Hoch hinaus am Bahnhof Friedrichstraße Von Isabell Jürgens Und Mathias Stengel 17. Oktober 2008, 02:03 Uhr Mit Millionen-Aufwand schließen Bauherren die Lücken nördlich der Bahnbrücke Die Galeries Lafayette (eröffnet 1996), das Quartier 206 (1997) und Dussmanns Kulturkaufhaus (1997) beherrschten ein Jahrzehnt lang das "moderne Bild" des mittleren Abschnitts der Friedrichstraße. Mit dieser Vorherrschaft ist es nun vorbei. Der Bauboom hat längst das Gebiet jenseits der Bahnhofsbrücke erreicht und verlängert jetzt die Reihe aufsehenerregender Bauten entlang des Straßenzugs gen Norden. Die großen Lücken, die im Stadtbild entlang der Friedrichstraße zwischen dem S-Bahnhof und der Spree klafften, werden geschlossen. Dafür sorgen aktuell drei Neubauvorhaben, die sich allesamt weit über die im Planwerk Innenstadt festgeschriebene Traufhöhe von 22 Metern erheben. In ungewohnten Dimensionen präsentiert sich das Bauvorhaben Am Zirkus 1. Vieles ist noch nicht klar. Etwa, ob das vierte Hotel der Leonardo-Gruppe vier oder gar vier Sterne plus haben wird. Oder ob das neue Gebäude eine für sumpfige Gebiete übliche Pfahlgründung braucht. Eines steht indes schon heute fest: Der riesige Baukörper am Bertolt-Brecht-Platz, prominent am Schiffbauerdamm gelegen zwischen Berliner Ensemble und Spree-Karree, wird eine neue Dimension an dieser Ecke haben. Dort, wo seit 1865 Berlins erste Markthalle, der spätere Friedrichstadtpalast, stand, entsteht nach mehr als 20 Jahren Ödheit ein Gebäudekomplex mit Hotel, Luxuswohnungen und Büros für etwa 800 Menschen. Der Berliner Architekt Eike Becker zeichnet verantwortlich für dieses multifunktionale Gebäude, für das jetzt Baubeginn war und das in zwei Jahren bezugsfertig sein soll. Die israelische Hotel-Kette Leonardo wird einen Teil des geplanten Gebäudes neben dem Berliner Ensemble als Hotel nutzen. Das im Bohemien-Style eingerichtete Hotel wird auf der nordöstlichen Seite des Gebäudes untergebracht und wird über 307 Zimmer verfügen. Außerdem sind eine VIPLounge ein Wellness- und ein Konferenzbereich vorgesehen. Im Restaurant finden 200 Gäste Platz. Das Gebäude mit einer Gesamthöhe von 32 Metern wird aus zehn Geschossen bestehen - ab dem sechsten Obergeschoss bei einer Höhe von 20 Metern werden die Etagen zurückgestaffelt, "was den Reiz des Gebäudes ausmacht", so Architekt Becker. Die Grundstücksfläche von 5719 Quadratmetern wird insgesamt auf 4510 Quadratmetern bebaut. Die Front hin zum Brecht-Platz und Schiffbauerdamm - zwischen Berliner Ensemble und Spree-Karree -beträgt 55 Meter; zwischen Brecht-Platz und Reinhardtstraße wird sich das Gebäude über 82 Meter erstrecken. Von den so entstehenden 32 500 Quadratmetern Geschossfläche entfallen etwa 11 162 Quadratmeter auf die Hotel-Nutzung, 4874 Quadratmeter sind für Büros vorgesehen und 16 464 Quadratmeter auf die Designer-Wohnungen mit individuellen Größen von 60 bis 200 Quadratmetern. Der Bertolt-Brecht-Platz mit 3370 Quadratmetern wird als öffentlicher Platz hin zur Spree hergerichtet. Nicht nur das Bauprojekt am Zirkus 1 will hoch hinaus. Rund um den Bahnhof Friedrichstraße beidseits der Spree entstehen derzeit Häuser, die altehrwürdige Gebäude wie das Berliner Ensemble oder den Admiralspalast ziemlich bescheiden aussehen lassen. Auf dem Areal des sogenannten Spreedreiecks baut der Hamburger Investor Harm MüllerSpreer für 240 Millionen Euro derzeit das umstrittene Glas-Hochhaus "Spreedreieck". Das Gebäude stellt mit seiner Höhe von 40 Metern die Nachbargebäude im wahrsten Sinne des Wortes in den Schatten. Deswegen klagte der Eigentümer des gegenüberliegenden Hotels Sol Meliá vor Gericht gegen die Baugenehmigung - und bekam Recht, das Land musste für den beanstandeten Bebauungsplan vier Millionen Euro Schadensersatz zahlen. Weitere Klagen sind nicht ausgeschlossen, und ein Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses beschäftigt sich nun mit den