Ethik und Ontologie. Denkwege zu einer Ethik der Existenz Helma Riefenthaler Universidad de Viena, Austria Das Nachdenken über das Ich, über das denkende Ich durchzieht die Philosophiegeschichte als tema con variazoni, ebenso wie die Frage nach dem Sein und dem Sollen im Sein. Eine neue Nachdenklichkeit fragt nach einer möglichen Ethik in einer globalen Welt, nach der Verantwortung des Menschen in unterschiedlichen Bereichen, die den Menschen selbst betreffen (Bioethik, Medizinethik), aber auch seine Umwelt (Ökologische Ethik), sein politisches Handeln (Politische Ethik), die Verantwortung der Wissenschaft (Wissenschaftsethik), andere Lebewesen (Tierethik), die Wirtschafts- und Arbeitswelt (Wirtschaftsethik, Unternehmensethik), dies in immer spezifischeren Ausdifferenzierungen. Wenn wir uns die Frage stellen, wenn wir uns der Frage stellen welches Ethikmodell und welches Humanismusverständnis wir Forschung, Innovation und Verantwortung heute zugrunde legen, ist damit zugleich eine hohe Erwartung an die Ethik als wissenschaftliche Disziplin verbunden. Eine Frage, die hier nicht gestellt ist, die ich aber trotzdem in den Raum stelle: Erwarten wir uns auch einen Nutzen davon, dieses Thema voranzutreiben? 33 Auf allfällige Skepsis bei NaturwissenschafterInnen, die überrascht sein mögen, wenn ich im Zusammenhang mit Ethik von Nutzen spreche, und ebenso gegebenenfalls Irritation bei GeisteswissenschafterInnen möchte ich drei Gegenfragen anbieten, die die Reziprozität von theoretischen Modellen und praktischen Handeln in den Blick nehmen und die Forschungsfragen begleiten: Begreifen wir Universitäten als den Ort der Forschung und Lehre, von dem Ethikmodelle und Humanismusverständnis durch die Dissemination über Absolventen, Publikationen und deren Impetus auf das Handeln wiederum Eingang in die Lebenswelt finden (sollen)? Wirken Ethik und Humanismusverständnis ausgehend von Universitäten, die selbst Teil der Gesellschaft sind und zugleich eine gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen – in der Wahrnehmung der Bildungsfunktion der Gesellschaft, als Arbeitgeber von Universitätsangestellten, als Auftragnehmer von Drittmittelprojekten – auf die Lebenswelt? Was soll, was kann Ethik als wissenschaftliche Disziplin leisten? Die Universitäten waren Ausgangspunkt von Entwicklungen, die uns vor allem in den letzten beiden Jahrhunderten von der industriellen Revolution bis hin zu einer hoch technisierten globalen Marktwirtschaft und 34 Wissensgesellschaft geführt haben. Ich möchte aus Perspektive einer existenzphilosophischen Ethik Stellung beziehen, einen innovativen Weg skizzieren, der innerwie interdisziplinäre Fragen der Ethik betrifft. Unter der Grundannahme, dass Wirtschaft und Wirtschaftlichkeit alle Menschen in allen Lebenswelten – ob Wirtschaft, Politik oder Wissenschaft – betreffen, wird im Folgenden Wirtschaftsethik als allgemeine Ethik auf dem Fundament und in Rückbezug zur Ontologie gedacht. Ein Subjektbegriff, sich selbst als verantwortlichen und verantwortlich handelnden Menschen zu denken, steht im Zentrum eines Entwurfs zu einer Ethik, die eine Innovation des Denkens zugleich verlangt wie generiert. Diesem Zugang, der die Entwicklungen der Wissenschaften und die Lebenswelt des 21. Jahrhunderts mit einbezieht, der Ethik und Seinsverständnis verbindet, das heißt, Ethik und Ontologie als theoretische Grundlagen heranzieht, und in einer allgemeinen Wirtschaftsethik1 mündet, ist voranzustellen, dass es sich hier um einen bestimmten theoretischen Zugang handelt, der wohl auf Der Begriff der Allgemeinen Ethik in Unterscheidung zu Angewandter Ethik: Während Angewandte Wirtschaftsethik explizit oder implizit auf Grundlage einer bestimmten (normativen) allgemeinen ethischen Theorie (deontologisch, teleologisch, konsequentialistisch, utilitaristisch usf.) argumentiert, und sich in der Kategorisierung der ethischen Theorien als Subkategorie verortet, versteht sich allgemeine Wirtschaftsethik als eigenständige ethische Theorie, die aber aus sich selbst heraus wiederum zur Anwendung kommen kann. Ausführlicher s. dazu Kommunizierte Wirtschaftsethik, Riefenthaler 2008, übers. und hg. von Manuel Velazquez: H. Riefenthaler, Ethica economica comunicada, UAEM, 2010. 