bezahlt wird nicht!

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BEZAHLT WIRD NICHT!
von Dario Fo
Komödie in zwei Akten
Deutsch von Peter O. Chotjewitz
- Neufassung -
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Originaltitel: „Sotto paga! Non si paga!“
© Verlag der Autoren Frankfurt am Main, 2009
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen,
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Den Bühnen und Vereinen gegenüber als Manuskript gedruckt. Dieses Exemplar kann, wenn
es nicht als Aufführungsmaterial erworben wird, nur kurzfristig zur Ansicht entliehen werden.
Dieser Text gilt bis zum Tage der Uraufführung als nicht veröffentlicht im Sinne des
Urhebergesetzes. Es ist nicht gestattet, vor diesem Zeitpunkt das Werk oder einzelne Teile
daraus zu beschreiben oder seinen Inhalt in sonstiger Weise öffentlich mitzuteilen oder sich
mit ihm öffentlich auseinanderzusetzen. Der Verlag behält sich vor, gegen ungenehmigte
Veröffentlichungen gerichtliche Maßnahmen einleiten zu lassen.
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Bezahlt wird nicht
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Vor nicht allzu langer Zeit träumten wir von einer Arbeiterklasse, die Kraft und
Würde besaß. Heute planen ihre Führer eine Partei der Banken.
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Prolog
DARIO Das Stück, das wir gleich spielen werden, wurde zum ersten Mal 1974
aufgeführt. Als wir Premiere hatten, wirkte die Geschichte ziemlich
unmöglich, direkt surreal. Tatsächlich berichteten wir von Vorfällen, die sich
noch nicht ereignet hatten. Unsere Geschichte handelte von Frauen in einem
Mailänder Vorort, die in einen Supermarkt gingen, um einzukaufen, und
feststellten, dass die Preise übermäßig gestiegen waren. Sie ärgerten sich und
beschlossen, nur die Hälfte der auf den Waren angegebenen Preise zu zahlen
und dann überhaupt nicht zu bezahlen. Unsere Geschichte war die reine
Phantasie.
Ich entsinne mich, anfangs, als wir das Stück in der Palazzzina aufführten,
nannten wir die ungehörige Aneignung „proletarischer Einkauf“, „ziviler
Ungehorsam“.
Einige Kritiker warfen uns vor, unser Theaterstück sei Politphantasie. Wir
hätten übertrieben paradoxe und unwahrscheinliche Einfälle. Offensichtlich
waren diese Journalisten nicht sonderlich über die Realität unterrichtet –
Leute, die nicht einmal die Zeitung lasen, für die sie schrieben, und deshalb
keine Ahnung hatten.
Ein paar Monate später ereignete sich nämlich das, was wir auf die Bühne
gebracht hatten. Genau das gleiche! Die Wagemutigen, die den
proletarischen Einkauf verübt hatten, wurden verhaftet und bestraft.
Während der Gerichtsverhandlung forderte der Chefredakteur der Zeitung „il
Giornale“ den Richter auf, auch uns zu verurteilen. Mit unserer Komödie
hätten wir die Arbeiter dazu inspiriert und aufgehetzt, das Verbrechen einer
unrechtmäßigen Bereicherung zu begehen.
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PERSONEN
ANTONIA
MARGHERITA, Antonias jüngere Freundin
GIOVANNI, Antonias Mann
LUIGI, Margheritas Mann
POLIZIST, CARABINIERE, LEICHENBESTATTER, ALTER,
BANKDIREKTOR, MÖBELPACKER – alle sechs Rollen können vom
gleichen Schauspieler gespielt werden.
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Erster Akt
Szene: Zwischenvorhang. Dahinter verborgen die Küche einer einfachen
Arbeiterwohnung. Links eine Küchenkredenz mit verglasten Türen und ein
Feldbett. Rechts ein Garderobenständer und ein eintüriger Kleiderschrank. In
der Mitte ein Tisch und drei Stühle. An der Rückwand eine zweite Kredenz mit
Anrichte, ein Kühlschrank, ein Gasherd und, gleich daneben, ein Schweißgerät
mit zwei Gasflaschen.
