Können bei stärkeren Lohnsteigerungen die Beitragssätze in den

Werbung
1
Können bei stärkeren Lohnsteigerungen die Beitragssätze in
den Sozialversicherungen gesenkt werden?
Ja. Die Beitragssatzsenkungspotentiale dürfen aber nicht überschätzt werden, da es in allen
Sozialversicherungszweigen einen direkten oder indirekten Zusammenhang zwischen der
Lohnentwicklung und der Ausgabenentwicklung gibt. Die Stärke dieses Zusammenhangs und damit
auch
das
Ausmaß
der
Beitragssatzsenkungen
unterscheiden
sich
zwischen
den
Sozialversicherungszweigen. Zudem ist für die Größe des Beitragssatzeffekts entscheidend, ob die
Lohnsteigerungen nur vorübergehend höher ausfallen oder ob es dauerhaft zu höheren
Lohnwachstumsraten kommt.
Gesetzliche Rentenversicherung
In der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) gibt es über die Rentenanpassungsformel einen
direkten Zusammenhang zwischen den Lohnsteigerungen und den Rentenerhöhungen. Die Renten
steigen am 1. Juli eines Jahres grundsätzlich mit der durchschnittlichen Lohnzuwachsrate des
vergangenen Jahres, ggf. abzüglich eines Abschlags, der aus den verschiedenen zusätzlichen
Faktoren in der Rentenanpassungsformel resultiert (Beitragssatzfaktor, Nachhaltigkeitsfaktor,
Nachholfaktor).
Ist die Lohnsteigerung nur einmalig stärker als erwartet, dann fallen in diesem Jahr die
Beitragszahlungen höher aus. Zum 1. Juli des darauf folgenden Jahres werden dann aber die Renten
entsprechend
stärker
angehoben,
Beitragssatzsenkungspotential
ergibt.
so
dass
Erreichen
sich
nur
für
die
Löhne
ein
wieder
halbes
ihren
Jahr
ein
ursprünglichen
Entwicklungspfad, ist zwar das Niveau der Beitragseinnahmen höher, aber auch das der
Rentenausgaben, auf das die jährlichen Änderungen aufsetzen. Somit muss der Beitragssatz wieder
das gleiche Niveau erreichen wie ohne die einmalige stärkere Lohnerhöhung. Tatsächlich findet
diese Angleichung auch statt. Durch die spezielle Ausgestaltung der Rentenversicherung
(Rückkopplungseffekte über den Beitragssatzfaktor) und aufgrund der Regel, wann es zu
Beitragssatzänderungen
kommt
Monatsausgaben),
nach
tritt
(Nachhaltigkeitsrücklage
einer
vorübergehenden
kleiner
leichten
0,2
oder
größer
Beitragssatzsenkung
1,5
diese
Angleichung erst verzögert ein (Abbildung 1).
Ist die Lohnentwicklung dauerhaft höher, sind die Anpassungsmechanismen ähnlich. Die höhere
Lohnsteigerung in einem Jahr führt stets im darauf folgenden 1. Juli zu höheren
Rentensteigerungen, so dass sich dauerhaft ein geringes Beitragssatzsenkungspotential durch die
2
verzögerte Rentenanpassung ergibt. Entsprechend ist der Beitragssatz dauerhaft etwas niedriger als
bei einer schwächeren Lohnentwicklung (Abbildung 1). Der Beitragssatzsenkungseffekt ist
geringfügig größer als bei einer einmalig höheren Lohnsteigerungsrate.
Abbildung 1: Beitragssatzentwicklung in der Gesetzlichen Rentenversicherung für
verschiedene Lohnsteigerungsraten
24%
2%
23%
plus 1%-Punkt 2012
3%
22%
21%
20%
19%
2050
2045
2040
2035
2030
2025
2020
2015
2010
18%
Quelle: eigene Berechnungen, MEA-Pensim-Mini
Annahmen:
3%: Löhne steigen im Jahr 2012 nominal um 2,2%. Die Lohnsteigerungsrate erhöht sich bis 2020 auf 3% und bleibt
danach auf diesem Niveau. Diese Lohnentwicklung entspricht dem mittleren Lohnszenario im
Rentenversicherungsbericht 2010.
