2. Sinfoniekonzert 2 0 0 7 / 2 0 0 8 SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE D RE S D EN DIE STAATSKAPELLE DRESDEN UNTER FABIO LUISI BEI SONY CLASSICAL Die zweite CD des neuen Richard-Strauss-Zyklus präsentiert „Eine Alpensinfonie“ und „Vier letzte Lieder“ mit der Sopranistin Anja Harteros. S Ä CHSISCHE STAATSKA P ELLE DRESDEN spielzeit 2007/2008 Hybrid Super Audio CD (spielt auch auf allen normalen CD-Playern). 88697141972 88697084712 „Die erste Veröffentlichung seines neuen Strauss-Zyklus’ zeigt Luisi auf dem richtigen Weg. Wunderbar präsent das Klangbild. Das Heldenleben klingt frisch, draufgängerisch und gleichzeitig detailgenau, vibrierend vor lauterer Emphase.“ Fono Forum Informationen zu weiteren Richard Strauss-CDs mit der Staatskapelle Dresden unter Fabio Luisi erhalten Sie auch in unserem kostenlosen Newsletter unter www.sonybmgclassical.de fabio luisi generalmusikdirektor sir colin davis ehrendirigent 2. Sinfoniekonzert 2. sinfoniekonzert Freitag Sonntag Montag 26. Oktober 2007 / 20 Uhr 28. Oktober 2007 / 11 Uhr 29. Oktober 2007 / 20 Uhr Semperoper Dirigent / Kristjan Järvi (für den erkrankten James Conlon) Sehr geehrte Konzertbesucher, in der vergangenen Woche musste James Conlon seine Mitwirkung am 2. Sinfoniekonzert aus gesundheitlichen Gründen leider kurzfristig absagen. Wir freuen uns aber, dass wir Ihnen heute mit Kristjan Järvi einen international aufstrebenden, jungen Dirigenten vorstellen können, dem wir für seine Bereitschaft, die Konzerte zu übernehmen, herzlich danken. Für die mit dem Dirigentenwechsel verbundene Programmänderung bitten wir um Ihr Verständnis. Sächsische Staatskapelle Dresden, Orchesterdirektion Pariser Meisterwerke Mit seiner Ballettmusik «Der Feuervogel», die er im Auftrag der Ballets Russes komponierte, gelang Igor Strawinsky der Durchbruch als Komponist. Die sensationelle Uraufführung des Ballettes fand 1910 in Paris statt – in der gleichen Stadt, für die Joseph Haydn, den Strawinsky immer sehr schätzte, rund 125 Jahre früher seine «Pariser Sinfonien» geschrieben hatte. Programm Joseph Haydn (1732-1809) Sinfonie Nr. 86 D-Dur Hob. I:86 1. Adagio – Allegro spiritoso 2. Capriccio. Largo 3. Menuetto. Allegretto – Trio 4. Finale. Allegro con spirito Pause Igor Strawinsky (1882-1971) «L’Oiseau de feu» (Der Feuervogel), Ballett in zwei Bildern (1909/10) Einleitung (Introduction) Erstes Bild Zaubergarten Kaschtscheis Der Feuervogel erscheint, von Iwan Zarewitsch verfolgt Tanz des Feuervogels Iwan Zarewitsch fängt den Feuervogel Flehentliches Bitten des Feuervogels – Auftritt der dreizehn verzauberten Prinzessinnen Spiel der Prinzessinnen mit den goldenen Äpfeln (Scherzo) Jäher Auftritt des Iwan Zarewitsch Reigen der Prinzessinnen Tagesanbruch – Iwan Zarewitsch dringt in Kaschtscheis Palast ein Magisches Glockenspiel, Auftritt der Ungeheuer Kaschtscheis und Gefangen nahme des Iwan Zarewitsch – Auftritt des unsterblichen Kaschtschei – Kaschtscheis Zwiegespräch mit Iwan Zarewitsch – Fürsprache der Prinzessinnen – Auftritt des Feuervogels Tanz von Kaschtscheis Gefolge, unter dem Zauber des Feuervogels Höllentanz aller Untertanen Kaschtscheis Wiegenlied (Der Feuervogel) – Kaschtschei erwacht – Tod des Kaschtschei – Tiefes Dunkel Zweites Bild Das Reich des Kaschtschei vergeht – Wiederbelebung der versteinerten Ritter, allgemeine Freude Kostenlose Konzerteinführungen jeweils 45 Minuten vor Beginn im Kellerrestaurant der Semperoper kristjan Järvi Kristjan Järvi i st der jüngste Spross einer berühmten estnischen Dirigentendynastie und leitet heute als