JETZT ist die Zeit zum Handeln: eine Erklärung zum Klimawandel aus buddhistischer Sicht by David Loy, Bhikkhu Bodhi & John Stanley [2009; revised 2015] Wir leben heute in einer Zeit besorgniserregender Krisen und sind konfrontiert mit der gravierendsten Herausforderung für die Menschheit: die ökologischen Folgen unseres kollektiven Karmas. Die Einigkeit der Wissenschaft ist überwältigend: Das menschliche Handeln löst einen weltweiten ökologischen Zusammenbruch aus. Vor allem die Erderwärmung entwickelt sich viel schneller als vorausgesagt. Am deutlichsten sichtbar ist dies am Nordpol. Seit mehreren hunderttausend Jahren bedeckt ein Eisschild von der Größe Australiens das nördliche Polarmeer – nun schmilzt er in rasantem Tempo. 2014 hat der Weltklimarat (IPCC) vorausgesagt, dass bereits Mitte des Jahrhunderts die Arktis im Sommer eisfrei sein wird. Andere ernstzunehmende Wissenschaftler erwägen, dass dies bereits innerhalb der nächsten Dekade geschehen könnte. Überall auf der Welt bilden sich die Gletscher beschleunigt zurück. Wenn die derzeitige wirtschaftspolitische Linie weiterverfolgt wird, ist es wahrscheinlich, dass die Gletscher der tibetischen Hochebene, die als Quelle der großen Flüsse Millionen von Menschen in Asien mit Wasser versorgen, bis Mitte des Jahrhunderts verschwunden sind. Heftige Dürren und Ernteausfälle betreffen jetzt schon viele Länder. Laut dem leitenden wissenschaftlichen Berater der britischen Regierung sagen umfassende Berichte des IPCC, der Vereinten Nationen, EU und Weltnaturschutzunion (IUCN) übereinstimmend, dass ohne eine kollektive Richtungsänderung bis 2030 die schwindende Verfügbarkeit von Wasser, Nahrungsmitteln und anderen Rohstoffen zu weitreichenden Hungersnöten, Rohstoffkämpfen und Völkerwanderungen führen könnte. Die globale Erwärmung spielt eine Hauptrolle bei weiteren ökologischen Krisen, wie dem Verlust der Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren, die diese Erde mit uns teilen. Meeresforscher berichten, dass die Ozeane die Hälfte des bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe freigesetzten Kohlenstoffes absorbieren und folglich deren Säuregehalt um 30% anstieg. Übersäuerung vermindert die Kalkbildung von Muscheln und Korallenriffen und bedroht das Wachstum von Plankton - der Basis der Nahrungskette fast aller Meereslebewesen. Führende Biologen und die U.N. sind sich einig, dass die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten zum Ende des Jahrhunderts ausgestorben sein wird, wenn wir mit unserem alltäglichen, unbedachten Verhalten fortfahren. Die gesamte Menschheit verstößt in erheblichem Maß gegen die erste buddhistische Tugend „Du sollst kein Lebewesen verletzen“. Dabei können wir die Konsequenzen noch gar nicht absehen, die aus dem Aussterben zahlreicher Arten, die unsichtbar zum menschlichen Wohl beitragen, erwachsen. Viele Wissenschaftler sind zu dem Schluss gekommen, dass das Überleben der menschlichen Zivilisation auf dem Spiel steht. Wir haben einen kritischen Wendepunkt in unserer biologischen und sozialen Evolution erreicht. Niemals in der Geschichte war es wichtiger, die Grundaussagen des Buddhismus zum Wohl aller Lebewesen in die Gesellschaft einzubringen. Die vier edlen Weisheiten des Buddhismus bieten einen Rahmen, um unsere aktuelle Situation zu analysieren und angemessene Richtlinien zu formulieren. Die aktuellen Bedrohungen und Krisen entstammen der menschlichen Geisteshaltung, daher ist eine grundlegende Veränderung dieser Geisteshaltung unausweichlich. Aus Begierde und Ignoranz – Einstellungen, die nach buddhistischer Auffassung den drei Geistesgiften Gier, Hass und Verblendung entspringen – erwächst persönliches Leid. Gleiches gilt für das Entstehen von Leid auf kollektiver Ebene. Unsere verheerende ökologische Lage ist ein vergrößertes Abbild beständigen menschlichen Leidens, denn sowohl als Individuum als auch als Spezies leiden wir unter einem Selbstbild, was sich nicht nur von anderen Menschen als getrennt erlebt, sondern auch von der Natur. Wie Thich Nhat Hanh gesagt hat: „Wir sind hier, um aus der Illusion des Getrenntseins zu erwachen“. Wir müssen aufwachen und erkennen, dass die Erde sowohl unsere Mutter, als auch unser zu Hause ist. Die Nabelschnur, die uns mit ihr verbindet, kann nicht zerreißen. Wenn die Erde krank wird, werden auch wir krank, weil wir ein Teil von ihr sind. Das gegenwärtige Verhältnis von Wirtschaft und Technologie zur Biosphäre ist nicht auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Damit wir den uns bevorstehenden drastischen Wandel überstehen, müssen wir unsere Lebensweisen und Erwartungen grundlegend ändern. Dies wird uns aber nur gelingen, wenn wir neue Gewohnheiten und neue Werte annehmen. Der Buddhismus lehrt, dass die Gesundheit des Einzelnen sowie der Gesellschaft von einem inneren Wohlbefinden und nicht ausschließlich von Wirtschaftsindikatoren