Ex Oriente Lux

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Faculteit Letteren & Wijsbegeerte
Vakgroep Duitse Letterkunde
Ex Oriente Lux
Über die Geschichte des Buddhismus,
seinen Aufschwung in Deutschland
und
Hermann Hesses Siddhartha
Masterproef voorgelegd tot het behalen van de graad van
Master in de taal- en letterkunde: Frans – Duits
Academiejaar 2014-2015
Auteur:
Tom Clapuyt
Ter Lindenstraat 10
8792 Desselgem – Waregem
België
Matrikelnr.:
01103239
Tel.:
0476 / 72.20.73
Promotor:
Prof. Dr. Marcus Hahn
Dankeswort
An erster Stelle möchte ich mich bei Prof. Dr. Marcus Hahn für die angenehme,
ausführliche Betreuung, sowohl der Bachelor- als auch der Magisterarbeit, bedanken. Die
Bemerkungen, Korrekturen und Vorschläge waren mir eine notwendige Hilfe für die
Herstellung meiner Arbeit.
An zweiter Stelle möchte ich mich bei meinem Vater, meiner Mutter, meinem Bruder
und meiner Freundin, aus logischen Gründen, bedanken.
An dritter Stelle möchte ich mich bei der Fachgruppe für deutsche Literaturwissenschaft
für das interessante Studium insgesamt bedanken. Die Wärme der Fachgruppe ist lobenswert.
Bedanken möchte ich mich ebenfalls bei der Fakultätsbibliothek Letteren en Wijsgebeerte für
die Bücher und die Arbeitsräume, die zur Verfügung stehen. Die Freundlichkeit des Personals
ist ebenfalls lobenswert.
Inhalt
Einführung
S. 1
1. Buddha, Buddhismus und das Abendland
S. 4
1.1 Die Geschichte des Buddhismus
S. 5
1.2 Leben und Lehre Buddhas
S. 11
1.3 Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland
S. 18
2. Hesse und der Orient
S. 27
2.1 Eine frühe Begeisterung
S. 27
2.2 Hesses Indienreise
S. 33
3. Siddhartha, eine indische Dichtung
S. 42
3.1 Eine indische Dichtung
S. 42
3.2 Die Abweichung vom Ideal
S. 53
3.3 Eine westöstliche Dichtung
S. 59
Schlussfolgerung
S. 71
Bibliografie
S. 75
Wörter: 29 645
Einführung
83%. So hoch ist die Popularität des Dalai Lama in Deutschland laut einer Umfrage, die
Harris Interactive1 im Januar 2009 durchführte. Tendzin Gyatsho, denn so heißt das heutige
geistliche Oberhaupt der Tibeter, erobert damit den zweiten Platz, zwischen Barack Obama,
der kaum ein Prozent mehr bekam, und Angela Merkel, die sogar zwanzig Prozent weniger
erhält. Ein gleichlautendes Ergebnis ergab eine Umfrage des Spiegel schon im Jahre 2007,
wobei der Buddhismus mit 43% als „friedlichste Religion“ gewählt wurde, während das
Christentum 41% und der Islam kaum 1% bekamen.2 Die Begeisterung wurde im vergangen
Jahr wiederum bestätigt, als das geistliche Oberhaupt in Deutschland auf Besuch war.
Nachdem Gyatsho im Mai schon Frankfurt am Main besucht hatte, hatte im August Hamburg
die Ehre, ihn zu empfangen. Nicht weniger als 4000 Zuschauer kamen zur Fraport Arena
Frankfurt3, während 7000 Zuschauer im ausverkauften Congress Center Hamburg4 saßen. Die
Zahlen illustrieren die wachsende Popularität des Buddhismus. Die Lehre ist beliebter als je
zuvor und nie hatte die ‚Religion‘ so viel Anhänger wie heute.
Die Popularität des Dalai Lama und seiner Lehre ist erstaunlich, wenn man bedenkt,
dass der Buddhismus vor knapp 150 Jahren im Abendland kaum bekannt war. Seit ihrem
Eintritt hat diese Lehre dennoch einen erstaunenswerten Aufschwung genommen. In
Deutschland fand die „indische Wunderglocke“5 im 19. Jahrhundert allmählich Verbreitung,
wobei Arthur Schopenhauer und dessen Opus Magnum Die Welt als Wille und Vorstellung6
als wichtigster Vermittler und Einfluss galten, wie der Historiker und Redakteur der
Zeitschrift Buddhismus Heute Michael den Hoet im folgenden Zitat verdeutlicht:
1
Harris Interactive organisierte, in Zusammenarbeit mit FRANCE 24 und The International Herald Tribune,
das „World Leaders Opinion Barometer“. Insgesamt wurden 6299 Erwachsene zwischen 16 und 64 aus fünf
Ländern (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und den Vereinigten Staaten) befragt. Insgesamt
bekam der Dalai Lama 77% aller Stimmen, was indirekt die große Bekanntheit des Buddhismus illustriert. Die
Ergebnisse sind frei verfügbar unter http://www.harrisinteractive.fr
2
Vgl.: Umfrage: Dalai Lama beliebter als der Papst. Spiegel Online. 14.07.2007.
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/umfrage-dalai-lama-beliebter-als-der-papst-a-494452.html
(abgerufen am 05.02.2015).
3
Vgl. Timo Frasch: Dalai Lama in Deutschland. Frankfurter Allgemeine Zeitung. 14.05.2014.
http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/dalai-lama-in-deutschland-kann-man-fast-alles-unterschreiben12939561.html (abgerufen am 07.02.15).
4
Vgl. Tausende hören Dalai Lama in Hamburg. Norddeutscher Rundfunk. 24.08.2014.
http://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Dalai-Lama-zu-Besuch-in-Hamburg,dalailama310.html (abgerufen am
07.02.15).
5
Vgl. Maximilian Kern: Das Licht des Ostens. Die Weltanschauungen des mittleren und fernen Asiens (Indien –
China – Japan) und ihr Einfluss auf das religiöse und sittliche Leben, auf Kunst und Wissenschaft dieser Länder.
Stuttgart: Union Deutsche Verlagsgesellschaft 1922. Der Buddhismus wurde als Lösung für die gesellschaftliche
Krise der Zwischenkriegszeit unter Namen wie „indische Wunderglocke“ propagiert, wie später verdeutlicht
wird.
6
Leipzig: Brockhaus 1819.
1
Was Schopenhauer über den Buddhaismus (so nannte er ihn) schrieb, weckte Interesse.
Wer in den nächsten Jahrzehnten im deutschen Sprachraum zum Buddhismus kam –
z.B. Neumann, Zimmermann, Dahlke, Grimm, Nyânatiloka, Lama Govinda -, hatte in
der Regel Werke des aus Danzig stammenden Philosophen gelesen.7
Das Interesse für Schopenhauer hing damit zusammen, dass er der erste Philosoph war, der
sich überhaupt mit dem ‚Buddhaismus‘ im deutschen Sprachraum auseinandersetzte, in einer
Zeit, in der die Quellen kaum vorhanden und mangels Überlieferung nur schwer zugänglich
waren. Seine Schriften inspirierten eine lange Reihe Philosophen und Künstler, so auch
Friedrich Nietzsche und Richard Wagner.
Zu dieser Reihe gehört ohne Zweifel auch Hermann Hesse. Mit seiner 1922
erschienenen „indischen Dichtung“ Siddhartha schuf er die erste literarische Interpretation
des Buddhismus im deutschen Sprachraum, der diese Arbeit sich widmet. Zum einen
illustrierte Hesse das Leben des historischen Buddha, während er zum anderen eine moderne
Interpretation seiner Lehre anbot. Das spätere Kultbuch der Hippiebewegung ruft dennoch
mehrere Fragen hervor, auf die diese Untersuchung eine Antwort zu geben versucht: Auf
welche Weise manifestiert sich der Buddhismus in Siddhartha? Wo weicht die Erzählung der
ursprünglichen Lehre Buddhas ab? Woher kannte Hesse den Buddhismus eigentlich? Was
wussten seine Zeitgenossen eigentlich über die Lehre Gautamas? Wie kam diese Tradition
überhaupt in das Deutschland der 1920er Jahre? Warum erhob die Hippie-Generation
Siddhartha zum Kultbuch in den 1960er Jahren, 40 Jahre nach dessen Veröffentlichung?
Die Untersuchung fokussiert sich nur auf den ursprünglichen Buddhismus, die Lehre
des historischen Buddha. Die Lehre Buddhas hat seit ihrer Entstehung unzählbare Schulen
und Varianten entwickelt, die zueinander oft widersprüchlich waren und sind, wie aus dem
ersten Teil dieser Arbeit hervorgeht. Die vorliegende Analyse beschränkt sich dennoch auf die
ursprüngliche Lehre Buddhas, die in Hesses Roman thematisiert wird und den Kern aller
Varianten bildet. Die Geschichte der übrigen Religionen Indiens, das neben dem Buddhismus
schon in frühester Zeit die Heimat des Brahmanismus und des Jainismus war, wird in dieser
Arbeit nur am Rande mitbetrachtet und ist außerdem schon ausführlich und tiefgehend
beschrieben worden. Nicht nur die allgemeine Entwicklung der Religionen8, sondern auch
ihre Verhältnisse untereinander9 sind heutzutage weitgehend erforscht.
7
Michael den Hoet: „Ein Baum mit tiefen Wurzeln. Anfänge des Buddhismus im deutschen Kulturkreis“. In:
Buddhismus Heute 34 (2002), S. 3.
8
Vgl. Fred Clothey: Religion in India: a historical introduction. London: Routledge 2006.
9
Vgl. Jacques Scheuer: L’Inde, entre hindouisme et bouddhisme: quinze siècles d’échanges. Brüssel: Académie
royale de Belgique 2013.
2
Das vorliegende Werk besteht also aus drei Hauptteilen. Der erste Teil dieser Arbeit
beschäftigt sich mit der historischen und kulturellen Frage, wer Buddha war, wie seine Lehre
in das Abendland kam und warum sie so schnell im deutschen Sprachraum an Popularität
gewann. Der mittlere Teil untersucht, was Hesse eigentlich genau über Indien und seine
Religionen wusste und woher seine Kenntnisse stammten. Im letzten Teil wird untersucht,
wie Hesse diese Kenntnisse in seiner literarischen Praxis verwendet hat, durch eine genaue
Analyse des Buddhismus in Siddhartha. Die drei Teile dieser Arbeit sind komplementär zu
verstehen, denn die ersten zwei machen den dritten verständlich, während der dritte Teil ein
neues Licht auf die ersten beiden wirft. Diese Komplementarität bildet zugleich die Stärke
und den Sinn dieser Arbeit, die nicht nur eine Tiefenanalyse des Buddhismus in Siddhartha
liefert, sondern diese Analyse zugleich mit der Geschichte des Phänomens und des Autors
verbindet, die beide für ein ganzheitliches Verständnis des Buches erforderlich sind.
Die Untersuchung steht deshalb auf einem kulturgeschichtlichen und einem
literaturwissenschaftlichen Boden. Im Zentrum der beiden ersten Teile steht einerseits die
religions- und kulturwissenschaftliche Frage, wie der Buddhismus in den Westen und in die
Welt Hesses kam, während andererseits die literarische Frage, wie Hesse dieses Modell
verarbeitet hat, ins Zentrum des dritten Teiles gerückt wird. Die Ergebnisse dieser Arbeit
liefern einen Beitrag zu einem tieferen Verständnis der Darstellung des Buddhismus in der
Literatur und ermöglichen es dem Leser, die kulturelle Geschichte einer Tradition und eines
Autors mit ihrer wohl bekanntesten Illustration zu verbinden.
3
1. Buddha, Buddhismus und das Abendland
Obwohl der Buddhismus nie die Anhängerzahl der großen Weltreligionen erreichte,
steht er mit knapp 535 Millionen Buddhisten auf dem vierten Platz in der Liste der größten
Religionen, nach dem Christentum, dem Islam und dem Hinduismus.10 Der Titel
‚Weltreligion‘ ist, in Bezug auf den Buddhismus, dennoch einigermaßen problematisch, denn
im Gegensatz zu den drei oben genannten Weltreligionen, beten die Buddhisten kein
göttliches Wesen an. Siddhartha Gautama, der historische Buddha, ist das große Muster des
Weges zur Erleuchtung, ohne jedoch göttliche Ansprüche zu haben.11 Vielmehr als seine
Person ist seine Lehre oder Dharma wichtig, wie Peter Harvey, Emeritus für buddhistische
Studien an der Universität Sunderland, am Anfang seines Werkes verdeutlicht:
As ‚Buddha‘ does not refer to a unique individual, Buddhism is less focused on the
person of its founder than is, for example, Christianity. The emphasis in Buddhism is on
the teachings of the Buddha(s), and the ‘awakening’ of human personality that these are
seen to lead to.12
Vielleicht liegt der Grund seiner Anziehungskraft gerade in seinem Atheismus. Statt Gott,
Allah oder Wischnu, ist der Buddhist imstande, die Erlösung selbst zu erreichen. Aber wie
verschieden der Buddhismus auch von den monotheistischen Religionen ist, seine Geschichte
ist genauso reich und vielschichtig. Wie die übrigen großen Religionen, kennt der
Buddhismus eine Menge Varianten und Schulen, die oft miteinander im Streit liegen, wie
letztens die Demonstrationen gegen den Dalai Lama in Hamburg illustrierten.13 „Der
Buddhismus“ ist deshalb schwer zu definieren, wie Helwig Schmidt-Glintzer, Sinologe an der
Universität Göttingen, sofort in seiner Einleitung zum Thema erwähnt:
Was ist der Buddhismus, und was ist die Lehre des Buddha? Die Antwort wird vielfältig
sein und auch nicht erschöpfend, denn in seiner etwa zweieinhalbtausendjährigen
Geschichte hat der Buddhismus viele Gesichter gezeigt, so daß die Rede von dem
Buddhismus nicht statthaft ist.14
Obwohl der Buddhismus nicht als feste Einheit betrachtet werden kann, wird im
Folgenden versucht, die Geschichte der Lehre so klar wie möglich zu skizzieren. Dieser erste
10
Vgl. Peter Harvey: An Introduction to Buddhism. Teachings, History and Practices. New York: Cambridge
University Press 2013, S. 5.
11
Die ursprüngliche Lehre, das sogenannte „kleine Fahrzeug“, ist atheistisch. Im sogenannten „großen
Fahrzeug“ spielen die Bodhisattvas die Rolle eines Mittlerwesens, zwischen dem Menschen und dem Nirwana,
und bekommen dadurch einen göttlichen Rang. Vgl. 1.2: Leben und Lehre Buddhas.
12
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 2.
13
Der sogenannte „innerbuddhistische“ Streit dreht um die tibetische Gottheit Dorje Shugden, die in der
vorbuddhistischen Volksreligiosität ihren Ursprung findet. Der Dalai Lama sieht ihre Verehrung als
Aberglauben, während die Shugden-Verehrer behaupten, der Dalai Lama unterdrücke ihre Religion.
14
Helwig Schmidt-Glintzer: Der Buddhismus. München: Beck 2008, S. 9.
4
Abschnitt widmet sich zu diesem Zweck drei Fragen. Der erste Teil behandelt die Frage, wie
der Buddhismus entstand und zur ‚Weltreligion‘ wurde. Im zweiten Teil steht die Frage im
Zentrum, wie das Leben und die Lehre des historischen Buddha aussahen. Im letzten Teil
wird analysiert, wie der Buddhismus in das Abendland Eingang fand, wobei vor allem die
Situation Deutschlands betrachtet wird.
1.1 Die Geschichte des Buddhismus
Der Buddhismus entstand vor mehr als zwei Jahrtausenden in Indien, als Siddhartha
Gautama, der historische Buddha, im 5. Jahrhundert vor Christus seine Lehre verkündigte.
Bald hatte er eine Menge Anhänger, die ausschließlich aus Mönchen bestand. Ihre
Begeisterung für den Buddhismus wurde durch die Unzufriedenheit mit dem damaligen
Brahmanismus verstärkt. Dieser Brahmanismus, der heutzutage als Hinduismus eine der
Hauptreligionen Indiens geworden ist, ging aus dem Vedismus hervor.
Der Vedismus war die ursprüngliche Religion der hauptsächlich aus dem Iran
stammenden Einsiedler, die ab 1500 vor Christus große Teile Indiens eroberten. Ihre heiligen
Texte, die sogenannten Veden, waren ursprünglich mündlich überlieferte Gesänge, die später
verschriftlicht wurden. Die vier heiligen Sammlungen, alle auf Sanskrit, waren der Rigveda,
der Samaveda, der Yajurveda und der Atharvaveda, wobei die erste Sammlung ohne Zweifel
die älteste ist. Später wurden die Brahmanas und die Upanishaden hinzugefügt. Die
Einwanderer nannten sich selbst ‚Arier‘. Um die Hilfe der Götter zu erhalten, wurden Opfer
dargebracht. Allmählich wurden die Priester, die die Opfer vollzogen, mächtiger. Sie fingen
an, die Götter durch Opferriten zur Hilfe zu zwingen und nannten sich selbst Brahmanen, weil
sie der Lehre des Brahman-Atman anhingen, wodurch der Brahmanismus entstand. In dieser
Religion ist das Brahman die universelle, allumfassende Seele, während das Atman die
persönliche Seele des Menschen ist, die versucht, wieder eins mit dem Brahman zu werden,
wie Harvey verdeutlicht:
In these, Brahman is seen as the substance underlying the whole cosmos, and as
identical with the Ātman, the universal Self which the yogic element of the Indian
tradition had sought deep within the mind. By true knowledge of this identity, it was
held that a person could attain liberation from reincarnation after death, and merge back
into Brahman.15
Weil nur die Priester imstande waren, durch heilige Verse und Opferriten das Brahman
zu manipulieren und zu kontrollieren, erhoben sie sich selbst zur höchsten Schicht der
15
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 10.
5
Gesellschaft: „The great responsibility of the priests in this regard was reflected in them
placing themselves at the head of what was regarded as a divinely ordained hierarchy of four
social classes […].”16 Sie standen damit höher als die drei anderen Schichten, das heißt als die
Krieger, die Bauern und die Sklaven. Sie wollten damit ihre Macht sicherstellen und aus
dieser hierarchischen Ordnung entstand später das heutige Kastensystem Indiens.
Bald fingen die übrigen Kasten, die durch diese Religion unterdrückt wurden, damit an,
andere Systeme zu suchen. Sie wurden die sogenannten Samanas, oft alte Krieger, die als
Asketen und Bettelmönche herumzogen. Während des 5. Jahrhunderts vor Christus
entstanden
zugleich
große
Königreiche,
wodurch
die
alten,
kleinen
Gemeinden
zusammengeschlossen wurden und ökonomisch mächtige Städte entstanden. Durch diese
Urbanisierung fand die alte, vedische Weltansicht Eingang in die breiten Massen und wurde
stark diskutiert, sowohl durch Brahmanen als Samanas, wie Harvey zeigt:
The Samaṇas rejected the Vedic tradition and wandered free of family ties, living by
alms, in order to think, debate and investigate. Many came from the new urban centres,
where old certainties were being questioned, and increasing disease from populationconcentration may have posed the universal problem of human suffering in a relatively
stark form. They therefore sought to find a basis of true and lasting happiness beyond
change and insecurity.17
Aus deren Reformbewegungen entstanden neue Religionen, worunter der Buddhismus und
der Jainismus, die bis heute weiterleben und zusammen mit dem Hinduismus die drei
anerkannten Religionen des heutigen Indiens bilden.18
Der Jainismus war die Lehre des Prinzen Vardhamana Mahavira und entstand
gleichzeitig mit dem Buddhismus, obwohl er weniger stark auf den Brahmanismus reagierte.
Wie Buddha verließ auch Mahavira als junger Mann Familie und Heimat, um als Asket zu
leben und später seine Lehre zu verkündigen. Obwohl Buddhismus und Jainismus
gemeinsame Grundsätze haben und die beiden Religionen einen praktischen Weg zur
Erlösung anbieten, spielt im Jainismus Askese eine wichtige Rolle, während Buddha den
sogenannten „mittleren Weg“ anpries: „While the Buddha agreed with the Jains on such
matters as rebirth and non-violence, he saw their theory of karma as somewhat mechanical
and inflexible, and opposed their asceticism as too extreme.“19 Tatsächlich lebten die Jainisten
laut strengen Normen, um das Karma zu bezwingen und dem Kreislauf der Wiedergeburten
zu entkommen.
16
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 9.
Ebd., S. 11.
18
Andere Protestbewegungen, wie die Ajivikas, kannten weniger Anhänger und sind heutzutage völlig
verschwunden.
19
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 13.
17
6
In dieser Zeit entstand der Buddhismus. Der Buddhismus hatte nicht die Absicht, die
großen Massen zu erreichen, sondern richtete sich an einzelne Mönche, die Erlösung suchten,
wie Henri Arvon, Emeritus Professor für Philosophie in Paris, in seiner Einführung zum
Buddhismus verdeutlicht:
Dans sa première prédication, le « sermon de Bénarès », Bouddha ne s’adressa pas à la
foule, mais à cinq moines. Fait significatif et qui fixe dès sa première manifestation le
caractère véritable du bouddhisme primitif. Ce n’est pas une doctrine qui cherche à
gagner l’adhésion de la masse – les discours de Bouddha ne s’adressent que dans des
cas extrêmement rares à des laïcs –, mais qui présuppose, pour être comprise et suivie,
l’état monacal.20
Die Lehre bedeutete deshalb einen Bruch mit dem Kastensystem. Sie stand für alle offen, die
bereit waren, als Mönch im gelben Gewand pilgernd und bettelnd durch das Leben zu gehen.
Obwohl mönchische Askese und Entsagung der einzige Weg zur Erlösung waren, entstanden
bald neue Auffassungen, wodurch auch Laien am buddhistischen Leben teilhaben konnten.
Sie blieben dennoch Außenseiter, die eher aus finanziellen als aus religiösen Gründen toleriert
wurden. Die Bettelmönche waren für Nahrung, Kleidung und Unterkunft von den Laien
abhängig, die oft als reiche Wohltäter auf Erlösung hofften und sogar Häuser und
Grundstücke schenkten.
Der Laienbuddhismus nahm bald so große Dimensionen an, wodurch das Problem
entstand, die Verehrung Buddhas symbolisch zu repräsentieren. Bald entstand ein Kult, wo
die Reliquien Buddhas verehrt und Denkmäler errichtet wurden. Die Gebeine Buddhas
wurden in sogenannten Stupas aufbewahrt und verehrt, wie in Rangoon, wo bis heute seine
Haare aufbewahrt sind. Daneben entstanden Tausende und Tausende von Abbildungen, die
selbst heutzutage in jeder Ecke der Welt zu finden sind.21 Eine dritte Form der Verehrung
waren die Wallfahrten, die die wichtigsten Stätten seines Lebens als Ziel hatten. Frühere und
heutige Pilger hatten und haben die Wahl zwischen Kapilavastu, seinem Geburtsort,
Bodhgaya, wo seine Erleuchtung eintraf, Sarnath, dem Ort der ersten Rede, und Kushinagar,
wo der Buddha starb. Dieser Kult vereinfachte die Verbreitung des Buddhismus in Indien.
Die erste große Verbreitungswelle des Buddhismus in Indien und der Welt fand
während des 3. Jahrhunderts vor Christus statt, dank Ashoka dem Großen. Ashoka, „le
20
Henri Arvon: Le bouddhisme. Que sais-je? Vendôme: Imprimerie des Presses Universitaires de France 1998,
S. 49.
21
Die Geschichte will, dass die buddhistische Kunst nicht der indischen Tradition entspricht, sondern der
griechischen. Die Eroberungen Alexanders des Großen haben die Kunst griechisch beeinflusst. Vgl. Hugh van
Skyhawk: „Ist die Gandhara-Kunst griechisch beeinflusst?“. In: Zur Debatte. Themen der Katholischen
Akademie in Bayern 1 (2012), S. 19-21.
7
Constantin du bouddhisme“22, war der König der Dynastie der Maurya. Im Jahre 268 vor
Christus übernahm er die Herrschaft und beschäftigte sich hauptsächlich, wie seine
Vorfahren, mit der Eroberung neuer Gebiete. Sieben Jahre später, im Jahre 261 vor Christus,
eroberte seine Armee Kalinga, wodurch er den Höhepunkt seiner Macht erreichte. Die
Einnahme der Stadt war dennoch, rein politisch betrachtet, ein Pyrrhussieg. Durch das
Anschauen des großen Elends, das er verursacht hatte, wurde der Herrscher geläutert und fing
an, alle Gewalt zu hassen. Er sah, wie der Buddhismus Frieden und Mitleid ausstrahlte, und
beschloss, sein Leben dem Buddhismus und dessen Verbreitung zu widmen. Dank Ashoka
fand der Buddhismus Eingang in Sri Lanka23 und Myanmar24. Er schickte sogar
Gesandtschaften nach Ägypten, Syrien und Makedonien, obwohl nicht bewiesen ist, dass sie
je dort ankamen. Ashoka widmete sich nicht nur dem Buddhismus, sondern regierte auch laut
dessen Prinzipien, wie Harvey illustriert:
He inaugurated public works, such as wells and rest-houses for travelers, supported
medical aid for humans and animals, and gave aid for the fostering of such measures in
regions beyond his empire. Dhamma-officials were appointed to encourage virtue, look
after old people and orphans, and ensure equal judicial standards throughout the empire.
While Asoka retained some judicial beatings, he abolished torture and, perhaps, the
death penalty (Norman, 1975). Released prisoners were given some short-term financial
help, and encouraged to generate karmic fruitfulness for their future lives.25
Die Aufklärung würde erstaunt sein. Jagen, der Sport der Könige, wurde sogar durch
Wallfahrten ersetzt und der Hof aß vegetarisch. Ob Ashoka wirklich so ein aufgeklärter
Herrscher war, wie die Quellen behaupten, lässt sich bezweifeln. Buddhistische Propaganda
hat sicherlich eine Rolle gespielt und das Bild Ashokas weitgehend beeinflusst. Nach seinem
Tod wurde Indien erneut durch griechische Könige erobert. Diese standen dem Buddhismus
nicht feindlich gegenüber, wie die berühmten Gespräche des griechischen Königs Milinda mit
dem buddhistischen Mönch Nagasena illustrieren.26 Die darauffolgenden skythischen
Dynastien empfanden ebenso Sympathie für den Buddhismus.
Die Ironie will, dass dort, wo der Buddhismus entstand, er heutzutage weitgehend
verschwunden ist. Die genaue Geschichte des Buddhismus in Indien ist schwer zu
rekonstruieren. Die wichtigsten Quellen sind die Zeugnisse der chinesischen Pilger, die die
heiligen Orte des Buddhismus besuchten. Obwohl der Buddhismus im 5. Jahrhundert nach
22
Arvon: Le bouddhisme, S. 82.
Bis 1948 Ceylon.
24
Birma
25
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 101.
26
Die Milindapanha ist ein wichtiger Text der Theravada-Schule, der Strömung des sogenannten ‚kleinen
Fahrzeugs‘.
23
8
Christus seine Blütezeit hatte, scheint er danach allmählich zu verschwinden. Im 8.
Jahrhundert fing die brahmanische Gegenreformation an, aber der wirkliche Todesstoß war
die islamische Invasion: „En 1193, Ikhtiyar-un-din Mohammed Bakhtyar prend la capitale du
Bihâr d’assaut, détruit les monastères et massacre les moines. C’est ainsi que s’achève la
carrière indienne du bouddhisme qui s’étend sur près de quinze siècles.“27 In dieser Zeit
waren die meisten Buddhisten eigentlich schon Hindus geworden, eine Konversion, wofür der
Buddhismus irgendwo selbst verantwortlich war, wie Arvon zeigt:
En accueillant de la façon la plus large les croyances populaires, le bouddhisme se
rapproche de plus en plus de l’hindouisme. En principe, la fusion aurait pu se faire aussi
bien au profit du bouddhisme. Mais l’hindouisme, s’appuyant d’une part sur
l’organisation sociale de l’Inde puisqu’il défend le régime des castes, fort d’autre part de
l’autorité que les Védas gardaient auprès du peuple, était mieux armé pour le combat
que le bouddhisme qui se plaçait en dehors de la vie active et qui ignorait la tradition
sacrée de l’Inde.28
Arvon verdeutlicht, dass sowohl Buddhisten als auch Hindus der islamischen Invasion zum
Opfer fielen. Der eigentliche Grund für den Sieg des Hinduismus war seine gesellschaftliche
Einbettung im Kastensystem, wodurch er besser gegen die Invasion bewaffnet war. Wenn die
Muslime dem Buddhismus den Todesstoß gaben, war der eigentliche ‚Streit‘ zwischen dem
Buddhismus und dem Hinduismus schon längst geführt.
Das Verschwinden des indischen Buddhismus hat die Lehre dennoch nicht daran
gehindert, sich in großen Teilen Asiens zu verbreiten.29 Schon früh festigte der Buddhismus
sich in Sri Lanka, Thailand und Myanmar, wofür vor allem die oben beschriebene Politik
Ashokas verantwortlich war. Mahendra, laut der Überlieferung Sohn oder Bruder Ashokas,
ging als Gesandter nach Sri Lanka, wo er den damaligen König Tissa bekehrte. Sri Lanka war
seit seiner Bekehrung einer der wichtigsten Orte des Buddhismus, wo im 1. Jahrhundert vor
Christus der Pali-Kanon30 entstand und bis heute der Zahn des Buddha aufbewahrt ist. Die
Gesandten Ashokas gingen bis Myanmar, wo Anuruddha, der damalige König, im 11.
Jahrhundert den Buddhismus zur Staatsreligion erhob. Myanmar ist heutzutage noch immer
ein buddhistischer Staat mit bekannten buddhistischen Wahrzeichen, wie die ShwegadonPagode in Rangun, einer der weltweit berühmtesten Stupas. Thailand ist seit seiner
Entstehung im 11. Jahrhundert immer ein buddhistischer Staat gewesen. Wahrscheinlich
wurde die Lehre durch Kontakte mit Sri Lanka angenommen. In Kambodscha bestanden
27
Arvon: Le bouddhisme, S. 86.
Ebd., S. 87.
29
Eine detaillierte Beschreibung aller Daten, Orte und Namen bietet Harvey: An Introduction to Buddhism, S.
194-236.
30
Vgl. 1.2: Leben und Lehre Buddhas.
