1 Philosophie für den Arzt? Rückfrage bei Josef Pieper Maria Laach

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Philosophie für den Arzt? Rückfrage bei Josef Pieper Maria Laach Januar 2012 Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu Beginn dieser Tagung möchte ich Sie herzlich begrüßen, und ich freue mich sehr, dass Sie auch in diesem Jahr wieder den Weg nach Maria Laach gefunden haben. Mein besonderer Gruß gilt den Referentinnen und Referenten, die uns einerseits schon bekannt und vertraut, andererseits aber noch fremd sind, uns aber in diesen Tagen, und davon bin ich überzeugt, auch noch vertraut werden. Über ihr Erscheinen und ihre Bereitschaft, zu uns zu sprechen, freuen wir uns sehr und danken ihnen herzlich dafür. Meine Damen und Herren, seit dem Altertum galt die Philosophie als Schwester der Medizin, und bis vor 150 Jahren war das Philosophikum Teil des Medizinstudiums. Danach wurde es durch das Physikum ersetzt. Im 19. und 2o. Jahrhundert, ja bis in unsere Zeit hinein, haben die Naturwissenschaften das Denken und Handeln in der Medizin bestimmt. Der zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Bernhard von Naunyn postulierte Satz: „Die Medizin wird Naturwissenschaft sein, oder sie wird nicht sein“ wurde zur Richtschnur ärztlichen Handels. Die stürmische Entwicklung der Naturwissenschaften und der Medizintechnik hat zweifellos zu beeindruckenden Erfolgen in der Medizin geführt, auf die wohl niemand von uns verzichten möchte. Andererseits ergaben sich daraus aber auch Fragen und Konfliktsituationen, die in den letzten Jahren wieder eine stärkere Rückbesinnung auf einen philosophischen und ethischen Diskurs zur Folge hatten. So wurden bereits in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland Ethikkommissionen an Hochschulen und Landesärztekammern gegründet, deren Aufgabe es war, bei klinischen Versuchen am Menschen auf einheitliche ethische und rechtliche Kriterien, wie sie in der Deklaration von Helsinki festgeschrieben waren, zu achten. Die Hochschulen boten Seminare für medizinische Ethik an. Es bildeten sich Akademien und Zeitschriften für Ethik, und seit etwa 20 Jahren etablieren sich in Deutschland auch zunehmend klinische Ethikkomitees an Krankenhäusern, in denen Ärzte, Pflegende und Seelsorger gemeinsam kritische Problemsituationen von Patienten besprechen, um danach Empfehlungen für den weiteren Therapieverlauf abzugeben. Schließlich hat seit dem Sommersemester 2010 die Universität Würzburg wieder das Philosophikum als fakultatives Lehrangebot ins Leben gerufen, um die philosophischen Kenntnisse von Studenten und Ärzten zu erweitern und den interdisziplinären Dialog neu zu beleben und zu fördern. Es wäre zu begrüßen, wenn auch andere Universitäten in unserem Lande diesem Beispiel folgen würden. Die drängenden medizinischen und ethischen Probleme in hoffnungslosen Lebenssituationen, bei unerträglichen Schmerzen und am Lebensende, für die die technikorientierte Hochleistungsmedizin keine Hilfen anbieten kann, haben darüber hinaus zur Entwicklung der Palliativmedizin beigetragen, deren Hauptanliegen ist, schwerstkranken und sterbenden Patienten eine umfassende Betreuung zu gewährleisten und ihnen ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Die immer komplexeren ethischen Fragen in der Medizin bilden sich zum Beispiel auch in den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung und in den gesetzlichen Bestimmungen zur Patientenverfügung, zur Präimplantationsdiagnostik und Stammzellforschung, aber auch zum Schwangerschaftsabbruch ab. Letztendlich sind zahlreiche Entscheidungen im klinischen Alltag, die der kritischen Reflexion bedürfen, mit ethischen, aber z. T. auch mit philosophischen Fragen verbunden, sodass das Wissen um philosophische Kategorien eine wesentliche Grundlage der Arzt-­‐ Patienten-­‐ Beziehung darstellen sollte. Karl Jaspers hat einmal die Praxis des Arztes als konkrete Philosophie bezeichnet. Es scheint deshalb bei den gegenwärtigen Herausforderungen der Medizin dringend geboten, Ärztinnen und 1 Ärzten philosophisches Wissen zu vermitteln, damit sie über die notwendige Kompetenz im Umgang mit ihren Patienten insbesondere in Problemsituationen