DIE INTERNETPLATTFORM FÜR DARSTELLENDES SPIEL BEZAHLT WIRD NICHT! von Dario Fo Komödie in zwei Akten Deutsch von Peter O. Chotjewitz - Neufassung - 1 Originaltitel: „Sotto paga! Non si paga!“ © Verlag der Autoren Frankfurt am Main, 2009 Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung und Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen und andere audiovisuelle Medien, auch einzelner Abschnitte. Das Recht der Aufführung ist nur zu erwerben von der VERLAG DER AUTOREN GmbH & Co. KG Taunusstraße 19, 60329 Frankfurt am Main Tel. 069/238574-20, Fax 069/24277644 E-Mail: [email protected] www.verlagderautoren.de Den Bühnen und Vereinen gegenüber als Manuskript gedruckt. Dieses Exemplar kann, wenn es nicht als Aufführungsmaterial erworben wird, nur kurzfristig zur Ansicht entliehen werden. Dieser Text gilt bis zum Tage der Uraufführung als nicht veröffentlicht im Sinne des Urhebergesetzes. Es ist nicht gestattet, vor diesem Zeitpunkt das Werk oder einzelne Teile daraus zu beschreiben oder seinen Inhalt in sonstiger Weise öffentlich mitzuteilen oder sich mit ihm öffentlich auseinanderzusetzen. Der Verlag behält sich vor, gegen ungenehmigte Veröffentlichungen gerichtliche Maßnahmen einleiten zu lassen. 2 Bezahlt wird nicht 3 Vor nicht allzu langer Zeit träumten wir von einer Arbeiterklasse, die Kraft und Würde besaß. Heute planen ihre Führer eine Partei der Banken. 4 Prolog DARIO Das Stück, das wir gleich spielen werden, wurde zum ersten Mal 1974 aufgeführt. Als wir Premiere hatten, wirkte die Geschichte ziemlich unmöglich, direkt surreal. Tatsächlich berichteten wir von Vorfällen, die sich noch nicht ereignet hatten. Unsere Geschichte handelte von Frauen in einem Mailänder Vorort, die in einen Supermarkt gingen, um einzukaufen, und feststellten, dass die Preise übermäßig gestiegen waren. Sie ärgerten sich und beschlossen, nur die Hälfte der auf den Waren angegebenen Preise zu zahlen und dann überhaupt nicht zu bezahlen. Unsere Geschichte war die reine Phantasie. Ich entsinne mich, anfangs, als wir das Stück in der Palazzzina aufführten, nannten wir die ungehörige Aneignung „proletarischer Einkauf“, „ziviler Ungehorsam“. Einige Kritiker warfen uns vor, unser Theaterstück sei Politphantasie. Wir hätten übertrieben paradoxe und unwahrscheinliche Einfälle. Offensichtlich waren diese Journalisten nicht sonderlich über die Realität unterrichtet – Leute, die nicht einmal die Zeitung lasen, für die sie schrieben, und deshalb keine Ahnung hatten. Ein paar Monate später ereignete sich nämlich das, was wir auf die Bühne gebracht hatten. Genau das gleiche! Die Wagemutigen, die den proletarischen Einkauf verübt hatten, wurden verhaftet und bestraft. Während der Gerichtsverhandlung forderte der Chefredakteur der Zeitung „il Giornale“ den Richter auf, auch uns zu verurteilen. Mit unserer Komödie hätten wir die Arbeiter dazu inspiriert und aufgehetzt, das Verbrechen einer unrechtmäßigen Bereicherung zu begehen. 5 PERSONEN ANTONIA MARGHERITA, Antonias jüngere Freundin GIOVANNI, Antonias Mann LUIGI, Margheritas Mann POLIZIST, CARABINIERE, LEICHENBESTATTER, ALTER, BANKDIREKTOR, MÖBELPACKER – alle sechs Rollen können vom gleichen Schauspieler gespielt werden. 