28
9
während 1000 Jahren Buddhismus und Brahmanismus nebeneinander. Im 15. Jahrhundert
wurde, durch thailändische Einflüsse, der Buddhismus die dominante Religion, die er bis
heute geblieben ist.
In Tibet, dem „Dach der Welt“, errang der Buddhismus seinen größten Sieg. Die
Legende sagt, dass König Srongtsan Gampo im 7. Jahrhundert zwei buddhistische
Prinzessinnen heiratete, wodurch die Lehre Eingang fand. Wahrscheinlicher ist, dass indische
Mönche um 750 nach Christus die Lehre predigten. Der Buddhismus hatte eine lange
Entwicklung31 und wird heutzutage als „Lamaismus“ bezeichnet. Die zwei wichtigsten
Lamas, die zugleich politische Macht beanspruchen, sind der Dalai Lama und der Penchen
Lama. Der Dalai Lama, anno 2015 Tendzin Gyatsho, hat die weltliche Macht, der Penchen
Lama, Gyeltshen Norbu32, die geistliche Macht.
Schließlich fand der Buddhismus in China und Japan Eingang. Wie der Buddhismus in
China kam, ist zum Teil rätselhaft. China und Indien waren durch den Himalaja und
gigantische Wüsten getrennt, was Kontakte schwer machte. Der Kontakt mit dem
Buddhismus geschah hauptsächlich dank der sogenannten „Seidenstraße“. Dennoch gab es
schon im 1. Jahrhundert nach Christus Kontakte, wobei Turkestan eine wichtige Rolle spielte.
Dort wurden buddhistische Werke aus dem Sanskrit ins Chinesische übersetzt und erreichten
so den chinesischen Kulturraum. Daneben brachten chinesische Pilger, die Indien besuchten,
die Lehre nach China mit. Der Buddhismus stand dennoch immer im Schatten des
Konfuzianismus und des Taoismus und wurde oft abgelehnt, weil die Chinesen dem Rückzug
aus dem aktiven Leben feindlich gegenüberstehen. In Japan fand der Buddhismus weniger
Widerstand. Der Shintoismus war weniger tief in der japanischen Kultur eingewurzelt,
wodurch die beiden Religionen sich fließend mischten. Heutzutage sind sie, durch ihre
gemeinsame Geschichte, nicht leicht zu unterscheiden. Japan lernte den Buddhismus durch
Korea kennen, das als Brücke zwischen dem chinesischen und japanischen Kulturraum
fungierte. Im 6. Jahrhundert33 schickte der König des damaligen koreanischen Reiches
Paekche eine Gesandtschaft nach Japan, die buddhistische Texte und Abbildungen als
Geschenk mitbrachte. Der Buddhismus verbreitete sich allmählich und ist heutzutage in
31
Vgl. Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 202-210.
Der heutige Penchen Lama ist umstritten. 1995 erkannte der Dalai Lama, ohne Rücksprache mit der
chinesischen Regierung, Gendün Chökyi Nyima als Reinkarnation des Penchen Lama an. Die chinesische
Regierung, mit der Wahl nicht einverstanden, hält Gendün Chökyi Nyima bis heute irgendwo in Gefangenschaft
und erkannte Gyeltshen Norbu als 11. Penchen Lama an, der wiederum durch die tibetische Exilregierung nicht
anerkannt wird. Die Diskussion hängt mit der Besetzung Tibets durch China zusammen, die unter 1.2
ausführlicher besprochen wird.
33
Die genaue Jahrzahl ist von Autor zu Autor verschieden. Harvey behauptet 538, Schmidt-Glintzer 552, Arvon
522.
32
10
verschiedene Sekten gegliedert. Die Rolle des chinesischen und japanischen Buddhismus soll
nicht unterschätzt werden. Die sogenannte Zen-Strömung wurde, dank chinesischer und
japanischer Lehrer, in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika bekannt.
1.2 Leben und Lehre Buddhas
Der erste Teil dieser Untersuchung hat gezeigt, dass der Buddhismus in der Geschichte
Asiens von großer Bedeutung ist. Um einerseits den Einfluss dieser Lehre und andererseits
die Bearbeitung Hesses völlig verstehen zu können, wird in diesem Abschnitt untersucht, was
der historische Buddha eigentlich sagte und wie sein Leben aussah.
Die Überlieferung der buddhistischen Lehre geschah dank einer großen Anzahl von
Schriften, wobei der Unterschied zwischen kanonischer und nichtkanonischer Literatur
betrachtet werden muss. Zur nichtkanonischen Literatur gehören hauptsächlich die
Lebensbeschreibungen einzelner, vollendeter Personen, wie eines der wichtigsten Werke des
Buddhismus, die schon erwähnte Milindapañhã34. Der buddhistische Kanon, in mehreren
Sprachen überliefert, wird in die sogenannten „Drei Körbe“ oder Tripitaka gegliedert und
besteht logischerweise aus drei Teilen. Der wichtigste Teil ist das sogenannte Suttapitaka und
umfasst die Lehrreden Buddhas, worauf die ursprüngliche Lehre basiert. Das Vinayapitaka
umfasst die Ordensregeln für das Leben der Mönche, der Laien und der Gemeinde und ist der
Kanon für „Pflicht, Zucht und Ordnung“35. Das Abhidhammapitaka umfasst die dogmatischen
Abhandlungen und wird als „Kanon der Scholastik“36 bezeichnet.
Die kanonischen Sammlungen werden nach ihrer jeweiligen Sprache benannt. Der
älteste und bekannteste Kanon ist der sogenannte „Pali-Kanon“, der während des 3. Konzils37
in Sri Lanka im 1. Jahrhundert vor Christus festgelegt wurde. Andere Traditionen behaupten,
der „Sanskrit-Kanon“ des 2. Jahrhunderts nach Christus sei der erste Kanon gewesen. In der
gleichen Zeit wurde der Kanon ins Chinesische übersetzt, wodurch der „Chinesische Kanon“
34
Der Text beschreibt, wie der buddhistische Mönch Nagasena den indo-griechischen König Menandros, für
seine Weisheit berühmt, in einem dialektischen Wettstreit besiegt, wodurch letzterer zum Buddhismus
konvertiert. Salvatore Lavecchia, Professor für Geschichte, verdeutlicht dennoch, dass die Gespräche eine
didaktische Funktion hatten. Sie waren buddhistische Propaganda, gegen den Hinduismus, denn in ganz Indien
war nur ein Buddhist fähig, den hochbegabten König zu besiegen. Vgl. Salvatore Lavecchia: „Was wusste die
griechische Antike über den Buddhismus?“. In: Zur Debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern 1
(2012), S. 17-18.
35
Schmidt-Glintzer: Der Buddhismus, S. 46.
36
Ebd.
37
Nach dem Tod Buddhas fand das erste Konzil statt. Seine Schüler versuchten, die Lehre genau zu bestimmen,
um sie mündlich zu überliefern. Kaum ein Jahrhundert später fand das zweite Konzil statt, weil die Interpretation
der Lehre schon Anlass zur Entstehung mehrerer Gruppierungen gewesen war. Das dritte Konzil fand unter
Ashoka statt und legte den Pali-Kanon fest, um die Schulen wieder zu einigen. Aber die Mönchsgemeinschaft
war schon längst gespaltet, und nur die ersten zwei Konzilien werden von allen Schulen anerkannt.
11
entstand. Im 8. Jahrhundert entstanden Übersetzungen ins Tibetische, die Autorität haben,
weil die ursprünglichen Quellen der tibetischen Übersetzungen oft verloren gegangen sind.
Neben der Textüberlieferung sind die Monumente, wie die schon erwähnten Stupas, sowie die
zahlreichen Kunstwerke wichtig, um das Leben und die Lehre Buddhas zu rekonstruieren.
Die Biographie Buddhas fängt traditionell nicht mit seinem Leben, sondern mit einer
Beschreibung seiner früheren Leben an, wie Harvey verdeutlicht:
The traditional biography does not begin with Gotama’s birth, but with what went
before it, in his many lives as a Bodhisatta, a being (Pali satta) who is dedicated to
attaining bodhi: ‘enlightenment’, ‘awakening’, buddhahood. […] He then spent many
lives, as a human, animal and god, building up the moral and spiritual perfections
necessary for Buddhahood.38
Buddha brauchte, laut dem Prinzip des Samsara, mehrere Leben, um dem Kreislauf der
Wiedergeburten zu entkommen. Als historischer Buddha wurde er das letzte Mal geboren, um
seine Lehre zu verkündigen, bevor er endgültig in das Nirvana ging. Die Leben des Buddha
werden in den sogenannten Jātaka-Erzählungen beschrieben, die Teil des Suttapitaka des
Pali-Kanons sind.
Siddhartha Gautama, in der Form seiner letzten Wiedergeburt, wurde um 560 vor
Christus in Lumbini geboren und starb, laut der Überlieferung, im Alter von 80 Jahren. Die
genauen Daten seines Lebens sind in der Forschung stark umstritten. Fest steht, dass er der
Sohn eines reichen Königs namens Suddhodana war. Seine Mutter hieß Maya und starb eine
Woche nach der Geburt ihres Sohnes. Er gehörte zum adligen Geschlecht der Shakya,
wodurch er oft als Shakyamuni oder „Weise der Shakya“ bezeichnet wird. Bei seiner Geburt
wurde prophezeit, dass er entweder ein großer Herrscher, Cakkavattin, oder ein großer
religiöser Lehrer, Buddha, sein würde. Sein Vater wollte, aus politischen Interessen, dass
Siddhartha sein Nachfolger wurde und tat alles, um zu verhindern, dass er einen anderen Pfad
wählen würde. Um zu gewährleisten, dass er dem weltlichen Leben anhing, lebte Siddhartha
im Palast seines Vaters im großen Luxus, umgeben von Reichtum und Frauen. Nur selten
bekam er die Erlaubnis, den Palast zu verlassen, und bevor er in die Stadt ging, ließ sein Vater
alle alten, kranken und sterbenden Leute verschwinden. Siddhartha schien ein ausgezeichneter
Herrscher zu werden. Schon mit 16. Jahren gewann er einen Kampf im Bogenschießen,
wodurch er die Hand seiner Kusine Yasodhara bekam. Aber das Scheinglück Siddharthas
wurde bald zerstört. Während vier Ausflügen, die ihn in die Stadt führten, sah er einen Greis,
einen Kranken, eine Leiche und einen Bettelmönch. Die ersten drei Erscheinungen bewiesen,
dass das Leiden besteht, während die letzte eine mögliche Lösung anbot. In derselben Nacht,
38
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 15.
12
wo sein Sohn Rahula geboren wurde, verließ er Frau und Kind, um mit 29. Jahren den Weg
zur Erlösung anzutreten.
In den nächsten sechs Jahren schloss er sich den Brahmanen an. Durch extreme Askese
versuchten sie, die Erlösung zu erreichen. Aber dem Tod ins Auge schauend, sah er ein, dass
dieser Weg nicht zur Erlösung führen konnte und trennte sich von seinen Lehrern. Er fing an,
weiter zu meditieren, aber er vermied die früheren Extreme und folgte dem sogenannten
„mittleren Weg“. Er widerstand dem Dämon Mara, der ihn in Versuchung führen wollte und
dafür seine schönen Töchter schickte. Er hatte nur sein Ziel vor Augen, und im Alter von 35.
Jahren erreichte Siddhartha die Erleuchtung oder Bodhi, während er unter einem Feigenbaum
meditierte. Der Legende nach, blieb er danach vier Wochen unter dem Baum sitzen, zögernd
über sein Schicksal:
After meditatively reflecting on his awakening, he pondered the possibility of teaching
others, but thought that the Dhamma he had experienced was so profound, subtle and
‘beyond the sphere of reason’, that others would be too subject to attachment to be able
to understand it.39
Die Gottheit Brahma Sahampati bemerkte es rechtzeitig und bat Buddha, aus Mitleid mit der
Welt seine Lehre zu verbreiten. Den Rest seines Lebens opferte er tatsächlich, um der
Menschheit zu zeigen, welcher Pfad zur Erleuchtung führt. Die ersten Mönche, die seine
Lehre hörten, waren seine fünf früheren Gefährten, die als Asketen lebten. Für sie hielt er in
Benares seine berühmte erste Rede. Die nächsten 45 Jahre seines Lebens sollte er die
Erleuchtung verkündigen, bis er an einer Lebensmittelvergiftung starb.
Fakten und Legenden mischen sich in der Biographie Buddhas. Was der Realität und
was der Legende entspricht, ist schwer zu sagen. Das hängt mit dem Ziel seiner Biographie
zusammen. Der Buddhismus, im Grunde atheistisch, hält die Lehre für wichtiger als ihren
Begründer. Das Leben des Buddha ist eine Illustration seiner Lehre, wie Harvey verdeutlicht,
wenn er über die Quellen spricht:
The details of these are in general agreement, but while they must clearly be based
around historical facts, they also contain legendary and mythological embellishments,
and it is often not possible to sort out one from the other. While the bare historical basis
of the traditional biography will never be known, as it stands it gives a great insight into
Buddhism by enabling us to see what the meaning of the Buddha’s life is to Buddhists:
what lessons it is held to contain.40
Die gleiche Meinung vertritt Arvon. Nicht die historische Überprüfbarkeit der Biographie sei
wichtig, sondern die Illustration des Buddhismus, die sie bietet.
39
40
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 22.
Ebd., S. 15.
13
Aber was waren nun eigentlich die Grundsätze seiner Lehre? Alles beruht auf den vier
sogenannten „edlen Wahrheiten“, die Buddha während seiner ersten Rede in Benares
offenbarte. Die erste Wahrheit ist die Wahrheit des Dukkha oder des Leidens, die Buddha
folgendermaßen erläutert:
Dies, ihr Mönche, ist die heilige Wahrheit vom Leiden: Geburt ist Leiden, Alter ist
Leiden, Krankheit ist Leiden, Tod ist Leiden, mit Unliebem vereint sein ist Leiden, von
Liebem getrennt sein ist Leiden, nicht erlangen was man begehrt ist Leiden, kurz das
fünffache Haften am Irdischen ist Leiden.41
Das Leben ist Leiden. Buddha selbst lernte diese Wahrheit nur nach seiner späten
Konfrontation mit der Außenwelt kennen. Diese Wahrheit illustriert zugleich das Ziel seiner
Lehre: dem Leiden entkommen. Trotz dieses pessimistisch anmutenden Ausgangspunktes,
darf der Buddhismus nicht als eine rein pessimistische Lehre betrachtet werden, wie Harvey
bemerkt:
Is Buddhism ‘pessimistic’ in emphasizing the unpleasant aspects of life? Buddhism
teaches that transcending the stress of life requires a fully realistic assessment of its
pervasive presence. One must accept one is ‘ill’ if a cure is to be possible: ignoring the
problem only makes it worse. It is certainly acknowledged that what is ‘painful’ is not
exclusively so. The pleasant aspects of life are not denied, but it is emphasized that
ignoring painful aspects leads to limiting attachment, while calmly acknowledging them
has a purifying, liberating effect.42
Obwohl Schopenhauer diese negative Seite des Buddhismus als Bestätigung seiner
Philosophie zu schätzen wusste, darf die Lehre nicht darauf reduziert werden.43 Das Zitat
illustriert, was Buddha als den „mittleren Weg“ anpries. Er hatte das Äußerste der beiden
Lebensweisen erprobt. Als Sohn eines Königs hatten Leiden und Tod keinen Platz in seinem
Leben gehabt, während er als besitzloser, bettelnder Samana mit dem entgegengesetzten
Extremfall konfrontiert wurde. Aus der Einsicht, dass beide Wege nicht zur Erlösung führen,
entstand seine Lehre. Sie bietet einen Ausweg aus dem Kreislauf des Leidens, ohne sich dafür
als Asket das Leben verbieten zu müssen.
Die nächsten drei Wahrheiten bieten eine Lösung für die Einsicht der ersten Wahrheit.
Die zweite edle Wahrheit erklärt, warum das Leiden ein notwendiges Übel im Menschenleben
ist:
Dies, ihr Mönche, ist die heilige Wahrheit von der Entstehung des Leidens: es ist der
Durst (nach Sein), der von Wiedergeburt zu Wiedergeburt führt, sammt Lust und
41
Für die Übersetzung der Reden Buddhas wurde das klassische Werk des Indologen Oldenberg gewählt.
Hermann Oldenberg: Buddha. Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde. Berlin: Wilhelm Hertz 1881, S. 215.
42
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 54.
43
Cfr. 1.3: Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland.
14
Begier, der hier und dort seine Lust findet: der Durst nach Lüsten, der Durst nach
Werden, der Durst nach Macht.44
Die Ursache von Dukkha oder Leiden ist Tanha oder Begehren. Der Begriff Tanha umfasst
eine Menge Begierden. Nicht nur Lüste wie Sex, Nahrung oder Macht gehören dazu, aber
auch der Wille zum ewigen Leben. Sogar Suizid, als Ausdruck des Willens, alles Leid
loszuwerden, ist Tanha. Die Begierden bilden einen Teufelskreis, denn „the more things a
person craves for, the more opportunities for frustration, dukkha”45. Die zweite Wahrheit
hängt mit den grundlegenden Prinzipien des Samsara und des Karma zusammen. Samsara ist
der Kreislauf der ewigen Wiedergeburten, wodurch der Mensch immer erneut leiden muss.
Um diesen Kreislauf loszuwerden und Nirvana zu erreichen, muss der Mensch die Erlösung,
das Erwachen oder Bodhi erreichen. Aber dafür muss er frei von Karma sein, was nur durch
eine fehlerlose Lebensweise erreicht werden kann. Tanha verursacht Karma und muss
deshalb gemieden werden, wie Harvey verdeutlicht: „Craving also brings pain as it leads to
quarrels, strife and conflict between individuals and groups, and motivates people to perform
various actions with karmic results shaping further rebirths, with their attendant dukkha.”46
Wie ausweglos die Situation auch scheinen darf, die dritte edle Wahrheit bringt ein
Fünkchen Hoffnung: „Dies, ihr Mönche, ist die heilige Wahrheit von der Aufhebung des
Leidens: die Aufhebung dieses Durstes durch gänzliche Vernichtung des Begehrens, ihn
fahren lassen, sich seiner entäussern, sich von ihm lösen, ihm keine Stätte gewähren.“ 47 Wie
stark die Begierden auch sind, nur der Verzicht führt zum Nirvana. Der Mensch muss alle
Bande mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fahren lassen, um die Erlösung zu finden:
„When craving and other related causes thus come to an end, dukkha ceases. This is
equivalent to Nirvana […], the ultimate goal of Buddhism.“48
Die vierte edle Wahrheit hängt unmittelbar mit der dritten zusammen und bietet dem
Mönch einen praktischen Weg zur Erlösung:
Dies, ihr Mönche, ist die heilige Wahrheit von dem Wege zur Aufhebung des Leidens:
es ist dieser heilige, achttheilige Pfad, der da heisst: rechtes Glauben, rechtes
Entschliessen, rechtes Wort, rechte That, rechtes Leben, rechtes Streben, rechtes
Gedenken, rechtes Sichversenken.49
Buddha bietet seiner Gemeinde acht Prinzipien, laut denen man leben muss, um Nirvana zu
erreichen. Wie abstrakt die Liste auf den ersten Blick auch anmuten darf, die Schritte
44
Oldenberg: Buddha. Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde, S. 215.
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 63.
46
Ebd.
47
Oldenberg: Buddha. Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde, S. 215.
48
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 73.
49
Oldenberg: Buddha. Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde, S. 215.
45
15
befolgen eine sichere Logik, denn „the order of the eight Path-factors is seen as that of a
natural progression, with one factor following on from the one before it“50. „Rechtes
Glauben” bedeutet, dass der Buddhist Einsicht in die vier edlen Wahrheiten erworben hat,
wodurch er richtiges Handeln oder „rechtes Entschließen“ lernt. „Rechtes Wort“ beinhaltet,
dass der Buddhist keine Lügen oder Beleidigungen ausspricht, während „rechte Tat“ darauf
hinweist, dass Verbrechen wie Mord oder Diebstahl verboten sind. „Rechtes Leben“ bedeutet
logischerweise, dass der Buddhist keine Lebewesen schaden darf. Als konkrete Beispiele für
Laien nennt Buddha das Verkaufen von Fleisch, Tieren, Waffen, Drogen oder sogar
Menschen. „Rechtes Streben“ ist das Vermeiden von Gefühlen wie Hass und Zorn, während
„rechtes Gedenken“ darauf hinweist, dass der Buddhist sich seiner körperlichen Funktionen,
wie Atmen und Bewegen, und seiner Gefühle bewusst wird. „Rechtes Sichversenken“ kann
als Ziel dieser Handlungen gesehen werden und bezeichnet die Fähigkeit, tief meditieren zu
können. Der achtfache Pfad wird oft in drei Gruppen eingeteilt. Die ersten zwei Fähigkeiten
gehören zur Gruppe der Weisheit oder Paññā, die mittleren drei zur Gruppe der Sittlichkeit
oder Sīla, die letzten drei zur Gruppe der Meditation oder Samādhi. Die acht Kategorien
erklären warum das Rad des Gesetzes oder Dharmachakra, das Symbol des Buddhismus, acht
Speichen hat.
Mit der Verbreitung des Buddhismus in Asien und der Welt fing zugleich die weitere
Entwicklung der Lehre an. Die wichtigsten Richtungen Asiens waren das sogenannte „kleine“
und „große Fahrzeug“, während in Tibet der „Lamaismus“ entstand. Die Schulen des großen
und kleinen Fahrzeugs spalteten sich schon während des zweiten Konzils, kaum ein
Jahrhundert nach dem Tod Buddhas. Absicht des Konzils war es, die Lehre, die seit dem
ersten Konzil mündlich überliefert wurde, zu verschriftlichten. Aber die Konsenssuche
scheiterte und die Mehrheit der Mönche beschlossen, die strengen Ordensregeln zu lockern
und eine eigene Schule zu stiften, das große Fahrzeug. So war das erste Schisma, das bis
heutzutage besteht, vollzogen.
Das kleine Fahrzeug oder Hinayana bestand, obwohl mit weniger Anhängern, weiter
und verbreitete sich schon früh in Sri Lanka, Hinterindien und Südostasien51 in Form des
Theravada52. Der Name war ursprünglich eine Beleidigung, die sich „aus einer Haltung der
50
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 82.
Thailand, Birma, Laos und Kambodscha.
52
Seit dem dritten Konzil entstand der Theravada oder die Lehre der Älteren, der den Kanon à la lettre
respektiert. Die beiden Schulen, Hinayana und Mahayana, gaben ihrerseits Anlass zur Entstehung mehrerer
Richtungen, die die Grundlagen der jeweiligen Schule respektieren.
51
16
Überheblichkeit der Vertreter des ‚Großen Fahrzeugs“53 erklärt. Das kleine Fahrzeug ist
dennoch die ältere Lehre, die auf die ursprünglichen Reden Buddhas zurückgeht, wie sie im
Pali-Kanon behalten sind. Der große Unterschied zum großen Fahrzeug ist zum einen, dass
die Hinayana Schule nur nach persönlicher Erlösung strebt, wie Buddha es gepredigt hat, und
zum anderen, dass das große Fahrzeug oder Mahayana keinen festen Kanon respektiert.
Die Anhänger des großen Fahrzeugs behaupten dennoch, ihre Lehre sei eigentlich schon
in den ursprünglichen Schriften behalten. Sie lehnen die ‚egoistische‘ Suche nach
persönlicher Erlösung ab und sehen die sogenannten Bodhisattvas als Ideal. Im Gegensatz
zum Arhat, der das Nirvana erreicht hat und dem Samsara entkommen ist, verzichtet der
Bodhisattva, der seinerseits die Erleuchtung gefunden hat, zu Lebzeiten auf den Eintritt ins
Nirvana, um als Lehrer den suchenden Buddhisten zu helfen. Die wichtigste, irgendwo
logische Folge dieser Auffassung war, dass der Buddhismus seinen Atheismus verlor. Die
Mahayana Richtung wurde zum Massenphänomen, das bald die Bodhisattvas und Buddhas
als Götter zu verehren anfing, während die Rolle des historischen Buddha verschwand. Sie
fungieren als Medium zwischen der menschlichen und göttlichen Welt und sind sogar
imstande, Samsara und Karma zu beeinflussen.
Als Teil des Mahayana entstand das Vajrayana oder „Diamantfahrzeug“. Die
Grundlagen des großen Fahrzeugs wurden behalten, aber mit sogenannten „Tantras“ ergänzt.
Die Tantras muten magisch an und sollen helfen, das Nirvana zu erreichen. Sie bestehen nicht
nur aus Meditationstechniken und besonderen Ritualen, sondern auch aus dem Aussprechen
von sogenannten „Mantras“ oder heiligen Versen und Wörtern.54 Aus dieser Richtung
entstand der sogenannte tibetische „Lamaismus“. Im 8. Jahrhundert kamen Padmasambhava
und Shantarakshita, zwei indische Lehrer, auf Einladung des tibetischen Königs Thrisong
Detsen nach Tibet und verbreiteten den Buddhismus, der sich auf einer Übersetzung des
Tripitaka und der Tantras basierte.
Der Lamaismus ist, aus historischen Gründen, die heute weltweit bekannteste Form des
Buddhismus, wie Schmidt-Glintzer verdeutlicht:
Im Westen wird seit einigen Jahrzehnten mit dem Buddhismus in besonderem Maße
Tibet in Verbindung gebracht. Dies hat nicht zuletzt seinen Grund darin, daß seit der
Besetzung durch die Volksrepublik China im Jahre 1959 Tausende von Tibetern,
einschließlich des Dalai Lama, ins Exil gegangen sind und Zuflucht in Indien,
Nordamerika und Europa gefunden haben. Dies hat auch dazu geführt, daß gerade in
53
54
Schmidt-Glintzer: Der Buddhismus, S. 51.
In dieser Richtung zeigt sich der Einfluss des Hinduismus, wo „Om“ als heilige Silbe gilt.
17
Europa die anderen buddhistischen Bewegungen Asiens in geringerem Maße
wahrgenommen wurden.55
Nachdem in China 1949 die Kommunistische Partei unter Führung von Mao Zedong die
Macht ergriff, fingen die ersten Invasionen Tibets an. Die tibetische, schlecht ausgerüstete
Armee war nicht fähig, Widerstand zu leisten. Nach deren Kapitulation übernahm Tendzin
Gyatsho, kaum 15 Jahre alt, die Macht. Mai 1951 wurde das sogenannte 17-PunkteAbkommen unter Druck unterzeichnet. Obwohl China versprach, die soziale und religiöse
Struktur des Landes nicht ändern zu wollen, entstanden bald brutale Konflikte. 8 Jahre später
brach der Tibetaufstand aus, die blutig niedergeschlagen wurde. Der Dalai Lama, für sein
Leben fürchtend, floh nach Indien, wo die tibetische Exilregierung entstand. In den
darauffolgenden Jahren wurden tausende Klöster und Denkmäler zerstört. Die Situation hat
sich seither nicht gebessert. Die Tibeter dürfen nicht ausreisen, Religion- und Pressefreiheit
sind unbekannt und Folter und Todesstrafe sind gang und gäbe. Der Name des Dalai Lama
darf nicht ausgesprochen werden, Abbildungen sind streng verboten.
1.3 Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland
Obwohl die Verfolgung des Dalai Lama die Begeisterung für den Buddhismus sichtbar
machte, war diese eigentlich schon viel länger im deutschen Sprachraum anwesend. In diesem
Abschnitt wird skizziert, wie der Buddhismus eigentlich in Deutschland kam, warum er an
Popularität gewann und wie er sich verbreitete.
Die Forschung scheint sich darüber einig, dass Arthur Schopenhauers Die Welt als Wille
und Vorstellung eine zentrale Rolle bei der Rezeption des Buddhismus in Deutschland
gespielt hat.56 Schopenhauer veröffentlichte sein Opus Magnum Anfang 1819, in einer Zeit,
wo die Auseinandersetzung mit fernöstlichen Religionen das erste Mal salonfähig geworden
war, wie den Hoet verdeutlicht:
Was Europa betrifft, waren die Grundlagen für eine fruchtbare Beschäftigung mit
Buddhismus lange Zeit nicht gegeben. Erst nach der Überwindung des Mittelalters, mit
Renaissance und Aufklärung entstanden langsam mehr Offenheit und Interesse für
andere geistige Angebote, als sie die Kirche bereit hielt.57
55
Schmidt-Glintzer: Der Buddhismus, S. 112-113.
Schmidt-Glintzer nennt die Chinamission des Jesuitenordens im 17. und 18. Jahrhundert als ersten Einfluss,
aber verdeutlicht, dass die Missionare vor allem Missverständnisse und Fehlinterpretationen mit nach Hause
nahmen.
57
den Hoet: „Ein Baum mit tiefen Wurzeln. Anfänge des Buddhismus im deutschen Kulturkreis“, S. 1.
56
18
Der Einfluss der früheren Kontakte mit dem Buddhismus, unter anderem durch die
griechische Kultur58, dank der Eroberungsfeldzüge Alexanders des Großen, war völlig
verschwunden. Während das Christentum tonangebend geworden war in Europa, war der
Islam in Vorderasien dominant geworden, wodurch der kulturelle Austausch zwischen beiden
Kontinenten ein abruptes Ende nahm. Ein Jahrtausend später, in der Zeit Schopenhauers, bot
sich erneut die Chance, sich mit dem Buddhismus auseinanderzusetzen.
Die Quellen dieser Zeit waren äußerst beschränkt. Schopenhauer verließ unter anderem
auf die Übersetzungen Isaak Jakob Schmidts. Schmidt, ein deutscher Wissenschaftler, kam
mit dem Buddhismus durch die Kalmückenmission in Berührung. Die russische Zarin
Katharina II. hatte in den 1760er Jahren deutsche Kolonisten eingeladen, um die dünn
besiedelten Flächen an der Wolga zu bewohnen. Diese befanden sich in Nachbarschaft zu den
Kalmücken, wodurch sich auch Kontakt mit den dort wohnenden Buddhisten ergab. Schmidt
lernte die kalmückische Sprache, neben Mongolisch und Tibetisch, um als Übersetzer
buddhistischer Texte zu arbeiten. Er wurde damit der „erste deutschsprachige Autor und
Übersetzer buddhistischer Bücher“59.
Schopenhauer sah die Lehre Buddhas als eine Bestätigung seiner eigenen Weltansicht.