Chefdirigent das Wiener Tonkünstler-Orchester Niederösterreich und das 1993 von ihm gegründete Absolute Ensemble in New York. Vor kurzem wurde er außerdem zum Artistic Adviser des kammerorchesterbasel ab der Saison 2008/09 ernannt. Geboren in Tallinn, studierte Järvi Klavier und Dirigieren u.a. an der Manhattan School of Music in New York. Seine Dirigentenkarriere begann er als Assistent von Esa-Pekka Salonen beim Los Angeles Philharmonic Orchestra, anschließend war er von 2000 bis 2004 Chefdirigent des Norrlands-Opernhauses und -Sinfonieorchesters in Schweden. Heute verbindet ihn eine regelmäßige Zusammenarbeit mit Orchestern wie Gewandhausorchester Leipzig, WDR Sinfonieorchester Köln, Bamberger Symphoniker und Royal Liverpool Philharmonic Orchestra. In der Saison 2007/08 dirigiert er erstmals Orchestre National de France, Orchestra Sinfonica di Milano Giuseppe Verdi und Sydney Symphony Orchestra. Mit dem Tonkünstler-Orchester unternimmt Järvi regelmäßig Tourneen innerhalb Europas, 2008 auch nach Japan. Sein Repertoire beim Absolute Ensemble, mit dem er alljährlich beim Musikfest Bremen residiert, reicht vom Barock bis zur zeitgenössischen Musik und zum Rock. Über 100 Kompositionen hat Järvi bislang in Auftrag gegeben, u.a. bei Komponisten wie Arvo Pärt, HK Gruber, Mark-Anthony Turnage und Erkki-Sven Tüür. Für seine mehr als 20 CD-Aufnahmen hat er verschiedene Auszeichnungen erhalten, darunter eine Grammy-Nominierung und der Preis der Deutschen Schallplattenkritik. In Kürze erscheint eine Neuaufnahme von Joseph Haydns «Pariser Sinfonien». Mit den jetzigen Konzerten gibt Kristjan Järvi sein Debüt am Pult der Sächsischen Staatskapelle. joseph HAYDN «Meine Sprache versteht die ganze Welt» Zu Joseph Haydns Sinfonie Nr. 86 Joseph Haydn. Stich von L. Darcis (Paris, um 1800) A ls Hofkapellmeister am Hof der Fürs­ ten Esterházy hatte es Joseph Haydn bereits zu internationalem Ansehen gebracht, als er 1784 den Auftrag erhielt, für die Pariser «Concerts de la Loge Olympique» sechs Sinfonien zu komponieren. Dem Gedankengut der freimaurerischen Organisation fühlte er sich verbunden (1785 trat er der Wiener Loge «Zur wahren Eintracht» bei), auch das in Aussicht gestellte Honorar von 25 Louis d’or pro Sinfonie konnte sich sehen lassen. Darüber hinaus stand ihm mit dem Orchester der Loge Olympique eines der damals größten und besten in ganz Europa zur Verfügung. Haydn zögerte also nicht lange, als der Comte d’Ogny, einer der Initiatoren der Pariser Konzerte, die Werke bei ihm bestellte – und komponierte bis 1786 seine sechs «Pariser Sinfonien» (Nr. 82 bis 87). Die Besetzung des Pariser Orchesters, das für seine Virtuosität berühmt war, übertraf die des Orchesters in Esterháza um einiges: Standen Haydn dort gerade einmal 25 Musiker zur Verfügung, so sind für die Pariser Konzerte über vierzig Violinen, zehn Kontrabässe und doppelt besetzte Holzbläser überliefert. Von daher ist es erstaunlich, dass sich Haydn auch in den für Paris entstandenen Sinfonien an den eigenen Verhältnissen orientierte und die große Besetzung weitgehend ignorierte – mit einer Ausnahme: der Sinfonie Nr. 86 in D-Dur, der vorletzten des Zyklus, die neben Streichern und Holzbläsern auch Pauken und Trompeten vorsieht. Mit ihrer festlichgroßzügigen Haltung trägt sie wohl am auffälligsten die Züge einer «Grande Symphonie», wie sie dem Grafen d’Ogny vorgeschwebt hatte. Gleich zu Beginn der Sinfonie wird dieser Charakter deutlich: Pauken und Trompeten treten bereits in der langsamen Einlei- Links: Der Titel des Erstdrucks der «Pariser Sinfonien» Hob. I:82-87 