Artificial Embryology (Arbeiten von Peter Eggenberger) von Peter Schmutter Vogelpothsweg 116, Zimmer 212 44227 Dortmund Tel.: 0231/ 7949045 E-mail: [email protected] Website: www.Schmutter.de 26. Juni 2000 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 2 2 Künstliche Evolution 3 2.1 Prinzipien von evolutionären Ansätzen..................................................................................3 2.2 Warum Artificial Embryology?..............................................................................................4 3 Einige Aspekte der natürlichen Ontogenese 5 3.1 Wesentliche Prozesse der Ontogenese...................................................................................5 3.2 Genprodukte und deren Funktionen.......................................................................................5 3.3 Anordnung der Gene auf der DNA........................................................................................6 3.4 Differenzierung von Zellen durch Genregulation....................................................................6 4 Künstliche Ontogenese bei Peter Eggenberger 7 4.1 Die Umgebung für die Ontogenese........................................................................................7 4.2 Der sich entwickelnde Organismus........................................................................................7 4.3 Das künstliche Genom...........................................................................................................7 4.3.1 Struktur.........................................................................................................................7 4.3.2 Funktionen der Struktur-Gene.......................................................................................8 4.3.3 Interaktionen zwischen den Genen.................................................................................9 4.4 Ablauf der Ontogenese........................................................................................................10 5 Ablauf der Phylogenese bei Peter Eggenberger 10 6 Ansätze anderer Autoren 11 7 Zusammenfassung und Ausblick 11 8 Literatur 12 9 Internet-Links 12 1 Einleitung 1 2 Einleitung Zur Betrachtung der hier vorgestellten Inhalte ist es sinnvoll, sich zunächst einige medizinische und biologische Fachbegriffe anzueignen. Das Thema dieser Arbeit ist nämlich sehr biologisch geprägt. Die wichtigsten Fachbegriffe, die im Laufe der Arbeit verwendet werden, sind die folgenden: p DNA / DNS = Molekül, das Träger der Erbinformationen in den Zellen ist. p Gen = Ein Abschnitt auf der DNA, der die Information für eine nachweisbare Funktion oder für eine Struktur der Zelle trägt. p Genom = Die Gesamtheit der genetischen Information in einer Zelle. p Genotyp = Die in einzelnen Genen oder im Genom enthaltene genetische Information einer Zelle oder eines Organismus. p Phänotyp = Die Strukturen, Stoffe und Funktionen einer Zelle oder eines Organismus, die sich auf der Grundlage des Genotyps in Wechselwirkung mit Umweltfaktoren entwickeln. p Crossover = Der Austausch genetischer Information durch Wiedervereinigung der elterlichen DNA-Stränge einer Keimzelle. Bruch und kreuzweise p Mutation = Eine bleibende Veränderung am genetischen Material, die nicht zielgerichtet ist und der Zelle oder dem Träger deswegen meist Nachteile bringt (aber eben manchmal auch Vorteile). p Phylogenese = Die Entwicklung neuerer Stämme aus erdgeschichtlich älteren (also die Entwicklung der Art bzw. die Evolution). p Ontogenese = Verlauf der typischen Entwicklung eines Organismus vom befruchteten Ei bis zum Abschluß von Wachstum und Differenzierung (also die individuelle Entwicklung). In Kapitel 2 wird zunächst ganz allgemein auf verschiedene Ansätze zur künstlichen Evolution eingegangen und deren grundlegende Prinzipien