Wichtig ist, dass Schopenhauer sein Werk schon vollendet hatte, bevor der Buddhismus im
Westen bekannt wurde. Deshalb sah er seine Philosophie als einen reinen Ausdruck der
fernöstlichen Weisheit, wie Peter Abelsen, Forscher an der Universität Hawaii, verdeutlicht:
When the tenets of Buddhism became known in Europe during the third and fourth
decade of the nineteenth century, Arthur Schopenhauer was delighted with the affinity
they showed to his own philosophy. Having completed his main work Die Welt als
Wille und Vorstellung as early as 1818, he considered it an entirely new (and thus pure)
expression of the wisdom once taught by the Buddha – at times he even called himself a
‘Buddhaist’.60
Schopenhauer war überzeugt, dass seine Weltansicht und der Buddhismus im Grunde
genommen zwei Ausdrücke desselben Denkens waren. Seine pessimistische Weltansicht
stimmte mit der ersten edlen Wahrheit des Buddhismus, der Wahrheit des Leidens, überein.
Schopenhauer drückte sie unter anderem folgendermaßen aus: „Will man wissen, was die
Menschen, moralisch betrachtet, im Ganzen und Allgemeinen werth sind; so betrachte man
ihr Schicksal, im Ganzen und Allgemeinen. Dieses ist Mangel, Elend, Jammer, Quaal und
58
Vgl. Salvatore Lavecchia: „Was wusste die griechische Antike über den Buddhismus?“.
den Hoet: „Ein Baum mit tiefen Wurzeln”, S. 2. Ob er den Titel wirklich verdient, ist zu bezweifeln.
Eigentlich hat er eher über den Buddhismus geschrieben und nicht sosehr Texte übersetzt. Als ersten Übersetzer
erkennen die meisten Autoren Karl Eugen Neumann an, der als erster den Pali-Kanon übersetzte.
60
Peter Abelsen: „Schopenhauer and Buddhism“. In: Philosophy East and West 43 (1993), S. 255.
59
19
Tod.“61 Obwohl es deutliche Parallelen zwischen Schopenhauer und dem Buddhismus gibt,
muss die Interpretation dennoch etwas nuanciert werden. Schopenhauer war viel
pessimistischer als die Buddhisten, wie Abelsen selbst bemerkt: „Schopenhauer often put
emphasis on Buddhism’s pessimistic outlook on earthly existence, but compared to his world
view, which is very severe, Buddhism seems almost cheerful.”62 Dieselbe Meinung vertritt
den Hoet. Er verdeutlicht, dass Schopenhauer zum einen weitgehend pessimistischer war,
zum anderen grundlegende buddhistische Konzepte falsch interpretiert hat. So sah er das
Nirvana als das Erlöschen aus der Welt, als ein Nichts, als einen rein negativen Aspekt,
während die Buddhisten gerade darin eine Lösung für das Leiden sehen:
Hätte es in Schopenhauers Leben einen authentischen Lehrer gegeben, der ihm
dargelegt hätte, dass Samsara und Nirvana die gleiche Grundlage haben und dass Leid
loszulassen bedingungslose Freude entstehen lässt, wäre der deutschen Nachwelt das
lange vorhandene Klischee einer welt- und lebensverneinenden Religion wohl erspart
geblieben.63
Tatsächlich ist der Buddhismus in den kommenden Jahren oft fehlerhaft als eine
pessimistische Religion interpretiert worden, während er gerade eine Lösung für das Leiden
bietet. Das Leiden ist der Ausgangspunkt des Buddhismus, nicht dessen Ende. Dennoch darf
man Schopenhauer nicht zu eng interpretieren, denn die Quellen waren schwer zugänglich.
Das Verdienst Schopenhauers war nicht so sehr seine Interpretation des Buddhismus, sondern
vielmehr dessen Verbreitung, die er in Deutschland bewirkte. Dank ihm fand der Buddhismus
endgültig Eingang in den deutschen Kulturraum. In den darauffolgenden Jahren genoss die
Lehre allmählich größere Popularität. Die wichtigsten Wegbereiter nach Schopenhauer waren
einerseits die deutschen Übersetzer und Theoretiker buddhistischer Texte, andererseits die
Mitglieder der sogenannten „Theosophischen Gesellschaft“.
Laut Christoph Gellner, als Forscher in Theologie an der Universität Luzern tätig, war
die Übersetzung Karl Eugen Neumanns, dank dessen „der Buddha endgültig in die deutsche
Geisteswelt eintrat“64, von großer Bedeutung im deutschen Sprachraum. Der in Wien
geborene Neumann fing ursprünglich eine Karriere im Bankwesen an, entdeckte aber bald,
dass Schopenhauer und dessen indische Quellen ihn mehr interessierten. Er kehrte seiner
Karriere den Rücken, konvertierte zum Buddhismus und studierte Philosophie und Religion
an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Nach seinem Studium widmete er sich, als
61
Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. Band 1. Leipzig: Brockhaus 1859, S. 415.
Abelsen: „Schopenhauer and Buddhism“, S. 255.
63
den Hoet: „Ein Baum mit tiefen Wurzeln”, S. 4.
64
Christoph Gellner: „Wie der Buddha in den Westen kam. Hermann Hesse, Luise Rinser und Adolf Muschg“.
In: Hermann Hesse Jahrbuch. Band 3. Hg. v. Mauro Ponzi. Tübingen: Max Niemeyer 2006, S. 47.
62
20
erster im deutschen Sprachraum der Übersetzung des Pali-Kanons.65 In Berlin studierte er
sogar bei Hermann Oldenberg, dem Indologen. Oldenberg, ein weiterer Wegbereiter des
europäischen Buddhismus, genoss damals schon Anerkennung. Sein bekanntestes,
„epochemachendes“66 Werk, Buddha. Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde67, war anhand
der ursprünglichen Pali-Quellen geschrieben und führte zur weiteren Begeisterung für die
Lehre. Ein dritter Name, der erwähnt werden soll, ist Friedrich Zimmermann. Mit seinem
1888 veröffentlichten Werk Buddhistischer Katechismus zur Einführung in die Lehre des
Buddha Gotama68 leistete er Pionierarbeit. Wie Neumann, war er durch die Lektüre
Schopenhauers vom Buddhismus begeistert. Ein letzter, nennenswerter Wegbereiter war
Thomas William Rhys Davids. 1881 gründete er in London die Pali Text Society. Ziel dieser
Gesellschaft war, kritische Ausgaben des Pali-Kanons zu publizieren, sowie Übersetzungen
zu liefern. Die meisten Texte des Pali-Kanons waren gegen 1910 publiziert worden. Die
Gesellschaft ist heutzutage noch immer aktiv, und hatte 2009 schon 188 Sammelbände und 97
Übersetzungen produziert.69
In der gleichen Zeit spielte die „Theosophische Gesellschaft“ eine wichtige Rolle.70 Sie
wurde 1875 in New York gegründet, fand aber schnell europäische Verbreitung. Sie etablierte
sich 1879 in Deutschland71 und 1897 in Österreich. Die Gesellschaft fungierte als „a bridge
between East and West“ und war „the first organized group in the West to advocate the
adoption of Indian religious beliefs and practices“72. Die Gründer, Helena Blavatsky und
Henry Steel Olcott, sahen im Buddhismus „die Quelle aller Religionen“73. Die Schule war im
Grunde eine Mischung verschiedener Traditionen, wie „Neo-Platonic mysticism, other
elements of the Western esoteric tradition, Hindu and Buddhist ideas and a religious version
of evolution“74. Blavatsky war eine exzentrische Figur, die behauptete, geheime tibetische
‚Meister‘, wie Jesus und Buddha, hätten ihre Bücher diktiert, die sie als Hellseherin
geschrieben habe. Die Anhänger der Gesellschaft waren oft enttäuschte Westler, die sich
wahrscheinlich nicht so sehr aus esoterischer Begeisterung, sondern vielmehr aus Protest
65
Vgl. Karl Eugen Neumann: Buddhistische Anthologie: Texte aus dem Pali-Kanon. Leiden: Brill 1892.
Schmidt-Glintzer: Der Buddhismus, S. 114.
67
Berlin: Wilhelm Hertz 1881.
68
Braunschweig: C.A. Schwetschke und Sohn 1888.
69
Alle Informationen sind unter www.palitext.com erhältlich.
70
Vgl. Karl Baier: Meditation und Moderne: zur Genese eines Kernbereichs moderner Spiritualität in der
Wechselwirkung zwischen Westeuropa, Nordamerika und Asien. Band 1. Würzburg: Königshausen & Neumann
2009, S. 291-428.
71
1879 in Hamburg, 1884 in Elberfeld.
72
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 420.
73
Schmidt-Glintzer: Der Buddhismus, S. 113.
74
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 420-421.
66
21
gegen die damalige Gesellschaft anschlossen, wie Harvey illustriert: „In the West, it attracted
people who found the conventional structures of society inhibiting, for example intelligent,
creative people with little formal education, or women chafing at their social position.“75 Wie
bei Schopenhauer, war das Verdienst der Gesellschaft eigentlich nicht so sehr die esoterische
Lehre an sich, sondern vielmehr die Verbreitung einiger buddhistischen und hinduistischen
Konzepte im Westen. Die Gesellschaft kannte, wie der Buddhismus selbst, manche
Spaltungen. Aus einer dieser Richtungen kam Rudolf Steiner, der 1913 die Theosophische
Gesellschaft verließ um die „Anthroposophische Gesellschaft“ zu gründen.
Die oben beschriebenen Vermittler blieben bis zum Ersten Weltkrieg dominant. Wie
zerstörerisch der Erste Weltkrieg auch gewesen sein darf, für die Verbreitung des Buddhismus
schien er eine Blütezeit zu schaffen. Das hing mit der weitverbreiteten Empörung der
Zwischenkriegszeit zusammen, die zum Beispiel in Oswald Spenglers Der Untergang des
Abendlandes76 reflektiert wird. Die Befürworter des Buddhismus priesen die Religion als eine
Lösung an, da wo das Christentum und die sich rasch entwickelnde Technologie gescheitert
waren. Ein typischer Vertreter dieser Tendenz war Maximilian Kern, der mit seinem
Sammelband Das Licht des Ostens Furore machte. Um Anhänger zu gewinnen, skizzierten
die Autoren ein „Krisen-Panorama“77 der Nachkriegszeit, was Kern in seinem Vorwort zum
Sammelband unverhüllt tut. Er behauptet, der Westen sei gescheitert und der Mensch sei mehr
als „ein chemischer Verbrennungsofen“78. An der Stelle der Wissenschaften solle wieder das
innere Leben des Menschen treten. Das Christentum könne dazu nicht mehr reichen, der
Mensch habe selbst die Verantwortung, Neues zu finden, am besten in der Form des
Buddhismus: „So sind wir große Menge von heute nicht mehr im Sinne von einst Kinder an
Gottes Hand: auf uns allein gestellt sollen wir die Welt für uns und uns für die Welt neu
erringen. Und aus dem Osten tönen, heiliges Heil verkündend, bronzene Glocken!“79
Jürgen Mohn, Professor für Religionswissenschaft an der Universität Basel,
verdeutlicht, dass Kern in einer Zeit lebte, wo die alten, traditionellen Strukturen
durchbrochen wurden. Europa und der Westen mussten sich „intellektuell, kulturellzivilisatorisch und machtpolitisch“80 neu definieren und an andere Kulturen anpassen. Auf der
Suche nach neuen Wahrheiten entstanden „illustrierte Weltgeschichten, morphologische
75
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 421.
Wien: Braumüller 1918 (Band 1) und München: Beck 1922 (Band 2).
77
Jürgen Mohn: „Das ‚Licht des Ostens‘ und die Suche nach der ‚Religion der Zukunft‘: Wahrnehmung und
Adaption des Buddhismus in Deutschland vor und nach dem Ersten Weltkrieg“. In: Zur Debatte. Themen der
Katholischen Akademie in Bayern 1 (2012), S. 22.
78
Kern: Das Licht des Ostens, S. 7.
79
Ebd.
80
Mohn: „Das ‚Licht des Ostens“, S. 22.
76
22
Völker- und Kulturvergleiche, Untergangsgesänge des Abendlandes und futuristische
Fortschritts-Euphorien“, die um „die Gunst der Leser, der Intellektuellen und zunehmend der
Massen buhlen“81. Neue, früher unbekannte und zum Teil nicht bestehende Probleme tauchten
auf und wurden diskutiert:
Die Herausforderung und der Wandel durch Technik und Wissenschaft, der
Bedeutungsverlust der traditionellen, konfessionell institutionalisierten Religionen und
deren Organisationsformen, die Auseinandersetzung um Individualismus und
Gemeinschaft, die Hoffnung auf Erneuerung in einer empfundenen Krisensituation.82
Mohn erklärt die sich entfaltende Faszination für den Buddhismus aus drei Gründen. Erstens
ist die Lehre mit der Wissenschaft vereinbar, weil der Buddhismus nicht ein göttliches Wesen,
sondern den Menschen selbst in der Mitte stellt, der durch sein eigenes Denken eine Lösung
finden kann. Zweitens bot die Lehre eine Alternative zum Christentum, drittens gab sie eine
Antwort auf den Individualismus, durch die das Individuum erneut in eine Gemeinschaft zu
integrieren war. Diese drei Aspekte kamen zusammen „in einer allgemeinen (vor dem Ersten
Weltkrieg) und in einer konkreten (nach dem Ersten Weltkrieg) Krisenerfahrung der
Moderne“83. Der Mensch suchte erneut Hoffnung, die, laut Autoren wie Kern, aus dem Osten
kam.
Der Buddhismus fing in dieser Zeit an, im Alltag Verbreitung zu finden. Am Anfang
der deutschen Rezeption des Buddhismus wurde vor allem theoretisch über die Lehre
nachgedacht, aber „ein direkter Erfahrungsaustausch mit Buddhisten Asiens fand lange nicht
statt“, wie den Hoet verdeutlicht, „dies änderte sich erst als einzelne Deutsche, Österreicher
und Schweizer nach Asien reisten, um dort mit Buddhismus vertraut zu werden“84. Zu diesen
Asienreisenden gehörte Hermann Hesse, der dennoch enttäuscht von der Reise zurückkam.85
Wichtige Vorläufer Hesses waren unter anderem der schon erwähnte Karl Neumann, Florus
Anton Gueth86, Paul Dahlke87 und Georg Grimm88. Der Eingang des Buddhismus in die
81
Mohn: „Das ‚Licht des Ostens“, S. 22.
Ebd.
83
Ebd., S. 24.
84
den Hoet: „Ein Baum mit tiefen Wurzeln”, S. 5.
85
Vgl. 2: Hesse und der Orient.
86
Gueth war der erste Deutsche, der 1903 ein buddhistischer Mönch wurde, Nyānatiloka Mahāthera genannt.
Seine ersten Quellen waren Schopenhauer und Zimmermann.
87
Wiederum durch Schopenhauer inspiriert, machte der Arzt eine Reise nach Indien und gründete 1923 das
Buddhistische Haus in Berlin-Frohnau, den ältesten Tempel Europas.
88
Der Richter las, typischerweise, Schopenhauer, vertiefte sich dadurch in den Buddhismus und stiftete 1921 die
„Altbuddhistische Gemeinde“ in Utting am Ammersee, die 2002 aufgelöst wurde.
82
23
deutsche Literatur ist in dieser Epoche zu situieren. Neben Hesses Siddhartha, beschäftigten
Autoren wie Rainer Maria Rilke, Bertolt Brecht und Thomas Mann sich mit dem Thema.89
Der Buddhismus hat seither alle Schichten der Bevölkerung erreicht. Oft wurde
angenommen, dass der Buddhismus während der NS-Zeit verschwand. Volker Zotz zeigt
dennoch, dass der Buddhismus und der Nationalsozialismus mehr als das Hakenkreuz
gemeinsam hatten. Zotz, Philosoph und Religionswissenschaftler an der Université de
Luxembourg, zeigt, wie bei Schopenhauer, der Quelle der deutschen Buddhisten, schon eine
Verbindung zwischen Buddhismus und Antisemitismus bestand. Diese Verbindung galt nicht
als problematisch. So war zum Beispiel Johannes Hannemann, ein Schüler Georg Grimms,
Mitglied der NSDAP. Er bekam sogar die Erlaubnis von Josef Goebbels, als Buddhist einen
waffenlosen Militärdienst leisten zu können. Der Jurist Reinhard Höhn war seinerseits
zugleich Buddhist und SS-Oberführer. 1935 schenkte er Heinrich Himmler zu Weihnachten
die Reden des Buddha. Das stellte für die Nazis, laut Zotz, kein Problem dar: „Das
Bekenntnis zum Buddhismus war nichts Anrüchiges und wurde von Autoritäten in Partei und
Staat respektiert.“90 Andererseits standen die Buddhisten dem Nazi-Regime oft positiv
gegenüber, selbst „in buddhistischen Ländern, von denen viele Kolonien der Gegner
Deutschlands waren, bestand vielfach ein
positives Bild von Hitler und dem
Nationalsozialismus“91. Als mögliche Erklärung für diese gegenseitige Toleranz führt Zotz
zwei Gründe an. Einerseits bestanden, seit dem Achsenvertrag, enge Beziehungen zwischen
Deutschland und Japan, wo der Buddhismus ein wichtiger Teil der Kultur war. Außerdem
zogen die Buddhisten sich nicht aus dem gesellschaftlichen Leben zurück, was für die
Nationalsozialisten wichtig war. Andererseits sahen die deutschen Buddhisten inhaltliche
Berührungspunkte mit dem Nationalsozialismus. Die Idee des Nirvana glaubten sie durch das
Aufgehen in der anonymen Masse verwirklicht. Das Elend und das Leid des Krieges und der
Judenverfolgung erklärten sie anhand der Idee des Karma. Alles Leiden war selbst verursacht,
durch Schuld in früheren Leben, wodurch es „unschuldige Opfer“92 nicht geben kann.93
In der Zeit zwischen der großen Katastrophe und heute hat der deutsche Buddhismus
sich allmählich weiter entwickelt. Die Gruppen, Vereine und Institute die sich dem
Buddhismus widmen, sind mittlerweile unzählbar geworden. Grundlegend waren die
89
Vgl. Heinrich Detering, Maren Ermisch und Pornsan Watanangura: Der Buddha in der deutschen Dichtung.
Zur Rezeption des Buddhismus in der frühen Moderne. Göttingen: Wallstein 2014.
90
Volker Zotz: „Swastika und Hakenkreuz. Zum Verhältnis von Buddhismus und Nationalsozialismus“. In: Zur
Debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern 1 (2012), S. 25.
91
Ebd.
92
Ebd., S. 26.
93
Zotz behauptet auf keinen Fall, die Buddhisten seien alle Nazis gewesen. Er zeigt, dass sie gegen das Regime
keinen Widerstand geleistet haben, und einige sich sogar der Diktatur anschlossen.
24
gesellschaftlichen Umbrüche der 1960er Jahre, dank „Studentenunruhen und mit Drogen
experimentierende Hippies“94. Ursula Baatz, Religionsphilosophin in Wien, verdeutlicht, dass
die zunehmende Freiheit des Individuums einen Aufschwung buddhistischer Vereine
ermöglichte:
Die späten 1960er Jahre waren offen für Veränderungen. Die 1950er und 1960er Jahre
hatten einen Kulturbruch gebracht: der Wiederaufbau, aber mehr noch die
Industrialisierung verlangten nach gut ausgebildeten Spezialisten. Der Übergang von
einer Agrar- zu einer Industrie- und Wissensgesellschaft bedeutete für die Einzelnen
neue biographische Möglichkeiten: bessere Ausbildung, neue Rollen vor allem für
Frauen, Auflösung lokaler Zusammenhänge, aber auch der weltanschaulichen Lager. 95
Vor allem der Machtverlust der römisch-katholischen Kirche und der „erdrutschartige
Schwund der Kirchgänger“96 boten Anlass zur Suche nach neuen Weltanschauungen. Die
gleiche Meinung vertritt den Hoet. Während die buddhistische Szene bis 1960 überschaubar
geblieben war, fing bald eine starke Verbreitung97 an und „ähnlich einem Baum, bei dem Äste
in verschiedene Richtungen anfangen zu wachsen, sobald der Stamm erst hoch genug ist,
bildeten sich im Laufe der Jahre neue Zweige heraus“98.
Die Lehre war eigentlich ein Ast eines viel größeren Baumes. Die sich rasch
entwickelnde Meditationsbegeisterung war der Knotenpunkt unzählbarer Bewegungen, die bis
heute weiter gehen. Die Meditationskultur in seinen zahlreichen Formen, wie Zen und Yoga,
ist ein Kernbereich moderner Spiritualität geworden. Die aktuell ausführlichste Übersicht
bietet das Handbuch Karl Baiers, Meditation und Moderne.99 Der Umfang seines Werkes
reflektiert zugleich das Ausmaß moderner Meditationsbewegungen, wie Mesmerismus, New
Thought oder die Schule der Weisheit, um nur einige Beispiele zu nennen. Baier verdeutlicht
in seiner Einleitung, dass das Gebiet zu umfangreich ist, um es in einem Werk fassen zu
können: „Es wird nicht darauf abgezielt, eine möglichst lückenlose Rekonstruktion dieses
umfangreichen Gebiets vorzulegen.“ Absicht ist, „in erster Linie exemplarische Positionen
und paradigmatische Entwicklungsstränge“100 herauszuarbeiten. Baier zeigt, dass Meditation
in der Moderne als Symbiose zwischen zwei Welten entstand: Einerseits gab es die
94
Michael den Hoet: „Ein Baum mit tiefen Wurzeln. Buddhismus im deutschen Kulturkreis“. In: Buddhismus
Heute 35 (2003), S. 4.
95
Ursula Baatz: „Warum und wie üben Christen Zen?“. In: Zur Debatte. Themen der Katholischen Akademie in
Bayern 1 (2012), S. 15.
96
Ebd.
97
Neben den Hoet bietet Kurt Gakuro Krammer eine Übersicht der buddhistischen Vereine und
Dachorganisationen in Deutschland. Vgl. Kurt Gakuro Krammer: „Ist der Buddhismus im Westen
angekommen?“. In: Zur Debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern 1 (2012), S. 27-28.
98
den Hoet: „Ein Baum mit tiefen Wurzeln. Buddhismus im deutschen Kulturkreis“, S. 2.
99
Baier: Meditation und Moderne: zur Genese eines Kernbereichs moderner Spiritualität in der Wechselwirkung
zwischen Westeuropa, Nordamerika und Asien. Würzburg: Königshausen & Neumann 2009.
100
Ebd., Band 1, S. 19.
25
Meditationsbewegungen Asiens, andererseits die schon vorhandenen westlichen Strömungen,
wie die kirchliche Mystik, die sich gegenseitig beeinflusst haben. Die wichtigste, unmittelbar
aus dem Buddhismus entstandene Meditationspraxis ist das sogenannte Zen. Die Pioniere
dieser Bewegung waren der deutsche Jesuit Hugo Lassalle101 und der Philosoph Karlfried
Graf Dürckheim102.
Abschließend soll darauf hingewiesen werden, dass der deutsche Buddhismus
angefangen hat, seine indischen Quellen zu beeinflussen. Krammer nennt das exemplarische
Beispiel Henry Steel Olcotts. Der Mitgründer der Theosophischen Gesellschaft schrieb 1881
seinen Buddhistischen Katechismus103. Das Büchlein hatte die Absicht, die Jugend von Sri
Lanka wieder mit dem Buddhismus vertraut zu machen. Es wurde zum Welterfolg, mit
Übersetzungen in 20 Sprachen. 1885 entwarf Olcott außerdem die buddhistische Flagge, die
heute weltweit angenommen wird. Krammer endet mit der Feststellung, dass der Kreis sich
geschlossen hat: „Nachdem der asiatische Buddhismus im Westen angekommen ist und trotz
der relativen Kürze des Prozesses schon wesentliche Schritte der Inkulturation durchlaufen
hat, beginnen wesentliche Impulse des westlichen Buddhismus in Asien Fuß zu fassen.“104
101
Er war der erste Christ, der Erlaubnis erhielt, Zen zu lehren in Europa. Er verband das Zen mit der
christlichen Mystik.
102
Vgl. Baier: Meditation und Moderne, Band 2, S. 813-904.
103
Henry Steel Olcott: Buddhistischer Katechismus. Berlin: Littera 2003.
104
Krammer: „Ist der Buddhismus im Westen angekommen?“, S. 28. Zu diesem wechselseitigen Einfluss hat
Hesses Siddhartha ebenfalls einen Beitrag geleistet, wie im dritten Teil dieser Arbeit verdeutlicht wird.
26
2. Hesse und der Orient
Nachdem im ersten Teil dieser Arbeit untersucht wurde, wie der Buddhismus entstand,
was die Lehre beinhaltet und durch welche Kanäle sie Eingang in Deutschland fand, steht im
Zentrum dieses Abschnitts die Frage, was Hesse darüber eigentlich wusste und woher seine
Kenntnisse stammten. Das Kapitel besteht aus zwei Teilfragen: Erstens wird untersucht, wie
Hesse schon in frühester Jugend die Lehre kennenlernte, während der zweite Teil sich einer
Untersuchung seiner Indienreise und der daraus resultierenden Enttäuschung widmet.
Während im letzten Teil dieser Arbeit der Text im Mittelpunkt steht, gilt hier der Autor
selbst
als
Bezugspunkt.
Anhand
seines
ausführlichen
Briefwechsels
und
seiner
autobiographischen Schriften wird versucht, einerseits einen Überblick über seine Kenntnisse
und seine prägenden Erlebnisse zu geben, andererseits aber auch das diskursive
Koordinatensystem zu bestimmen, für dessen Hintergrund sich sein Indiendiskurs entfaltet
hat. Hesse, der 85 Jahre alt wurde, schrieb während seines Lebens nicht weniger als 44 000
Briefe. Die riesige Sammlung entstand, weil Hesse die letzten 25 Jahre seines Lebens als
Einzelgänger in der Casa Rossa in Montagnola verbracht hat. Er war vollends damit
beschäftigt, „die auf ihn eindringende Außenwelt auf Distanz zu halten“105, wie der Berliner
Autor und Biograf Hesses Gunnar Decker verdeutlicht. Das Paradox seines Lebens ist
deshalb, laut Decker, zugleich Außenseiter und Weltmensch gewesen zu sein: „Mit der Welt
verkehrt er in den letzten fünfundzwanzig Jahren seines Lebens vielleicht intensiver als je
zuvor, jedoch auf seine Weise – und bevorzugt schriftlich.“106 Quidquid id est, der
Briefwechsel erlaubt einen guten Einblick in seine briefliche Selbststilisierung.
2.1 Eine frühe Begeisterung
Die Orientbegeisterung Hesses fing schon seit seiner frühesten Jugend an, sich zu
entfalten. In einem 1919 geschriebenen Brief behauptet der Schriftsteller selbst, das
europäische, christliche Modell früh verlassen zu haben, um sich der östlichen ‚Weisheit‘ zu
widmen:
Ich bin seit vielen Jahren davon überzeugt, daß der europäische Geist im Niedergang
steht und der Heimkehr zu seinen asiatischen Quellen bedarf. Ich habe jahrelang
105
Gunnar Decker: Hesse. Der Wanderer und sein Schatten. München: Hanser 2012, S. 11.
Ebd. Decker verdeutlicht ebenfalls, dass Hesse aus einer Familie stammte, die sich selbst weitgehend
dokumentiert hat. Eine Menge von Briefen, Notizen, Tagebüchern und sogar Postkarten ist aufbewahrt
geblieben.
106
27
Buddha verehrt und indische Literatur schon seit meiner frühesten Jugend gelesen.
Später kamen mir Lao Tse und die anderen Chinesen näher.107
Der Autor teilte die Überzeugung der Theosophischen Gesellschaft, Asien sei die Quelle aller
Religionen. Das Zitat widerspiegelt das pessimistische Klima der Zwischenkriegszeit, das
Autoren wie Kern und Spengler verstärkten. Wie Kern, war Hesse davon überzeugt, dass das
Licht aus dem Osten kam.108
Die Behauptung, er habe seit seiner frühesten Jugend „indische Literatur“ gelesen, wirft
die Frage nach der Quelle dieser Lektüre auf. Der unmittelbare Anlass seiner Lektüre und der
darauffolgenden Begeisterung scheinen sein Großvater und dessen Indienmission gewesen zu
sein, wie er in sämtlichen Briefen zum Thema selbst erwähnt:
Mit des Großvaters indischer Sendung begann denn jenes besondere Seelenklima, jene
eigentümliche Gestimmtheit und Empfänglichkeit für den Osten, die sich bei den
Enkeln in so verschiedener Weise als westöstlich zu erkennen gab. […] [D]aß der Enkel
Hermann bei den Upanishaden, beim Buddhismus und bei chinesischer Lebensweisheit
in die Schule gehen werde, dazu hat des Alten Vorgang und Vorbild den Grund
gelegt.109
Hesses Großvater, Hermann Gundert, war ein Philologe und Geistlicher. Er studierte am
Seminar Maulbronn und promovierte zum Doktor der Philosophie an der Eberhard Karls
Universität Tübingen. Mit 21 Jahren ging er als christlicher Missionar nach Südindien, wo er
unter anderem das heutige Schulsystem einführte. Er hatte eine hohe Begabung für Sprachen
und widmete sich dem Studium mehrerer indischer Sprachen. 1859 bekam er die Ruhr und
musste deshalb notgedrungen Indien verlassen. Bei seiner Rückkehr in Europa bekam er eine
Stelle in Calw, wo er Mitglied des Calwer Verlagsvereins wurde und als Indologe tätig war.
Als Sprachwissenschaftler schuf er unter anderem eine Bibelübersetzung in Malayalam 110. In
dieser Sprache verfasste er ebenfalls die erste systematische Grammatik, die bis heute in
Umlauf ist.111
Sein Einfluss auf Hesse soll nicht unterschätzt werden. Nicht nur Hesse, sondern auch
sein Vetter Wilhelm Gundert wurden durch die indischen, sprachwissenschaftlichen
Tätigkeiten ihres Großvaters begeistert, wie Hesse selber verdeutlicht: „Davon haben wir
beide etwas mitbekommen, du die philologische, ich die poetische Freude an den Wundern
107
Hesse in einem Brief an Alice Leuthold, die Frau seines Freundes Fritz Leuthold. In: Materialien zu Hermann
Hesses Siddhartha. Band 1. Hg. v. Volker Michels. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1975, S. 83.
108
Cfr. 1.3: Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland.