Wenn das Licht eingeschaltet wird, treten Antonia, die Besitzerin der Wohnung,
und ihre Freundin Margherita vor den Zwischenvorhang. Sie befinden sich noch
auf der Straße und sind mit prallvollen Plastiktüten bepackt.
ANTONIA Ein Glück, dass ich dich getroffen habe, sonst hätte ich wirklich
nicht gewusst wie ich die Sachen hätte schleppen sollen … ich muss erst mal
Luft holen.
MARGHERITA Darf man fragen, woher du das Geld hast, um soviel
einzukaufen?
ANTONIA Sag ich dir doch: Mit Rabattmärkchen! In einer Packung
Waschmittel habe ich sogar eine Goldmünze gefunden … mit dem Papst
drauf. Gott hat ihm seine Gnade entzogen, weil er im Lotto fünfunddreißig
Millionen verloren hat.
MARGHERITA Kein Glaube mehr! Endlich haben auch die Reichen was zu
beweinen! Hör auf mir solche Lügen zu erzählen. Eine Goldmünze!
ANTONIA Glaubst du mir nicht?
MARGHERITA Nicht die Bohne!
ANTONIA Gut, dann erzähle ich dir eine andere Geschichte … Es war
einmal …
Margherita steht ärgerlich auf und will gehen.
ANTONIA Wo gehst du hin?
MARGHERITA Machs gut!
ANTONIA Nervensäge! Setz dich … komm, ich erzähl dir die Wahrheit.
MARGHERITA setzt sich auf eine Mineralwasserkiste Erzähl schon.
ANTONIA Heute Vormittag gehe ich einkaufen, Schnäppchentag. Wir kommen
zum Supermarkt … es waren schon eine Menge Frauen da, auch ein paar
Männer, die Radau machten, weil der Laden die Preise heraufgesetzt hatte.
Der Zweigstellenleiter versuchte, uns zu beruhigen: „Da kann ich nichts dran
machen. Die Preise werden von der Direktion festgesetzt und die hat die
Erhöhung beschlossen.“ Eine Frau rief: „Beschlossen? Wer hat ihr das
erlaubt?“ „Niemand. Es ist legal. Wir haben freie Marktwirtschaft.“ „Freien
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Markt? Für wen? Für uns? Müssen wir uns alles gefallen lassen? Ihr erhöht
einfach die Preise! Geld her oder Leben!“ Und ich: „Ihr Diebe!“ Dann habe
ich mich geduckt, damit er mich nicht sieht.
MARGHERITA Deinen Mut möchte ich haben.
ANTONIA Eine Frau hat gesagt: „Jetzt reicht es! Wir bestimmen jetzt die Preise
selber. Wir zahlen das, was wir letzten Monat bezahlt haben. Oder wir
rechnen aus, was wir gezahlt haben, als es noch die Lira gab.“ Eine andere
rief: „Die Hälfte von dem, was wir jetzt bezahlen müssen!“ Noch eine
andere: „Wenn ihr Druck macht, nehmen wir die Sachen mit und zahlen
keinen Cent! Friss oder stirb!“ Den Verkaufsleiter hättest du sehen sollen:
Blass wie ein Bettlaken: „Ihr seid verrückt geworden! Ich rufe die Polizei!“
Er rennt wie ein Wilder zur Kasse, um zu telefonieren, aber das Telefon
funktioniert nicht. Jemand hatte die Leitung rausgerissen. „Bitte, bitte! Ich
muss ins Büro! Bitte, lasst mich durch!“ Aber er kam nicht durch. Die
Frauen um ihn herum, er schubst, wir schubsen zurück mit den
Einkaufstaschen. Eine Frau tut so, als hätte sie einen Schlag in den Bauch
gekriegt und lässt sich fallen, als wäre sie ohnmächtig geworden.
MARGHERITA Großartig!