vorgestellt. Diese Betrachtungen werden dazu benutzt, um die Arbeiten von Peter Eggenberger zu rechtfertigen. Kapitel 3 geht auf das Vorbild der Arbeiten von Peter Eggenberger ein und stellt einige Aspekte der natürlichen Ontogenese vor. In Kapitel 3.1 werden die für die Ontogenese von Organismen wesentlichen Prozesse vorgestellt. Kapitel 3.2 gibt einige Beispiele für Substanzen, die u.a. mit Hilfe der Gene in den Zellen hergestellt werden. Dabei werden sowohl für höhere Organismen wesentliche als auch für die Ontogenese im Allgemeinen wesentliche Genprodukte angesprochen. Nur die letzteren sind auch im Modell von Peter Eggenberger integriert. Kapitel 3.3 gibt dann einen groben Überblick über die Struktur des natürlichen Genoms, wobei nur die Anordnung der Information betrachtet wird, also weder der chemische Aufbau noch die Aufteilung auf verschiedene Chromosomen (d.h. DNA-Untereinheiten) bei höheren Organismen. Schließlich wird in Kapitel 3.4 auf Zelldifferenzierung durch Genregulation im Allgemeinen und auf eine der Regulationsmöglichkeiten, die auch im Modell benutzt wird, eingegangen. In Kapitel 4 wird die Implementierung der künstlichen Ontogenese von Peter Eggenberger vorgestellt. Zunächst wird in Kapitel 4.1 die Umgebung und in Kapitel 4.2 der sich entwickelnde Organismus beschrieben. Dann werden in Kapitel 4.3 die Struktur des künstlichen Genoms, die Funktionen der verschiedenen Gene und die verschiedenen Interaktionsmöglichkeiten zwischen den Genen erklärt. In Kapitel 4.4 wird dann der Ablauf der Ontogenese in der Implementierung beschrieben. 1 Einleitung 3 Kapitel 5 beschreibt den Ablauf der gesamten Evolution, d.h. der Phylogenese in dem Modell von Peter Eggenberger. In Kapitel 6 wird ganz kurz auf andere Ansätze zur künstlichen Ontogenese und zu Modellen der künstlichen Evolution, die eine wirkliche Ontogenese beinhalten, hingewiesen. Es handelt sich hier nur um eine kleine Hilfestellung, um weitere Ansätze finden zu können. Zum Abschluß werden in Kapitel 7 die wesentlichen Vorteile und Probleme des Ansatzes noch einmal rekapituliert und Ideen für weitere Forschungen aufgezeigt. 2 Künstliche Evolution 2.1 Prinzipien von evolutionären Ansätzen Die künstliche Evolution ist ein noch recht junges Forschungsgebiet, das sich aber bereits in sehr viele Teilbereiche aufgespalten hat. Den meisten Ansätzen gemeinsam sind aber die folgenden Eigenschaften: Eine Ideallösung kann nicht garantiert werden. Es kann sein, daß die Verfahren in lokalen Optima stecken bleiben, aber im Durchschnitt liefern sie sehr gute Ergebnisse. Die evolutionären Ansätze sind also Heuristiken. Alle evolutionären Ansätze verwenden Strategien aus der Evolutionstheorie (daher auch ihr Name). Es wird eine „Population“ von Lösungsansätzen erzeugt, in der dann die einzelnen Individuen im Überlebenskampf („survival of the fittest“) gegen die anderen bestehen müssen. Lösungen für Probleme oder eine Basis für ihre eigenständige Entwicklung in Form einer Ontogenese müssen dazu als genetischer Code formuliert werden, der dann der Selektion gemäß der Fitneß des aus ihm entstehenden Organismus unterworfen wird. Außerdem werden die zwei Hauptmechanismen der natürlichen Änderung des Erbgutes übernommen: „Crossover“ aus der geschlechtlichen Fortpflanzung und die jederzeit durch viele verschiedene Ursachen stattfindenden zufälligen Mutationen. Als Dimensionen zur Unterscheidung von verschiedenen Ansätzen zur künstlichen Evolution kann man mit [7] folgende vier Gesichtspunkte betrachten: Codierung p binär p reell p Zeichenfolge p weitere (z.B. Graph) Ontogenese p keine individuelle Entwicklung (Phänotyp = Genotyp) Selektion p „roulette wheel“ (Wahrscheinlichkeit proportional zu Fitneß) p „elitism“ (die Besten kommen unverändert weiter) p Entwicklung mit p „rank selection“ (Wahrscheinoder