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Sozial-ökologische Forschung – Ein neuer Forschungstyp in der
Nachhaltigkeitsforschung
Thomas Jahn
1. Was ist Nachhaltigkeitsforschung?
Seit der Rio-Konferenz über Umwelt und Entwicklung fungiert das Konzept einer nachhaltigen Entwicklung mehr und mehr als ein neues Leitbild globaler und regionaler Entwicklung. Im Nachhaltigkeitskonzept müssen ökonomische, soziale und ökologische
Probleme im Zusammenhang gesehen und miteinander unter dem Postulat der
Erhaltung von Entwicklungsmöglichkeiten für die Zukunft verknüpft werden. Damit
rückt die zukünftige Reproduktions- und Entwicklungsfähigkeit sowohl der Gesellschaft
als auch ihrer natürlichen Lebensgrundlagen ins Zentrum des gesellschaftlichen
Diskurses.
Diese in der Folge auch in verschiedenen Ressorts der Politik geführten Debatten zur
Nachhaltigen Entwicklung haben einen politisch-normativen Orientierungsrahmen
entstehen lassen, der zahlreiche Forschungsaktivitäten ausgelöst hat – sowohl in der
Umweltforschung als auch in den ökologischen Sozialwissenschaften.
Inzwischen haben sich daraus neue Forschungsfelder wie „angewandte
Nachhaltigkeitsforschung“ und „Sustainability Science“ entwickelt, denn
wirtschaftliches oder gesellschaftliches Handeln, politische Eingriffe und technische
Systemveränderungen unter dem Leitbild der Nachhaltigkeit können erst im Kontext
und in Bezug auf wissenschaftliche Forschung und Reflexion entwickelt und bewertet
werden. Nachhaltigkeitsforschung kann dabei zunächst verstanden werden als interoder transdisziplinäre Wissenschaft, die im Spannungsfeld von Gesellschaft(swissenschaft) und Natur(-wissenschaft) agiert. Sie analysiert lebensweltliche
Probleme unter der normativen Orientierung einer Nachhaltigen Entwicklung und
erarbeitet spezifische Problemlösungen für unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen.
Innerhalb dieser disziplinübergreifenden Nachhaltigkeitsforschung kann auch die
sozial-ökologische Forschung angesiedelt werden. Sie unterscheidet sich von anderen
Ansätzen der Nachhaltigkeitsforschung und der sozial- bzw. naturwissenschaftlichtechnischen Umweltforschung durch ihre Problem- und Akteursbezüge, durch ihre
Organisationsformen, ihre kognitiven Orientierungen und den spezifischen
wissenschaftlichen Herausforderungen, der sie sich stellt (vgl. dazu weiter unten). Den
Ausgangspunkt bilden dabei raum-zeitlich begrenzte, komplexe sozial-ökologische
Problemlagen, die mit dem Ziel bearbeitet werden, nachhaltige Innovations-,
Handlungs- und Entscheidungsoptionen zu erschließen.
Der Bereich Verkehr und Mobilität kann zur Illustration für eine solche komplexe
sozial-ökologische Problemlage herangezogen werden:
Mobil zu sein, sich fortbewegen zu können ist ein menschliches Grundbedürfnis. Es
kann zu Fuß, per Rad, mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Auto, Schiff oder Flugzeug
befriedigt werden. Der Zugang zu den weltweit vernetzten Verkehrssystemen wie
Straßen, Flug- und Bahnlinien sowie die Verfügbarkeit von Verkehrsmitteln setzen
2
dafür Bedingungen im Sinne von Möglichkeiten und Grenzen. Die Orientierung an
Mobilitätsleitbildern
und
sozialstrukturell
wirksamen
Lebensstilen,
die
Einkommensverhältnisse, individuellen Zielsetzungen und gesellschaftlichen Normen
bestimmen darüber, welches Verkehrssystem gewählt, wie es für welche Zwecke
benutzt wird. Diskrepanzen zwischen Nutzungsmöglichkeiten und Nutzungswünschen
führen zu Verkehrsproblemen. Darauf wird in der Regel mit dem kostenintensiven Bau
und Ausbau von Verkehrssystemen oder mit Appellen an ein verändertes
Verkehrsverhalten reagiert. Der Bau und der Ausbau von Verkehrssystemen und deren
Nutzung führt aber zu weiteren Eingriffen in Naturzusammenhänge,
Flächenversiegelung, Energieverbrauch, Emission von Schadstoffen und Lärm – kurz:
zu massiven lokalen bis globalen Umweltprobleme. Auch darauf wird gesellschaftlich
wieder reagiert – mit moralischen Appellen, Umweltauflagen und ihre Folgen wie der
Einbau von Katalysatoren oder die Bemühungen um ein Drei-Liter-Auto, die Förderung
des öffentlichen Nahverkehrs und der Bau von Schallschutzeinrichtungen. All dies
zusammen prägt die Beziehungsmuster zwischen Gesellschaft und Natur in einem
spezifischen Bereich, “Mobilitätsmuster” entstehen, gruppenbezogene "Mobilitätsstile"
werden erforscht, um auf einer neuen Wissensbasis z.B. ein nachhaltiges
Mobilitätsmanagement zu entwickeln. In der Verknüpfung sozialer Innovationen (z.B.
