Informationsschätze heben durch Lingumarketing

Werbung
Von der Umfrage nach Kundenwünschen bis zum Social-Media-Post:
In Zeiten von Big Data sammeln und produzieren Unternehmen riesige
­Textmengen. Oft, ohne sie anschließend zu analysieren und ­gewinnbringend
in ­Kommunikation und HR zu nutzen. Das Problem: IT-Produkte können
­inhaltliche Zusammenhänge menschlicher Kommunikation noch nicht
­hinreichend deuten. Dies können nur Mensch und Maschine gemeinsam.
Informationsschätze
heben
Text: Simone Burel
28 _ T I T E L
pressesprecher 3/16: Digitalisierung
Was tun Menschen rund 70.000 Mal pro Tag?
Sie produzieren Wörter, die beruflich und privat über kommunikativen Erfolg oder Bruchlandung entscheiden. Bilder werden von uns
zwar schneller wahrgenommen, aber umso rascher auch wieder vergessen. In unserer Lebenswelt − online wie offline − sind wir also
permanent von (sprachlichen) Zeichen umgeben: angefangen beim Toilettenschild bis
hin zum bunten Social-Media-Auftritt. Es
sind letztlich die Macht der Wörter und deren anhaltende Erinnerung, mit der sich die
­größte Wirkung bei Zielgruppen erreichen
lässt. Diese Sprachmacht wird aber in der Regel ­unterschätzt.
Weil wir alle jeden Tag Sprache verwenden, meinen wir, automatisch Sprachexperten
zu sein. Diese Erkenntnis ist in den meis­ten
Unternehmen weiterhin vorzufinden − jedoch
bedarf Sprache spezieller Expertise. „Geisteswissenschaftler, und unter ihnen Linguisten,
sind hierfür Experten. Sie können entsprechende Kommunikationsmöglichkeiten in
Unternehmen identifizieren, sprachlich anreichern und auswerten", so Clara Herdeanu,
Referentin für ­Unternehmenskommunikation
bei einem Hidden Champion im Bereich Elektromotoren. Die promovierte Linguistin weist
darauf hin, dass alle Menschen zwar Sprache
nutzen, die wenigsten aber über Sprache ernsthaft reflektieren. Sprachverarbeitung laufe
zum großen Teil unbewusst ab; daraus ergebe sich die Relevanz von Linguisten in allen
Unternehmensbereichen, die stark davon betroffen sind, etwa Kommunikation, Marketing
oder HR, weiß Herdeanu.
Die unterschätzte
­S prachmacht
Es scheint somit verwunderlich, dass linguistische Methoden die Unternehmen nicht
bereits durchdrungen haben – abgesehen von
Manfred Bruhns oder Franz-Rudolf Eschs
Konzept der Integrierten Kommunikation sowie Jörg Pfannenbergs, Manfred Piwingers
oder Ansgar Zerfaß’ Ansätzen zum Kommunikations-Controlling, nicht zu vergessen
Hans-Peter Försters Ansatz zum Corporate
Wording – wohl gemerkt, keine genuin linguistischen Ansätze. Auch viele Analyse-Softwares, die zur Ermittlung von Keywords/
Topics, Social-Media-Monitoring oder zur
Verständlichkeit bei großen Textmengen eingesetzt werden, operieren auf Basis einer heik­
len Grundannahme: Denn Sprachdaten sind
keine eindeutigen Zahlen und können somit
nicht einfach in solche umgerechnet werden,
da sie semantische Mehrinformationen (Mitbedeutungen, Kontextwissen et c­ etera) enthalten. Sprache richtet sich nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten, weshalb sie wiede-
pressesprecher 3/16: Digitalisierung
rum schwer mit konventio­nellen, numerisch
ausgerichteten Methoden messbar ist und sich
schlecht in rational-ökonomische Denkstrukturen einfügt. Es gibt a­ llerdings Möglichkeiten,
relativ schnell und valide zu Ergebnissen bezüglich des Kommunikationserfolgs zu kommen: Stichwort Big Data.