1 35 klassischen normativen Theorien aufbaut, nicht aber direkt aus diesen ableitbar ist, und dass dies ein Zugang unter vielen möglichen Zugängen ist, der nicht den Anspruch erhebt – nicht erheben kann – der einzig richtige zu sein. Ich möchte jedoch den Blick im Zusammenhang mit der Frage, was Ethik als wissenschaftliche Disziplin leisten soll, auch darauf lenken, dass ich es nicht als Aufgabe der wissenschaftlichen Disziplin Ethik sehe, eine einzelne Theorie zu postulieren, sondern über Lehre und Vermittlung der vorliegenden klassischen normativen Theorien und über die pluralen neuen Ansätze aus inner- und interdisziplinärer Forschung Weiterentwicklungen und eine Vertiefung der Reflexion im allgemeinen moralisch-ethischem Bewusstsein anzustreben. Die Implementierung der Ethik als Unterrichtsfach in Schulen anzustreben – und nicht erst an Universitäten als einer Bildungselite vorbehaltene theoretische Disziplin anzubieten – ist hierbei ein in der Bildungsdiskussion von vielen Ethikern vertretener Ansatz, der in Österreich insbesondere von Peter Kampits initiiert wurde; Teil der Konzeption ist hierbei eine Ausbildung von EthiklehrerInnen für das Unterrichtsfach Ethik an den Universitäten.2 Die Freiheit und Verantwortung des Menschen, der Wissensgesellschaft, in der Lebenswelt einer globali2003 wurde an der Universität Wien ein Universitätslehrgang Ethik implementiert (Leitung: Univ.-Prof. Dr. Peter Kampits). 2 36 sierenden Marktwirtschaft, werden im Folgenden aus drei Perspektiven mit Blick auf Sein und Sollen untersucht. Ausgehend von der Begründungsfrage von Sein und Sollen, die sich in der Ethik wie in der Ökonomik in gleicher Weise stellt, wird in einem zweiten Schritt die Wahl als gemeinsamer systematischer Ort von Ethik und Ontologie postuliert, und in einer Skizze zum Seinsverständnis der unauflösbare ethisch-ontologische Zusammenhang am Beispiel von Humanismus-verständnis und Rationalitätsbegriff aufgezeigt. 1. Warum Wirtschaftsethik – ein Blick auf sein und sollen Aus der angewandten Ethik haben sich im letzten Jahrhundert eine Vielzahl an Teilbereichsethiken entwickelt – Medizinethik, Wissenschaftsethik, Wirtschaftsethik, Unternehmensethik, Politische Ethik, Umweltethik, Bioethik, Ökologische Ethik, Tierethik, bis hin zu Pflanzenethik oder Sportethik. Diese Aufzählung ist nicht vollständig, die kategorialen Ebenen sind vielschichtig und beinhalten Überschneidungen. Als Aufgabe aller Wissenschaften ist zu sehen: Wenn wir ethische Reflexion als Teil der conditio humana begreifen, kann diese nicht länger von anderen Wissenschaften abgekoppelt als Einzeldisziplin gelehrt werden, die Inhärenz der ethischen Fragestellungen in den jeweiligen Disziplinen verlangte nach deren Thematisierung und Problematisierung in 37 der Lehre – in den Studienplänen aller Disziplinen – und in interdisziplinärer Forschung. Der Weg in die Interdisziplinarität wird aus vielen Disziplinen sehr bewusst beschritten. In allen Teilbereichsethiken stoßen wir an ökonomische Fragen. Moralisch-ökonomische Dilemmata prägen Entscheidungsfindungen im Handeln des Einzelnen wie auch in betriebswirtschaftlichen und volkswirt-schaftlichen Prozessen. Jeder ist homo oeconomicus, eingebunden in einen wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang, dem sich niemand entziehen kann. Die Praxis unserer Lebenswelten, in Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, ist heute dominiert von einem Primat der Ökonomik. Wirtschaftsethik auf dem ontologischen Fundament der Existenzphilosophie fokussiert auf die ethischen und ökonomischen Zusammenhänge der menschlichen Existenz, stellt die Frage von Sein und Sollen, IST und SOLL und rationaler Entscheidung neu zur Diskussion. Blicken wir dazu auf ein kreisförmiges ökonomisches Handlungsmodell, und besetzen dieses mit philosophischen Begriffen von Faktizität, Transzendenz und Wahl: Faktizität: Wir befinden uns in einer bestimmten absoluten und historischen Situation, die eine bestimmte ökonomische und eine moralische Dimension aufweist 38 Transzendenz: Verschiedene Entwürfe eines Sein-Sollenden werden in vorausschauenden Denken (gegeneinander) abgewogen Wahl (choice): Über die Entscheidung wird eine neue Faktizität (Situation) geschaffen Eine Gewissheit, dass wir die richtigen Entscheidungen treffen, kann es ex ante nicht geben. Sowohl der naturalistische Fehlschluss – aus einem Sein kann kein Sollen abgeleitet werden – als auch der normativistische Fehlschluss – aus einem Sollen kann kein Sein abgeleitet werden– treffen nicht nur auf die Philosophie, die Ethik, sondern auch auf die Ökonomik zu. Weder ethische noch ökonomische Sein-Sollens-Schlüsse sind universell letztbegründbar. Weder das Primat der Ethik (welcher ethischen Theorie) über der Ökonomik noch das Primat der Ökonomik über der Ethik kann in logischem Schluss erwiesen werden: Es gibt nicht die eine richtige Entscheidung, sondern eine Vielzahl von Möglichkeiten, aus der eine Wahl zu treffen ist. Ist-Soll-Konzeptionen sind immer zugleich moralischökonomische Entwürfe, und bewirken im konkreten Handeln eine neue Faktizität in der Lebenswelt. Es gilt ein Bewusstsein dafür zu generieren, dass Menschen über ihre ökonomischen IST-SOLL Entscheidungen und ihre Handlungen zugleich Werte setzen. Und auch 39 eine Entscheidung für ein gewolltes –gesolltes– ethisches Gutes kann einen Preis haben. Eine der von der Financial Times im Bereich Economics und Business Economics sehr hoch gerankten Universitäten Europas definiert Ökonomik als Wissenschaft von der Wahl: „Economics is the science of choice.