6 Erster Akt Szene: Zwischenvorhang. Dahinter verborgen die Küche einer einfachen Arbeiterwohnung. Links eine Küchenkredenz mit verglasten Türen und ein Feldbett. Rechts ein Garderobenständer und ein eintüriger Kleiderschrank. In der Mitte ein Tisch und drei Stühle. An der Rückwand eine zweite Kredenz mit Anrichte, ein Kühlschrank, ein Gasherd und, gleich daneben, ein Schweißgerät mit zwei Gasflaschen. Wenn das Licht eingeschaltet wird, treten Antonia, die Besitzerin der Wohnung, und ihre Freundin Margherita vor den Zwischenvorhang. Sie befinden sich noch auf der Straße und sind mit prallvollen Plastiktüten bepackt. ANTONIA Ein Glück, dass ich dich getroffen habe, sonst hätte ich wirklich nicht gewusst wie ich die Sachen hätte schleppen sollen … ich muss erst mal Luft holen. MARGHERITA Darf man fragen, woher du das Geld hast, um soviel einzukaufen? ANTONIA Sag ich dir doch: Mit Rabattmärkchen! In einer Packung Waschmittel habe ich sogar eine Goldmünze gefunden … mit dem Papst drauf. Gott hat ihm seine Gnade entzogen, weil er im Lotto fünfunddreißig Millionen verloren hat. MARGHERITA Kein Glaube mehr! Endlich haben auch die Reichen was zu beweinen! Hör auf mir solche Lügen zu erzählen. Eine Goldmünze! ANTONIA Glaubst du mir nicht? MARGHERITA Nicht die Bohne! ANTONIA Gut, dann erzähle ich dir eine andere Geschichte … Es war einmal … Margherita steht ärgerlich auf und will gehen. ANTONIA Wo gehst du hin? MARGHERITA Machs gut! ANTONIA Nervensäge! Setz dich … komm, ich erzähl dir die Wahrheit. MARGHERITA setzt sich auf eine Mineralwasserkiste Erzähl schon. ANTONIA Heute Vormittag gehe ich einkaufen, Schnäppchentag. Wir kommen zum Supermarkt … es waren schon eine Menge Frauen da, auch ein paar Männer, die Radau machten, weil der Laden die Preise heraufgesetzt hatte. Der Zweigstellenleiter versuchte, uns zu beruhigen: „Da kann ich nichts dran machen. Die Preise werden von der Direktion festgesetzt und die hat die Erhöhung beschlossen.“ Eine Frau rief: „Beschlossen? Wer hat ihr das erlaubt?“ „Niemand. Es ist legal. Wir haben freie Marktwirtschaft.“ „Freien 7 Markt? Für wen? Für uns? Müssen wir uns alles gefallen lassen? Ihr erhöht einfach die Preise! Geld her oder Leben!“ Und ich: „Ihr Diebe!“ Dann habe ich mich geduckt, damit er mich nicht sieht. MARGHERITA Deinen Mut möchte ich haben. ANTONIA Eine Frau hat gesagt: „Jetzt reicht es! Wir bestimmen jetzt die Preise selber. Wir zahlen das, was wir letzten Monat bezahlt haben. Oder wir rechnen aus, was wir gezahlt haben, als es noch die Lira gab.“ Eine andere rief: „Die Hälfte von dem, was wir jetzt bezahlen müssen!“ Noch eine andere: „Wenn ihr Druck macht, nehmen wir die Sachen mit und zahlen keinen Cent! Friss oder stirb!“ Den Verkaufsleiter hättest du sehen sollen: Blass wie ein Bettlaken: „Ihr seid verrückt geworden! Ich rufe die Polizei!“ Er rennt wie ein Wilder zur Kasse, um zu telefonieren, aber das Telefon funktioniert nicht. Jemand hatte die Leitung rausgerissen. „Bitte, bitte! Ich muss ins Büro! Bitte, lasst mich durch!