02. ! Momo 02. Junge Oper zeigt Uraufführung nach dem berühmten Märchenroman Fotos: Martin Sigmund it e Z e i d t ör h e g s n U Momo hat immer Zeit für alle. Egal, ob man jemanden zum Zuhören braucht oder gerade einfach nicht allein sein möchte. oder sparen? Darüber, was Zeit in unserem Leben für jeden Einzelnen bedeutet, haben wir mit einigen Darstellern und Machern von Momo gesprochen. Gespräche und Redaktion: Martina Stütz, Koen Bollen In einem alten Theater hat sie ihren Wohnraum eingerichtet und lebt in der Gemeinschaft ihrer Freunde ohne Reglementierung durch äußere Zwänge. Die Realität um sie herum aber sieht anders aus: Unbemerkt erobern die Grauen Agenten die Stadt und bringen immer mehr Menschen dazu, in ihre Zeitsparkasse einzutreten. Momos Freund Gigi Fremdenführer, ein Lebenskünstler und Geschichtenerzähler, wird durch das Diktat des Zeit Sparens zum gestressten Fernsehstar, Beppo Straßenkehrer, der Momo gerade noch Geduld und Konzentration gelehrt hat, hetzt von einem Job zum nächsten, und die Kinder dürfen Momo nicht mehr besuchen. Zusammen mit der Schildkröte Kassiopeia, die ihr von Hora geschickt wurde und bei dem sie erlebt, wie die Stundenblumen im Herzen der Menschen wachsen, tritt Momo gegen die Grauen Agenten an, um die gebunkerte Zeit zu befreien. Das Musiktheater Momo nach Michael Endes Märchenroman wirft aktuelle Fragen nach unserem Sein für Kinder und Erwachsene gleichermaßen auf: Wie sehr bestimmt die mit Uhren gemessene Zeit unseren Alltag, oder wir sie? Wie schnell müssen Zielsetzungen erreicht werden? Stehen Schule, Karriere und finanzielle Absicherung über, neben oder hinter dem Privatleben? Ist es verwerflich, auch mal in den Tag hinein zu leben? Was ist überhaupt das richtige Leben? Und: kann man Zeit eigentlich besitzen, sich nehmen, schenken »Solange eine Gesellschaft glaubt, nur existieren zu können, wenn die Wirtschaft bzw. die Gewinne daraus permanent wachsen, solange ›genug‹ und ›ausreichend‹ de facto schon einen Rückschritt bedeuten, wird es immer nur Einzelne geben, die sich wirklich befreien können. Ich gehöre – zumindest im Augenblick – nicht dazu. Aber Momo meint etwas ganz anderes: Wir sind die getriebenen Erwachsenen wie Gigi und Fusi, wir sind aber auch Momo, und vielleicht gelingt es uns ja, diesem Kind in uns gelegentlich beim Spielen zuzuschauen und uns mit ihm zu freuen.« Matthias Heep, Komposition 8 »In einer Welt, die von den Grauen Agenten bestimmt ist, man in Uniformen gesteckt wird und viel strenger erzogen wird, wo Spielen eigentlich gar nicht mehr in Frage kommt, würden Kinder die Lebenslust verlieren. Ein Kind muss spielen. Im Stück triezen die Eltern ihre Kinder ja so richtig, weil sie auf Drängen der Grauen Agenten in die Zeitsparkasse eingetreten sind. Wenn das in Echt so wäre, wären alle total betrübt und es würde gar keine Lust oder Freude mehr geben.« Isabell Fruh, Projektchor Momos Freunde »Spielen heißt zweckfreies Tun, Kreieren, der Phantasie freien Lauf lassen und Verarbeiten von Dingen, die man erlebt hat. Das ist sehr wichtig für die Darstellung des Zeitverständnisses von Momo. Denn an den Kindern lassen sich auch die Konsequenzen des Zeit Sparens ablesen, etwa wenn wie im Stück Unruhe oder Gewalt ihr Spiel bestimmt. Nicht die Zeit an sich ist das Wichtige, sondern wie man sie verbringt.« Barbara Tacchini, Libretto und Regie »Wenn man als Sänger eine Rolle einstudiert und voll in der Rolle ist, gibt es vor der ersten Vorstellung eigentlich keine Freizeit. Man lebt mit dem Charakter zusammen, zu jeder Zeit. Wenn man abends kocht, oder zu Bett geht, denkt man immer noch an ihn, man träumt auch von ihm. Wir bringen die Arbeit mit nach Hause, denn man hat nicht genug Zeit, sie zu vergessen. Aber das darf man auch nicht, wenn man die Rolle weiterentwickeln will. Wir suchen und suchen und suchen bis zur letzten Vorstellung.« Jeanne Seguin, Momo »Für Gigi bedeutet ein Star zu sein so etwas wie ein moderner Prinz zu sein, mit viel Jubel und Glamour, ein kleiner paradiesischer Zustand auf Erden. Er denkt nicht so weit, dass es trotz des ganzen Scheinwerferlichts auch eine Menge Schatten gibt, und er verdrängt die Frage, dass berühmt sein seine Freizeit einschränken könnte. Das ganze Leben bleibt für ihn ein Spiel.