“3 Die ökonomische Wahl ist nicht zuletzt die Wahl der Welt, die wir wollen, die sein soll. Die Überlegungen zum Handlungskreislauf münden im Anspruch, ethische Reflexion in ökonomischen Entscheidungsprozessen als rational mitzudenken. 2. Ethik und Ontologie. Die systematische Bestimmung von Denkwegen. The science of choice Ich habe vom gemeinsamen ontologischen Fundament der Ethik und der Ökonomik gesprochen, das sich als Fundament dieses Handlungskreislaufs entbirgt, eines Handlungskreislaufs, der freie Entscheidungen voraussetzt. Frei in dem Sinn, dass es die Möglichkeiten gibt, aus zwei oder mehr Entwürfen eine Wahl zu treffen. Ethik und Ontologie sind dem innerwissenschaftlichem Verständnis der Fachdisziplin Philosophie zwei getrennte Themenfelder, die sich systematisch mit dem Sein (Ontologie) bzw. mit dem Sollen (Ethik) befassen. Ethik wird in der klassischen Kategorisierung 3http://www.maastrichtuniversity.nl/web/Faculties/SBE/TargetGroup /ProspectiveStudents/Bachelor/Programmes/EconomicsAndBusinessEc onomics/ProgrammeInformation.htm. 40 in der Praktischen Philosophie, Ontologie in der Theoretischen Philosophie verortet. Wiewohl also innerdisziplinär logisch und systematisch klar getrennte Bereiche, ist die Verschränkung der Themenfelder über die Grundannahmen luzide: Jede allgemeine ethische Theorie steht in einem bestimmten metaphysischen oder ontologischen Reflexionshorizont. Existenzphilosophie als eine bestimmte Weise des Philosophierens ist so alt wie (westl.) Philosophie als Wissenschaft selbst (vgl. z.B. Thurnherr 2007, Flynn 2008), mit Sören Kierkegaard, Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger, Karl Jaspers wird Existenzialismus als geisteswissenschaftliche Strömung des 20. Jahrhunderts im deutschen, und mit Albert Camus und Gabriel Marcel im französischem Sprachraum begründet. Existenzphilosophie und linguistic turn veränderten im 20. Jahrhundert das Gefüge der Ethik, die zuvor als normative Ethik nur gedacht wurde. Jean-Paul Sartre eröffnet mit der phänomenologischen Ontologie einen Denkweg Ethik, verband seine Entwürfe für eine Moralphilosophie (Sartre 2005) mit dem ontologischen Axiom: Im Zentrum seiner Fragestellungen stehen das Sein und der Mensch. Die Wahrheit des Seins. Die Freiheit des Menschen. Die Verantwortung des Einzelnen. Kein Schicksal. Keine Entschuldigung. Die Wahl. 41 Die Legende der Wahrheit (Sartre 1997), eine kleine, wohl nur wenig bekannte Schrift Sartres, steht am Beginn seines Nachdenkens über den Menschen, über den Sinnzusammenhang von Dasein, Wahrheit, Markt und verantwortlichem Handeln und problematisiert auf metaphorischer Ebene die Vernetzung von Krieg, Religion, Macht, Gewalt und Ökonomie. Die Frage nach der Wahrheit – der Wahrheit der intersubjektiven Beziehung der Menschen – ist die existentielle Grundfrage, die der Frage der Handlungsmoral vorangestellt ist. „Wer kann sagen, was an einer Schlacht wahr ist?“ (Sartre 1997, LW 9) Der Existentialist Sartre stellte eine Problematik in den Raum, die zeitlos ist, von theoretischen Überlegungen zum Begriff der Wahrheit zur moralischen Dimension des Handelns führt. Aus einem Nachdenken über die Wahrheit, dessen, was ist, ein neues, das heißt anderes, Lebensprinzip zu erarbeiten, bedarf eines Denkweges, der sich darauf einlässt, die ökonomischen Fragestellungen neu zu denken, die sowohl in der Geschichte wie in den Gesellschafts- und Marktordnungen von Marxismus bis Kapitalismus dieselben bleiben – die Entfremdung des Menschen durch über wirtschaftliche Produktivitätskategorien erfolgende Aneignung von Menschen als Humanressource und die Entfremdung des Menschen vom humanen Sein über Zerstörung und Gewalt. Die Umkehrung der Theodizee – die Frage nach der Verantwortung für das Leid in der faktischen Welt 42 und das Verlangen nach einer Gerechtigkeit ist nicht an einen barmherzigen oder unbarmherzigen Gott (oder an die metaphysische Gottheit „Markt“), sondern an den Menschen zu richten – mündet gerade nicht in einer Beliebigkeit. Die Welt, wie