109
Hermann Hesse in einem Brief an Wilhelm Gundert, seinen Vetter, September 1960. In: Materialien, Band 1,
S. 257.
110
Die Sprache wird an der Südwestküste Indiens gesprochen und hat ungefähr 33 Millionen Muttersprachler.
111
Vgl. Hermann Gundert: A Malayalam and English dictionary. Kottayam: Sahitya Pravarthaka 1962.
28
und Zaubern der Sprache, […]“112 Während Hesse sich der Literatur widmete, beschäftigte
Wilhelm sich mit der sprachwissenschaftlichen Seite und schuf, laut Hesse, „das berühmteste
geistliche Übungsbuch“113 des Zen-Buddhismus.114
Für die Indienbegeisterung Hesses waren dennoch nicht nur sein Großvater, sondern
auch seine Eltern verantwortlich. Sie traten des Großvaters Nachfolge an und wurden
Missionare in Indien. Sie beherrschten Malayalam, Kanaresisch 115 und Hindustani116 und
brachten „viele indische Sachen, Kleider, Gewebe, Bilder“117 mit nach Hause. Hesse wuchs
so in einer Umgebung auf, in der einerseits der Pietismus, andererseits die indischen
Weltanschauungen tonangebend waren. Gellner betont diesen doppelten Einfluss und spricht
in dieser Hinsicht von einer Erziehung „zwischen zwei Kulturen“, die sich durch eine
„bemerkenswerte westöstliche Weltoffenheit“118 auszeichnete. Mit der ersten Tradition sollte
Hesse in seinem späteren Leben dennoch völlig brechen, wie in seinen Briefen
durchschimmert:
Bei meinen Eltern und Großeltern war sehr viel Liebe für Indien und viel Bereitschaft
zum Verständnis Indiens vorhanden, doch stand ihr Christentum im Wege, sie
anerkannten Indien und seine Ideen sehr, aber stets mit dem Vorbehalt, daß doch eben
die Lehre Jesu allein göttlich und endgültig sei, […].119
Hesse sah seinerseits das Christentum als ein Hindernis, um die indischen Ideen verstehen zu
können. Nicht zufälligerweise lebte er in einer Zeit der zunehmenden Säkularisierung, in der
das Christentum auf der Suche nach neuen Weltanschauungen verdrängt wurde, während
seine Eltern im Europa der Vorkriegszeit fromm dem Pietismus anhingen. 120 Decker
verdeutlicht, dass Hesses Bruch mit dem Christentum zugleich ein Bruch mit einer
tiefverwurzelten Tradition seiner Familie war. Alle Hesses und Gunderts waren, ohne
Ausnahme, schwäbische Pietisten gewesen. Für sie war die Familie „die kleinste Zelle einer
112
Brief an Wilhelm Gundert, S. 256-257.
Ebd., S. 257.
114
Gemeint ist Wilhelm Gundert: Bi-yän-lu: Meister Yüan-wu's Niederschrift von der Smaragdenen Felswand.
München: Hanser 1960. Das Bi-yän-lu ist eine Sammlung Anekdoten und Sentenzen des chinesischen und
japanischen Zens. Gundert hat die Texte ins Deutsche übersetzt und erläutert, und seine Übersetzung ist noch
immer tonangebend.
115
Die Sprache wird in Südindien gesprochen und zählt ungefähr 40 Millionen Muttersprachler.
116
Die Sprache wird in Nordindien gesprochen und zählt insgesamt 541 Millionen Muttersprachler. Sie hält die
Mitte zwischen Hindu und Urdu, wird aber nicht als Standardsprache anerkannt.
117
Hermann Hesse: „Über mein Verhältnis zum geistigen Indien und China“. In: Materialien, Band 1, S. 305.
118
Christoph Gellner: Weisheit, Kunst und Lebenskunst. Fernöstliche Religion und Philosophie bei Hermann
Hesse und Bertold Brecht. Mainz: Matthias Grünewald 1997, S. 79.
119
Hesse: „Über mein Verhältnis zum geistigen Indien und China“, S. 305.
120
Vgl. 1.3: Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland. Die Säkularisierungsthese ist umstritten. Vgl. Detlef
Pollack: Säkularisierung – ein moderner Mythos? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland. Tübingen:
Mohr Siebeck 2012.
113
29
einzigen großen Aufgabe: der Heidenmission“121. Hermann Hesse brach als erster der Familie
aus dieser glaubensstrengen Welt aus und brachte „mit Nietzsche eine unerhörte Botschaft:
Gott ist tot!“122. Statt des strengen Pietismus, sind die indischen Einflüsse seiner Familie
bestimmend für seine spätere Weltanschauung gewesen. „Unbewußt sog ich so viel Indisches
ein“123, gesteht Hesse darüber selber in einer seiner autobiographischen Schriften.
Die Einflüsse seiner frühesten Jugend blieben tatsächlich lange unbewusst und es
„bedurfte […] erst ganz konkreter Anstöße, ehe Hesses Interesse an der ihm von Kindheit an
vertrauten indisch-asiatischen Geistigkeit wiedererwachte“124, wie Gellner erwähnt. Während
seiner Pubertät hatte Hesse kaum Interesse für Indien und war sogar ein Sorgenkind der
Familie. Das enfant terrible rebellierte vehement gegen seine Eltern und brach mit 15 Jahren
sein Theologiestudium in Maulbronn ab, weil er „entweder ein Dichter oder gar nichts“125
werden wollte, wie er später selber sagte. Das war der Anfang einer Odyssee durch mehrere
Schulen, wobei die ersten Zeichen einer Depression sich manifestierten. Am 20. März 1892
schrieb Hesse einen Brief an seine Eltern, in dem indirekt sichtbar wird, dass er unter einer
Depression zu leiden hatte: „Ich bin so müde, so kraft- und willenlos; [...] Ich bin nicht krank,
nur eine mir ganz ungewohnte Schwäche fesselt mich [....]“126, gesteht der damals kaum
fünfzehnjährige Hesse. Er schließt seinen Brief mit einem Zitat Georg Herweghs: „Ich möchte
hingehn wie das Abendrot.“127 Seinen Worten ließ er Taten folgen und kaum zwei Monate
später unternahm er, infolge seiner unglücklichen Liebe zu Eugenie Kolb, einen
Selbstmordversuch in der Anstalt Bad Boll, wo er damals residierte. In der Folge wurde er in
einer Irrenanstalt in Stetten interniert. Kaum zwei Monate später wurde er entlassen, aber zu
Hause ging die Rebellion gegen seine Eltern unermüdlich weiter und „die gegenseitigen
Unverträglichkeiten scheinen unüberwindlich“128, wie Decker es beschreibt. Tatsächlich
wurde die Situation so unhaltbar, dass seine Eltern sich verpflichtet sahen, ihn nach kaum 17
Tagen erneuter Freiheit wiederum in die Irrenanstalt zu schicken, was Hesse als Verrat ansah.
Er fing an, stärker als zuvor an dem strengen Pietismus seiner Familie zu zweifeln. Den ersten
121
Decker: Hesse. Der Wanderer und sein Schatten, S. 23.
Ebd., S. 24.
123
Hesse: „Über mein Verhältnis zum geistigen Indien und China“, S. 305.
124
Gellner: Weisheit, Kunst und Lebenskunst, S. 80.
125
Hermann Hesse: „Kurzgefasster Lebenslauf“. In: Hermann Hesse. Gesammelte Werke in 12 Bänden. Band 6.
Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970, S. 391. Die Parallele mit Victor Hugo, der mit 14 Jahren in seinem
Schulheft behauptete, „Je veux être Chateaubriand ou rien“, ist unübersehbar.
126
In: Volker Michels: „Ich gehorche nicht und werde nicht gehorchen!” Hermann Hesse. Die Briefe 18811904. Berlin: Suhrkamp 2012, S. 86.
127
Ebd.
128
Decker: Hesse. Der Wanderer und sein Schatten, S. 83.
122
30
Brief an seine Eltern, den 30. August 1892, unterschrieb er mit „H. Hesse Nihilist“129, um am
4. September zu schreiben: „Ich kann eben in diesem Gott nichts als einen Wahn, in diesem
Christus nichts als einen Menschen sehen, mögt Ihr mir hundertmal fluchen.“130
Sein ganzes weiteres Leben sollte der Autor zwischen „Phasen des Schöpferrausches“
und „Zeiten tiefster Depression“131 pendeln. Nicht zufälligerweise haben seine Romanfiguren,
wie
Harry
Haller
und
Hans
Giebenrath,
mit
Melancholie,
Depression
und
Selbstmordwünschen zu kämpfen. Seine innerlichen Krisen hat Hesse nie überwunden, was
sich in seinen sozialen Fähigkeiten widerspiegelte: „Ein Neurotiker, oft genug auf der Grenze
des Psychopathischen, so erschien er Menschen, die mit ihm zu tun bekamen.“132
Dennoch schien es nach seiner Zeit in Stetten ein wenig besser zu gehen. 1893 brach er
endgültig die Schule ab, um als Mechaniker in einer Turmuhrfabrik eine Lehre zu machen.
Dank des Lohnes gewann er die Unabhängigkeit von seinen Eltern, aber die monotone Arbeit
löste zugleich einen Hunger nach Literatur und Erkenntnis aus und schon 1895 verließ er die
Fabrik, um als Buchhändler in die Lehre zu gehen und noch im selben Jahr in einer
Buchhandlung in Tübingen zu arbeiten. In den darauffolgenden Jahren fing er an, sich nach
der Arbeit völlig der Literatur zu widmen. In dieser Zeit entstanden die ersten Gedichte, und
der Erfolg seines 1903 erschienenen Peter Camenzind erlaubte ihm als freier Schriftsteller zu
arbeiten.
In dieser Situation muss Hesse mit dem Buddhismus in Berührung gekommen sein.
Selbst erwähnt er, „erst im Alter von etwa 27 Jahren“133 wieder auf indische Gedanken
gestoßen zu sein. So fing die zweite Phase seiner östlichen Annäherung an, wie in der
Forschung betont wird: „Zunächst war es die Familientradition, welche ihm die asiatische
Welt nahebrachte, bevor er sich später, bedrängt von inneren Krisen, selbständig und bewußt
den asiatischen Philosophien zugewandt hat.“134 Unmittelbarer Anlass der Wiederentdeckung
war seine Beschäftigung mit der Philosophie Schopenhauers, wie er selber erwähnt. Seine
Begeisterung für den Orient wuchs allmählich und er traf sich öfters mit Gleichgesinnten:
[…], in den folgenden Jahren hatte ich häufig Begegnungen mit suchenden Menschen,
meist von mehr oder weniger theosophischer Färbung, und fand mich auch durch sie
129
In: Michels: Die Briefe, S. 97.
Ebd., S. 100.
131
Decker: Hesse. Der Wanderer und sein Schatten, S. 12.
132
Ebd., S. 14-15.
133
Hesse: „Über mein Verhältnis zum geistigen Indien und China“, S. 305.
134
Felix Lützkendorf: „Hermann Hesse in seinen Beziehungen zur Romantik und zum Osten“. In: Materialien zu
Hermann Hesses Siddhartha. Band 2. Hg. v. Volker Michels. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1975, S. 77.
130
31
mehr und mehr auf indische Quellen gewiesen, lernte eine Übersetzung der BhagavadGita kennen und war von da an in indischen Ideen heimisch.135
Erneut zeigt sich der Einfluss der Theosophischen Gesellschaft im frühen 20. Jahrhundert.136
Durch die Indienbegeisterung dieser Gesellschaft lernte Hesse die Bhagavad Gita137 kennen
und vertiefte sich allmählich in die buddhistische Lehre. Seine späteren Quellen waren, nach
eigener Angabe, die epochemachenden Werke seiner Zeit: „Bald fand ich auch das
Dhammapaddam138, von Neumann übersetzt, und Oldenbergs Buddhabuch139, später die
Werke von Deußen.“140 Neben Neumann und Oldenberg schuf Paul Deussen, ein Historiker,
Philosoph und Indologe, wichtige religionswissenschaftliche Werke zur indischen
Philosophie, die Hesse inspirierten.141 Seine wachsende Begeisterung spiegelt sich in seiner
literarischen Produktion der Zeit wider, wie in der 1908 erschienenen Erzählung Taedium
vitae142, in der sich der Einfluss Blavatskys und Schopenhauers zeigt.
Obwohl er zuerst mit dem Buddhismus in Berührung kam, wurde Hesse später stark
von den chinesischen Lehren beeinflusst, die eine „Bereicherung und teilweise Korrektur“143
seines östlichen Wissens waren. Insbesondere Lao Tse, der Begründer des Taoismus, wurde
ihm „für lange Zeit zur wichtigsten Offenbarung“144. Das spätere Denken Hesses stand im
Zeichen Chinas, sodass er über „eine Wendung von Indien nach China, d.h. von dem
asketischeren Denken Indiens zu dem bürgerlicheren, ‚bejahenderen‘ Chinas“145 sprach.146
Hesse gesteht selber, Siddhartha sei sowohl unter buddhistischen als auch taoistischen
Einflüssen entstanden. Die Enttäuschung seiner Indienreise hat sicherlich einen Beitrag zu
dieser Wende geliefert, wie im nächsten Abschnitt deutlich wird.
135
Hesse: „Über mein Verhältnis zum geistigen Indien und China“, S. 305-306.
Vgl. 1.3: Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland.
137
Die Bhagavad Gita ist ein zentraler Text des Hinduismus, der, in der Form eines Gedichtes, die Quintessenz
der Veden darstellt.
138
Eine 423 Verse zählende Anthologie der Reden des Buddha. Vgl. Karl Eugen Neumann: Der Wahrheitspfad:
ein buddhistisches Denkmal. München: Piper 1918.
139
Gemeint ist Oldenberg: Buddha. Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde.
140
Hesse: „Über mein Verhältnis zum geistigen Indien und China“, S. 306.
141
Er schuf unter anderem eine Übersetzung von den Upanishaden. Vgl. Paul Deussen: Die Geheimlehre des
Veda: ausgewählte Texte der Upanishad’s. Leipzig: Brockhaus 1921.
142
Die Erzählung berichtet die misslungene Liebesgeschichte des Protagonisten, der sich aus der Welt
zurückzieht.
143
Hesse: „Über mein Verhältnis zum geistigen Indien und China“, S. 306.
144
Ebd.
145
Ebd.
146
Adrian Hsia hat Hesses Beziehung zu China ausführlich untersucht. Vgl. Adrian Hsia: Hermann Hesse und
China. Darstellung, Materialien und Interpretation. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974.
136
32
2.2 Hesses Indienreise
1911 unternahm Hesse eine Indienreise, die ihn nach Ceylon, Sumatra und Singapur
führte. Mehrere Gründe trieben ihn damals in das Morgenland. Zum einen war er auf der
Suche nach dem Ursprung seiner Familie, zum anderen nach „einer echten Alternative zu
Europa, das er noch vor Oswald Spenglers Kulturkreislauflehre an das Ende seiner
Möglichkeiten gekommen sieht“147. Hesse wollte aus Europa fliehen um neue Hoffnung, die
aus dem Morgenland zu kommen schien, zu finden und schloss sich damit der allgemeineren
Enttäuschung avant la lettre an, ein Jahrzehnt bevor Kern „das Licht des Ostens“ und
Spengler „den Untergang des Abendlandes“ propagierten.148 Später würde er über seine Reise
selber sagen, dass er auch dort „das ungestillte Heimweh“149 nicht loswerden konnte:
Indiens Geist gehörte noch nicht mir, ich hatte noch nicht gefunden, ich suchte noch.
Darum floh ich damals auch Europa, denn meine Reise war eine Flucht. Ich floh es und
haßte es beinahe, in seiner grellen Geschmacklosigkeit, seinem lärmigen
Jahrmarktbetrieb, seiner hastigen Unruhe, seiner rohen, tölpelhaften Genußsucht.150
Auf seiner Suche nach ‚Indiens Geist‘ fand der verzweifelte Hesse jedoch nur Enttäuschung.
Seine Flucht aus dem Europa der Vorkriegszeit hing ohne Zweifel mit dem wachsenden
Nationalismus zusammen, dem Hesse feindlich gegenüberstand. Seine Aversion sollte sich
drei Jahre später in seinem polemischen Aufsatz O Freunde, nicht diese Töne manifestieren.
Seit der Veröffentlichung des antinationalistischen Essays galt der Autor in Deutschland als
‚Vaterlandsverräter‘, was für die Auflage seiner Bücher katastrophal war. Im Aufsatz, der am
3. November 1914 in der Neuen Zürcher Zeitung erschien, rief Hesse die deutschen
Intellektuellen dazu auf, dem Nationalismus Widerstand zu leisten.151 In der darauffolgenden
Zeit brach deswegen eine große Polemik gegen ihn aus. Heimo Schwilk, Redakteur der Welt
und Biograf Hesses, betont in seiner Biografie die Hexenjagd, die gegen Hesse veranstaltet
wurde. Der inzwischen siebenunddreißigjährige Autor war zur Persona non grata geworden
und eine schwere Zeit brach an:
Hesse wird in zwei Dutzend Blättern als Vaterlandsverräter diffamiert. Alte Freunde
sagen sich von ihm los, aus Deutschland wird er mit Hassbriefen überschüttet,
deutschnationale Buchhändler boykottieren ihn, der Verkauf seiner Bücher stürzt
dramatisch ab.152
147
Decker: Hesse. Der Wanderer und sein Schatten, S. 269.
Vgl. 1.3: Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland.
149
Hermann Hesse: „Besuch aus Indien“. In: Materialien, Band 1, S. 317.
150
Ebd.
151
Vgl. Heimo Schwilk: Hermann Hesse. Das Leben des Glasperlenspielers. München: Piper 2012, S. 169-195.
152
Ebd., S. 187.
148
33
Das Ereignis würde er später im Steppenwolf thematisieren. Der Vorfall erregte die
Aufmerksamkeit des französischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers Romain Roland, mit
dem eine lebenslange Freundschaft entstand. Nicht ohne Zufall ist der erste Teil des
Siddhartha ihm gewidmet.
In der Zwischenzeit hatte Hesse 1904 die erste seiner drei Frauen, Maria Bernoulli,
geheiratet. Die Forschung ist sich darüber einig, dass die Reise nicht nur aus
Indienbegeisterung, sondern auch durch eine familiäre Krise stattfand. Der Außenseiter Hesse
war ein bürgerlicher Schriftsteller und Familienvater geworden und fühlte die Not, aus seiner
Existenz zu flüchten. Acht Wochen zuvor war sein dritter Sohn Martin geboren worden, aber
Hesse hatte sich mit seiner Frau schon längst auseinandergelebt und wollte Abstand
gewinnen.153
Die
Indienreise
hatte
damit
ein
dreifaches
Ziel:
Sie
war
„eine
Selbstvergewisserung familiärer Ursprünge, ein Überschreiten europäisch-christlicher
Horizonte auch, aber vor allem ist es eine Flucht aus der häuslichen Enge“ 154, wie Decker
verdeutlicht.
Hesses Indienreise war dennoch kein Unikum. Der Orient hatte einen magischen Ruf
und übte seinerzeit auf europamüde Intellektuelle eine besondere Anziehungskraft aus. Die
Kenntnisse über das damalige Indien waren beschränkt und dessen Bild äußerst naiv, was
sicherlich die magische Wirkung verstärkte. Hesse verdeutlicht selbst, dass die Europäer
kaum etwas Objektives über das Morgenland wussten:
Schon seit hundert Jahren war besonders stark das Interesse für die Buddha-Lehre, und
noch vor zwanzig Jahren war die Mehrzahl der Europäer der festen Meinung, die
Völker Indiens seien alle Buddhisten, während in Wirklichkeit im eigentlichen Indien ja
die Zahl der noch vorhandenen Buddhisten verschwindend klein ist.155
Die Begeisterung für den Buddhismus schien das Traumbild Indiens nur zu verstärken. Die
Orientreise ermöglichte die Flucht aus dem ‚untergehenden‘ Europa, um sich der östlichen
‚Weisheit‘ zu widmen. Für Hesse war der Untergang des Abendlandes denn auch nicht sosehr
auf politischer, sondern vielmehr auf intellektueller Ebene zu situieren. Hugo Ball, der mit
Hesse befreundet war, verdeutlicht, dass der Untergangsgedanke damals etwas typisch
Deutsches war. Die Intellektuellen fürchteten nicht den physischen Untergang, sondern den
geistigen, denn „dies abgerechnet, war es bei Hesse doch anders gemeint als bei Spengler.
153
Er war alles andere als ein idealer Gatte und war oft abwesend. Selbst während der Schwangerschaft Marias
war er erneut auf Reisen in Italien.
154
Decker: Hesse. Der Wanderer und sein Schatten, S. 269.
155
Hermann Hesse: „Aus Indien und über Indien”. In: Materialien, Band 1, S. 325.
34
Hesse sieht den Untergang mehr von innen kommen, aus der Tiefenseele […]“156, wie Ball
erwähnt.
Um das märchenhafte Orientbild und die Anziehungskraft der Orientreise verstehen zu
können, muss ein Blick auf Edward Saids Orientalism157 geworfen werden. Said formuliert in
seinem epochemachenden Werk die These, dass das exotische Orientbild aus westlicher,
europäischer Sicht entstanden ist. Der Westen hat, laut Said, das märchenhafte Bild selbst
geschaffen und bis heute instand gehalten. Er nennt das Phänomen „Orientalizing the
Oriental“ und beschreibt es folgendermaßen:
Orientalism is a style of thought based upon an ontological and epistemological
distinction made between "the Orient" and (most of the time) "the Occident." Thus a
very large mass of writers, among whom are poets, novelists, philosophers, political
theorists, economists, and imperial administrators, have accepted the basic distinction
between East and West as the starting point for elaborate theories, epics, novels, social
descriptions, and political accounts concerning the Orient, its people, customs, "mind,"
destiny, and so on.158
Das Bild des Orients wurde, laut Said, in der Antike geschaffen und als das absolute
Gegenbild des Abendlandes definiert. Der Westen wurde durch die Bibel und das
Christentum, durch Marco Polo und Jean de Mandeville bestimmt und die Literatur dieser
Protagonisten definierte das Morgenland ex negativo, wie Said verdeutlicht: „These are the
lenses through which the Orient is experienced, and they shape the language, perception, and
form of the encounter between East and West.“159 Said zeigt, dass das abendländische Bild
des Orients sich so bis heute weiterentwickelt hat.160 Das westliche Denken über den Orient
ist deshalb a priori determiniert und „because of Orientalism the Orient was not (and is not) a
free subject of thought or action”161. Die Erwartungen an die Orientreise, die Hesse ebenfalls
hegte und die zur Anziehungskraft der Reise beitrugen, waren in dieser Hinsicht irreal und
unerfüllbar, was sicherlich mit zur Enttäuschung Hesses geführt hat.
Die Orientreise an sich war nihil novi sub sole. Behrang Samsami, ein iranischer
Forscher an der Freien Universität Berlin, verdeutlicht in seiner Promotionsschrift, die auf
156
Hugo Ball: „Hermann Hesse und der Osten“. In: Materialien, Band 2, S. 67.
Das klassische Werk ist äußerst umstritten. Während die sogenannten ‚Postcolonial Studies‘ einerseits auf
Saids Theorie basieren, stellen Kritiker andererseits die Legitimität eines solchen Begriffs in Frage. Selbst im
Postkolonialismus selber herrscht Uneinigkeit über das Wesen der Forschungsrichtung. Vgl. Ato Quayson:
Postcolonialism: theory, practice or process? Cambridge: Polity 2000.
158
Edward Said: Orientalism. New York: Pantheon 1978, S. 2-3. Hesse hat in dieser Hinsicht eine doppelte
Rolle gespielt. Während Siddhartha einerseits einen Beitrag zum „Orientalismus“ liefert und das Bild des
magischen Orients im Westen bestätigt, versucht das Buch andererseits eine Synthese des ‚westöstlichen‘
Denkens zu schaffen und hat es so einen Einfluss auf das Denken im Orient selber ausgeübt. (Vgl. 3.3: Eine
westöstliche Dichtung)
159
Ebd., S. 58.
160
Vgl. Ebd., S. 186-260.
161
Ebd., S. 3.
157
35
Said weiterbaut, dass sie eine reiche Geschichte hat. Jede Epoche hatte seine eigenen Gründe,
um eine Orientreise zu unternehmen. Samsami skizziert eine historische Entwicklung „von
der Wallfahrt über die Grand Tour hin zur Moderne-Flucht“162. Schon in der Antike bestand
die Begeisterung für das Morgenland, obwohl sie aus anderen Gründen entstanden war. Die
ersten Kontakte zwischen Ost und West entstanden damals aus dem Interesse für die
Luxusgüter der beiden Kulturen. Aus der Frage nach exotischen Produkten folgte „die
Entstehung fantastischer Vorstellungen vom unbekannten Osten“163. Laut Samsami hat
Herodot, der Indien als „Land der Wunder und des Reichtums“164 beschrieb, das Bild des
Orients im Westen bis in die Moderne hinein geprägt. Der Orient galt seither als ein Land, wo
fantastische Mischwesen zwischen kostbaren Rohstoffen lebten und wurde deshalb zum
Reiseziel von Glücksrittern und Händlern. Unter Alexander dem Großen kamen „weitere
Berichte über Land und Leute, Flora und Fauna des Orients“165 in den Westen, bis der
Einfluss durch die arabische Herrschaft gehemmt wurde.
Es dauerte bis 1095, bis wieder Kontakte zu blühen anfingen. Als Urban II. zur
‚Befreiung‘ des Heiligen Landes aufrief, brachte das indirekt eine Wiederentdeckung des
Morgenlandes mit sich, und die Kreuzzüge stießen „eine ernsthaftere Beschäftigung des
Westens mit den Sprachen, Kulturen und Wissenschaften des Orients an“166. Durch die
Kreuzzüge entstanden im Orient europäische Königreiche und der Handel über die
Seidenstraße blühte. Diese neue Stabilität war Anlass für Diplomaten, Missionare und
Kaufleuten, eine Orientreise zu unternehmen. Nicht selten waren sie durch Marco Polo167
oder Jean de Mandeville168 angeregt. Das Ziel der mittelalterlichen Reise war also dreifach:
Der Orient bot nicht nur wirtschaftliche Vorteile einerseits und neues Wissen andererseits,
sondern auch mögliche Bündnispartner im Kampf gegen die Muslime. In dieser Zeit entstand
die sogenannte peregrinatio religiosa oder Pilgerfahrt. Obwohl Jerusalem das beliebteste Ziel
war, gewann der Orient eine allmählich größere Anzahl Pilger, die, um die Ostkirche gegen
die Muslime zu verteidigen, Palästina antaten und so auf Erlösung hofften. Der Pilgerverkehr
nach Indien stand zu dieser Zeit in Blüte, aber kam zum Erliegen, als die Osmanen zur
östlichen Großmacht wurden und die Reise zu gefährlich geworden war.
162
Behrang Samsami: Die Entzauberung des Ostens: Der Orient bei Hesse, Wegner und Schwarzenbach.
Bielefeld: Aisthesis 2010, S. 51.
163
Ebd., S. 38.
164
Ebd.
165
Ebd., S. 39.
166
Ebd.
167
Vgl. Marco Polo und Maurizio Scarpari: Il Milione. Turin: Einaudi 2005.
168
Vgl. Christiane Deluz: Le livre de Jehan de Mandeville: une géographie au XIV siècle. Löwen: Institut
d’études médiévales 1988.
36
In der Frühen Neuzeit fanden wiederum große Änderungen statt. Samsami verdeutlicht,
dass die Entdeckungsfahrten und die Astronomie das Bild der Fremde grundlegend geändert
hatten. Das Universum wurde als grenzenlos und unendlich betrachtet und die Welt wurde
zugleich kolonialisiert, wodurch die Fremde neubestimmt werden musste. Sie war nicht mehr
„das ganz Andere, genau Abgrenzbare und Auszugrenzende“ des Mittelalters, sondern musste
„als ein Teil des Eigenen, als eine Projektionsfläche europäischer Imagination in die neue
Kosmos-Vorstellung“169 integriert worden. Für die Prägung des Orientbildes waren nicht nur
die Reiseberichte der Händler und Gesandtschaften, sondern auch die Literatur von großer
Bedeutung.170 Die blühende Orientbegeisterung fing mit Antoine Gallands Übersetzung der
Märchen aus Tausendundeiner Nacht endgültig an. Die Literatur schuf und verstärkte das
magische Bild des Orients durch fiktive Reiseberichte, wie de Montesquieus Lettres persanes.
Die Fremde wurde weitgehend literarisiert und der Perspektivwechsel wurde als „Mittel zur
Aufklärung und Kritik“171 angewendet. Samsami betont dennoch, dass gerade diese
Literarisierung „zu einer Idealisierung des Orients als einer fantastischen, weil konflikt- und
gewaltfreien Gegenwelt“ geführt hat, „die dann, unreflektiert übernommen, für wahr gehalten
werden kann – übrigens auch und gerade, weil große Teile dieser Weltgegend zu diesem
Zeitpunkt noch unerschlossen sind und daher der Imagination der Europäer keine Grenzen
gesetzt werden.“172 In der Frühen Neuzeit wurde die Orientreise in die sogenannte Grand
Tour oder Kavalierstour eingebaut. Diese Grand Tour war eine adlige Bildungsreise im
Rahmen des Humanismus. Die mittelalterliche, christliche peregrinatio religiosa war
säkularisiert und zielte nicht mehr auf persönliche Heilsgewinnung, sondern diente als
peregrinatio academica dazu, „die daheim genossene Erziehung und die an der Universität
erhaltene Ausbildung durch die ‚Erfahrung der Welt‘ zu erproben, neue Kenntnisse zu
erwerben und sich selbst so gut wie möglich zu vervollkommnen“173. Das Ziel dieser Reise
war also, als uomo universale und homme du monde heimzukehren.
169
Samsami: Die Entzauberung des Ostens, S. 43.
Eine ausführliche Liste bietet Samsami: Die Entzauberung des Ostens, S. 45.
171
Ebd., S. 46.
