indus valley civilization.”249 Die Gestalt des Naga wurde früh in die buddhistische Lehre integriert und laut der Legende empfing Nagarjuna das Prajnaparamita-Sutra des Mahayana von einer Schlange. Das Tier hat nicht nur, wie in der abendländischen Tradition, rein negative Eigenschaften. Im Abendland taucht die Schlange in der Bibel als Verführer der Frau auf. Schon im Buch Genesis 3,1 wird das Tier folgendermaßen charakterisiert: „Die Schlange war schlauer als alle Tiere des Feldes, die Gott, der Herr, gemacht hatte.“250 In der Offenbarung des Johannes 12,9 wird der Teufel selbst als Schlange benannt, was wiederum die rein negative Bedeutung des Kriechtiers betont: „Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt.“251 Im Morgenland hat das Tier dagegen sowohl einen negativen als auch einen positiven Ruf. Im Udāna, einer Schrift des Pali-Kanons, steht wie Mucalindo, der König der Naga, das Leben des Buddha gerettet hat, während dieser nach seiner Erleuchtung 4 Wochen ununterbrochen meditierte. Während dieser Zeit brach ein schreckliches Gewitter aus und Mucalindo schützte Buddha, indem er seine Haube über den Meditierenden ausstreckte und ihn mit seinen Windungen umschlang.252 Hesse hat die Schlange ebenso ambivalent abgebildet. Das Tier repräsentiert einerseits den Tod, indem „eine kleine schwarze Schlange“253 Kamala tödlich beißt, während die Folgen dieses Bisses andererseits indirekt Weisheit für Siddhartha verschaffen. Als Kamala stirbt und Siddharthas Sohn gegen seinen Willen mit ihm leben muss, muss Siddhartha schließlich lernen, alles Weltliche loszulassen und die Trennung von seinem Sohn zu akzeptieren, wonach er die Erleuchtung erreicht. 248 Hermann Hesse: Demian. Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend. Berlin: Fischer 1949, S. 125-126. Beer: The Handbook of Tibetan Buddhist Symbols, S. 72. 250 Die Bibel in der Einheitsübersetzung. Universität Innsbruck. http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/gen3.html (abgerufen am 16.05.14). 251 Ebd. http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/offb12.html (abgerufen am 16.05.14). 252 Vgl. Gerhardt Staufenbiel: Heilige Drachen. Alte Welt – Indien – China. Band 1. Hamburg: Tredition 2012. 253 Hesse: Siddhartha, S. 133. 249 50 Aber nicht nur die Tiere haben einen symbolischen Wert. Wie der Vogel und die Schlange, hat das Lächeln des Buddha eine symbolische Bedeutung, die im Pali-Kanon beschrieben steht und im Mahayana betont wird. Im Sukhāvatīvyūha-Sutra254 wird beispielsweise erzählt, wie das Lächeln aller Buddhas mit dem Auftreten von Licht einhergeht und als Symbol für die Erleuchtung verstanden wird.255 Laut der Legende sollte der historische Buddha immer milde gelächelt, aber nie in seinem Leben laut gelacht haben. Das ruhige und gelassene Lächeln des Buddha ist nicht zufälligerweise ein typisches Merkmal der buddhistischen Kunst. Hesse hat dieses Merkmal in seiner indischen Dichtung literarisch verarbeitet. Als Siddhartha und Govinda den historischen Buddha sehen, scheint dieser „leise nach innen zu lächeln“, „still“ und „ruhig“256. Als Siddhartha seine Kritik an der Lehre übt, sieht Buddha ihn beständig mit „halbem Lächeln, mit einer unerschütterten Helle und Freundlichkeit“257 an und beeindruckt den jungen Siddhartha damit tief: „So habe ich noch keinen Menschen blicken und lächeln, sitzen und schreiten sehen, dachte er, so, wahrlich, wünsche auch ich blicken und lächeln, sitzen und schreiten zu können, so frei, so ehrwürdig, so verborgen, so offen, so kindlich und geheimnisvoll.“258 Die Eigenschaften, die als Oxymora durch die Anapher von „so“ miteinander in Verbindung stehen, betonen die Kraft des Lachens, das zugleich „verborgen“ und „offen“ ist. Siddharthas Wunsch geht in Erfüllung und am Ende der Geschichte lächelt auch er, nachdem er die Erleuchtung erreicht hat, wie der historische Buddha es einst tat, was Govinda mit Erstaunen sieht: Und, so sah Govinda, […] dies Lächeln Siddharthas war genau dasselbe, war genau das gleiche, stille, feine, undurchdringliche, vielleicht gütige, vielleicht spöttische, weise, tausendfältige Lächeln Gotamas, des Buddha, wie er selbst es hundertmal mit Ehrfurcht gesehen hatte. So, das wußte Govinda, lächelten die Vollendeten.259 Das Lachen ist eine beliebte Metapher Hesses. Nicht nur im Siddhartha, sondern auch im Steppenwolf fungiert der Ausdruck als Symbol für Weisheit und Vollendung. Nicht zufälligerweise weist Pablo, der Begleiter Harrys, darauf hin, dass er im magischen Theater lachen „wie die Unsterblichen“260 lernen soll: „Sie sind hier in einer Schule des Humors, Sie 254 Schlüsseltext des sogenannten Amitabha-Buddhismus, eines Zweiges des Mahayana, der Buddha Amitabha als Gottheit verehrt. 255 Vgl. Claudia Weber: Die Lichtmetaphorik im frühen Mahāyāna-Buddhismus. Wiesbaden: Harrassowitz 2002, S. 64-69. 256 Hesse: Siddhartha, S. 39. 257 Ebd., S. 49. 258 Ebd. 259 Ebd., S. 176. 260 Hermann Hesse: Der Steppenwolf. Berlin: Suhrkamp 2013, S. 228. 51 sollen lachen lernen.“261 Das Lachen verneint die Realität des Lebens und findet in diesem Sinne seinen Ursprung im Bhagavad-Gita, wie Margherita Versari, Professorin für Germanistik in Bologna, verdeutlicht: È un insegnamento non lontano dalla saggezza contenuta nella Bhagavad Gītā, testo amato da Hesse, che contiene l’invito a non iperavvalorare la storia, [...] Più che invitarci a rinunciare alla storia, il messaggio della Bhagavad Gītā ci rivela il pericolo dell’idolatria della storia.262 Das Lachen ist das Zeichen, dass der Welt keine absolute Bedeutung zugeschrieben wird. Der Irrtum ist nicht das Leben in der Welt, sondern das Glauben an dessen Realität, denn „l’ignoranza e l’illusione non consistono nel vivere nella storia, ma nel credere alla realtà ontologica della storia“263. Das Lachen ist so zugleich ein ironisches Lachen über sich selbst und über die eigene Anwesenheit in der Welt. Die Entsagung der Welt, die das Lachen symbolisiert, war im Mitteleuropa der zwanziger Jahre nicht erstaunlich. Der Germanist Heribert Kuhn führt die damaligen naturwissenschaftlichen Entdeckungen als Grund für die Suche nach Entsagung an. Sie verursachten, laut Kuhn, den sogenannten ‚Röntgen-Schock‘: Nicht nur die X-Strahlen, sondern auch die medialen Veränderungen, wie die Kinematographie und die Phonographie, verstörten das europäische Bewusstsein. Die Naturwissenschaftler lösten die sichtbare Welt in „Wellen, Strahlen und Ströme“264 auf und verstörten so das europäische Weltbild, wie Max Weber verdeutlicht: „Der Röntgen-Schock ließ Evidenzen und Sicherheiten schwinden. Der damit einhergehende naturwissenschaftliche Religionswissenschaftler nicht unbeeindruckt.“ 265 Paradigmenwechsel ließ auch Kuhn verweist in dieser Hinsicht auf die ‚Katastrophe des Sehens‘, wie Gilles Deleuze sie nannte: „Uralte Sicherheiten und Evidenzen lösten sich buchstäblich in Nichts auf.“266 Dieser Hintergrund war, so Kuhn, Anlass für die wachsende Orient-Begeisterung Mitteleuropas, weil die morgenländischen Weltanschauungen die Versöhnung zwischen 261 Hesse: Der Steppenwolf, S. 227. Margherita Versari: Un percorso iniziatico in Hermann Hesse. Dalla caduta alla seconda innocenza. Bologna: CLUEB 1999, S. 89. „Es ist eine Lehre, die nicht weit von der Weisheit der Bhagavad Gītā, eines beliebten Textes von Hesse, der die Einladung, die Geschichte nicht zu überschätzen, enthält, entfernt ist […] Nicht so sehr die Einladung, auf die Geschichte zu verzichten, sondern vielmehr die Gefahr der Idiolatrie der Geschichte ist die Botschaft der Bhagavad Gītā.“ [Übersetzung von mir, T.C.] 263 Versari: Un percorso iniziatico in Hermann Hesse, S. 89-90. „die Unwissenheit und die Illusion bestehen nicht im Leben in der Geschichte, sondern im Glauben an die ontologische Realität der Geschichte“ [Übersetzung von mir, T.C.] 264 Max Weber: Gesamtausgabe. Band 22, Teilband 2: Religiöse Gemeinschaften. Hg. v. Hans Kippenberg. Tübingen: Mohr Siebeck 2001, S. 48. 265 Ebd. 266 Heribert Kuhn: „Lebende Buddhas‘. Zur literaturgeschichtlichen Verortung von Hermann Hesses Siddhartha – Eine indische Dichtung“. In: Hermann Hesse: Siddhartha. Berlin: Suhrkamp 2013, S. 133. 262 52 Wissenschaft und naturwissenschaftliche Religion anboten: „Der Okkultismus hatte Konjunktur; Erkenntnisse und spiritistische Praktiken wurden nicht als gegensätzlich empfunden, sondern gerade in Künstlerkreisen zu bizarren neuen Deutungen versponnen.“267 Auf dieselbe Weise ermöglichte die ‚Katastrophe des Sehens‘ die Buddhismus-Begeisterung, weil der Buddhismus „ein äußerst ‚elastisches‘ imaginatives und intellektuelles System“268 zur Verfügung stellt, das die Auflösung des „Zeit- und Raumbewusstseins“269 im Zentrum stellt. Die wahrnehmbare Welt gilt im Buddhismus als Schleier und Illusion der indischen Göttin Maya und laut Kuhn bot die Lehre so die Synthese an, die die Mitteleuropäer suchten: „Es leuchtet ein, dass sich eine Lehre, welche die Negation der Erscheinungen zur Voraussetzung hat, im Europa der Jahrhundertwende als Antwort auf die ‚Katastrophe des Sehens‘ anbieten musste.