sie ist, ist in der Verantwortung der handelnden Menschen, und die Wahl, die eine subjektive moralische Entscheidung ist und als solche als sehr einsame Entscheidung erlebt werden kann, für die es keine Regelvorgabe in der individuellen absoluten und historischen Situation gibt, ist aufgrund der existentialistischen ontologischanthropologischen Definition der Transzendenz weitab vom behaviouristischen Modell eines willkürlichen Dezisionismus zu verorten. Dieses Be-denken in der Transzendenz erfordert neue Denkwege. Wird Wahrheit in klassischer Herangehensweise als objektive Wahrheit (logische Untersuchung von Aussagen nach wahr-falsch-Kategorien) gesucht, was bedeutet, es wird das Sein einer objektiven Wahrheit präjudiziert, so ist Wahrheit in der Existenzphilosophie seit der fundamental-ontologischen Grundlegung Martin Heideggers als die Erschlossenheit des Seins zu denken. Wird Freiheit gemeinhin als Möglichkeit oder Beliebigkeit gedacht, alles zu tun, so ist die existenzielle Freiheit gemäß einem humanistischen Existentialismus nach Sartre immer auf dem Boden einer Faktizität zu denken, die es zu überschreiten gilt. Eine Freiheit, die 43 der Mensch hat, weil er Mensch – weil er Freiheit ist. Eine Freiheit, die ihn zugleich zu einer Wahl verurteilt: wer er ist, wer er sein möchte, wer er sein wird. Eine Freiheit, die eine Verantwortung enthält: für seine Wahl. Ist der Mensch freies Vernunftwesen, liegt die Bedeutung einer innerweltlichen Moralphilosophie des Menschen in seiner freien Entscheidung zum moralischen Handeln in Bezug auf sich selbst und andere in dieser Welt. Zu sagen, der Mensch ist für sich selbst und die Welt verantwortlich, bedeutet zugleich, dass nur er selbst derjenige ist, der ändernd – „rettend“ – eingreifen kann, in dem er handelt. Diese Sichtweise bedingt zugleich mit ihrer Ontologie eine andere Definition der Moralphilosophie selbst. Ziel ist nicht, universale Prinzipien zu finden, normativ zu setzen, sondern die Verantwortung des Menschen in seinem Handeln zu begreifen. Die Universalisierbarkeit, die Zustimmung der Anderen in mein Handeln mit einbeziehen, dies in der Situation des Tuns, nicht bloß in der Intention, ist die existentielle Herausforderung, die heute im Erbe Kants zu untersuchen ist. Die Folgen der gesetzten Handlung zu reflektieren, in erinnernden Be-Denken Ziele reformulieren. Während Kant als Grundprinzip die Maxime des Wollens –den kategorischen Imperativ– im Intelligiblen, außerhalb von Zeit und Raum verortet, holen wir damit die Freiheit und die Verantwortung aus Freiheit 44 in die wirkliche Welt, in das Dasein – innerhalb von Zeit und Raum. Nicht Intention ist höchste, alleinige Maxime, insofern sich der Mensch selbst durch sein Handeln definiert „haben wir es auf dieser Ebene mit einer Moral des Handelns und des Engagements zu tun.“ (Sartre 2002, EH 164) Der Mensch in seiner Seinsweise überschreitet sein Sein, um dieses zu setzen, die Sollensanforderung ist nicht in einer normativen Setzung begründet, sondern überantwortet den Menschen die Wahl der Welt, in der sie leben wollen. Wir hinterfragen solcherart Sein und die Zusammenhänge von Sein, Bewusstsein und Handlungsgründen aus der Perspektive des Subjekts, das nicht allein in einer Welt existiert, sondern immer in einem Mitsein oder in einem Konflikt mit einem Anderen zu sehen ist, aus der Perspektive des Menschen, der sich in einer Lebenswelt mit Fragen von Freiheit und Verantwortung auseinandersetzt und sich in der Beantwortung ein Dasein gibt, sich zu dem macht, der er ist. Die Eigentlichkeit der Fragestellung, die das Leben selbst ist, einerseits zu suchen und andererseits in diesem Leben selbst zu handeln, ist Verantwortung des Menschen. Es gilt eine Wende zu befördern, die an der Wende der Konsumgesellschaft zur Wissensgesellschaft als Möglichkeit sichtbar wird, vom Glauben an einen Determinismus des Marktes hin zum Denken einer individuellen wie gesamtgesellschaftlichen Reflexion von Menschen, die sich als frei und selbstbestimmt denken, und danach handeln. 45 Die Befriedigung der körperlichen und geistigen Bedürfnisse des Menschen mit bestimmten, in dieser Welt vorhandenen oder herstellbaren Gütern, deren Entwurf, Produktion und Verbrauch für sich selbst und für oder durch andere, ist zugleich menschliches Handeln in einer bestimmten moralischen Seinsweise, die Wahl des Einzelnen als Wahl des Selbst und Wahl der Welt. Der Handlungskreislauf von Faktizität, Transzendenz und Wahl ist geprägt von Entscheidungen auf die Frage „Was soll ich tun?