Car-Sharing-Modelle und Mobilitätsberatung) mit technischen (z.B. integrierte
Verkehrssysteme) liegen Lösungsstrategien, die solche Beziehungsmuster aufnehmen
(vgl. city:mobil 1999, Götz et al 1997).
Wo gesellschaftliche und ökologische Probleme im Orientierungsrahmen einer
nachhaltigen Entwicklung zum Forschungsgegenstand gemacht werden, dort verändert
sich das Forschungsfeld. So ist aus den umweltbezogenen Subdisziplinen der
verschiedenen Sozialwissenschaften eine sozialwissenschaftliche
Nachhaltigkeitsforschung am Entstehen. Sie entwickelt sich inzwischen zusammen mit
der naturwissenschaftlich-technischen Umweltforschung zu einem neuen
Forschungsgebiet, das sich immer mehr aus disziplinären Bindungen herauslöst.
2. Die Grenzen der traditionellen Umweltforschung
Die Umweltforschung war Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre in eine Sackgasse
geraten. Zum einen war die Diskrepanz zwischen den investierten Mitteln und den
damit erzielten Erkenntnisgewinnen für gesellschaftliches Handeln unübersehbar
geworden. Ein Beispiel dafür ist die Waldschadensforschung, die ständig neue
Forschungsprobleme identifizierte und dafür immer mehr Mittel einforderte. Zum
anderen war die Umweltforschung dadurch an ihre disziplinären und ressortspezifischen
Grenzen geraten, dass an die Stelle von der Untersuchung von Nachsorgetechniken
(z.B. Filtertechniken für Kraftwerke, verträglichere Abfallentsorgung) die Rufe nach
präventiven Lösungskonzepten immer lauter wurden, die per se die Frage nach den
gesellschaftlichen Akteuren stärker akzentuierten.
Im Nachhaltigkeitsdiskurs entstanden durch die Vermischung und Wechselwirkungen
von bisher eher getrennten Bereichen (Ökologie, Ökonomie und Soziales) neuartige,
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hybride und komplexe Forschungsprobleme. Demgegenüber verengt die traditionelle
Umweltforschung die komplexen sozial-ökologischen Problemlagen in der Regel auf
disziplinäre Probleme und kommt daher in ihrer naturwissenschaftlich geprägten
Variante zu szientifisch verkürzten, in ihrer sozialwissenschaftlichen Variante zu sozial
verkürzten Lösungsvorschlägen. Sie verfehlt damit den komplexen Zusammenhang von
gesellschaftlichen Handlungsmustern, natürlichen, technischen, ökonomischen und
kulturellen Wirkungsgefügen in den gesellschaftlichen Naturverhältnissen.
Sozial-ökologische Problemlagen werden heute von zahlreichen wissenschaftlichen
Disziplinen mit heterogenen Methoden, Begriffen und Modellierungen aspekthaft
untersucht. All diese Forschungsaktivitäten bilden den wissenschaftlichen Kontext einer
sozial-ökologischen Forschung, die eine Integration von Sozial- und
Naturwissenschaften betreibt. Was in den unterschiedlichen Disziplinen jeweils unter
“Gesellschaft” und was unter “Natur” verstanden wird, wie sie voneinander
abzugrenzen und wieder aufeinander zu beziehen sind, ist disziplin- und
kulturabhängig, variiert von Ansatz zu Ansatz und verändert sich historisch.
Die naturwissenschaftliche Umweltforschung untersucht die menschlich-gesellschaftlichen Einflüsse auf natürliche Zusammenhänge. Diese werden entweder als
Umweltmedien gefasst (Boden, Wasser, Luft) oder als ein in sich wiederum nach
Sphären gegliedertes Natursystem (Lithosphäre, Hydrosphäre, Atmosphäre,
Biosphäre). Aus der Perspektive der naturwissenschaftlichen Umweltforschung
erscheinen Umweltprobleme als Störungen der natürlichen Abläufe bzw.
Zusammenhänge, als anthropogene Einträge und Eingriffe in die Natur. Die
naturwissenschaftliche Umweltforschung hat sich inzwischen sowohl inhaltlich
als auch methodisch durch die Orientierung an systemwissenschaftlichen
Konzepten stark ausdifferenziert . Sie bezieht anthropogene Ökosysteme immer
stärker in ihre Forschungen mit ein und öffnet sich dadurch
sozialwissenschaftlichen und ökonomischen Ansätzen, wobei aber häufig eine
überzeugende theoretische und methodische Integration nicht gelingt.
