Sozial-ökologische Forschung – Rahmenkonzept für einen neuen

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Institut für sozial-ökologische
Forschung (ISOE) GmbH
Hamburger Allee 45
60486 Frankfurt am Main
Sozial-ökologische Forschung –
Rahmenkonzept für einen neuen Förderschwerpunkt
Kurzfassung
im Auftrag des BMBF
Frankfurt am Main, Dezember 1999
©Institut für sozial-ökologische Forschung
(ISOE) GmbH
Hamburger Allee 45
60486 Frankfurt am Main
Tel. (069) 7 07 69 19-0
Fax (069) 7 07 69 19-11
[email protected]
http://www.isoe.de
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“Soziale Ökologie ist die Wissenschaft von den Beziehungen der Menschen zu ihrer
jeweiligen natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt. In der sozial-ökologischen
Forschung werden die Formen und die Gestaltungsmöglichkeiten dieser Beziehungen
in einer disziplinübergreifenden Perspektive untersucht. Ziel der Forschung ist es,
Wissen für gesellschaftliche Handlungskonzepte zu generieren, um die zukünftige Reproduktions- und Entwicklungsfähigkeit der Gesellschaft und ihrer natürlichen Lebensgrundlagen sichern zu können.”
1. Warum der neue Förderschwerpunkt?
Sozial-ökologische Forschung ist in den letzten Jahren zu einer neuen, interdisziplinären und integrativen Forschungsperspektive geworden: eine Reaktion auf Defizite der
bisherigen fachgebundenen Umweltforschung und einer Umweltpolitik, die aus eher
unverbundenen Einzelmaßnahmen bestand. Ging man bislang von einzelnen, vermeintlich isolierbaren und entsprechend punktuell lösbaren Umweltproblemen aus,
analysiert sozial-ökologische Forschung übergreifende sozial-ökologische Problemlagen
und deren Dynamik. Sie untersucht die komplexen Beziehungsmuster zwischen Menschen, Gesellschaft und Natur sowie die Möglichkeiten ihrer Transformation. Sie trägt
dem Feld vielfältiger, biologischer, chemisch/physikalischer, klimatischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlich-politischer Faktoren Rechnung, die ständig auf das Verhältnis Natur-Gesellschaft einwirken. Von dessen aktuellen Veränderungen geht sie aus,
wenn sie nach Pfaden nachhaltiger Entwicklung sucht.
In sozial-ökologischen Problemlagen manifestieren sich konflikthafte Beziehungen
zwischen Menschen, Gesellschaft und Natur. Sie werden seit zwei Jahrzehnten öffentlich diskutiert; ihre Bewertung und die vorgeschlagenen oder praktizierten Lösungen
sind politisch umstritten. Zwischen der Ökologiebewegung einerseits, dem administrativen Natur- und Umweltschutz und der staatlichen Umweltpolitik andererseits hat sich
ein politisches Feld mit zahlreichen Akteuren und einer starken Dynamik ausgebildet.
Das ist auch das Feld vielfältiger wissenschaftlicher Aktivitäten.
Die wissenschaftliche Aufgabe besteht darin, die weitgehend unverbundenen Erkenntnisse der naturwissenschaftlichen und der sozialwissenschaftlichen Umweltforschung
problembezogen miteinander zu verknüpfen und beide theoretisch wie methodisch in
einer praktischen Zielsetzung zu integrieren. Sie kann sich aktuellen politischen und
gesellschaftlichen Entwicklungen nicht entziehen. Es hat sich gezeigt, daß Umweltpolitik nur dann nachhaltig betrieben werden kann, wenn das, was getan wird oder zu tun
ist, in all seinen Wechselwirkungen mit anderen Politikfeldern (Wirtschafts-, Sozial-,
Verkehrs-, Forschungs- und Technologiepolitik) gesehen wird. Diese vielfältigen Wechselwirkungen sind der Ausgangspunkt sozial-ökologischer Forschung: in praktischer,
methodischer und theoretischer Hinsicht.