“ Die Verbindung von menschlicher Freiheit und Verantwortung für menschliches Handeln überantwortet in Form einer offenen philosophischen Matrix die Lebenswelt und die Wahl für das Dasein in dieser Lebenswelt an die Menschen. Es gibt keine Moral a priori, sondern mehrere Möglichkeiten, die unterschiedliche Qualität aufweisen, die sich uns in der Transzendenz in einer bestimmten Weise darstellen; die moralische Verantwortung umfasst Intention, Handeln und Konsequenz in stetigem Prozess von Vergeschichtlichung und des Neuentwurf. Der Schritt von einer metaphysischen ethischen Theorie zu einer Moralphilosophie im Hier und Jetzt ist aus der Geschichte der wissenschaftlichen Entwicklung des Begriffs der Verantwortung im 20. Jahrhundert in seiner Bedeutung zu erhellen: Der Begriff der Verantwortung aus Freiheit war so unerhört, dass es Jahrzehnte einer Neudefinition des Begriffs der Verantwortung überhaupt 46 bedurfte, um zu verstehen, was eine Verantwortung aus Freiheit bedeuten kann, bedeutet. Der Begriff der Corporate Social Responsibility musste in einer säkularen und globalisierenden Welt erst erarbeitet werden, und ist als Prozess zu verstehen, an dem ständig weiterzuarbeiten ist. Auch die Eingebundenheit in ein System, in eine Institution, –eine Korporation– entlässt den einzelnen nicht aus seiner persönlichen Verantwortung, der Verantwortung, die aus der Freiheit des Subjekts sich ableitet (gesetzt der Mensch sei frei): Ist der Mensch frei, ist er in seiner Selbstbestimmung für sein Handeln verantwortlich. Immanuel Kant hatte den guten Willen an den Beginn einer Pflichtenethik, einer Ethik des Sollens gestellt, und aus der Reinheit eines intelligiblen Willens den kategorischen Imperativ als Maxime einer moralischen Selbstgesetzgebung deduziert. Der kategorische Imperativ als Antwort auf die Frage was soll ich tun – „ich soll niemals anders verfahren als so, daß ich auch wollen könne, meine Maxime solle ein allgemeines Gesetz werden“ (GMdS 402) – verhallt jedoch in einer ökonomisierten Lebenswelt als Appell, wird von jenen nicht gehört, die ihn nicht hören wollen, die sich auf Determiniertheiten, Gesetze des Marktes, Sachzwan-glogiken des Marktes und damit verbundener Rationalität berufen. Ethische Reflexion über die Moral der Wirtschaft, der Ruf nach ethischem Handeln in der Wirtschaftspraxis wurde zum kollektiven Appell der Anderen an diejenigen die handeln, die die Rahmenbedingungen der Lebenswelt gestalten. 47 3. Seinsverständnis. – Humanismus und Rationalität. Die wissenschaftlichen Entwicklungen für eine Ethik und einen neuen Humanismus mit einzubeziehen bedeutete auch, die Transformation des Seinsverständnisses mitzudenken, die in der Wende von der Mythologie zur Metaphysik, in der Wende von der Metaphysik zur Ontologie zur Überschreitung eines Denkens geführt hat, in dem sich Menschen ursprünglich von vielen Gottheiten und Wesenheiten (Mythologie) determiniert und gelenkt definierten bzw. erlebten, in der Metaphysik einen transzendenten Bezugspunkt eines Sein-Sollenden gaben. In der Ontologie des 20. Jahrhunderts wird die Realität des Daseins und die Existenz des Menschen mit neuen Fragestellungen konfrontiert, das Selbstverständnis des Menschen wird in der phänomenologischen Ontologie in lebensweltlichen Bezügen und nicht in Abhängigkeit von außerirdischen Kräften und Mächten, verortet, sondern der Mensch unterliegt in seinem Person-Sein im Hier und Jetzt eigenbestimmter Verantwortung. Die Grenzen und Rahmenbedingungen der eigenen Möglichkeiten werden von anderen Menschen gezogen, mitbestimmt, gestaltet, ebenso wie jeder einzelne durch sein Handeln die Rahmenbedingungen für andere verändert. Peter Ulrich verweist in der Integrativen Wirtschaftsethik (Ulrich 1997), die zuallererst eine Kritik der reinen ökonomischen Vernunft und ihrer normativen Überhöhung zum Ökonomismus vornimmt, auf die Metaphysik 48 des Marktes. Der Glaube an den Markt, die mächtige Gottheit des 21. Jahrhunderts, erinnere fatal an eine Rückkehr zu einem Schicksalsdenken, das den Menschen als nicht frei in seinen Entscheidungen definiert, im bedingungs-losen und bedenkenlosen Glauben an den Markt werden unbarmherzige mythologische Gottheiten gegen eine materiell-virtuelle Macht eingetauscht, die sich der Menschen bemächtigt. Bevor wir in einer säkularen Welt, die von dieser neuen zwar materialen aber in ihrer virtuellen finanztechnischen Dimension ebenfalls nicht mehr fasslichen Macht beherrscht ist, von einem ethischen Sollen, das ein ökonomisches „Müssen“ konterkariert, sprechen, möchte ich die Frage nach dem Wollen in den wirtschaftsethischen Denkraum stellen und hierbei das Seinsverständnis heranziehen. Das Seinsverständnis ist –zumindest aus der Perspektive der Phänomenologie – wesentlich konstitutiv – oder existenziale Grundbedingung – für menschliches Denken und daraus resultierendes Handeln. Martin Heidegger stellt in der fundamental-ontologischen Reformulierung der Frage nach dem Sein im Zusammenhang mit der Frage nach dem Sinn von Sein das Seinsverständnis als existenziale Grundverfassung des Menschen vor: „Die Frage nach dem Sinn von Sein wird überhaupt nur möglich, wenn so etwas wie Seinsverständnis ist“ (Heidegger 2001, SZ 200). 