Redaktion Medizin: (089) 53 06-425 [email protected] Telefax: (089) 53 06-86 61 Münchner Merkur Nr. 156 MEINE SPRECHSTUNDE Prof. Dr. Christian Stief Als Chefarzt im Münchner Klinikum Großhadern erlebe ich täglich, wie wichtig medizinische Aufklärung ist. Gerade in höherem Alter rückt das Thema Gesundheit immer mehr ins Zentrum des Interesses. In einer Serie möchten wir Ihnen darum Erkrankungen vorstellen, die vor allem betagte Patienten treffen. Im sechsten Teil geht es um die Behandlung der Spinalkanalstenose. Die Experten des Beitrags sind Oberarzt Prof. Stefan Zausinger und Chefarzt Prof. Jörg-Christian Tonn, beide von der Klinik für Neurochirurgie im Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München in Großhadern. Stichwort: Lendenwirbelsäule Die Lendenwirbelsäule (LWS) ist der untere Abschnitt der Wirbelsäule. Sie besteht aus fünf Wirbeln und hat eine leicht nach vorn geschwungene Form. Zwischen den Wirbeln liegen die elastischen Bandscheiben, die wie Stoßdämpfer wirken. Beim Menschen wird die Lendenwirbelsäule durch den aufrechten Gang stark belastet – insbesondere im Bereich der untersten Lendenwirbel. Hier kommt es daher oft auch zu degenerativen Veränderungen. Dazu gehören zum Beispiel ein Bandscheibenvorfall, Arthrosen der Wirbelgelenke, aber auch Wirbelgleiten. Der Körper versucht, die zunehmende Instabilität der Wirbelsäule auszugleichen. Dazu bildet er Knochenzacken, Bänder können sich verdicken. Dies, oft zusammen mit einem Bandscheibenvorfall, kann zu einer Verengung des Nervenkanals, einer Spinalkanalstenose, führen. Sind die Lendenwirbel betroffen, spricht man von einer lumbalen Spinalkanalstenose. Leben 17 .................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. Wenn das Kreuz im Alter zum Kreuz wird Sie können jeden Schritt zur Qual machen: Kreuzschmerzen, die bis in die Beine ausstrahlen. Nicht selten steckt ein verengter Wirbelkanal hinter den Beschwerden – wie bei Marianne Schmitt (83). Sie ist nach einer Operation schmerzfrei. VON ANDREA EPPNER Zuletzt schaffte Marianne Schmitt nur noch wenige Schritte. Dann zwang der Schmerz die 83-Jährige zum Stehenbleiben. Vom unteren Teil des Rückens strahlte er in die Beine aus – „bis hinunter zu den Fußgelenken“, erzählt die Rentnerin. „Irgendwann konnte ich überhaupt nicht mehr laufen.“ Heute geht sie über den Klinikflur, als wäre sie nie krank gewesen. Dabei liegt die Operation, die sie vom Schmerz befreit hat, erst wenige Tage zurück. Nur dort, wo die Wunde ist, „da zieht es noch etwas“, sagt sie. „Der große Schmerz im Bein hat aber unmittelbar nach der Operation nachgelassen.“ Dem Eingriff ging eine lange Leidenszeit voraus. Bereits seit einigen Jahren plagte sich Marianne Schmitt mit Rückenschmerzen. Doch waren diese zunächst erträglich. Die Rentnerin verdrängte sie lange, auch weil sie sich um ihren pflegebedürftigen Ehemann kümmern musste. „Ich habe immer gedacht, die Schmerzen kommen von der Hüfte“, sagt sie. „Oder vielleicht von der Schaufensterkrankheit.“ Bei der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK), wie diese Erkrankung in der Fachsprache heißt, verengen Ablagerungen die Blutgefäße in den Beinen. Tatsächlich könne diese ebenso wie eine Arthrose des Hüftgelenks zu ähnlichen Beschwerden führen, bestätigt Prof. Stefan Zausinger. Er ist Oberarzt an der Klinik für Neurochirurgie im Münchner Klinikum Großhadern und hat Marianne Schmitt operiert. Denn bei ihr war die Ursache eine andere: Sie litt an einer Spinalkanalstenose. Der Kanal, in dem die Nervenbün- Operation an der Wirbelsäule: Prof. Stefan Zausinger zeigt seiner Patientin Marianne