172
Ebd. Die europäische Fehlinterpretation beschränkt sich nicht auf das Bild des Orients, das Said und Samsami
untersuchen. In Marvelous Possessions hat Stephen Greenblatt analysiert, wie die Europäer ein ebenfalls
magisches Bild der ‚Neuen Welt‘ geschaffen haben. Basierend auf unter anderem Christoph Kolumbus, Jean de
Mandeville und Jean de Léry, zeigt er, wie sie aus europäischer Sicht interpretiert und erläutert haben, was sie
sahen. Er rekonstruiert so „the European practice of representation“ und „the nature of the representational
practices that the Europeans carried with them to America and deployed when they tried to describe to their
fellow countrymen what they saw and did“. (Stephen Greenblatt: Marvelous Possessions. The Wonder of the
New World. Oxford: Clarendon 1992, S. 7) Die Berichte über die Entdeckungsfahrten basierten laut Greenblatt
häufig auf Fantasie und „Wonder“ ist der Schlüsselbegriff der Interpretation: „Columbus’s voyage initiated a
century of intense wonder.“ (Ebd., S. 14)
173
Samsami: Die Entzauberung des Ostens, S. 54.
170
37
Im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts gewann die Orientreise wiederum eine neue
Bedeutung. Die Morgenlandfahrt der Moderne war der Erbe der mittelalterlichen, religiösen
Pilgerreise und der didaktischen Kavalierstour der Frühen Neuzeit, aber verlor die religiösen
und didaktischen Züge, um zur Vergnügungsreise umgestaltet zu werden. Die Moderne war
zugleich das Zeitalter der Industrialisierung, und das „hektische und unübersichtliche Leben
in der modernen Großstadt“ förderte „das Bedürfnis nach Entspannung und Ablenkung vom
industriell geprägten Alltagsleben.“174 Die Reise wurde so als Moderne-Flucht neu definiert.
Die Gründe seiner Anziehungskraft waren nicht nur die Industrialisierung, sondern auch die
politischen Umwälzungen, die mit der Französischen Revolution anfingen und das christliche
Weltbild demontierten. Die „Entzauberung der christlichen Religion“175 war Anlass zur Suche
nach neuen Weltanschauungen, die vom Osten erhofft wurden.176 In diesem historischen
Rahmen ist Hesses Indienreise zu verstehen. Sie war ein erhofftes Heilmittel gegen „den
Verlust an Natürlichkeit und Übersichtlichkeit, Glauben und Spiritualität in Europa“177.
Hesse hatte an seine Indienreise große Erwartungen. Er bereitete sich sorgfältig vor, las
Reiseführer, kaufte eine Ausrüstung für die Tropen und lernte Englisch bei seiner Schwester.
Finanzielle Sorgen brauchte er sich nicht zu machen, denn sein Freund und Verleger Samuel
Fischer hatte ihm einen Zuschuss ohne Bedingungen in Höhe von 4000 Mark gewährt.
Schwilk betont Hesses Begeisterung, endlich den Ort der magischen Erzählungen seiner
Jugend zu sehen:
Er will endlich jene morgenländisch-indische Welt mit eigenen Augen sehen, die ihm
seine Eltern mit ihren Erzählungen und Büchern nahegebracht haben und die er durch
seine Lektüre der heiligen Schriften Altindiens bereits gut zu kennen meint.178
Die Enttäuschung sollte umso größer sein. Schon an Bord des Dampfers wurde peinlich
deutlich, dass das Idealbild stark von der Realität abwich. Die Umstände waren keineswegs
bequem, wie Schwilk verdeutlicht: „Hesse leidet unter der Hitze, den Moskitos, an Durchfall
und Seekrankheit. Schlafen kann er in seiner schwülen Kabine, in der ein lärmender
Ventilator kreist, nur mithilfe von Veronal.“179
In Indien angekommen, traf Hesse nicht das erhoffte, märchenhafte Land, sondern eine
weitgehend europäisierte Zivilisation an. In seinen Aufzeichnungen über die Reise berichtet
174
Samsami: Die Entzauberung des Ostens, S. 57.
Ebd., S. 46.
176
Vgl. 1.3: Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland.
177
Samsami: Die Entzauberung des Ostens, S. 69.
178
Schwilk: Das Leben des Glasperlenspielers, S. 162.
179
Ebd., S. 163. Veronal war der Markenname von Barbital, einem Schlafmittel, das bei hoher Dosierung tödlich
war und deshalb als Arzneimittel verschwunden ist.
175
38
er darüber unter anderem Folgendes: „Ich lernte sogar, mich über Indien lustig zu machen,
und ich schluckte die scheußliche Erfahrung, daß der seelenvolle, suchende Beterblick der
meisten Inder gar nicht ein Ruf nach Göttern und Erlösung ist, sondern einfach ein Ruf nach
Money.“180 Die Kolonisation hatte seine Spuren hinterlassen und Hesse wurde mit der
„Entzauberung des Ostens“ konfrontiert, die Samsami als zentrale These propagiert. Die
„Erreichbarkeit und Verfügbarkeit des Exotischen“ im 20. und 21. Jahrhundert durch
„Eisenbahn und Dampfschifffahrt und später durch Auto, Flugzeug und Film“181 haben die
Bezauberung des Orients zerstört, wie Samsami verdeutlicht: „Die Reise in den Orient verliert
damit nach der pietas auch im Sinne der curiositas an Besonderheit, da der für Europa
bestehende ‚Zauber des Fremden‘ durch die Verwestlichung und also Nivellierung der
Weltkulturen abnimmt.“182 Diese Nivellierung war der Grund für Hesses Enttäuschung, was
in seinen Briefen klar zum Ausdruck kommt. Als er 14 Jahre später an seine Reise
zurückdenkt, spricht er von einer „untergehenden Welt“183. Die Lektüre eines Buches Martin
Borrmanns, der 14 Jahre nach Hesse über seine Reise nach Sumatra berichtet, konfrontierte
Hesse damals erneut mit der Verwestlichung Indiens, die er selber empfunden hatte. 184 Was
1911 schon angefangen hatte, schien sich nur weiterentwickelt zu haben, was für Hesse das
Ende allen indischen Zaubers bedeutete: „In Bälde wird es kein primitives Volk in Asien
mehr geben, und keinen Malaien, der nicht den kleinen Amerikaner spielte, und keinen
Urwald, durch den nicht in Zement gefaßte korrigierte Flüsse gingen.“185
Nach zwei Monaten endete seine Reise, und „ein von dauernder Diarrhoe gezeichneter
Hesse, der sich nur noch durch Opiate und Rotwein aufrecht halten kann, tritt die Rückreise
nach Europa an.“186 Die Indienreise hatte etwas Paradoxes und änderte Hesses Weltsicht
grundlegend. Wie negativ die Erfahrung auch gewesen war, für seine Beschäftigung mit
östlichen Lehren hatte sie ihm neue Einsichten geliefert. Gerade weil er, laut Samsami, nicht
„seinem stark von der Literatur geprägten Bild, sondern im Gegenteil dem realen, teilweise
stark europäisierten Osten“ begegnete, „postuliert und ästhetisiert er in seinem nach der
‚Entzauberung‘ entstandenen Œuvre das ‚persönliche Asiatentum‘, d.h. die fiktive Begegnung
180
Hermann Hesse: „Indische Schmetterlinge“. In: Sehnsucht nach Indien. Literarische Annäherungen von
Goethe bis Günter Grass. Hg. v. Veena Kade-Luthra. [3. Auflage]. München: Beck 2006, S. 157.
181
Samsami: Die Entzauberung des Ostens, S. 58.
182
Ebd., S. 59.
183
Hermann Hesse: „Sehnsucht nach Indien“. In: Materialien, Band 1, S. 323.
184
Vgl. Martin Borrmann: Sunda. Eine Reise durch Sumatra. Frankfurt am Main: Societäts-Druckerei 1925.
185
Hermann Hesse: „Sehnsucht nach Indien“, S. 323.
186
Schwilk: Das Leben des Glasperlenspielers, S. 167.
39
mit dem Orient und die Umwandlung ihrer Werte für die eigene Lebenswelt“187. Am Ende
kam er, nach eigener Aussage durch einen Traum, zur Einsicht, dass er die Lösung nicht im
Exotismus, sondern im „Rückweg ins Eigene, der alles Fremde in sich einschließt“188 finden
würde.189
Die Forschung ist sich darüber einig, dass Hesse während seiner Indienreise zugleich
mit der chinesischen Kultur in Berührung kam, die er pries und bewunderte und von der er
stark beeinflusst wurde. Jürgen Weber, Sinologe und Germanist, behauptet sogar, dass Hesse
auf seiner Suche nach Indien eigentlich China gefunden habe.190 Es kann tatsächlich nicht
verneint werden, dass die chinesische Kultur Hesse stark beeindruckt hatte. Am 1. Juni 1912
schreibt er, kaum zurück in Europa, in einem Brief an seinen Freund Ludwig Thoma: „Ich
war gegangen, um den Urwald anzusehen, die Krokodile zu streicheln und Schmetterlinge zu
fangen, und fand nebenbei und ungesucht etwas viel Schöneres: die Chinesenstädte von
Hinterindien und das chinesische Volk, das erste wirkliche Kulturvolk, das ich sah.“191 Die
Chinabegeisterung wird in Abend in Asien wiederum bestätigt, als er die Chinesen „die
heimlichen Herrscher des Ostens“192 nennt.
Adrian Hsia, Sinologe und Hesseforscher an der McGill Universität in Montreal,
relativiert die Chinabegeisterung Hesses jedoch. Er verdeutlicht, dass Hesse nur literarische
Werke „des alten China“193 gelesen hatte, über das politische und soziale China seiner
Gegenwart aber kaum etwas wusste. Er traf nur einige Chinesen Hinterindiens, während die
„Geburtswehen des neuen China“194 für Hesse unbekannt blieben:
Er wußte nichts vom Elend des Volkes und von der Korruption der gebildeten
Schichten. Auch wußte er nichts von der Unterdrückung und Ausbeutung der Chinesen
durch die Kolonialmächte, […] Ebenfalls kannte Hesse nicht den Zwiespalt des
damaligen China, den Kampf zwischen Tradition einerseits und der politischen und
technischen Orientierung nach europäischem Vorbild andererseits.195
187
Samsami: Die Entzauberung des Ostens, S. 73. Wie das „persönliche Asiatentum“ in der Praxis aussah, wird
im letzten Teil dieser Arbeit verdeutlicht.
188
Schwilk: Das Leben des Glasperlenspielers, S. 166.
189
Eine genaue Analyse seiner Schriften über die Indienreise liefert Samsami: Die Entzauberung des Ostens, S.
73-148.
190
Vgl. Jürgen Weber: Indien gesucht, China gefunden. Chinesische Spuren in Leben und Werk des Dichters
Hermann Hesse. Hamburg: Books on Demand 2011.
191
In: Hermann Hesse: Gesammelte Briefe. Band 1. Hg. v. Volker Michels. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1973,
S. 204.
192
Hermann Hesse: „Abend in Asien“. In: Hermann Hesse. Gesammelte Werke in 12 Bänden. Band 6, S. 228.
Abend in Asien ist ein seiner Berichte über die Indienreise, die er im Band Aus Indien gesammelt hat.
193
Adrian Hsia: Hermann Hesse und China. Darstellung, Materialien und Interpretation. Frankfurt am Main:
Suhrkamp 1974, S. 65.
194
Ebd.
195
Ebd., S. 65.
40
Die sozialen und politischen Probleme des damaligen China waren Hesse unbekannt, aber
gerade sein idealisiertes China war, genau wie Indien, auch schon der von Hesse verhassten
„Europäisierung“ unterworfen. Gellner spricht in dieser Hinsicht über die „Gleichzeitigkeit
des Ungleichzeitigen“196. Während die chinesische Jugend sich der Moderne anschließen
wollte, sahen europäische Intellektuelle gerade in China einen Ausweg aus der Moderne:
Hofften die Jungchinesen, fasziniert von westlich-säkularer Wissenschaft und
Demokratie, der sie meist als Auslandsstudenten in Europa, USA und Japan begegnet
waren, mit den „fortgeschrittenen“ Industrienationen der westlichen Moderne
gleichzuziehen, so begrüßten umgekehrt zahlreiche westliche Intellektuelle und
Literaten wie Hermann Hesse und Richard Wilhelm die fernöstlich-asiatische
Geistigkeit, ihre Weisheit und Lebenskunst als Ausweg aus der Krise der modernen
industrialisierten und durchrationalisierten Großstadtzivilisation!197
Gellner verdeutlicht, wie Hsia, dass Hesse nur „Auslandschinesen, chinesische Immigranten
aus den südlichen Provinzen“198 traf und ein „idealisierte[s] Portrait“ dieser Begegnungen
hergestellt hat, in dem „seine ganze Faszination für die in seinen Augen dem Abendland weit
überlegene geistige Zivilisation und Lebensart der Chinesen“199 mitschwingt. Laut Hsia war
dennoch dieser Schleier genau das, was Hesse eine Objektivität verlieh, weil er imstande war,
„unbelastet von den aktuellen Problemen Chinas […] die Eigenart, das Wesen Chinas“ 200 zu
erfassen.
196
Gellner: Weisheit, Kunst und Lebenskunst, S. 89.
Ebd.
198
Ebd., S. 87.
199
Ebd., S. 88.
200
Hsia: Hermann Hesse und China, S. 65.
197
41
3. Siddhartha, eine indische Dichtung
Während im zweiten Kapitel der Arbeit die Frage nach Hesses Quellen und nach seiner
Beziehung zum Orient gestellt wurde, steht in diesem Teil der Text selber im Zentrum. Das
dritte Kapitel besteht aus drei Teilfragen. Der erste Abschnitt widmet sich einer Analyse der
buddhistischen Elemente im Siddhartha. Während im ersten Kapitel der Buddhismus
theoretisch untersucht wurde, wird die Theorie im Folgenden mit Hesses Erzählung
verglichen. Die buddhistischen Elemente des Siddhartha haben ein janusköpfiges Antlitz.
Während die Erzählung einerseits die buddhistische Lehre thematisiert und illustriert, stellt sie
andererseits eine scharfe Kritik dar. Im Zentrum des zweiten Abschnitts steht deshalb die
Frage, wo und auf welche Weise Siddhartha die ursprüngliche Lehre kritisiert, um ein neues
Modell, das auf die Bedürfnisse der zeitgenössischen Leserschaft reagiert, zu schaffen.
Schließlich wird untersucht, wie Hesse im Siddhartha seiner synthetischen Weltanschauung,
die als ‚westöstlich‘ definiert werden kann, literarisch Form gegeben hat und so „zwischen
Orient und Okzident tragfähige Brücken“201 geschlagen hat, wie Michels es ausdrückt. Auf
die chinesischen Einflüsse, die diese Weltanschauung weitgehend geprägt haben und
ebenfalls im Buch spürbar sind, wird deshalb im dritten Teil tiefer eingegangen, wobei
besonders die Lehre des Taoismus im Mittelpunkt steht.
3.1 Eine indische Dichtung
In einem 1922 an Helene Welti geschriebenen Brief, charakterisiert Hesse den
Siddhartha folgendermaßen: „Er ist als Dichtung nichts, sein Inhalt aber ist der Ertrag meines
Lebens und zugleich einer bald zwanzigjährigen Vertrautheit mit Gedanken Indiens und
Chinas.“202 Tatsächlich spielen im Siddhartha sowohl buddhistische, hinduistische als auch
taoistische Gedanken mit. Während der chinesische Einfluss im dritten Teil genauer
betrachtet wird, stehen im Zentrum dieses Abschnitts die buddhistischen und hinduistischen
Einflüsse, die im Buch eng miteinander verknüpft und verwoben sind, wie die Germanistin
Tanja Eisentraut verdeutlicht: „Teilweise werden die Begriffe so miteinander verschränkt und
parallel verwendet, dass eine Trennung und eine eindeutige Zuordnung einzelner Elemente oft
unmöglich ist.“203
201
In: Hermann Hesse: Siddhartha. Eine indische Dichtung. Berlin: Suhrkamp 2012, S. 204.
In: Michels: Materialien, Erster Band, S. 165.
203
Tanja Eisentraut: Einfluss des Buddhismus auf Hermann Hesses Siddhartha. http://www.mythosmagazin.de/methodenforschung/te_siddhartha.pdf (abgerufen am 08.04.15), S. 18.
202
42
Am deutlichsten schimmert der indische Einfluss im Namensspiel durch. Nicht nur
Siddhartha selber, der seinen Vornamen, wörtlich „Wunscherfüllung“, unverhüllt mit dem
historischen Buddha teilt, sondern auch die übrigen Protagonisten haben ihren Namen aus
buddhistischer und hinduistischer Tradition geerbt. Govinda, der Jugendfreund und Begleiter
Siddharthas, stammt aus der hinduistischen Mythologie. Der Hinduismus hat, im Gegensatz
zum Buddhismus, keinen Gründer und die verschiedenen Richtungen, in erster Linie
Shivaismus, Vishnuismus und Shaktismus, beten außerdem andere Gottheiten an. Im
Vishnuismus gilt logischerweise Vishnu, der bereits in den Veden erwähnt wird, als die
wichtigste Manifestation des Göttlichen. Wie Buddha, hat Vishnu zahlreiche Reinkarnationen
oder Avataras gekannt. Die achte seiner insgesamt zehn Wiedergeburten geschah in der
Gestalt Krishnas, der als Govinda, neben anderen Beinamen, bezeichnet wird.204
Laut der Literaturwissenschaftlerin Maria-Felicitas Herforth traf Hesse auf den Namen
während der Lektüre „eines alten indischen Lehrgedichts“205. Gemeint ist ohne Zweifel das
indische Epos Mahabharata, in dem unter anderem die Abenteuer des Helden Arjuna
gedichtet werden. Im Mahabharata ist Govinda der Freund und Wagenlenker Arjunas, der
ihm hilft und am Ende zeigt, wie er richtig leben soll. Hesses Govinda fungiert genauso als
Freund und Begleiter Siddharthas. Gleich am Anfang des Buches wird er in dieser Funktion
dargestellt:
Mehr als sie alle aber liebte ihn Govinda, sein Freund, der Brahmanensohn. […] Er
wollte Siddhartha folgen, dem Geliebten, dem Herrlichen. Und wenn Siddhartha
einstmals ein Gott würde, wenn er einstmals eingehen würde zu den Strahlenden, dann
wollte Govinda ihm folgen, als sein Freund, als sein Begleiter, als sein Diener, als sein
Speerträger, sein Schatten.206
Hesse hat Govindas Funktionen stilistisch betont mittels der Anapher von „als sein“. Obwohl
die beiden Freunde sich trennen, als Govinda beschließt, seine „Zuflucht zum erhabenen
Buddha“207 zu nehmen, begegnen sie sich erneut an wichtigen Wendepunkten im Leben
Siddharthas. Als Siddhartha nach seinem misslungenen Selbstmordversuch in einen tiefen
Schlaf versinkt und zur Einsicht kommt, überwacht Govinda seinen Freund, weil es gefährlich
ist, „an solchen Orten zu schlafen, wo häufig Schlangen sind und die Tiere des Waldes ihre
204
Krishna bekleidet innerhalb des Hinduismus einen hohen Rang und findet weltweit Verbreitung durch die
International Society for Krishna Consciousness, die Bhaktivedanta Swami Prabhupada 1966 gründete. Im
Abendland ist die Bewegung als Hare-Krishna bekannt, wie zum Beispiel im Château de Petite Somme in der
Nähe von Durbuy.
205
Maria-Felicitas Herforth: Königs Erläuterungen und Materialien. Hermann Hesse. Demian – Siddhartha –
Der Steppenwolf. Hollfeld: Bange 2004, S. 59.
206
Hesse: Siddhartha, S. 12-13.
207
Ebd., S. 43.
43
Wege haben“208. Während der Schlüsselszene am Fluss, wo Siddhartha als Erleuchteter lebt,
treffen die beiden sich ein letztes Mal. Doch bleibt der „Freund“, „Begleiter“, „Diener“ und
„Speerträger“ am Ende weiterhin Siddharthas „Schatten“, der nicht in der Lage war, die
Erleuchtung zu erreichen.
Wie Govinda stammt auch der Fährmann Vasudeva aus der indischen Mythologie. Der
Name taucht sowohl im Mahabharata als auch im Bhagavata209 auf, wo Vasudeva als Vater
von Krishna gilt. Der Name des Fährmannes ist kein Zufall, sondern hängt mit der Symbolik
des Flusses zusammen. Im 10. Buch des Bhagavatapurana steht, wie Kamsa, der König,
Vasudeva und seine Frau Devaki neun Jahre gefangen hält und deren neugeborene Kinder
tötet. Um das achte Kind, Krishna, zu retten, trägt Vasudeva es über den Fluss Yamuna und
lässt es im benachbarten Dorf Gokul aufwachsen.
Kamala und Kamaswami sind beide Anspielungen auf das hinduistische Prinzip des
Kama. Kama, zugleich der Gott der erotischen Liebe, repräsentiert Lust und sexuelles
Verlangen und soll, obwohl er für das häusliche Leben notwendig ist, überwunden werden auf
dem Weg zur Erlösung. Nicht zufälligerweise kann Siddhartha nur nach seiner Trennung von
Kamala und Kamaswami die Erleuchtung erreichen. Kamala, die im Siddhartha als schöne
Kurtisane auftaucht, ist ein anderer Name für Lakshmi, die Gattin Vishnus, und bedeutet
wörtlich „die Wunscherfüllende“. Sie ist die Göttin von Schönheit und erfüllt in Hesses
Fassung Siddharthas sexuelle Wünsche, indem sie die „Freuden der Liebe“ 210 anbietet. Der
Name Kamaswami scheint seinerseits eine Erfindung Hesses zu sein. Das Prinzip des Kama
hat er mit dem Wort „Swami“, das auf Sanskrit wörtlich „Herr“ bedeutet, verbunden.
Kamaswami ist so „der Herr der Wünsche“211, der als „reichste Kaufmann dieser Stadt“212 die
materielle Seite des Kama für Siddhartha erfüllt.
Während das Namensspiel explizit auf buddhistische und hinduistische Mythologie
zurückgreift, enthält der Inhalt des Buches selbst implizit eine Menge buddhistischer
Elemente. Sie zeigen sich am deutlichsten, wenn man den Lebenslauf des historischen
Buddha mit dem Lebenslauf Siddharthas vergleicht, was sowohl Eisentraut, Herforth als
Gellner betonen. Siddhartha wurde, wie Buddha, in einer adligen Kaste geboren. Während der
historische Buddha als sogenannter Kshatriya in der Kaste der Krieger und Fürsten geboren
208
Hesse: Siddhartha, S. 109.
Das Bhagavatapurana enthält Geschichten über Vishnu und seine Avataras und zählt 18 000 Verse.
210
Hesse: Siddhartha, S. 71.
211
Herforth: Königs Erläuterungen, S. 65.
212
Hesse: Siddhartha, S. 75.
209
44
wurde, stammt Hesses Siddhartha aus der dominanten Kaste der Brahmanen.213 Schon die
Weissagung der zukünftigen Buddhaschaft verläuft parallel. Während die Väter einen
geeigneten Nachfolger erwarten und Siddharthas Vater „einen großen Weisen und Priester“,
„einen Fürsten unter den Brahmanen“214 heranwachsen sieht, weisen andere Stimmen auf die
Buddhaschaft hin. Die Mutter des historischen Buddha träumte, dass im Himalaja ein weißer
Elefant in sie hineindrang, was 46 Brahmanen als ein Zeichen der zukünftigen Größe
erläuterten. In Hesses Siddhartha nimmt Govinda die Rolle des Weissagers auf sich:
„Govinda wußte: dieser wird kein gemeiner Brahmane werden, kein fauler Opferbeamter,
kein habgieriger Händler mit Zaubersprüchen, kein eitler, leerer Redner, kein böser,
hinterlistiger Priester, und auch kein gutes, dummes Schaf in der Herde der Vielen.“215
Wiederum betont Hesse mittels der Anapher von „kein“ stilistisch, was Siddhartha nicht sein
wird. Die Gedanken Govindas erinnern an die Weise, worauf Jesus über die Pharisäer sprach
und sie als Heuchler abwertete. Auf die zukünftige Buddhaschaft Siddharthas wird am
Anfang des Buches ebenfalls symbolisch verwiesen, weil Siddhartha „im Schatten des
Feigenbaumes“216 aufwuchs, während der historische Buddha selber die Erleuchtung unter
einer Pappelfeige erreichte.
Die beiden brechen in der Tat resolut mit der Tradition des Elternhauses, um Erlösung
in der Welt zu finden. Während Buddha mit 29 Jahren Frau und Kind verlässt, fängt die
Verzweiflung Siddharthas schon in seiner Jugend an und er beschließt als junger Mann,
Familie und Heimat zu verlassen, weil der Brahmanismus keine Antwort bietet:
Die Waschungen waren gut, aber sie waren Wasser, sie wuschen nicht Sünde ab, sie
heilten nicht Geistesdurst, sie lösten nicht Herzensangst. […] Aber wo waren die
Brahmanen, wo die Priester, wo die Weisen oder Büßer, denen es gelungen war, dieses
tiefste Wissen nicht bloß zu wissen, sondern zu leben?217
Die herrschende Unzufriedenheit mit dem dominanten Brahmanismus in der Zeit Buddhas
wird in der Erzählung thematisiert und durch den Parallelismus betont. Während Buddha
durch die Entdeckung des Leidens seine Suche anfing, um die Welt zu befreien, handelt
213
Die Brahmanen sind die oberste Kaste, die Kshatriya stehen auf dem zweiten, die Vaishyas (Händler und
Grundbesitzer) auf dem dritten und die Shudras (Handwerker, Tagelöhner und Bauern) auf dem vierten Platz.
Die sogenannten Parias oder Dalits sind aus dem Kastensystem ausgeschlossen (die sogenannten
‚untouchables‘).
214
Hesse: Siddhartha, S. 12. Die Wortwahl Hesses trägt zur orientalischen Atmosphäre des Buches bei.
Siddharthas Vater erwartet einen ‚Weisen‘ und ‚Priester‘ und die Suche Siddharthas zielt auf ‚Weisheit‘.
215
Ebd.
216
Ebd., S. 11.
217
Ebd., S. 14-15.
45
Siddhartha also aus Mangel und Egoismus und hat seine persönliche Erleuchtung vor
Augen.218
Hesse hat die orientalische Atmosphäre des Buches schon im ersten Kapitel stilistisch
gestaltet. Siddhartha wächst in einer Priesterfamilie auf und lebt in einer paradiesischen
Umwelt, wo der Brahmanismus im Zentrum steht: „Sonne bräunte seine lichten Schultern am
Flußufer, beim Bade, bei den heiligen Waschungen, bei den heiligen Opfern.“219 Die
Wortwahl Hesses steigert diese exotische Atmosphäre. So spielt Siddhartha nicht
zufälligerweise im „Mangohain“220. Nicht nur das dichterische Wort „Hain“, sondern auch die
exotische Mangofrucht verstärken die morgenländische Stimmung. Zugleich verwendet Hesse
häufig theologische Begriffe der indischen Glaubenswelt, wie „Om“221, „Atman“222 und
„Prajapati“223,
wodurch
die
Lebensbeschreibung
Siddharthas
schließlich
der
Lebensbeschreibung eines Heiligen gleicht. So muten das Beharren Siddharthas gegen das
Verbot des Vaters und sein Verlassen des Elternhauses hagiografisch an. Das Motiv erinnert
unmissverständlich an das, was Christus im Evangelium nach Matthäus 19, 29 betont: „Und
jeder, der um meines Namens willen Häuser oder Brüder, Schwestern, Vater, Mutter, Kinder
oder Äcker verlassen hat, wird dafür das Hundertfache erhalten und das ewige Leben
gewinnen.“224
Sowohl Buddha als auch Siddhartha hoffen nach der Trennung durch Askese die
Erlösung zu finden und schließen sich Gruppen von Samanas an, um durch extreme
Entsagung das Ich zu überwinden: „Wenn alles Ich überwunden und gestorben war, wenn
jede Sucht und jeder Trieb im Herzen schwieg, dann mußte das Letzte erwachen, das Innerste
im Wesen, das nicht mehr Ich ist, das große Geheimnis.“225 Über Buddha wird berichtet, er
habe in dieser Periode nur ein Reiskorn und einen Tropfen Wasser pro Tag verzehrt. Harvey
betont die rücksichtslose Härte, womit Buddha sein Ich loswerden wollte, wie sie im
Suttapitaka beschrieben steht:
He practised non-breathing meditations, though they produced fierce headaches,
stomach pains, and burning heat all over his body. He reduced his food intake to a few
drops of bean soup a day, till he became so emaciated that he could hardly stand and his
218
Laut Eisentraut manifestiert sich in dieser individuellen Motivation der Einfluss des europäischen
Gedankenguts.
219
Hesse: Siddhartha, S. 11.
220
Ebd.
221
Ebd.
222
Ebd.
223
Ebd., S. 14. Prajapati gilt als Schöpfergott in der vedischen Mythologie.
224
Die Bibel in der Einheitsübersetzung. Universität Innsbruck.
http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/mt19.html (abgerufen am 16.05.14).
225
Hesse: Siddhartha, S. 24.
46
body hair fell out. At this point, he felt that it was not possible for anyone to go further
on the path of asceticism and still live.226
Die Legende sagt, Buddha sei so abgemagert gewesen, dass er, die Hand auf seinem Magen
haltend, seine Finger um sein Rückgrat schließen konnte. Genauso wie Buddha, widmet
Siddhartha sich der extremen Askese und „das Fleisch schwand ihm von Schenkeln und
Wangen“227.
Aber wie stark Siddhartha und Buddha es auch versuchen, die Askese bringt keine
endgültige Lösung für das Problem, weil das Ich sich immer wieder manifestiert:
Ob Siddhartha tausendmal dem Ich entfloh, im Nichts verweilte, im Tier, im Stein
verweilte, unvermeidlich war die Rückkehr, unentrinnbar die Stunde, da er sich
wiederfand, im Sonnenschein oder im Mondschein, im Schatten oder im Regen, und
wieder Ich und Siddhartha war, und wieder die Qual des auferlegten Kreislaufes
empfand.228
Wie Buddha, sieht Siddhartha ein, dass die Qual des Samsara durch Askese nicht vernichtet
werden kann. Sie beschließen deshalb, die Samanas zu verlassen und stoßen dadurch beide
auf Feindseligkeit. Die Gefährten des Buddha sahen die Entscheidung als Verrat, wie Harvey
verdeutlicht: „When Gotama took sustaining food to prepare himself for attaining jhāna, his
five companions in asceticism shunned him in disgust, seeing him as having abandoned their
shared quest and taken to luxurious living.”229 Der Älteste der Samanas reagiert genauso
zornig, als Siddhartha und Govinda ihren Entschluss mitteilen: „Der Samana aber geriet in
Zorn, daß die beiden Jünglinge ihn verlassen wollten, und redete laut und brauchte grobe
Schimpfworte.“230
An dieser Stelle manifestiert sich eine weitere Ähnlichkeit zwischen Siddhartha und
Buddha. Als Reaktion auf seine Wut stellt Siddhartha sich vor den Samana auf und „mit
gesammelter Seele, fing er den Blick des Alten mit seinen Blicken ein, bannte ihn, machte ihn
stumm, machte ihn willenlos, unterwarf ihn seinem Willen, befahl ihm, lautlos zu tun, was er
von ihm verlangte“231. Der alte Samana ist „machtlos“ Siddharthas „Bezauberung“ erlegen
und „so verneigte sich der Alte mehrmals, vollzog segnende Gebärden, sprach stammelnd
einen frommen Reisewunsch“232. Die Szene erinnert an ein Attentat auf Buddha selbst, der
laut einer Legende im Vinayapitaka dieselbe Zauberkraft demonstrierte. Buddhas Vetter,
226
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 19.