49 In der Alltagssprache mag die Feststellung, dass wir als Menschen über ein Seinsverständnis verfügen, als eine sehr banale Einsicht erscheinen. Ja, selbstverständlich verfügen wir über ein Seinsverständnis, und wir wissen, dass wir in dieser Welt leben, hineingeboren in einen bestimmten ökonomischen und sozialen Kontext, wissen, was wir wollen und welche Möglichkeit(en) wir haben. In der Sprache Heideggers ausgedrückt ist dasjenige, was wir wollen, rückgebunden an die bewussten Antworten auf die Sinnfrage, das Gegebene und das Mögliche, die Antworten konstitutiv für das Wollen: Die Erschlossenheit des Worum-Willens, die Erschlossenheit des Gegebenen und des Möglichen bilden ein Seinsverständnis, das das Wollen bzw. ein bestimmtes Wollen konstituiert. Die Theorie Heideggers als Bezugspunkt ethischer Überlegungen in den Blick zu nehmen, mag Philosophen –sowohl der theoretischen als auch der praktischen Philosophie– befremden, die grundlegende Distanzierung Heideggers von der klassischen normativen Ethik ist bekannt, und verweist auf die tiefe Bruchlinie zwischen Ethik und Ontologie. Gerade die Brüche aber sind es, die uns neue Zugänge aufzeigen: Was bedeutet Erschlossenheit des Sinns, des Gegebenen und des Möglichen? Sartre vertiefte die allgemeine fundamentalontologische Frage Heideggers nach dem Sein in spezifisch phänomenologisch-ontologischer Fragestellung: Wer ist 50 es, der hier nach dem Sein fragt? Auf welcher Ebene des Bewusstseins agiert der (gute) Wille? In dieser Zuspitzung der Frage auf den Menschen wird in völlig neuer Weise die Konfliktsituation des Menschen, der in einem Verhältnis zur Welt stehend zugleich dieses Verhältnis zur Welt ist, die Last der Verantwortung für sich und für andere trägt, ontologisch begründet. Die These der phänomenologischen Ontologie, von der Verortung der Willensentscheidung im praereflexiven Bewusstsein bis hin zu komplizenhafter versus authentischer Reflexion (vgl. Sartre 1997, SS 267-326; Sartre 2005, EM) ist kohärent mit und anschlussfähig an die Erkenntnisse der Neuround Kognitionswissenschaften, die die Frage der Willensfreiheit in ihrer biologischen Dimension beforschten. Insgesamt führt uns die Umkehrung von ontologischen Fragestellungen in den philosophischen Strömungen des 20. Jahrhunderts, die in der Metaethik, Existenzphilosophie und Sprachphilosophie vorgenommen wurden, zu einer Neuorientierung, die Ethik nicht in metaphysischtranszendenter Sphäre ansiedelt, sondern im Hier und Jetzt einer konkreten Lebenswelt, in der Entscheidungen zu treffen sind, in der sich keiner seiner Versantwortung entziehen kann, einer Verantwortung, die je nach Kontext und Vermögen eine andere ist. Die Lebenswelt und der Humanismusbegriff einer Wissensgesellschaft als Ausgangspunkt der Überlegungen auf die Frage was soll ich tun (vgl. dazu Sen: what we should do) stellt 51 sich in einem nächsten Schritt als eine konkrete Frage an den Rationalitätsbegriff dar. Amartya Sen – und wir erkennen hierin das ontologische Fundament der phänomenologischen Ontologie – hält in der 2009 vorgelegten Schrift The Idea of Justice fest: “Freedom to choose gives us the opportunity to decide what we should do, but with that opportunity comes the responsibility for what we do – to the extent that they are chosen actions.“ (Sen 2009, 19) Mit diesem Zugang sind wir in der konkreten Welt angekommen, die wirtschaftliche Realität, die jeden einzelnen betrifft, betroffen macht, auf ihre Bedeutung zu hinterfragen. Ein Bewusstsein dafür zu ent-decken, dass es unsere Entwürfe – die Entwürfe von Menschen – sind, die die Welt je historisch verändern. Und dies betrifft alle Bereiche, alle Wissenschaften und entbirgt ein neues Humanismusverständnis. Unser Sein in der Zeit, das Dasein des Einzelnen in der Lebenswelt ist ein subjektiv Wahrgenommenes wie zugleich unauflösbar gebunden an das (Da)Sein der Anderen – das Dasein in der Gesellschaft. – Dass wir uns heute wirtschaftsethische Fragen stellen, wie die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit, Legitimationsfragen zu Reichtum und Armut