« Ricardo Frenzel Baudisch, Gigi »Ich gehe noch zur Schule, aber sonntags einmal einen Ausflug zu machen kommt gerade gar nicht mehr in Frage, weil jetzt eben gelernt werden muss. Das ist schwierig, denn man kann ja nicht einfach die Schule verkürzen. Aber wir haben teilweise bis um 17 Uhr Unterricht und dann bleibt überhaupt keine Zeit mehr für die Hausaufgaben für den nächsten Tag. Das geht auch ein bisschen von den Lehrern aus, man könnte an solchen Tagen weniger Hausaufgaben aufgeben, sonst ist alles so hektisch.« Isabell Fruh »Es gibt sicher mehr Zeit am Tag, die durch äußere Einflüsse fremdbestimmt wird, als wirklich frei verfügbare Zeit. Zuerst einmal muss ich arbeiten, um mein Geld zu verdienen und leben zu können. Diese Zeit gehört meinem Dienstherrn. Dann habe ich eine Familie, auch sie braucht Zeit, mein Sohn und meine Frau verbringen gerne Zeit mit mir. Dann bin ich ehrenamtlich engagiert, und brauche aber natürlich auch noch Zeit für mich. Das ist mir im Moment ein wirkliches Thema. Ich überlege mir, wie weit ich mich noch engagiere, auch wenn ich das ja freiwillig mache. Auch bei Momo war die Frage: Habe ich die Zeit dort mitzumachen? Diese Zeit ist mir aber wichtig, ich empfinde sie als Zeit für mich.« Eugen Völlm, Projektchor Graue Agenten »Unser täglicher Umgang mit der Zeit ist eine Frage der Balance. Auf der einen Seite muss man sich Räume schaffen, um sich auszuruhen und Dinge zu verarbeiten, und auf der anderen gibt es auch Räume, in denen ich eine gewisse Arbeitshaltung und Konsequenz brauche. Zum Beispiel wenn man eine Bergtour machen will, ist es sinnvoll früh aufzustehen, sonst kann ich sie gar nicht genießen. Man muss sich also auch mal überwinden können. Auch für Kinder ist das wichtig. Unsere Verantwortung besteht darin, ihnen eine gute Balance zwischen Verbindlichkeit und Flexibilität vorzuleben.« Barbara Tacchini »Momo könnte heute in Stuttgart genauso leben, wie sie in Michael Endes Roman beschrieben ist. Momo hat etwas Zeitloses. Sie ist ein Mensch, der zuhören kann, und damit hat sie eine bestimmte Kommunikationsbasis, die allgemeingültig ist. Sie würde keine Pläne machen, sondern im Moment leben. Sie würde auch nicht arbeiten. Momo selbst ist ja eine Metapher – vielleicht wäre sie heute jemand, der Kunst auf der Straße macht, um sie Leuten zu schenken.« Jeanne Seguin Das Journal Juni/Juli 2013 »In Wahrheit hat man für seine Freunde und seine Mitmenschen immer zu wenig Zeit. Wenn man viele Freunde hat, merkt man, wie die Zeit knapp werden kann, denn wenn man mit allen etwas unternehmen will, kommt auch wieder Stress auf. Aber es lohnt sich trotzdem, sich für sie Zeit zu nehmen. Denn ohne Freunde haben wir ein einsames Leben. Das ist ein wertvolles Gut, füreinander da zu sein, ein wirklicher Schatz, den man sich ›bunkern‹ kann.« Eugen Völlm Momo von Matthias Heep Musikalische Leitung: Till Drömann, Regie: Barbara Tacchini Juni 2013: 08.06. // 10.06.* // 12.06.* // 14.06. // 15.06. // 17.06.* // 19.06.* // 21.06. // 22.06. // 25.06.* // 27.06.* // 29.06. Juli 2013: 01.07.* // 05.07. * Schulvorstellungen »Die Zeit vergeht für mich als Sänger schnell, wenn ich ›in‹ der Musik und ›in‹ der Situation bin, die gerade gespielt wird, oder ich bemerke die Zeit als solche erst gar nicht. Als ich allerdings einmal in Wagners Parsifal im Chor mitgesungen habe, war es das Gegenteil: Fünf Stunden bleiben fünf Stunden!« Ricardo Frenzel Baudisch »Zeit lässt sich auf der Bühne sehr gut durch bestimmte Zeichen zeigen: Es gibt Momo, die zuhört und die für alle da ist, und Beppo, der mit großer Sorgfalt den Rahmen eines alten Spiegels abschmirgelt, als Zeichen der Wertschätzung von schönen Dingen. Ein wichtiges Zeichen ist auch die Schildkröte. Im Buddhismus steht sie für ein langes Leben und bietet den Menschen auf dem Weg ins Nirwana eine Art Seelenwohnung. Wir rücken diese Figur ins Zentrum: Wenn Momo mit Kassiopeias Hilfe zu Hora gelangt ist, tauchen wir dort ein in diese Seelenwohnung, visuell wie klanglich, als wären wir umgeben von einem Schildkrötenpanzer, in dem man innehalten und sich spüren kann.« Barbara Tacchini »Michael Endes Text steckt ganz konkret voller Geräusche, Klänge und Musik. Sein Konzept geht sogar darüber weit hinaus: Musik spielt sozusagen die Hauptrolle. Alleine im nächtlichen Theater hört Momo immer wieder die ›gewaltige Musik der Sterne‹. Später erfährt sie durch Hora, dass diese Musik der Klang der Stundenblumen, der Zeit und damit des Lebens selbst ist. Und einzig die Erinnerung an diese Klänge, die mit der Deutlichkeit von Worten zu ihr sprechen, gibt Momo die Kraft, im Kampf gegen die Grauen Agenten bis zum Ende durchzuhalten.« Matthias Heep »Komm mit!« Kassiopeia, Horas Schildkröte 9