Hesse: Siddhartha, S. 23.
228
Ebd., S. 26.
229
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 20. Jhāna ist Sanskrit und bezeichnet einen höheren
Bewusstseinszustand, der das Ich losgeworden ist.
230
Hesse: Siddhartha, S. 35.
231
Ebd., S. 36.
232
Ebd., S. 36.
227
47
Devadatta, war eifersüchtig und verlangte seine Position, weshalb er drei misslungene
Attentate unternahm. Für das dritte Attentat schickte er „the fierce man-killing elephant
Nālāgiri“233, aber Buddhas Zauberkraft war stärker, wie Harvey verdeutlicht: „As the elephant
charged, the Buddha calmly stood his ground and suffused the elephant with the power of his
lovingkindness, so that it stopped and bowed its head, letting the Buddha stroke and tame
it.”234
Aber die Bezauberung des alten Brahmanen ist nicht die einzige Verweisung auf das
Leben des Buddha. Hesse hat eine weitere Anspielung auf den legendären Stoff des PaliKanons in die Erzählung eingewoben. Oldenberg berichtet, wie der Jüngling Sâriputta eines
Tages Assaji, einen Schüler Buddhas, auf der Straße sieht und sofort erkennt, dass er
erleuchtet ist, weil er „ruhig und voll Würde, mit gesenktem Blick“235 läuft. Als Sâriputta
Assaji anspricht, ist sein erster Satz: „Deine Miene, Freund, ist hell, deine Farbe ist rein und
klar.“236 Wie Sâriputta, erkennt Siddhartha sofort, dass Buddha, „der sich in nichts von den
Hunderten der Mönche zu unterscheiden schien“237, erleuchtet ist: „Siddhartha sah ihn, und er
erkannte ihn alsbald, als hätte ihm ein Gott ihn gezeigt.“238 Nicht zufälligerweise teilen Assaji
und Buddha die gleichen Züge:
Aber sein Gesicht und sein Schritt, sein still gesenkter Blick, seine still herabhängende
Hand, und noch jeder Finger an seiner still herabhängenden Hand sprach Friede, sprach
Vollkommenheit, suchte nicht, ahmte nicht nach, atmete sanft in einer unverwelklichen
Ruhe, in einem unverwelklichen Licht, einem unantastbaren Frieden.239
Die Beschreibung erinnert an die zahlreichen Abbildungen des Buddha, der mit
geschlossenen Augenlidern in vollkommener Ruhe zu sein scheint. Die anthropomorphe
Beschreibung des Körpers des Buddha, der in einer synästhetisch anmutenden Einheit in
„Ruhe“, „Licht“ und „Frieden“ atmet, bewirkt eine stilistische Intensivierung seiner Züge.
Die ‚Erleuchtung‘ wird wörtlich mit Licht und Klarheit verbunden und Hesse betont, dass in
der Gestalt des Buddha „nur Licht und Frieden“240 strahlt. Das Licht wird also, im Sinne der
„conceptual metaphor“ Lakoff und Johnsons, mit der ‚Wahrheit‘ gleichgesetzt.241
233
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 25.
Ebd., S. 25-26.
235
Oldenberg: Buddha. Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde, S. 136.
236
Ebd. Oldenberg hat die Geschichte aus der Inschrift von Bairat, die unter Ashoka entstand, übersetzt.
237
Hesse: Siddhartha, S. 39.
238
Ebd. Der Topos findet sich in der Legendenbildung um Jeanne d’Arc, „l‘envoyée de Dieu“, wieder. Als
Jeanne in Chinon ankommt, erkennt sie den Dauphin Karl VII., der einfach gekleidet unter seinen Hofbeamten
saß, unmittelbar.
239
Ebd., S. 40.
240
Ebd.
241
Vgl. George Lakoff und Mark Johnson: Metaphors we live by. Chicago: University of Chicago Press 1980.
234
48
Nach der Begegnung mit Buddha selber hören die Parallelen zwischen den
Lebensläufen auf. Siddhartha nimmt im Gespräch mit Buddha explizit Abstand von seiner
Lehre, weil sie ihm, nach eigener Angabe, nicht weiterhelfen kann:
Und – so ist mein Gedanke, o Erhabener – keinem wird Erlösung zuteil durch Lehre!
[…] Dies ist es, weswegen ich meine Wanderschaft fortsetze – nicht um eine andere,
eine bessere Lehre zu suchen, denn ich weiß, es gibt keine, sondern um alle Lehren und
alle Lehrer zu verlassen und allein mein Ziel zu erreichen oder zu sterben.242
Siddhartha entfernt sich so, nachdem er die Lehre der vier edlen Wahrheiten und des
achtfachen Pfades gehört hat, von allen Lehren und Lehrern, um seinen eigenen Weg zu
finden, in derselben Weise, wie der historische Buddha es tat.
Obwohl Siddhartha resolut mit Buddha und seiner Lehre bricht, tauchen buddhistische
Elemente im weiteren Verlauf der Erzählung auf. Sie manifestieren sich hauptsächlich in
buddhistisch geprägten Symbolen. Die zwei auffallendsten Symbole, der Vogel und die
Schlange, gehören zur indischen Tiersymbolik. Der Vogel taucht im Buddhismus als Symbol
der Wiedergeburt auf, weil das Tier „durch das Ei und aus dem Ei“243 zweimal geboren wird,
wie Herforth verdeutlicht. Der bekannteste mythologische Vogel ist der sogenannte Garuda,
wie Robert Beer in seinem Handbuch zur buddhistischen Symbolik zeigt: „Garuda, the
‚Devourer‘, is the mythical lord of the birds in both the Hindu and Buddhist traditions.“244
Garuda, der halb Mensch und halb Adler ist, fungiert in der Mythologie zugleich als
Götterbote, was Hesse im Vogeltraum literarisch verarbeitet hat.
Siddhartha begegnet während eines Traumes einem Vogel, der ebenfalls eine
symbolische Funktion erfüllt. Der Singvogel Kamalas, „der sonst stets in der Morgenstunde
sang“245, ist stumm geworden, weil er tot im Käfig liegt. Als Siddhartha es bemerkt, nimmt er
das Aas in seine Hand und wirft es auf die Straße. Er erschreckt vor seiner eigenen Tat und
fühlt sich „so, als habe er mit diesem toten Vogel allen Wert und alles Gute von sich
geworfen“246. Der Traum symbolisiert die vernachlässigte Suche nach Erlösung und das
Sterben seiner inneren Stimme, die „Weiter! Weiter! Du bist berufen!“247 rief. Die
Konfrontation mit seiner Vernachlässigung ist für Siddhartha zugleich Anlass zur
Wiederaufnahme seiner Suche. Hesse vertieft im Siddhartha so eine Metapher, die er schon
im Demian entwickelt hat. Dort sieht Sinclair das Ausbrechen des Vogels als Symbol für
242
Hesse: Siddhartha, S. 47-48.
Herforth: Königs Erläuterungen, S. 54.
244
Robert Beer: The Handbook of Tibetan Buddhist Symbols. Illinois: Serindia 2003, S. 74.
245
Hesse: Siddhartha, S. 99.
246
Ebd., S. 100.
247
Ebd., S. 101.
243
49
seine Suche nach Sinn: „Der Vogel kämpft sich aus dem Ei. Das Ei ist die Welt. Wer geboren
werden will, muß eine Welt zerstören.“248
Die Schlange ist einerseits das indische Symbol des Todes und andererseits der
Wiedergeburt, weil das Tier durch die Häutung symbolisch erneut geboren wird. Die
buddhistische und hinduistische Tradition repräsentiert sie als das göttliche Wesen Naga, das
aus dem indischen Schlangenkultus stammt, wie Beer verdeutlicht: „The nagas are the
serpent-spirits that inhabit the underworld. They have their origin in the ancient snake cults of
India, which probably date back to the early Indus valley civilization.”249 Die Gestalt des
Naga wurde früh in die buddhistische Lehre integriert und laut der Legende empfing
Nagarjuna das Prajnaparamita-Sutra des Mahayana von einer Schlange. Das Tier hat nicht
nur, wie in der abendländischen Tradition, rein negative Eigenschaften. Im Abendland taucht
die Schlange in der Bibel als Verführer der Frau auf. Schon im Buch Genesis 3,1 wird das
Tier folgendermaßen charakterisiert: „Die Schlange war schlauer als alle Tiere des Feldes, die
Gott, der Herr, gemacht hatte.“250 In der Offenbarung des Johannes 12,9 wird der Teufel
selbst als Schlange benannt, was wiederum die rein negative Bedeutung des Kriechtiers
betont: „Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt
und die ganze Welt verführt.“251 Im Morgenland hat das Tier dagegen sowohl einen negativen
als auch einen positiven Ruf. Im Udāna, einer Schrift des Pali-Kanons, steht wie Mucalindo,
der König der Naga, das Leben des Buddha gerettet hat, während dieser nach seiner
Erleuchtung 4 Wochen ununterbrochen meditierte. Während dieser Zeit brach ein
schreckliches Gewitter aus und Mucalindo schützte Buddha, indem er seine Haube über den
Meditierenden ausstreckte und ihn mit seinen Windungen umschlang.252 Hesse hat die
Schlange ebenso ambivalent abgebildet. Das Tier repräsentiert einerseits den Tod, indem
„eine kleine schwarze Schlange“253 Kamala tödlich beißt, während die Folgen dieses Bisses
andererseits indirekt Weisheit für Siddhartha verschaffen. Als Kamala stirbt und Siddharthas
Sohn gegen seinen Willen mit ihm leben muss, muss Siddhartha schließlich lernen, alles
Weltliche loszulassen und die Trennung von seinem Sohn zu akzeptieren, wonach er die
Erleuchtung erreicht.
248
Hermann Hesse: Demian. Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend. Berlin: Fischer 1949, S. 125-126.
Beer: The Handbook of Tibetan Buddhist Symbols, S. 72.
250
Die Bibel in der Einheitsübersetzung. Universität Innsbruck.
http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/gen3.html (abgerufen am 16.05.14).
251
Ebd. http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/offb12.html (abgerufen am 16.05.14).
252
Vgl. Gerhardt Staufenbiel: Heilige Drachen. Alte Welt – Indien – China. Band 1. Hamburg: Tredition 2012.
253
Hesse: Siddhartha, S. 133.
249
50
Aber nicht nur die Tiere haben einen symbolischen Wert. Wie der Vogel und die
Schlange, hat das Lächeln des Buddha eine symbolische Bedeutung, die im Pali-Kanon
beschrieben steht und im Mahayana betont wird. Im Sukhāvatīvyūha-Sutra254 wird
beispielsweise erzählt, wie das Lächeln aller Buddhas mit dem Auftreten von Licht einhergeht
und als Symbol für die Erleuchtung verstanden wird.255 Laut der Legende sollte der
historische Buddha immer milde gelächelt, aber nie in seinem Leben laut gelacht haben. Das
ruhige und gelassene Lächeln des Buddha ist nicht zufälligerweise ein typisches Merkmal der
buddhistischen Kunst.
Hesse hat dieses Merkmal in seiner indischen Dichtung literarisch verarbeitet. Als
Siddhartha und Govinda den historischen Buddha sehen, scheint dieser „leise nach innen zu
lächeln“, „still“ und „ruhig“256. Als Siddhartha seine Kritik an der Lehre übt, sieht Buddha ihn
beständig mit „halbem Lächeln, mit einer unerschütterten Helle und Freundlichkeit“257 an und
beeindruckt den jungen Siddhartha damit tief: „So habe ich noch keinen Menschen blicken
und lächeln, sitzen und schreiten sehen, dachte er, so, wahrlich, wünsche auch ich blicken und
lächeln, sitzen und schreiten zu können, so frei, so ehrwürdig, so verborgen, so offen, so
kindlich und geheimnisvoll.“258 Die Eigenschaften, die als Oxymora durch die Anapher von
„so“ miteinander in Verbindung stehen, betonen die Kraft des Lachens, das zugleich
„verborgen“ und „offen“ ist. Siddharthas Wunsch geht in Erfüllung und am Ende der
Geschichte lächelt auch er, nachdem er die Erleuchtung erreicht hat, wie der historische
Buddha es einst tat, was Govinda mit Erstaunen sieht:
Und, so sah Govinda, […] dies Lächeln Siddharthas war genau dasselbe, war genau das
gleiche, stille, feine, undurchdringliche, vielleicht gütige, vielleicht spöttische, weise,
tausendfältige Lächeln Gotamas, des Buddha, wie er selbst es hundertmal mit Ehrfurcht
gesehen hatte. So, das wußte Govinda, lächelten die Vollendeten.259
Das Lachen ist eine beliebte Metapher Hesses. Nicht nur im Siddhartha, sondern auch im
Steppenwolf fungiert der Ausdruck als Symbol für Weisheit und Vollendung. Nicht
zufälligerweise weist Pablo, der Begleiter Harrys, darauf hin, dass er im magischen Theater
lachen „wie die Unsterblichen“260 lernen soll: „Sie sind hier in einer Schule des Humors, Sie
254
Schlüsseltext des sogenannten Amitabha-Buddhismus, eines Zweiges des Mahayana, der Buddha Amitabha
als Gottheit verehrt.
255
Vgl. Claudia Weber: Die Lichtmetaphorik im frühen Mahāyāna-Buddhismus. Wiesbaden: Harrassowitz 2002,
S. 64-69.
256
Hesse: Siddhartha, S. 39.
257
Ebd., S. 49.
258
Ebd.
259
Ebd., S. 176.
260
Hermann Hesse: Der Steppenwolf. Berlin: Suhrkamp 2013, S. 228.
51
sollen lachen lernen.“261 Das Lachen verneint die Realität des Lebens und findet in diesem
Sinne seinen Ursprung im Bhagavad-Gita, wie Margherita Versari, Professorin für
Germanistik in Bologna, verdeutlicht:
È un insegnamento non lontano dalla saggezza contenuta nella Bhagavad Gītā, testo
amato da Hesse, che contiene l’invito a non iperavvalorare la storia, [...] Più che
invitarci a rinunciare alla storia, il messaggio della Bhagavad Gītā ci rivela il pericolo
dell’idolatria della storia.262
Das Lachen ist das Zeichen, dass der Welt keine absolute Bedeutung zugeschrieben wird. Der
Irrtum ist nicht das Leben in der Welt, sondern das Glauben an dessen Realität, denn
„l’ignoranza e l’illusione non consistono nel vivere nella storia, ma nel credere alla realtà
ontologica della storia“263. Das Lachen ist so zugleich ein ironisches Lachen über sich selbst
und über die eigene Anwesenheit in der Welt.
Die Entsagung der Welt, die das Lachen symbolisiert, war im Mitteleuropa der
zwanziger Jahre nicht erstaunlich. Der Germanist Heribert Kuhn führt die damaligen
naturwissenschaftlichen Entdeckungen als Grund für die Suche nach Entsagung an. Sie
verursachten, laut Kuhn, den sogenannten ‚Röntgen-Schock‘: Nicht nur die X-Strahlen,
sondern auch die medialen Veränderungen, wie die Kinematographie und die Phonographie,
verstörten das europäische Bewusstsein. Die Naturwissenschaftler lösten die sichtbare Welt in
„Wellen, Strahlen und Ströme“264 auf und verstörten so das europäische Weltbild, wie Max
Weber verdeutlicht: „Der Röntgen-Schock ließ Evidenzen und Sicherheiten schwinden. Der
damit
einhergehende
naturwissenschaftliche
Religionswissenschaftler nicht unbeeindruckt.“
265
Paradigmenwechsel
ließ
auch
Kuhn verweist in dieser Hinsicht auf die
‚Katastrophe des Sehens‘, wie Gilles Deleuze sie nannte: „Uralte Sicherheiten und Evidenzen
lösten sich buchstäblich in Nichts auf.“266
Dieser Hintergrund war, so Kuhn, Anlass für die wachsende Orient-Begeisterung
Mitteleuropas, weil die morgenländischen Weltanschauungen die Versöhnung zwischen
261
Hesse: Der Steppenwolf, S. 227.
Margherita Versari: Un percorso iniziatico in Hermann Hesse. Dalla caduta alla seconda innocenza.
Bologna: CLUEB 1999, S. 89. „Es ist eine Lehre, die nicht weit von der Weisheit der Bhagavad Gītā, eines
beliebten Textes von Hesse, der die Einladung, die Geschichte nicht zu überschätzen, enthält, entfernt ist […]
Nicht so sehr die Einladung, auf die Geschichte zu verzichten, sondern vielmehr die Gefahr der Idiolatrie der
Geschichte ist die Botschaft der Bhagavad Gītā.“ [Übersetzung von mir, T.C.]
263
Versari: Un percorso iniziatico in Hermann Hesse, S. 89-90. „die Unwissenheit und die Illusion bestehen
nicht im Leben in der Geschichte, sondern im Glauben an die ontologische Realität der Geschichte“
[Übersetzung von mir, T.C.]
264
Max Weber: Gesamtausgabe. Band 22, Teilband 2: Religiöse Gemeinschaften. Hg. v. Hans Kippenberg.
Tübingen: Mohr Siebeck 2001, S. 48.
265
Ebd.
266
Heribert Kuhn: „Lebende Buddhas‘. Zur literaturgeschichtlichen Verortung von Hermann Hesses Siddhartha
– Eine indische Dichtung“. In: Hermann Hesse: Siddhartha. Berlin: Suhrkamp 2013, S. 133.
262
52
Wissenschaft
und
naturwissenschaftliche
Religion
anboten:
„Der
Okkultismus
hatte
Konjunktur;
Erkenntnisse und spiritistische Praktiken wurden nicht
als
gegensätzlich empfunden, sondern gerade in Künstlerkreisen zu bizarren neuen Deutungen
versponnen.“267 Auf dieselbe Weise ermöglichte die ‚Katastrophe des Sehens‘ die
Buddhismus-Begeisterung, weil der Buddhismus „ein äußerst ‚elastisches‘ imaginatives und
intellektuelles System“268 zur Verfügung stellt, das die Auflösung des „Zeit- und
Raumbewusstseins“269 im Zentrum stellt. Die wahrnehmbare Welt gilt im Buddhismus als
Schleier und Illusion der indischen Göttin Maya und laut Kuhn bot die Lehre so die Synthese
an, die die Mitteleuropäer suchten: „Es leuchtet ein, dass sich eine Lehre, welche die Negation
der Erscheinungen zur Voraussetzung hat, im Europa der Jahrhundertwende als Antwort auf
die ‚Katastrophe des Sehens‘ anbieten musste.“270 Der Buddhist war so imstande, die
„Zumutungen der modernen Physik“271 als Bestätigungen der buddhistischen Lehre, „der ein
stufenloser Übergang von kosmischen zu mikroskopischen Dimensionen selbstverständlich
ist“272, zu sehen. Andererseits war, so Kuhn, der Erste Weltkrieg für die „Erschütterung der
abendländischen Selbstgewissheit“273 verantwortlich. Der Buddhismus erlaubte die Flucht aus
der Geschichte, weil sie als unbedeutender Teil der kosmischen Zeit gesehen wird: „Er konnte
helfen, den verheerenden Krieg, der sich in kein abendländisches eschatologisches, also auf
ein Heilsereignis hin ausgerichtetes Geschichtskonzept mehr sinnvoll einfügen ließ, in einem
kosmischen Format aufzuheben.“274
3.2 Die Abweichung vom Ideal
Während im ersten Abschnitt die buddhistischen und hinduistischen Einflüsse
untersucht wurden, steht im Folgenden die Analyse der Abweichungen von dieser Tradition
im Zentrum. Betrachtet wird, wie Siddhartha die Lehre des Buddha verwirft, um im dritten
Teil anschließend zu untersuchen, wie Hesse ein eigenes, ‚westöstliches‘ Lebensideal
entwirft.
Siddharthas Abweichung vom buddhistischen Weg zur Erlösung manifestiert sich am
deutlichsten, wenn sein Lebensweg mit der vierten ‚edlen Wahrheit‘ des achtfachen Pfades
267
Kuhn: „Lebende Buddhas“, S. 133. In dieser Zeit war nicht zufälligerweise die Theosophische Gesellschaft
dominant. Vgl. 1.3: Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland.
268
Ebd.
269
Ebd.
270
Ebd., S. 134.
271
Ebd.
272
Ebd.
273
Ebd.
274
Ebd., S. 135.
53
verglichen wird. Um das Leiden loszuwerden, soll der Buddhist die acht Prinzipien des Rades
des Gesetzes befolgen, was Siddhartha weitgehend vernachlässigt. Das erste Prinzip des
rechten Glaubens oder der Einsicht in die vier edlen Wahrheiten, den Kern der buddhistischen
Lehre, lehnt er im Gespräch mit Buddha explizit ab. Nicht, weil er die Lehre als
unglaubwürdig oder falsch betrachtet, sondern weil er zur Einsicht kommt, dass auch er, wie
der historische Buddha selber, nur durch Erfahrung zur Erlösung und Einsicht kommen kann:
Du hast die Erlösung vom Tode gefunden. Sie ist dir geworden aus deinem eigenen
Suchen, auf deinem eigenen Wege, durch Gedanken, durch Versenkung, durch
Erkenntnis, durch Erleuchtung. Nicht ist sie dir geworden durch Lehre! Und – so ist
mein Gedanke, o Erhabener – keinem wird Erlösung zuteil durch Lehre! Keinem, o
Ehrwürdiger, wirst du in Worten und durch Lehre mitteilen und sagen können, was dir
geschehen ist in der Stunde deiner Erleuchtung!275
Hesse hat Siddharthas Einsicht stilistisch betont. Die Wiederholung des Adjektivs „eigen“
betont, dass der Weg des Buddha sein persönlicher Weg war. Die Ausrufezeichen verstärken
seine Stellungnahme, die in einer theologisch anmutenden Sprache formuliert ist. So taucht
die Anrede „o Erhabener“ häufig im buddhistischen Kanon auf. Im Prajñāpāramita-Sūtra276
redet der Schüler Subhūti Buddha beispielsweise folgendermaßen an: „Subhūti sprach: ‚Wenn
alle Gegebenheiten, o Erhabener, losgelöst und alle Gegebenheiten leer sind, wieso kommt es
dann, o Erhabener, zur Vorstellung von einer Besudelung der Wesen, wieso kommt es, o
Erhabener, zur Vorstellung von einer Läuterung der Wesen?“277
Siddhartha weiß, dass Buddha ein Erleuchteter ist und zweifelt nicht an der
Stichhaltigkeit seiner Lehre, sondern an der Möglichkeit, die Erleuchtung sprachlich
mitzuteilen: „Dies ist es, weswegen ich meine Wanderschaft fortsetze – nicht um eine andere,
eine bessere Lehre zu suchen, denn ich weiß, es gibt keine, sondern um alle Lehren und alle
Lehrer zu verlassen und allein mein Ziel zu erreichen oder zu sterben.“278 Die Unmöglichkeit,
die Erleuchtung sprachlich zu gestalten und die Überzeugung Siddharthas, die Praxis und
nicht die Lektüre sei wesentlich, scheint für das Buch selber widersprüchlich, weil Hesse
gerade das versucht, was er als unmöglich darstellt. Aber während Siddhartha die Erleuchtung
durch Erfahrung erreicht, ist er tatsächlich nicht imstande, sie Govinda wörtlich mitzuteilen:
„Manche Gedanken waren es, aber schwer wäre es für mich, sie dir mitzuteilen.“279 Diese
literarische Verarbeitung der Unmöglichkeit der Mitteilung hat Kuhn ebenfalls bemerkt:
275
Hesse: Siddhartha, S. 47.
Das Prajñāpāramita Sūtra ist Teil des Mahayana und beinhaltet die höchsten Tugenden, die Bodhisattvas zu
befolgen haben.
277
Zitiert nach: Erich Frauwallner: Die Philosophie des Buddhismus. Berlin: Akademie 2010, S. 99.
278
Hesse: Siddhartha, S. 48.
279
Ebd., S. 165.
276
54
„Erfahrung ist nicht lehrbar, lautet die Maxime. Siddharthas zur Weisheit führende Erfahrung
kann dementsprechend nur behauptet und poetisch beschworen, nicht explizit formuliert
werden. Letztlich bleibt offen, was Siddhartha geschah.“280 Die Überzeugung, ‚Weisheit‘ sei
nicht mitteilbar, hat Hesse nicht nur literarisch gestaltet, sondern auch in seinen Briefen
bestätigt. So schrieb er 1922 in einem Brief an Werner Schindler Folgendes: „Daß Weisheit
nicht lehrbar sei, ist eine Erfahrung, die ich einmal im Leben versuchen mußte dichterisch
darzustellen, der Versuch dazu ist Siddhartha.“281
Die privilegierte Position der Erfahrung hängt mit dem damaligen Zeitgeist zusammen.
Kuhn argumentiert, dass der Erste Weltkrieg die Kategorie ‚Erfahrung‘ zerstört hat und beruft
sich dafür auf Walter Benjamins Essay Der Erzähler282. Benjamin behauptet, dass die
Kategorie ‚Erfahrung‘ mit der Möglichkeit des Erzählens zusammenhängt. Der Verlust des
Erzählvermögens bewirkt so, laut Benjamin, das Verschwinden der Erfahrung, weil sie nicht
als Erzählung weitergegeben werden kann. Der industrialisierte Krieg war, so Benjamin, die
Ursache für den Verlust des Erzählvermögens. Laut Kuhn hat Hesse das Problem gelöst,
indem er eine psychoanalytische Kur bei Carl Gustav Jung als ‚Erfahrung‘ bekam:
Verallgemeinernd kann man feststellen, dass Hesse in der Krise gesellschaftlicher
Erfahrung die verschwundene ‚Weisheit‘ durch psychoanalytische Therapie und
Introspektion substituierte. Oder auf Benjamins Erzähltheorie bezogen: Das nicht mehr
gelingende auf ‚Erfahrung‘ basierende Erzählen wurde abgelöst durch die
‚Gesprächstherapie‘.283
Siddharthas Verlassen der Lehre ist zugleich ein Verlassen des achtfachen Pfades, was
sich während seiner Zeit als Händler in der Stadt manifestiert. Das zweite Prinzip der rechten
Gesinnung wird während dieser Zeit bald gebrochen. Während Siddhartha sich am Anfang
seinen Geschäften gegenüber gleichgültig benimmt, empfindet er allmählich Groll und Hass
und verliert seine friedliche Gesinnung: „Siddhartha verlor die Gelassenheit bei Verlusten, er
verlor die Geduld gegen säumige Zahler, verlor die Gutmütigkeit gegen Bettler, verlor die
280
Kuhn: „Lebende Buddhas“, S. 140.
In: Michels: Materialien, Band 1, S. 150. Hesse greift damit auf den Topos der Undarstellbarkeit, der schon
bei Plinius dem Älteren auftaucht, zurück. Im 19. Jahrhundert wies der Topos in der Romantik auf Phänomene,
die so unfassbar sind, dass sie nicht durch Kunst darstellbar sind, hin. In der christlichen Mystik um 1900 wies er
auf die Unsagbarkeit und Undarstellbarkeit Gottes hin. Der Topos stand im 20. Jahrhundert ebenfalls im
Zentrum der Sprachphilosophie, wo Wittgenstein die Sprachphilosophie der Unsagbarkeit schuf, während
Derrida genau das Gegenteil behauptete. (Vgl. Frank Habermann: Literatur / Theorie der Unsagbarkeit.
Würzburg: Ergon 2012.) Mit Adorno fing der Topos an, die Undarstellbarkeit des Holocaust zu bezeichnen.
(Vgl. Sabine Sander: Der Topos der Undarstellbarkeit. Ästhetische Positionen nach Adorno und Lyotard.
Nürnberg: Filos 2008.)
282
Walter Benjamin: „Der Erzähler. Betrachtungen zum Werk Nikolai Lesskows“. In: Walter Benjamin:
Gesammelte Schriften. Band II, 2. Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977, S. 438-465.
283
Kuhn: ‚Lebende Buddhas‘, S. 140-141.
281
55
Lust am Verschenken und Wegleihen des Geldes an Bittende.“284 Siddhartha vernachlässigt
so die beiden Prinzipien der Weisheitsgruppe.285
Mit dem Verschwinden seiner Gelassenheit bricht Siddhartha zugleich das dritte Prinzip
der rechten Rede, das erste der Sittlichkeitsgruppe. Als Händler fängt Siddhartha an, seinem
Herrn Kamaswami in seinem Sprachgebrauch allmählich stärker zu gleichen. Während er
diesen am Anfang noch beriet: „Laß das Schelten, lieber Freund! Noch nie ist mit Schelten
etwas erreicht worden.“286, verliert Siddhartha allmählich häufiger selber die Geduld: „Es
geschah, daß er ärgerlich und ungeduldig wurde, wenn Kamaswami ihn mit seinen Sorgen
langweilte. Es geschah, daß er allzu laut lachte, wenn er im Würfelspiel verlor.“287
Je länger Siddhartha als Händler und ‚Kindermensch‘ lebt, desto mehr gleicht er diesen
‚Kindermenschen‘. So verletzt er auch das vierte Prinzip der rechten Tat. Obwohl Siddhartha
kein Mörder oder Dieb ist, bricht er doch einen wichtigen Aspekt der rechten Tat, den Harvey
als „wrong conduct in regard to sensual pleasures“288 beschreibt. Die sinnlichen
Ausschweifungen Siddharthas sind doppelt. Einerseits widmet er sich der sinnlichen Liebe in
seiner Beziehung zur Kurtisane Kamala, die er während seiner Jahre in der Stadt
ununterbrochen besucht: „Immer aber kam er wieder zur schönen Kamala, lernte Liebeskunst,
übte den Kult der Lust, bei welchem mehr als irgendwo Geben und Nehmen zu einem wird,
plauderte mit ihr, lernte von ihr, gab ihr Rat, empfing Rat.“289 Andererseits sucht er einen
sinnlichen Rausch im Würfelspiel, das er immer heftiger und häufiger treibt und „hoch und
schonungslos“290 spielt. Die Angst, hohe Verluste zu leiden, verschafft einen Rausch, den
Siddhartha immer erneut sucht:
Jene Angst, jene furchtbare und beklemmende Angst, welche er während des Würfelns,
während des Bangens um hohe Einsätze empfand, jene Angst liebte er und suchte sie
immer zu erneuern, immer zu steigern, immer höher zu kitzeln, denn in diesem Gefühl
allein noch fühlte er etwas wie Glück, etwas wie Rausch, etwas wie erhöhtes Leben
inmitten seines gesättigten, lauen, faden Lebens.291
Hesse betont die Intensität seiner Angst und seines Rausches durch die dreifache
Wiederholung von „immer zu“ und „etwas wie“. Siddhartha erneuert die Angst nicht nur,
sondern steigert sie immer höher, um „etwas“ zu fühlen, das Glück, Rausch oder „erhöhtes
Leben“ ist. Inmitten dieses Liebes- und Spielrausches bricht Siddhartha ebenfalls das fünfte
284
Hesse: Siddhartha, S. 96.