auf volkswirtschaftlicher Ebene wie auf der Handlungsebene des Einzelnen, dass Grenzen sichtbar werden zwischen Geschäft und Korruption, zwischen reinem ökonomischen Geschäft und die 52 gemeinsame Lebenswelt gefährdender Spekulation, die wir als moralische Grenzüberschreitungen wahrnehmen, beruht auf einem Denken, einem Seinsverständnis, das ethische Gesichtspunkte enthält und einnehmen kann, Bedeutungen hinterfragt, und zwar Bedeutungen unseres Handelns, mitten in der Welt. Die Kernfrage moralisch-ökonomischer Dilemmata, reduziert auf die übergeordnete Frage „Warum moralisch sein“ stellt in dieser allgemeinen Formulierung die Frage nach dem Sinn der Aufnahme ethischer Argumente in Entscheidungsfindungen, die ökonomische Prozesse befördern, gestalten oder verhindern, dh in einer bestimmten Weise Einfluss nehmen auf die ökonomischen Rahmenbedingungen der Lebenswelt – und ob diese einen Sinn haben, bzw. welchen. Unsere Lebenswelt, die wir in einer ganz bestimmten Weise als existenziellen Rahmen wahrnehmen, in die jeder Einzelne zu einer bestimmten Zeit, historisch, kulturell, ökonomisch und moralisch eingebunden ist, wirft für jeden einzelnen wie für alle gemeinsam immer wieder die Sinnfrage im Zusammenhang mit moralisch-ökonomischen -nomische Entscheidung ist zugleich die Wahl eines zukünftigen Sein-Sollenden und setzt im Handeln Werte. Das Wissen um dieses Setzen der Werte im Handeln bedingt zugleich die Verantwortung für die gesetzten und zu setzenden Werte. Dieses Postulat wendet die Frage nach dem Sollen an den Menschen zurück. Was sind unsere Werte? Was 53 ist für uns wertvoll? Welche Wertsetzungen nehmen wir in Form von Entscheidungen für oder gegen etwas vor? Was wollen wir – welche Welt wollen wir? Welche Welt soll sein? Werte nicht als metaphysisch-transzendente Ideale zu denken, die gleich Fixsternen in unerreichbarer Ferne leuchten, die wir gerne hätten, uns aber nicht leisten wollen, sondern die Dimension des Handelns als konkreten Akt zu begreifen, dass jedes Handeln in der Umsetzung zugleich ein moralischer Akt ist und Antwort gibt auf moralische Fragen, ist der Sukkus einer Moralphilosophie, in deren Zentrum der Mensch steht. Der Mensch ist endlich, kontingent, frei und verantwortlich zugleich. Dieser Idee eines Menschen –eine Idee, die ein bestimmtes Seinsverständnis enthält und entwirft– steht ein Menschenbild gegenüber, das durch die Rational Choice Theory (RCT) beforscht und gelehrt wurde: Das Menschenbild der principle agent theory, das den Menschen als egomorphen homo oeconomicus kategorisiert, der in der Wahl dem Eigeninteresse folgt, um den Selbstnutzen zu maximieren; oberstes Ziel des Menschen sei selfinterest-welfare, self-welfare-choice, self-welfare-goal. Die RCT postuliert, dass die Entscheidung eines Menschen dann rational ist, wenn diese in der Nutzenmaximierung des Selbstinteresses erfolgt. Die Kommunikation dieser Theorie in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, insbesondere in der betriebswirtschaftlichen Lehre zeigt reziproke Realität: In den wirtschaftlichen Prognosen 54 werden die Aktionen von Menschen nach dieser Theorie berechnet, das Handeln der Akteure in der Wirtschaft rechtfertigt sich durch diese Theorie. Die Strahlkraft von Theorien bildet sich ab in unserer Lebenswelt, deren Wirkung auf Gesellschaft ist meinungsbildend und bildet in doppeltem Sinne Gesellschaft, Verantwortungsträger gestalten Wirklichkeiten. Der deutsche Wirtschaftsethiker Karl Homann hält zur Weltwirtschaftskrise fest: „Die Krise ist das Ergebnis des rationalen [!] Handelns unzähliger Einzelner unter den gegebenen Bedingungen. Das Ergebnis wollten auch die Handelnden nicht.“ (Homann 2010, 262) Das Ergebnis, die Weltwirtschaftskrise, wirft viele moralische Fragen auf – Fragen nach Verantwortung, nach Verteilungsgerechtigkeit, die in Fragen nach den Werten unserer Gesellschaft in einer globalen Marktwirtschaft münden – und ist evidenter Aufweis für die Grenzen der ökonomischen Rationalität. Ethische Reflexion wurde in ökonomischen wie philosophischen Modellen bislang dem Bereich des Irrationalen zugeschrieben, während in der Ökonomik Sollensanforderungen als rationale wirtschaftliche Überlegungen klassifiziert wurden und werden. Der Begriff der Rationalität –der rationalen Entscheidung– ist wesentlicher Begriff für unser Handeln. Was verstehen wir unter Rationalität, was unter Zielvorgaben, die ein IST-SOLL –ein Sein-Sollendes– beinhalten? Gehen wir weiter diesen Fragen in interdisziplinärer Forschung 55 nach. Sehen wir uns die RCT im Lichte des Seinsverständnisses an: „Die Erschlossenheit des