“270 Der Buddhist war so imstande, die „Zumutungen der modernen Physik“271 als Bestätigungen der buddhistischen Lehre, „der ein stufenloser Übergang von kosmischen zu mikroskopischen Dimensionen selbstverständlich ist“272, zu sehen. Andererseits war, so Kuhn, der Erste Weltkrieg für die „Erschütterung der abendländischen Selbstgewissheit“273 verantwortlich. Der Buddhismus erlaubte die Flucht aus der Geschichte, weil sie als unbedeutender Teil der kosmischen Zeit gesehen wird: „Er konnte helfen, den verheerenden Krieg, der sich in kein abendländisches eschatologisches, also auf ein Heilsereignis hin ausgerichtetes Geschichtskonzept mehr sinnvoll einfügen ließ, in einem kosmischen Format aufzuheben.“274 3.2 Die Abweichung vom Ideal Während im ersten Abschnitt die buddhistischen und hinduistischen Einflüsse untersucht wurden, steht im Folgenden die Analyse der Abweichungen von dieser Tradition im Zentrum. Betrachtet wird, wie Siddhartha die Lehre des Buddha verwirft, um im dritten Teil anschließend zu untersuchen, wie Hesse ein eigenes, ‚westöstliches‘ Lebensideal entwirft. Siddharthas Abweichung vom buddhistischen Weg zur Erlösung manifestiert sich am deutlichsten, wenn sein Lebensweg mit der vierten ‚edlen Wahrheit‘ des achtfachen Pfades 267 Kuhn: „Lebende Buddhas“, S. 133. In dieser Zeit war nicht zufälligerweise die Theosophische Gesellschaft dominant. Vgl. 1.3: Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland. 268 Ebd. 269 Ebd. 270 Ebd., S. 134. 271 Ebd. 272 Ebd. 273 Ebd. 274 Ebd., S. 135. 53 verglichen wird. Um das Leiden loszuwerden, soll der Buddhist die acht Prinzipien des Rades des Gesetzes befolgen, was Siddhartha weitgehend vernachlässigt. Das erste Prinzip des rechten Glaubens oder der Einsicht in die vier edlen Wahrheiten, den Kern der buddhistischen Lehre, lehnt er im Gespräch mit Buddha explizit ab. Nicht, weil er die Lehre als unglaubwürdig oder falsch betrachtet, sondern weil er zur Einsicht kommt, dass auch er, wie der historische Buddha selber, nur durch Erfahrung zur Erlösung und Einsicht kommen kann: Du hast die Erlösung vom Tode gefunden. Sie ist dir geworden aus deinem eigenen Suchen, auf deinem eigenen Wege, durch Gedanken, durch Versenkung, durch Erkenntnis, durch Erleuchtung. Nicht ist sie dir geworden durch Lehre! Und – so ist mein Gedanke, o Erhabener – keinem wird Erlösung zuteil durch Lehre! Keinem, o Ehrwürdiger, wirst du in Worten und durch Lehre mitteilen und sagen können, was dir geschehen ist in der Stunde deiner Erleuchtung!275 Hesse hat Siddharthas Einsicht stilistisch betont. Die Wiederholung des Adjektivs „eigen“ betont, dass der Weg des Buddha sein persönlicher Weg war. Die Ausrufezeichen verstärken seine Stellungnahme, die in einer theologisch anmutenden Sprache formuliert ist. So taucht die Anrede „o Erhabener“ häufig im buddhistischen Kanon auf. Im Prajñāpāramita-Sūtra276 redet der Schüler Subhūti Buddha beispielsweise folgendermaßen an: „Subhūti sprach: ‚Wenn alle Gegebenheiten, o Erhabener, losgelöst und alle Gegebenheiten leer sind, wieso kommt es dann, o Erhabener, zur Vorstellung von einer Besudelung der Wesen, wieso kommt es, o Erhabener, zur Vorstellung von einer Läuterung der Wesen?“277 Siddhartha weiß, dass Buddha ein Erleuchteter ist und zweifelt nicht an der Stichhaltigkeit seiner Lehre, sondern an der Möglichkeit, die Erleuchtung sprachlich mitzuteilen: „Dies ist es, weswegen ich meine Wanderschaft fortsetze – nicht um eine andere, eine bessere Lehre zu suchen, denn ich weiß, es gibt keine, sondern um alle Lehren und alle Lehrer zu verlassen und allein mein Ziel zu erreichen oder zu sterben.“278 Die Unmöglichkeit, die Erleuchtung sprachlich zu gestalten und die Überzeugung Siddharthas, die Praxis und nicht die Lektüre sei wesentlich, scheint für das Buch selber widersprüchlich, weil Hesse gerade das versucht, was er als unmöglich darstellt. Aber während Siddhartha die Erleuchtung durch Erfahrung erreicht, ist er tatsächlich nicht imstande, sie Govinda wörtlich mitzuteilen: „Manche Gedanken waren es, aber schwer wäre es für mich, sie dir mitzuteilen.“279 Diese literarische Verarbeitung der Unmöglichkeit der Mitteilung hat Kuhn ebenfalls bemerkt: 275 Hesse: Siddhartha, S. 47. Das Prajñāpāramita Sūtra ist Teil des Mahayana und beinhaltet die höchsten Tugenden, die Bodhisattvas zu befolgen haben. 277 Zitiert nach: Erich Frauwallner: Die Philosophie des Buddhismus. Berlin: Akademie 2010, S. 99. 278 Hesse: Siddhartha, S. 48. 279 Ebd., S. 165. 276 54 „Erfahrung ist nicht lehrbar, lautet die Maxime. Siddharthas zur Weisheit führende Erfahrung kann dementsprechend nur behauptet und poetisch beschworen, nicht explizit formuliert werden. Letztlich bleibt offen, was Siddhartha geschah.“280 Die Überzeugung, ‚Weisheit‘ sei nicht mitteilbar, hat Hesse nicht nur literarisch gestaltet, sondern auch in seinen Briefen bestätigt. So schrieb er 1922 in einem Brief an Werner Schindler Folgendes: „Daß Weisheit nicht lehrbar sei, ist eine Erfahrung, die ich einmal im Leben versuchen mußte dichterisch darzustellen, der Versuch dazu ist Siddhartha.“281 Die privilegierte Position der Erfahrung hängt mit dem damaligen Zeitgeist zusammen. Kuhn argumentiert, dass der Erste Weltkrieg die Kategorie ‚Erfahrung‘ zerstört hat und beruft sich dafür auf Walter Benjamins Essay Der Erzähler282. Benjamin behauptet, dass die Kategorie ‚Erfahrung‘ mit der Möglichkeit des Erzählens zusammenhängt. Der Verlust des Erzählvermögens bewirkt so, laut Benjamin, das Verschwinden der Erfahrung, weil sie nicht als Erzählung weitergegeben werden kann. Der industrialisierte Krieg war, so Benjamin, die Ursache für den Verlust des Erzählvermögens. Laut Kuhn hat Hesse das Problem gelöst, indem er eine psychoanalytische Kur bei Carl Gustav Jung als ‚Erfahrung‘ bekam: Verallgemeinernd kann man feststellen, dass Hesse in der Krise gesellschaftlicher Erfahrung die verschwundene ‚Weisheit‘ durch psychoanalytische Therapie und Introspektion substituierte. Oder auf Benjamins Erzähltheorie bezogen: Das nicht mehr gelingende auf ‚Erfahrung‘ basierende Erzählen wurde abgelöst durch die ‚Gesprächstherapie‘.283 Siddharthas Verlassen der Lehre ist zugleich ein Verlassen des achtfachen Pfades, was sich während seiner Zeit als Händler in der Stadt manifestiert. Das zweite Prinzip der rechten Gesinnung wird während dieser Zeit bald gebrochen. Während Siddhartha sich am Anfang seinen Geschäften gegenüber gleichgültig benimmt, empfindet er allmählich Groll und Hass und verliert seine friedliche Gesinnung: „Siddhartha verlor die Gelassenheit bei Verlusten, er verlor die Geduld gegen säumige Zahler, verlor die Gutmütigkeit gegen Bettler, verlor die 280 Kuhn: „Lebende Buddhas“, S. 140. In: Michels: Materialien, Band 1, S. 150. Hesse greift damit auf den Topos der Undarstellbarkeit, der schon bei Plinius dem Älteren auftaucht, zurück. Im 19. Jahrhundert wies der Topos in der Romantik auf Phänomene, die so unfassbar sind, dass sie nicht durch Kunst darstellbar sind, hin. In der christlichen Mystik um 1900 wies er auf die Unsagbarkeit und Undarstellbarkeit Gottes hin. Der Topos stand im 20. Jahrhundert ebenfalls im Zentrum der Sprachphilosophie, wo Wittgenstein die Sprachphilosophie der Unsagbarkeit schuf, während Derrida genau das Gegenteil behauptete. (Vgl. Frank Habermann: Literatur / Theorie der Unsagbarkeit. Würzburg: Ergon 2012.) Mit Adorno fing der Topos an, die Undarstellbarkeit des Holocaust zu bezeichnen. (Vgl. Sabine Sander: Der Topos der Undarstellbarkeit. Ästhetische Positionen nach Adorno und Lyotard. Nürnberg: Filos 2008.) 282 Walter Benjamin: „Der Erzähler. Betrachtungen zum Werk Nikolai Lesskows“. In: Walter Benjamin: Gesammelte Schriften. Band II, 2. Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977, S. 438-465. 283 Kuhn: ‚Lebende Buddhas‘, S. 140-141. 281 55 Lust am Verschenken und Wegleihen des Geldes an Bittende.“284 Siddhartha vernachlässigt so die beiden Prinzipien der Weisheitsgruppe.285 Mit dem Verschwinden seiner Gelassenheit bricht Siddhartha zugleich das dritte Prinzip der rechten Rede, das erste der Sittlichkeitsgruppe. Als Händler fängt Siddhartha an, seinem Herrn Kamaswami in seinem Sprachgebrauch allmählich stärker zu gleichen. Während er diesen am Anfang noch beriet: „Laß das Schelten, lieber Freund! Noch nie ist mit Schelten etwas erreicht worden.“286, verliert Siddhartha allmählich häufiger selber die Geduld: „Es geschah, daß er ärgerlich und ungeduldig wurde, wenn Kamaswami ihn mit seinen Sorgen langweilte. Es geschah, daß er allzu laut lachte, wenn er im Würfelspiel verlor.