Gesellschaftlicher Kontext
In den letzten drei Jahrzehnten haben sich Verständnis, Wahrnehmung und Bewertung
von Umweltproblemen stark verändert. Ging es zunächst um Gefährdungen lokaler
oder regionaler Biotope (Boden, Wasser, Luft), rückten dann komplexere Schadensmuster (Waldsterben, Ozonloch, Treibhauseffekte) ins Zentrum der Aufmerksamkeit
und des öffentlichen Handelns. Als Auslöser von Umweltproblemen sah man punktuelle Verursacher (Verkehr, Industrie, Landwirtschaft). Entsprechend punktuelle Lösungen wurden diskutiert und umgesetzt.
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Derartige Problemlösungen können zu neuen Problemursachen werden. Die “hohen
Schornsteine über der Ruhr” sind ein schon klassisches Beispiel für die räumliche
Verlagerung eines lokalen Umweltproblems - die Ökosteuer ist ein aktuelles. Deutlich
wurde, daß solche Maßnahmen, auch wenn sie ihren erwünschten Zweck mehr oder
weniger gut erfüllen, dennoch unerwünschte Folgen und Nebenfolgen in anderen
gesellschaftlichen oder Umweltbereichen haben. Man kann deshalb von Problemen
zweiter Ordnung sprechen, die aus der scheinbar erfolgreichen Lösung von ökologischen oder sozialen Problemen erster Ordnung entstehen.
Zudem entwickelten sich politische Zielkonflikte (z.B. Umweltschutz vs. Arbeitsplatzsicherheit; Konsumwünsche vs. Abfallvermeidung). Die aktuellen und langfristigen
Folgen von Umweltveränderungen stehen also im Kontext innergesellschaftlicher
Auseinandersetzungen. Und zugleich von Transformationen, die das Leben in den
(Industrie-)Gesellschaften global verändern. Stichworte: Informationsgesellschaft,
“Computerrevolution", strukturelle Arbeitslosigkeit, Globalisierung von Märkten, Entwicklung der Schwellenländer.
Daraus folgt: Anstelle von Einpunkt-Lösungen brauchen wir, schon aus praktischen
Gründen, integrative Problemlösungen: Es geht darum, das in einer Problemlage
gegebene komplexe, stets in Bewegung begriffene Beziehungsmuster zwischen Gesellschaft
und Natur zielorientiert zu verändern. Solche sozial-ökologische Transformationen können
entweder durch evolutionäre Prozesse vorangetrieben werden, die intentional kaum
beeinflußbar sind (wie Globalisierung oder Wandel durch Informationstechnik) oder
durch gezielte Innovationen. Wenn sich diese nicht auf reale gesellschaftliche
Bewegungen beziehen, können sie kaum nachhaltig sein. Es kommt darauf an, durch
gezielte Innovationen gesellschaftliche Prozesse so zu beeinflussen, daß sie im
“Korridor” einer nachhaltigen Entwicklung bleiben. Dann können neue Entwicklungschancen genutzt werden – wenn es gelingt, dafür gesellschaftliche Akzeptanz und
politische Mehrheiten zu gewinnen.
Ein Beispiel: Verkehr und Mobilität. Mobil zu sein, sich fortbewegen zu können ist ein menschliches
Grundbedürfnis. Diskrepanzen zwischen Nutzungsmöglichkeiten und Nutzungswünschen führen
zu Verkehrsproblemen. Darauf gibt es in der Regel zwei Reaktionen: Entweder kostenintensiver
Bau und Ausbau von Verkehrssystemen oder Appelle an ein verändertes Verkehrsverhalten. Der
Ausbau von Verkehrssystemen und deren Nutzung führt zu weiteren Eingriffen in Naturzusammenhänge (Flächenversiegelung, Energieverbrauch, Schadstoffemission). Nun folgen moralische
Appelle, Umweltauflagen, Drei-Liter-Autos, Förderung des öffentlichen Nahverkehrs etc. Kurz:
Einpunkt-Lösungen führen zu Pendelbewegungen im Raum der gesellschaftlichen Akzeptanz,
aber nicht zu einer nachhaltigen Entwicklung. Aber solche Pendelbewegungen lassen
bereichstypische Beziehungsmuster zwischen Menschen, Gesellschaft (Wirtschaft, Technik) und
Natur erkennen. Erforscht man diese Muster und die sie prägenden Einstellungen, Kräfte und
Wechselwirkungen, dann gewinnt man eine neue Wissensbasis, auf der sich ein gezieltes
Mobilitätsmanagement entwickeln läßt. Es wird nachhaltig sein, wenn technische Innovationen (z.B.