joseph HAYDN aus dem ersten, es hebt mit der gleichen Tonwiederholung an (und weist außerdem Eine Opernaufführung auf Schloss Esterháza (1775). Unten sieht man Haydns Orchester mit dem Komponisten am Cembalo. tung zum ersten Satz strahlend hervor; ansonsten beginnt und endet dieser Abschnitt im Piano. Das Hauptthema des folgenden Allegro spiritoso ist zweigeteilt: Es setzt zurückhaltend in e-Moll ein und schlägt nach ein paar Takten ins Orchestertutti um – ein Effekt, der auch andere der «Pariser Sinfonien» auszeichnet. Im Seitensatz kehrt der Hauptgedanke zunächst noch einmal wieder, erst danach wird das schlendernde zweite Thema eingeführt: Haydn liebte das Spiel mit den Hörerwartungen; «Sinfonie» bedeutete ihm immer auch ein intellektuelles Vergnügen. Der langsame Satz ist motivisch mit dem Kopfsatz verbunden, er hebt mit der gleichen Dreiklangsfolge der Bässe an wie dessen Adagio-Einleitung. Sein ungewöhnlicher Titel «Capriccio» (italienisch, «Lau- ne») geht vermutlich auf die – auch in Haydns Schaffen einzigartige – freie Formgestaltung zurück: Der Satz verbindet auf kapriziös-geistreiche Weise Elemente der Sonaten-, Rondo- und der Variationenform. Beinahe «sinfonisch» gestaltet ist das Menuett, das mit rhythmischen und harmonischen Überraschungen aufwartet und sich in der Wiederholung des Anfangsteils erstaunlich weiter entwickelt. In der ländlerhaften Melodik des Trios scheint der volkstümliche Ursprung durch, das Solofagott wird hier von Streicher-Pizzicati begleitet. Den Abschluss bildet ein heiteres Finale, für das Haydn die Form eines monothematischen Sonatensatzes wählte: Das zweite Thema entpuppt sich als eine Ableitung Bezüge zur Thematik des Kopfsatzes auf). Bei aller pulsierenden Heiterkeit kommt es auch zu kontrapunktischen Verdichtungen, immer vorangetrieben durch den charakteristischen Staccato-Auftakt – der am Ende auch den Schlusspunkt setzt. «Meine Sprache versteht die ganze Welt», soll Haydn geantwortet haben, als ihn Mozart vor seiner ersten London-Reise im Jahr 1791 vor möglichen Verständigungsschwierigkeiten im Ausland warnte. Er sprach aus Erfahrung: Mit seinen «Pariser Sinfonien» hatte er 1786 so großen Erfolg gehabt, dass die Loge Olympique schon bald drei weitere Sinfonien bei ihm «nachbestellte» (Nr. 90 bis 92) – und dies, obwohl Haydn bei den Aufführungen nicht einmal anwesend gewesen war (er war zeitlebens nie in Paris). In London sollte es dann ganz ähnlich laufen: Die ersten sechs «Haydns Sinfonie Nr. 86 ist eine meiner liebsten Haydn-Sinfonien, da sie die unbezähmbare Vitalität und Ausgelassenheit dieses Komponisten herausstellt. Sie ist zeitlos in ihrer Eigenschaft, dem Hörer die Wirkung von Musik vorzuführen, ohne ihn dabei intellektuell zu überfrachten. Diese Musik ist lebendig und fröhlich, und sie zeigt Haydns wunderbaren Humor anhand zahlreicher musikalischer Witze – er nimmt hier die Tradition auf die Schippe, die institutionalisierte ‹Klassische Musik›, am allermeisten aber wohl sich selbst. Die Nr. 86 ist genauso frech wie reizvoll!» Kristjan Järvi der «Londoner Sinfonien» musste er schließlich auf zwölf aufstocken… Mit all diesen späten, zyklischen Auslandsaufträgen schuf Haydn Gipfelpunkte der von ihm mitentwickelten Gattung, die noch lange weiterwirkten. TN Joseph Haydn * 31. März 1732 in Rohrau (Niederösterreich) † 31. Mai 1809 in Wien Besetzung / Sinfonie Nr. 86 D-Dur Hob. I:86 Verlag / Flöte, 2 Oboen, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken, Streicher Haydn-Mozart-Presse, Salzburg entstanden / 1786 im Auftrag der Pariser «Loge