Daneben bildeten sich in den vergangenen Jahren zahlreiche Ansätze einer
sozialwissenschaftlichen Umweltforschung heraus. Hier werden die
gesellschaftlich verursachten Veränderungen natürlicher Zusammenhänge aus der
Perspektive verschiedener Sozialwissenschaften untersucht im Sinne von
Emissionen aus der Gesellschaft in die Natur. Teilweise bedeutet dies,
gesellschaftliche Ursachen dieser Veränderungen zu ermitteln
(Ressourcennutzung, Flächenverbrauch, Eingriffstiefe); teilweise wird auch
untersucht, wie verschiedene gesellschaftliche Funktionssysteme (z.B. Recht,
Wirtschaft oder Politik) umweltrelevante Einflussfaktoren tatsächlich regulieren
bzw. regulieren könnten. In mehreren Sozialwissenschaften ist es dadurch zur
Ausdifferenzierung umweltbezogener Subdisziplinen gekommen: Umweltrecht,
Umweltökonomie, Umweltpolitik, Umweltsoziologie, Umweltpsychologie,
Umweltpädagogik, Umweltethik, Umweltästhetik. Hier werden Umweltprobleme
4
im Begriffsnetz sowie mit den Methoden und Modellierungen der jeweiligen
Fächer behandelt.
In den ökologischen Sozialwissenschaften wird Natur nicht als
gesellschaftsexterne Umwelt, sondern als natürliche Lebensgrundlage der
menschlichen Gesellschaft angesehen. Konzeptionell bedeutet dies, die
menschliche Gesellschaft in komplexe natürliche Zusammenhänge
gewissermaßen einzubetten. Dann ist es zumindest prinzipiell möglich, die
Denkfiguren, Begriffe, Methoden und Modellierungen der biologischen Ökologie
in einer Weise zu modifizieren, dass sie auch auf den gesellschaftlichen Bereich
angewandt werden können. In jeder dieser ökologischen Sozialwissenschaften
werden unterschiedliche Beziehungsmuster hervorgehoben: z.B. das
Bevölkerungswachstum und der Ressourcenverbrauch in der Humanökologie;
kulturelle Regulationsformen und Symbolisierungen in der Kulturökologie; Stoffund Energieströme sowie Ressourcenbewirtschaftung in der Ökologischen
Ökonomie; Raumbeziehungen in der klassischen Sozialökologie; neue
Partizipationsformen und zivilgesellschaftliche Allianzen in der Politischen
Ökologie.
Sowohl in den Umweltwissenschaften als auch in den ökologischen
Sozialwissenschaften hat sich in den vergangenen Jahren ein umfangreiches, aber stark
verstreutes und heterogenes Wissen herausgebildet, das sich zudem durch höchst
unterschiedliche Praxis- und Akteursbezüge auszeichnet. Entsprechende Forschungen
werden punktuell durch ganz unterschiedliche Geldgeber gefördert, was die
Heterogenität noch weiter steigert. Was bisher gefehlt hat, sind eine intensive
Diskussion zwischen den verschiedenen Ansätzen und Richtungen, eine Konzentration
des existierenden Forschungspotentials auf Themenfelder, die sowohl gesellschaftlich
als auch wissenschaftlich herausfordernd sind sowie eine systematische
Weiterentwicklung des gesamten Forschungsfeldes.
Die sozial-ökologische Forschung als ein Typus nachhaltiger Forschung setzt hier
sowohl inhaltlich als auch forschungspraktisch an, formuliert neue Forschungsansätze,
neue Themen und macht neue Angebote an die Gesellschaft:
•
beispielsweise dadurch, dass in der Forschungspraxis versucht wird, von Anfang an
sozial-, natur-, kultur- und ingenieurswissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden
miteinander zu verknüpfen;
•
oder dadurch, dass die gesellschaftliche Verursachung aber auch Gestaltbarkeit von
Umweltproblemen besonders betont wird;
•
und nicht zuletzt dadurch, dass sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
nicht als Besserwissende sondern eher als „Anders-Wissende“ verstehen. Dadurch
wird es ihnen möglich, die gegenwärtigen dramatischen Umwälzungen elementarer
Lebensbereiche und Weltvorstellungen nicht nur zu beschreiben und zu kritisieren,
sondern sie zusammen mit den davon Betroffenen auch aktiv zu gestalten.
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Die zahlreichen bereits existierenden Ansätze einer sozial-ökologischen Forschung
spielten allerdings bislang im überwiegend disziplinär verfassten sowie auf sektorale
und kurzfristige Politikvorgaben reagierenden Wissenschaftssystems großenteils eine
untergeordnete Rolle. Dazu hat die Tatsache beigetragen, dass förderpolitische Ansätze
zu lange technikbezogen waren und weniger darauf zielten, das Potential dieses neuen
Forschungstyps zu stärken und für die Entwicklung zukunftsfähiger gesellschaftlicher
und politischer Handlungsmöglichkeiten zu nutzen. Insbesondere fehlte es an
geeigneten Förderinstrumenten, mit denen sowohl die theoretische und methodische
Diskussion zwischen den bereits existierenden Ansätzen intensiviert und abgesichert,
als auch das Forschungsfeld selbst verbreitert und seine Attraktivität für Wissenschaft
und Gesellschaft erhöht werden konnte. Ohne eine solche Förderung lässt sich aber die
bislang nur schwach entwickelte Wissensbasis – auch im Sinne von gewusstem NichtWissen – für eine Nachhaltige Entwicklung nur schwer ausbauen.