“287 Je länger Siddhartha als Händler und ‚Kindermensch‘ lebt, desto mehr gleicht er diesen ‚Kindermenschen‘. So verletzt er auch das vierte Prinzip der rechten Tat. Obwohl Siddhartha kein Mörder oder Dieb ist, bricht er doch einen wichtigen Aspekt der rechten Tat, den Harvey als „wrong conduct in regard to sensual pleasures“288 beschreibt. Die sinnlichen Ausschweifungen Siddharthas sind doppelt. Einerseits widmet er sich der sinnlichen Liebe in seiner Beziehung zur Kurtisane Kamala, die er während seiner Jahre in der Stadt ununterbrochen besucht: „Immer aber kam er wieder zur schönen Kamala, lernte Liebeskunst, übte den Kult der Lust, bei welchem mehr als irgendwo Geben und Nehmen zu einem wird, plauderte mit ihr, lernte von ihr, gab ihr Rat, empfing Rat.“289 Andererseits sucht er einen sinnlichen Rausch im Würfelspiel, das er immer heftiger und häufiger treibt und „hoch und schonungslos“290 spielt. Die Angst, hohe Verluste zu leiden, verschafft einen Rausch, den Siddhartha immer erneut sucht: Jene Angst, jene furchtbare und beklemmende Angst, welche er während des Würfelns, während des Bangens um hohe Einsätze empfand, jene Angst liebte er und suchte sie immer zu erneuern, immer zu steigern, immer höher zu kitzeln, denn in diesem Gefühl allein noch fühlte er etwas wie Glück, etwas wie Rausch, etwas wie erhöhtes Leben inmitten seines gesättigten, lauen, faden Lebens.291 Hesse betont die Intensität seiner Angst und seines Rausches durch die dreifache Wiederholung von „immer zu“ und „etwas wie“. Siddhartha erneuert die Angst nicht nur, sondern steigert sie immer höher, um „etwas“ zu fühlen, das Glück, Rausch oder „erhöhtes Leben“ ist. Inmitten dieses Liebes- und Spielrausches bricht Siddhartha ebenfalls das fünfte 284 Hesse: Siddhartha, S. 96. Vgl. 1.2: Leben und Lehre Buddhas. 286 Hesse: Siddhartha, S. 83. 287 Ebd., S. 94. 288 Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 82. 289 Hesse: Siddhartha, S. 88. 290 Ebd., S. 96. 291 Ebd. 285 56 Prinzip des rechten Lebens. Für Buddhisten war es streng verboten, Fleisch oder Rauschmittel zu verzehren oder zu verkaufen. Obwohl Siddhartha am Anfang die Regeln respektiert und weder Fleisch noch Alkohol zu sich nimmt, übertritt er schließlich die zwei Verbote: „Er hatte gelernt, zart und sorgfältig bereitete Speisen zu essen, auch den Fisch, auch Fleisch und Vogel, Gewürze und Süßigkeiten, und den Wein zu trinken, der träge und vergessen macht.“292 Siddharthas Vernachlässigung der Sittlichkeitsgruppe ist zugleich ein Übertreten der fünf sogenannten Silas oder Tugendregeln, die Mord, Diebstahl, Sex, Lügen und Rausch verbieten. Siddhartha ignoriert nicht nur die Weisheits- und Sittlichkeitsgruppe, sondern auch die drei Prinzipien der Meditationsgruppe. Die Übertretung des sechsten Prinzips des rechten Strebens hängt mit der Vernachlässigung der rechten Rede zusammen. Statt „the arising of unwholesome states“293 zu vermeiden, spürt Siddhartha schließlich Gefühle wie Lust und Habsucht, wie im Buch verdeutlicht wird: „Die Welt hatte ihn eingefangen, die Lust, die Begehrlichkeit, die Trägheit, und zuletzt auch noch jenes Laster, das er als das törichteste stets am meisten verachtet und gehöhnt hatte: die Habgier.“294 Zugleich geht das siebte Prinzip des rechten Gedenkens verloren, weil Siddhartha, statt mit „right mindfulness“295 sein Bewusstsein zu spüren, gerade für dieses Bewusstsein zu fliehen versucht, als es sich manifestiert: Und so oft er aus dieser häßlichen Bezauberung erwachte, so oft er sein Gesicht im Spiegel an der Schlafzimmerwand gealtert und häßlicher geworden sah, so oft Scham und Ekel ihn überfielen, floh er weiter, floh in neues Glücksspiel, floh in Betäubungen der Wollust, des Weines, und von da zurück in den Trieb des Häufens und Erwerbens. In diesem sinnlosen Kreislauf lief er sich müde, lief er sich alt, lief sich krank.296 Hesse verleiht seinen Worten erneut Nachdruck durch die Anapher von „so oft“, „floh“ und „lief“, während am Ende des Zitats der Parallelismus die Folgen seines Handelns betont. Die Alliteration von „der Wollust“ und „des Weines“ betont zugleich die „Betäubungen“, die Siddhartha sucht. Der Held verliert sich so im Kreislauf des Samsara und kann das rechte Sichversenken, das dritte Prinzip der Meditationsgruppe und das Ziel des achtfachen Pfades, unmöglich erreichen, weil er sich gerade im entgegengesetzten Zustand befindet. Bis der Vogeltraum Erwachung bringt und die Stimme aus seinem Inneren erneut „Weiter! Weiter! 292 Hesse: Siddhartha, S. 93. Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 83. 294 Hesse: Siddhartha, S. 95. 295 Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 83. 296 Hesse: Siddhartha, S. 97. Das Zitat kann zugleich als europäische Kulturkritik gelesen werden. 293 57 Du bist berufen!“297 schreit, ist Siddhartha weit vom buddhistischen Meditationsideal entfernt, das Harvey als „states of calm, peace and mental clarity“298 umschreibt: Tief war er in Sansara verstrickt, Ekel und Tod hatte er von allen Seiten in sich eingesogen, wie ein Schwamm Wasser einsaugt, bis er voll ist. Voll war er von Überdruß, voll von Elend, voll von Tod, nichts mehr gab es in der Welt, das ihn locken, das ihn freuen, das ihn trösten konnte.299 Wiederum spielt Hesse mit dem Parallelismus und der Anapher von „voll von“ und „das ihn“, um der Aussage Kraft zu verleihen. Siddhartha sehnt sich schließlich nach dem Tod und versucht sich zu ertränken, als aus „entlegenen Bezirken seiner Seele“300 das heilige Om der Brahmanen erklingt, wodurch er die „Torheit seines Tuns“301 einsieht und auf seiner Suche nach Erleuchtung weitergeht.302 Die gleichen rhetorischen Figuren, wie die Anapher und der Parallelismus, tauchen nicht zufälligerweise immer wieder auf. Hesse hat die lyrische Sprache des Siddhartha zielbewusst geschaffen, um so die orientalische Atmosphäre des Buches zu verstärken. Helmut Winter hat darauf als erster Forscher hingewiesen und Hesses Stil in seiner Untersuchung als „Wortzauber“ und als „atmosphärische Anreicherung des ‚Weges nach Innen“303 umschrieben. Winter hat ebenfalls die liturgisch anmutende Sprache des Buches betont: „Das auffälligste ist die starke Rhythmisierung der Prosa. Die Wirkung, die dadurch entsteht, ist liturgisch, ritualistisch – man fühlt sich an die Sprache der Bibel erinnert.“304 Im ersten Teil ist so, laut Winter, der „Rhythmus religiöser Litaneien“ 305 dominant, der sich in der Assonanz, wie zum Beispiel die Wortgruppen „im Schatten des Salwaldes“ 306 und „in seiner Mutter Brust“307 illustrieren, manifestiert. 297 Hesse: Siddhartha, S. 101. Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 84. 299 Hesse: Siddhartha, S. 104. 300 Ebd., S. 106. 301 Ebd. 302 Der Selbstmord ist ein umstrittenes Thema in der buddhistischen Forschung. Er gilt durchaus als ethisch verächtlich und verursacht die Wiedergeburt im Samsara, darf aber in bestimmten Fällen verübt werden. Im Channovāda-Sutta im Pali-Kanon steht beschrieben, wie der schwerkranke aber erleuchtete Mönch Channa sich mit dem Schwert das Leben nimmt, um ins Nirvana einzutreten und keinen Rückfall seiner Erleuchtung zu leiden. Selbstmord ist also erlaubt, wenn nach der Tat die Wiedergeburt in einer höheren Daseinsform stattfindet und er nicht zu einer Verstrickung in Samsara führt, obwohl der Akt in der Realität resolut abgewertet wird. Vgl. Damien Keown: „Buddhism and Suicide: The Case of Channa“. In: Journal of Buddhist Ethics 3 (1996), S. 8-31. 303 Helmut Winter: Zur Indien-Rezeption bei E.M. Forster und Hermann Hesse. Heidelberg: Winter 1976, S. 153. 304 Ebd., S. 153-154. 305 Ebd., S. 154. 306 Hesse: Siddhartha, S. 11. 307 Ebd., S. 12. 298 58 Für die Wiederholungen hat, so Winter, Karl Eugen Neumann308, dessen Schriften Hesse gelesen hatte, als Vorbild gedient, weil er schon „jene Überbetonung der Parataxe, der asyndetischen Reihung und jener intensive Gebrauch des Parallelismus“309 betonte. Tatsächlich ist die stilistische Ähnlichkeit zwischen Neumanns Übersetzung und Hesses Siddhartha offensichtlich, wie beispielsweise das folgende Zitat aus Neumanns Die Reden Gotamo Buddhos illustriert: Gewiss nicht, o Herr! Die Bande, o Herr, womit dieser Mann gebunden vermag viele Haufen Goldes zu lassen, viele Massen Getreides zu lassen, viele Felder und Wiesen zu lassen, viele Häuser und Höfe zu lassen, viele Schaaren von Frauen zu lassen, viele Schaaren von Dienern zu lassen, viele Schaaren von Dienerinnen zu lassen und, mit geschorenem Haar und Barte, mit fahlem Gewande bekleidet, aus dem Hause in die Hauslosigkeit hinauszuziehn, das sind ja für ihn keine festen Bande, sind schwache Bande, faule Bande, haltlose Bande.310 Der Parallelismus von Objekt und Verb und die asyndetische Wiederholungstechnik sind überaus erkennbar und die Anrede „o Herr“311 taucht im Siddhartha ebenfalls auf. 3.3 Eine westöstliche Dichtung Der achtfache Pfad befindet sich in der Mitte zwischen extremer Askese und extremer Sinnlichkeit und bildet so „a middle way that avoids a life of pursuing either sense-pleasures or harsh asceticism“312, wie Harvey verdeutlicht. Der historische Buddha hatte die beiden Lebensweisen selber geprüft und war so zur Entdeckung des richtigen Weges gekommen. Als Siddhartha die Erleuchtung erreicht, hat auch er schon die zwei Stadien des Lebens des historischen Buddha durchlebt und abgelehnt. Aber statt mithilfe der buddhistischen Lehre die Erleuchtung zu suchen, lehnt Siddhartha auch die vier edlen Wahrheiten ab und sucht einen eigenen Weg, den Gellner als ‚westöstlich‘ definiert und dessen Züge im nächsten Abschnitt untersucht werden. Laut Gellner hat Hesse mit seiner indischen Dichtung eine Synthese der für sein Leben prägenden Einflüsse geschaffen und ist Siddhartha deshalb als „das Buch, in dem es erstmals zu der für Hesse fortan charakteristischen Synthese aus indischer Weltsicht, chinesischer 308 Vgl. 1.3: Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland. Winter: Zur Indien-Rezeption bei E.M. Forster und Hermann Hesse, S. 154. 