Olympique» Dauer / ca. 30 Minuten uraufgeführt / 1786 im Rahmen der «Concerts de la Loge Olympique» igor Strawinsky Exotischer Exportschlager Zu Igor Strawinskys Ballettmusik «Der Feuervogel» Strawinsky in Paris (1912) M ag mein Heim auch meine Burg sein – diese beruhigende Erkenntnis hat noch kaum einen Komponisten davon abgehalten, sich der Faszination des Exotischen und Fantastischen hinzugeben. Doch für private Urlaubsreisen, Eroberungskriege und kulturelle Grenzgänge gilt bekanntlich gleichermaßen: Wohl fühlt man sich im Fremden nur, wenn man es sich zumindest teilweise zum Eigenen macht. Und so wähnten sich auch die komponierenden Weltenbummler des späten 19. Jahrhunderts nur irrtümlich in einer wilden und zugleich verlockenden Fremde. Denn anstatt sich tatsächlich einer vermeintlich ungebändigten Natur auszusetzen, kamen auch Gounod und SaintSaëns, Mussorgski und Rimski-Korsakow letztlich über den Horizont des eigenen, zwar zauberhaft ausstaffierten, doch kompositionstechnisch domestizierten Gartens nicht hinaus: Nach wie vor bewegte man sich in Hörweite der heimischen Burg und setzte sich somit einer recht kalkulierbaren Gefahr aus. Aber da schließlich nur akklimatisierbare Pflanzen auch in fremdem Boden gedeihen, wird ein reibungsloser Kultur- und Warentransfer eben erst durch einen derart gemäßigten Exotismus möglich. So konnte es nicht lange dauern, bis man auf die Idee kam, assimilierbares Kulturgut nicht nur den eigenen Strukturen künstlerisch einzuverleiben, sondern die Zauber­ kräuter seines eigenen Gartens auch gewinnbringend als Exportschlager in die Fremde zu verkaufen: Serge Diaghilew hatte die russische Kultur in den Jahren 1905 bis 1908 im xenophilen Paris bereits mit Ausstellungen, Konzert- und Opernaufführungen populär gemacht, als er sich entschied, nach einem Testlauf mit orches­ trierten Klavierstücken Chopins auch den zeitgenössischen russischen Tanz in die französische Kulturmetropole zu importie- Links: Die Interpreten der Uraufführung 1910: Michail Fokine (Iwan Zarewitsch) und Tamara Karsawina (Feuervogel) 10 11 igor Strawinsky Zu der Zeit, als ich meinen Auftrag von Diaghilew erhielt, vollzog sich eine große Wandlung des Balletts, dank dem Auftreten Fokines, eines jungen Ballettmeisters und eines ganzen Blütenstraußes junger Künstler, die voller Talent und Frische waren – der Pawlowa, der Karsawina und Nijinskis. […] Mich überkam die Sehnsucht, dem engen Kreise zu entweichen, in den ich bis dahin eingeschlossen war; mit Begierde ergriff ich die Gelegenheit, die sich mir bot. Ich wünschte mich dieser Gruppe fortschrittlicher und tatkräftiger Künstler anzuschließen, deren Seele Diaghilew war, zu dem ich mich seit langem hingezogen fühlte. Während des ganzen Winters schrieb ich eifrig an meiner Musik, und durch diese Arbeit kam ich in ständige Berührung mit Diaghilew und seinen Mitarbeitern. Sobald ich Teile der Partitur ablieferte, legte Fo­kine die Choreografie fest, und ich war bei jeder Probe der Truppe zugegen.» Strawinsky in seinen «Erinnerungen» (1935/36) Eine solch überschaubare Fabel lässt sich schließlich so plastisch komponieren, dass auch der Hörer im Konzertsaal der Handlung problemlos folgen kann: Kaschtscheis bedrohlich fremde Welt stattete Strawins- ky mit Terzen in tiefster Lage und herber Chromatik aus, während das Federkleid des Feuervogels mit diatonischem Flirren der Streicher und Holzbläser geschmückt ist. Und damit das humane Potenzial des Igor Strawinsky * 5. (17.) Juni 1882 in Oranienbaum bei St. Petersburg † 6. April 1971 in New York Besetzung / Der