integrierte Verkehrssysteme) mit sozialen Innovationen (z.B. car sharing-Modelle und Mobilitätsberatung) verknüpft werden.
Sozial-ökologische Forschung legt dafür nicht nur die (theoretisch-analytischen) Grundlagen,
sondern schafft forschungsstragtegisch, methodisch-praktisch und politisch/politikberatend die
Voraussetzungen für nachhaltiges Management sozial-ökologischer Problemlagen.
Wissenschaftliche Herausforderung
Die naturwissenschaftliche Umweltforschung hat Umweltprobleme traditionell als Störungen natürlicher Abläufe angesehen. Inzwischen jedoch bezieht sie anthropogene Öko-
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systeme immer stärker in ihre Forschungen ein. Damit öffnet sie sich sozialwissenschaftlichen und ökonomischen Ansätzen. Eine theoretisch und methodisch überzeugende Integration gelingt jedoch häufig nicht.
Daneben haben sich zahlreiche Ansätze einer sozialwissenschaftlichen Umweltforschung
herausgebildet: Die gesellschaftlich verursachten Veränderungen natürlicher Zusammenhänge werden aus der Perspektive verschiedener Sozialwissenschaften untersucht.
Das hat zur Ausdifferenzierung umweltbezogener Subdisziplinen geführt: Umweltrecht,
Umweltökonomie, Umweltpolitik usw. Allerdings kooperiert die problemorientierte
sozialwissenschaftliche Forschung nur selten mit den Naturwissenschaften.
Seit den achtziger Jahren sind in Deutschland innovative Forschungsansätze entstanden
(“Angewandte Ökologie”, “integrative Umweltforschung”), vorwiegend in unabhängigen, außeruniversitären Forschungsinstituten, mit engen Beziehungen zu Bürgerinitiativen und/oder zur Umweltpolitik. Daraus entwickelte sich, in Kooperationen mit der
naturwissenschaftlichen Umweltforschung und/oder mit der ökologisch orientierten
Sozialforschung, der Kern der sozial-ökologischen Forschung.
Die entscheidende Gemeinsamkeit dieser Ansätze: Umweltprobleme werden als
(komplexe) gesellschaftliche Probleme begriffen, die ohne fundierte sozialwissenschaftliche Analysen weder verstanden noch gelöst werden können. Auch hier eine Wechselwirkung: Die sozialwissenschaftliche Problemsicht wurde systematisch um eine ökologische erweitert – und die ökologisch/naturwissenschaftliche um eine sozialwissenschaftliche. Kennzeichnend für diese Forschungsansätze ist Integration: der Versuch,
naturwissenschaftliche, technische, ökonomische und sozialwissenschaftliche Methoden und Wissensbestände zusammenzuführen.
Abb.1: Sozial-ökologische Forschung im Kontext transdisziplinärer Nachhaltigkeitsforschung
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Im Zentrum der sozial-ökologischen Forschung steht somit eine komplexe Fragestellung: Sie will die Wechselwirkungen zwischen Menschen, Gesellschaft und Umwelt
zielorientiert, in Richtung ihrer nachhaltiger Entwicklung nutzbar machen. Diese
Fragestellung wird im Forschungsfeld in der Regel deutlich gesehen, wurde bisher aber
in zerstreuten Ansätzen weitgehend unkoordiniert und oft auch nur als Randthema
bearbeitet.