3. Ein neuer Forschungstyp entsteht
In der offiziellen Karte der deutschen Forschungslandschaft finden sich bis Mitte der
siebziger Jahre nur zwei große Sektoren: die klassische Hochschulforschung und die
staatlich finanzierte außeruniversitäre Forschung. Doch die Karte ist nicht das
Territorium. Seit der Gründung des Öko-Instituts in Freiburg vor nunmehr 25 Jahren als
ein Ergebnis der sozialen Auseinandersetzungen um den Bau eines Kernkraftwerkes im
südbadischen Whyl entstand – weitgehend unbeachtet durch die offiziellen Agenturen
des Wissenschaftssystems - nach und nach eine neue Region in der
Forschungslandschaft, gewissermaßen ein „Dritter Sektor“ kleiner, gemeinnütziger
ökologischer Forschungsinstitute. Begonnen haben diese Institute als „Advocacy“Wissenschaft – als eine Wissenschaft, die eng mit Bürgerinitiativen, den damals noch
neuen sozialen Bewegungen und mit einzelnen Protestgruppen kooperierte. Inzwischen
haben sich diese Institute stark verändert – das Spektrum der Kooperationspartner ist
breiter geworden und reicht bei einigen Instituten inzwischen bis zur Großindustrie;
teilweise sind die Institute näher an traditionelle Wissenschaftseinrichtungen und an
einzelne akademische Disziplinen herangerückt, teilweise haben sie sich in
Beratungseinrichtungen verwandelt.
In diesen Instituten hat sich eine neue Umweltforschung herausgebildet, die dem
Nachhaltigkeitsziel verpflichtet ist: Sie öffnete sich einerseits zu Wirtschaft und
Gesellschaft, untersuchte Energieversorgung, Stoffströme und Verkehrssysteme.
Andererseits richtete sie frühzeitig den analytischen Blick auf spezifische
Problemausschnitte einer nachhaltigen Entwicklung, insbesondere verschiedene
Aspekte eines nachhaltigen Wirtschaftens nachhaltigen Konsums oder nachhaltiger
Mobilität. In diesen Instituten hat sich der neue Forschungstyp der sozial-ökologischen
Forschung und mit ihm ein neuer Modus der Wissensproduktion herausgebildet, der
sich
mit
den
Begriffen
Problemorientierung,
Akteursorientierung
und
Transdisziplinarität charakterisieren lässt.
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Diese Forschung reagierte auf Defizite der vorwiegend disziplinär geprägten
Umweltforschung und der sektoralen, stark interessensgebundenen Umweltpolitik mit
einer interdisziplinären und integrativen Perspektive. In wissenschaftlicher Hinsicht hat
sie sich nach und nach darauf gerichtet, die noch immer weitgehend unverbundenen
Erkenntnisse der naturwissenschaftlichen und der sozialwissenschaftlichen
Umweltforschung sowohl problembezogen miteinander zu verknüpfen als auch
theoretisch zu integrieren. Unter politischen und gesellschaftlichen Aspekten trägt sie
der Tatsache Rechnung, dass Umweltpolitik immer stärker mit anderen Politikfeldern
wie Wirtschafts-, Sozial-, Verkehrs-, oder Forschungs- und Technologiepolitik
verflochten ist.
Damit bewegt sich diese Forschung an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik,
Wirtschaft und Öffentlichkeit. Ihre allgemeinen Merkmale werden in der
internationalen Diskussion unter dem Stichwort eines neuen Modus der
Wissensproduktion ("Mode 2") in zugespitzter Form zusammengefasst: Die
gesellschaftliche Wissensproduktion findet immer stärker in unterschiedlichen
Anwendungskontexten statt, ist transdisziplinär verfasst, erfolgt in vielfältig vernetzten
und heterogenen organisatorischen Formen und in sozialer Verantwortung und bedarf
von daher einer spezifischen Reflexivität (Gibbons et al. 1994). Eine besondere
theoretische und methodische Herausforderung entsteht durch ihre Orientierung an
konflikthaltigen
gesellschaftlichen
Problemen:
Im
Entstehungsund
Anwendungskontext der Forschung stoßen die unterschiedlichen Interessenlagen und
das heterogene Erfahrungswissen gesellschaftlicher Akteure aufeinander. Will die
Forschung ihren Gegenstand nicht verfehlen, muss sie diese sowohl bei der Konzeption
des Forschungsprozesses als auch im alltäglichen Forschungshandeln in den
Mittelpunkt stellen und zugleich für die Umarbeitung der gesellschaftlichen Probleme
in wissenschaftliche präsent halten im Sinne einer kritischen Reflexivität.
Wie lassen sich nun die tragenden methodischen Orientierungen eines solchen „neuen“
Forschungstyp kurz charakterisieren?1
Problemorientierung:
Gegenstand von sozial-ökologischer Forschung ist weder ein wohl definiertes
wissenschaftliches Objekt noch eine empirisch geklärte, d.h. im wesentlichen
unbestrittene Tatsache. Es handelt sich vielmehr um diskursiv erzeugte Gegenstände in
der Gestalt von gesellschaftlichen Problemen, die wissenschaftlich bearbeitet werden
sollen. Erzeugt werden sie in einem strittigen Diskurs mit Bezug auf Störungen in den
Beziehungen zwischen Gesellschaft und Natur, den gesellschaftlichen
Naturverhältnissen. In der nachhaltigen Forschung wird also eine spezifische
Problemdynamik, ein Problemkern und seine Entwicklung durch das Zusammenwirken
gesellschaftlicher und natürlicher Prozesse untersucht. Forschungspraktisch bedeutet
1
Eine ausführliche Charakterisierung des neuen Forschungstyps unter methodologischen Aspekten
findet sich bei Becker 2002.