310 Karl Eugen Neumann: Die Reden Gotamo Buddhos. Mittlere Sammlung. Band 2. München: Piper 1922, S. 236-237. 311 Vgl. Hesse: Siddhartha, S. 109. 312 Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 82. 309 59 Lebenshaltung und moderner Tiefenpsychologie kommt“313, zu verstehen. Hesse selber gesteht, Siddhartha sei sein Versuch gewesen, die verschiedenen Weltanschauungen in einer ökumenischen Synthese zu vereinen. So schrieb er 1958 im Vorwort zur persischen Ausgabe des Siddhartha: „Ich suchte das zu ergründen, was allen Konfessionen und allen menschlichen Formen der Frömmigkeit gemeinsam ist, was über den nationalen Verschiedenheiten steht, was von jeder Rasse und von jedem Einzelnen geglaubt und verehrt werden kann.“314 In der Idee der Synthese an sich manifestiert sich Hesses europäischer Einfluss. Die ersten Ansätze zur Synthese tauchen schon in Platons Schriften auf. Platon hat die griechische Dialektik, die mit Sokrates und seiner Frage-Antwort-Gesprächsführung anfing, als philosophische Forschungsmethode definiert. Die Dialektik führte laut Platon zur Erkenntnis der ‚Ideen‘. Das Ziel der sokratischen Gespräche, die oft in einer Aporie endeten, war die Synthese. Obwohl der Begriff durch Kant und Fichte erweitert wurde, hat Hegel die Idee der Synthese, mit der Hesse vertraut war, für die Philosophie bestimmt. In der Dialektik Hegels kamen die These und die Antithese in der Synthese zusammen, genauso, wie in Hesses Weltanschauung die Widersprüche zwischen seiner abend- und morgenländischen Weltsicht aufgehoben werden.315 Im Grunde zielte Hesse mit seiner Synthese auf die Versöhnung zwischen der Vita contemplativa und der Vita activa, zwischen der buddhistischen Weltentsagung und der taoistischen Weltbejahung.316 Die Versöhnung wird im Glasperlenspiel wieder betont, als Hesse seinen Protagonisten Ludi Josef Knecht über die beiden Lebensweisen Folgendes sagen lässt: „Wir sollen nicht aus der Vita activa in die Vita contemplativa fliehen, noch umgekehrt, 313 Gellner: Weisheit, Kunst und Lebenskunst, S. 112. Er schließt sich der Meinung von Karl-Josef Kuschel an. Vgl. Karl-Josef Kuschel: „China im Werk von Hermann Hesse und Bert Brecht“. In: Fu Jen Studies: Literature and Linguistics 22 (1989), S. 114. 314 In: Hermann Hesse. Gesammelte Werke in 12 Bänden. Band 11, S. 50. Europa geriet damals nicht umsonst in Religions- und Staatenkriege, wogegen Hesse einen kosmopolitischen Blick anbietet. 315 Die Idee der Synthese spiegelte sich in der europäischen Auffassung des Kolonialismus wider. 316 Der Begriff geht auf Aristoteles zurück, der in der Nikomachischen Ethik über das βιος θεορετικος, dessen lateinisches Pendant Vita contemplativa lautet, spricht. Unter der Voraussetzung, dass die Glückseligkeit oder εὐδαιμονία der höchste Zweck des Menschen sei, weil sie sich selbst Zweck oder τέλος τέλειον ist, definiert Aristoteles das βιος θεορετικος oder das denkende Leben des Philosophen als die beste Lebensweise, um Glückseligkeit zu finden. (Vgl. Aristoteles und Roger Crisp: Nicomachean Ethics. Cambridge: Cambridge University Press 2011.) Benedikt von Nursia definierte den Begriff in der christlichen Tradition so um, dass er das mönchische Ideal des asketischen Eremiten bezeichnete, dessen Ziel die Einheit mit Gott als „Höhepunkt des betrachtenden Gebetes, durch lange Übung u. gesteigerte Gnadenhilfe erworben“ ist. (Karl Richstätter: „Beschauung (contemplatio)“. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Hg. v. Michael Buchberger. 2. Auflage. Freiburg im Breisgau: Herder 1931, S. 241.) Bei Hesse bezeichnet der Begriff also das mönchische, zurückgezogene Leben der indischen Weltanschauungen. Als Gegenstück der Vita contemplativa gilt die Vita activa, wo das christliche Ideal der Nächstenliebe als Grundlage gilt. Die Vita activa widmet sich deshalb dem Wohlsein des Mitmenschen und nimmt aktiv am gesellschaftlichen Leben teil. 60 sondern zwischen beiden wechselnd unterwegs sein, in beiden zuhause sein, an beiden teilhaben.“317 Laut Gellner hing die Schaffenskrise des Siddhartha unmittelbar mit dieser Opposition zusammen. Im Sommer des Jahres 1920 brach Hesse das Schreiben ab, als Siddhartha die ‚Kindermenschen‘ endgültig verlassen hat, um erneut Erlösung zu suchen. Der Grund war, laut Gellner, die Unmöglichkeit für Hesse, die beiden Lebensweisen zu versöhnen: Doch scheiterte Hesse einstweilen an der Unmöglichkeit einer plausiblen konzeptionellen Synthese, in der die beiden bis zu diesem dramatischen Wendepunkt diesseits und jenseits des Flusses durchlaufenen Lebensstadien – Weltsucht einerseits und Weltflucht andrerseits, vita activa und vita contemplativa – zu einem lebenspraktischen Ausgleich hätten gebracht werden können.318 Nachdem Siddhartha als Brahmane und Samana der Vita contemplativa und als reicher Händler der Vita activa anhing, wollte Hesse eine Synthese der beiden schaffen, aber geriet stattdessen in eine künstlerische Krise. Den Ausweg fand er, laut Gellner, zwei Jahre später, als er sich wegen einer persönlichen Krise einer psychotherapeutischen Behandlung bei Carl Gustav Jung in Zürich unterzog.319 Nach eigener Angabe kam Hesse so zur Einsicht, dass die buddhistische „Wesenlosigkeit des Ich“320 mit der gesellschaftlichen Bejahung des chinesischen Taoismus zusammengehen muss. In einer 1921 publizierten Rezension über Oscar Schmitz Das Dionysische Geheimnis321 sagte Hesse über das Buch, es beinhalte gerade diese Synthese: „Auf dem Wege indischer Denkübungen wird zwar die buddhistische Einsicht in die Wesenlosigkeit des Ich erreicht, nicht aber der buddhistische Erlösungswille, sondern ein Darüberstehen, das zum Leben Ja sagt und nicht Nirvana, sondern Dauer wünscht.“322 Dieser synthetische Gedanke war gerade das, was Hesse mit seiner indischen Dichtung ausdrücken wollte: „Wie sehr dieser Gedanke unserer Zeit angehört, wurde mir klar, als ich plötzlich bemerkte, daß die hier geschilderte Synthese nichts anderes ist als der Kerngedanke einer indischen Dichtung, an der ich selbst seit anderthalb Jahren arbeite.“ 323 Der Schlüssel zu dieser Einsicht war zweifach: Asiatische Philosophie einerseits und Psychoanalyse andererseits, „aus deren Zusammenklang sich die Sehnsucht nach einer Synthese aus östlicher 317 Hermann Hesse: Das Glasperlenspiel. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1971, S. 254. Gellner: Weisheit, Kunst und Lebenskunst, S. 109. 319 Jung und Hesse waren beide esoterisch und die Archetypenlehre hat Hesses Werk zweifellos beeinflusst. Vgl. Günter Baumann: Der archetypische Heilsweg: Hermann Hesse, C.G. Jung und die Weltreligionen. Rheinfelden: Schäuble 1990. 320 Michels: Materialien, Band 1, S. 132. 321 München: Müller 1921. 322 Michels: Materialien, Band 1, S. 132. 323 Ebd. 318 61 Entselbstungslehre und abendländischer Aktivität ergibt“324. Hesse interpretierte die Lehre des Taoismus so auf kultursynkretistische325 Weise als die Synthese seines morgenländischen Religionsverständnisses und seiner abendländischen psychoanalytischen Therapiesitzung. Durch die neue Einsicht wendete Hesse sich also der bejahenden Philosophie des Taoismus zu, die das Schlusskapitel des Siddhartha bestimmt hat, wie er in einem 1922 geschriebenen Brief an Stefan Zweig selber betont: „Mein Heiliger ist indisch gekleidet, seine Weisheit steht aber näher bei Lao Tse als bei Gotama.