ohne lichkeit nach Fitneß-Rang) Wechselwirkung mit der Umgebung p „tournament“ (Wettkämpfe zwischen Individuen, wobei die jeweils fitteren überleben) p „steady-state“ (nur ein kleiner Teil der Population wird jeweils verändert) Reproduktion p Mutation p Crossover 2.1 Prinzipien von evolutionären Ansätzen 4 Um zu verstehen, wo im Ablauf der künstlichen Evolution die Ontogenese ihren Platz hat, lohnt es sich, diesen Ablauf an einem Schaubild zu betrachten: Abbildung 1: Ablauf der Phylogenese (aus [7]) Der Übergang vom Genotyp zum Phänotyp ist die Ontogenese (hier als Development bezeichnet). Aus den genetischen Informationen bildet sich im Zusammenspiel mit der Umwelt bei der Ontogenese also der vollständige Organismus. Dieser ist dann wiederum in Interaktion mit der Umwelt (den konkurrierenden Organismen und anderen Umweltfaktoren) der Selektion unterworfen. Schließlich reproduzieren sich die verbleibenden Organismen und deren durch Mutation und Rekombination veränderte oder auch unverändert beibehaltene Genome bilden die Grundlage für die nächste Generation. 2.2 Warum Artificial Embryology? Die Idee, in der Phylogenese (also der Evolution) auch die Ontogenese (also die individuelle Entwicklung) zu integrieren und beides auf dem Computer zu simulieren, ist nicht neu. Trotzdem haben die meisten bisherigen Ansätze zur künstlichen Evolution keine wirkliche Ontogenese verwirklicht. Entweder ist wird die Selektion direkt auf dem Genotyp (also auf der Lösungsbeschreibung in Form der genetischen Information) ausgeführt oder es existiert eine einfache Abbildung der Repräsentation im Genotyp auf Eigenschaften des Phänotyps ohne eine wirkliche Entwicklungsphase. Der Grund dafür ist, daß die Ontogenese die sowieso bei evolutionären Ansätzen kritische Rechenzeit weiter in die Höhe schnellen läßt. Mit den immer schneller werdenden Rechnern wird nun langsam aber auch die Integration der Ontogenese möglich, was bewirkt, daß es immer mehr Arbeiten zu diesem Thema gibt. Die Integration einer wirklichen Ontogenese hat einige entscheidende Vorteile gegenüber den bisherigen Ansätzen: p Eine Ontogenese ermöglicht anscheinend erst die Evolution von sehr komplexen Organismen. p Die Länge des Genoms wächst nicht proportional mit der Komplexität des Organismus. p Kommunikation zwischen den Zellen im Entwicklungsprozeß ermöglicht das Nutzen von Selbstorganisation (zum Beispiel zur Zelldifferenzierung oder bei der Entwicklung gleichmäßiger Formen). 2.2 Warum Artificial Embryology? 5 p Die Simulation wird naturähnlicher. p Man kann die Ontogenese nun auch am operationalen Modell studieren. 3 Einige Aspekte der natürlichen Ontogenese Da die Ontogenese in der Natur ein äußerst komplexer Vorgang ist, der auch von den Biologen und Medizinern noch nicht vollständig in allen Einzelheiten verstanden wird, macht es weder Sinn, diese hier vollständig beschreiben zu wollen, noch zu versuchen, sie komplett auf das im Computer implementierte Modell zu übertragen. Das hat Peter Eggenberger mit seinem Ansatz auch bei weitem nicht gemacht. Er hat aber doch eine ganze Reihe von Erkenntnissen über die natürliche Ontogenese aus der Biologie in sein Modell integriert. Um diese zu verstehen, werden in diesem Kapitel einige Aspekte des natürlichen Vorbilds angesprochen, die für die Implementierung von Bedeutung sind. Die große Differenz zwischen den natürlichen Vorgängen und dem simulierten Modell wird in Kapitel 3.2 deutlich, wenn nicht nur die im Modell verwirklichten, sondern auch einige für höhere Lebewesen lebensnotwendigen Genprodukte aufgelistet werden. 