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>THEMA<
Musikreisen
Zwischen Genuss und Geschäft
Florian Frisch
Musikreisen bringen Kulturhungrige individuell, oft in
Bussen, manchmal gar in Schiffen zu den begehrten Aufführungen in Festspielmetropolen, Konzert- und Opernhäusern. Ein boomendes Geschäft, an dem viele Beteiligte verdienen. Doch wer tritt wie eine Musikreise an und wer
profitiert von den kulturflanierenden Fremden?
> Lust auf ein schönes Konzerterlebnis, einen Opernabend mit ein
paar Tagen Drumherum im Rundum-sorglos-Paket? Im September
ginge es zum Beispiel nach Dresden. Am Donnerstag: Begrüßungscocktail im Hotel Kempinski im Taschenbergpalais, einem der besten Häuser der Stadt. Abendprogramm: Donizettis Liebestrank in
der Semperoper – natürlich mit Karten der besten Kategorie. Am
Freitag: Stadtführung mit Zwinger, Residenzschloss und Frauenkir-
© Imago/Imagebrokers/wrba
Ein Abend in der Semperoper, eine
Stadtführung, eine Dampferfahrt
auf der Elbe: Musikliebhaber nutzen gerne die Rundum-sorglos-Pakete von Musikreisen-Veranstaltern
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das Orchester 10.14
>THEMA: Musikreisen<
che – wer will, dann nochmals Semperoper, diesmal Ballett: Romeo
und Julia von Prokofjew. Das dann allerdings für 89 Euro Aufpreis.
Am Samstag: Fahrt mit dem Schaufelraddampfer auf der Elbe nach
Schloss Pillnitz, dann Ausflug in die Sächsische Schweiz mit Mittagessen. Am Abend: Ein Konzert mit den zwölf Cellisten der Berliner Philharmoniker in der Frauenkirche. Nach dem Frühstück am
Sonntag geht es dann wieder heim. Oder Leipzig? Da gibt es zum
gleichen Termin und ähnlichen Preis Nabucco und ein Konzert im
Gewandhaus mit Semyon Bychkov am Pult und Kirill Gerstein am
Klavier, plus Führung durch die Stadt, das Bachmuseum und hinter die Kulissen des Opernhauses. Oder London mit Placido Domingo? Das wird dann allerdings teurer. Paris? New York? Oder
eine Musikkreuzfahrt?
Musikreisen sind ein komplexes Thema. Die Angebote sind
vielfältig und reichhaltig, es gibt Reisen zu den Metropolen der Musikwelt, wie zu den Salzburger Festspielen, nach Wien oder Dresden, an die Mailänder Scala, zu den Festspielklassikern Bayreuth,
Baden-Baden oder Bregenz. Aber auch Geheimtipps werden immer
beliebter, wie etwa zu Opernraritäten im Programm des Festivals
im irischen Wexford oder nach Glyndebourne in Südengland. Organisiert und verkauft werden Musikreisen von einer unüberschaubaren und absolut heterogenen Menge von Anbietern: von kleinen
Familienunternehmen, die einen einzigen Reisebus besitzen und
damit ihre Kundschaft durch die Landschaft kutschieren, von auf
Kulturreisen spezialisierten Profis wie Studiosus, von großen Reiseunternehmen wie Ameropa, oder von Vereinen wie dem ADAC.
Auch Radiosender und Zeitungsverlage haben das Geschäft mit
dem besonderen Musikerlebnis für sich entdeckt. Allen ist eins gemein: Sie verkaufen Musik mit Mehrwert – sie schnüren ein Programmpaket um ein Konzert, eine Oper, ein Musical, und machen
so das Ganze zum unvergesslichen Kurzurlaub.
Musikreise – mehr Reise als Musik?
Das Überraschende und auch Ernüchternde: Die Musik spielt in
vielen Fällen nicht unbedingt die größte Rolle. Zu ungewöhnlich
und experimentell sollte der musikalische Programmpunkt nicht
sein, sonst verkauft sich die Reise schlecht, das gilt auf jeden Fall. Sicherlich ist sie nicht unwichtig, wird aber von vielen MusikreisenKunden wohl eher als ein Teil des bürgerlichen Bildungskanons
konsumiert – Oper gehört zum sozialen Leben wie Golfspielen und
Grillabende. Damit mutiert die Musik unter Umständen zu nicht
mehr als einem bloßen Teil des Gesamtevents, zum Highlight eines
Städtetrips. Was wohlgemerkt nicht für alle wahr sein muss: Sicherlich gibt es auch Enthusiasten, die alleine wegen eines bestimmten
Werks oder eines bestimmten Künstlers ihre Koffer packen und
sich auf den Weg machen. Oft ist dabei eine organisierte Musikreise die einfachste Art, über das Kontingent des Reiseveranstalters an
begehrte Tickets von Premium-Veranstaltungen bequem heranzukommen. Das Tolle: Man kann noch den ganzen Rest dazu buchen
– dann muss man einfach nur mit gepackten Koffern aufkreuzen
und es geht los!