Um einen Orientierungsrahmen für nachhaltige Entwicklung zu generieren, müssen wir
wissen, wie sich die ökologischen, ökonomischen, sozialen und politischen Entwicklungsdimensionen integrieren lassen. Es geht darum, Modelle zu konstruieren, in denen
die vielfältigen Wechselwirkungen, Folgen und Nebenfolgen realer und intendierter
Transformationen abgebildet und begriffen werden können. Dabei geht es nicht nur
um “wissenschaftliche” Modelle, sondern auch um modellhafte Formen der Kommunikation, des Austausches, des Zusammenwirkens realer Akteure.
Geht es um Gestaltung praktischer Handlungszusammenhänge, dann sind einerseits divergierende Interessen abzustimmen und andererseits wissenschaftliches Wissen mit den
alltagspraktischen Erfahrungen unterschiedlicher Akteure in deren jeweiligem soziokulturellen Kontext zu verknüpfen.
Geht es um Gestaltung technischer Lösungen, dann müssen diese in soziale Zusammenhänge und in die sozialen und ökologischen Folgen technischer Innovationen eingebettet werden.
Geht es um Erzeugung und Ordnung neuen Wissens, müssen naturwissenschaftliche,
technische und sozialwissenschaftliche Daten, Methoden und Theorien systematisch
integriert werden.
Die Frage, wie sich solche Integrationsprozesse einleiten und stabilisieren lassen, steht im Zentrum des sozial-ökologischen Forschungsprogramms.
2. Förderziele und -bereiche
Sozial-ökologische Problemlagen werden von zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen mit höchst heterogenen Methoden, Begriffen und Modellierungen in Einzelaspekten untersucht. Diese heterogenen Forschungsaktivitäten bilden den wissenschaftlichen
Kontext sozial-ökologischer Forschung. Zugleich bezieht sie sich auf übergreifende
gesellschaftliche und ökologische Kontexte, auf raum-zeitliche Zusammenhänge, die
von der lokalen bis zur globalen Ebene reichen und auch langfristige Zeitperspektiven
(etwa in der Klimaentwicklung) umfassen.
Sozial-ökologische Forschung ist eine vergleichsweise junge Forschungsrichtung.
Insofern ist eine dem komplexen, integrativen Ansatz entsprechende “Infrastruktur” der
Forschung allenfalls in Ansätzen vorhanden und es fehlt die Nachwuchsbasis. Beides
muß ausgebaut werden.
Das begründet den Förderschwerpunkt “Sozial-ökologische Forschung”.
Mit seiner Einrichtung werden die folgenden Ziele verfolgt:
1. Steigerung der gesellschaftlichen Handlungsfähigkeit angesichts neuer und schwer
durchschaubarer sozial-ökologischer Problemlagen durch den Aufbau einer neuen
Wissensbasis.
Der Schwerpunkt muß entsprechend auf einer gestaltungsorientierten und akteursbezogenen Forschung liegen.
2. Ausbau und qualitative Entwicklung der Forschungskapazität in ausgewählten sozialökologischen Problembereichen und Konfliktfeldern durch Projektförderung.
3. Sicherung und Stärkung der vorhandenen Forschungspotentiale und Einrichtungen
einer integrierten Umweltforschung durch gezielte Förderung der Forschungsinfra-
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struktur und der Kommunikation zwischen bereits tätigen Institutionen.
Der Schwerpunkt ist auf die nicht-staatlichen, unabhängigen Forschungseinrichtungen
zu legen, die als “dritter Sektor” der Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung angesehen
werden können.
4. Entwicklung und langfristige Sicherung der Forschungskapazität durch Förderung
des wissenschaftlichen Nachwuchses in allen Sektoren der Nachhaltigkeitsforschung
und der integrierten Umweltforschung.
Ein Schwerpunkt ist hier auf die Hochschulen zu legen.
Der Förderschwerpunkt gliedert sich in die drei Bereiche Projektförderung, Infrastrukturförderung, Nachwuchsförderung.