“326 Während die indischen Einflüsse im ersten Abschnitt dieses Kapitels untersucht wurden, steht deshalb im Folgenden die Frage im Zentrum, wo die chinesisch-taoistischen und die europäisch-christlichen Elemente sich manifestieren, um so die ‚westöstliche‘ Synthese des Siddhartha zu analysieren. Der taoistische Einfluss schimmert schon in Siddharthas Überzeugung, Weisheit sei nicht mitteilbar, durch. Lao Tse selber betonte die Unmöglichkeit, die Wahrheit seiner Lehre mitzuteilen und sprach in dieser Hinsicht im Tao Te King über die Notwendigkeit einer „Belehrung ohne Worte“327. Der letzte Aphorismus des Tao Te King bestätigt die Machtlosigkeit der Sprache unverhüllt: „Wahre Worte sind nicht schön, schöne Worte sind nicht wahr. Tüchtigkeit überredet nicht, Überredung ist nicht tüchtig. Der Weise ist nicht gelehrt, der Gelehrte ist nicht weise.“328 Chen Zhuangying, Germanist an der Universität Shanghai, weist darauf hin, dass Hesse die Unmöglichkeit, die ‚Weisheit‘ des Tao oder der Einheit mitzuteilen, auch latent gestaltet hat: „Besonders erwähnenswert ist der nonverbale Charakter der Lehre bei den Hesseschen Weisen, der ganz im Einklang mit dem taoistischen 324 Michels: Materialien, Band 1, S. 132. Der Synkretismus ist ein Phänomen, das man sowohl im Morgen- als auch im Abendland beobachtet. Der Buddhismus an sich war, in seiner Offenheit für andere Lehren, synkretistisch (Vgl. 1.1: Die Geschichte des Buddhismus). Im Westen taucht das Phänomen schon in der hellenistisch-römischen Kultur auf, wo griechische Philosophie, wie der Platonismus, und Mysterienkulte, wie die Orphik, sich mit orientalischen Kulten wie dem Kybele- und Isiskult und orientalischen Religionen wie dem Manichäismus vermischten. Der Synkretismus hat durchaus einen ungünstigen Ruf. Plutarch umschreibt das Verb συγκρητιζειν als „das von außen her erzwungene Zusammenhalten sonst feindlicher Menschen“. (Anton Antweiler: „Synkretismus“. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Hg. v. Michael Buchberger. 2. Auflage. Freiburg im Breisgau: Herder 1937, S. 945.) Im 17. Jahrhundert entstand der Synkretistenstreit, als Georg Calixt vergebens versuchte, die Katholiken, Lutheraner und Reformierten zu einen. Der Synkretismus bezeichnet also „in der Philosophie das unausgeglichene Gemenge von Systemen, in der Religionsphilosophie die Herübernahme wesensfremder Bräuche u. Lehren, in der Missionsmethode das Übertreiben der Akkomodation“ (Ebd.). 326 Michels: Materialien, Band 1, S. 173. 327 Richard Wilhelm: Tao Te King: das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Jena: Diederichs 1919, S. 48 (Nr. 43). Das Tao Te King oder Daodejing ist eine Sammlung von Aphorismen, im 4. Jahrhundert vor Christus entstanden, die Lao-Tse oder Laozi zugeschrieben wird und als Grundlage des Taoismus gilt. Über den Ursprung des Buches ist die Forschung sich nicht einig. Der Inhalt des Buches reagiert, grob gesprochen, gegen Armut und Gewalt und zielt auf Weltfrieden. Für die Übersetzung des Tao Te King ist die klassische Übersetzung von Richard Wilhelm angemessen, weil Hesse sie selber am liebsten benutzt hat. Vgl. Chen Zhuangying: „Hermann Hesse – ein vom taoistischen Gedankengut durchtränkter Geist“. In: Literaturstraße. Chinesisch-deutsches Jahrbuch für Sprache, Literatur und Kultur. Hg. v. Horst Thomé, Zhang Yushu et al. Würzburg: Königshausen & Neumann 2007, S. 220-223. 328 Wilhelm: Tao Te King, S. 86 (Nr. 81). 325 62 Gedanken ‚Belehrung ohne Worte‘ steht.“329 Die „Belehrung ohne Worte“ scheint widersprüchlich für einen literarischen Text, der genau die ‚Weisheit‘ als Thema hat, zu sein. Hesses Siddhartha ist in dieser Hinsicht als Bildungsroman und Beispiel eines erfolgreichen Lebensweges zu verstehen. Hesse zeigt, wie Siddhartha die Erleuchtung erreicht, aber formuliert nirgendwo die Einsichten einer Lehre. Tatsächlich sagt Siddhartha am Ende seinem Jugendfreund Govinda darüber: Die Worte tun dem geheimen Sinn nicht gut, es wird immer alles gleich ein wenig anders, wenn man es ausspricht, ein wenig verfälscht, ein wenig närrisch – ja, und auch das ist sehr gut und gefällt mir sehr, auch damit bin ich sehr einverstanden, daß das, was eines Menschen Schatz und Weisheit ist, dem andern immer wie Narrheit klingt.330 Siddhartha tritt so in Vasudevas Fußstapfen, der selber nicht zu sprechen oder zu denken, sondern nur zuzuhören versteht und Siddhartha ab der ersten Begegnung verdeutlicht, dass er als Lehrer nicht fungieren kann: „Ich kann dir das ‚andere‘ nicht sagen, o Freund.“331 Stattdessen verweist er Siddhartha an den Fluss, dessen „Stimme“332 er hören soll.333 Vasudeva vertritt so die Figur des taoistischen Weisen, was sowohl Gellner als auch Hsia betonen. Hsia äußert selbst die Vermutung, Vasudeva sei die Verkörperung Lao Tses selber: „Lao Tse scheint dem Weg Siddharthas zur Vollendung so sehr Pate gestanden zu haben, daß die Vermutung nicht von der Hand zu weisen ist, die Gestalt des Vasudeva sei ein Porträt Lao Tses.“334 Als Beweise führt Hsia die äußerlichen Ähnlichkeiten an. Lao Tse hat sich selbst, je nach Übersetzung, als einen Toren, Schwachsinnigen, Wirrkopf oder Idioten beschrieben.335 In Wilhelms Übersetzung stilisiert er sich folgendermaßen: „Nur ich bin so zögernd, […] wie ein Säugling, der noch nicht lachen kann, […] Ich habe das Herz eines Toren, so wirr und dunkel. […] [I]ch bin wie verschlossen in mir, […]“336 Das Porträt scheint mit sowohl Vasudevas als auch Siddharthas Gestalt übereinzustimmen. Als die beiden Männer die Erleuchtung erreicht haben und das neugierige Volk sie mustert, sieht es nicht die erhofften Weisen, sondern nur „zwei alte freundliche Männlein, welche stumm zu sein und etwas 329 Chen Zhuangying: „Hermann Hesse – ein vom taoistischen Gedankengut durchtränkter Geist“, S. 229. Hesse: Siddhartha, S. 169-170. Die Wortwahl Hesses ist kein Zufall. Wilhelm hat das Wort „Tao“ immer als „Sinn“ übersetzt, weswegen Hesse wahrscheinlich über den geheimen „Sinn“ spricht. 331 Ebd., S. 126. 332 Ebd., S. 127. 333 Gellner weist darauf hin, dass Siddhartha selber die Unmöglichkeit der Mitteilung erfährt. Wie er selber seinen Vater verlassen hat, beschließt auch sein Sohn, Siddhartha zu verlassen, um selber seinen Weg zu finden. Vgl. Gellner: Weisheit, Kunst und Lebenskunst, S. 115. 334 Hsia: Hermann Hesse und China, S. 246. 335 Vgl. Hsia: Hermann Hesse und China, S. 246-247. 336 Wilhelm: Tao Te King, S. 22 (Nr. 20). 330 63 sonderbar und verblödet schienen“337. Als zusätzlicher Beweis für die These gilt laut Hsia und Gellner, was Hesse am 2. Juni 1922 an Emmy Ball-Hennings schrieb: „Mein Siddhartha lernt seine Weisheit am Ende richtig nicht von einem Lehrer, sondern von einem Fluß, der so komisch rauscht, und von einem freundlichen alten Trottel, der immer lächelt und heimlich ein Heiliger ist.“338 Tatsächlich betonte Lao Tse, ein Vollendeter wirke wie ein Schwachsinniger, als er die Einheit des Tao erreicht hat. Aber das Motiv widerspiegelt zugleich die mitteleuropäische Seite der indischen Dichtung. Im Phaidros umschreibt Platon die Wirkung eines Philosophen auf ähnliche Weise und spricht in dieser Hinsicht über μανια. Im Gespräch zwischen Sokrates und Phaidros bemerkt Sokrates, dass der Philosoph, der die Wahrheit und das Göttliche sieht, auf das Volk einen wahnsinnigen Eindruck macht: Dies [die Idee der Wahrheit, T.C.] aber ist Erinnerung an jenes, was einst unsere Seele erblickte, als sie dem Zuge des Gottes folgte und hinwegschaute über das, was wir jetzt Sein nennen, das Haupt aufreckend in das Wirklich-Seiende. […] Der Mann allein, der solche Erinnerungen richtig anwendet, immerdar in vollkommene Weihen eingeweiht, wird endlich der wahrhaft Vollkommene. Tritt er aber aus der Bahn menschlicher Bestrebungen und wird dem Göttlichen hörig, so wird er von der Menge als wahnsinnig gescholten, denn daß er des Gottes voll ist, bleibt ihr verborgen.339 Am deutlichsten manifestiert der Taoismus sich im Siddhartha während der Gespräche zwischen Siddhartha und Vasudeva. Die Ratschläge Vasudevas sind taoistisch geprägt und enthalten nicht zufälligerweise Verweisungen auf das Tao Te King, wie sowohl Gellner als auch Eisentraut bemerken. Als Vasudeva zu Siddhartha sagt, es sei gut, „nach unten zu streben, zu sinken, die Tiefe zu suchen“340, kann die inhaltliche Ähnlichkeit mit Lao Tses 36. Aphorismus nicht verneint werden: Was du zusammendrücken willst, das mußt du erst richtig sich ausdehnen lassen. Was du schwächen willst, das mußt du erst richtig stark werden lassen. Was du vernichten willst, das mußt du erst richtig aufblühen lassen. Wem du nehmen willst, dem mußt du erst richtig geben.341 Lao Tse erläutert an dieser Stelle die beiden Seiten des Tao342, der höchsten absoluten Wahrheit, der ursprünglichen Einheit der Welt. Aus taoistischer Sicht besteht die Welt nur 337 Hesse: Siddhartha, S. 131. In: Michels: Materialien, Band 1, S. 156. 339 Platon: Phaidros oder Vom Schönen. Übertragen und eingeleitet von Kurt Hildebrandt. Stuttgart: Philipp 1994, S. 47-48. 340 Hesse: Siddhartha, S. 126. 341 Wilhelm: Tao Te King, S. 38 (Nr. 36). 