2%: Löhne steigen im Jahr 2012 um 1,2%. Die Lohnsteigerungsrate erhöht sich bis 2020 auf 2% und bleibt danach auf
diesem Niveau.
Plus 1%-Punkt 2012: Löhne wie oben, nur 2012 ist die Rate um 1 Prozentpunkt höher.
Die Werte für den Rentnerquotient im Nachhaltigkeitsfaktor werden aus dem Rentenversicherungsbericht 2010
entnommen. Für Werte nach 2024 werden die Rentner- und Beitragszahlerzahlen aus Börsch-Supan et al. (2010)
unterstellt und daraus die Entwicklung des Rentnerquotienten abgeleitet.
Gesetzliche Krankenversicherung
Anders als in der GRV gibt es in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) keinen direkten
Zusammenhang zwischen der Lohnentwicklung, also der Entwicklung der Beitragsgrundlage, und
den Krankenversicherungsausgaben. Eine Ausnahme ist das Krankengeld, das nach dem
Lohneinkommen eines Versicherten bemessen wird. Entsprechend schlagen sich stärkere
Lohnsteigerungen in höheren Krankengeldzahlungen nieder. Ansonsten gibt es einen indirekten
Zusammenhang. Beispielsweise hängen die Kosten von Dienstleistungen im Gesundheitssektor und
auch die Preise von medizinischen Produkten von den Arbeitskosten ab.1 Auch die Vergütung von
ärztlichen Leistungen und Krankenhausleistungen ist in gewissem Ausmaß an die Entwicklung der
Löhne gekoppelt. So sind nach §71 SGB 5 die Vergütungen für Leistungen der Gesetzlichen
Krankenversicherung so auszugestalten, dass keine Beitragssatzerhöhungen notwendig sind.
1
Auch wird vermutet, dass es im Gesundheitssektor einen sog. Preisstruktureffekt gibt. Danach schlagen sich
Lohnerhöhungen stärker auf die Preise von Gesundheitsgüter nieder, weil im personalintensiven Gesundheitssektor die
Produktivitätssteigerungen geringer sind als in der Gesamtwirtschaft.
3
Maßstab für die Entwicklung der Leistungsvergütungen ist dabei die Entwicklung der
Grundlohnsumme (Summe der beitragspflichtigen Einkommen).
Es
bestehen
also
innerhalb
der
GKV
Mechanismen,
die
dazu
führen,
dass
sich
Einnahmeverbesserungen durch stärkere Lohnsteigerungen mit zeitlicher Verzögerung zumindest
teilweise in Ausgabenerhöhungen niederschlagen. Unterstellt man zunächst den Extremfall, dass es
gar keinen Zusammenhang zwischen Löhnen und Ausgaben gibt, zeigt sich, dass eine einmalig
höhere Lohnsteigerung zu Beitragssatzsenkungen führt, die erhalten bleiben, auch wenn die
Lohnwachstumsrate wieder den alten niedrigeren Wert erreicht (Abbildung 2, Szenario „plus 1%Punkt 2012“). Zukünftige Lohnsteigerungen setzen auf einem höheren Lohnniveau auf und sorgen
für höhere Beitragseinnahmen im Vergleich zu der Situation, in der es die einmalig höhere
Lohnsteigerung nicht gegeben hätte. Da die Ausgaben annahmegemäß unbeeinflusst beleiben, ist
der Beitragssatz dauerhaft niedriger. Im Falle einer dauerhaft höheren Lohnzuwachsrate kommt es
in jedem Jahr zu einem zusätzlichen Beitragssenkungspotential, so dass sich aufgrund der zeitlichen
Verzögerung der Ausgabensteigerungen eine Schere in der Beitragssatzentwicklung mit und ohne
höhere Lohnsteigerungen auftut (Abbildung 2, 3%-Szenario).
Im anderen Extremfall eines vollständigen Zusammenhangs zwischen Löhnen und Ausgaben
ergibt sich mittelfristig kein Beitragssatzeffekt, wenn die höhere Lohnsteigerung nur einmalig ist.
Ist die Lohnzuwachsrate dauerhaft höher und tritt die Ausgabenerhöhung mit zeitlicher
Verzögerung ein, zeigt sich dauerhaft eine geringe Beitragssatzsenkung genauso wie in der GRV
(Abbildung 2, Szenario „3%+Ausgaben1PP“).