Komponist und sein Mentor: Strawinsky (rechts) und Diaghilew in Sevilla, 1921 ren. Für die Ballett-Uraufführung «L’Oiseau de feu» (Der Feuervogel) auf russische Märchen engagierte er daher als Exporthelfer neben dem Choreografen Michail Fokine, der auch für das Szenario verantwortlich zeichnen sollte, einen noch weitgehend unbekannten 27-jährigen Komponisten: Igor Strawinsky, Schüler Nikolai Rimski-Korsakows, des Meisters der vir­ tuos-farbigen Orchesterklänge. Um jedoch allzu derben Fremderfahrungen beim französischen Publikum vorzubeugen, verlangte Diaghilew von seinen Mitstreitern einige Assimilitationsbemühungen: Zunächst galt es, den erzählerischen Wildwuchs der beiden zu Grunde liegenden russischen Märchen «Das Märchen von Iwan dem Zarensohn, dem Feuervogel und vom grauen Wolf» und «Der unsterbliche Kaschtschei» auf die Konven- 12 tionen des Balletts und den Goût der Pariser Gesellschaft der Jahrhundertwende zu stutzen. Den Schauplatz der sich in den Weiten Russlands verlierenden Märchenhandlung verlegten Fokine und Strawinsky daher gleich in überschaubare bühnenkompatible Abgrenzungen: in die Gartenanlagen des Zauberers Kaschtschei. Und damit auch die moralische Orientierung leichter fiel, wurden die ambivalenten Wertvorstellungen der russischen Märchenwelt an ein klares Gut-Böse-Schema mit Wiedererkennungswert angeglichen: Der unsterbliche Kaschtschei mutiert zum bösen Zauberer, welcher – Wagners Kling­ sor lässt grüßen – gleich eine ganze Herde jungfräulicher Prinzessinnen gefangen hält, und der Feuervogel stilisiert sich zur wunderbaren Lichtgestalt und zum Retter in höchster Not. «L’Oiseau de feu» (Der Feuervogel) Ballett in zwei Bildern entstanden / 1909/10 im Auftrag von Serge Diaghilew und seinen Ballets Russes; 1911, 1919 und 1945 zu drei Konzertsuiten bearbeitet 3 Flöten (3. auch Piccolo), Piccoloflöte, 3 Oboen, Englischhorn, 3 Klarinetten, Bassklarinette, 3 Fagotte (3. auch Kontrafagott), Kontrafagott, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug inkl. Glocken (4 Spieler), 3 Harfen, Celesta, Klavier, Streicher Bühnenmusik: 3 Trompeten, 2 Tenortuben, 2 Basstuben Verlag / Schott Musik International, Mainz uraufgeführt / Dauer / am 25. Juni 1910 in Paris (Ballets Russes, Dirigent: Gabriel Pierné, Choreografie: Michail Fokine, Ausstattung: Alexander Golowin und Léon Bakst) ca. 45 Minuten 13 igor Strawinsky ter Kaschtscheis in die heimische Burg zu folgen. Und spätestens, wenn der Böse- Tanz des Feuervogels: Tamara Karsawina (1912) bodenständigen russischen Kolorits in der Fantastik der Orchestrierung nicht untergeht, äußert sich der Zarensohn Iwan mit Vorliebe durch folkloristische Melodien im Horn, die Strawinsky den Sammlungen russischer Volkslieder seines Lehrers Rims­ ki-Korsakow entnommen hat. Doch im Verlauf der Geschichte wird auch der ungestüme Held domestiziert: Hatte er bei seinem plötzlichen Auftauchen im Garten Kaschtscheis die Prinzessinnen noch mit einer Hymne an die Weiten der Mosdozkaer Steppe erschreckt, gibt er sich beim Anblick der schönen Zarewna lieber häuslich und trällert einzelne Phrasen eines Volkslieds mit dem sprechenden Titel «In dem Garten». Jedoch hält auch das die Prinzessinnen nicht davon ab, nach ihrem reichlich orientalisch anmutenden «Spiel mit den goldenen Äpfeln» den profan abendländischen Trompetensignalen der Wäch- wicht höchstpersönlich sein erstes Auftreten durch einen vierfachen «mistico»-Ruf der Tuben ankündigen lässt, finden sich unsere ballettierenden Märchenfiguren vollends in jenen vertrauten Garten zurückversetzt, in dem sich schon