7
dies, dass bereits zu Beginn in einer ersten integrativen Arbeitsphase ein gemeinsamer
Forschungsgegenstand definiert wird, indem eine existierende gesellschaftliche
Problemlage – etwa die Wasserver- und -entsorgung – in eine umfassende
wissenschaftliche Fragestellung übersetzt wird, zum Beispiel die nach dem
gegenwärtigen und zukünftigen (funktional und sozial ausdifferenzierten) Umgang der
Gesellschaft mit “ihren” Wässern. Diese übergreifende Fragestellung lässt sich nun in
eine Vielzahl von – eher disziplinär zu bearbeitenden – Einzelproblemen aufspalten:
•
Lässt sich der Artenschwund grundwassergeprägter Biotope aufhalten? Welche soziokulturelle Bedeutung hat das Wasser? Wie organisiert sich die Wasserwirtschaft
gegenwärtig neu? Wie lassen sich die Kosten langfristig senken? Wie schränken
aktuelle Problemlösungsstrategien die Handlungsspielräume zukünftiger
Generationen ein? Welche technischen Innovationen sind möglich? Lässt sich das
Abwasser als Ressource bewirtschaften und vom Frischwasser als Transportmedium
entkoppeln? Lassen sich sozial- und ökologisch adaptionsfähige Systeme
entwickeln, die exportfähig – im Sinne der Nord/Süd-Problematik – sind?
Aus diesem Katalog ergeben sich wiederum eine Fülle von (interdisziplinären)
Querschnittsfragen. Im Kern geht es hier um die technischen, ökonomischen,
wissenschaftlichen und administrativen Regulationen der damit verknüpften komplexen
Probleme, um deren Form, Qualität und Veränderbarkeit.
Akteursorientierung:
Die aktive Einbeziehung von unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren und
Bevölkerungsgruppen – gerade auch bisher randständiger oder von
Entscheidungsprozessen ausgeschlossener Akteure – ist eine Bedingung, ohne die viele
gesellschaftliche Entwicklungsprobleme nicht mehr zutreffend beschrieben und gelöst
werden können. Das heißt aber, dass Fragen der Sozialstruktur, der sozialen, ethnischen
und Geschlechterdifferenzen nun systematisch in die Analysen natürlich-technischer
Wirkungszusammenhänge mit aufgenommen werden. Und forschungspraktisch
bedeutet dies, dass bei der Problembeschreibung und -lösung die spezifischen
Akteurskonstellationen, ihre divergierenden Interessen und Handlungsspielräume
ebenso berücksichtigt werden müssen, wie zum Beispiel die Frage nach den Grenzen
der gesellschaftlichen Steuerbarkeit und nach dem Entstehen von (zivilen)
Selbstorganisationsstrukturen. Eine akteursorientierte Forschung muss zudem an einer
zielgruppenspezifischen Differenzierung von Lösungsalternativen arbeiten und dazu
bereits zu Beginn eine akteursbezogene Beschreibung der gesellschaftlichen
Problemlage vornehmen. Und auch darum geht es: empirisch die Entstehung und
Geltung von normativen Ansprüchen und Anforderungen von bzw. an Nachhaltigkeit in
konkreten Handlungszusammenhängen zu analysieren.
Transdisziplinarität:
Eine Forschung, die sich aus ihren fachlichen disziplinären Grenzen löst und ihre
Probleme mit Blick auf außerwissenschaftliche, gesellschaftliche Entwicklungen – sog.
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lebensweltliche Probleme – definiert, um diese Probleme dann disziplin- und
unabhängig von Fachgrenzen zu bearbeiten und die Ergebnisse sowohl praktisch wie
theoretisch zusammenzuführen, kann zunächst als „transdisziplinär“ beschrieben
werden.
Im Mittelpunkt einer solchen transdisziplinären Forschung steht eine komplexe
gesellschaftliche Problemdynamik, für die beides erarbeitet werden soll: praktische
gesellschaftliche Lösungen und wissenschaftsinterne Lösungen, was in der Regel zur
Formulierung neuer Fragestellungen führt und dadurch den wissenschaftlichen
Fortschritt antreibt. Nach diesem Verständnis von Transdisziplinarität tritt neben dem
Einbeziehen von außerwissenschaftlichen Wissens, Interessen und Bewertungskriterien
ein innerwissenschaftliches Interesse, die Erkenntnismöglichkeiten der einzelnen
Disziplinen auch hinsichtlich neuer, transdisziplinärer Theoriebildung zu überschreiten.
Disziplinübergreifendes Arbeiten diesem Verständnis nach heißt, über den gesamten
Forschungsprozess hinweg bisher (sei es in der disziplinären, sei es in der
gesellschaftlichen Wahrnehmung) Getrenntes in Beziehung zueinander zu setzen, es als
Unterschiedenes, aber voneinander Abhängiges zu untersuchen und so übergreifende
soziale und kognitive Strukturen und Ordnungsmuster zu erkennen, die mehr sind als
die Summe der einzelnen Teile. Dies bedeutet, ökonomische, ökologische,
sozialwissenschaftliche
und
technische
Wissensbestände
und
Methoden
zusammenzubringen.