Der Beitragssatzsenkungseffekt ist umso geringer, je mehr die höheren Lohnsteigerungen zu
Ausgabenerhöhungen führen. In der Realität werden die Beitragssatzwirkungen zwischen den
beiden genannten Extremfällen liegen. Trotzdem kann man als grundsätzliches Ergebnis aber
festhalten, dass in der Krankenversicherung anders als in der Rentenversicherung höhere
Lohnsteigerungen nicht unmittelbar und nicht eins zu eins in höhere Ausgabensteigerungen
umgesetzt werden, so dass der Beitragssatzsenkungseffekt grundsätzlich höher ausfällt.
4
Abbildung 2: Beitragssatzentwicklung2 in der Gesetzlichen Krankenversicherung für
verschiedene Lohnsteigerungsraten
29%
2%
plus 1%-Punkt nur 2012
3%
3%+Ausgaben1PP
27%
25%
23%
21%
19%
17%
2050
2045
2040
2035
2030
2025
2020
2015
2010
15%
Quelle: eigene Berechnungen, MEA-GKV-SIM
Annahmen:
2%: Löhne steigen im Jahr 2012 um 1,2%. Die Lohnsteigerungsrate erhöht sich bis 2020 auf 2% und bleibt danach auf
diesem Niveau.
Plus 1%-Punkt 2012: Löhne wie oben, nur 2012 ist die Rate um 1 Prozentpunkt höher.
3%: Löhne steigen im Jahr 2012 um 2,2%. Die Lohnsteigerungsrate erhöht sich bis 2020 auf 3% und bleibt danach auf
diesem Niveau.
Die Renteneinkommen steigen gemäß MEA-Pensim-Mini (siehe oben).
Die GKV-Ausgaben steigen ab 2009 in jeder Altersgruppe um 2,5% p.a. Im Szenario mit einer Ausgabenerhöhung um
1%-Punkt (3%+Ausgaben1PP) erhöht sich diese Rate ab 2013 auf 3,5%.
Soziale Pflegeversicherung
Da die Soziale Pflegeversicherung (SPV) eine Teilkaskoversicherung ist und im Wesentlichen in
nominalen Eurowerten ausgedrückte Leistungspauschalen gewährt, gibt es derzeit keinen
Zusammenhang
zwischen
Löhnen
und
Ausgaben
der
Pflegeversicherung.
Das
Beitragssatzsenkungspotential bei höheren Lohnsteigerungen ist also potentiell sehr groß.
Allerdings soll ab 2014 alle 3 Jahre die Notwendigkeit und Höhe einer Dynamisierung der
Leistungspauschalen überprüft werden. Als ein Orientierungswert für die Anpassungsnotwendigkeit
dient die kumulierte Preisentwicklung in den letzten drei abgeschlossenen Kalenderjahren; dabei ist
sicherzustellen,
dass
der
Anstieg
der
Leistungsbeträge
nicht
höher
ausfällt
als
die
Bruttolohnentwicklung im gleichen Zeitraum (§30 SGB 11). Im Extremfall kann sich somit ein
direkter
Zusammenhang
zwischen
Lohn-
und
Ausgabenentwicklung
ergeben.
Beitragssatzeffekte können sich dann bei einer einmalig höheren Lohnsteigerung nur
vorübergehend durch die drei Jahre verzögerte Dynamisierung ergeben. Bei dauerhaft höheren
Lohnsteigerungsraten führt dieser Verzögerungseffekt genauso wie in der GRV zu einem dauerhaft
geringfügig niedrigeren Beitragssatz (Abbildung 3, Szenario „3%+Ausgaben1PP“).
2
Da aufgrund des GKV-Finanzierungsgesetzes ab 2011 die Beitragszahlungen eine Kombination aus mit einem
einheitlichen Beitragssatz verbeitragten Einkommen und einem Zusatzbeitrag darstellen, handelt es sich bei den
abgebildeten Werten nicht um einen „echten“ Beitragssatz, sondern um den Quotienten aus der Summe aller
Beitragszahlungen und der Summe der beitragspflichtigen Einkommen.
5
Ist die Erhöhung der Leistungspauschalen gänzlich unabhängig von der Lohnentwicklung,
dann können dauerhaft höhere Lohnsteigerungsraten zu enormen Beitragssatzeffekten führen
(Abbildung 3, 3%-Szenerio).
