Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin Behandlung von Folteropfern und kriegstraumatisierten Flüchtlingen (Erwachsene) workshop Mechthild Wenk-Ansohn, 2015 www.bzfo.de 1 kontextabhängiger Hintergrund versus stattfindende Kommunikation und Bedarf Wie geht es mit den Behörden? Ich verstehe nichts! Wie funktioniert der Alltag? Veränderte Situation mit Ehemann/ Rollenänderung Hoffnung auf Sicherheit Angst vor Neuem Angehörige in der Heimat Situation im Heim Frau A. Symptome Situation der Kinder Materielle Bedingungen Aufenthaltsperspektive Erwartungen an „den Doktor : Bekomme ich Hilfe? was kann/darf/muss ich sagen Arbeit mit „Unbekannten • Persönlichkeit Kultur Kontext des Traumas Kontext des traumatischen Prozesses Interkulturelles Setting Begegnung verschiedener innerer und äußerer Welten Riten, Kleidung, Religionen nur „Eisberg der Kulturen“ Wahrnehmung, Fühlen, Einordnung, Denken Äußerungsformen und Handlungsmuster durch Kultur- und Kontext geprägt (rel. frühe Prägungen, transgenerational). Werte, soziale Normen, Stellung des Individuums zu anderen Mitgliedern der Gruppe, Bedeutungen werden in der Interaktion der Gruppe geprägt und bilden von Kindheit an internalisierte „Landkarten der Bedeutungen“, prägen die Identitätsbildung, das Selbst- und Weltkonzept sowie Interaktionsweise der Persönlichkeit als großteils unbewusste Referenz. Interkulturelles Setting Begegnung verschiedener innerer und äußerer Welten Unterschiedlichkeit (Diversity) in Bezug auf Kulturelle Dimensionen: Werte: Rechtsempfinden, Freiheit, Gleichberechtigung, Rollen, Bewertung der anderen nach Normen Denken: Abstraktion, Antizipation, „Wahrheit“, Bewertung von Situationen, Ambiguitätstoleranz, Sinngebung, Zeiterleben, Sprachkultur Handeln: Vereinbarungen, Handlungsplanung, Entscheidungen, Machtdistanz, Umgangsformen, Kommunikation, Direktheit Selbsterleben: Selbstwirksamkeit, Identität, Individualität, Leben und Tod, Umgang mit Gefühlen, Krankheitserleben und -konzepte Interkulturelles Setting Begegnung verschiedener innerer und äußerer Welten Unterschiede im Krankheitsverständnis u. Krankheitsempfinden Ø Keine international gleichen Krankheitsbegriffe Ø Einordnung von Körperempfinden, Einordnung und Bedeutung von Beschwerden, Behandlungsmethoden, Erwartungen an Arzt/ Heiler sind an kulturgebundenen Vorstellungen ausgerichtet Ø Symptome sind i.d.R. ähnlich aber werden anders interpretiert, eingeordnet und mitgeteilt Ø Begriffe z.B. „Herz schmerzt“ evtl. sprachl. Ausdruck eines Gefühls - Gefühle leibnaher ausgedrückt (mediteraner Raum?) Interkulturelles Setting Begegnung verschiedener innerer und äußerer Welten .....erfordert Offenheit zur Reflektion eigener Referenzsysteme, Respektierung von kulturell und sozial geprägter Differenz und Flexibilität für Perspektivenwechsel Verbale Kommunikation – nonverbale Kommunikation Mimik, Gestik, Tonfall, Blickkontakt, Bewegungen Ø ohne Sprache – wird intensiver wahrgenommen Interkulturelles Setting Hilfreiches bei der Interkulturellen Kommunikation • Zeit; Transparenz • Offenheit - engagierte Neutralität; neugierig sein: „Wie ist ihre Kultur“ • Respekt – Wahrung der Schamgrenzen, Höflichkeitsregeln • Rückmeldung geben, Missverständnisse klären • Zirkuläres Fragen • Bedeutungen erfragen von Worten, Redewendungen, Metaphern • Einfallsreichtum und Mut zur Improvisation z.B. zeichnen lassen, visuelle Darstellung mit symbolisierenden Gegenständen • nicht unübersetzt mit dem Dolmetscher kommunizieren • Beobachtung von Gegenübertragungsreaktionen auch des Dolmetschers • (Vor- und) Nachgespräche mit dem Dolmetscher Kommunikation über Sprachmittler • professionelle Dolmetscher • Keine Angehörigen/Bekannte, Schweigepflicht • Wahrung von Neutralität und Unparteilichkeit • Alles wird übersetzt, wortgetreu, in Ich-Form • Direkte Ansprache, Blickkontakt • Auf nonverbale Kommunikation achten • Vor- und Nachgespräch • Kulturelle Besonderheiten, Hintergründe im Nachgespräch klären ü Studie von Brune, M., Eiroá-Orosa et al. (2011). Intermediated communication by interpreters in psychotherapy with traumatized refugees. International Journal of Culture and Mental Health, 1-8. Symptomatik-Diagnosen nicht alle sind traumatisiert, die eine potenziell traumatische Situation erlebt haben >> unterscheide differenzialdiagnostisch: • Akute Belastung – Zurückliegende Belastung? • Anpassungsstörung? • Akute Belastungsstörung (Symptome < 1 Monat) • Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) (Symptome > 1 Monat; „mit verzögertem Beginn“ falls Beginn erst nach 6 Mo) • Chronische Traumafolgestörung (meist komplexe Störung), evtl. andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung • Andere ggf. reaktive Störung? Indikationsabhängige Behandlungsmaßnahmen • nur Beratung/Monitoring, niederschwellige Gruppenangebote • psychosozial stützende Behandlung (später niederfrequent) • psychosomatische Grundversorgung • psychiatrische Behandlung • Psychotherapie (Einzeln und evtl. Gruppen) > evtl. in Verbindung mit o.g. Maßnahmen; Zusammenarbeit mit Hausarzt > evtl. körper- oder kreativtherapeutische Zusatzangebote > begleitend: autonomiefördernde Sozialarbeit andere Hilfen? evtl. EFH, FH, >Kinderschutz? Familientherapie? soziale Aktivitäten, Deutsch- u. Berufsorientierende Kurse Ø Zusammenarbeit in einem multidisziplinären Team oder in einem Netzwerk Ø Integratives Vorgehen, gemeinsame Supervision Elemente einer adäquaten Versorgung Somatische Grundversorgung + Strukturiertes Interview zur psychosozialen Gesundheit (Erstfeststellung) Bei Hinweis auf Gewalterfahrung oder psychischer Symptomatik psychiatrische/ psychologische Diagnostik u. Grundversorgung (Qualifiziertes Personal, Dolmetscher) Psychosoziale Beratung und Unterstützung Niederschwellige Angebote: Counselling, Info-Gruppen, integrationsfördernde soziale Aktivitäten, Deuschkurse, Beschäftigungsangebote; Teilnahme am Arbeitsmarkt, adäquate Unterbringung, erreichbare adäquate Versorgung Psychiatrische Behandlg Psychotherapie Anliegen u. Themen in der sozialen Beratung • Aufenthaltssituation (Dublin? Stand Asylverfahren?) Rechtsanwalt vermitteln • Wohnsituation, materielle Versorgung; bei UMF: Einrichtung bedarfsgerecht? • Zugang zu Gesundheitsversorgung • Alltagsfähigkeit fördern, Alltagsstruktur, Autonomieförderung, Einzelfallhilfe? • Kindermonitoring, Kinderpsychiater? KJPT? • häusliche Gewalt – Kinderschutz? • Elternberatung, Kindergarten? Beschulg.? Lehrerberatg.? Familienhilfe nötig? • Deutschkurse, Aktivitäten • Begleitung nach Anerkennung Schutztitel (Jobcenter, berufliche Zukunft) • Familienzusammenführung Bestandteile der traumaorientierten Behandlung und Rehabilitation von traumatisierten Flüchtlingen (modifiziertes Phasenmodell nach Meichenbaum, Drozdek, Biemanns, Gurris/Wenk-Ansohn) Orien&erung/ Basis-­‐ maßnahmen Stabilisierung Fokus auf die Vergangenheit 4. Fokus auf die 5. Abschied u. Zukun? Nachsorge . Vertrauensbil Informa@on / dung, Sicherheit Psychoedua@on Rekonstruk@on, Narra@v Selbstwert Integra@on -­‐ Deutschkurs Diagnos@k Symptom-­‐ kontrolle, Skills, Alltags-­‐ bewäl@gung Ver@eLe Traumabear-­‐ beitung/ exposi@on Handlungs-­‐ möglichkeiten BeschäLigung Arbeit, Elternrolle Ziele klären evtl. Medikamente Transforma@on Perspek@ven Rückfall-­‐ prophylaxe Soziale Unterstützung www.bzfo.de Stellungnahme Ressourcen Trauerarbeit Beziehungen, Nachsorge-­‐ sozialer Kontakt angebot, Kriseninter-­‐ 1. Rekonstruk@on