Vgl. 1.2: Leben und Lehre Buddhas.
286
Hesse: Siddhartha, S. 83.
287
Ebd., S. 94.
288
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 82.
289
Hesse: Siddhartha, S. 88.
290
Ebd., S. 96.
291
Ebd.
285
56
Prinzip des rechten Lebens. Für Buddhisten war es streng verboten, Fleisch oder Rauschmittel
zu verzehren oder zu verkaufen. Obwohl Siddhartha am Anfang die Regeln respektiert und
weder Fleisch noch Alkohol zu sich nimmt, übertritt er schließlich die zwei Verbote: „Er hatte
gelernt, zart und sorgfältig bereitete Speisen zu essen, auch den Fisch, auch Fleisch und
Vogel, Gewürze und Süßigkeiten, und den Wein zu trinken, der träge und vergessen
macht.“292 Siddharthas Vernachlässigung der Sittlichkeitsgruppe ist zugleich ein Übertreten
der fünf sogenannten Silas oder Tugendregeln, die Mord, Diebstahl, Sex, Lügen und Rausch
verbieten.
Siddhartha ignoriert nicht nur die Weisheits- und Sittlichkeitsgruppe, sondern auch die
drei Prinzipien der Meditationsgruppe. Die Übertretung des sechsten Prinzips des rechten
Strebens hängt mit der Vernachlässigung der rechten Rede zusammen. Statt „the arising of
unwholesome states“293 zu vermeiden, spürt Siddhartha schließlich Gefühle wie Lust und
Habsucht, wie im Buch verdeutlicht wird: „Die Welt hatte ihn eingefangen, die Lust, die
Begehrlichkeit, die Trägheit, und zuletzt auch noch jenes Laster, das er als das törichteste stets
am meisten verachtet und gehöhnt hatte: die Habgier.“294 Zugleich geht das siebte Prinzip des
rechten Gedenkens verloren, weil Siddhartha, statt mit „right mindfulness“295 sein
Bewusstsein zu spüren, gerade für dieses Bewusstsein zu fliehen versucht, als es sich
manifestiert:
Und so oft er aus dieser häßlichen Bezauberung erwachte, so oft er sein Gesicht im
Spiegel an der Schlafzimmerwand gealtert und häßlicher geworden sah, so oft Scham
und Ekel ihn überfielen, floh er weiter, floh in neues Glücksspiel, floh in Betäubungen
der Wollust, des Weines, und von da zurück in den Trieb des Häufens und Erwerbens.
In diesem sinnlosen Kreislauf lief er sich müde, lief er sich alt, lief sich krank.296
Hesse verleiht seinen Worten erneut Nachdruck durch die Anapher von „so oft“, „floh“ und
„lief“, während am Ende des Zitats der Parallelismus die Folgen seines Handelns betont. Die
Alliteration von „der Wollust“ und „des Weines“ betont zugleich die „Betäubungen“, die
Siddhartha sucht. Der Held verliert sich so im Kreislauf des Samsara und kann das rechte
Sichversenken, das dritte Prinzip der Meditationsgruppe und das Ziel des achtfachen Pfades,
unmöglich erreichen, weil er sich gerade im entgegengesetzten Zustand befindet. Bis der
Vogeltraum Erwachung bringt und die Stimme aus seinem Inneren erneut „Weiter! Weiter!
292
Hesse: Siddhartha, S. 93.
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 83.
294
Hesse: Siddhartha, S. 95.
295
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 83.
296
Hesse: Siddhartha, S. 97. Das Zitat kann zugleich als europäische Kulturkritik gelesen werden.
293
57
Du bist berufen!“297 schreit, ist Siddhartha weit vom buddhistischen Meditationsideal entfernt,
das Harvey als „states of calm, peace and mental clarity“298 umschreibt:
Tief war er in Sansara verstrickt, Ekel und Tod hatte er von allen Seiten in sich
eingesogen, wie ein Schwamm Wasser einsaugt, bis er voll ist. Voll war er von
Überdruß, voll von Elend, voll von Tod, nichts mehr gab es in der Welt, das ihn locken,
das ihn freuen, das ihn trösten konnte.299
Wiederum spielt Hesse mit dem Parallelismus und der Anapher von „voll von“ und „das ihn“,
um der Aussage Kraft zu verleihen. Siddhartha sehnt sich schließlich nach dem Tod und
versucht sich zu ertränken, als aus „entlegenen Bezirken seiner Seele“300 das heilige Om der
Brahmanen erklingt, wodurch er die „Torheit seines Tuns“301 einsieht und auf seiner Suche
nach Erleuchtung weitergeht.302
Die gleichen rhetorischen Figuren, wie die Anapher und der Parallelismus, tauchen
nicht zufälligerweise immer wieder auf. Hesse hat die lyrische Sprache des Siddhartha
zielbewusst geschaffen, um so die orientalische Atmosphäre des Buches zu verstärken.
Helmut Winter hat darauf als erster Forscher hingewiesen und Hesses Stil in seiner
Untersuchung als „Wortzauber“ und als „atmosphärische Anreicherung des ‚Weges nach
Innen“303 umschrieben. Winter hat ebenfalls die liturgisch anmutende Sprache des Buches
betont: „Das auffälligste ist die starke Rhythmisierung der Prosa. Die Wirkung, die dadurch
entsteht, ist liturgisch, ritualistisch – man fühlt sich an die Sprache der Bibel erinnert.“304 Im
ersten Teil ist so, laut Winter, der „Rhythmus religiöser Litaneien“ 305 dominant, der sich in
der Assonanz, wie zum Beispiel die Wortgruppen „im Schatten des Salwaldes“ 306 und „in
seiner Mutter Brust“307 illustrieren, manifestiert.
297
Hesse: Siddhartha, S. 101.
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 84.
299
Hesse: Siddhartha, S. 104.
300
Ebd., S. 106.
301
Ebd.
302
Der Selbstmord ist ein umstrittenes Thema in der buddhistischen Forschung. Er gilt durchaus als ethisch
verächtlich und verursacht die Wiedergeburt im Samsara, darf aber in bestimmten Fällen verübt werden. Im
Channovāda-Sutta im Pali-Kanon steht beschrieben, wie der schwerkranke aber erleuchtete Mönch Channa sich
mit dem Schwert das Leben nimmt, um ins Nirvana einzutreten und keinen Rückfall seiner Erleuchtung zu
leiden. Selbstmord ist also erlaubt, wenn nach der Tat die Wiedergeburt in einer höheren Daseinsform stattfindet
und er nicht zu einer Verstrickung in Samsara führt, obwohl der Akt in der Realität resolut abgewertet wird. Vgl.
Damien Keown: „Buddhism and Suicide: The Case of Channa“. In: Journal of Buddhist Ethics 3 (1996), S. 8-31.
303
Helmut Winter: Zur Indien-Rezeption bei E.M. Forster und Hermann Hesse. Heidelberg: Winter 1976, S.
153.
304
Ebd., S. 153-154.
305
Ebd., S. 154.
306
Hesse: Siddhartha, S. 11.
307
Ebd., S. 12.
298
58
Für die Wiederholungen hat, so Winter, Karl Eugen Neumann308, dessen Schriften
Hesse gelesen hatte, als Vorbild gedient, weil er schon „jene Überbetonung der Parataxe, der
asyndetischen Reihung und jener intensive Gebrauch des Parallelismus“309 betonte.
Tatsächlich ist die stilistische Ähnlichkeit zwischen Neumanns Übersetzung und Hesses
Siddhartha offensichtlich, wie beispielsweise das folgende Zitat aus Neumanns Die Reden
Gotamo Buddhos illustriert:
Gewiss nicht, o Herr! Die Bande, o Herr, womit dieser Mann gebunden vermag viele
Haufen Goldes zu lassen, viele Massen Getreides zu lassen, viele Felder und Wiesen zu
lassen, viele Häuser und Höfe zu lassen, viele Schaaren von Frauen zu lassen, viele
Schaaren von Dienern zu lassen, viele Schaaren von Dienerinnen zu lassen und, mit
geschorenem Haar und Barte, mit fahlem Gewande bekleidet, aus dem Hause in die
Hauslosigkeit hinauszuziehn, das sind ja für ihn keine festen Bande, sind schwache
Bande, faule Bande, haltlose Bande.310
Der Parallelismus von Objekt und Verb und die asyndetische Wiederholungstechnik sind
überaus erkennbar und die Anrede „o Herr“311 taucht im Siddhartha ebenfalls auf.
3.3 Eine westöstliche Dichtung
Der achtfache Pfad befindet sich in der Mitte zwischen extremer Askese und extremer
Sinnlichkeit und bildet so „a middle way that avoids a life of pursuing either sense-pleasures
or harsh asceticism“312, wie Harvey verdeutlicht. Der historische Buddha hatte die beiden
Lebensweisen selber geprüft und war so zur Entdeckung des richtigen Weges gekommen. Als
Siddhartha die Erleuchtung erreicht, hat auch er schon die zwei Stadien des Lebens des
historischen Buddha durchlebt und abgelehnt. Aber statt mithilfe der buddhistischen Lehre die
Erleuchtung zu suchen, lehnt Siddhartha auch die vier edlen Wahrheiten ab und sucht einen
eigenen Weg, den Gellner als ‚westöstlich‘ definiert und dessen Züge im nächsten Abschnitt
untersucht werden.
Laut Gellner hat Hesse mit seiner indischen Dichtung eine Synthese der für sein Leben
prägenden Einflüsse geschaffen und ist Siddhartha deshalb als „das Buch, in dem es erstmals
zu der für Hesse fortan charakteristischen Synthese aus indischer Weltsicht, chinesischer
308
Vgl. 1.3: Der Eintritt des Buddhismus in Deutschland.
Winter: Zur Indien-Rezeption bei E.M. Forster und Hermann Hesse, S. 154.
310
Karl Eugen Neumann: Die Reden Gotamo Buddhos. Mittlere Sammlung. Band 2. München: Piper 1922, S.
236-237.
311
Vgl. Hesse: Siddhartha, S. 109.
312
Harvey: An Introduction to Buddhism, S. 82.
309
59
Lebenshaltung und moderner Tiefenpsychologie kommt“313, zu verstehen. Hesse selber
gesteht, Siddhartha sei sein Versuch gewesen, die verschiedenen Weltanschauungen in einer
ökumenischen Synthese zu vereinen. So schrieb er 1958 im Vorwort zur persischen Ausgabe
des Siddhartha: „Ich suchte das zu ergründen, was allen Konfessionen und allen
menschlichen Formen der Frömmigkeit gemeinsam ist, was über den nationalen
Verschiedenheiten steht, was von jeder Rasse und von jedem Einzelnen geglaubt und verehrt
werden kann.“314
In der Idee der Synthese an sich manifestiert sich Hesses europäischer Einfluss. Die
ersten Ansätze zur Synthese tauchen schon in Platons Schriften auf. Platon hat die griechische
Dialektik, die mit Sokrates und seiner Frage-Antwort-Gesprächsführung anfing, als
philosophische Forschungsmethode definiert. Die Dialektik führte laut Platon zur Erkenntnis
der ‚Ideen‘. Das Ziel der sokratischen Gespräche, die oft in einer Aporie endeten, war die
Synthese. Obwohl der Begriff durch Kant und Fichte erweitert wurde, hat Hegel die Idee der
Synthese, mit der Hesse vertraut war, für die Philosophie bestimmt. In der Dialektik Hegels
kamen die These und die Antithese in der Synthese zusammen, genauso, wie in Hesses
Weltanschauung die Widersprüche zwischen seiner abend- und morgenländischen Weltsicht
aufgehoben werden.315
Im Grunde zielte Hesse mit seiner Synthese auf die Versöhnung zwischen der Vita
contemplativa und der Vita activa, zwischen der buddhistischen Weltentsagung und der
taoistischen Weltbejahung.316 Die Versöhnung wird im Glasperlenspiel wieder betont, als
Hesse seinen Protagonisten Ludi Josef Knecht über die beiden Lebensweisen Folgendes sagen
lässt: „Wir sollen nicht aus der Vita activa in die Vita contemplativa fliehen, noch umgekehrt,
313
Gellner: Weisheit, Kunst und Lebenskunst, S. 112. Er schließt sich der Meinung von Karl-Josef Kuschel an.
Vgl. Karl-Josef Kuschel: „China im Werk von Hermann Hesse und Bert Brecht“. In: Fu Jen Studies: Literature
and Linguistics 22 (1989), S. 114.
314
In: Hermann Hesse. Gesammelte Werke in 12 Bänden. Band 11, S. 50. Europa geriet damals nicht umsonst in
Religions- und Staatenkriege, wogegen Hesse einen kosmopolitischen Blick anbietet.
315
Die Idee der Synthese spiegelte sich in der europäischen Auffassung des Kolonialismus wider.
316
Der Begriff geht auf Aristoteles zurück, der in der Nikomachischen Ethik über das βιος θεορετικος, dessen
lateinisches Pendant Vita contemplativa lautet, spricht. Unter der Voraussetzung, dass die Glückseligkeit oder
εὐδαιμονία der höchste Zweck des Menschen sei, weil sie sich selbst Zweck oder τέλος τέλειον ist, definiert
Aristoteles das βιος θεορετικος oder das denkende Leben des Philosophen als die beste Lebensweise, um
Glückseligkeit zu finden. (Vgl. Aristoteles und Roger Crisp: Nicomachean Ethics. Cambridge: Cambridge
University Press 2011.) Benedikt von Nursia definierte den Begriff in der christlichen Tradition so um, dass er
das mönchische Ideal des asketischen Eremiten bezeichnete, dessen Ziel die Einheit mit Gott als „Höhepunkt des
betrachtenden Gebetes, durch lange Übung u. gesteigerte Gnadenhilfe erworben“ ist. (Karl Richstätter:
„Beschauung (contemplatio)“. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Hg. v. Michael Buchberger. 2. Auflage.
Freiburg im Breisgau: Herder 1931, S. 241.) Bei Hesse bezeichnet der Begriff also das mönchische,
zurückgezogene Leben der indischen Weltanschauungen. Als Gegenstück der Vita contemplativa gilt die Vita
activa, wo das christliche Ideal der Nächstenliebe als Grundlage gilt. Die Vita activa widmet sich deshalb dem
Wohlsein des Mitmenschen und nimmt aktiv am gesellschaftlichen Leben teil.
60
sondern zwischen beiden wechselnd unterwegs sein, in beiden zuhause sein, an beiden
teilhaben.“317 Laut Gellner hing die Schaffenskrise des Siddhartha unmittelbar mit dieser
Opposition zusammen. Im Sommer des Jahres 1920 brach Hesse das Schreiben ab, als
Siddhartha die ‚Kindermenschen‘ endgültig verlassen hat, um erneut Erlösung zu suchen. Der
Grund war, laut Gellner, die Unmöglichkeit für Hesse, die beiden Lebensweisen zu
versöhnen:
Doch scheiterte Hesse einstweilen an der Unmöglichkeit einer plausiblen
konzeptionellen Synthese, in der die beiden bis zu diesem dramatischen Wendepunkt
diesseits und jenseits des Flusses durchlaufenen Lebensstadien – Weltsucht einerseits
und Weltflucht andrerseits, vita activa und vita contemplativa – zu einem
lebenspraktischen Ausgleich hätten gebracht werden können.318
Nachdem Siddhartha als Brahmane und Samana der Vita contemplativa und als reicher
Händler der Vita activa anhing, wollte Hesse eine Synthese der beiden schaffen, aber geriet
stattdessen in eine künstlerische Krise.
Den Ausweg fand er, laut Gellner, zwei Jahre später, als er sich wegen einer
persönlichen Krise einer psychotherapeutischen Behandlung bei Carl Gustav Jung in Zürich
unterzog.319 Nach eigener Angabe kam Hesse so zur Einsicht, dass die buddhistische
„Wesenlosigkeit des Ich“320 mit der gesellschaftlichen Bejahung des chinesischen Taoismus
zusammengehen muss. In einer 1921 publizierten Rezension über Oscar Schmitz Das
Dionysische Geheimnis321 sagte Hesse über das Buch, es beinhalte gerade diese Synthese:
„Auf dem Wege indischer Denkübungen wird zwar die buddhistische Einsicht in die
Wesenlosigkeit des Ich erreicht, nicht aber der buddhistische Erlösungswille, sondern ein
Darüberstehen, das zum Leben Ja sagt und nicht Nirvana, sondern Dauer wünscht.“322 Dieser
synthetische Gedanke war gerade das, was Hesse mit seiner indischen Dichtung ausdrücken
wollte: „Wie sehr dieser Gedanke unserer Zeit angehört, wurde mir klar, als ich plötzlich
bemerkte, daß die hier geschilderte Synthese nichts anderes ist als der Kerngedanke einer
indischen Dichtung, an der ich selbst seit anderthalb Jahren arbeite.“ 323 Der Schlüssel zu
dieser Einsicht war zweifach: Asiatische Philosophie einerseits und Psychoanalyse
andererseits, „aus deren Zusammenklang sich die Sehnsucht nach einer Synthese aus östlicher
317
Hermann Hesse: Das Glasperlenspiel. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1971, S. 254.
Gellner: Weisheit, Kunst und Lebenskunst, S. 109.
319
Jung und Hesse waren beide esoterisch und die Archetypenlehre hat Hesses Werk zweifellos beeinflusst. Vgl.
Günter Baumann: Der archetypische Heilsweg: Hermann Hesse, C.G. Jung und die Weltreligionen.
Rheinfelden: Schäuble 1990.
320
Michels: Materialien, Band 1, S. 132.
321
München: Müller 1921.
322
Michels: Materialien, Band 1, S. 132.
323
Ebd.
318
61
Entselbstungslehre und abendländischer Aktivität ergibt“324. Hesse interpretierte die Lehre
des Taoismus so auf kultursynkretistische325 Weise als die Synthese seines morgenländischen
Religionsverständnisses und seiner abendländischen psychoanalytischen Therapiesitzung.
Durch die neue Einsicht wendete Hesse sich also der bejahenden Philosophie des
Taoismus zu, die das Schlusskapitel des Siddhartha bestimmt hat, wie er in einem 1922
geschriebenen Brief an Stefan Zweig selber betont: „Mein Heiliger ist indisch gekleidet, seine
Weisheit steht aber näher bei Lao Tse als bei Gotama.“326 Während die indischen Einflüsse im
ersten Abschnitt dieses Kapitels untersucht wurden, steht deshalb im Folgenden die Frage im
Zentrum, wo die chinesisch-taoistischen und die europäisch-christlichen Elemente sich
manifestieren, um so die ‚westöstliche‘ Synthese des Siddhartha zu analysieren.
Der taoistische Einfluss schimmert schon in Siddharthas Überzeugung, Weisheit sei
nicht mitteilbar, durch. Lao Tse selber betonte die Unmöglichkeit, die Wahrheit seiner Lehre
mitzuteilen und sprach in dieser Hinsicht im Tao Te King über die Notwendigkeit einer
„Belehrung ohne Worte“327. Der letzte Aphorismus des Tao Te King bestätigt die
Machtlosigkeit der Sprache unverhüllt: „Wahre Worte sind nicht schön, schöne Worte sind
nicht wahr. Tüchtigkeit überredet nicht, Überredung ist nicht tüchtig. Der Weise ist nicht
gelehrt, der Gelehrte ist nicht weise.“328 Chen Zhuangying, Germanist an der Universität
Shanghai, weist darauf hin, dass Hesse die Unmöglichkeit, die ‚Weisheit‘ des Tao oder der
Einheit mitzuteilen, auch latent gestaltet hat: „Besonders erwähnenswert ist der nonverbale
Charakter der Lehre bei den Hesseschen Weisen, der ganz im Einklang mit dem taoistischen
324
Michels: Materialien, Band 1, S. 132.
Der Synkretismus ist ein Phänomen, das man sowohl im Morgen- als auch im Abendland beobachtet. Der
Buddhismus an sich war, in seiner Offenheit für andere Lehren, synkretistisch (Vgl. 1.1: Die Geschichte des
Buddhismus). Im Westen taucht das Phänomen schon in der hellenistisch-römischen Kultur auf, wo griechische
Philosophie, wie der Platonismus, und Mysterienkulte, wie die Orphik, sich mit orientalischen Kulten wie dem
Kybele- und Isiskult und orientalischen Religionen wie dem Manichäismus vermischten. Der Synkretismus hat
durchaus einen ungünstigen Ruf. Plutarch umschreibt das Verb συγκρητιζειν als „das von außen her erzwungene
Zusammenhalten sonst feindlicher Menschen“. (Anton Antweiler: „Synkretismus“. In: Lexikon für Theologie
und Kirche. Hg. v. Michael Buchberger. 2. Auflage. Freiburg im Breisgau: Herder 1937, S. 945.) Im 17.
Jahrhundert entstand der Synkretistenstreit, als Georg Calixt vergebens versuchte, die Katholiken, Lutheraner
und Reformierten zu einen. Der Synkretismus bezeichnet also „in der Philosophie das unausgeglichene Gemenge
von Systemen, in der Religionsphilosophie die Herübernahme wesensfremder Bräuche u. Lehren, in der
Missionsmethode das Übertreiben der Akkomodation“ (Ebd.).
326
Michels: Materialien, Band 1, S. 173.
327
Richard Wilhelm: Tao Te King: das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Jena: Diederichs 1919, S. 48 (Nr.
43). Das Tao Te King oder Daodejing ist eine Sammlung von Aphorismen, im 4. Jahrhundert vor Christus
entstanden, die Lao-Tse oder Laozi zugeschrieben wird und als Grundlage des Taoismus gilt. Über den Ursprung
des Buches ist die Forschung sich nicht einig. Der Inhalt des Buches reagiert, grob gesprochen, gegen Armut und
Gewalt und zielt auf Weltfrieden. Für die Übersetzung des Tao Te King ist die klassische Übersetzung von
Richard Wilhelm angemessen, weil Hesse sie selber am liebsten benutzt hat. Vgl. Chen Zhuangying: „Hermann
Hesse – ein vom taoistischen Gedankengut durchtränkter Geist“. In: Literaturstraße. Chinesisch-deutsches
Jahrbuch für Sprache, Literatur und Kultur. Hg. v. Horst Thomé, Zhang Yushu et al. Würzburg: Königshausen
& Neumann 2007, S. 220-223.
328
Wilhelm: Tao Te King, S. 86 (Nr. 81).
325
62
Gedanken ‚Belehrung ohne Worte‘ steht.“329 Die „Belehrung ohne Worte“ scheint
widersprüchlich für einen literarischen Text, der genau die ‚Weisheit‘ als Thema hat, zu sein.
Hesses Siddhartha ist in dieser Hinsicht als Bildungsroman und Beispiel eines erfolgreichen
Lebensweges zu verstehen. Hesse zeigt, wie Siddhartha die Erleuchtung erreicht, aber
formuliert nirgendwo die Einsichten einer Lehre. Tatsächlich sagt Siddhartha am Ende seinem
Jugendfreund Govinda darüber:
Die Worte tun dem geheimen Sinn nicht gut, es wird immer alles gleich ein wenig
anders, wenn man es ausspricht, ein wenig verfälscht, ein wenig närrisch – ja, und auch
das ist sehr gut und gefällt mir sehr, auch damit bin ich sehr einverstanden, daß das, was
eines Menschen Schatz und Weisheit ist, dem andern immer wie Narrheit klingt.330
Siddhartha tritt so in Vasudevas Fußstapfen, der selber nicht zu sprechen oder zu denken,
sondern nur zuzuhören versteht und Siddhartha ab der ersten Begegnung verdeutlicht, dass er
als Lehrer nicht fungieren kann: „Ich kann dir das ‚andere‘ nicht sagen, o Freund.“331
Stattdessen verweist er Siddhartha an den Fluss, dessen „Stimme“332 er hören soll.333
Vasudeva vertritt so die Figur des taoistischen Weisen, was sowohl Gellner als auch Hsia
betonen.
Hsia äußert selbst die Vermutung, Vasudeva sei die Verkörperung Lao Tses selber:
„Lao Tse scheint dem Weg Siddharthas zur Vollendung so sehr Pate gestanden zu haben, daß
die Vermutung nicht von der Hand zu weisen ist, die Gestalt des Vasudeva sei ein Porträt Lao
Tses.“334 Als Beweise führt Hsia die äußerlichen Ähnlichkeiten an. Lao Tse hat sich selbst, je
nach Übersetzung, als einen Toren, Schwachsinnigen, Wirrkopf oder Idioten beschrieben.335
In Wilhelms Übersetzung stilisiert er sich folgendermaßen: „Nur ich bin so zögernd, […] wie
ein Säugling, der noch nicht lachen kann, […] Ich habe das Herz eines Toren, so wirr und
dunkel. […] [I]ch bin wie verschlossen in mir, […]“336 Das Porträt scheint mit sowohl
Vasudevas als auch Siddharthas Gestalt übereinzustimmen. Als die beiden Männer die
Erleuchtung erreicht haben und das neugierige Volk sie mustert, sieht es nicht die erhofften
Weisen, sondern nur „zwei alte freundliche Männlein, welche stumm zu sein und etwas
329
Chen Zhuangying: „Hermann Hesse – ein vom taoistischen Gedankengut durchtränkter Geist“, S. 229.
Hesse: Siddhartha, S. 169-170. Die Wortwahl Hesses ist kein Zufall. Wilhelm hat das Wort „Tao“ immer als
„Sinn“ übersetzt, weswegen Hesse wahrscheinlich über den geheimen „Sinn“ spricht.
331
Ebd., S. 126.
332
Ebd., S. 127.
333
Gellner weist darauf hin, dass Siddhartha selber die Unmöglichkeit der Mitteilung erfährt. Wie er selber
seinen Vater verlassen hat, beschließt auch sein Sohn, Siddhartha zu verlassen, um selber seinen Weg zu finden.
Vgl. Gellner: Weisheit, Kunst und Lebenskunst, S. 115.
334
Hsia: Hermann Hesse und China, S. 246.
335
Vgl. Hsia: Hermann Hesse und China, S. 246-247.
336
Wilhelm: Tao Te King, S. 22 (Nr. 20).
330
63
sonderbar und verblödet schienen“337. Als zusätzlicher Beweis für die These gilt laut Hsia und
Gellner, was Hesse am 2. Juni 1922 an Emmy Ball-Hennings schrieb: „Mein Siddhartha lernt
seine Weisheit am Ende richtig nicht von einem Lehrer, sondern von einem Fluß, der so
komisch rauscht, und von einem freundlichen alten Trottel, der immer lächelt und heimlich
ein Heiliger ist.“338 Tatsächlich betonte Lao Tse, ein Vollendeter wirke wie ein
Schwachsinniger, als er die Einheit des Tao erreicht hat.
Aber das Motiv widerspiegelt zugleich die mitteleuropäische Seite der indischen
Dichtung. Im Phaidros umschreibt Platon die Wirkung eines Philosophen auf ähnliche Weise
und spricht in dieser Hinsicht über μανια. Im Gespräch zwischen Sokrates und Phaidros
bemerkt Sokrates, dass der Philosoph, der die Wahrheit und das Göttliche sieht, auf das Volk
einen wahnsinnigen Eindruck macht:
Dies [die Idee der Wahrheit, T.C.] aber ist Erinnerung an jenes, was einst unsere Seele
erblickte, als sie dem Zuge des Gottes folgte und hinwegschaute über das, was wir jetzt
Sein nennen, das Haupt aufreckend in das Wirklich-Seiende. […] Der Mann allein, der
solche Erinnerungen richtig anwendet, immerdar in vollkommene Weihen eingeweiht,
wird endlich der wahrhaft Vollkommene. Tritt er aber aus der Bahn menschlicher
Bestrebungen und wird dem Göttlichen hörig, so wird er von der Menge als wahnsinnig
gescholten, denn daß er des Gottes voll ist, bleibt ihr verborgen.339
Am deutlichsten manifestiert der Taoismus sich im Siddhartha während der Gespräche
zwischen Siddhartha und Vasudeva. Die Ratschläge Vasudevas sind taoistisch geprägt und
enthalten nicht zufälligerweise Verweisungen auf das Tao Te King, wie sowohl Gellner als
auch Eisentraut bemerken. Als Vasudeva zu Siddhartha sagt, es sei gut, „nach unten zu
streben, zu sinken, die Tiefe zu suchen“340, kann die inhaltliche Ähnlichkeit mit Lao Tses 36.
Aphorismus nicht verneint werden:
Was du zusammendrücken willst, das mußt du erst richtig sich ausdehnen lassen. Was
du schwächen willst, das mußt du erst richtig stark werden lassen. Was du vernichten
willst, das mußt du erst richtig aufblühen lassen. Wem du nehmen willst, dem mußt du
erst richtig geben.341
Lao Tse erläutert an dieser Stelle die beiden Seiten des Tao342, der höchsten absoluten
Wahrheit, der ursprünglichen Einheit der Welt. Aus taoistischer Sicht besteht die Welt nur
337
Hesse: Siddhartha, S. 131.
In: Michels: Materialien, Band 1, S. 156.
339
Platon: Phaidros oder Vom Schönen. Übertragen und eingeleitet von Kurt Hildebrandt. Stuttgart: Philipp
1994, S. 47-48.