Abbildung 3: Beitragssatzentwicklung3 in der Sozialen Pflegeversicherung für verschiedene
Lohnsteigerungsraten
4,0%
3,8%
2%
3,6%
plus 1%-Punkt 2012
3,4%
3%
3,2%
3%+Ausgaben1PP
3,0%
2,8%
2,6%
2,4%
2,2%
2050
2045
2040
2035
2030
2025
2020
2015
2010
2,0%
Quelle: eigene Berechnungen, MEA-SPV-SIM.
Annahmen:
2%: Löhne steigen im Jahr 2012 um 1,2%. Die Lohnsteigerungsrate erhöht sich bis 2020 auf 2% und bleibt danach auf
diesem Niveau.
Plus 1%-Punkt 2012: Löhne wie oben, nur 2012 ist die Rate um 1 Prozentpunkt höher.
3%: Löhne steigen im Jahr 2012 um 2,2%. Die Lohnsteigerungsrate erhöht sich bis 2020 auf 3% und bleibt danach auf
diesem Niveau.
Die Pflegeversicherungsausgaben pro Pflegefall werden in allen drei Szenarien ab 2015 mit einer Rate von 1,5% p.a.
dynamisiert, wobei die Erhöhung nur alle 3 Jahre stattfindet.
3%+Ausgaben1PP: Lohnentwicklung wie im 3%-Senario. Die Ausgaben werden ab 2015 mit 2,5% dynamisiert.
Die Renteneinkommen steigen gemäß MEA-Pensim-Mini (siehe oben).
Die Anzahl der Pflegebedürftigen ergibt sich aus einer Status-quo-Projektion, bei der die alters- und
geschlechtsspezifischen Pflegewahrscheinlichkeiten des Jahres 2009 auf die jeweilige Versichertenzahl eines Jahres
angewendet werden.
Arbeitslosenversicherung
Die von der Arbeitslosenversicherung getätigten Ausgaben hängen nur zum Teil direkt von der
Lohnentwicklung ab. So bemisst sich das Arbeitslosengeld I als Prozentsatz des letzten
Nettolohnes. Lohnsteigerungen werden sich aber nur nach Maßgabe des Anteils der Personen, die
von den Lohnsteigerungen profitiert haben, an der Gesamtzahl der Arbeitslosengeldempfänger
erhöhen. Dieser Anteil wird nur allmählich steigen, so dass sich hier eine merkliche
Zeitverzögerung ergibt, die Beitragssatzsenkungspotentiale in sich birgt.
Ausgaben der aktiven Arbeitsmarktpolitik sind höchsten indirekt von der Lohnentwicklung
abhängig. Insgesamt dürfte das Beitragssatzsenkungspotential durch höhere Löhne höher als in der
GRV und der GKV sein.
6
Fazit
Die Beitragssatzsenkungseffekte durch kräftigere Lohnsteigerungen sind möglich, dürfen aber nicht
überschätzt werden, da es in jedem Sozialversicherungszweig einen direkten oder indirekten
Zusammenhang
zwischen
Lohnsteigerungen
und
Ausgabensteigerungen
gibt,
der
Beitragssatzsenkungspotentiale beschneidet. Gleichwohl sind die Beitragssatzeffekte einer
geänderten Lohndynamik in der GKV und SPV größer als in der GRV.
Literatur
Börsch-Supan, Axel; Gasche, Martin; Wilke, Christina Benita (2010): Konjunkturabhängigkeit der
Gesetzlichen Rentenversicherung am Beispiel der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise,
Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 59. Jahrgang, 3, S. 298-328.
Deutscher Bundestag (2010): Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche
Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der
Nachhaltigkeitsrücklage sowie des jeweils erforderlichen Beitragssatzes in den künftigen 15
Kalenderjahren (Rentenversicherungsbericht 2010) und Gutachten des Sozialbeirats zum
Rentenversicherungsbericht 2010 , Bundestagsdrucksache 17/3900.
Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme – (RürupKommission) (2003), Bericht der Kommission, Berlin.
Ansprechpartner:
Dr. Martin Gasche, Tel.: 0621 181 1859, E-mail: [email protected]
3
Dargestellt ist der durchschnittliche Beitragssatz für Kinderlose und Versicherten mit Kindern.
Herunterladen