u. Beratg. Stabilisierung und Ressourcenarbeit • Alltagsstrukturierung und Aktivitätsförderung, Selbstfürsorge • Psychoedukation im Einzel- oder Gruppensetting • Identifikation von Symptomauslösern in Alltagssituationen, Umgang mit Triggern • Einübung von Selbstkontrollverfahren, Selbstmanagement, Skillstraining • Einübung von Verfahren der Selbstberuhigung, Achtsamkeitstraining, stabilisierende Körperarbeit, Entspannung, körperliche Aktivierung • Symptomorientierte Verfahren der Schmerzkontrolle z. B. Schmerztagebuch • Stärkung der Ich-Funktionen bei der Bearbeitung von aktuellen Alltagskonflikten • Unterstützung selbstbestimmten Handelns im sozialen Umfeld, »Empowerment« • Wiederbelebung und Ankerung prätraumatischer Ressourcen. z. B. durch Biographiearbeit, geleitete Phantasiereisen und Innenbildtechniken (Reddemann, 2001; Gurris, 2005), Ressourcenarbeit mit EMDR (Rost, 2008) >Anerkennen von Gefühlen der Trauer, u. a. zu den Verlusten von Heimat, Familienstrukturen, kulturellem Umfeld, Besitz etc. Behandlungsmethoden Nicht adäquat: • Anwendung nicht traumaadaptiver psychodynamischer oder behavioraler Techniken • Alleinige Pharmakotherapie • Alleinige unvorbereitete Traumakonfrontation ohne Einbettung in Gesamtbehandlungsplan Kontraindikationen traumafokussierender therapeutischer Intervention Absolute Kontraindikationen: • Akute Suizidalität • Psychosen • Anhaltender Täterkontakt Relative Kontraindikationen: • Instabile psychosoziale Lage • Instabiler körperlicher Gesundheitszustand • Mangelnde Affekt- und Impulssteuerung • Autoaggressives Verhalten • Tendenz zu ausgeprägter und anhaltender Dissoziation Ø Kontrollierbare Konfrontation in sensu/in verdaubaren Portionen Ø Vermeidung abbauen (anbieten, Entscheidung des Patienten) Zeichen von krisenhaften Zuständen! Hinweise dass traumatisierte Person dekompensiert: • Zunehmende Unruhe • Panikartiger Zustand, verhält sich wie in Gefahr – Realitätsverlust? flash-back? • Konzentrationsverlust, Aufmerksamsverlust • Plötzliche Verhaltensänderung • Starrer Blick oder einen Punkt in der ferne fixierend, „Erstarren“ • Plötzliches Verstummen • Spontanes Weinen o. ersichtlichen Grund; paradoxe Reaktionen • Redet wie Wasserfall, lässt sich nicht begrenzen , z. B. bei Bericht von Trauma, wirkt abgespalten (cave: wirkt nach) • Reagiert plötzlich aggressiv; berichtet dass er sich zu Hause nicht kontrollieren kann • Berichtet dass er sich auf Wegen verliert www.bzfo.de • Deutet Lebensüberdruss an (Suizidalität erfragen) Bei dissoziativen Zuständen oder Flash-Backs: Lasse den Menschen nicht alleine Kontaktaufnahme, sich vorstellen mit Namen und Funktion Spreche ihn mit seinem Namen, auch Vornamen an. Bitte ihn, die Augen zu öffnen, Dich anzusehen. Biete ein Glas Wasser an. Nenne wiederholt den Ort, wo er sich befindet. Ankündigung vor ggf. notwendiger Berührung www.bzfo.de Bei dissoziativen Zuständen oder Flash-Backs:! Gestalte die Situation ruhig u. übersichtlich: Anwesende, die für die Intervention notwendig sind, vorstellen mit Namen und Funktion. Andere Anwesende, die es nicht sind, bitten zu gehen /jemand bitten, sich um diese zu kümmern Versuche die Aufmerksamkeit des Patienten auf umliegende Gegenstände zu lenken, dabei Blick wenden lassen Bitte ihn, einige davon zu benennen. Gegenstand in die Hand geben; Riechen/schmecken lassen Bei anhaltendem Zustand oder bei Suizidalität und mangelnder Absprachefähigkeit : 112 www.bzfo.de Vorgehen in der Behandlung >>> Integratives, flexibles ressourcen- und traumaorientiertes Vorgehen, Autonomieförderung Keine operationalisierten Standardmodule Anpassung der therapeutischen Schritte und Module an den individuellen psychodynamischen Verlauf und die aktuelle