Eine solche “transdisziplinäre Integration” muss durch eine entsprechende
Organisationsform der Forschung unterstützt werden, z.B. durch regelmäßige Treffen
mit einer strukturierten Arbeitsplanung und einem moderierten Ablauf, durch
gegenseitiges
“quer-disziplinäres”
Kommentieren
und
Begutachten
von
Teilergebnissen, durch Patenschaftsverfahren. Die sozial-ökologische Forschungspraxis
bedarf dafür aber auch neuer methodischer Ansätze. Ein Beispiel sind diskursive
Integrationsverfahren, die den beteiligten Fächern und Praxisakteuren Rechnung tragen
können wie etwa die „Handlungsfolgenabschätzung“ (Bergmann/Schramm/Wehling
1998), mit der unter einem querdisziplinären Blick gleichzeitig sowohl ökologische,
ökonomische, als auch soziale Voraussetzungen und Folgen technischer Innovationen
als auch die gesellschaftlichen Konstellationen, die ihrer Umsetzung förderlich bzw.
hinderlich sind, analysiert und abgeschätzt werden können. Hierzu gehören aber auch
heuristische Methoden wie das handlungstheoretische Konzept von "Optionen und
Restriktionen", mit dem untersucht werden kann, was unterschiedliche Akteure daran
hindert, nachhaltige Handlungsoptionen zu ergreifen – ein Analyseverfahren, mit dem
sowohl technische wie gesellschaftliche Grenzen und Möglichkeiten in den Blick
genommen werden können (vgl. Hirsch Hadorn, Maier, Wölfing, Kast 2002).
4. Ein neues Forschungsprogramm: Sozial-ökologische Forschung
Aus der in den vorhergehenden Abschnitten kurz skizzierten Konstellation von
gesellschaftlichem Problemdruck, Kritik an der etablierten Forschungslandschaft und
Alternativen zur herrschenden Forschungspolitik ist so etwas wie ein
Entwicklungsschub entstanden: In technik- und risikosoziologischen Diskursen, in der
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Umweltforschung selbst sowie in den gesellschaftlichen Debatten über Nachhaltige
Entwicklung wurde ein forschungspolitisches Defizit sichtbar. Gleichzeitig wurde im
Rahmen von Monitoring-Prozessen (TAB) und durch die Evaluierung der
Umweltforschung durch den Wissenschaftsrat aus dem etablierten Wissenschaftsbereich
selbst die Kritik am Status Quo und die Forderung nach neuen Konzepten laut.
Besonders deutlich artikulierte das ökoforum (ein Zusammenschluss von sieben
deutschsprachigen Instituten aus dem dritten Forschungssektor) forschungspolitische
Defizite und machte konkrete Veränderungsvorschläge (vgl. exemplarisch Ökoforum
1997 und 2001). Es kam hier also gewissermaßen zu – durchaus auch nichtbeabsichtigten – Resonanzen zwischen sehr unterschiedlichen Akteuren und Bereichen.
Nach dem Regierungswechsel Ende 1998 wurden mit der Entscheidung des BMBF,
einen neuen Förderschwerpunkt für sozial-ökologische Forschung einzurichten, diese
Defizite angegangen (vgl. Becker/Jahn/Schramm 2000).
Im Forschungsprogramm wurden drei vorrangige Förderziele formuliert und zu einem
Gesamtkonzept verknüpft:
•
die gezielte Förderung sozial-ökologischer Forschungsprojekte einschließlich einer
kooperativen und kontrollierten Identifizierung des zukünftigen Forschungsbedarfs
(„Projektförderung“);
•
die gezielte Förderung von kleinen, nicht-staatlichen und außeruniversitären
Forschungseinrichtungen und die stärkere Vernetzung dieses – dritten – Sektors des
Wissenschaftssystems mit den Hochschulen und den staatlich finanzierten
außeruniversitären Forschungseinrichtungen („Strukturförderung“);
•
die Initiierung und dauerhafte Etablierung eines für transdisziplinäre Forschung
qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchses („Nachwuchsförderung“) (BMBF
2000:12f).
Inzwischen wurden mehrere Ausschreibungen in allen drei Förderbereichen
durchgeführt; erste Ergebnisse liegen bereits vor. 2
Förderstrategisch sind für die sozial-ökologische Forschung drei Grundentscheidungen
des Schwerpunktes entscheidend:
•
Inhaltlich ist das neue Förderkonzept durch die Verknüpfung von konzeptioneller
Klarheit und thematischer Offenheit geprägt. Diese Verknüpfung gelang im Rahmen
der Konzeptentwicklung durch die Bestimmung einer wissenschaftlichen
Problematik einer sozial-ökologischen Forschung, die vor allem durch eine
Problem- und Akteursorientierung einerseits, eine integrative Perspektive
andererseits gekennzeichnet ist. An diesen konzeptionellen Kern des Programms
wurde ein breites Spektrum von inhaltlichen Fragen und Themen angelagert, durch
die Forschende unterschiedlicher Sektoren, Disziplinen und Forschungsfelder
angesprochen werden können.