abhängt. Diese Einsicht hilft uns, festzulegen, welche Veränderungen wir auf individueller und gesellschaftlicher Ebene vornehmen müssen. Jeder Einzelne muss lernen seinen Alltag umweltbewusster zu gestalten und Maßnahmen zur Reduktion des persönlichen CO2-Fußabdrucks zu ergreifen. Diejenigen unter uns, die in wirtschaftsstarken Industrieländern leben, müssen ihre Wohnungen und Arbeitsplätze energetisch umrüsten und mit Wärmedämmung ausstatten, die Raumtemperatur im Winter niedriger und im Sommer höher einstellen, Energiesparlampen und energiesparende Geräte verwenden, unbenutzte elektrische Geräte ausschalten, kraftstoffsparende Autos fahren, den Fleischverzehr reduzieren und die Ernährung auf eine gesunde und umweltfreundliche, pflanzliche Basis umstellen. Diese individuellen Maßnahmen werden für sich genommen jedoch nicht ausreichen, um künftige Katastrophen abzuwenden. Wir müssen auch auf institutioneller Ebene Veränderungen im technologischen und wirtschaftlichen Bereich vornehmen. Wir müssen unsere CO2-Emissionen drastisch reduzieren und fossile Brennstoffe so schnell wie möglich durch erneuerbare Energiequellen, die im Einklang mit der Natur stehen, ersetzen. Vor allem aber müssen wir den Bau neuer Kohlekraftwerke stoppen, da Kohle zu den größten Verursachern von Luftverschmutzung zählt und eine der gefährlichsten Schadstoffquellen darstellt. Klug genutzt können dagegen Windkraft, Solarenergie, Gezeitenenergie und Erdwärmeenergie uns mit all dem Strom versorgen, den wir benötigen ohne dabei die Biosphäre zu schädigen. Da bis zu einem Viertel des weltweiten CO2-Ausstoßes durch die Abholzung der Wälder entsteht, müssen wir auch die Zerstörung der Wälder beenden vor allem in den lebenswichtigen tropischen Regenwäldern, in denen viele Pflanzen- und Tierarten beheimatet sind. Es ist in letzter Zeit sehr deutlich geworden, dass wir auch signifikante Veränderungen in der Struktur unserer Wirtschaftssysteme benötigen. Die globale Erwärmung steht in engem Zusammenhang mit den immensen Energiemengen, die unsere Industrie verschlingt um unsere Verbrauchsansprüche zu erfüllen. Aus buddhistischer Sicht wäre das Prinzip der Genügsamkeit die Grundlage einer vernünftigen, nachhaltigen Weltwirtschaft. Der Schlüssel zum Glücklichsein ist Zufriedenheit nicht Konsumgüter im Überfluss. Der Zwang zu immer mehr und mehr Konsum ist ein Ausdruck unserer Begierde und genau diese Begierde hat Buddha als die Wurzelursache allen Leidens erkannt. Statt einer Wirtschaft, die Profit und ständiges Wachstum braucht, um nicht zusammenzubrechen, müssen wir gemeinsam eine Wirtschaft anstreben, die jedem Menschen einen befriedigenden Lebensstandard ermöglicht und uns die Entwicklung unseres vollen - auch spirituellen - Potentials erlaubt, in Harmonie mit der Natur, die alle Lebewesen einschließlich kommende Generationen nährt und erhält. Wenn die politischen Machthaber nicht in der Lage sind, die Dringlichkeit unserer globalen Krise zu erkennen, oder nicht bereit sind das langfristige Wohl der Menschheit über den kurzfristigen Gewinn der Öl- und Gaskonzerne zu stellen, müssen wir sie ununterbrochen mit unseren Handlungen als Bürger herausfordern. Dr. James Hansen, NASA, und andere Klimatologen haben kürzlich präzise definiert, welche Ziele notwendig sind, um eine katastrophale Entwicklung der globalen Erwärmung zu verhindern, bevor eine Umkehr unmöglich ist. Für eine nachhaltige menschliche Zivilisation darf der Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre nicht mehr als 350 ppm (parts per million) betragen. Dieser Grenzwert wurde vom Dalai Lama sowie anderen Nobelpreisträgern und angesehenen Wissenschaftlern befürwortet. Unsere momentane Situation ist in hohem Maß beunruhigend, da der Wert bereits bei 400 ppm liegt und jährlich um 2 ppm wächst. Wir sind gefordert, nicht nur den Anteil der Treibhausgase zu verringern, sondern auch große, bereits vorhandene CO2-Mengen zu entfernen. Als Unterzeichner dieser auf Buddhistischen Prinzipien basierenden Erklärung erkennen wir die dringliche Forderung zur Klimaveränderung an. Wir befürworten mit dem Dalai Lama den 350 ppm Grenzwert. In Übereinstimmung mit der Buddhistischen Lehre akzeptieren wir unsere individuelle und kollektive Verantwortung, alles in unserer Macht stehende zu tun, um dieses Ziel zu erreichen. Dies beinhaltet u.a. die oben ausgeführten persönlichen und sozial Verantwortlichkeiten. Für einen kurzen Zeitraum haben wir die Gelegenheit zu handeln, um die Menschheit vor einem drohenden Unglück zu bewahren und um das Überleben vielfältiger, wundervoller Lebensformen auf dieser Welt zu garantieren. Zukünftige Generationen und die vielen anderen Lebensformen auf unserem Planten haben keine Stimme, um unser Mitgefühl, unsere Weisheit und verantwortungsvolle Führung zu erbitten. Wir müssen ihr Schweigen hören und auch in ihrem Namen sprechen und handeln.