Schmitt (83), an welcher Stelle der Nervenkanal verengt war. Sie wurde operiert – und hat seither keine Schmerzen mehr. FOTO: KURZENDÖRFER del durch die Wirbelsäule verlaufen, hatte sich auf Höhe des vierten und fünften Lendenwirbels verengt. Zunächst schien sich aber der Verdacht der Rentnerin zu bestätigen. Röntgenaufnahmen zeigten eine starke Arthrose im linken Hüftgelenk. Ärzte rieten ihr zu einem Gelenksersatz. Die Schmerzen im Rücken verschwanden jedoch auch nach dem Eingriff nicht. Marianne Schmitt glaubte schon, sich damit abfinden zu müssen. Als die Schmerzen jedoch vor etwa einem halben Jahr unerträglich wurden, sie kaum mehr gehen konnte, wagte sie einen neuen Anlauf: Sie ging erneut zum Arzt. Der entdeckte auf den Aufnahmen des Magnetresonanztomografen (MRT) Engstellen des Spinalkanals. Er riet zur Operation und überwies sie ins Klinikum Großhadern, wo die Mediziner die Einschätzung des Kollegen bestätigten. Dem ging eine gründliche Untersuchung voraus: Dazu studierten die Ärzte aber nicht nur die MRT-Aufnahmen. „Wenn sie sich Bilder der älteren Bevölkerung anschauen, dann finden sie bei jedem Dritten eine Spinalkanalstenose unterschiedlichen Ausmaßes“, sagt Zausinger. Doch längst nicht bei jedem führe dies auch zu Beschwerden. Ebenso wichtig für die Diagnose ist darum das Gespräch. Strahlt der Rückenschmerz in die Beine aus? Wird er beim Gehen schlimmer? Was bringt Erleichterung? Die Antworten helfen, die Ursache der Beschwerden zu finden. Denn eine Operation hilft längst nicht jedem Patienten mit Rückenschmerzen. „Normale Kreuzschmerzen ohne starke Ausstrahlung in die Beine sind kein guter Grund dafür“, warnt Zausinger. Diese treten meist auch bei einem Bandscheibenvorfall auf. Die Bandscheiben sind die Stoßdämpfer zwischen den Wirbeln. Ihr gallertartiger Kern ist von einem festen Faserring umgeben. Bei einem Vorfall reißt er, der Inhalt kann austreten, auf die Nerven drücken. Dennoch ist eine OP oft unnötig. Denn mit der Zeit schrumpft die verletzte Bandscheibe. „Das kann zwei Wochen dauern, aber auch ein halbes Jahr“, sagt Zausinger. Bis dahin lindern konservative Maßnahmen wie Medikamente und Physiotherapie die Schmerzen. Auch bei einer Spinalkanalstenose kann das helfen. Bleiben die Schmerzen, lohnt es sich aber, nicht zu viele Monate zu warten. „Da wird nichts besser“, sagt Zausinger. Denn: Hier sind es verdickte Bänder und Knochenzacken, die den Nervenkanal verengen. Der Körper bildet sie als Ausgleich, wenn die Wirbelsäule instabiler wird. Generell habe diese bei älteren Menschen die Tendenz zu verknöchern, sagt Zausinger. Eine Spinalkanalstenose ist daher eine typische Alterserkrankung. Beschwerden bereitet sie vor allem bei Bewegung: Dann strömt mehr Blut durch die Gefäße, der Platz reicht nicht mehr aus. Der Blutstau lässt den Druck auf die Nerven wachsen und führt beim Gehen zu Schmerzen, die bis in die Beine aus- strahlen. Rad fahren können Patienten dagegen oft noch schmerzfrei: Bei gebeugtem Rücken spannt sich das Band im Wirbelkanal. Damit Betroffene auch wieder schmerzfrei gehen können, verschaffen Chirurgen den Nerven in einer Operation wieder mehr Platz. Doch allein der Gedanke an einen Eingriff an der Wirbelsäule macht vielen Patienten Angst. Sie fürchten, dass schon ein kleiner Fehler zu einer Querschnittslähmung führen könnte. „Das Risiko ist extrem gering“, beruhigt Zausinger. „So etwas habe ich noch nie erlebt.“ Der Arzt erklärt auch warum: „Das Rückenmark endet am ersten Lendenwirbel. Wir operieren viele Zentimeter davon entfernt.