342 Julian Pas definiert das Tao folgendermaßen: „Tao is reality, but reality understood as a continuous process of becoming, changing, beginning, and ending. […] All things are partial expressions of an eternal Tao: Tao brings them into existence, cares for them (gives them a chance to grow and mature), and lets them return to their origin.” (Julian Pas: Historical Dictionary of Taoism. London: The Scarecrow Press 1998, S. 309.) 338 64 augenscheinlich aus Gegensätzen, aus Yin und Yang. Das Tao ist die Ureinheit, die Yin und Yang vereint und deshalb zugleich als Ursprung und Versöhnung aller Gegensätze gilt. In diesem Sinne ist es für Siddhartha notwendig, die beiden Seiten des Kosmos kennenzulernen. Hesse hat selbst einige Zitate des Tao Te King wörtlich übernommen. Als die beiden Männer über die Erziehung Siddharthas Sohnes sprechen, bemerkt Vasudeva: „Du zwingst ihn nicht, schlägst ihn nicht, befiehlst ihm nicht, weil du weißt, daß Weich stärker ist als Hart, Wasser stärker als Fels, Liebe stärker als Gewalt.“343 Als die Aussage mit Lao Tses 78. Aphorismus verglichen wird, ist Hesses Quelle überaus deutlich: Auf der ganzen Welt gibt es nichts Weicheres und Schwächeres als das Wasser. Und doch in der Art, wie es dem Harten zusetzt, kommt nichts ihm gleich. Es kann durch nichts verändert werden. Daß Schwaches das Starke besiegt und Weiches das Harte besiegt, weiß jedermann auf Erden, aber niemand vermag danach zu handeln.344 Der Inhalt erinnert zugleich stark an die Bergpredigt Jesu. Statt Hass und Kampf, predigt Christus Liebe und Gewaltlosigkeit. So steht im Matthäus 5, 38-39 die berühmte Aussage geschrieben: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“345 Lao Tses Aphorismus erklärt zugleich, weshalb Siddharta sein ‚starkes‘ Leben als Brahmanen oder Händler verlassen muss, um als Fährmann zu arbeiten. Im Motiv des Fährmannes manifestiert sich zugleich der griechisch-europäische Einfluss der Dichtung. In der griechischen Mythologie verkörpert Charon, der die Toten über den Acheron in die Unterwelt fuhr, die Figur des Fährmannes. Hesse hat die Lehre des Taoismus dennoch nicht nur in der Figur Vasudevas verarbeitet, sondern auch in der Metapher des Flusses. Nicht nur Vasudeva, sondern auch der Fluss sind Verkörperungen des Tao, wie Hsia verdeutlicht: „Vasudeva ist die personifizierte, der Fluß die unpersönliche Verkörperung des Tao.“346 Hsia interpretiert das strömende Wasser des Flusses als „Inbegriff aller Wandlung“347, weil das Wasser zugleich „Wandlung und Dauer, Vielfalt und Einheit“348 ist. Das Wasser repräsentiert das Tao, weil es nur die Gegenwart kennt und laut Vasudeva „überall zugleich ist, am Ursprung und an der Mündung, am 343 Hesse: Siddhartha, S. 142. Wilhelm: Tao Te King, S. 83 (Nr. 78). 345 Die Bibel in der Einheitsübersetzung. Universität Innsbruck. http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/mt5.html (abgerufen am 18.05.14). 346 Hsia: Hermann Hesse und China, S. 240. 347 Ebd., S. 242. 348 Ebd., S. 243. 344 65 Wasserfall, an der Fähre, an der Stromschnelle, im Meer, im Gebirge, überall, zugleich“349. Der Fluss kennt weder Vergangenheit noch Zukunft und vereinigt so Yin und Yang. Die symbolische Bedeutung des Wassers hat Lao Tse selber betont: „Man kann das Verhältnis des Sinns zur Welt vergleichen mit den Bergbächen und Talwassern, die sich in Ströme und Meere ergießen.“350 Der Fluss ist aber zugleich ein abendländisches Symbol. Die Metapher des Flusses, der zugleich Wandlung und Dauer symbolisiert, hat Heraklit in seiner Philosophie betont. Heraklit formulierte die Metapher auf die berühmte Weise: „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“351 Seine Philosophie hat Platon mit der Formel πάντα ῥεῖ oder „alles fließt“ umschrieben, womit er, wie Lao Tse, zum Ausdruck bringt, dass das Sein als ewiger Wandel zu erfassen ist. Darüber hinaus spiegelt der Fluss die Synthese zwischen Vita activa und Vita contemplativa architektonisch wider. Der Germanist Theodore Ziolkowski spricht in dieser Hinsicht über die „geographische Parallele zur Struktur der Zeit“352. Siddhartha verbringt die ersten zwanzig Jahre seines Lebens als Brahmane auf der einen Seite des Flusses „im Reich des Geistes“353, während er sich die nächsten zwanzig Jahre auf der anderen Seite „im Reich der Natur und der Sinne“354 befindet. Dieser Dualismus zwischen Körper und Geist zeigt wiederum die europäische Seite des Siddhartha. Das sogenannte „Leib-Seele-Problem“, das sich die Frage nach der Trennung zwischen Körper und Geist stellt, findet seinen Ursprung im Christentum und bestand schon in der Antike, wie Sokrates in Platons Philebos illustriert, indem er Protarchos fragt: „Unser Körper, wollen wir nicht sagen, der habe eine Seele?“355 René Descartes formulierte das Problem des Dualismus, das seither der Schwerpunkt der ‚Philosophie des Geistes‘ ist, als erster. Im Jahre 1641 veröffentlichte er seine Meditationes de prima philosophia, in qua Dei existentia et animae immortalitas demonstratur356 und schuf die Teilung zwischen der res cogitans und der res extensa. Als res cogitans definiert Descartes das zweifelnde, denkende Ich, das bestehen muss, weil der Mensch nicht daran zweifeln kann, dass er zweifelt, was Descartes mit der Formel „ego sum, ego existo“ oder „cogito ergo sum“ zum Ausdruck 349 Hesse: Siddhartha, S. 128. Wilhelm: Tao Te King, S. 34 (Nr. 32). Das Wort „Tao“ hat Wilhelm, wie oben erwähnt, als „Sinn“ übersetzt. 351 In: Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker. Band 1. Hg. v. Walther Kranz. Zürich: Weidmann 1985, S. 171. 352 Theodore Ziolkowski: „Siddhartha – Die Landschaft der Seele“. In: Michels: Materialien, S. 150. 353 Ebd. 354 Ebd. 355 Platon: Philebos. Nach der Übersetzung von Friedrich E.D. Schleiermacher. http://www.operaplatonis.de/Philebos.html (abgerufen am 18.05.15). 356 Amsterdam: Elzevir. 350 66 brachte. Die res cogitans ist von der materiellen Seite des Körpers, von der Materie, die Descartes als res extensa definiert, strikt getrennt. Die Wechselwirkung zwischen beiden geschah laut Descartes durch den concursus Dei oder die Vermittlung Gottes. Aus seiner Trennung entstand in der Philosophie das Leib-Seele-Problem, das seither in der europäischen Geistesgeschichte diskutiert wird.357 Am Fluss, der Trennung zwischen beiden Welten, findet Siddhartha schließlich die Synthese dieses Dualismus, wie Ziolkowski verdeutlicht: „Und der Fluß, als das natürliche Symbol der Synthese, ist auch die natürliche Trennungslinie zwischen dem Reich des Geistes und dem der Sinne. In beiden Bereichen versucht Siddhartha zu leben, ehe er – am Ufer eben desselben Flusses – zur Synthese gelangt.“358 Der Fluss bekommt so sowohl eine strukturelle als auch eine symbolische Funktion.359 Während der Taoismus so die Schlusskapitel des Siddhartha bestimmt, schimmert im Schlussgespräch zwischen Siddhartha und Govinda ebenfalls die Liebe als dominantes Element durch. Hesse greift damit auf ein uraltes Thema zurück.360 Über das Wesen dieser Liebe ist die Forschung sich nicht einig. Gellner sieht darin „unüberhörbar das Erbe der christlich-pietistischen Liebesspiritualität“361 und umschreibt Hesses Dichtung deshalb als „westöstlich-ökumenische Synthese“362. Tatsächlich wuchs Hesse in einer Umgebung auf, in der die christliche Nächstenliebe des Pietismus, aus der die indische Heidenmission resultierte, betont wurde. Gellner verweist als Beweis nicht nur auf einen breiten Konsens in der Forschung363, sondern auch auf Hesses Aufsatz Mein Glaube, in dem er seine weltanschauliche Entwicklung skizziert: Daß mein ‚Siddhartha‘ nicht die Erkenntnis, sondern die Liebe obenan stellt, daß er das Dogma ablehnt und das Erlebnis der Einheit zum Mittelpunkt macht, mag man als ein Zurückneigen zum Christentum, ja, als einen wahrhaft protestantischen Zug empfinden.364 357 Vgl. Ansgar Beckermann: Das Leib-Seele-Problem. Eine Einführung in die Philosophie des Geistes. München: Wilhelm Fink 2008. 358 Theodore Ziolkowski: „Siddhartha – Die Landschaft der Seele“, S. 145. 359 Vgl. Eisentraut: Einfluss des Buddhismus auf Hermann Hesses Siddhartha, S. 15-16. Sowohl Eisentraut als auch Gellner basieren sich auf Ziolkowski. 360 Der Liebesbegriff taucht schon als ἀγάπη im Alten Testament auf und hat sich seither ständig weiterentwickelt. Nicht nur in der Theologie, sondern auch in der Philosophie, seit Sokrates und Platons Symposion, hat die Liebe eine lange Geschichte. (Vgl. Aude Lancelin und Marie Lemonnier: Les philosophes et l’amour: aimer de Socrate à Simone de Beauvoir. Paris: Plon 2008.) Philosophen wie Ad Verbrugge (Staat van verwarring. Het offer van de liefde. Amsterdam: Boom 2013.) und Luc Ferry (De l’amour. Une philosophie pour le XXIe siècle. Paris: Odile Jacob 2012.) bieten zeitgenössische Interpretationen des Begriffs an. 361 Gellner: Weisheit, Kunst und Lebenskunst, S. 116. 362 Ebd. 363 Gellner nennt als Forscher, die die gleiche Meinung vertreten, Hans Küng, Karl-Josef Kuschel, Hugo Ball, Gerhart Mayer, Bernhard Zeller und Mark Boulby. 