3.1 Wesentliche Prozesse der Ontogenese Für die natürliche Ontogenese sind folgenden Prozesse von entscheidender Bedeutung: p Die Zellteilung mit Verdopplung der DNA („Mitose“), p die Zelldifferenzierung durch Genregulation (Genaueres dazu siehe Kapitel 3.4) und p der Zelltod. Für Nervenzellen ist außerdem die Zelladhäsion wichtig, d.h. der Prozeß des Aufbaus von Verbindungen zwischen Nervenzellen über Synapsen. Alle diese Prozesse werden durch Genprodukte, also durch Substanzen, die aufgrund der Aktivität bestimmter Gene in den Zellen gebildet werden, gesteuert. 3.2 Genprodukte und deren Funktionen Diese Genprodukte sind in den allermeisten Fällen Proteine. Die Protein-Biosynthese ist eine der wesentlichen Leistungen von Genen. Verschiedene Gene erzeugen verschiedene Proteine. Einige Beispiele, die für die Funktion und den Aufbau von höheren Lebewesen von entscheidender Bedeutung sind, sind die folgenden: Genprodukt Funktion Kollagen Wichtiger Bestandteil der Binde- und Stützgewebe, sehr zugfest Myosin und Aktin Bestandteile von Muskeln, die die Kontraktion ermöglichen Hämoglobin Sauerstofftransport in den roten Blutkörperchen Antikörper Spielen eine wichtige Rolle in der Immunabwehr Enzyme Biokatalysatoren, die die Stoffwechselprozesse im Organismus stimulieren 3.2 Genprodukte und deren Funktionen 6 Für die oben angesprochenen Prozesse der Ontogenese eines ganz einfach strukturierten Zellhaufens sind aber nur die folgenden Genprodukte notwendig: Genprodukt Funktion Transkriptionsfaktoren Können bestimmte Gene oder Gengruppen aktivieren oder deaktivieren. (Weiteres siehe Kapitel 3.4) Rezeptoren Bewirken die Aktivierung bzw. Deaktivierung von Genen bei Vorhandensein von bestimmten Stoffen an der Zelloberfläche Zelladhäsionsmoleküle Sind für den Aufbau von Verbindungen zwischen Nervenzellen von wesentlicher Bedeutung Es sind auch nur die letzteren Genprodukte in dem Modell von Peter Eggenberger realisiert. 3.3 Anordnung der Gene auf der DNA Nur bei ganz einfachen Organismen (zum Beispiel Blaualgen, Bakterien, Viren) liegen die Gene unmittelbar hintereinander auf der DNA. Ansonsten sind sie durch nichtinformative DNA-Abschnitte getrennt. Man kann Gene unterteilen in Struktur-Gene, die tatsächlich zur Protein-Biosynthese eingesetzt werden, wenn sie aktiviert sind, und in Regulator-Gene, die die Aktivität von Struktur-Genen regeln. Mehrere Struktur-Gene können durch ein oder mehrere Regulator-Gene zusammenhängend reguliert werden. (Mehr zur Genregulation im nächsten Kapitel.) Ein Cluster von zusammenhängend regulierten Genen wird in [6] wie folgt dargestellt: Abbildung 2: Gemeinsam geregeltes Gencluster (aus [6]) Hier handelt es sich um Gene für den Lactoseabbau (daher lac ...) bei dem Bakterium Escherichia coli. Die P-O - Region dient der Anheftung des Enzyms Polymerase, das beim Aufbau von Proteinen hilft. 3.4 Differenzierung von Zellen durch Genregulation Früher wurde angenommen, daß Veränderungen des DNA-Gehaltes einer Zelle für deren Spezialisierung verantwortlich ist. Inzwischen ist dies widerlegt. Jede Zelle eine Organismus enthält die gesamte genetische Information. Eine Zelle differenziert sich dadurch, daß manche Gene aktiviert und andere deaktiviert sind. Das Aktivierungsmuster der Gene bestimmt also den Zelltyp. Das Regulator-Gen aktiviert oder deaktiviert die ihm zugeordneten Struktur-Gene abhängig vom Vorkommen von bestimmten zu dem Regulator-Gen passenden Genprodukten (Transkriptionsfaktoren) in der Zelle oder an der Zelloberfläche. Die Zelldifferenzierung beruht also auf Unterschieden im Mengenverhältnis der Genprodukte. Durch diesen Mechanismus wird eine Kommunikation zwischen den Zellen ermöglicht. Eine Zelle kann eine Substanz produzieren und ausschütten und dadurch eine andere Zelle dazu anregen, sich zu teilen, 3.4 Differenzierung von Zellen durch Genregulation 7 eine andere Substanz auszuschütten oder etwas anderes zu tun. Wenn die zweite Zelle eine Substanz ausschüttet, hat diese unter Umständen wiederum eine Wirkung auf das Verhalten der ersten Zelle. Es können also sehr