Big Data − Stau auf der
Datenautobahn
Unternehmen und Gesellschaft erzeugen jeden Tag riesige Mengen an Sprach- und
Textdaten. Social Media, Blogs, Freitextfelder
auf Homepages oder Bewertungs-/User-Foren
sind entsprechende Datenquellen. Nur rund
ein Drittel der großen Konzerne und Mittelständler gibt allerdings an, seine Big Data sys­
tematisch zu analysieren. „Man redet gerne
über Daten, genutzt werden sie jedoch nicht“,
titelte die „FAZ“ am 12. Januar und bezieht sich
damit auf den Big Data Report der Hochschule Reutlingen im Auftrag von T-Systems Multimedia Solutions. Insgesamt 108 große und
mittelständische Unternehmen in Deutschland aus 16 Branchen wurden dazu befragt,
wie sie Big Data im Unternehmen, speziell dem
Marketing, nutzen. Viele Kommunikationsoder Marketing-Verantwortliche, gerade von
Mittelständlern, verkennen die Relevanz dieser Daten für ihre Strategie, trauen sich keine Bewertung dieser zu oder erachten sie im
stressigen Tagesgeschäft als nicht relevant. Dadurch gehen Unternehmen jedoch genau diejenigen Informationen verloren, nach denen
alle suchen: Wie kamen entsprechende Kampagnen an? Was denken Zielgruppen über das
Unternehmen oder dessen Produkte/Dienstleistungen (Image)? Was wird gut, was wird
schlecht bewertet (sogenannte Sentiments)?
Vor allem aber: Was sind die wirklichen Wünsche und Gedanken der Zielgruppen? Dieses
realistische Kunden-, aber auch Mitarbeiter-Feedback ist inzwischen von höchster Bedeutung und kommt zunehmend in großen
Mengen aus dem Online-Bereich. Warum also
die Daten, die sowieso schon produziert wurden, nicht auch gewinnbringend nutzen?
Trend Text Mining
Aus dem anglophonen Raum schwappt
seit wenigen Jahren der Trend des Text Minings auch zu uns hinüber. Das Wort Mi­ning
ist übrigens eine Metapher aus dem Bergbau: Unstrukturiertes Rohmaterial wird geschürft und bis zum kostbaren Edelmetall
(also dem (Mehr-)Wissen) freigesetzt. Einige
Dax-30-Unternehmen beschäftigen sich bereits in Pilotprojekten mit der Frage, wie sie
solche Methoden integrieren können. Text
Mining operiert mit computerlinguistischen
und statistischen Analyseverfahren zur Entde-
ckung von verborgenen Bedeutungen in großen Textmengen, die gar nicht oder nur sehr
schwach thematisch strukturiert sind. Solche findet man etwa bei offenen Fragen: Wo
können wir uns verbessern? Haben Sie Anregungen für uns? Wie zufrieden sind Sie mit
uns? Was machen unsere Wettbewerber? Wie
sehen unsere Märkte aus? Beim Text Mining
werden dabei ­implizite Informationen explizit gemacht, das heißt bewertungsindizierende
Äußerungen oder Argumente und somit neues
und potenziell nützliches Wissen gewonnen.
Manuelle Auswertung ist
teuer und ­f ehleranfällig
Viele mittelständische Unternehmen werten Umfragen zur Kunden- oder Mitarbeiterzufriedenheit, sofern sie solche überhaupt
durchführen, noch manuell aus. Dies sorgt
nicht nur für hohen Aufwand, die Fehlerquote erhöht sich zudem dadurch, dass die Mitarbeiter nicht linguistisch geschult sind. Es werden außerdem meist nur vordefinierte Kategorien (zum Beispiel thematisches Clustering)
genutzt, keine ergebnisoffenen Methoden angewandt und die Wortebene nicht mit der Prominenz behandelt, die ihr eigentlich zustünde. Beispielsweise geben nicht nur Autosemantika (Substantive, Verben und Adjektive)
Aufschlüsse über Themen (zum Beispiel Liefertreue oder Vertrauen); kleine (Negations-)
Partikeln und Distanzmarker wie eigentlich,
selbstverständlich oder kein verweisen auf als
gemeinsam unterstelltes Wissen, auf Ziele oder
Normensysteme, Nähe und Distanz der Zielgruppen. Alle Aussagen, die bisher nicht in
dieser Form strukturiert fachlich ausgewertet
wurden, sind ungenutzte Kommunikationspotenziale, über die wertvolle Informationen
einfach unter den Tisch fallen.