340
Hesse: Siddhartha, S. 126.
341
Wilhelm: Tao Te King, S. 38 (Nr. 36).
342
Julian Pas definiert das Tao folgendermaßen: „Tao is reality, but reality understood as a continuous process of
becoming, changing, beginning, and ending. […] All things are partial expressions of an eternal Tao: Tao brings
them into existence, cares for them (gives them a chance to grow and mature), and lets them return to their
origin.” (Julian Pas: Historical Dictionary of Taoism. London: The Scarecrow Press 1998, S. 309.)
338
64
augenscheinlich aus Gegensätzen, aus Yin und Yang. Das Tao ist die Ureinheit, die Yin und
Yang vereint und deshalb zugleich als Ursprung und Versöhnung aller Gegensätze gilt. In
diesem Sinne ist es für Siddhartha notwendig, die beiden Seiten des Kosmos kennenzulernen.
Hesse hat selbst einige Zitate des Tao Te King wörtlich übernommen. Als die beiden
Männer über die Erziehung Siddharthas Sohnes sprechen, bemerkt Vasudeva: „Du zwingst
ihn nicht, schlägst ihn nicht, befiehlst ihm nicht, weil du weißt, daß Weich stärker ist als Hart,
Wasser stärker als Fels, Liebe stärker als Gewalt.“343 Als die Aussage mit Lao Tses 78.
Aphorismus verglichen wird, ist Hesses Quelle überaus deutlich:
Auf der ganzen Welt gibt es nichts Weicheres und Schwächeres als das Wasser. Und
doch in der Art, wie es dem Harten zusetzt, kommt nichts ihm gleich. Es kann durch
nichts verändert werden. Daß Schwaches das Starke besiegt und Weiches das Harte
besiegt, weiß jedermann auf Erden, aber niemand vermag danach zu handeln.344
Der Inhalt erinnert zugleich stark an die Bergpredigt Jesu. Statt Hass und Kampf, predigt
Christus Liebe und Gewaltlosigkeit. So steht im Matthäus 5, 38-39 die berühmte Aussage
geschrieben: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich
aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn
dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“345 Lao Tses
Aphorismus erklärt zugleich, weshalb Siddharta sein ‚starkes‘ Leben als Brahmanen oder
Händler verlassen muss, um als Fährmann zu arbeiten. Im Motiv des Fährmannes manifestiert
sich zugleich der griechisch-europäische Einfluss der Dichtung. In der griechischen
Mythologie verkörpert Charon, der die Toten über den Acheron in die Unterwelt fuhr, die
Figur des Fährmannes.
Hesse hat die Lehre des Taoismus dennoch nicht nur in der Figur Vasudevas verarbeitet,
sondern auch in der Metapher des Flusses. Nicht nur Vasudeva, sondern auch der Fluss sind
Verkörperungen des Tao, wie Hsia verdeutlicht: „Vasudeva ist die personifizierte, der Fluß
die unpersönliche Verkörperung des Tao.“346 Hsia interpretiert das strömende Wasser des
Flusses als „Inbegriff aller Wandlung“347, weil das Wasser zugleich „Wandlung und Dauer,
Vielfalt und Einheit“348 ist. Das Wasser repräsentiert das Tao, weil es nur die Gegenwart
kennt und laut Vasudeva „überall zugleich ist, am Ursprung und an der Mündung, am
343
Hesse: Siddhartha, S. 142.
Wilhelm: Tao Te King, S. 83 (Nr. 78).
345
Die Bibel in der Einheitsübersetzung. Universität Innsbruck.
http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/mt5.html (abgerufen am 18.05.14).
346
Hsia: Hermann Hesse und China, S. 240.
347
Ebd., S. 242.
348
Ebd., S. 243.
344
65
Wasserfall, an der Fähre, an der Stromschnelle, im Meer, im Gebirge, überall, zugleich“349.
Der Fluss kennt weder Vergangenheit noch Zukunft und vereinigt so Yin und Yang. Die
symbolische Bedeutung des Wassers hat Lao Tse selber betont: „Man kann das Verhältnis des
Sinns zur Welt vergleichen mit den Bergbächen und Talwassern, die sich in Ströme und
Meere ergießen.“350 Der Fluss ist aber zugleich ein abendländisches Symbol. Die Metapher
des Flusses, der zugleich Wandlung und Dauer symbolisiert, hat Heraklit in seiner
Philosophie betont. Heraklit formulierte die Metapher auf die berühmte Weise: „Man kann
nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“351 Seine Philosophie hat Platon mit der Formel
πάντα ῥεῖ oder „alles fließt“ umschrieben, womit er, wie Lao Tse, zum Ausdruck bringt, dass
das Sein als ewiger Wandel zu erfassen ist.
Darüber hinaus spiegelt der Fluss die Synthese zwischen Vita activa und Vita
contemplativa architektonisch wider. Der Germanist Theodore Ziolkowski spricht in dieser
Hinsicht über die „geographische Parallele zur Struktur der Zeit“352. Siddhartha verbringt die
ersten zwanzig Jahre seines Lebens als Brahmane auf der einen Seite des Flusses „im Reich
des Geistes“353, während er sich die nächsten zwanzig Jahre auf der anderen Seite „im Reich
der Natur und der Sinne“354 befindet.
Dieser Dualismus zwischen Körper und Geist zeigt wiederum die europäische Seite des
Siddhartha. Das sogenannte „Leib-Seele-Problem“, das sich die Frage nach der Trennung
zwischen Körper und Geist stellt, findet seinen Ursprung im Christentum und bestand schon
in der Antike, wie Sokrates in Platons Philebos illustriert, indem er Protarchos fragt: „Unser
Körper, wollen wir nicht sagen, der habe eine Seele?“355 René Descartes formulierte das
Problem des Dualismus, das seither der Schwerpunkt der ‚Philosophie des Geistes‘ ist, als
erster. Im Jahre 1641 veröffentlichte er seine Meditationes de prima philosophia, in qua Dei
existentia et animae immortalitas demonstratur356 und schuf die Teilung zwischen der res
cogitans und der res extensa. Als res cogitans definiert Descartes das zweifelnde, denkende
Ich, das bestehen muss, weil der Mensch nicht daran zweifeln kann, dass er zweifelt, was
Descartes mit der Formel „ego sum, ego existo“ oder „cogito ergo sum“ zum Ausdruck
349
Hesse: Siddhartha, S. 128.
Wilhelm: Tao Te King, S. 34 (Nr. 32). Das Wort „Tao“ hat Wilhelm, wie oben erwähnt, als „Sinn“ übersetzt.
351
In: Hermann Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker. Band 1. Hg. v. Walther Kranz. Zürich: Weidmann
1985, S. 171.
352
Theodore Ziolkowski: „Siddhartha – Die Landschaft der Seele“. In: Michels: Materialien, S. 150.
353
Ebd.
354
Ebd.
355
Platon: Philebos. Nach der Übersetzung von Friedrich E.D. Schleiermacher. http://www.operaplatonis.de/Philebos.html (abgerufen am 18.05.15).
356
Amsterdam: Elzevir.
350
66
brachte. Die res cogitans ist von der materiellen Seite des Körpers, von der Materie, die
Descartes als res extensa definiert, strikt getrennt. Die Wechselwirkung zwischen beiden
geschah laut Descartes durch den concursus Dei oder die Vermittlung Gottes. Aus seiner
Trennung entstand in der Philosophie das Leib-Seele-Problem, das seither in der europäischen
Geistesgeschichte diskutiert wird.357
Am Fluss, der Trennung zwischen beiden Welten, findet Siddhartha schließlich die
Synthese dieses Dualismus, wie Ziolkowski verdeutlicht: „Und der Fluß, als das natürliche
Symbol der Synthese, ist auch die natürliche Trennungslinie zwischen dem Reich des Geistes
und dem der Sinne. In beiden Bereichen versucht Siddhartha zu leben, ehe er – am Ufer eben
desselben Flusses – zur Synthese gelangt.“358 Der Fluss bekommt so sowohl eine strukturelle
als auch eine symbolische Funktion.359
Während der Taoismus so die Schlusskapitel des Siddhartha bestimmt, schimmert im
Schlussgespräch zwischen Siddhartha und Govinda ebenfalls die Liebe als dominantes
Element durch. Hesse greift damit auf ein uraltes Thema zurück.360 Über das Wesen dieser
Liebe ist die Forschung sich nicht einig. Gellner sieht darin „unüberhörbar das Erbe der
christlich-pietistischen Liebesspiritualität“361 und umschreibt Hesses Dichtung deshalb als
„westöstlich-ökumenische Synthese“362. Tatsächlich wuchs Hesse in einer Umgebung auf, in
der die christliche Nächstenliebe des Pietismus, aus der die indische Heidenmission
resultierte, betont wurde. Gellner verweist als Beweis nicht nur auf einen breiten Konsens in
der Forschung363, sondern auch auf Hesses Aufsatz Mein Glaube, in dem er seine
weltanschauliche Entwicklung skizziert:
Daß mein ‚Siddhartha‘ nicht die Erkenntnis, sondern die Liebe obenan stellt, daß er das
Dogma ablehnt und das Erlebnis der Einheit zum Mittelpunkt macht, mag man als ein
Zurückneigen zum Christentum, ja, als einen wahrhaft protestantischen Zug
empfinden.364
357
Vgl. Ansgar Beckermann: Das Leib-Seele-Problem. Eine Einführung in die Philosophie des Geistes.
München: Wilhelm Fink 2008.
358
Theodore Ziolkowski: „Siddhartha – Die Landschaft der Seele“, S. 145.
359
Vgl. Eisentraut: Einfluss des Buddhismus auf Hermann Hesses Siddhartha, S. 15-16. Sowohl Eisentraut als
auch Gellner basieren sich auf Ziolkowski.
360
Der Liebesbegriff taucht schon als ἀγάπη im Alten Testament auf und hat sich seither ständig
weiterentwickelt. Nicht nur in der Theologie, sondern auch in der Philosophie, seit Sokrates und Platons
Symposion, hat die Liebe eine lange Geschichte. (Vgl. Aude Lancelin und Marie Lemonnier: Les philosophes et
l’amour: aimer de Socrate à Simone de Beauvoir. Paris: Plon 2008.) Philosophen wie Ad Verbrugge (Staat van
verwarring. Het offer van de liefde. Amsterdam: Boom 2013.) und Luc Ferry (De l’amour. Une philosophie pour
le XXIe siècle. Paris: Odile Jacob 2012.) bieten zeitgenössische Interpretationen des Begriffs an.
361
Gellner: Weisheit, Kunst und Lebenskunst, S. 116.
362
Ebd.
363
Gellner nennt als Forscher, die die gleiche Meinung vertreten, Hans Küng, Karl-Josef Kuschel, Hugo Ball,
Gerhart Mayer, Bernhard Zeller und Mark Boulby.
364
Hermann Hesse: „Mein Glaube“. In: Michels: Materialien, Band 1, S. 338.
67
Hesse sagte über das Zurückneigen selber, er habe „mehr ein mystisches Christentum als ein
kirchliches“365 entwickelt und er verurteilte die Kirche als Institution.
Der Gedanke war typisch für die Zeit Hesses. In Die unsichtbare Religion untersucht
Thomas Luckmann, der sich auf Emile Durkheim und Max Weber beruft, wie das Individuum
‚Religion‘ erfährt. Er behauptet, dass die Religion des Individuums in der modernen
Gesellschaft fehlerhaft mit der Kirche als Institution verbunden wird. Die kirchlichen
Autoritäten bestimmen, so Luckmann, die festlegende, dogmatische Form der Religion,
während das Religionsverständnis des Individuums sich weiterentwickelt, wie er verdeutlicht:
Die Individuation des Bewußtseins und des Gewissens eines historischen Individuums
geschieht weniger durch eine originäre Neuerschaffung von Weltansichten als durch die
Internalisierung einer schon vorkonstruierten Weltansicht. […] Die persönliche Identität
eines jeden historischen Individuums wird damit zum subjektiven Ausdruck einer
historischen Weltansicht.366
So entsteht die Kluft zwischen der institutionalisierten und der individuellen Religion, die von
der ‚alten‘, theoretischen Religion der Kirche abweicht. Die Lösung für die Kluft findet das
Individuum möglicherweise, so Luckmann, durch die Religion als „Privatsache“367 zu erleben
und durch sich von der Institution zu trennen: „Die institutionelle Spezialisierung der Religion
setzt also, im Verbund mit der Spezialisierung anderer institutioneller Bereiche, eine
Entwicklung in Gang, die die Religion mehr und mehr in eine ‚subjektive‘ und ‚private‘
Wirklichkeit verwandelt.“368 Das Individuum entscheidet im ‚säkularisierten‘ Modell selber,
welche Sinngebungen wichtig sind und schafft so ein persönliches Weltbild. So findet die
Trennung zwischen Religion und Kirche statt und entsteht die ‚unsichtbare‘ Religion des
Individuums.
Der Grund für Hesses ‚unsichtbare Religion‘ war der Gedanke der Einheit und im
Kurgast behauptet er, die gleiche Einheit des Taoismus im Neuen Testament zu lesen:
Wenn man die Sprüche des Neuen Testaments nicht als Gebote nimmt, sondern als
Äußerungen eines ungewöhnlich tiefen Wissens um die Geheimnisse unsrer Seele, dann
ist das weiseste Wort, das je gesprochen wurde, der kurze Inbegriff aller Lebenskunst
und Glückslehre, jenes Wort ‚Liebe deinen Nächsten wie dich selbst‘, das übrigens auch
schon im Alten Testamente steht.369
Laut Hesse ist dieses Gleichgewicht der Liebe, das ebenfalls in der europäischen Tradition
auftaucht, der Schlüssel zur Glückseligkeit. Die Erklärung dieser christlichen Liebe findet er
365
Hesse: „Mein Glaube“, S. 338.
Thomas Luckmann: Die unsichtbare Religion. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, S. 109.
367
Ebd., S. 127.
368
Ebd.
369
Hermann Hesse: „Kurgast“. In: Hermann Hesse. Gesammelte Werke in 12 Bänden. Band 7, S. 105.
366
68
in der indischen Tradition. Der Mensch soll, so Hesse, seinen Mitmenschen nicht aus
Altruismus als seinesgleichen lieben, sondern weil er tatsächlich seinesgleichen ist. Der
Spruch wird so zum Ausdruck des Tao und findet sein Synonym im indischen Tat Twam
Asi.370
Seine Interpretation der christlichen Liebe hat Hesse im Siddhartha verarbeitet. Als
Siddhartha Govinda erklärt, warum die Liebe der Kern seiner Weltanschauung ist, schimmert
die Idee des Tat Twam Asi durch: „Mögen die Dinge Schein sein oder nicht, auch ich bin
alsdann ja Schein, und so sind sie stets meinesgleichen. Das ist es, was sie mir so lieb und
verehrenswert macht: sie sind meinesgleichen. Darum kann ich sie lieben.“371 Als Govinda
bemerkt, Buddha habe die Liebe immer abgelehnt und „als Trug erkannt“ 372, behauptet
Siddhartha, das sei nur ein scheinbarer Widerspruch. Buddha hat die Liebe gekannt, weil er,
laut Siddhartha, die Menschheit „in seiner Vergänglichkeit, in seiner Nichtigkeit“ 373 erkannt
hat, aber trotzdem sein Leben der Erlösung der Menschheit gewidmet hat, statt das Nirvana
zu betreten. In dieser Hinsicht ist die Parallele zu Christus unübersehbar. Das Leben Christi
war genauso ein Opfer, das aus Liebe für die Menschheit geschah, wie es im paulinischen
Römerbrief 5,8 geschrieben steht: „Gott aber hat seine Liebe zu uns darin erwiesen, dass
Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“374
Aber während Gellner der These der christlichen Liebe anhängt, behauptet Hsia, die
Liebe Siddharthas sei ein taoistisches Element. Er verwirft die christliche Interpretation, die
selbst Hesse erwähnte, als zu einseitig und meint über die Liebe im Siddhartha, sie sei
mehrdeutig: „Sie ist für viele Interpreten – zuweilen auch für Hesse selbst – ein ausschließlich
christliches Element. Doch hat das Christentum, obwohl die Botschaft Christi zweifellos eine
Botschaft der Liebe ist, durchaus nicht das Monopol auf sie.“375 Laut Hsia soll die Liebe
Siddharthas als Element des Taoismus, wo sie neben Tao und Te376, so Hsia, das dritte
370
Der Spruch, wörtlich „Das bist Du“, findet seinen Ursprung im Hinduismus. Er steht in der ChandogyaUpanishad als Ratschlag eines Vaters für seinen Sohn. Die ursprüngliche Interpretation des Spruches ist, dass
das Atman des Ich identisch mit dem Brahman der absoluten Realität ist und die Außenwelt so einen Teil des Ich
bildet.
371
Hesse: Siddhartha, S. 171.
372
Ebd., S. 172.
373
Ebd.
374
Die Bibel in der Einheitsübersetzung. Universität Innsbruck.
http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/roem5.html (abgerufen am 19.05.14).
375
Hsia: Hermann Hesse und China, S. 247. Die Interpretation Hsias ist wichtig, weil er aus östlicher statt aus
europäischer Sicht argumentiert.
376
Über das Wesen des Te besteht Uneinigkeit. Julian Pas definiert es folgendermaßen: „If Tao is the
overarching reality and cosmic energy, Te is what all beings receive from Tao; it is their own nature, with its
specific talents and potentials, that enables them to act in their own way as if by their inner compulsion.” (Pas:
Historical Dictionary of Taoism, S. 332.) Dennoch verdeutlicht er, dass die Bedeutung des Te „even more
elusive than the meaning of Tao“ ist (Ebd., S. 330).
69
Fundament der Lehre bildet, interpretiert werden. Als Beweis führt er den 38. Spruch des Tao
Te King an, wo geschrieben steht: „Ist der Sinn verloren, dann das Leben. Ist das Leben
verloren, dann die Liebe.“377
Die Liebe Siddharthas, so Hsia, könne übrigens nicht christlich sein, weil Siddhartha
das Beispiel des Steines anführe: „Heute aber denke ich: dieser Stein ist Stein, er ist auch
Tier, er ist auch Gott, er ist auch Buddha, ich verehre und liebe ihn nicht, weil er einstmals
dies oder jenes werden könnte, sondern weil er alles längt und immer ist […]“378 Darin sieht
Hsia gerade das Gegenteil der christlichen Liebe. Das Beispiel hat laut ihm nichts mit
orthodoxer Lehre, christlicher Mystik oder Meister Eckhart zu tun, denn „Siddhartha liebt den
Stein, nicht weil er ein Teil der Schöpfung Gottes ist, sondern weil er Dauer und Wandlung
symbolisiert, mit anderen Worten: weil er Tao ist.“379 Eisentraut reagiert gegen die taoistische
Deutung Hsias und bemerkt, dass die Ausführungen „kritisch zu betrachten“ sind, „da eine so
starke Verknüpfung der Liebe mit dem Begriff des Tao nicht nachvollziehbar ist“380.
Zum Schluss des Kapitels soll die Kritik, die Hesses ‚westöstliches‘ Weltbild im Laufe
der Jahre geerntet hat, erwähnt werden. Die schärfsten Angriffe haben Hans Küng381 und
Karl-Josef Kuschel382 formuliert. Sie wiesen darauf hin, dass Hesses Einheitsdenken
gefährliche ethische Implikationen mit sich bringt, weil alle Unterschiede so schließlich an
Bedeutung verlieren. Durch die Harmonisierung aller Gegensätze sind Begriffe wie gut oder
böse bedeutungslos und ist jedes Werturteil relativ. Um die Gefahr einer solchen
Relativierung zu illustrieren, möchte ich ein letztes Mal Gellner zitieren:
Doch wenn zwischen Sünde und Heiligkeit, zwischen Gut und Böse überhaupt kein
Unterschied mehr bestehen und von jeder Wahrheit das Gegenteil ebenso wahr sein soll,
droht dann nicht auch alles Handeln gleichgültig zu werden? Kann man wirklich jede
Lehre, jeden Weg und jedes Ziel praktisch-ethisch gutheißen?383
377
Wilhelm: Tao Te King, S. 43 (Nr. 38).
Hesse: Siddhartha, S. 169.
379
Hsia: Hermann Hesse und China, S. 248.
380
Eisentraut: Einfluss des Buddhismus auf Hermann Hesses Siddhartha, S. 17.
381
Hans Küng: „Nahezu ein Christ? Hermann Hesse und die Herausforderung der Weltreligion“. In: Anwälte der
Humanität: Thomas Mann, Hermann Hesse, Heinrich Böll. Hg. v. Walter Jens und Hans Küng. München:
Kindler 1989, S. 159-240.
382
Karl-Josef Kuschel: ‚Vielleicht hält Gott sich einige Dichter…‘ Literarisch-theologische Porträts. Mainz:
Matthias Grünewald 1996, S. 203-240.
383
Gellner: Weisheit, Kunst und Lebenskunst, S. 120. Er verweist damit gleichzeitig auf das RelativismusProblem des Westens.
378
70
Schlussfolgerung
Die Arbeit hat versucht, auf die am Anfang formulierten Leitfragen eine befriedigende
Antwort zu bieten. Der erste Teil hat analysiert, wie der Buddhismus als indische
Protestbewegung entstand, aber bald große Dimensionen annahm und eine Weltreligion
wurde. Nicht nur das Leben des historischen Siddhartha Gautama, sondern auch die
Verbreitung seiner Weltanschauung im deutschen Sprachraum wurden dabei beleuchtet. Der
religionsgeschichtliche Kontext und die deutsche Buddhismus-Welle, die für ein tieferes
Verständnis des Textes und des Autors unentbehrlich sind, wurden so geschildert. Im zweiten
Teil stand die Analyse des Autors selber im Mittelpunkt. Nicht nur die Einflüsse seiner
christlich-indisch geprägten Jugend, sondern auch die enttäuschende Erfahrung, die Hesse auf
seiner Indienreise machte und wodurch er sich für China interessierte, waren das Objekt der
Untersuchung. Das biografische Bild des Autors erlaubte eine Tiefenanalyse der dominanten
Einflüsse des Siddhartha, die im dritten Teil durchgeführt wurde. So wurde deutlich, dass der
Buddhismus im Siddhartha nicht nur thematisiert, sondern auch kritisiert und schließlich Teil
einer ökumenischen Weltvision wird. Der Taoismus, der seit Hesses Indienreise ein wichtiger
Einfluss seiner Lebensanschauung war, tauchte während der Analyse ebenfalls an der
Oberfläche auf.
Die Untersuchung dürfte Anlass zu weiterer Forschung geben. Interessant wäre nicht
nur die Frage, wie die übrigen Religionen des Orients, wie der Jainismus oder der
Konfuzianismus, sich zum Buch verhalten, sondern auch, wo und auf welche Weise sich die
orientalischen Lebensanschauungen in der europäischen Literatur manifestieren. Zu
berücksichtigen wäre, wie die beiden Traditionen einander gegenseitig beeinflussen und in
Dialog treten.
Während die Arbeit die meisten am Anfang gestellten Fragen beantwortet hat, bleibt am
Ende nur eine Frage unbeantwortet: Warum erhob die Hippie-Generation Siddhartha zum
Kultbuch in den 1960er Jahren, 40 Jahre nach dessen Veröffentlichung? Die Antwort hängt
zweifellos mit dem deutschen und amerikanischen Zeitgeist zusammen. Der Buddhismus fand
gleichzeitig mit Phänomenen wie Yoga und Tantra Eingang in die westliche Welt, die auf der
Suche nach neuen Einsichten war. Gellner bemerkt zu Recht, dass Siddhartha während der
„Blütezeit der Fernostbegeisterung […] im Deutschland der Nachkriegskrise“ 384 erschien. Die
Zeit war reif, um Bücher wie Siddhartha zu empfangen, was der Erfolg von Alfred Döblins
Die drei Sprünge des Wang-Iun ebenfalls illustriert.
384
Gellner: Weisheit, Kunst und Lebenskunst, S. 103.
71
Hesses Siddhartha ist so ein Glied einer größeren Kette, die 40 Jahre später in Amerika
ebenfalls spürbar war. Obwohl das Buch dort am Anfang kaum Interesse weckte, war die
Begeisterung der Hippie-Generation, die unter der Führung Timothy Learys sowohl
Siddhartha als auch Der Steppenwolf zum Kultbuch erhob, enorm. Die Literatur war für die
Hippies nicht nur Kunst, sondern auch eine Lebenshilfe. In ‚Saint Hesse‘ sahen sie einen
Autor, der Themen wie Meditation, Erleuchtung, Rausch und „the altered state of
consciousness“ thematisierte und so die eigene Lebensanschauung bestätigte. Hesses Ruf hing
zugleich mit seiner Kriegsaversion zusammen, mit der nicht nur die Blumenkinder, sondern
auch die deutsche Jugend sich identifizierten, wie Michels verdeutlicht: „Nicht ohne Grund
hat dieser Autor immer in Zeiten des Wertezerfalls und der Neuorientierung Renaissancen
erlebt, z.B. nach den beiden Weltkriegen in Deutschland und nicht zuletzt im Verlauf des
Vietnamkrieges in den USA.“385
Während Hesse mit seiner indischen Dichtung so das östliche Gedankengut im Westen
verbreitet hat und Siddhartha einen literarischen Aufschwung der buddhistischen Lehre
verursacht hat, scheint das Buch seinerseits seinen Weg in den Orient gefunden zu haben und
dort einen gewissen Einfluss auszuüben.386 Die Erzählung hat so deren ursprüngliche,
fernöstliche Quellen erreicht, sodass die Traditionen, die Hesse einst beeinflussten, schließlich
beeinflusst werden und ein umgekehrter Exotismus entstanden ist.
Der Kreis, der sich so geschlossen hat, manifestiert sich am deutlichsten in Japan und
illustriert zugleich die zeitgenössische Bedeutung des Buches. In Japan war Hesse,
ausnahmsweise, schon vor 1945 ein beliebter Schriftsteller. Hesse war sich dessen
japanischen Einfluss ohne Zweifel bewusst, da er schon 1927 in einem Brief an seine zweite
Ehefrau Ruth Wenger in Bezug auf Siddhartha mitteilt: „Schön war der Brief eines Japaners,
der mir im Namen meiner japanischen Leser gratuliert und sagt, ich sei für sie der
‚vertraulichste‘ europäische Dichter.“387 Siddhartha, der schon 1925 ins Japanische übersetzt
wurde, fand einerseits Beachtung „wegen des tiefen Verständnisses für östliche Kultur und
Weisheit“ und wegen der Naturnähe, die sich mit dem „traditionellen Lebensgefühl der
385
Volker Michels: „Auf den Einzelnen kommt es an!“ Zur Aktualität von Hermann Hesse“. In: Amsterdamer
Beiträge zur neueren Germanistik. Hermann Hesse Today. Hg. v. Ingo Cornils und Osman Durrani. Amsterdam
/ New York: Rodopi 2005, S. 110.
386
Obwohl Siddhartha als erster buddhistischer Roman weltweit Verbreitung fand, war die Idee nicht neu. Der
dänische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Karl Gjellerup schrieb bereits 1906 Der Pilger Kamanita,
einen buddhistischen Roman, der dennoch weit weniger Einfluss hatte.
387
Zitiert nach: Neale Cunningham: Hermann Hesse’s Reception in Japan. University of Leeds.
http://www.leeds.ac.uk/arts/profile/20054/987/neale_cunningham (abgerufen am 31.03.15).
72
Japaner“388 verbinden lässt, wie Masaru Watanabe, Germanist an der Universität Tokio,
verdeutlicht. Andererseits hing der Erfolg, laut Watanabe, mit der damaligen politischen Lage
zusammen. Für die intellektuelle Elite erlaubten Hesses Bücher eine Flucht aus dem Japan,
das sich 15 Jahre lang im Krieg befand.389
Lee Roberts, Professor für Germanistik an der Universität Indiana, erwähnt einen
dritten, zeitgenössischen Grund, indem er die ‚westöstliche‘ Weltanschauung Hesses als
Erklärung sieht: „In general, the Japanese felt drawn to the Eastern elements in Hesse’s work.
Moreover, Hesse’s interest in Taoism next to his commitment to individualism fascinated the
Japanese, and they came to think of him as a mediator between West and East.”390 Die
Auflage seiner Bücher hat in Japan heutzutage mehr als 15 Millionen Exemplare erreicht und
inzwischen hat sein Werk auch Eingang in akademische Kreise gefunden. Hesse ist in Japan,
nach Goethe, der zweite meist übersetzte Autor deutscher Herkunft. Er hat so „tragfähige
Brücken“391 zwischen Ost und West geschlagen, wie Michels sie definierte.
Aber wie tragfähig die Brücken auch waren, am Ende wirft sich die kritische Frage auf,
welches Ende der Brücke das stärkste war. Die Analysen von Said und Greenblatt haben
illustriert, dass die Europäer die Fremde ex negativo und aus mitteleuropäischer Sicht
definiert haben. Die mitteleuropäische Brille, die Hesse auf seiner Indienreise deutlich trug,
hat das Buch sicherlich beeinflusst, wie der europäische Charakter des Siddhartha bewiesen
hat. Das Adjektiv ‚westöstlich‘ trifft für die Beschreibung des Buches zweifellos zu, aber die
‚indische‘ Dichtung ist vielleicht ‚westlicher‘ als gedacht, oder wie Protagoras es sagen
würde: „Πάντων χρημάτων μέτρον ἄνθρωπος“392.
388
Masaru Watanabe: „Japan“. In: Hermann Hesses weltweite Wirkung. Internationale Rezeptionsgeschichte.
Hg. v. Martin Pfeifer. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977, 222-223.
389
1931 fing die Mandschurei-Krise, ein gewaffneter Konflikt zwischen China und Japan, an. Japan besetzte die
chinesische Mandschurei, die reich an Rohstoffen war, wodurch letztendlich 1937 der Zweite JapanischChinesische Krieg anfing, der letztendlich Teil des zweiten Weltkrieges wurde.
390
Lee Roberts: Literary Nationalism in German and Japanese Germanistik. New York: Peter Lang 2010, S.
159.
391
In: Hesse: Siddhartha, S. 204.
392
Zitiert nach: Diogenes Laertios: Βίοι καὶ γνῶμαι τῶν ἐν φιλοσοφίᾳ εὐδοκιμησάντων. Buch 9, 51. Oxford: H.S.
Long 1964. Online verfügbar unter http://www.mikrosapoplous.gr/dl/dl09.html#protagoras (abgerufen am
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