komplexe Wechselwirkungen entstehen, die nicht ohne weiteres vorherzusehen sind. 4 Künstliche Ontogenese bei Peter Eggenberger Dies Kapitel führt in die in Peter Eggenbergers Artificial Evolutionary System implementierte Ontogenese und ihre Eigenschaften ein. 4.1 Die Umgebung für die Ontogenese Zunächst muß man die Umgebung bzw. die Umwelt betrachten, in der der Organismus aufwächst. Diese ist definiert durch ein 3D-Gitter mit typischerweise 30×30×30 Punkten. Zellen dürfen nur auf den Punkten des Gitters sein, wobei sich an jedem der Punkte höchstens eine Zelle befinden darf. Auch die Konzentration der von den Zellen ausgeschütteten Substanzen wird nur an den Gitterpunkten betrachtet, und zwar nur dort, wo auch eine Zelle ist, auf die sie wirken können. Mit wachsendem Abstand zur Quelle der Substanz nimmt ihre Konzentration ab. Am Anfang der Ontogenese wird die Ausgangszelle in der Mitte des Gitters plaziert. Außerdem können Quellen von verschiedenen Transkriptionsfaktoren an beliebigen Stellen im Gitter angeordnet werden, um auf die Zelldifferenzierung einzuwirken. Zum Beispiel könnten bestimmte Formen erreicht werden, indem ab einem bestimmten Abstand zu diesen Quellen die Zellteilung deaktiviert wird. 4.2 Der sich entwickelnde Organismus Der sich entwickelnde Organismus ist dann ein strukturierter Zellhaufen, bzw. ein 3D-Körper aus Zellen, wobei die Zellen Kugeln mit je nach Typ der Zelle unterschiedlicher Farbe sind. Ein solcher Organismus kann dann zum Beispiel so aussehen: Abbildung 3: Zwei verschiedene Organismen (aus [5]) 4.3 4.3.1 Das künstliche Genom Struktur Das künstliche Genom ist als eine Zeichenfolge codiert, die allerdings nur aus den Ziffern 0-6 bestehen darf. Diese Zahlenfolge ist aufgeteilt in Gene und Units (medizinisch „Operone“ genannt). Units (bzw. Operone) sind Gencluster, deren Aktivität zusammenhängend geregelt ist. Diese wurden bereits in Kapitel 3.3 angesprochen. 4.3.1 Struktur 8 Die Unterteilung in Gene und Units geschieht mit Hilfe von Markern. Als Marker dienen die Ziffern 0, 5 und 6. Am Ende jedes Gens steht ein solcher Marker und bestimmt den Typ des Gens. Mit den Gentypen sind dann auch die Units abgegrenzt, denn Regulator-Gene regeln immer alle rechts von ihnen stehenden Struktur-Gene bis zum ersten Struktur-Gen mit dem Marker 6: Marker 5 0 6 Gentyp Regulator-Gen normales Struktur-Gen letztes Struktur-Gen einer Unit Eine Unit des Genoms könnte zum Beispiel wie folgt aussehen: 3241223232345 324122343234320 212134344124326 Regulator-Gen Struktur-Gen Die verbleibenden Ziffern 1, 2, 3 und 4 codieren die Information der Gene. Diese Information ist wiederum in je nach Gentyp verschiedene weitere Abschnitte unterteilt: Struktur-Gen: Regulator-Gen: 32412232 3234 5 Affinity Lineage Marker 324 122 34323432 0 Function Range Affinity Marker Dabei haben die einzelnen Abschnitte die folgenden Funktionen: p „Lineage“ gibt für die ersten vier entstehenden Zellen an, ob die entsprechende Unit aktiviert oder deaktiviert sein soll. p „Affinity“ ist ein Muster, mit dem bestimmt wird (nach Ähnlichkeit), ob das/ein Genprodukt Auswirkungen auf ein/das Regulator-Gen hat. p „Function“ bestimmt die Funktion des Struktur-Gens. (Weiteres dazu auf Folie .) p „Range“ bestimmt die Reichweite des erzeugten Genprodukts. Die Einteilung der verschiedenen Abschnitte ist vorgegeben und bestimmt sich durch die jeweilige Anzahl der Ziffern. Der „Function“-Abschnitt besteht zum Beispiel immer aus den ersten drei Ziffern eines Struktur-Gens. 4.3.2 Funktionen der Struktur-Gene In der folgenden Abbildung werden alle implementierten möglichen Funktionen von Struktur-Genen dargestellt: Zunächst kann ein Transkriptionsfaktor ausgeschüttet werden, der aus der Zelle austritt und auf die Gene in und Rezeptoren an anderen Zellen wirkt. 