Rein maschinelle
­A uswertung bringt wenig
Mehrwert
Unternehmen betreiben zur Analyse ihrer Mitarbeiter- oder Kundenwünsche mitunter viel Aufwand, beispielsweise durch Fokusgruppen oder Marktforschung. Wird Text
Mining rudimentär angewandt, dann meist
nur rein maschinell oder von Mitarbeitern
ohne sprachwissenschaftliche Kompetenz. Ein
reines (maschinelles) Daten-Clustering, beispielsweise eine Wort-/Themenliste, ein Kategoriensystem oder ein maschinell erstellter
Report für die Social-Media-Analyse ohne solide qualitative Interpretation, nutzt Kommunikation, Marketing oder HR jedoch wenig,
da es gerade um das Lesen zwischen den Zeilen geht, um das Mitgeteilte an Beziehungsinformationen und Emotionen. Nichtsprachlich Geschulte und reine IT-Produkte können
_ T IT E L 29
dies derzeit nur unzureichend aufschlüsseln:
Was bedeuten die Ergebnisse? Welche Handlungen müssen wir daraus ableiten? Wie kann
sprachlich in den Diskurs eingegriffen beziehungsweise auf diesen reagiert werden? Maschinen können inhaltliche Zusammenhänge menschlicher Kommunikation noch nicht
hinreichend deuten oder Handlungsentwürfe
daraus ableiten. Linguisten schon.
Marktforschung durch
linguistisches Text Mining
ergänzen
Qualitativ-hermeneutische linguistische
Analysen in Kombination mit semi-automatisierten Tools im Bereich Text Mining machen
es möglich, durch Sprachkompetenz einen bisher unbeachteten Informationsschatz zu heben. Unternehmen können dadurch schneller
und kosteneffizienter an tieferliegendes Kundenwissen und -verstehen kommen sowie ihre
Leistungen durch das ausgewertete Material
(sprachlich) anpassen. „Lingumarketing“ beschreibt dabei das Zusammenspiel aus der aktuellen Sprachperformance und darauf abgestimmtem Marketing mittels Kommunikation. Es bedeutet, Zielgruppen wie Kunden oder
Mitarbeiter zu sprachlichen Ideengebern in
einem Prozess der Wissenszirkulation zu machen. Welche Themen oder Wünsche bringen
sie etwa in den Diskurs ein? Eine Leistungsanpassung kann somit über tatsächliches Feedback ex post (ohne Simulationen in Fokusgruppen oder Umfragen) vorgenommen werden. Am Ende stehen neue Muster und ein
besseres Verständnis von allen, die mit dem
Unternehmen kommunizieren. Dieses Verständnis basiert somit auf einer sicheren Datenlage, die mit linguistischer Expertise ausgewertet wurde.
Zukunftsfähige Wirtschaft
braucht Kommunikatoren
Wer unternehmerische Sprache und
Kommunikation analysiert und dann aktiv
gestaltet, spart auf jeden Fall Kosten und Zeit.