Projektförderung
Forschungsprojekte in zwei übergreifenden Themenbereichen sollen schwerpunktmäßig gefördert werden:
1. Sozial-ökologische Transformationen und gesellschaftliche Innovationen
Hier geht es vor allem darum, aktuelle Veränderungen im Verhältnis Natur-Gesellschaft auf Potentiale hin zu untersuchen, die Ansatzpunkt nachhaltiger Entwicklungen
erkennen lassen.
2. Gesellschaftliche Bedürfnisse und Stoff-, Energie- sowie Informationsflüsse
Hier geht es um Transformationen im (globalen und lokalen) gesellschaftlich-wirtschaftlichen Prozeß: auch sie sind auf Potentiale nachhaltiger Entwicklungen zu untersuchen.
Infrastrukturförderung
In Deutschland gibt es eine beträchtliche Zahl kleinerer, freier Forschungsinstitute, die
insbesondere auf dem Gebiet der Integration über besondere Kompetenzen verfügen
und die schwerpunktmäßig durch infrastrukturfördernde Maßnahmen für wissenschaftlichen Austausch (z.B. Gastwissenschaftlerprogramm, internationaler Austausch), Wissensmanagement, Methodenentwicklung und Wissenstransfer gestärkt werden sollen.
Nachwuchsförderung
Um den wissenschaftlichen Nachwuchs für den Bereich sozial-ökologische Forschung
zu stärken, werden interdisziplinäre Nachwuchsgruppen an den Hochschulen gefördert
und ein Preis für herausragende sozial-ökologische Forschungsleistungen im Rahmen
von Diplomarbeiten und Dissertationen ausgelobt.
Abb.2: Förderbereiche
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3. Übergreifende Themenbereiche und Problemdimensionen
Die Konzentration des Forschungsschwerpunkts auf die Wechselwirkungen zwischen
den von den Menschen genutzten (und zugleich gefährdeten) natürlichen und sozialen
Lebensgrundlagen einerseits und den (vorherrschenden) gesellschaftlichen Handlungsmustern andererseits bestimmt die Themenbereiche des Schwerpunkts und deren
Strukturierung.
Die kaum überschaubare Fülle von Einzelthemen, die derzeit untersucht werden, verlangt, wenn dieses Wissen nachhaltig nutzbar werden soll, Modelle der Integration.
Additive Datenbanken reichen nicht aus, weil es um Wechselwirkungen geht. Ebensowenig genügt es, naturwissenschaftliche Forschungsansätze um sozialwissenschaftliche
Dimensionen zu “erweitern” (oder umgekehrt). Gesellschaftliche Bedürfnisse und
Einstellungen sind unmittelbar wirksam, wo es um Stoff- und Energieflüsse geht – den
traditionellen Forschungsfeld der Umweltforschung und des Umweltmanagements.
Und umgekehrt: Für Prozesse des gesellschaftlichen Wandels und deren Prognose, dem
Forschungsfeld der sozialwissenschaftlich orientierten Umweltforschung, spielen die
sich global und regional verändernden Stoff-, Energie- und Informationsströme eine
entscheidende (noch nicht hinreichend erforschte) Rolle. Allein technisch-naturwissenschaftlich beratenes Umweltmanagement bleibt blind, wenn es die sozialen
Transformationsprozesse nicht einbeziehen kann; gesellschaftliches Konfliktmanagement wird über Appelle nicht hinauskommen (“Gürtel enger schnallen”), wenn es die
veränderten Ströme von Stoffen, Energien und vor allem Informationen nur als
äußerliche Randbedingungen begreift.
Von zwei Themenbereichen ausgehend sollen Wege aufgezeigt werden, wie sich bislang
getrennte Forschungswege problembezogen integrieren lassen. Damit werden sich
akteur- und gruppenbezogene Perspektiven eines nachhaltigen umweltpolitischen Handelns ergeben.
