Oberstufe Musik Musiktheorie Erleben – Verstehen – Lernen Arbeitsheft für den Musikunterricht in der Sekundarstufe II an allgemein bildenden Schulen Clemens Kühn Die Reihe „Oberstufe Musik“ wird herausgegeben von Matthias Rheinländer. Inhaltsverzeichnis Ein Wort vorweg 4 Von Einzeltönen zu Gestalten Die Macht des Rhythmus Tonhöhen und Tonräume Klangfarbe Dynamik 5 5 9 12 13 Material und Ausdruck Intervalle Skalen Akkorde Stellung und Lage Dreiklangsmelodik Ausdruckswerte Dominantseptakkord Dominantseptnonakkord Übermäßige und Verminderte Neapolitaner 15 15 17 20 20 20 22 22 25 25 26 Musikalischer Zusammenhang Harmonik Kadenz Schlusswendungen Harmonischer Rhythmus Angewandte Kadenz Musik setzen Tonvorrat überlegen Töne zuordnen Grundtöne setzen zur Melodie Grundtöne durch Terzen ersetzen Bassstimme ändern Mittelstimme(n) hinzufügen Anfang, Mitte, Schluss Musik als Sprache Musik als Ganzes wie Sprache angelegt 28 28 28 28 29 29 30 30 30 30 30 31 31 31 34 35 Handwerk Satztechniken Satzarten Notation einer Partitur 37 37 38 41 Form 45 45 45 46 46 47 Dreiteilige Liedform Rondo Fuge Barockes Konzert Sonatensatzform Glossar 48 3 Musiktheorie Akkorde Stellung und Lage • B ei einem Akkord müssen Sie unterscheiden zwischen seinem Basston und seinem Grundton. Basston ist jener Ton eines Akkordes, der als tiefste Stimme erklingt. Grundton ist der Ton, auf dem ein Akkord aufgebaut ist. Ein Dreiklang kennt deshalb drei verschiedene Stellungen (a), die durch den Basston gegeben sind: • die Grundstellung (der Grundton ist dann der Basston), • den Sextakkord (Akkord-Terz als Basston) und • den Quartsextakkord (Akkord-Quinte als Basston). Zudem gibt es drei verschiedene Lagen, die durch den Sopran gegeben sind (b): • die Terzlage (die Akkord-Terz liegt in der obersten Stimme), • die Quintlage und • die Oktavlage (Akkord-Grundton oben). Zu unterscheiden ist außerdem die enge Lage von der weiten Lage (c): Bei enger Lage (die vom Griff auf Tasteninstrumenten herkommt) passt zwischen die Oberstimmen kein weiterer Akkordton mehr, bei weiter Lage dagegen schon (sie kommt vom Chorsatz her). Schematisch dargestellt: a) b) Die Terzlage (empfindlich durch die oben liegende Terz, die über das Tongeschlecht – Dur oder Moll – entscheidet) wirkt klangbetont und weich gegenüber der entschiedenen Oktavlage. • Weite Lage ist lichter, „durchlässiger“ als enge. Komponisten haben diese unterschiedlichen Qualitäten nicht nur zu unterschiedlicher musikalischer Ausstrahlung genutzt, sondern auch als musikalische Satzzeichen: Dem Komma, Semikolon, Gedankenstrich, Frage- oder Ausrufezeichen in der Schriftsprache entsprechen, im Verein mit der Harmonik, Stellung und Lage in der Musik. Vergleichen Sie beispielsweise in Beethovens Thema (Abb. 5 auf S. 6) die unterschiedlichen Endungen in den Takten 4, 8, 10, 12, 16. Und wie differenziert Haydn in diesem Thema (Abb. 21) zwischen c-Moll in T. 4 und in T. 8? c) Was sich derart geballt ziemlich abstrakt ausnimmt, ist musikalisch hoch bedeutsam: Stellung und Lage eines Akkordes bestimmen den Grad an Stabilität und den Klangcharakter. • Eine Grundstellung klingt gefestigt, ein Sextakkord offen, ein Quartsextakkord labil. Joseph Haydn: Trio Dreiklangsmelodik Hören • Abb. 21: Womit eröffnet Beethoven seine Klaviersonate d-Moll op. 31,2 (Sturm-Sonate), und welche außergewöhnliche Konsequenz zieht er daraus später bei der Wiederkehr des Anfangs? Melodisches kann in Schritten verlaufen oder in Sprüngen. So allgemein formuliert besagt das noch wenig: Erst deren Anordnung und Größe prägt den spezifischen musikalischen Charakter. 20 Oberstufe Musik Anregungen • • Dreiklänge erkennen Bei vorgespielten Dreiklängen (stets vierstimmig gespielt: 3 Töne rechts, Basston links) schnell das Tongeschlecht (Dur oder Moll) erfassen; dann erkennen, ob es sich um die Grundstellung oder um eine Umkehrung handelt; dann die Umkehrungsform benennen. Übungen Nachdenken: Geben Sie sich wechselnde Töne vor und überlegen Sie, in welchen Dur- und MollDreiklängen sie Grundton, Terz oder Quinte sind. Schreiben: Notieren Sie wechselnde Basstöne, die Sie als Grundton, Terz oder Quinte auffassen; schreiben Sie die entsprechenden Dur- und Moll-Dreiklänge im vierstimmigen Satz – einer der drei Töne muss verdoppelt werden. Singen (zumindest allein im stillen Kämmerlein): Geben Sie sich in bequemer Stimmlage einen Ton vor; singen Sie darüber Dur- und Moll-Dreiklänge und „Dreiklangsgirlanden“. • Lesen Benennen Sie im folgenden Thema Beethovens die Tonart und Stellung der gekennzeichneten Akkorde sowie deren Lage bei den Haltepunkten in T. 2, T. 4 und beim Schlussakkord T. 8: Ein Bach-Choral: Wie differenziert Bach die Zeilenschlüsse in T. 2 und T. 4? – Benennen Sie die gekennzeichneten Akkorde. – Ersetzen Sie alle Sextakkorde durch die Grundstellung (auch wenn sich dadurch einmal eine im „strengen“ Satz verbotene Oktavparallele ergibt). Singen Sie den Choral mit dieser veränderten Bassstimme: Wie wirkt er jetzt im Vergleich zum Original? 