“ Aber er kam nicht durch. Die Frauen um ihn herum, er schubst, wir schubsen zurück mit den Einkaufstaschen. Eine Frau tut so, als hätte sie einen Schlag in den Bauch gekriegt und lässt sich fallen, als wäre sie ohnmächtig geworden. MARGHERITA Großartig! ANTONIA Ja, eine richtige Schauspielerin. Sie wirkte total echt … Eine dicke Alte deutete mit der Hand auf den Zweigstellenleiter als wäre es eine Maschinenpistole: „Du feiger Sack! Jetzt legt er sich mit dieser armen Frau an. Bestimmt ist sie schwanger. Wenn die eine Fehlgeburt hat, wirst du sehn, was sie mit dir machen. Ins Gefängnis kommst du! Du Mörder!“ Und wir alle im Chor: „Kindermörder! Kindermörder! Kindermörder!“ Sie bricht in lautes Lachen aus. Zum Totlachen! MARGHERITA Und wie ging die Sache aus? ANTONIA Dieser Schwachkopf von einem Verkaufsleiter verlor die Nerven verlor und musste aufgeben. Und wir haben bezahlt, was wir wollten. Ich muss sagen, ein paar haben es übertrieben und wollten anschreiben lassen Sie lachen. ohne ihren Namen anzugeben. „Nein, ich traue ihnen nicht, sie sind in der Lage mich anzuzeigen, wenn ich ihnen sage, wo ich wohne. Euch kennen wir! Sie müssen uns schon vertrauen. Die Frauen erheben sich und gehen weiter. Vertrauen ist die Seele des Geschäfts. Sagen sie doch auch immer. Also machen sie es gut! Und viel Vertrauen!“ MARGHERITA lacht amüsiert Ha, ha! ANTONIA Jemand ruft: „Die Polizei kommt!“ MARGHERITA lässt die Plastiktüten fallen und will davonlaufen Bist du verrückt geworden. Ich hätte fast einen Schlag gekriegt! ANTONIA Ja, es war falscher Alarm … Aber die Frauen liefen trotzdem davon … die eine ließ ihre Tüten fallen … eine weinte vor Schreck. „Beruhigt 8 euch“ riefen die Straßenbahner und Gemeindearbeiter, die gerade demonstrierten, weil ihr Tarifvertrag seit drei Jahren nicht erneuert worden ist. „Ruhe! Ruhe! Wieso habt ihr Angst vor der Polizei? Mein Gott! Es ist euer gutes Recht, einen gerechten Preis zu zahlen! Was ihr macht, ist wie streiken. Es ist sogar besser wie streiken, denn beim normalen Streik hat der Arbeiter den Lohnausfall. Bei eurem Streik muss endlich mal der Eigentümer draufzahlen. Er kriegt gar nichts! Margherita lacht und klatscht in die Hände. ANTONIA Die Eigentümer müssen zahlen! Und das gilt für jeden Pfennig und jeden Cent, den sie uns in den letzten Jahren gestohlen habt, wenn ihr bei ihm eingekauft habt!“ Und damit zogen sie los, voll gepackt mit Tüten voller Lebensmittel. MARGHERITA Ohne zu zahlen? ANTONIA Ja! MARGHERITA Und du? ANTONIA Ich hab nachgedacht … Es war ein Kampf mit mir selber, ein richtiger Krieg. Und dann habe ich noch mal angefangen, einzukaufen, aber richtig. „Die müssen zahlen! Bezahlt wird nicht!“ habe ich gerufen. Und die anderen: „Richtig so! Bezahlt wird nicht!“ Auch die Ohnmächtige hat sich wieder erholt und ist wie eine Verrückte an den Regalen lang gelaufen: „Bezahlt wird nicht! Bezahlt wird nicht!“ Es war wie beim Sturm auf Rom! MARGHERITA Ist das schön! Da hätt ich dabei sein mögen! Stattdessen war ich den ganzen Tag im Callcenter … „Guten Tag meine Name ist Margherita, was kann ich für sie tun? Guten Tag meine Name ist Margherita, sie interessieren sich für unser neues Sonderangebot?