2
Ergebnisse der Sondierungsprojekte in Balzer/Wächter (2002); zum aktuellen Stand des
Förderschwerpunktes vergleiche auch Willms-Herget in diesem Band; zur Entwicklung des
Förderschwerpunktes vgl. Jahn/Sons/Stieß.
10
•
Bereits in der Phase der Konzeptentwicklung fand im Rahmen eines partizipativen
und transparenten Prozesses eine enge Kooperation zwischen ausgewählten
Expertinnen und Experten unterschiedlicher wissenschaftlicher Sektoren, dem
BMBF und potentiellen Antragstellenden statt. Durch die Etablierung eines
kooperativen Wissensnetzwerks und die Einrichtung von Diskursarenen konnte
nicht nur auf einen breiten Wissensstand zurückgegriffen werden, sondern auch
mögliche Interessendifferenzen und unterschiedliche Zielvorstellungen sichtbar
gemacht und offen bearbeitet werden.
•
Für den Förderschwerpunkt wurden ein Mix innovativer Förderbereiche definiert
und neue geeignete Instrumente entwickelt. Neben der befristeten Förderung von
Forschungsverbünden wurde auch eine Förderung strukturbildender Vorhaben
ermöglicht, die an mittelfristige Ziele geknüpft sind und mit denen die
Forschungskapazitäten unabhängiger und gemeinnütziger Forschungsinstitute
gezielt gefördert werden. Außerdem wurde mit dem neuen Instrument der
Sondierungsprojekte ein geeignetes Verfahren zur Themengenerierung entwickelt.
Neben diesen strategischen Essentials ist der neue Förderschwerpunkt durch zwei
wissenschaftliche Herausforderungen charakterisiert, die für die sozial-ökologische
Forschung ausschlaggebend sind und sie von anderen Ansätzen in der
Nachhaltigkeitsforschung unterscheidet:
•
Einmal geht es in der sozial-ökologischen Forschung darum, die dynamischen
Beziehungen zwischen Natur und Gesellschaft so zu analysieren und zu
beschrieben, dass ein neues Wissen darüber entsteht, wie sich in der
gesellschaftlichen Praxis nachhaltige Entwicklungspfade bahnen lassen. Dies
impliziert in mehrfacher Hinsicht eine komplexe Forschungssituation: einmal
dadurch, dass ein Geflecht von Beziehungen zwischen natürlichen
Wirkungszusammenhängen, gesellschaftlichen Handlungsmustern und technischen
Regulierungen untersucht wird - und nicht Dinge oder isolierte Phänomene, wobei
es sich dabei um Gesellschafts-/Natur-Beziehungen handelt - Beziehungen also, die
immer sowohl in einer sozialen als auch in einer ökologischen Dimension
ausgeprägt sind. Dann dadurch, dass die gesellschaftlichen Regulationsformen
dieser Beziehungen oftmals tiefgreifend gestört oder noch nicht adäquat entwickelt
sind und sich sozial-ökologische Problemlagen und Konflikte ausbilden, deren
Regulation für die Reproduktions- und Entwicklungsfähigkeit der Gesellschaft und
ihrer natürlichen Lebensbedingungen entscheidend ist. Daraus ergeben sich starke
Anforderungen an die notwendige Konkretisierung der einzelnen Problemlagen und
ihre räumliche wie zeitliche Spezifizierung. Denn die konkreten Ergebnisse dieser
Forschungen müssen sich wiederum sowohl an den normativen Grundprämissen der
Nachhaltigkeit messen lassen als auch adaptionsfähige Ansätze enthalten, damit sie
praktisch auch umgesetzt werden können.
•
Zum anderen werden Integrationsprobleme in den Mittelpunkt gerückt. Da es um
die Gestaltung praktischer Handlungszusammenhänge geht, handelt es sich zum
einen um soziale Integrationsprozesse, um Wissenskommunikation: Divergierende
Interessen sind miteinander abzustimmen und wissenschaftliches Wissen ist mit den
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alltagspraktischen Erfahrungen unterschiedlicher Akteure in deren jeweiligen
soziokulturellen Kontexten zu verknüpfen. Zugleich geht es um die Entwicklung
neuer technischer Lösungen. Diese müssen in soziale Zusammenhänge eingebettet
und die verschiedenen Lösungskomponenten so gestaltet werden, dass sie in einem
nachhaltig funktionsfähigen System zusammenwirken können. In der sozialökologischen Forschung müssen jedoch auch kognitive Integrationsprozesse
geleistet werden. Dafür müssen naturwissenschaftliche, technische und
sozialwissenschaftliche
Daten,
Methoden
und
Theorien
systematisch
zusammengebracht und wissenschaftliche und alltagspraktische Wissenselemente so
transformiert und miteinander verknüpft werden, dass neue, übergreifende,
kognitive Strukturen entstehen können. Damit zielt die sozial-ökologische
Forschung auf einen zusätzlichen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn aus der
interdisziplinären Kooperation, der über den Ertrag für die einzelnen beteiligten
Disziplinen hinausgeht.