Themenbereich 1: Sozial-ökologische Transformationen und gesellschaftliche Innovationen
Die Wandlungsprozesse auf lokaler, regionaler und globaler Ebene lassen sich als sozial-ökologische Transformation beschreiben. Die in diesen Transformationen miteinander verflochtenen ökonomischen, technischen, sozialen und ökologischen Prozesse
sind derzeit wissenschaftlich erst ausschnitthaft erfaßt; ihr Zusammenwirken ist kaum
begriffen. Dies zeigt sich besonders in der Schwierigkeit, mögliche sozial-ökologische
Konflikte zu antizipieren, die mit einer absehbaren Innovationswelle z.B. im Bereich
Kommunikation und Gesundheit verbunden sein werden.
Aus dieser (noch vorhandenen) Blindheit läßt sich erklären, warum sich sozialökologische Transformationsprozesse nur begrenzt durch staatliche Eingriffe steuern
lassen. Ihre gesellschaftliche Regulation ist nur in Verbindung mit umfassenden
sozialen Entscheidungs- und Lernprozessen unter Einbeziehung einer Vielzahl von
Akteuren möglich. Sozial-ökologische Forschung kann dazu beitragen, die mittel- und
langfristigen sozialen und ökologischen Folgen solcher Regulationen zu ermitteln und
damit die Reflexivität gesellschaftlicher Entscheidungsprozesse zu erhöhen und Selbstorganisation zu fördern.
Technisch-materielle Strukturen wie Verkehrssysteme, Ver- und Entsorgungssysteme
oder I&K-Netzwerke haben entscheidende Auswirkungen auf die praktischen Möglichkeiten, gesellschaftliche Naturverhältnisse zu regulieren. Die bestehenden Infrastruktursysteme sind mit massiven Belastungen der Umwelt verbunden, stoßen aber auch, z.B.
im Abwasserbereich, an die Grenzen ihrer Finanzierbarkeit und sozialen Akzeptanz.
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Derzeit werden Reformen ausschließlich auf ökonomischer und institutioneller Ebene
(“Privatisierung”) vorangetrieben.
Sozial-ökologische Forschung soll genauer ermitteln, wie gesellschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten durch bestehende Infrastruktursysteme präformiert werden und wie sich
diese Infrastrukturen unter Nachhaltigkeitskriterien umgestalten lassen.
Themenbereich 2: Gesellschaftliche Bedürfnisse und Stoff-, Energie- und Informationsflüsse
Analyse und Management von Stoffströmen unter Reduktionszielen sind klassische
Themen der Umweltforschung. Doch bereits die funktionalen Zusammenhänge
zwischen Stoffströmen und Energiebedarf sind wenig untersucht. Bedürfnisse von Einzelnen oder Gruppen und die in einer Gesellschaft praktizierten Formen der Bedarfsdeckung und Bedürfnisbefriedigung (Konsummuster, Lebensstile etc.) prägen die Art
und das Ausmaß von Umweltproblemen. Sie beeinflussen die Stärke und den raum-zeitlichen Verlauf der Flüsse von Stoffen, Energie und Information.
Die Bedürfnisse von Männern und Frauen, von Alten und Jungen, aber auch von
Menschen unterschiedlicher Milieus und Lebensstile sind nicht gleich. Damit unterscheidet sich auch deren “Naturverbrauch”, insbesondere deren Teilhabe am “Konsum” von Materie, Energie und Information. Diese unterschiedlichen Bedürfnisse
werden bisher bei ökonomischen Ansätzen zu einem Stoffstrommanagement ebenso
wie bei den freiwilligen Vereinbarungen von Wirtschaftsbranchen mit dem Staat nicht
ausreichend berücksichtigt. Es müssen daher sozial und kulturell differenzierte Bedürfniskonzepte für das Management von Stoffströmen entwickelt werden.
Aus der Fülle möglicher Problemdimensionen werden bei der Bearbeitung von Einzelthemen in den beiden Projektbereichen besonders drei berücksichtigt:
Problemdimension A: Grundlagenprobleme und Methodenentwicklung.
In den sozial-ökologischen Forschungsprojekten muß ein fundiertes Verständnis der
Dynamik komplexer Mensch-Umwelt-Systeme entwickelt werden. Dazu gehören auch
tragfähige Methoden interdisziplinärer Kooperation und Integration.