Parsifal und Kundry, Samson und Dalila und erst wenige Jahre zuvor auch Pelléas und Mélisande tummelnd paaren durften. Damit allerdings hatte Strawinsky dem franko-russischen Bedürfnis nach Heimatgefühlen Genüge getan: Im «Höllentanz aller Untertanen Kaschtscheis» wendet er sich dann auch jenen unbekannten Gefilden einer in der abendländischen Kunstmusik bis dato unerhörten rhythmischen Gewalt zu, die drei Jahre später dasselbe Pariser Premierenpublikum in Angst und Schrecken versetzen wird: Ohne jede Rücksicht auf frankophones Gewohnheitsrecht sollte er nun mit den hämmernd repetierten Brachial-Akkorden seines «Sacre du printemps» den Naturkräften ihr volles Recht einräumen und weit in die terra incognita der Neuen Musik vorstoßen. Den lieblich orientalisierten Garten Kaschtscheis hatte er da allerdings schon längst wieder verlassen. Daniel Kötter > Unter dem Titel «Les Ballets Russes» ist Strawinskys «Feuervogel», neben «Petru­sch­ ka» und «Chopiniana», seit Juni 2005 auch im Repertoire des Dresden SemperOper Ballett. Die szenische und choreografische Einrichtung ist den Originalproduktionen der Ballets Russes nachempfunden. Der Feuervogel Die Handlung Einleitung Im Garten des bösen Zauberers Kaschtschei. Nacht. Erstes Bild Der geheimnisvolle Feuervogel erscheint, er wird von Iwan Zarewitsch verfolgt und gefangen. Der Vogel fleht um seine Freiheit und verspricht dem Prinzen zum Dank eine goldene Feder: Wann immer Iwan in Not gerate, brauche er sie nur in die Luft zu halten, und der Feuervogel werde ihn retten. Daraufhin lässt der Prinz den Vogel frei. Aus dem Palast des Kaschtschei treten dreizehn gefangene und verzauberte Prinzessinnen. Sie spielen mit goldenen Äpfeln. Iwan Zarewitsch verliebt sich in eine von ihnen: die schöne Zarewna. Aus der Ferne hört man Trompetensignale. Zarewna und ihre Freundinnen eilen in den Palast zurück. Auch Iwan versucht, in den Palast einzudringen. Da erklingt ein magisches Glockenspiel: Kaschtschei und seine Ungeheuer treten auf. Sie nehmen den Prinzen gefangen. Mit Hilfe der Zauberfeder ruft Iwan den Feuervogel. Dieser stachelt Kaschtschei und seine Untertanen zu einem ekstatischen Höllentanz auf; mit einem Wiegenlied lässt er sie danach in tiefen Schlaf fallen. Der Feuervogel zeigt Iwan Zarewitsch ein unter dem «Baum der goldenen Früchte» verstecktes Riesenei, das die Seele Kaschtscheis enthält. Der Prinz zerschlägt das Ei, der Zauberer stirbt. Zweites Bild Das Reich des Kaschtschei versinkt. Die dreizehn Prinzessinnen und alle, die Kaschtschei verzaubert hatte, sind befreit. In allgemeiner Freude huldigt das Volk dem neuen Zaren Iwan und seiner Zarewna. «Der Feuervogel». Figurine von Léon Bakst 14 15 Sächsische staatskapelle dresden S Ä C H SIS C H E STAATSKA P E L L E D RES D EN 2. Sinfoniekonzert Orchesterbesetzung 1. Violinen Roland Straumer / 1. Konzertmeister Thomas Meining Jörg Faßmann Christian Uhlig Volker Dietzsch Brigitte Gabsch Johanna Mittag Susanne Branny Barbara Meining Wieland Heinze Anett Baumann Annika Thiel Wilma Sattler* Andreas Schneider* 2. Violinen Reinhard Krauß / Konzertmeister Matthias Meißner Annette Thiem Stephan Drechsel Jens Metzner Olaf-Torsten Spies Beate Prasse Mechthild von Ryssel Alexander Ernst Emanuel Held Werner Janek* Felicitas Mathe-Mix* 16 Bratschen Michael Neuhaus / Solo Andreas Schreiber Matthias Neubert Winfried Berger Uwe Jahn Ulrich Milatz Ralf Dietze Zsuzsanna Schmidt-Antal Claudia Briesenick Torsten Frank* Violoncelli Francis Gouton* / Konzertmeister Simon Kalbhenn / Solo Uwe Kroggel Andreas Priebst Bernward Gruner