Aktuelle Tendenzen des Rechtsextremismus Jahrestagung Schulsozialarbeit in Pforzheim 24.09.2012 Friederike Hartl Gliederung des Vortrages Begriff des „Rechtsextremismus“: - Anmerkungen zum Extremismusbegriff - Konzept der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ Überblick über die rechtsextreme Szene: - Zahlen, Statistiken - Skinheads, Neonazis, Parteien, Aktuelles Musik, Internet, Computerspiele, Publikationen als Werbemittel Dress- und Zahlencodes Anschließend Möglichkeit zur Diskussion Der Extremismusbegriff I Extremismus als eine .... „Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Bestrebungen, die den demokratischen Verfassungsstaat und seine fundamentalen Werte und Regeln ablehnen“ (Verfassungsschutzbericht Berlin 2006) – seit 1973 von Behörden in Deutschland so verwendet „Wenn der Begriff Extremismus fällt, dann in der Regel von Seiten des Verfassungsschutzes.“ (Dr. Gero Neugebauer, Freie Universität Berlin, www.bpb.de) Der Extremismusbegriff II SPD, Piraten, Grüne, FDP, CDU Rechts- LinksDie PDS Linke NPD DVU Demokratische Mitte Extremistisch Radikal Radikal Extremistisch Der Extremismusbegriff III Charakteristika extremer Gruppen / Einstellungen Ingroup-Outgroup-Denken Charismatische Führerschaft Sichere Quellen Symbolische Kommunikation Universaler Anspruch Oft Akzeptanz von Verschwörungstheorien Hohes Maß an ideologischem Bewusstsein Der Extremismusbegriff IV - Kritik Zentrale Kritikpunkte: Begriff sieht gesellschaftliche Bedrohungen nur an den Rändern („gute Mehrheitsbevölkerung“ vs. „gefährliche Ränder“) geht an der Realität vorbei oft keine Trennschärfe (Inhalte, Auswirkungen, ...) zwischen Rechts- und Linksextremismus Hufeisentheorie trotzdem auch bei Kritiker_innen oft alltagssprachliche Verwendung Alternativkonzept: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit Auf zehn Jahre angelegtes empirisches Langzeitprojekt „Deutsche Zustände“ am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld (unter Wilhelm Heitmeyer). Ziel ist ein sozialwissenschaftlicher Begriff, der Einstellungen im Bereich Rassismus, Rechtsextremismus, Diskriminierung und Sozialdarwinismus mit einem integrativen Konzept neu zu fassen versucht. weltweit größte und am längsten laufende Studie dieser Art seit 2002 wurden über die Jahre 23.000 Personen befragt Bis September 2011 sind circa 150 wissenschaftliche Veröffentlichungen hierzu entstanden. Rechtsextremismus vs. GBMF Verfassungsschutzbericht Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (Nach Heitmeyer) Rassismus Rassismus Fremdenfeindlichkeit Fremdenfeindlichkeit Antisemitismus Antisemitismus Nationalismus Islamophobie Autoritarismus Etabliertenvorrechte Volksgemeinschaft Behindertenabwertung Führerprinzip Obdachlosenabwertung Gewaltbefürwortung Langzeitarbeitslosenabwertung Verherrlichung des NS Sexismus Gegnerschaft zur FDGO Homophobie Rechtsextremismus I Verwendung des Begriffes Rechtsextremismus nach der Definition des BfV Rechtsextremismus als ... „Bestrebungen, die auf die (gewalttätige) Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet sind, um an ihre Stelle ein totalitäres, nationalistisch kollektivistisches System (meist nach dem „Führerprinzip“) zu setzen.“ Rechtsextremismus II weltanschaulich, organisatorisch und in seinem äußeren Erscheinungsbild ein sehr vielgestaltiges Phänomen besteht aus teils sehr unterschiedlichen Strömungen und verfügt über keine einheitliche Ideologie Die Mehrheit der Rechtsextremisten bejahen zentrale Ideologiebestandteile wie Antisemitismus, Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit. In jeder seiner ideologischen Varianten ist Rechtsextremismus mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland unvereinbar. Erscheinungsformen Innerhalb der letzten 10-15 Jahre hat sich das rechtsextreme Milie stark ausdifferenziert. Rechtsextreme Kräfte: Rechtsextreme Parteien (Deutsche Volksunion (DVU) und Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)) und ihre Unterorganisationen Rechtsextreme Skinheads und sonstige Gewaltbereite Neonazistische Strömungen (v.a. Kameradschaften, Freie Kräfte und Aktionsgruppen) Andere Organisationen, wie z.B. Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) Rechtsextreme Parteien – Die NPD Gründung: 1964 Vorsitzender: Holger APFEL Sitz: Berlin Mitglieder 2011: Baden-Württemberg: ca. 460 (2010: ca. 460). Im Bundesgebiet: ca. 6.300 (2010: ca. 6.600) Seit Jahren übt die Partei einen spürbaren Einfluss auf weite Teile der übrigen rechtsextremistischen Szene aus. Fusion zwischen DVU und NPD noch in der Schwebe Jugendorganisation der NPD – Die Jungen Nationaldemokraten (JN) die bedeutendste rechtsextremistische Jugendorganisation in Deutschland und in Baden-Württemberg 2011 hatte die JN bundesweit ca. 350 Mitglieder (2010: ca. 430). Davon sind allein rund 90 in baden-württembergischen JN-Landesverbänden organisiert. Der Verband konnte seine Mitgliederzahl innerhalb von sechs Jahren fast verdoppeln (2011: 90, 2005: ca. 50). Ring Nationaler Frauen (RNF) 2010: Eine Gruppe von Mitgliedern des NPDFrauenverbandes Ring Nationaler Frauen (RNF) versammelte sich anlässlich des Volkstrauertags „zu einer kleinen Feier am Grab des Reichsarbeitsdienstführers Konstantin Hierl.“ Hierl (1875–1955) war u. a. in der letztgenannten Position ein hochrangiger NS-Funktionär. Er starb 1955 in Heidelberg. Skinheadbewegung Verschiedene Ausprägungen: Unpolitische Skinheads (Oi!-Skins) Linksradikale bis linksextremistische Skinheads (S.H.A.R.P.- und Red-Skins) Rechtsextremistische Skinheads (Boneheads, White-Power-Skins) Filmtipp: „This is England“ Rechtsextremistische Skinheadszene Rechtsextreme Skinheadkonzerte in BW Musik als wichtigstes Propagandamedium (z.B. Legion Condor) Im Jahr 2011 hat die Anzahl rechtsextremistischer Skinheadkonzerte in Baden-Württemberg eher abgenommen (Wegfall einer Veranstaltungsräumlichkeit) – 11 Konzerte in 2011 (2010: 17). Durchschnittliche Besucher_innenzahl nahm jedoch weiter zu (2011: 150, 2010: 130). Zentraler Ort: Gaststätte „Zum Rössle“ in Rheinmünster-Söllingen / Kreis Rastatt (Januar-Juni 2011: 6 Konzerte) Rechtsextremistische Skinheadszene Schwerpunkte in Baden-Württemberg nach Wohnorten Neonazistische Szenen Die Autonomen Nationalisten (AN) Die Autonomen Nationalisten (AN) keine bundesweite Gesamtorganisation, sondern regional organisierte Gruppierungen mit jeweils nur wenigen Mitgliedern nicht immer unter der Selbstbezeichnung Autonome Nationalisten, sondern auch als Freie Kräfte oder Aktionsgruppen 2010 lag der Anteil der AN bundesweit bei ungefähr 15 Prozent der 6.000 deutschen Neonazis (2010: ca. 20 Prozent von 5.600). In Baden-Württemberg gehörten ihnen 2011 etwa 140 Personen an (2010:ca. 120). Die Autonomen Nationalisten (AN) 2003: erstmaliges Auftreten im Bundesgebiet (Mitte 2005 in BadenWürttemberg) Militantes Auftreten, Vermummung (Erinnert an den „Schwarzen Block“, Gewaltdrohungen) Übernahme „linker“ Symbole, Kleidung und Aktionsformen Verwenden von Anglizismen und revolutionärer bzw. antiimperialistischer Parolen Nutzen auch andere Strömungen der Jugendkultur z.B. Hip-Hop bzw. Rap (Video) Freie Kräfte und Kameradschaften in BW Standarte Württemberg Kameradschaft Karlsruhe Heidnischer Sturm Pforzheim Nationale Sozialisten Rastatt Aktionsgruppe Lörrach (Video) Anti-Antifa-Ludwigsburg Die Unsterblichen 2011: erstmaliges Auftreten– danach schnelle Verbreitung im gesamten Bundesgebiet (z.B. Oktober 2011: Kreis Karlsruhe) Ähneln im Erscheinungsbild den Autonomen Nationalisten Schlachtruf: „werdet unsterblich“ Ziel: den „Volkstod“, den sie als verursacht durch die parlamentarische Demokratie betrachten, aufzuhalten Charakteristika: Tragen einer weißen Maske und die Aktionsform des „Fackelmarsches“ (Video) Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) enge Verbindungen zu neonazistischen Gruppierungen und NPD bundesweit ca. 500 Mitglieder, in BW ca. 25 Mitglieder Pflege des völkischen Brauchtums, Singen und der körperlichen Ertüchtigung – Abgrenzung von Strömungen wie den AN Verbot am 31. März 2009 durch den Bundesminister des Innern Bildungswerk für Heimat und nationale Identität e.V. ein eingetragener Verein mit Vereinssitz in Dresden (gegründet am 18. April 2005) fungiert als parteinahe Stiftung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) unterliegt in der Rechtsform e.V. keiner staatlichen Aufsicht und Rechnungslegungspflicht Überblick Baden-Württemberg (Stand 2010) 14 NPD-Kreisverbände 