5. Ein vorläufiges Fazit
Die neuzeitliche universitäre Wissenschaft hat sich in den westlichen Gesellschaften in
einem autonomen Sonderraum entwickelt und institutionalisiert. Ihre Autonomie
manifestierte sich darin, dass sie aus sich selbst Forschungsfragen entwickelte und diese
nach selbstgesetzten Methoden und innerhalb selbstbegründeter Theorien nach
disziplinären Kriterien bearbeitete. So konnte sie ihr Selbstverständnis durch das Ideal
einer kontextfreien, universellen und wertneutralen Forschung ausbilden. Dieses Ideal
wird mehr und mehr brüchig und das Selbstverständnis der Wissenschaft wandelt sich.
Die sozial-ökologische Forschung ist ein Moment dieses Wandlungsprozesses. Als
(auch) staatlich geförderte Forschung verändert sie ebenso das Verhältnis von
Wissenschaft und Politik. Forschungsförderung bedeutet – systemtheoretisch abstrakt
gesprochen – immer so etwas wie eine operative Kopplung zwischen dem politischadministrativen System und dem Wissenschaftssystem. Sie kann nur funktionieren,
wenn die Förderprogramme Elemente enthalten, die in beiden Systemen wirken und
kommunikativ vermittelbar sind. Dies schließt aber aus, dass sie einfach staatliche
Auftragsforschung betreibt.
Sozial-ökologische Forschung, deren Entstehungs- und Anwendungskontext in
gesellschaftlichen Problembereichen liegt, wirft besondere methodische und
theoretische Probleme auf (Vgl. Becker & Jahn 2000). Nicht nur die Transformation
gesellschaftlicher Probleme in wissenschaftliche Fragestellungen muss geklärt werden,
sondern auch das Verhältnis von Nützlichkeit und Wahrheit der Forschungsresultate.
Der Verweis auf die „Pluralisierung von Wissensformen“ und die Aufwertung des
praktischen Erfahrungswissens reichen dafür ebenso wenig aus, wie die Präferenz von
Nützlichkeitserwägungen und die Betonung gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse.
Ohne eigene Qualitätskriterien lässt sich der neue Forschungstyp langfristig nicht
absichern.
Unbestritten ist, dass die sozial-ökologische Forschung eine besondere Reflexivität
ausbilden muss. Dazu gehört auch, die bisher entwickelten Methoden der
12
Folgenabschätzung auf die eigene Forschungspraxis anzuwenden und insbesondere zu
untersuchen, wie sich das Verhältnis von Wissenschaft und Politik verändert.
Mit dem neuen Förderschwerpunkt ist es in relativ kurzer Zeit mit relativ geringem
materiellen und personellen Aufwand und in einem bis dahin einzigartigen
Entwicklungsprozess gelungen,
•
erstmals im Rahmen der existierenden BMBF-Förderstruktur systematisch
transdisziplinäre Forschung zu fördern;
•
die
erkennbare
Benachteiligung
einer
bestimmten
Gruppe
von
Forschungseinrichtungen offiziell anzuerkennen und deren Situation in einer mehr
und mehr wettbewerblich verfassten Förder- und Auftragslandschaft in spürbarer
Weise zu verbessern – wenngleich „in the long run“ so vermutlich noch nicht
ausreichend um die mit der Förderung verknüpften Erwartungen an sozialökologische Kompetenzzentren auch tatsächlich erreichen zu können;
•
ein neues Verfahren der Entwicklung eines förderpolitischen Instruments und
Maßnahme erfolgreich einzusetzen;
•
die öffentlich geförderte Forschung – über sozial-ökologisch Forschung hinaus –
mit neuen inhaltlichen Herausforderung zu konfrontieren, nämlich sich stärker der
Erforschung komplexer, selbst organisierter, stark vernetzter und gekoppelter
Systeme und Handlungszusammenhänge zuzuwenden, und systematisch Werkzeuge
der Integration zwischen den Disziplinen, zwischen Wissenschaft und Gesellschaft,
aber auch zwischen verschiedenen Kulturen für den Gebrauch in Wissenschaft und
Gesellschaft zu entwickeln.
Literatur:
Balzer, Ingrid / Wächter, Monika (2002): Sozial-ökologische Forschung. Ergebnisse der
Sondierungsprojekte aus dem BMBF-Förderschwerpunkt. München: ökom
Becker, Egon (2002): Transformations of Social and Ecological Issues into
Transdisciplinary Research. Paris, Oxford: Unesco Publishing/Eolss Publishers,
949-963
Becker, Egon/Jahn, Thomas/Schramm, Engelbert, 2000: Sozial-ökologische Forschung.
Rahmenkonzept für einen neuen Förderschwerpunkt. Gutachten im Auftrag des
BMBF. Studientexte des Instituts für sozial-ökologische Forschung Nr.6. ISOE:
Frankfurt am Main.
Becker, Egon/Jahn,Thomas, 2000: Sozial-ökologische Transformationen. Theoretische
und methodische Probleme transdisziplinärer Nachhaltigkeitsforschung. In: Brand,
K.-W. (Hg.), Nachhaltigkeit und Transdisziplinarität. Berlin: Analytica; 68-84.
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