Jörg Hassenrück Jakob Andert Anke Heyn Kontrabässe Reiner Barchmann* / Solo Christian Rolle Torsten Hoppe Helmut Branny Reimond Püschel Thomas Grosche Flöten Eckart Haupt / Solo Bernhard Kury Cordula Bräuer Friederike Herfurth Oboen Posaunen Andreas Lorenz / Solo Wolfgang Klier Michael Goldammer Sibylle Schreiber* Uwe Voigt+ / Solo Gerhard Eßbach* / Solo Guido Ulfig + Jürgen Umbreit Frank van Nooy Klarinetten Matthias Ambrosius / Solo Egbert Esterl Jan Seifert Rolf Schindler Fagotte Erik Reike / Solo Joachim Huschke Andreas Börtitz Thomas Berndt Hörner Jochen Ubbelohde / Solo Harald Heim Manfred Riedl Jana R̀´er̀´ichová* Trompeten Peter Lohse + / Solo Mathias Schmutzler / Solo Siegfried Schneider+ Volker Stegmann Gerd Graner Bernd Hengst*+ Tuba Hans-Werner Liemen / Solo Jens-Peter Erbe + / Solo Burkhard Swaboda*+ Pauken Bernhard Schmidt / Solo Schlagzeug Christian Langer Jürgen May Dirk Reinhold Stefan Seidl Harfen Sarah Christ* / Solo Ruth Leitz* / Solo Christine Fraisl* KLAVIER Michael Lüdicke celesta Yevgeny Feldmann * als Gast + Bühnenmusik 17 Edition Staatskapelle dresden Mehr als eine CD-Sammlung ECHO Klassik für die «Edition Staatskapelle Dresden» Mehr als 450 Jahre Orchestertradition, die letzten 85 Jahre hiervon akustisch dokumentiert: Das musikalische Erbe und Gedächtnis der Staatskapelle Dresden zu erfassen, zu erforschen und zu dokumentieren und letztendlich in Form einer CD-Edition herauszugeben ist eine echte Herausforderung. Viele Partner sind notwendig, um dieses gewaltige Projekt auf die Beine zu stellen. D a wären zunächst die Aufnahmen an sich: Im Jahr 1923 beginnt unter Fritz Busch die bis heute andauernde, rege Aufnahmetätigkeit der Staatskapelle Dresden. Ab 1935 war es Karl Böhm, der bis in die ersten Jahre des Zweiten Weltkrieges hinein etliche sinfonische Werke und erstmalig auch herausragende Szenen der Opernliteratur einspielte. Mit Fortschreiten des Krieges übernahm der Rundfunk mehr und mehr die Rolle des Produzenten. Ganze Opern und Opernquerschnitte wurden in jenen Jahren unter der musikalischen Leitung von Kurt Striegler und Karl Elmendorff aufgenommen. Und auch nach dem Krieg blieb der Rundfunk in Dresden aktiv. Im zum Aufnahmestudio umfunktionierten Steinsaal des Hygienemuseums entstanden unter dem neuen Generalmusikdirektor Joseph Keilberth noch heute faszinierende Operngesamteinspielungen, darunter eine berührende «Rusalka» mit Elfride Trötschel in der Titelpartie. 18 Erst nach eingehender akustischer Prüfung und nach einem aufwändigen technischen Remastering durch Holger Siedler im THS Studio Dormagen gelangen diese historischen Aufnahmen im Rahmen der Edition Staatskapelle Dresden zur Veröffentlichung. Siedlers technische Aufarbeitung dieser einmaligen Tondokumente hat mittlerweile weltweite Anerkennung gefunden. Und es tauchen immer wieder Schätze in den alten Beständen auf. Das deutsche Rundfunkarchiv (DRA) mit seinen Dependancen in Wiesbaden (Aufnahmen bis 1945) und Potsdam (ab 1945 bis 1989) verwaltet und archiviert das gewaltige rundfunkhistorische Erbe und damit auch alle heute noch erhaltenen Rundfunkproduk­ tionen der Staatskapelle bis 1991. So gelang es Steffen Lieberwirth, Musikchef von MDR FIGARO und «Spiritus Rector» der gesam­ ten Edition, eine bislang verschollen geglaubte Einspielung der Janác̀´ek-Oper «Katja Kabanova» von 1949 zu lokalisieren. Der dritte Partner in dieser einmaligen Kooperation ist der MDR mit seinem Kulturradio FIGARO. Aus dem MDR-Archiv stammen die jüngsten Aufnahmen der Staatskapelle: Live-Mitschnitte großartiger Konzertereignisse, die