Lebenssituation >>ohne das Ziel der Traumaverarbeitung aus den Augen zu verlieren Lebenslinie Schulenübergreifende Behandlungsziele: • Kontrollierbarkeit der Symptomatik • Integration der traumatischen Erinnerungen in den übrigen Gedächtniskontext („roter Faden der Biographie ) • normales Funktionsniveau/ Lebensqualität • Behebung von Entwicklungsblockaden • Transformation von Opfer zu einem selbstbewußten Individuum • Fähigkeit, sich erneut zu verwurzeln und Zukunftsperspektiven aufzubauen • aktive Teilhabe an der Gesellschaft Therapeutische Haltung Spezielle Veränderung in der therapeutischen Haltung: • Vermittlung sozialer/rechtl. Unterstützung (zu Beginn) • Unterstützung bei gleichzeitiger Autonomieförderung • Auflockerung der Abstinenzregel • Parteilichkeit in Bezug auf Menschenrechte • Flexibilität bei Klarheit und Transparenz AKUTPROGRAMM (Acute program for newly arrived refugees) Ziel: • Frühzeitiges dolmetschergestütztes multidisziplinäres Behandlungsangebot für neu einreisende traumatisierte Flüchtlinge/Folteropfer umfassend: Diagnostik und Unterstützung im Asylverfahren, psycho-soziale Beratung, psychiatrische Behandlung und Kurzzeitpsychotherapie >>entsprechend dem unmittelbaren Bedarf Betreuungsangebot: • Bis zu 6 Monaten Dauer: Erstgespräche (Diagnostik, Indikationsstellung, Beratung, ggf. WL) bis zu 20 psychiatrische oder/und psychotherapeutische oder/und sozialtherapeutische Einzelsitzungen oder/und 12 Gruppensitzungen (PEG und Körperarbeit) regelhaft: integrierte klinische Sozialarbeit Syrerprogramm 9/2013-12/14 (AA) u. “Early Access”: 6/.2014-31.12.2015 (EU PPVOT mit ACET u. refugio München) Pilot-Projekt: Akutprogramm für syrische Flüchtlinge (9/13-12/14) – Evaluation - 250 Anfragen 139 Erstgespräche Pilot-project Akutprogramm für syrische Flüchtlinge (9/13-12/14) Cluster-Analyse: Fokus der therapeutischen maßnahmen 139 Erstgespräche Ø Mehr Kriseninterventionen, Sozialarbeit u. psychiatrische Behandlung als im normalen Langzeittherapieprogramm (dort mehr chron.-komplexe PTBS) Bestandteile der Behandlung und Unterstützung im Akutprogramm für neu eingereiste traumatisierte Flüchtlinge Orien&erung/ Basis-­‐ maßnahmen Stabilisierung Fokus auf die 4. Fokus auf die 5. Abschied u. Vergangenheit ?? Zukun? Nachsorge Vertrauensbil Informa@on / dung, Sicherheit Psychoedua@on > auch Gruppen Narra@v Trigger Diagnos@k Symptom-­‐ Bericht/Stellungn. kontrolle, Skills, 1. Rekonstruk@on Alltags-­‐ bewäl@gung Ver@eLe Traumabear-­‐ beitung/ exposi@on Handlungs-­‐ möglichkeiten BeschäLigung Aktueller Bedarf Häufiger: u. Ziele klären Medikamente wiederholte Kriseninterven@o nen Transforma@on Kogni@onen/ Emo@onen Perspek@ven Rückfall-­‐ prophylaxe Soziale Unterstützung Kindermonitor www.bzfo.de Trauerarbeit Familienzusam menführung Beziehungen, sozialer Kontakt Nachsorge-­‐ angebot, Kriseninter-­‐ ven@on Ressourcen Selbstwert Integra@on -­‐ Deutschkurs . Arbeitsperspek@ve, Elternrolle, Kindermonitor Akutprogramm für syrische Flüchtlinge (9/13-12/14) – Outcome • Am Ende des Programmes konnten 61 Persons (von 77) stabilisiert entlassen werden, • 16 Personen (21%) brauchten Langzeitbehandlungen u. waren motiviert dazu released stayed in longterm treatment Therapie von Folteropfern/traumatisierten Flüchtlingen bedarf eines individuell angepassten biopsychosozialen trauma- und rehabilitationsorientierten Behandlungskonzeptes. Grundlegend sind eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung, Beachtung von Übertragung und Gegenübertragung, Sicherheit im Umgang mit traumatischem Material, Sensibilität und Offenheit für die interkulturelle Begegnung und enge Zusammenarbeit mit Sozialarbeitern B N E T Z W E R K U R N O U T P R O P H Y L A X E