364 Hermann Hesse: „Mein Glaube“. In: Michels: Materialien, Band 1, S. 338. 67 Hesse sagte über das Zurückneigen selber, er habe „mehr ein mystisches Christentum als ein kirchliches“365 entwickelt und er verurteilte die Kirche als Institution. Der Gedanke war typisch für die Zeit Hesses. In Die unsichtbare Religion untersucht Thomas Luckmann, der sich auf Emile Durkheim und Max Weber beruft, wie das Individuum ‚Religion‘ erfährt. Er behauptet, dass die Religion des Individuums in der modernen Gesellschaft fehlerhaft mit der Kirche als Institution verbunden wird. Die kirchlichen Autoritäten bestimmen, so Luckmann, die festlegende, dogmatische Form der Religion, während das Religionsverständnis des Individuums sich weiterentwickelt, wie er verdeutlicht: Die Individuation des Bewußtseins und des Gewissens eines historischen Individuums geschieht weniger durch eine originäre Neuerschaffung von Weltansichten als durch die Internalisierung einer schon vorkonstruierten Weltansicht. […] Die persönliche Identität eines jeden historischen Individuums wird damit zum subjektiven Ausdruck einer historischen Weltansicht.366 So entsteht die Kluft zwischen der institutionalisierten und der individuellen Religion, die von der ‚alten‘, theoretischen Religion der Kirche abweicht. Die Lösung für die Kluft findet das Individuum möglicherweise, so Luckmann, durch die Religion als „Privatsache“367 zu erleben und durch sich von der Institution zu trennen: „Die institutionelle Spezialisierung der Religion setzt also, im Verbund mit der Spezialisierung anderer institutioneller Bereiche, eine Entwicklung in Gang, die die Religion mehr und mehr in eine ‚subjektive‘ und ‚private‘ Wirklichkeit verwandelt.“368 Das Individuum entscheidet im ‚säkularisierten‘ Modell selber, welche Sinngebungen wichtig sind und schafft so ein persönliches Weltbild. So findet die Trennung zwischen Religion und Kirche statt und entsteht die ‚unsichtbare‘ Religion des Individuums. Der Grund für Hesses ‚unsichtbare Religion‘ war der Gedanke der Einheit und im Kurgast behauptet er, die gleiche Einheit des Taoismus im Neuen Testament zu lesen: Wenn man die Sprüche des Neuen Testaments nicht als Gebote nimmt, sondern als Äußerungen eines ungewöhnlich tiefen Wissens um die Geheimnisse unsrer Seele, dann ist das weiseste Wort, das je gesprochen wurde, der kurze Inbegriff aller Lebenskunst und Glückslehre, jenes Wort ‚Liebe deinen Nächsten wie dich selbst‘, das übrigens auch schon im Alten Testamente steht.369 Laut Hesse ist dieses Gleichgewicht der Liebe, das ebenfalls in der europäischen Tradition auftaucht, der Schlüssel zur Glückseligkeit. Die Erklärung dieser christlichen Liebe findet er 365 Hesse: „Mein Glaube“, S. 338. Thomas Luckmann: Die unsichtbare Religion. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, S. 109. 367 Ebd., S. 127. 368 Ebd. 369 Hermann Hesse: „Kurgast“. In: Hermann Hesse. Gesammelte Werke in 12 Bänden. Band 7, S. 105. 366 68 in der indischen Tradition. Der Mensch soll, so Hesse, seinen Mitmenschen nicht aus Altruismus als seinesgleichen lieben, sondern weil er tatsächlich seinesgleichen ist. Der Spruch wird so zum Ausdruck des Tao und findet sein Synonym im indischen Tat Twam Asi.370 Seine Interpretation der christlichen Liebe hat Hesse im Siddhartha verarbeitet. Als Siddhartha Govinda erklärt, warum die Liebe der Kern seiner Weltanschauung ist, schimmert die Idee des Tat Twam Asi durch: „Mögen die Dinge Schein sein oder nicht, auch ich bin alsdann ja Schein, und so sind sie stets meinesgleichen. Das ist es, was sie mir so lieb und verehrenswert macht: sie sind meinesgleichen. Darum kann ich sie lieben.“371 Als Govinda bemerkt, Buddha habe die Liebe immer abgelehnt und „als Trug erkannt“ 372, behauptet Siddhartha, das sei nur ein scheinbarer Widerspruch. Buddha hat die Liebe gekannt, weil er, laut Siddhartha, die Menschheit „in seiner Vergänglichkeit, in seiner Nichtigkeit“ 373 erkannt hat, aber trotzdem sein Leben der Erlösung der Menschheit gewidmet hat, statt das Nirvana zu betreten. In dieser Hinsicht ist die Parallele zu Christus unübersehbar. Das Leben Christi war genauso ein Opfer, das aus Liebe für die Menschheit geschah, wie es im paulinischen Römerbrief 5,8 geschrieben steht: „Gott aber hat seine Liebe zu uns darin erwiesen, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“374 Aber während Gellner der These der christlichen Liebe anhängt, behauptet Hsia, die Liebe Siddharthas sei ein taoistisches Element. Er verwirft die christliche Interpretation, die selbst Hesse erwähnte, als zu einseitig und meint über die Liebe im Siddhartha, sie sei mehrdeutig: „Sie ist für viele Interpreten – zuweilen auch für Hesse selbst – ein ausschließlich christliches Element. Doch hat das Christentum, obwohl die Botschaft Christi zweifellos eine Botschaft der Liebe ist, durchaus nicht das Monopol auf sie.“375 Laut Hsia soll die Liebe Siddharthas als Element des Taoismus, wo sie neben Tao und Te376, so Hsia, das dritte 370 Der Spruch, wörtlich „Das bist Du“, findet seinen Ursprung im Hinduismus. Er steht in der ChandogyaUpanishad als Ratschlag eines Vaters für seinen Sohn. Die ursprüngliche Interpretation des Spruches ist, dass das Atman des Ich identisch mit dem Brahman der absoluten Realität ist und die Außenwelt so einen Teil des Ich bildet. 371 Hesse: Siddhartha, S. 171. 372 Ebd., S. 172. 373 Ebd. 374 Die Bibel in der Einheitsübersetzung. Universität Innsbruck. http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/roem5.html (abgerufen am 19.05.14). 375 Hsia: Hermann Hesse und China, S. 247. Die Interpretation Hsias ist wichtig, weil er aus östlicher statt aus europäischer Sicht argumentiert. 376 Über das Wesen des Te besteht Uneinigkeit. Julian Pas definiert es folgendermaßen: „If Tao is the overarching reality and cosmic energy, Te is what all beings receive from Tao; it is their own nature, with its specific talents and potentials, that enables them to act in their own way as if by their inner compulsion.” (Pas: Historical Dictionary of Taoism, S. 332.) Dennoch verdeutlicht er, dass die Bedeutung des Te „even more elusive than the meaning of Tao“ ist (Ebd., S. 330). 69 Fundament der Lehre bildet, interpretiert werden. Als Beweis führt er den 38. Spruch des Tao Te King an, wo geschrieben steht: „Ist der Sinn verloren, dann das Leben. Ist das Leben verloren, dann die Liebe.“377 Die Liebe Siddharthas, so Hsia, könne übrigens nicht christlich sein, weil Siddhartha das Beispiel des Steines anführe: „Heute aber denke ich: dieser Stein ist Stein, er ist auch Tier, er ist auch Gott, er ist auch Buddha, ich verehre und liebe ihn nicht, weil er einstmals dies oder jenes werden könnte, sondern weil er alles längt und immer ist […]“378 Darin sieht Hsia gerade das Gegenteil der christlichen Liebe. Das Beispiel hat laut ihm nichts mit orthodoxer Lehre, christlicher Mystik oder Meister Eckhart zu tun, denn „Siddhartha liebt den Stein, nicht weil er ein Teil der Schöpfung Gottes ist, sondern weil er Dauer und Wandlung symbolisiert, mit anderen Worten: weil er Tao ist.“379 Eisentraut reagiert gegen die taoistische Deutung Hsias und bemerkt, dass die Ausführungen „kritisch zu betrachten“ sind, „da eine so starke Verknüpfung der Liebe mit dem Begriff des Tao nicht nachvollziehbar ist“380. Zum Schluss des Kapitels soll die Kritik, die Hesses ‚westöstliches‘ Weltbild im Laufe der Jahre geerntet hat, erwähnt werden. Die schärfsten Angriffe haben Hans Küng381 und Karl-Josef Kuschel382 formuliert. Sie wiesen darauf hin, dass Hesses Einheitsdenken gefährliche ethische Implikationen mit sich bringt, weil alle Unterschiede so schließlich an Bedeutung verlieren. Durch die Harmonisierung aller Gegensätze sind Begriffe wie gut oder böse bedeutungslos und ist jedes Werturteil relativ. Um die Gefahr einer solchen Relativierung zu illustrieren, möchte ich ein letztes Mal Gellner zitieren: Doch wenn zwischen Sünde und Heiligkeit, zwischen Gut und Böse überhaupt kein Unterschied mehr bestehen und von jeder Wahrheit das Gegenteil ebenso wahr sein soll, droht dann nicht auch alles Handeln gleichgültig zu werden? Kann man wirklich jede Lehre, jeden Weg und jedes Ziel praktisch-ethisch gutheißen?383 377 Wilhelm: Tao Te King, S. 43 (Nr. 38). Hesse: Siddhartha, S. 169. 379 Hsia: Hermann Hesse und China, S. 248. 380 Eisentraut: Einfluss des Buddhismus auf Hermann Hesses Siddhartha, S. 17. 381 Hans Küng: „Nahezu ein Christ? Hermann Hesse und die Herausforderung der Weltreligion“. In: Anwälte der Humanität: Thomas Mann, Hermann Hesse, Heinrich Böll. Hg. v. Walter Jens und Hans Küng. München: Kindler 1989, S. 159-240. 382 Karl-Josef Kuschel: ‚Vielleicht hält Gott sich einige Dichter…‘ Literarisch-theologische Porträts. Mainz: Matthias Grünewald 1996, S. 203-240. 