Verbaut sich Dresden seine Zukunft?

Werbung
Verbaut sich Dresden seine Zukunft?
Offener Brief an die Dresdner Politik zur Verbesserung der
städtebaulichen Qualität ihrer Stadt
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dirk Hilbert, sehr geehrte Stadträte,
Dresdens Stadtplanungsamt steht seit Jahren unter konstanter Kritik seitens der „Gesellschaft
Historischer Neumarkt“ (GHND). Der Vorwurf lautet indirekt, dass die Leiter des Stadtplanungsamtes
die Rekonstruktion des Neumarktes gezielt hintertreiben würden. 1 Die Auseinandersetzung ist
hochemotional und die GHND, deren Engagement maßgeblich der heutige Neumarkt zu verdanken ist,
wird deshalb in der Presse oft als „Neumarkt-Wächter“ tituliert. Viele Bürger fragen sich dagegen
längst: Wieso stehen sich ein Stadtplanungsamt und ein Bürgerverein so unversöhnlich gegenüber?
Dieser seit Jahrzehnten existierende Streit hat unseren Vorstand bewogen, uns mit diesem offenen
Brief an Sie als die Repräsentanten der Dresdner Bevölkerung zu wenden. Denn der Konflikt ist
unserer Meinung nach nur ein Symptom für ein größeres städtebauliches Problem der ganzen Stadt!
Uns geht es daher in diesem Brief nicht um den Neumarkt, sondern um die restliche Innenstadt, für die
die GHND laut Satzung gar nicht zuständig ist und für die es keine so engagierten „Wächter“ gibt.
„Stadtbild Deutschland e.V.“ hat bundesweite Erfahrung mit Stadtplanungsämtern und
Bürgervereinen. Die Probleme sind in vielen Städten ähnlich: Rekonstruktionen, aber auch generell
das Bauen im traditionellen Stil gelten in den Vorstellungen des tonangebenden „Bundes deutscher
Architekten“ (BDA) noch immer als rotes Tuch. Obwohl der Neumarkt, aber auch andere Städte wie
Frankfurt, Hildesheim oder Danzig längst gezeigt haben, wie positiv Rekonstruktionen von den
Bürgern angenommen werden und obwohl sich sanierte Gründerzeitviertel größter Beliebtheit
erfreuen, wehren sich viele Stadtplaner stets aufs Neue reflexartig dagegen, wenn etwas in diesem
oder einem daran angenäherten Stil ganz neu gebaut werden soll.
Woher kommt diese hartnäckige Ablehnung? Sie liegt hauptsächlich in einem jahrzehntealten und
starren Paradigma des BDA von „modernem Bauen“ begründet: Moderne Gebäude müssten sich
demnach immer radikal von der historischen Nachbarbebauung und von vergangenen Baustilen
unterscheiden..Nur der Bruch mit früheren Bautraditionen sei erlaubt. 2 Ein sensibles Aufgreifen und
Weiterentwickeln früherer Baustile wird dagegen stets als „historisierend“ verworfen. Konkret heißt
dies, dass bei sog. „modernen“ Entwürfen gestalterische Details am Gebäude aus Prinzip weggelassen
werden, weil sie fast alle schon einmal in vergangenen Baustilen Verwendung fanden. Das Ergebnis
einer solch reduzierten Bauweise sind zwangsläufig nackte Fassaden und ausdruckslose Gebäude.
Auch in Dresdens Stadtbild kann man sie inzwischen häufig beobachten: Würfelförmig, beliebig,
bunkerartig, austauschbar – so wirken die meisten der abseits des Neumarktes entstehenden neuen
Gebäude.3 Einwohner und Touristen gehen oft kopfschüttelnd an diesen anspruchslosen
Innenstadtbereichen vorbei und fragen sich, ob die Stadt wirklich so stark sparen muss, denn diese
Gebäude sehen meist wie billige Notlösungen aus. Öffentliche wie auch fachliche Kritik an solcher
„Bruch/Bunker/Würfelarchitektur“ gibt es bundesweit schon lange und sie verstärkt sich. 4
Aber dennoch verteidigen führende Mitglieder des BDA diese überholte Bauphilosophie hartnäckig
weiter als die einzig richtige, die einzig „moderne“. Professoren an den Universitäten, Studenten und
junge Nachwuchsarchitekten tun gut daran, sich an diese Vorgaben zu halten, denn als Abweichler
hätten sie im Studium, bei Ausschreibungen und Wettbewerben keine Chance. 5
1
2
3
4
5
Vgl. Podiumsdiskussion am 17.11.16 im Stadtmuseum mit Stadträten, dem Leiter des Stadtplanungsamtes Stefan Szuggat und der GHND.