verfügen. Wir als christliche Ärzte sollten unser Handeln darüber hinaus auch aus einer religiösen Perspektive reflektieren. Ich bin sehr froh, dass wir uns bei dieser Tagung vordergründig mit philosophischen und sicher auch religiösen Fragen auseinandersetzen werden, und ich bin Herrn Prof. Würmeling sehr dankbar, dass er diese Tagung vorbereitet hat. Josef Pieper, der von 1905 bis 1997 lebte, gehört zu den bedeutendsten und meistgelesenen deutschen Philosophen, da sein umfangreiches Werk zu zahlreichen aktuellen philosophischen Problemen Stellung bezieht. In ihm vereinen sich umfassendes philosophisches Wissen und tiefe Religiosität. Seine Ansichten wurzeln sowohl in der Scholastik des Thomas von Aquin und den christlichen und jüdischen Philosophen und Theologen als auch im Denken der griechischen Philosophen des Altertums.“(s. Portal der katholischen Geisteswelt im Internet) Im Portal zur katholischen Geisteswelt findet sich dazu folgender Eintrag: „Die Stärke Piepers lag in der Fähigkeit, das zeitlos Gütige und Wahre der auf Plato, Aristoteles und vor allem von Thomas von Aquin zurückgreifenden philosophischen Tradition als eigenständig neu Durchdachtes in packender Sprache zur Darstellung und damit die Größe und Würde des christlichen Menschenbildes zum Leuchten zu bringen.“ Zu seinen Hauptwerken gehören zweifellos die Abhandlungen über die Tugenden. Glaube, Hoffnung und Liebe sind nicht nur für jedes menschliche Leben von elementarer Bedeutung, sondern sie stellen auch eine wesentliche Grundlage jeder Arzt-­‐ Patienten-­‐ Beziehung dar. Auf die Liebe in der Relation des Arztes zum Patienten wird Frau Prof. Gerl-­‐ Falkovitz näher zu sprechen kommen. Hier können wir auch schon sehr neugierig sein auf den Film über Platons Symposium, das Gastmahl, der ebenfalls die Liebe zum Inhalt hat. Sicher ist die Liebe, die dem Patienten in schwerer Krankheit oder seelischem Leid entgegen gebracht wird, eine entscheidende Voraussetzung für seine Genesung. Hildegard von Bingen wird das Wort zugeschrieben: „Wenn die Liebe nicht drin ist, ist es vollkommen aussichtslos für den Arzt“(s.: „Wenn Ärzte nach der Wahrheit suchen“, ein Dialog zwischen Medizin und Philosophie. www.philosophische-­‐praxis.at/weisheit.htm). Auch Paracelsus, der große Arzt des Mittelalters, lehrt uns, dass die höchste aller Arzneien die Liebe ist, und für den Apostel Paulus sind alle Worte wie tönendes Erz, wenn ihnen die Liebe fehlt. Liebe schafft Vertrauen, und ohne Vertrauen ist es unmöglich, eine Arzt-­‐ Patienten-­‐ Beziehung aufzubauen. Gleichzeitig ist Vertrauen auch das größte Geschenk, das Patienten Ärzten entgegenbringen können. Dass die Anthropologie Piepers von einem hohen Anspruch eines ganzheitlichen und christlichen Menschenbildes ausgeht, ist bereits kurz angeklungen. Pieper fasst die Frage nach dem christlichen Menschenbild in einem einzigen Satz zusammen: „ Der Christ soll ein anderer Christus sein.“ In seinem Streben, Christus ähnlich zu werden, muss sich ein Christ von Tugenden leiten lassen, die in der Reflexion auf Gott, sich selbst und den Mitmenschen sein Handeln bestimmen sollen. Welche Bedeutung die Anthropologie Piepers auf das ärztliche Ethos hat, wird uns Herr Prof. Wald darlegen. Den Patienten noch als Ganzes zu sehen und in ihm das andere Ich zu erkennen, ist leider durch die Spezialisierung in der Medizin fast unmöglich geworden, und es ist wichtig bei der gegebenen Notwendigkeit der Spezialisierung nach Wegen zu suchen, wie wir einem ganzheitlichen Denken in der Medizin wieder näher kommen können. Einen anderen Menschen, in unserem Falle einen Patienten zu erfassen, setzt nach Martin Buber 3 Stufen voraus: Beobachten, Betrachten, Innewerden. Erst im Innewerden des anderen ist es möglich, den anderen als eigenes Ich wahrzunehmen und sich ihm in Liebe zuzuwenden. (Literatur s. oben). Damit schließt sich wieder der Kreis zur Tugendlehre Piepers. Ich bin dessen gewiss, dass diese Tagung dazu beitragen wird, dass ärztliche Selbstverständnis und das Arzt-­‐ Patienten-­‐ Verhältnis zu vertiefen, und ich wünsche ihr einen erfolgreichen Verlauf. PD Dr. med. habil. Rudolf Giertler Präsident der KÄAD 2 
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