ANTONIA Ja, eine richtige Schauspielerin. Sie wirkte total echt … Eine dicke
Alte deutete mit der Hand auf den Zweigstellenleiter als wäre es eine
Maschinenpistole: „Du feiger Sack! Jetzt legt er sich mit dieser armen Frau
an. Bestimmt ist sie schwanger. Wenn die eine Fehlgeburt hat, wirst du sehn,
was sie mit dir machen. Ins Gefängnis kommst du! Du Mörder!“ Und wir
alle im Chor: „Kindermörder! Kindermörder! Kindermörder!“ Sie bricht in
lautes Lachen aus. Zum Totlachen!
MARGHERITA Und wie ging die Sache aus?
ANTONIA Dieser Schwachkopf von einem Verkaufsleiter verlor die Nerven
verlor und musste aufgeben. Und wir haben bezahlt, was wir wollten. Ich
muss sagen, ein paar haben es übertrieben und wollten anschreiben lassen
Sie lachen. ohne ihren Namen anzugeben. „Nein, ich traue ihnen nicht, sie
sind in der Lage mich anzuzeigen, wenn ich ihnen sage, wo ich wohne. Euch
kennen wir! Sie müssen uns schon vertrauen. Die Frauen erheben sich und
gehen weiter. Vertrauen ist die Seele des Geschäfts. Sagen sie doch auch
immer. Also machen sie es gut! Und viel Vertrauen!“
MARGHERITA lacht amüsiert Ha, ha!
ANTONIA Jemand ruft: „Die Polizei kommt!“
MARGHERITA lässt die Plastiktüten fallen und will davonlaufen Bist du
verrückt geworden. Ich hätte fast einen Schlag gekriegt!
ANTONIA Ja, es war falscher Alarm … Aber die Frauen liefen trotzdem davon
… die eine ließ ihre Tüten fallen … eine weinte vor Schreck. „Beruhigt
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euch“ riefen die Straßenbahner und Gemeindearbeiter, die gerade
demonstrierten, weil ihr Tarifvertrag seit drei Jahren nicht erneuert worden
ist. „Ruhe! Ruhe! Wieso habt ihr Angst vor der Polizei? Mein Gott! Es ist
euer gutes Recht, einen gerechten Preis zu zahlen! Was ihr macht, ist wie
streiken. Es ist sogar besser wie streiken, denn beim normalen Streik hat der
Arbeiter den Lohnausfall. Bei eurem Streik muss endlich mal der
Eigentümer draufzahlen. Er kriegt gar nichts!
Margherita lacht und klatscht in die Hände.
ANTONIA Die Eigentümer müssen zahlen! Und das gilt für jeden Pfennig und
jeden Cent, den sie uns in den letzten Jahren gestohlen habt, wenn ihr bei
ihm eingekauft habt!“ Und damit zogen sie los, voll gepackt mit Tüten voller
Lebensmittel.
MARGHERITA Ohne zu zahlen?
ANTONIA Ja!
MARGHERITA Und du?
ANTONIA Ich hab nachgedacht … Es war ein Kampf mit mir selber, ein
richtiger Krieg. Und dann habe ich noch mal angefangen, einzukaufen, aber
richtig. „Die müssen zahlen! Bezahlt wird nicht!“ habe ich gerufen. Und die
anderen: „Richtig so! Bezahlt wird nicht!“ Auch die Ohnmächtige hat sich
wieder erholt und ist wie eine Verrückte an den Regalen lang gelaufen:
„Bezahlt wird nicht! Bezahlt wird nicht!“ Es war wie beim Sturm auf Rom!
MARGHERITA Ist das schön! Da hätt ich dabei sein mögen! Stattdessen war
ich den ganzen Tag im Callcenter … „Guten Tag meine Name ist
Margherita, was kann ich für sie tun? Guten Tag meine Name ist Margherita,
sie interessieren sich für unser neues Sonderangebot?“
Der Zwischenvorhang wird hochgezogen. Die beiden stehen nun in Antonias
Wohnung.
ANTONIA Inzwischen hieß es, dass die Polizei kommen würde, aber wirklich.