Dabei wird Sicherheit in Bezug auf die wirklichen Wünsche der Zielgruppen und deren
Aussagewahrscheinlichkeiten gewonnen. Die
konkreten Auswirkungen eines solchen Verfahrens auf die Performance von Unternehmen können sich langfristig in verringerten
Vertriebskosten, Effizienzsteigerungen in der
allgemeinen Korrespondenz, Imageverbesserungen, überzeugenderer Darstellung der Produkte, längerfristiger Kundenbindung sowie
besserer Kundeninteraktion zeigen. Gerlinde
Mautner, Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien, betonte dies schon im Jahr 2011
in ihrem Aufsatz „Sprache, Handel, Sprachhandeln: Zur Bedeutung von Sprache im Ma-
30
_TITEL
nagement.“ Kurzfristige Vorteile sind, nach eigenen Pilotstudien:
• Qualität/Sicherheit: Real existierende
Datenquellen werden genutzt
• Geschwindigkeit und Kostenreduktion durch semi-automatisierte Verfahren − keine zeitaufwändigen Studien
oder Fokusgruppen
• neues Wissen: Bislang ungenutzte
Informationen werden ausgewertet
• Reduktion von Fehlschlüssen durch
selektives Auswählen/Lesen
• Auffinden von Wörtern/Wortgruppen,
die erfolgsrelevant sind; Eliminierung
von Wörtern mit negativem Impact
• Hinweise für Vertrieb/HR/Communications zur Interaktion mit Kunden
• mögliche kommunikative Reaktion/
Leistungsanpassung über tatsächliches
kollektives Feedback ex post
Design Thinking − der
hermeneutische Zirkel
reloaded
Sprache wird auch weiterhin technisch
nicht vorhersagbaren Eigengesetzlichkeiten
folgen. Statistiken, Metriken und KPI sind
zwar teilweise nützlich für die Erfolgskontrolle, aber gute Inhalte und Traffic zu generieren, bleibt ein Experimentierfeld. Maschinen
können nicht denken und fühlen − Sprache
und Kommunikation sind jedoch unmittelbar mit der menschlichen Kognition und Emotion verknüpft. Das Verhalten der Zielgruppen wird sich niemals gänzlich maschinell erschließen lassen.
Das Design Thinking erobert in dieser Hinsicht gerade den Markt, wodurch das
Einfühlen in die Zielgruppen, ein ständiges
Hinterfragen und kreative Prototypen propagiert werden, die sich am Kunden testen lassen. Eine Endlosschleife. Der hermeneutische
Zirkel − vom Sprachphilosophen Hans-Georg
Gadamer stark gemacht − beschäftigte sich bereits 160 mit diesem Thema: Menschen entwickeln Verständnisentwürfe in Kontakt mit
dem Praxisfeld. Das Vorverständnis, welches
man von einem Sachverhalt hat, wird durch
Kontakt oder neues Wissen (zum Beispiel mit
der Zielgruppe oder dem Produkt) erweitert
und korrigiert, was zu einem verbesserten
Verständnis führt.
Wenn Unternehmen schon
wüssten, was sie eigentlich
bereits wissen
Mehr als 80 Prozent der geschäftsrelevanten Informationen eines Unternehmens
sind in unstrukturierten Daten verborgen,
so die Gesellschaft für Informatik auf ihrer
Homepage. Dieses verborgene Wissen über
Kunden, Wettbewerber und Märkte, das
schnell verfügbar gemacht werden soll, wird
in Verdrängungsmärkten immer wichtiger.
Gadamer hielt Denken und Sprache für untrennbar. Wenn uns die Worte fehlen, ringen
wir schmerzlich nach ihnen – und nicht nach
Zahlen! Die Linguistik kann daher die Kommunikation von Unternehmen durch sprachwissenschaftlich fundierte Interventionen
definitiv optimieren und aus kommerzieller
sowie wissenschaftlicher Sicht für einen enormen Mehrwert sorgen. _
Simone Burel ist Geschäftsführerin
von LU – Linguistische Unternehmenskommunikation in Mannheim
und wurde durch ihre Dissertation
„Identitätspositionierungen der
DAX-30-Unternehmen“ auf das Innovationspotenzial von wissenschaftlicher Analyse und Praxisreflexion aufmerksam. Bis 2015 war sie Kommunikatorin
bei Schelenz sowie anschließend bei Habona
Invest in Frankfurt am Main. Seit 2013 ist Burel
Lehrbeauftragte der Universität Heidelberg; seit
2016 ebenfalls bei EC Campus Europa im Bereich
Kommunikations- und Personalmanagement.
pressesprecher 3/16: Digitalisierung
Herunterladen