seit 1989 über den Sender gingen und von denen jetzt viele für die Veröffentlichung im Rahmen der Edition Staatskapelle Dresden vorbereitet werden. Sir Colin Davis, Herbert Blomstedt, Bernard Haitink, Giuseppe Sinopoli und viele andere lassen die Herzen der Kapellfreunde in aller Welt höher schlagen. Keine Edition ohne entsprechendes Beiwerk: Jede Veröffentlichung zeichnet sich durch ein umfassendes, zweisprachiges Booklet aus. Ein kompetentes Autorenteam, angeführt von Eberhard Steindorf, dem langjährigen Dramaturgen der Staats- kapelle, und von seinem Amtsnachfolger, Tobias Niederschlag, sowie einige handverlesene Gastautoren runden das Team der Edition Staatskapelle Dresden ab. Anders als bei vielen vergleichbaren Veröffentlichungen handelt es sich bei der Edi­ tion Staatskapelle Dresden beim Label Hänssler Profil um eine lebendige Reihe, die fortwährend erweitert wird – völlig zu Recht wurde die Edition deshalb jetzt mit dem ECHO Klassik 2007 für die «Editorische Leistung des Jahres» ausgezeichnet. Jens-Uwe Völmecke > Die ECHO-Klassik-Preisverleihung fand am 21. Oktober 2007 in der Münchner Philharmonie am Gasteig statt. 19 vorschau / impressum Freitag 2. November 2007 / 20 Uhr Samstag 3. November 2007 / 20 Uhr Chor der Sächsischen Semperoper Einstudierung: Ulrich Paetzholdt Dirigent / Fabio Luisi Gustav Mahler Sinfonie Nr. 2 c-Moll («Auferstehungs-Sinfonie») Sonntag 4. November 2007 / 11 Uhr S Ä C H SIS C H E BILDNACHWEIS / STAATSKA P E L L E Kristjan Järvi: Peter Rigaud; Abbildungen zu Haydn: László Somfai, Joseph Haydn. Sein Leben in zeitgenössischen Bildern, Budapest 1966; Fotoabbildungen zu Strawinsky: Richard Shead, Sächsische Staatsoper Dresden Intendant Prof. Gerd Uecker Generalmusikdirektor Fabio Luisi M E I ST E R L I C H E R H A N D A R B E I T Staatsoper Dresden Kostenlose Konzerteinführungen jeweils 45 Minuten vor Beginn im Kellerrestaurant D RES D EN MAG ISCH E MOM E NTE Camilla Nylund / Sopran Anke Vondung / Mezzosopran Ballets Russes, London 1989; Figurine Feuervogel: Emilio Bertonati und Giulia Veronesi, Léon Bakst. Ausstellungskatalog der Galleria del Levante, W W W. G L A E S E R N E M A N U FA K T U R . D E 3. Sinfoniekonzert Mailand/München 1967 Spielzeit 2007/2008 Herausgegeben von der Intendanz © Oktober 2007 textNACHWEIS / «Exotischer Exportschlager» von Daniel Kötter erschien erstmals in den Programmheften der Berliner Philharmoniker (Saison 2004/2005). Der Nachdruck erfolgt mit freundlicher GenehRedaktion / Tobias Niederschlag (TN) migung des Autors. «‹Meine Sprache versteht die ganze Welt›» von Tobias Niederschlag ist ein Originalbeitrag für die Programmhefte der Gestaltung und Layout / Die Werft – Kommunikationsdesign Tanja Schnurpfeil Sächsischen Staatskapelle Dresden. Urheber, die nicht ermittelt oder erreicht werden konnten, werden wegen nachträglicher Rechts- Druck / Union Druckerei Dresden GmbH abgeltung um Nachricht gebeten. Anzeigenvertrieb / Keck & Krellmann Werbeagentur GmbH i.A. der Moderne Zeiten Medien GmbH Telefon (0351) 25 06 70 www.kulturwerbung-dresden.de 20 Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet. www.staatskapelle-dresden.de Die Sächsische Staatskapelle und die Gläserne Manufaktur. Seit 1548 und seit 2001 in Dresden zu Hause. Eine gemeinsame Idee: handwerkliches Können und Inspiration in die perfekte Inszenierung eines Meisterstückes einfließen zu lassen. Besuch nach Voranmeldung über das Customer Care Center: Telefon 01805-896268 (0,14 € | Min. aus dem deutschen Festnetz) glanz und klang seit 1548 sound and splendour since 1548