“ Vor allem aber warnt er Ältere und Diabetiker davor, zu lange zu warten. Hat der Druck auf den Nerv zu Lähmungen oder einer Blasenstörung geführt, bilden sich diese bei ihnen besonders schlecht zurück. Marianne Schmitt ist froh, dass sie sich für die Operation entschieden hat. „Der Professor hat mir die Angst genommen, mir alles genau erklärt“, sagt sie. Bei ihr war es vor allem ein den Wirbelkanal begrenzendes Band, das extrem verdickt war und den Kanal verengte. Es wurde bei dem Eingriff entfernt, außerdem störende Knochenzacken an den Wirbelgelenken. Der Operateur setzte dazu einen sechs Zentimeter langen Schnitt auf Höhe der betroffenen Wirbel, schob die Muskeln zur Seite und öffnete den Spinalkanal. Ein OperationsMikroskop erleichterte ihm die feinen Arbeiten. Eineinviertel Stunden dauerte der Eingriff. Als Marianne Schmitt aus der Narkose erwachte, waren die Schmerzen weg. „Ich verstehe andere alte Leute nicht, die dasitzen und Schmerzen haben, sich aber nicht zu so etwas entschließen“, sagt sie. „Man hat doch nichts mehr vom Leben, hat keinen Spaß mehr an nichts.“ Lesen Sie am Montag, 16. Juli, den siebten Teil der Serie „Medizin im Alter“: Inkontinenz – so hilft der künstliche Schließmuskel Männern Nerven unter Druck: Wie eine Operation bei einer Spinalkanalstenose hilft VON STEFAN ZAUSINGER UND JÖRG-CHRISTIAN TONN Die Spinalkanalstenose im Bereich der Lendenwirbelsäule ist eine häufige Erkrankung älterer Menschen – und eine der häufigsten Ursachen für Eingriffe an der Wirbelsäule. Der Spinalkanal wird dabei von vorne durch Bandscheibenvorwölbungen oder -vorfälle, von der Seite und hinten durch degenerativ verdickte Wirbelgelenke und den Kanal begrenzende Bänder eingeengt. Der Raum für die im Kanal gelegenen Nervenfasern wird dadurch im Laufe von Monaten und Jahren immer enger. Meist verengt sich der Spinalkanal dabei auf Höhe des vierten und fünften Lendenwirbels. Männer sind häufiger betroffen und erkranken früher. Allgemein nimmt der Anteil der Betroffenen mit dem Alter zu. Harte körperliche Arbeit und Übergewicht erhöhen das Risiko. Ein Computer- oder Kernspintomogramm der Wirbelsäule zeigt jedoch oft auch bei älteren Menschen ohne Beschwerden eine Verengung. Behandeln muss man aber nur, wenn diese auch zu Schmerzen führt. Gerade bei Älteren kommen auch viele andere Ursachen für Rückenprobleme oder Schmerzen, die in die Beine ausstrahlen, in Betracht. Dazu gehören Verengungen (Stenosen) der die Beine versorgenden Arterien, durch Osteoporose ausgelöste Brüche, Hüftgelenks-Arthrose oder Tumorerkrankungen. Das wichtigste Symptom der Spinalkanalstenose ist die sogenannte Claudicatio spinalis: Ziehende Schmerzen, die vom Kreuz in die Beine, meist auf der Hinterseite, ausstrahlen und bei längerem Gehen stärker werden. Setzen sich Betroffene oder bücken sich, lässt der Schmerz nach. Auch Radfahren ist meist gut möglich. Zu den Schmerzen kommen bei manchen Patienten Gefühlsstörungen wie Taubheit oder Kribbeln in den Beinen, in schweren Fällen auch Lähmungen oder Blasenstörungen. Diabetiker klagen häufiger über stärkere Schmerzen und leiden öfter unter Sensibilitätsstörungen und Lähmungen. Bei der neurologischen Untersuchung begutachtet der Arzt zunächst die Form der Wirbelsäule. Er prüft zudem, ob es Bewegungseinschränkungen gibt und ob ein Abklopfen der Wirbel Schmerzen auslöst. Es folgt eine Untersuchung der Nerven: Dabei testet der Arzt die Reflexe, die Kraftentwicklung und die Oberflächensensibilität. Er prüft zudem, ob eine Deh- Prof. Jörg-Christian Tonn leitet die Neurochirurgische Klinik am Münchner Klinikum Großhadern. nung der Nerven wie beim Heben eines Beins Schmerzen bereitet. Hinzu kommen Laboruntersuchungen, Röntgenaufnahmen