komplizierten Grundstücksgeschäften rund ums Spreedreieck. Der Nachbar übrigens, dem der Hamburger Müller-Spreer zu hoch baute, hat sich selbst auch nicht mit einem Gebäude im Berliner Traufenformat begnügt. Das 2006 fertig gestellte Haus direkt an der Spree ist das erste Vier-Sterne-Hotel der spanischen Sol-Meliá-Kette in Deutschland und mit seinen neun Stockwerken direkt an der Spree nicht zu übersehen. Es hat 364 Zimmer, sechs Tagungsräume und ist gut 29 Meter hoch. Und es stimmt: Den Hotelgästen wird durch das Spreedreieck der Blick von der Dachterrasse künftig verstellt. Auch ein weiterer Neubau, der an der Friedrichstraße 100 entsteht, ragt deutlich über den benachbarten Admiralspalast empor. Was wiederum dem Betreiber der Spielstätte missfällt, der ebenfalls eine Klage angekündigt hat. An der Friedrichstraße 100 baut eine Investorengruppe, bestehend aus der Hamburger LIP - Ludger Inholte Projektentwicklung, Atos Capital und der Berliner BC Bauträger Consult. Die Baugenehmigung wurde erteilt, die Arbeiten haben bereits begonnen. Exakt 29,30 Meter hoch wird das Büro- und Geschäftshaus mit seinen acht Geschossen an der Friedrichstraße, dahinter entsteht das ebenfalls achtstöckige Eurostars-Hotel mit 221 Zimmern. Rund 80 Millionen Euro sollen hier nach Auskunft der Investoren verbaut werden. Das gesamte Bauvorhaben soll Ende 2009, Anfang 2010 abgeschlossen sein. Relativ gelassen blickt Heinz Meermann auf das sich rapide verändernde Panorama vor seinem Bürofenster. Schließlich durfte auch er - genauso wie das Hotel Sol Meliá und das bereits im Jahr 2000 fertig gestellte Verbändehaus am Weidendamm 1a - deutlich höher hinaus. Sein 2004 fertig gestelltes Büro- und Geschäftshaus Spree-Karree, Friedrichstraße 136, ist unmittelbarer Nachbar des neuen Mammut-Projektes am Zirkus 1. Mit acht Stockwerken und einer Höhe von 29 Metern ist sein 100- Millionen-Euro-Projekt nicht eben klein. Dennoch findet der Chef der Chamartin Meermann Gruppe mit Blick auf das Projekt Am Zirkus 1: "Zwei Etagen weniger wären städtebaulich und für alle Beteiligten besser gewesen." Verteidigt wird die Kubatur des Gebäudes Am Zirkus 1 jedoch von der Leiterin des Stadtplanungsamtes Mitte, Christina Laduch. "Die solitäre Bebauung Am Zirkus 1 ist in Anlehnung an den alten Zuschauerraum des Friedrichstadtpalastes entworfen worden", sagt sie. Genau so einen massiven Solitär habe man dort wieder haben wollen. Auch am Spreedreieck, mit seinen 40 Metern nun das höchste Gebäude am S-Bahnhof Friedrichstraße, habe es schon seit den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts Pläne für ein Hochhaus gegeben. Beide Projekte seien mit Bebauungsplänen gesichert. Die übrigen Bauten an diesem Abschnitt der Friedrichstraße wurden mit ihren durchschnittlich acht bis zehn Geschossen nach Paragraf 34 des Baugesetzbuches genehmigt. Dieser schreibt vor, dass sich Neubauten in die "Eigenart der näheren Umgebung" einfügen. Und weil die damalige Senatsbaudirektorin Barbara Jakubeit noch vor der Jahrtausendwende das Verbändehaus genehmigte, "hatte dieses Haus Vorbildfunktion für die weitere Blockrandbebauung in der Umgebung", so die Chefin des Stadtplanungsamtes. Die Bebauungspläne und der Domino-Effekt des Paragrafen 34 haben nun dafür gesorgt, dass Berlin am S-Bahnhof Friedrichstraße aus dem üblichen Berliner Straßenraster ausschert. In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung begrüßt man das: "Der Standort um die Friedrichstraße ist sehr städtisch geprägt und verträgt deshalb, anderes als ein normales Gründerzeitquartier, eine höhere Bebauung", sagt Manuela Damianakis, Sprecherin der Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Ob das Konzept aufgeht, wird sich spätestens in zwei Jahren zeigen, wenn alle Bauvorhaben abgeschlossen sind. Quelle: Welt Online; 08.06.2009 http://www.welt.de/welt_print/article2588354/Hoch-hinaus-am-BahnhofFriedrichstrasse.html