“ Der Zwischenvorhang wird hochgezogen. Die beiden stehen nun in Antonias Wohnung. ANTONIA Inzwischen hieß es, dass die Polizei kommen würde, aber wirklich. Wir haben die Beine in die Hand genommen und sind über die Seitenstraßen abgehauen! Zum Glück habe ich dich getroffen, sonst hätte ich die Tüten alleine tragen müssen. Himmel, was bin ich aufgeregt! So einen Einkaufsbummel könnte ich jeden Tag machen. Nicht nur, weil wir nichts bezahlt haben, sondern wegen dem Gemeinschaftsgefühl. Frauen und Männer gemeinsam für eine gerechte Sache, eine mutige Sache! MARGHERITA Ja, aber was sagst du jetzt deinem Mann? Willst du ihm vielleicht die Geschichte mit den Rabattmärkchen aufs Auge drücken? ANTONIA Meinst du, die schluckt er nicht? MARGHERITA Nie. 9 ANTONIA Ja, vielleicht sollte ich nicht so dick auftragen. Das Problem ist, er ist so gesetzestreu. Der macht mir wer weiß was für eine Szene. Ich hab schon seit gestern kein Geld mehr und wenn ich bis morgen nicht die letzen Strom- und Gasrechnungen bezahlt habe, sitzen wir ohne Licht im Kalten da. Wegen der Raten für die Hypothek bin ich aus dem Gröbsten raus. Die zahle ich seit Monaten nicht … MARGHERITA Wenns sonst nichts ist, Geld hab ich auch keins mehr und Miete zahl ich seit fünf Monaten keine. Wenn das mein Luigi erfährt Sie hilft Antonia die Lebensmittel zu verstauen. Wenn ich wenigstens soviel eingekauft hätte wie du. ANTONIA Das kriegen wir hin. Du kannst dir mitnehmen was du brauchst. MARGHERITA Nein, nein, ich bitte dich, das will ich nicht. Abgesehen davon, ich hab dir ja schon gesagt, dass ich kein Geld habe. ANTONIA Sag mal, spinnst du? Die Hälfte davon ist geschenkt und dafür soll ich Geld nehmen? Für wen hältst du mich? Heute hast du Kredit! Da, nimms mit. Ich weiß nicht wohin damit! MARGHERITA Und was sage ich meinem Mann? „Ach, weißt du, das ist halb geklaut!“ Der bringt mich um! Nein, nein. ANTONIA während sie Schachteln aus einer Tüte nimmt Meiner tut so was nicht. Der achtet die Gesetze. Der bringt mich um und macht mir eine Szene. „Meine Frau ist eine Diebin!“ Der hängt seinen ehrlichen aber beschmutzten Namen aus dem Fenster. Sie geht an den vorderen Bühnenrand öffnet das Fenster und ruft hinaus. „Lieber sterbe ich vor Hunger, als gegen ein Gesetz zu verstoßen! Ich habe immer alles bezahlt! Bis auf den letzten Cent … Arm aber ehrlich!“ Dann versteckt er sich im Schrank! MARGHERITA Im Schrank? ANTONIA Oh ja, immer wenn wir Streit haben – seit zwanzig Jahren – er schließt sich ein im Schrank, schwitzt wie ein Schwein und kommt nicht raus. Er hat eine Taschenlampe dabei, ein Stühlchen und dann liest er das Gewerkschaftsprogramm. Er kann es schon auswendig. Die Schranktür macht er nur auf, um mich zu beschimpfen! Schluss mit dem Palaver, jetzt mach ich uns ein gutes Süppchen. Einen Hunger hab ich. MARGHERITA Ich auch. ANTONIA Wir machen uns was zu futtern, Hunger! Vorhin war ich putzen im Kinderhort und hab geholfen, die Kleinen zu füttern. Vor Hunger hab ich ihnen den Brei weggegessen. „Iss schön, iss schön, schmeckt gut, da, schau her, ich esse es auch. Hm, hm.“ Fast hätte ich den Löffel mitgegessen!!! Ich sollte mich schämen, den armen Kindern die Pampe wegzuessen! Sie betrachtet eine Dose, die sie in der Hand hält. Was ist das? Liest. 10