13 JN-Stützpunkte Sog. „Freie Kräfte“ Lebenswelten – aktuelle Tendenzen Medien - Internetseiten, Publikationen Freies Netz Süd – „Widerstandsportal“ für Bayern, Franken, Schwaben und Oberbayern ag-schwaben.net - wird seit Anfang November 2011 nicht mehr aktualisiert Anti-antifa Ludwigsburg - Freie Kräfte Deutsche Rechtshilfe - Selbsthilfegruppe zur Wahrung der Grundrechte nationaler Deutscher Deutsche Stimme - Die Nationale Monatszeitung Musik, Schulhof-CDs Zeichen, Codes und Kleidung … Rechtsextremistische Publikationen Werbematerial der JN Publikation: „Deutsche Stimme“ (DS; erscheint monatlich; Auflage nach eigenen Angaben ca. 25.000) Grabert-Verlag Tübingen Grabert-Verlag (seit 1953) und Tochterunternehmen HohenrainVerlag (seit 1985) in Tübingen thematische Schwerpunkte: Verharmlosungen des NS, Leugnung der Kriegsschuld und Relativierung der Judenvernichtung größter organisationsunabhängiger rechtsextremistischer Verlag Deutschlands mehrfach Bücher eingezogen oder indiziert Publikationen wie z.B. „Nation & Europa-Deutsche Monatshefte“ Rechtsextremistische Musik I „Musik ist unsere Waffe, gefährlicher als Panzer und Granaten.“ (Aus dem Titel „Unsere Musik“ aus dem Jahr 2000 der rechtsextremistischen Skinheadband „Sturmwehr“) „Musik ist das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näher zu bringen, besser als dies in politischen Veranstaltungen gemacht werden kann, kann damit Ideologie transportiert werden.“ (Ian Stuart Donaldson, 1993 verstorbener Leadsänger der neonazistischen britischen Skinband „Skrewdriver“) Rechtsextreme Musik ist „Einstiegsdroge“, „Transportmedium für die Ideologie“ und „Werbemittel“. Rechtsextremistische Musik II CD ist strafrechtlich relevant Rechtsextremistische Musik III „60 Minuten Musik gegen 60 Jahre Umerziehung“ CD ist strafrechtlich relevant Rechtsextremistische Musik IV Schulhof-CD der NPD zur Bundestagswahl am 18. September 2005 CD ist strafrechtlich nicht relevant Rechtsextremistische Musik V Schulhof-CD der NPD – August 2009 (Video) CD ist nicht strafrechtlich relevant Dresscodes, Kennzeichen, Tattoos I Dresscodes, Kennzeichen, Tattoos II Dresscodes, Kennzeichen, Tattoos III Dresscodes, Kennzeichen, Tattoos IV • „Ansgar“ als germanische Urform von Oskar (übersetzt „Götterspeer") Dresscodes, Kennzeichen, Tattoos V • Die Marke „Reconquista“ Dresscodes, Kennzeichen, Tattoos VI • Die Marke „Erik&Sons“ Dresscodes, Kennzeichen, Tattoos VII Dresscodes, Kennzeichen, Tattoos VIII SA-Abzeichen Zahlencodes und Symbole II Zahlencodes und Symbole II Zahlencodes und Symbole III Um verbotene Formulierungen zu vermeiden, werden im Rechtsextremismus oft Zahlencodes verwendet: 88 = „Heil Hitler“ 18 = „Adolf Hitler“ 28 = „Blood & Honour“ 14 = steht für „14 words“ eines amerikanischen Neonazis, der darin seine Ideologie von der Überlegenheit der weißen Rasse Rasse formuliert hat. „Wir müssen das Leben unserer weißen Rasse und eine Zukunft für unsere Kinder sichern.“ (We must secure the existence of our people and a future for white children.) Zahlencodes und Symbole IV 19/8 = Sieg Heil 1919 = SS 828 = Hail Blood & Honor (Grußformel) C18 = Combat 18 (Kampfgruppe Adolf Hitler) 100% = 100% rein arisch 168:1 = Opferzahl des „Oklahoma Bomber“ 444 = Deutschland den Deutschen 74 = Großdeutschland 124 = Ausländerbefreites Deutschland 4/20 = Adolf Hitlers Geburtstag nach Amerikanischer Datumszählung (Monat/Tag) Rechtsextremistische Computerspiele I „KZ-Rattenjagd“ – strafrechtlich relevant Rechtsextremistische Computerspiele II „SA-Mann“ - strafrechtlich relevant Rechte Einstellungen nur am Rand? Ergebnisse einer im Auftrag der Friedrich Ebert Stiftung erstellten Studie „Vom Rand zur Mitte“ (2006) Befragt wurden 4.900 Personen ab 14 Jahren. Jeder sechste meint, es sollte einen Führer geben, „der Deutschland mit starker Hand regiert“. 43,8 Prozent der Ostdeutschen und 35,2 Prozent der Westdeutschen glauben, dass Ausländer nur nach Deutschland kommen, „um unseren Sozialstaat auszunutzen“. Rund jeder fünfte der Befragten gab an, dass „der Einfluss der Juden zu groß“ sei. 13,8 Prozent meinten, die Juden arbeiteten mit üblen Tricks, um das zu erreichen, was sie wollen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!