der Lendenwirbelsäule und als wesentliche Untersuchung eine Kernspin- oder Computertomografie. Damit lässt sich Lage und Ausmaß der Spinalkanalstenose beurteilen und ein Tumor oder entzündliche Veränderungen als Ursache der Beschwerden ausschließen. Gibt es keine neurologischen Störungen und sind die Beschwerden nicht zu stark, sollte man konservativ behandeln. Dazu gehören Schmerzmittel und Krankengymnastik, um die Rumpfmuskulatur zu kräftigen. Nicht sinnvoll ist es, als Therapie länger als zwei Wochen ein Korsett zu tragen. Denn das kann zum Muskelabbau führen. Sind Kreuzschmerzen das Hauptsymptom (Facettensyndrom), können auch Spritzen helfen, die Engstelle: Die MRT-Aufnahme (o.) zeigt die Lendenwirbelsäule. Die Pfeile markieren, wo der Spinalkanal verengt ist und auf die Nerven drückt. Wie Knochenzacken den Kanal verengen, zeigt der vergrößerte Ausschnitt der Grafik (li.) FOTO: LMU unter Röntgen- oder CT-Kontrolle um die Wirbelgelenke gesetzt werden. Eine Operation ist nötig, wenn neurologische Ausfälle wie Lähmungen oder Schwierigkeiten bei der Blasenkontrolle und -entleerung bestehen. Bei Schmerzen, die sich trotz intensiver konservativer Maßnahmen nicht kontrollieren lassen (Claudicatio spinalis), ist die Operation zwar nicht zwingend nötig, doch ist das im klinischen Alltag der häufigste Grund. Zuvor sollte man es aber mindestens vier Wochen mit einer konservativen Therapie versuchen. Umfang und Technik der Operation richten sich nach der Art der Beschwerden, dem Ort und dem Ausmaß der Verengung. Sehr häufig liegt diese auf der Höhe der Bandscheiben und der Wirbelgelenke. Dann erfolgt der Zugang zum Spinalkanal zwischen den Wirbelbögen. Von dort aus lässt sich alles, was auf die Nerven drückt, etwa Knochenwülste, Bandverdickungen und Bandscheibenvorfälle unter dem OP-Mikroskop entfernen. Gelenke und Wirbelbögen bleiben dabei erhalten – die Wirbelsäule wird durch den Eingriff also nicht destabilisiert. Über diesen schmalen Zu- gang lassen sich bei leicht gekipptem OP-Tisch auch die Nervenfasern der Gegenseite erreichen. Zeigen die CT oder MRT der Wirbelsäule Zeichen eines Wirbelgleitens, wenn man den Rumpf bewegt, sollte man bei der OP zudem die betroffenen Wirbelsegmente durch Schrauben verbinden (Versteifung). Bei alten Patienten mit starker Osteoporose kann man den Halt der Schrauben im Wirbelkörper verstärken, indem man Kunststoff in den Bohrkanal spritzt. Der Körper kommt in der Regel gut mit einer Versteifung über wenige Segmente zurecht, die Beweglichkeit ist nach dem Eingriff kaum eingeschränkt. Die Risiken der OP sind bei akzeptablem Allgemeinzustand auch bei Älteren gering: In einer Gruppe älterer Patienten in Großhadern (Durchschnittsalter 79 Jahre) betrug die Dauer des Klinikaufenthalts im Schnitt zwölf Tage. Insgesamt klagten nur acht Prozent dieser Patienten nach der OP über neue Beschwerden, darunter vor allem vorübergehende Erkrankungen wie Blasenentzündungen, Wundheilungsstörungen oder eine zeitweilige Verschlechterung vorbestehender internistischer Erkrankungen. Das Risiko einer bleibenden Nervenverletzung lag bei unter einem Prozent. Die Erfolgsaussichten bei einer OP der lumbalen Spinalkanalstenose sind gut: Etwa 80 Prozent der Patienten, darunter auch über 70-Jährige, gaben an, die Schmerzen hätten sich gut oder sehr gut gebessert und sie könnten wieder deutlich längere Strecken gehen. Nach fünf Jahren sagen das noch die Hälfte der Patienten. Nur bei etwa sechs Prozent der Operierten ist ein zweiter Eingriff wegen einer weiteren oder einer wiederkehrenden Verengung nötig. Leserfragen an die Experten: [email protected]