Das Sorglos-Paket hat seinen Preis: 1 010 Euro kostet etwa
im Einzelzimmer die eingangs umrissene Dresden-Reise, die der
das Orchester 10.14
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>THEMA: Musikreisen<
© ADAC
ein Kompromiss, eine Verbindung auf Zeit, die man in Kauf nimmt
für den Service, sich sonst um nichts kümmern zu müssen.
Sie schnüren die Rundumsorglos-Pakete: Das Musikreisen-Team vom ADAC
ADAC anbietet, 1540 Euro zu zweit. Die Anreise ist da noch nicht
einmal enthalten, um die muss man sich selbst kümmern. Damit
liegen die Kosten dieser viertägigen Musikreise erstaunlich nahe an
den 1062 Euro, die jeder Bundesbürger durchschnittlich für seinen
Jahresurlaub ausgibt, wie die „Stiftung für Zukunftsfragen“ in der
Tourismusanalyse 2014 ermittelt hat – darin sind dann allerdings
alle Kosten wie An- und Abreise, Souvenirs und Trinkgelder enthalten. Das bedeutet, Musikreisen sind ein Luxusartikel, eher Statussymbol, ein teurer Spaß für Privilegierte. Pensionierte Anwälte
und Ärzte, Professoren in den Semesterferien und Bankiers im
Vorruhestand sind demnach die klassischen Kunden von Musikreisen-Angeboten (siehe S. 14).
„Mindestens zwölf, höchstens 25 Teilnehmer“, heißt es in vielen
Inseraten zu organisierten Musikreisen unter den Bedingungen.
Bucht man also den Kurzurlaub mit Kulturgenuss, kommt man
auch in den Genuss einer Reisegruppe. Für viele ist das gerade Sinn
und Zweck der Sache, so wissen sie sich in einer Gemeinschaft
Gleichgesinnter gut aufgehoben – alleine reisen macht den wenigsten Spaß. Für andere ist Reisen in einer willkürlich zusammengestellten Gruppe vielleicht nicht gerade der größte Traum, die Rolle
des Herdentiers nur auf begrenzte Zeit erträglich. Goethe hat eine
Reisegesellschaft mit der Ehe gleichgesetzt und augenzwinkernd –
oder zynisch, wer weiß – hinzugefügt: „Und man findet sich bei ihr
auch leider, wie bei dieser, oft mehr aus Konvenienz als aus Harmonie zusammen.“ So ist die Reisegruppe sicherlich auch manchmal
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Aufwendiges Geschäft
Musikreisen sind Genuss, Erlebnis, Abenteuer. Für alle diejenigen,
die nicht mitreisen, sind sie zuallererst ein Geschäft, mit dem sich
Geld verdienen lässt. Ein Geben und Nehmen: Reiseanbieter haben
Interesse an besonderen Orten, klingenden Namen, unvergesslichen Momenten; die Kulturanbieter auf der anderen Seite wollen
ihre Veranstaltungen möglichst vielen Besuchern zeigen. Die Reisegruppen sind da ein wahrer Segen: Sie bedeuten ganze Busladungen
voller Ticketabnehmer.
Doch einfach verdientes Geld sind die an Musikreisen-Organisatoren verkauften Kartenkontingente bei Weitem nicht: Hunderte
von Kontakten zu Weiterverkäufern müssen von Festivals, Konzerthäusern oder Opernbetrieben das Jahr über geknüpft und gepflegt werden, Optionen möglichst lange gehalten werden. Um mit
neuen Anbietern anzubandeln, sollte man auch noch auf den wichtigsten Tourismusmessen vertreten sein, im besten Fall auch noch
auf Hausmessen einiger wichtiger Partnerunternehmen.
Steht man dann aber erst mal in Katalogen und werden einem
von vielen Reiseanbietern Kartenkontingente abgenommen, ist
auch der Imagegewinn nicht zu unterschätzen: Alles, was eine Reise
wert ist, ist wohl was wert. Und wer im Musikreise-Geschäft präsent ist, der ist bundes- und europaweit sichtbar. Gerade auf dem
internationalen Tourismusmarkt ist das nicht zu unterschätzen, da
wird in größeren Kreisen gedacht, als wir das mit unserem deutschen Blick tun: Baden-Baden, Zürich und Mailand sind nicht konkurrierende Kulturorte, sondern Stationen einer möglichen Tour.
Das Festspielhaus Baden-Baden hat für den Bereich der Musikreisen eine ganz neue Strategie entwickelt: Man spart sich den Weg
über externe Reiseanbieter und schnürt die Reisepakete selbst in einer eigenen Touristik-Abteilung der Festspielhausverwaltung (siehe S. 28). Arbeit spart sich das Festival dadurch allerdings nicht:
Alle Arrangements werden mit den jeweiligen Partnern ausgehandelt und organisiert, was sonst die Reiseanbieter für die Kulturanbieter übernehmen. Der Unterschied liegt eher darin, dass das
Festspielhaus im direkten Kontakt mit seinen Besuchern bleibt –
und die Busladungen voller Besucher nicht als graue Masse hinnehmen muss, vor die sich ein Wiederverkäufer geschaltet hat. Und
noch dazu ist es eine nachhaltige Investition in die Bindung des
Kunden an die Marke Festspielhaus Baden-Baden. …
… Lesen Sie weiter in Ausgabe 10/2014
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