Bislang ist in der Umweltforschung häufig, sei es implizit oder explizit, mit einem
Modell gearbeitet worden, wonach die Probleme und Lösungswege zunächst naturwissenschaftlich definiert und beschrieben worden sind und die Wirtschafts- und
Sozialwissenschaften erst bei der wirtschaftlichen Optimierung der Lösungen bzw. der
Suche nach gesellschaftlicher Akzeptanz hinzugezogen wurden. Geht man von der
Gleichrangigkeit der vier “Säulen” der Nachhaltigkeit (Ökologie, Soziales, Ökonomie,
Politik) aus, erweist sich dieses Verfahren als ungeeignet.
Notwendig sind einerseits die gegenstandsbezogene Entwicklung und Erprobung neuer
Modelle transdisziplinärer Forschung, andererseits deren wissenschaftstheoretische Reflexion, Überprüfung und Einordnung.
Problemdimension B: Umsetzungsprobleme und Praxisbezüge.
Die sozial-ökologische Forschung soll die Handlungsfähigkeit gesellschaftlicher Akteure
erhöhen und dadurch zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen. Wissenschaftlich
generiertes Wissen muß in praktische Handlungsmuster übertragen werden. Die dafür
bisher entwickelten Methoden und die dabei auftretenden Probleme werden sowohl
innerhalb der einzelnen Projekte als auch für sich bearbeitet.
Die Vernetzung von Forschung und praktischer Umsetzung (z.B. durch Industriebetriebe) baut auf einer Analyse der politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und
technischen Gestaltungsbedingungen auf. Demokratische Regulierungsformen und die
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Partizipationsmöglichkeiten unterschiedlicher Akteure bilden dabei eine zentrale Untersuchungsdimension. Praxispartner für sozial-ökologische Forschung sind: Wirtschaftsunternehmen, gesellschaftliche bzw. politische Institutionen, sozial- und umweltpolitische Verbände, Bürgerinitiativen sowie Basisbewegungen wie z.B. entwicklungspolitische Gruppen und Nord-Süd-Initiativen.
Problemdimension C: Gender & Environment.
Innerhalb der Umweltforschung bilden soziale und kulturelle Differenzen einen großen
‘blinden Fleck’. Die aktuellen Veränderungen im Verhältnis der Geschlechter sind ein
wesentlicher Faktor für soziale Transformationsprozesse, die wiederum die Möglichkeiten nachhaltiger Umweltpolitik bestimmen. Innerhalb der Umweltforschung wird die
Geschlechterdifferenz als eine grundlegende Struktur des Sozialen bislang nur
ansatzweise rezipiert und reflektiert. Vermutlich hat aber jedes ökologische Problem in
seinen sozialen Dimensionen auch einen Geschlechterbezug. Geschlechterverhältnisse
bilden für die sozial-ökologische Forschung daher eine zentrale Problemdimension.
Diese Dimension gewinnt noch dadurch an Bedeutung, daß die Wahrnehmung von
geschlechtsspezifischen Asymmetrien das Problem sozialer Ungleichheit paradigmatisch ins Blickfeld rückt. Die Perspektive auf die Geschlechterdifferenz eröffnet zugleich
Anschlußmöglichkeiten zur Analyse weiterer Differenzmerkmale wie z.B. Alter,
Ethnizität, soziale Herkunft, Behinderung etc.
Abb. 3: Übergreifende Themenbereiche und Problemdimensionen
4. Organisation des Förderschwerpunkts
Einrichtung und laufende Betreuung des Förderschwerpunkts (Vorbereitung von
Bekanntmachungen und Ausschreibungen, Benennen von Gutachtern, Festlegung des
Auswahlverfahrens) sowie die endgültige Entscheidung über die Förderung eines
Vorhabens liegen beim BMBF. Es wird organisatorisch unterstützt durch einen oder
mehrere Projektträger.
Programmbeirat – wird zur inhaltlichen Gesamtbegleitung und strategischen Planung des
Förderschwerpunkts berufen.