21 Musiktheorie Einbeziehung denkbarer Einwände), Bekräftigung (Bestätigung der eigenen Position), Schluss (nachdrückliches zu Ende bringen). Können Sie Matthesons Vergleich zwischen Musik und Rhetorik an der a-Moll-Invention einlösen? Hören HB 37 Mozart (1756–1791), Klavierkonzert A-Dur KV 488, 3. Satz, T. 1–16: Syntax und Besetzung erkennen HB 38 Mozart, Sinfonia concertante KV 364 für Violine und Viola mit Orchester, 2. Satz, T. 1–16: Wie sind hier Solist und Orchester eingesetzt, wie wirken sie bei der Themenbildung zusammen? HB 20 Haydn (1732–1809), Sinfonie D-Dur Nr. 104, Finale, Thema mit Wiederholung: Syntax? Vgl. zu diesem Finalbeginn auch die Höraufgabe S. 14. Wolfgang Amadeus Mozart Anregungen • • Analysieren Erkennen und beschreiben Sie die Syntax (Periode, Satz) dieser Themen Haydns. Mozarts Sonata facile (KV 545): Die erste Hälfte des langsamen Satzes umfasst 16 Takte – wie kommen sie zustande? In Sprache übersetzen Nach Goethes Wort von vier „vernünftigen Leuten“, deren Unterhaltung man in einem Streichquartett zu hören meint: Wer ist Wortführer zu Beginn von Mozarts Streichquartett GDur KV 387 (S. 38), und wie verhalten sich die anderen dazu? Wer „unterhält“ sich wie und worüber im ersten Satz von Mozarts Streichquintett C-Dur KV 515 (HB 39)? Wie ist es im Mittelteil (Durchführung) des 1. Satzes von Beethovens 1. Sinfonie? 36 Oberstufe Musik Handwerk Satztechniken Satztechnik betrifft das kompositorische Handwerk: jene Verfahren, mit denen Musik „gemacht“ wird. Wichtige Techniken sind im Folgenden bunt zusammengestellt. Davor jedoch sehen Sie die ersten Takte von Bachs Invention C-Dur (Abb. 37a). Analysieren Sie bitte diese Takte. Erkennen Sie zunächst selbst (ohne gleich von den Begriffen auszugehen) und fassen Sie in Worte, was in der Musik Bachs vor sich geht. Alternative: Machen Sie sich die aufgeführten Satztechniken klar und prüfen Sie dann, welche von ihnen Bach verwendet. • Stimmtausch: Stimmen tauschen untereinander ihre Melodik aus. Unter• Komplementär-Rhythmik: schiedliche rhythmische Werte ergänzen sich zu einer fortlaufenden Bewegung (z. B. Viertel und Achtel in zwei Stimmen zu einer gleichmäßigen Achtelkette). • Imitation (Nachahmung): Eine nachfolgende Stimme greift auf, wörtlich oder abgewandelt, was eine vorangegangene vorgetragen hatte. • Sequenz: mehrfache Wiederholung auf einer höheren oder tieferen Tonstufe. • Vergrößerung (Augmentation): in der einfachsten Proportion die Verdoppelung von Notenwerten (aus vier Achteln werden dann vier Viertel). • Verkleinerung (Diminution): Halbierung von Notenwerten. • Harmoniefremde Töne: kontrapunktisch-lineare Dissonanzen; aus klanglicher Sicht: benachbarte Töne, die nicht zu einer Harmonie gehören: a. der Durchgang (Verbindungston zwischen zwei konsonanten Tönen) b. der Vorhalt („Vorenthaltung“ eines eigentlich erwarteten Tones) c. die Wechselnote (untere oder obere Sekunde, die zum Ausgangston zurückkehrt) d. die Vorausnahme (vorgezogener Ton der nachfolgenden Harmonie) Abb. 37a: J. S. Bach: Invention Nr. 1 C-Dur • • • • • • • • e. die Nebennote (Nachbarton, als Sekundschritt erreicht und davonspringend; oder umgekehrt: angesprungen und mit Sekundschritt verlassen) Gegenbewegung: Stimmen streben in gegensätzliche Richtungen. Parallelbewegung: Stimmen gehen in demselben Intervall in dieselbe Richtung. Umkehrung von Intervallen oder Tonfolgen: Aus abwärts wird aufwärts, aus aufwärts wird abwärts. Abspaltung: Von einem musikalischen Motiv wird ein Teil abgetrennt und weiter verwendet. Kontrapunkt: Gegenstimme („Kontra-“) zu einer anderen Stimme. Krebs: Eine Tonfolge geht von hinten nach vorn. Variante: unterschiedlich weit eingreifende Abwandlung einer musikalischen Gestalt. Engführung: Überlappung von Themeneinsätzen. 37 Musiktheorie