383 Gellner: Weisheit, Kunst und Lebenskunst, S. 120. Er verweist damit gleichzeitig auf das RelativismusProblem des Westens. 378 70 Schlussfolgerung Die Arbeit hat versucht, auf die am Anfang formulierten Leitfragen eine befriedigende Antwort zu bieten. Der erste Teil hat analysiert, wie der Buddhismus als indische Protestbewegung entstand, aber bald große Dimensionen annahm und eine Weltreligion wurde. Nicht nur das Leben des historischen Siddhartha Gautama, sondern auch die Verbreitung seiner Weltanschauung im deutschen Sprachraum wurden dabei beleuchtet. Der religionsgeschichtliche Kontext und die deutsche Buddhismus-Welle, die für ein tieferes Verständnis des Textes und des Autors unentbehrlich sind, wurden so geschildert. Im zweiten Teil stand die Analyse des Autors selber im Mittelpunkt. Nicht nur die Einflüsse seiner christlich-indisch geprägten Jugend, sondern auch die enttäuschende Erfahrung, die Hesse auf seiner Indienreise machte und wodurch er sich für China interessierte, waren das Objekt der Untersuchung. Das biografische Bild des Autors erlaubte eine Tiefenanalyse der dominanten Einflüsse des Siddhartha, die im dritten Teil durchgeführt wurde. So wurde deutlich, dass der Buddhismus im Siddhartha nicht nur thematisiert, sondern auch kritisiert und schließlich Teil einer ökumenischen Weltvision wird. Der Taoismus, der seit Hesses Indienreise ein wichtiger Einfluss seiner Lebensanschauung war, tauchte während der Analyse ebenfalls an der Oberfläche auf. Die Untersuchung dürfte Anlass zu weiterer Forschung geben. Interessant wäre nicht nur die Frage, wie die übrigen Religionen des Orients, wie der Jainismus oder der Konfuzianismus, sich zum Buch verhalten, sondern auch, wo und auf welche Weise sich die orientalischen Lebensanschauungen in der europäischen Literatur manifestieren. Zu berücksichtigen wäre, wie die beiden Traditionen einander gegenseitig beeinflussen und in Dialog treten. Während die Arbeit die meisten am Anfang gestellten Fragen beantwortet hat, bleibt am Ende nur eine Frage unbeantwortet: Warum erhob die Hippie-Generation Siddhartha zum Kultbuch in den 1960er Jahren, 40 Jahre nach dessen Veröffentlichung? Die Antwort hängt zweifellos mit dem deutschen und amerikanischen Zeitgeist zusammen. Der Buddhismus fand gleichzeitig mit Phänomenen wie Yoga und Tantra Eingang in die westliche Welt, die auf der Suche nach neuen Einsichten war. Gellner bemerkt zu Recht, dass Siddhartha während der „Blütezeit der Fernostbegeisterung […] im Deutschland der Nachkriegskrise“ 384 erschien. Die Zeit war reif, um Bücher wie Siddhartha zu empfangen, was der Erfolg von Alfred Döblins Die drei Sprünge des Wang-Iun ebenfalls illustriert. 384 Gellner: Weisheit, Kunst und Lebenskunst, S. 103. 71 Hesses Siddhartha ist so ein Glied einer größeren Kette, die 40 Jahre später in Amerika ebenfalls spürbar war. Obwohl das Buch dort am Anfang kaum Interesse weckte, war die Begeisterung der Hippie-Generation, die unter der Führung Timothy Learys sowohl Siddhartha als auch Der Steppenwolf zum Kultbuch erhob, enorm. Die Literatur war für die Hippies nicht nur Kunst, sondern auch eine Lebenshilfe. In ‚Saint Hesse‘ sahen sie einen Autor, der Themen wie Meditation, Erleuchtung, Rausch und „the altered state of consciousness“ thematisierte und so die eigene Lebensanschauung bestätigte. Hesses Ruf hing zugleich mit seiner Kriegsaversion zusammen, mit der nicht nur die Blumenkinder, sondern auch die deutsche Jugend sich identifizierten, wie Michels verdeutlicht: „Nicht ohne Grund hat dieser Autor immer in Zeiten des Wertezerfalls und der Neuorientierung Renaissancen erlebt, z.B. nach den beiden Weltkriegen in Deutschland und nicht zuletzt im Verlauf des Vietnamkrieges in den USA.“385 Während Hesse mit seiner indischen Dichtung so das östliche Gedankengut im Westen verbreitet hat und Siddhartha einen literarischen Aufschwung der buddhistischen Lehre verursacht hat, scheint das Buch seinerseits seinen Weg in den Orient gefunden zu haben und dort einen gewissen Einfluss auszuüben.386 Die Erzählung hat so deren ursprüngliche, fernöstliche Quellen erreicht, sodass die Traditionen, die Hesse einst beeinflussten, schließlich beeinflusst werden und ein umgekehrter Exotismus entstanden ist. Der Kreis, der sich so geschlossen hat, manifestiert sich am deutlichsten in Japan und illustriert zugleich die zeitgenössische Bedeutung des Buches. In Japan war Hesse, ausnahmsweise, schon vor 1945 ein beliebter Schriftsteller. Hesse war sich dessen japanischen Einfluss ohne Zweifel bewusst, da er schon 1927 in einem Brief an seine zweite Ehefrau Ruth Wenger in Bezug auf Siddhartha mitteilt: „Schön war der Brief eines Japaners, der mir im Namen meiner japanischen Leser gratuliert und sagt, ich sei für sie der ‚vertraulichste‘ europäische Dichter.“387 Siddhartha, der schon 1925 ins Japanische übersetzt wurde, fand einerseits Beachtung „wegen des tiefen Verständnisses für östliche Kultur und Weisheit“ und wegen der Naturnähe, die sich mit dem „traditionellen Lebensgefühl der 385 Volker Michels: „Auf den Einzelnen kommt es an!“ Zur Aktualität von Hermann Hesse“. In: Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik. Hermann Hesse Today. Hg. v. Ingo Cornils und Osman Durrani. Amsterdam / New York: Rodopi 2005, S. 110. 386 Obwohl Siddhartha als erster buddhistischer Roman weltweit Verbreitung fand, war die Idee nicht neu. Der dänische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Karl Gjellerup schrieb bereits 1906 Der Pilger Kamanita, einen buddhistischen Roman, der dennoch weit weniger Einfluss hatte. 387 Zitiert nach: Neale Cunningham: Hermann Hesse’s Reception in Japan. University of Leeds. http://www.leeds.ac.uk/arts/profile/20054/987/neale_cunningham (abgerufen am 31.03.15). 72 Japaner“388 verbinden lässt, wie Masaru Watanabe, Germanist an der Universität Tokio, verdeutlicht. Andererseits hing der Erfolg, laut Watanabe, mit der damaligen politischen Lage zusammen. Für die intellektuelle Elite erlaubten Hesses Bücher eine Flucht aus dem Japan, das sich 15 Jahre lang im Krieg befand.389 Lee Roberts, Professor für Germanistik an der Universität Indiana, erwähnt einen dritten, zeitgenössischen Grund, indem er die ‚westöstliche‘ Weltanschauung Hesses als Erklärung sieht: „In general, the Japanese felt drawn to the Eastern elements in Hesse’s work. Moreover, Hesse’s interest in Taoism next to his commitment to individualism fascinated the Japanese, and they came to think of him as a mediator between West and East.”390 Die Auflage seiner Bücher hat in Japan heutzutage mehr als 15 Millionen Exemplare erreicht und inzwischen hat sein Werk auch Eingang in akademische Kreise gefunden. Hesse ist in Japan, nach Goethe, der zweite meist übersetzte Autor deutscher Herkunft. Er hat so „tragfähige Brücken“391 zwischen Ost und West geschlagen, wie Michels sie definierte. Aber wie tragfähig die Brücken auch waren, am Ende wirft sich die kritische Frage auf, welches Ende der Brücke das stärkste war. Die Analysen von Said und Greenblatt haben illustriert, dass die Europäer die Fremde ex negativo und aus mitteleuropäischer Sicht definiert haben. Die mitteleuropäische Brille, die Hesse auf seiner Indienreise deutlich trug, hat das Buch sicherlich beeinflusst, wie der europäische Charakter des Siddhartha bewiesen hat. Das Adjektiv ‚westöstlich‘ trifft für die Beschreibung des Buches zweifellos zu, aber die ‚indische‘ Dichtung ist vielleicht ‚westlicher‘ als gedacht, oder wie Protagoras es sagen würde: „Πάντων χρημάτων μέτρον ἄνθρωπος“392. 388 Masaru Watanabe: „Japan“. In: Hermann Hesses weltweite Wirkung. Internationale Rezeptionsgeschichte. Hg. v. Martin Pfeifer. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977, 222-223. 389 1931 fing die Mandschurei-Krise, ein gewaffneter Konflikt zwischen China und Japan, an. Japan besetzte die chinesische Mandschurei, die reich an Rohstoffen war, wodurch letztendlich 1937 der Zweite JapanischChinesische Krieg anfing, der letztendlich Teil des zweiten Weltkrieges wurde. 390 Lee Roberts: Literary Nationalism in German and Japanese Germanistik. New York: Peter Lang 2010, S. 159. 391 In: Hesse: Siddhartha, S. 204. 392 Zitiert nach: Diogenes Laertios: Βίοι καὶ γνῶμαι τῶν ἐν φιλοσοφίᾳ εὐδοκιμησάντων. Buch 9, 51. Oxford: H.S. Long 1964. Online verfügbar unter http://www.mikrosapoplous.gr/dl/dl09.html#protagoras (abgerufen am 19.05.15). 73 74 Bibliografie Primärliteratur Hesse, Hermann: Siddhartha. Eine indische Dichtung. Berlin: Suhrkamp 2012. Sekundärliteratur Abelsen, Peter: „Schopenhauer and Buddhism“. In: Philosophy East and West 43 (1993), S. 255-278. Antweiler, Anton: „Synkretismus“. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Hg. v. Michael Buchberger. 2. Auflage. Freiburg im Breisgau: Herder 1937, S. 945-947. Aristoteles und Roger Crisp: Nicomachean Ethics. 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