Der Programmbeirat hat vorwiegend strategische Aufgaben (Definition von Eckpunkten
für die Entwicklung des gesamten Förderschwerpunkts, Evaluierung des Förderschwerpunkts, Vermittlung der Relevanz nach außen). Neben Personen aus Wissenschaft,
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Politik und Wirtschaft werden auch Vertreterinnen und Vertreter weiterer gesellschaftlicher Gruppen (z.B. Umwelt- und Verbraucherorganisationen, Gewerkschaften etc.)
berufen. Er wird das BMBF bei der Durchführung und weiteren Entwicklung des
Schwerpunkts beraten und das Programm stärken und öffentlich vertreten.
Begleitprojekte – werden zur laufenden Koordination sowie Entscheidungsvorbereitung
für Programmbeirat und Ministerium eingerichtet.
Begleitprojekte werden förderschwerpunktübergreifend eingerichtet. Sie dienen der
wissenschaftlichen Unterstützung der Arbeit des Programmbeirats und des zuständigen
Fachreferates des BMBF zur inhaltlichen Synthesebildung und konzeptionellen Weiterentwicklung des Förderschwerpunkts. Darüber hinaus unterstützen sie die Evaluierung des Förderschwerpunkts.
Gutachter und Gutachterinnen – werden zur Begutachtung und Entscheidung über Anträge für Projekte und Stipendien, zur Nachwuchsförderung und Infrastrukturförderung
je nach Antragsgegenstand und -thema hinzugezogen.
Bei der Evaluation von Projekten werden insbesondere die Qualität und die Ergebnisse
der transdisziplinären Zusammenarbeit und die gesellschaftliche Vermittlung der Forschungsergebnisse berücksichtigt.
Verbindungen zu internationalen Programmen (wie z.B. dem 5. Rahmenprogramm der
EU) sowie die Mitarbeit in internationalen Forschungskooperationen sind erwünscht
und werden unterstützt, wenn sie thematisch und in ihrer Problemstellung in den
Schwerpunkt passen.
Plenum der Projekte – Zum Abschluß der Pilotphase und in den beiden Hauptphasen ist
jährlich ein Treffen der Projektleiter und Projektleiterinnen vorgesehen. Diese Projekteplena sollen einerseits die Erfahrungen aus der konkreten Förderpraxis bündeln und
auswerten und an den Programmbeirat weitergeben. Sie dienen aber auch der
Initiierung und dem Aufbau einer transdisziplinären scientific community.
5. Pilotphase
Das Projekt ist langfristig angelegt. In einer Pilotphase werden zunächst die Grundlagen
für die Arbeit in allen drei Förderbereichen gelegt.
Projektförderung: Das Aufschließen und Strukturieren des Feldes der sozial-ökologischen Forschung erfolgt vorrangig über Sondierungsstudien, die zu Beginn der Pilotphase ausgeschrieben und an deren Ende ausgewertet werden. Ziel der Sondierungsstudien ist es auch, die Themenstellungen und Leitfragen für die Ideenwettbewerbe und
Forschungskooperationen der beiden Hauptphasen vorzubereiten.
Infrastrukturförderung: Institute aus dem Bereich der unabhängigen, außeruniversitären
sozial-ökologischen Forschung werden aufgefordert, sich um die Aufnahme in den
Kreis der antragsberechtigten Institute zu bewerben und entsprechende Förderanträge
zu stellen. Neben formalen werden als inhaltliche Kriterien für die Antragsberechtigung
bereits existierende Forschungserfahrungen, die interdisziplinäre Zusammensetzung
sowie insbesondere die problem- und akteursorientierte Ausrichtung des Forschungsprofils berücksichtigt.
Nachwuchsförderung: Zu Beginn der Pilotphase wird im Rahmen eines Modellversuchs
mit der Förderung einer begrenzten Anzahl von Nachwuchsgruppen begonnen. Außerdem wird ein Preis für ausgezeichnete Diplomarbeiten und Dissertationen im Bereich
der sozial-ökologischen Forschung ausgelobt.
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