TITELTHEMA: KUNDENBINDUNG Kundenbindungsmanagement: Marketingeffizienz als Königsdisziplin Nina Koutses und Felix Schwerin Die Wirtschaftskrise ist in aller Munde und hat nicht zuletzt auch die Energieversorger erreicht. Auch wenn sie noch nicht in allen Kundensegmenten zu gleichen Teilen spürbar ist, stellen sich etablierte Versorger zunehmend in der Marktbearbeitung nach Effizienz-Gesichtspunkten auf. Dabei muss genau kalkuliert werden, in welche Maßnahmen am besten investiert wird und auf welche Kunden bzw. Kundengruppen man sich fokussiert. Entsprechende Antworten liefert das Kundenbindungsmanagement, das auch Aufschluss darüber gibt, welche Kunden sich mit welchen Marketing- und Vertriebsmaßnahmen am effizientesten ansprechen lassen. Ziel einer Neuverteilung des Marketingund Betriebsbudgets ist es, alte Gewohnheiten hinter sich zu lassen und eine zunehmend wertorientierte Marktstrategie zu verfolgen. Das bedeutet, große Marketingbudgets für die breite Masse waren gestern. Maßnahmen zur Kundenbindung folgen heute nicht mehr dem GießkannenPrinzip. Das entspricht weder einer Effizienz-Orientierung, noch lassen sich auf diese Weise die avisierten Ziele des Marketings und Vertriebs erreichen. Zumal es die Gefahr birgt, Budget in eher „wertlose“ Kunden zu investieren, die keinen bzw. nur einen geringen Deckungsbeitrag und hohen internen Aufwand generieren. Vielmehr geht es darum, die zur Verfügung stehenden Mittel auf werthaltige, deckungsbeitragsstarke Kunden zu verlagern und MinimumServices für „normale“ Kunden anzubieten (siehe Abb. 1). Die Segmentierung des Kundenstammes nach Werthaltigkeit sorgt für ein effizientes Marketing Foto: Mauritius Kunden segmentieren, Bedürfnisse verstehen Zielgerichtetes Marketing in einer Organisation zu verankern, bedeutet vor allem, Wissen darüber zu erlangen, wer der Kunde eigentlich ist. Die zentrale Herausforderung besteht darin, sich Transparenz über die eigene Kundenbasis zu verschaffen. So ist zu klären, wo bspw. eigentlich die Unterschiede zwischen dem „preisbewussten Vielkontakter“ und dem „spendierfreudigen Öko“ liegen. Erst mit diesem Wissen lassen sich Infor mationen über präferierte Kundenkontaktkanäle, Kontaktquoten oder das soziale Umfeld ableiten. Und erst dann wird klar, welches Segment über welchen Kanal am ehesten anzusprechen ist. Das heißt im Umkehrschluss, man erkennt, über welche Kanal-Segment-Zuordnung die Erfolgswahrscheinlichkeit der Kundenansprache (i. S. der Kundenbindung und/oder Re-Akquisition) am höchsten ist. Mit diesem Wissen ist die Wahrscheinlichkeit des Anspracheerfolges bereits deutlich erhöht. 8 Doch reicht diese auf Bedürfnisse ausgerichtete Unterscheidung von Kundensegmenten? In aller Regel gilt das leider nicht, denn der Kundenwert sticht die Bedürfnisstruktur aus. Kern einer jeden Kundensegmentierung muss daher der individuelle Kundenwert sein. Nur so lässt sich im Sinne einer optimalen Budgetallokation entscheiden, ob eine Intensivierung der Ansprache aus Effizienzgesichtspunkten überhaupt sinnvoll ist. Künftig sollen ja vor allem die werthaltigen, deckungsbeitragsstarken Kunden an das Unternehmen gebunden werden. Gelingt darüber hinaus noch die Zuordnung von Wechselwahrscheinlichkeiten zu Kunden/Kundengruppen, hat man sich bereits einen deutlichen Vorteil im Kundenmanagement erarbeitet. Dies wurde bislang vielleicht von dem einen oder anderen innovativen Telefonanbieter realisiert – in der Versorgungslandschaft stellt dies aber einen völlig neuen Standard dar. Mit Hilfe der Kundensegmentierung ist eine solide Ausgangsbasis für die gezielte Marktbearbeitung geschaffen: Segmente sind voneinander abgegrenzt, Kanalpräferenzen und Bedürfnis-Faktoren den Segmenten zugeordnet, Werte und Wechselwahrscheinlichkeiten berücksichtigt. Im besten Fall lassen sich diese Erkenntnisse in den bestehenden CRM-Systemen abbilden. Wertorientierte Betreuungsund Entwicklungskonzepte erarbeiten Sobald die Segmentierung vorliegt, schließt sich die klassische Fragestellung an, wie mit den Ergebnissen weiter zu verfahren ist. Dieser Schritt fällt oftmals am schwersten. Wie kann man die Informationen aus der umfangreichen (und oftmals sehr teuren) Kundensegmentierung nun eigentlich zielgerichtet nutzen und in die Marktbearbeitung mit einfließen lassen? ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 59. Jg. (2009) Heft 9 Die Antwort ist meist einfacher als angenommen: die Segmentierung ist der zentrale Hebel zur Reallokation des Marketingbudgets und die Grundlage für die Erarbeitung wertorientierter Betreuungs- und Entwicklungskonzepte. Kundensegmentierungen beantworten die Frage nach dem Wert, den Bedürfnissen und der Wechselaffinität der Kunden. Die spürbare Operationalisierung der Segmentierung spiegelt sich dann in konkreten, segmentdifferenzierten Marketing- und Servicemaßnahmen wider (siehe Abb. 2). Je nach Marketingziel wird das Gros der Marketing- und Servicemaßnahmen nun auf werthaltige Kunden umverteilt. So werden Premiumkunden z. B. zu Gewinnspielen eingeladen, haben die Möglichkeit, an Bonusprogrammen teilzunehmen oder bekommen Geburtstagskarten zugeschickt. Zusätzlich werden den Premiumkunden persönliche Agents zur Seite gestellt oder sie werden durch voreingestelltes Call-Routing bevorzugt behandelt. Alles ist möglich, solange die Wirkung beim werthaltigen Kunden ankommt. Wie können solche Erkenntnisse nun auf die Erreichung konkreter Marketingziele angewendet werden? Als einfaches Beispiel dient die Kündigerrückgewinnung. Anstoßketten für die Rückgewinnung von Kunden sind oftmals sehr teuer und noch öfter nicht besonders erfolgsorientiert. Liegt eine gute Kundensegmentierung vor, kann hier in zweierlei Hinsicht optimiert werden. Zum einen liegen dann konkrete Information darüber vor, über welche Kanäle und Medien Kunden am besten kontaktiert werden sollten – onlineaffine Kunden könnten sich z. B. für Online-Kündigerprodukte, die bei Rückkehr Preisgarantien versprechen, interessieren. Abb. 1 Zielbild Marketing- und Vertriebseffizienz Anzahl zurückgewonnener Premium-Kunden? Nur wenn sich Ziele wie bspw. die Steigerung der Kundenbindung und -zufriedenheit, der Rückgewinnungsquote und in letzter Konsequenz die Steigerung des ROI auch realisieren lassen, können Wettbewerbsvorteile realisiert werden. Dazu sollte jede Maßnahme, die beim Kunden platziert wird, im Zuge eines standardisierten Controllingprozesses auf den Erfolg hin geprüft werden. Immer wichtiger werden dabei ROI-Steuerungsmodelle. Per Knopfdruck kann der Effekt einer Maßnahme auf ein Ziel wie Kundenbindung und Loyalität quantifiziert werden. Über historische Abhängigkeiten können dann konkrete Aussagen über die Nachhaltigkeit der ROI-Steigerung getroffen werden. Jede Maßnahme wird so auf Wiedervorlage gelegt und ggf. in der nächsten Runde anders und besser beim Kunden platziert (siehe Abb. 3). Effizienz im Marketing In Summe geht es bei dem Thema Marketingeffizienz vor allem um die Etablierung eines lernenden Marktbearbeitungsprozesses: Kundenanforderungen werden erkannt (Segmentierung), zielgerichtete Ansprachekonzepte (nach Werthaltigkeit) entwickelt, Erfolgsparameter gemessen (Controlling). Alle Erkenntnisse und Erfahrungen fließen Runde für Runde in die CRM-Systeme ein und stellen eine kontinuierliche Schärfung weiterer Marketing- Zum anderen und viel wichtiger als der Weg zum Kunden, ist schon im Vorhinein die Beantwortung der Frage, ob der Kunde überhaupt zurückgewonnen werden soll. Kunden mit hohem Forderungsausfall, niedrigem Verbrauch und hoher Kontaktquote werden wohl kaum den Return on Investment (ROI) steigern können. Prinzipiell gilt es also, erst die Frage nach dem Wert zu beantworten und dann die Entscheidung über die Ansprache zu treffen. Nachhaltigkeit über Controllingmechanismen etablieren Kernfrage am Ende jeder Marketing-Entscheidung ist natürlich die nach dem Nutzen. Was hat das alles im Ergebnis gebracht? Wie hoch ist die Erfolgsquote, wie hoch ist die Abb. 2 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 59. Jg. (2009) Heft 9 Wertorientierte Betreuungs- und Entwicklungskonzepte 9 TITELTHEMA: KUNDENBINDUNG maßnahmen sicher: Segmente werden zunehmend transparenter, Ansprache-Konzepte automatisiert, Marketing-Ziele erreicht. Die Allokation des Marketingbudgets wird sich somit im Zeitverlauf optimieren und Marketing-Entscheidungen werden nach Effizienz-Gesichtspunkten getroffen. Mit diesem Konzept kommt man endlich an einen Punkt, an dem von anderen Branchen, bspw. der Telekommunikation oder Banken, gelernt werden kann. Nicht hinter jedem Handy-Vertrag steckt der gleiche Kunde – das merkt er spätestens, wenn er versucht, mit dem Service-Center in Kontakt zu treten. Der „profitable Heavy-User“ muss zufriedener mit der Kontaktaufnahme sein. N. Koutses, Senior Consultant, F. Schwerin, Senior Manager, SMP AG, Düsseldorf E-Mail: [email protected] 10 Abb. 3 Controlling-Instrumente der Ansprache ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 59. Jg. (2009) Heft 9