Worum-Willens, die Erschlossenheit des Gegebenen und des Möglichen bilden ein Seinsverständnis, das das Wollen konstituiert“ – Ist die Maximierung des Selbstinteresses ein WorumWillen, das uns in eindeutiger Weise als rational erschlossen ist? In der Stakeholder-Theorie haben wir uns begründete Argumente erarbeitet, warum Ansprüche von Anderen, von der Umwelt ebenfalls rationale Ansprüche sind. Gegeben ist uns eine Welt, in der Reiche immer reicher und Arme immer ärmer werden, die Maximierung des Wohles aller in Form einer volkswirtschaftlichen Summierung zwar mathematisch ein steigendes BNP ergibt, das Wohl der Einzelnen jedoch hinter der utilitaristischen These, das Wohl aller in der Nutzenmaximierung befördern zu wollen, in ihrem Vollzug von Maximierung des Gewinns für einige wenige hinter dem Grundanliegen zurückbleibt. Andere Theorien legen uns andere Möglichkeiten nahe. Amartya Sen verweist in seiner Kritik an der RCT-Theorie darauf: Es ist eine Theorie, und es ist eine enge Theorie, in der Antinomien sichtbar werden können, zB wenn ein Selbstinteresse darin besteht, dass Wohl anderer zu befördern, dies aber mit dem Selbstnutzen konfligiert. (Sen 1977, Sen 2007) Die Frage der rationalen Entscheidung darf noch immer als ungelöst und in Diskurs befindlich gesehen werden und ich sehe die Antwort auf diese Frage –die sich Menschen 56 selbst geben– in fundamentalem Zusammenhang mit jeweils zu Grunde liegendem und gelebtem Humanismusverständnis. Der Gesamtzusammenhang einer Wirtschaftsethik, die die Inhärenz der außerökonomischen Aspekte in ökonomischen Entscheidungen aufzeigt, ist nicht zuletzt Arbeit am Begriff der Rationalität von ökono-mischen, ökologischen und sozialen Entscheidungen. Gehen wir von einer Verant-wortung des Menschen für den Markt, für die Gestaltung der Lebenswelt, von der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen und Organisationen aus, kann die ethische Dimension nicht länger als irrationales Gefühl einer reinen ökonomischen Rationalität untergeordnet werden. –Diese Position steht als These diametral zu Theoremen wie zu einer Handlungs-praxis, die von einem sich selbst regulierenden Markt und einem egomorphen homo oeconomicus, dem principle agent der rational choice theories ausgehen.– Ethik als Reflexionstheorie unseres praktischen Handelns, als Reflexion der gelebten Moral, als conditio humana, entbirgt uns einen Blick auf unser Dasein, stellt zuallererst Fragen, ohne Antworten zu geben. Diskutieren wir –in allen Wissenschaften– die Freiheit und die Verant-wortung auf dem Hintergrund der Wahrheit einer Lebenswelt, und ob wir diese Wahrheit wollen. Es waren die Fragen, die WissenschafterInnen, die Menschen sich selbst gestellt haben, die Fortschritt und Innovationen generierten, mit den Antworten, die wir heute geben, schreiben wir unsere Geschichte, geben die Rahmenor57 dnung für die nächsten Generationen vor. Wir selbst, WissenschafterInnen, – Menschen, sind es, die ein bestimmtes Humanismusverständnis entwerfen, vermitteln und leben. Es liegt an uns allen, ob wir uns selbst Würde zusprechen und diese für andere gestalten, oder ob wir uns im Sinne des egomorphen homo oeconomicus definieren (wollen). Der Bildungsauftrag, Menschen für Führung und Verantwortung auszubilden, ist ein hoher. Die Verantwortung von Institutionen und Korporationen ist in einer marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaft eine entsprechend große. Von Institutionen und Korporationen geht Vorbildwirkung aus, in Unternehmen wird Moral gelebt und vermittelt. Ethische Reflexion ist weiters nicht auf einzelne akademische Berufe oder Berufe mit akademischer Ausbildung, moralisches Handeln nicht auf einzelne Bereiche der Gesellschaft begrenzbar. Ethik nicht nur als wissenschaftliche Disziplin an Universitäten, sondern auf verschiedenen Ebenen des Bildungs-systems zu implementieren, wird aus dieser Position als wesentlicher Bestandteil einer Ethik der Existenz verstanden, die darauf ausgerichtet ist, ethische Reflexion des Einzelnen und der Gesellschaft über Bildung, Ausbildung und Weiterbildung zu befördern und zu vertiefen. 58 Quellen: Heidegger, Martin (1926): Sein und Zeit. Tübingen: Niemeyer 2001. (SZ) Hengsbach, Friedhelm / Homann, Karl: „Moralappelle sind ein Alibi.“ In: Uto Meier/Bernhard Sill (Hg.): Führung. Macht. Sinn. Streitpunkt Führungsverantwortung im 21. Jahrhundert. Ethos und Ethik für Entscheider in Wirtschaft, Gesellschaft und Kirche. Regensburg: Pustet 2010. Kant, Immanuel (1786, A2): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. 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