4.3.2 Funktionen der Struktur-Gene 9 Abbildung 4: Funktionen von Struktur-Genen (aus [5]) Weiterhin kann ein Struktur-Gen einen Rezeptor produzieren und an die Zelloberfläche bringen. Dies Struktur-Gen wirkt dann auch als Regulator-Gen. Ein von einem Struktur-Gen ausgeschütteter Transkriptionsfaktor wirkt natürlich auch auf die Regulator-Gene innerhalb der selben Zelle. Die nächste dargestellte Funktion ist zum Aufbau von neuronalen Netzen notwendig. Hier erzeugt das Struktur-Gen ein Zelladhäsionsmolekül (CAM steht für „cell adhesion molecule“), das den Aufbau einer Verbindung zu einer anderen Nervenzelle erlaubt, wenn diese ein passendes AffinityMuster hat und einen Partner für eine Verbindung sucht. Die weiteren möglichen Funktionen eines Struktur-Gens, die in der Abbildung nur schriftlich dargestellt sind, sind die Zellteilung, der Zelltod und die im letzten Absatz angesprochene Suche nach einem Partner für den Aufbau einer Verbindung zwischen zwei Nervenzellen. 4.3.3 Interaktionen zwischen den Genen Es gibt drei verschiedene implementierte Möglichkeiten, wie Gene ihre Aktivität gegenseitig beeinflussen können. Diese sind bereits in den vorhergehenden Kapiteln angesprochen worden und sollen hier noch noch einmal zur Verdeutlichung bildlich dargestellt werden: Abbildung 5: Interaktionsmöglichkeiten (aus [5]) 4.3.3 Interaktionen zwischen den Genen 10 Ein Transkriptionsfaktor kann also innerhalb der selben Zelle auf eine andere Unit wirken, er kann in eine andere Zelle gelangen und dort ein Regulator-Gen einstellen oder er kann auf einen an der Zelloberfläche einer fremden oder der eigenen Zelle liegenden Rezeptor wirken. Die Kombination dieser drei Möglichkeiten mit den verschiedenen Sorten von Transkriptionsfaktoren ergibt eine sehr komplexe Kommunikation zwischen den Genen der selben und verschiedener Zellen. 4.4 Ablauf der Ontogenese Der Ablauf der Ontogenese in dem von Peter Eggenberger implementierten System läßt sich am besten in einer Art Algorithmus mit vier Schritten darstellen, der zyklisch durchlaufen wird: 1. Das Genom wird erzeugt: 2. Genregulation: Lineage-Abschnitt + Ontogenesebeginn → Aktivität der Units wird daraus bestimmt. Ansonsten → Jede Zelle bestimmt die Konzentration aller Transkriptionsfaktoren an ihrer Position und die Units regeln ihre Aktivität entsprechend. 3. Die Strukturgene in den aktivierten Units üben ihre Funktion aus (z.B. Transkriptionsfaktoren ausschütten oder Zellteilung einleiten). 4. Falls Zielbedingung (z.B. festgelegte Anzahl von Durchläufen) nicht erfüllt, dann fahre mit Punkt 2 fort. 5 Ablauf der Phylogenese bei Peter Eggenberger Auch der Ablauf der Phylogenese, das heißt des gesamten Evolutionsprozesses, in den Experimenten von Peter Eggenberger soll hier als Algorithmus dargestellt werden: 1. Für eine Population von 120 (oder auch 200) Organismen werden zufällig Genome erzeugt. 2. Parallele Ontogenese aller Organismen. 3. Selektion mit „elitism“ und unterschiedlichen Fitneß-Funktionen, je nach Ziel der Evolution (z.B. symmetrische Körper oder neuronales Netz zur Robotersteuerung). 4. Anwendung von Mutation und Crossover auf die Genome der selektierten Organismen. 5. Solange vorgegebene Höchstanzahl der Generationen noch nicht überschritten, Fortfahren bei Punkt 2. 6 Ansätze anderer Autoren 6 11 Ansätze anderer Autoren Auch eine ganze Reihe anderer Autoren hat Überlegungen zur Nützlichkeit der Ontogenese bei der künstlichen Evolution angestellt und verschiedene Ansätze zu ihrer Verwirklichung vorgestellt, zum Beispiel: p M. Sipper, E. Sanchez, D. Mange, M. Tomassini, A. Pérez-Uribe und A. Stauffer haben das „POE Model of Bio-Inspired Hardware Systems“ entwickelt, welches zusätzlich zur Phylogenese und zur Ontogenese auch noch die Epigenese (d.h. das Lernen) umfaßt (siehe [9]): Abbildung 6: POE-Model (aus [9]) p H. de Garis hat die Notwendigkeit von Ontogenese mit Zelldifferenzierung durch Genregulation herausgestellt und einige Experimente gemacht (siehe [1]). p Die Arbeiten von H. Kitano, F. Dellaert und R. Beer und anderen werden in [5] angesprochen und referenziert. Zur vertiefenden Information über weitere Ansätze sei auf die Literatur und die Internet-Links verwiesen. 