Wir haben die Beine in die Hand genommen und sind über die Seitenstraßen
abgehauen! Zum Glück habe ich dich getroffen, sonst hätte ich die Tüten
alleine tragen müssen. Himmel, was bin ich aufgeregt! So einen
Einkaufsbummel könnte ich jeden Tag machen. Nicht nur, weil wir nichts
bezahlt haben, sondern wegen dem Gemeinschaftsgefühl. Frauen und
Männer gemeinsam für eine gerechte Sache, eine mutige Sache!
MARGHERITA Ja, aber was sagst du jetzt deinem Mann? Willst du ihm
vielleicht die Geschichte mit den Rabattmärkchen aufs Auge drücken?
ANTONIA Meinst du, die schluckt er nicht?
MARGHERITA Nie.
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ANTONIA Ja, vielleicht sollte ich nicht so dick auftragen. Das Problem ist, er
ist so gesetzestreu. Der macht mir wer weiß was für eine Szene. Ich hab
schon seit gestern kein Geld mehr und wenn ich bis morgen nicht die letzen
Strom- und Gasrechnungen bezahlt habe, sitzen wir ohne Licht im Kalten da.
Wegen der Raten für die Hypothek bin ich aus dem Gröbsten raus. Die zahle
ich seit Monaten nicht …
MARGHERITA Wenns sonst nichts ist, Geld hab ich auch keins mehr und
Miete zahl ich seit fünf Monaten keine. Wenn das mein Luigi erfährt Sie hilft
Antonia die Lebensmittel zu verstauen. Wenn ich wenigstens soviel
eingekauft hätte wie du.
ANTONIA Das kriegen wir hin. Du kannst dir mitnehmen was du brauchst.
MARGHERITA Nein, nein, ich bitte dich, das will ich nicht. Abgesehen davon,
ich hab dir ja schon gesagt, dass ich kein Geld habe.
ANTONIA Sag mal, spinnst du? Die Hälfte davon ist geschenkt und dafür soll
ich Geld nehmen? Für wen hältst du mich? Heute hast du Kredit! Da, nimms
mit. Ich weiß nicht wohin damit!
MARGHERITA Und was sage ich meinem Mann? „Ach, weißt du, das ist halb
geklaut!“ Der bringt mich um! Nein, nein.
ANTONIA während sie Schachteln aus einer Tüte nimmt Meiner tut so was
nicht. Der achtet die Gesetze. Der bringt mich um und macht mir eine Szene.
„Meine Frau ist eine Diebin!“ Der hängt seinen ehrlichen aber beschmutzten
Namen aus dem Fenster. Sie geht an den vorderen Bühnenrand öffnet das
Fenster und ruft hinaus. „Lieber sterbe ich vor Hunger, als gegen ein Gesetz
zu verstoßen! Ich habe immer alles bezahlt! Bis auf den letzten Cent … Arm
aber ehrlich!“ Dann versteckt er sich im Schrank!
MARGHERITA Im Schrank?
ANTONIA Oh ja, immer wenn wir Streit haben – seit zwanzig Jahren – er
schließt sich ein im Schrank, schwitzt wie ein Schwein und kommt nicht
raus. Er hat eine Taschenlampe dabei, ein Stühlchen und dann liest er das
Gewerkschaftsprogramm. Er kann es schon auswendig. Die Schranktür
macht er nur auf, um mich zu beschimpfen! Schluss mit dem Palaver, jetzt
mach ich uns ein gutes Süppchen. Einen Hunger hab ich.
MARGHERITA Ich auch.
ANTONIA Wir machen uns was zu futtern, Hunger! Vorhin war ich putzen im
Kinderhort und hab geholfen, die Kleinen zu füttern. Vor Hunger hab ich
ihnen den Brei weggegessen. „Iss schön, iss schön, schmeckt gut, da, schau
her, ich esse es auch. Hm, hm.“ Fast hätte ich den Löffel mitgegessen!!! Ich
sollte mich schämen, den armen Kindern die Pampe wegzuessen! Sie
betrachtet eine Dose, die sie in der Hand hält. Was ist das? Liest.
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