Vgl. dazu z..B.: Leon Krier. Architektur-Freiheit oder Fatalismus. München 1998. Vgl. auch: Stephan, Peter: Rettet die Moderne! In: Neumarkt 2/2016, S.
16. Vgl auch: Georg und Dorothea Franck: Architektonische Qualität. München 2008, S. 15, 224f.
Bsp. für banale, einfach schlechte Architektur gibt es leider genug: „Wilsdruffer Kubus“ und neue Postplatzbebauung, Haus Merkur I, II und III,
Einkaufscenter Albertplatz, Stadthäuser „An der Herzogin Garten“ , Umgebung der „Yenidze“, Schwimmhalle Freiberger Straße, Südseite des Altmarktes.
Aktuell zb. Briegleb, Till: Sofort wieder abreißen. In: Art-magazin (02.02.15), vgl. auch Mäckler, Christoph: Von Haus aus missglückt.. In: www.faz.net,
01.09.2016; Vgl. Haubrich, Reiner: Warum viele im Urlaub moderne Architektur meiden. In: Welt, 12.08.16. Aktuell umstrittene Bauprojekte der „Bruch“Philosophie sind u.a.: Anbau Schloss Gottorf in Schleswig, Anbau Gutenbergmuseum Mainz, Anbau Sudetendeutsches Museum München.
Erinnert sei hier z.B. an die Auseinandersetzungen , die Christoph Mäckler mit dem BDA ab 2001 hatte. Umso mehr gilt dies für weniger etablierte
Architekten.. Es gibt dafür zahlreiche weitere Beispiele, die natürlich nicht immer an die Presse gelangen.
_______________________________________________________________
Stadtbild Deutschland e.V. (www.stadtbild-deutschland.org) ist bundesweit in Ortsverbänden organisiert.
Vorsitzender: Dr. Harald Streck; Verwaltungsadresse: Hohenstein 16, 71540 Murrhardt, Tel. 07192-931511
Doch es gibt sie dennoch längst: Architekten, die wieder gestalterisch vielseitiger und verspielter
bauen, z.B. mit Türmchen, Erker oder Ornament – und mit großem internationalem Erfolg, denn diese
neue gestalterische Vielfalt ist europaweit sehr gefragt. 6
Bei öffentlichen Architekturwettbewerben jedoch finden sie kein Gehör, weil die Jury meist von sog.
„Modernisten“ dominiert wird, die Fassadenschmuck und individuelle Details immer noch als
„historisierend“ ablehnen. Mit freiem Wettbewerb haben solche Architekturwettbewerbe deshalb
wenig zu tun, sondern mit dem Durchsetzen einer veralteten und nur dem Namen nach „modernen“
Bauideologie. Fachintern ist das alles bekannt, auch wenn es die Verantwortlichen natürlich
abstreiten.7
Es ist auch keine Frage der Kostenersparnis, wieso weiterhin so spartanisch gebaut wird. Elegante
Architektur muss nicht teurer sein, Fassadendetails machen heutzutage nur noch ca. 1, maximal 2 %
der gesamten Baukosten aus.8 Dresden zieht viele Bauherren an, die auch außerhalb des Neumarktes
der Stadt zu alter Schönheit verhelfen wollen, weil sie um den Mehrwert wissen, der durch attraktive
Stadträume entsteht. Sie locken mehr Besucher und Touristen an, denn gestalterisch
abwechslungsreiche Architektur ist statistischen Untersuchungen zufolge tatsächlich viel beliebter. 9
Uns erreichen aber immer wieder Berichte, wie solche Bauherren von Mitarbeitern des Dresdner
Stadtplanungsamtes genötigt werden, ihre ersten Entwürfe stark zu vereinfachen, weil diese angeblich
zu historisierend seien. Warum das Planungsamt dies tut und ob man tatsächlich von „ideologischen
Zwängen im Stadtplanungsamt“ sprechen kann, wie eine Dresdner Bürgerinitiative meint, sei
dahingestellt.10 Fakt bleibt: Es sind wenige Mitarbeiter dort, die letzten Endes ihren Stempel unter
einen Entwurf setzen oder nicht, die bestimmen, wie gebaut wird. Sie als Politiker wissen selbst am
Besten, wie mächtig Verwaltungsapparate sind und wie viel sie real mitgestalten. Die Folgen der
Fehlplanungen weniger Mitarbeiter aber betreffen am Ende alle Bürger, in Form von unattraktiven
Stadträumen, zu Lasten der Attraktivität, des touristisch-kulturellen Rufes und damit der
Zukunftschancen dieser Stadt!