7 Zusammenfassung und Ausblick Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Integration von Ontogenese in evolutionäre Ansätze sehr sinnvoll ist und wahrscheinlich auch irgendwann notwendig sein wird, da erst dadurch komplexere Organismen erzeugt werden können. Außerdem rückt die künstliche Evolution damit näher an das natürliche Vorbild heran und ermöglicht dadurch eine weitergehende Erforschung der Biologie am operationalen Modell. Es können mit diesem Ansatz gut dreidimensionale Formen und neuronale Netze entworfen werden. Auch komplette autonome Agenten lassen sich erstellen. Ein Problem ist immer noch der erhöhte Rechenzeitbedarf. Deswegen werden nur kleine Teilaspekte des natürlichen Vorbilds umgesetzt. Eine mögliche Lösung (von W. Banzhaf vorgeschlagen) ist, die Selektion bereits in verschiedenen früheren Embryonalphasen durchzuführen, damit bereits früh nicht lebensfähige Individuen ausgesondert werden können. Ein Hauptaugenmerk für weitere Forschungen muß auf weitere mögliche und sinnvolle Modelle (d.h. Einschränkungen der Eigenschaften des natürlichen Vorbilds) gelegt werden, die die Rechenzeit im Rahmen halten, aber möglichst nicht nur Formen, sondern auch intelligentes Verhalten hervorbringen können. 8 Literatur 8 12 Literatur [1] de Garis, H.: Artificial Embryology: The Genetic Programming of Cellular Differentiation. Artificial Life III Workshop, Juni 1992. [2] Eggenberger, P., Dravid, R.: An Evolutionary Approach to Pattern Formation Mechanisms on Lepidoptern Wings. Congress on Evolutionary Computation, 1999. [3] Eggenberger, P.: Cell Interactions as a Control Tool of Developmental Processes for Evolutionary Robotics. Fourth International Conference on Simulation of Adaptive Behavior. MIT Press, 1996. [4] Eggenberger, P.: Creation of Neural Networks Based on Developmental and Evolutionary Principles. Proceedings of the International Conference on Artificial Neural Networks ICANN '97, Oktober 1997. [5] Eggenberger, P.: Evolving Morphologies of Simulated 3d Organisms Based on Differential Gene Expression. Proceedings of the 4th European Conference on Artificial Life. MIT Press, 1997. [6] Körner, H. und Witkowski, R.: Humangenetik Systematisch. UNI-MED, 1997. [7] Pfeifer, R., Kunz, H. und Weber, M.: Artificial Life. Vorlesungsskript Uni Zürich, Institut für Informatik, Artificial Intelligence Lab, SS 2000. [8] Roche Lexikon Medizin. Urban & Schwarzenberg, 3. Auflage 1993. [9] Sipper, M., Sanchez, E., Mange, D., Tomassini, M., Pérez-Uribe, A. und Stauffer, A.: A Phylogenetic, Ontogenetic and Epigenetic View of Bio-Inspired Hardware Systems. IEEE Transactions on Evolutionary Computation, Vol. 1, No. 1, S. 83-97, April 1997. 9 Internet-Links ALife-Bibliographie zu Morphogenese und Development: http://www.cogs.susx.ac.uk/users/ezequiel/alife-page/development.html Google-Suchergebnis zu Artificial Embryology: http://www.google.com/search?q=Artificial+Embryology&btnG=Google+Search&safe=off Online-Buch zu künstlicher Morphogenese: http://www.cpsc.ucalgary.ca/projects/bmv/vmm-deluxe/TitlePage.html Homepage von P. Eggenberger: http://www.ifi.unizh.ch/groups/se/people/eggen/ Homepage von H. de Garis: http://foobar.starlab.net/~degaris/ Homepage von S. Kumar: http://www.cs.ucl.ac.uk/staff/S.Kumar/ Forschungsgruppen am Lehrstuhl, bei dem Peter Eggenberger arbeitet: http://www.ifi.unizh.ch/groups/ailab/research/research.html Lustige Anwendung: http://fargo.itp.tsoa.nyu.edu/~gauthier/portfolio/garden.html