Wir Bürger aber fragen uns, warum Politiker dies zulassen? Warum werden nicht endlich jene
Bauherren und Architekten unterstützt, die auf eine schöne, die Lebensqualität der Stadt steigernde
Weise bauen wollen? Warum muss das schöne Dresden so abrupt am Postplatz, an der Wilsdruffer
Straße und südlich des Altmarkts enden?
Wir bitten Sie nachdrücklich, diesem Missstand endlich fraktionsübergreifend Abhilfe zu schaffen!
Was können Sie konkret tun?
Neben einer stärkeren, echten Bürgerbeteiligung, die ja bereits versucht wird, ist vor allem die
Auswahl geeigneter Mitarbeiter des Planungsamtes in Zukunft viel sorgfältiger vorzunehmen. Dresden
braucht dringend Stadtplaner, die mit mehr Gefühl für die Seele und Identität dieser Stadt planen!
Architekten, die gestalterisch vielseitiger bauen, nennt man in Fachkreisen „klassisch-traditionell“,
weil sie aus allen vergangenen Architekturepochen schöpfen und diese weiterentwickeln, statt den
bewussten Bruch mit ihnen zu suchen. Wir empfehlen ihnen, Dresdens Stadtplanungsamt und auch die
Wettbewerbsjurys viel stärker als bisher mit solchen traditionell orientierten Fachleuten zu besetzen!
Das ist unserer Meinung nach der wichtigste Schritt, um Dresdens Zukunft städtebaulich würdevoll
weiterzuentwickeln. Für dieses Ziel bieten wir ehrenamtlich unsere Unterstützung an!
Für den Vorstand,
Manuel Reiprich, Bundespressesprecher
6
7
8
9
10
z.B. Peukert, München; Patzschke, Nöfer, Berlin; J. Siemonsen, Hamburg; Ludger Brands, Potsdam; Weise&Treuner, Dresden u.v.m.; International z.B.
Quinlan Terry, Großbritannien; Leon und Rob Krier; Das Büro Patzschke wurde z.B. für den „Driehaus-Prize“ 2017 nominiert.
Vgl.dazu z.B. Voigt, Andreas: Moderne Sehnsucht nach gestern. In: Die Welt, 30.05.2010. Dem Verein liegen zahlreiche weitere ähnliche Berichte vor.
Erfahrungswerte aus Interviews mit verschiedenen Architekten und Bauherren. Als Beispiel sei hier das „Haus Winter“ in der Hamburger Wiesenstraße 7
angeführt. Ein Passivhaus im neu interpretierten Gründerzeitstil, 2014 errichtet, Mehrkosten durch aufwendigere Fassade laut Auskunft des Architekten
Jakob Siemonsen: ca. 1 Prozent der gesamten Baukosten.
Vgl. dazu: Thießen/Küster„Schönheit und Wert von Wohnimmobilien.Ergebnisse einer Befragung der TU Chemnitz im Großraum München. Chemnitz
2014.Vgl: Poschard, Ulf : Der Immobilienmarkt belohnt schöne Städte. www.welt.de 23.03.2014.
Vgl. dazu zb. Die Homepage von „Stadtbild-Das Korrektiv“ bzw. seit kurzem „Stadtbild Dresden-die Bürgerinitiative für Dresden“
_______________________________________________________________
Stadtbild Deutschland e.V. (www.stadtbild-deutschland.org) ist bundesweit in Ortsverbänden organisiert.
Vorsitzender: Dr. Harald Streck; Verwaltungsadresse: Hohenstein 16, 71540 Murrhardt, Tel. 07192-931511
Herunterladen