GEORG BECK VIELFALT ZEIGEN „KOMPONIST FÜR HAGEN“ – EIN KONZEPT MIT MEHRWERT (nmz 6/14) – Eigentlich ein Setting ganz nach dem Geschmack des Klassikliebhabers: Aufgeschlagener Klavierdeckel, gestimmtes Orchester, unter Applaus betreten Solist und Dirigent das Podium. Alles beisammen, alles bereit, so scheint es, für eine weitere Reproduktions-Großtat aus dem Fundus der sinfonischen Konzertliteratur. Dann kommt es doch anders. Wir sind in Hagen. Und damit Zeuge einer bemerkenswerten konzertdramaturgischen Erweiterung. Eine, soviel muss man gleich dazu sagen, die nicht neu, die aber auch nicht unumstritten ist unter KlassikKennern wie -Liebhabern hier in Hagen. Nichts gegen zeitgenössische Musik, lautet der Einwand, aber muss es denn im Sinfoniekonzert sein? Ja, muss! sagt Florian Ludwig. Dafür, so der seit 2008 amtierende GMD, sei die Situation „zu dramatisch“. Erstamls in der Geschichte der Musik werde das Zeitgenössische „ausgeklammert“. Weswegen er die Bühne der Hagener Stadthalle denn auch jetzt, bei Gelegenheit des 8. Sinfoniekonzerts, zusammen mit Christoph Maria Wagner betritt. Letzterer ist als Komponist in diesem Fall auch der Solist des angekündigten „Klavierkonzerts“. Ein Werk, das seit seiner emphatisch umjubelten Uraufführung 2001 in Haarlem mit dem Noordhollands Philharmonisch Orkest nun tatsächlich vor seiner Deutschen Erstaufführung steht. In Hagen. Melodie und Drehmoment Ein Programmpunkt ganz im Sinne von Florian Ludwig, der zum Thema eine profilierte Position vertritt. Zumal jetzt, wo dieser Wirbel aufgekommen ist durch diese gepfefferte Zeitungskritik, in der von „Quak- und Furzgeräuschen“ die Rede war, von Vertrauensverlust „in die Programmgestaltungsfähigkeit“, von „Angst“ unterm Publikum und Besucherschwund in Höhe von „mehreren Hundert“ und davon, dass das „Konzept des Komponisten für Hagen im Sinfoniekonzert nicht funktioniert.“ Wer dabei war, hörte unter Umständen anders. Zumindest was die laufende Spielzeit anging, war eigentlich alles da, was es so braucht für ein „funktionierendes“ Konzept „composer in residence“ respektive des von Ludwig mit seinem Amtsantritt aus der Taufe gehobenen „Komponisten für Hagen“: Mit dem Philhamonischen Orchester und mit dem Philharmonischen Chor Hagen profilierte, in jedem Fall interessierte Ausführende, im Parkett ein weitgehend aufgeschlossenes Publikum und mit Christoph Maria Wagner ein Künstler wie er heute selten anzutreffen ist. Als Komponist, Dirigent wie als konzertierender Pianist akkumuliert Wagner, Jahrgang 1966, tatsächlich eine ganz singuläre Kompetenzdichte. Ein Füllhorn, von dem er in Hagen reichlich ausgeteilt hat. So war im Porträtkonzert der Kammermusikwerke der luzide Dirigent, in zwei Sinfoniekonzerten der virtuose Pianist zu erleben. Spürbar in jedem Moment das ambitionierte Kunstwollen. Eines, so Wagner über Wagner, das weggeht „von der Mitte der Straße“. Da ist die Orchestersuite aus der noch unaufgeführten Oper nach dem von George A. Romero verfilmten Zombieepos „Night of the Living Dead“, in der der Philharmonische Chor ums Publikum herum positioniert war und Windgeräusche produzierte. Und da ist das „Klavierkonzert“, mit dem der Künstler demonstriert hat, dass er eigentlich nicht bereit ist, sich von den erdrückenden Vorbildern der Gattung einschüchtern zu lassen. Dazu ein Werk, das mit seinem Bekenntnis zu „Melodie“ und motivischer Entwicklung im Kontext zeitgenössischer Musik erfrischend nonkonformistisch operiert. Hörbar gleich im unprätentiösen Beginn im Klavier. Fünf Töne, die auf schwacher Taktzeit einsetzen. Triole, zwei angehängte Achtel und eine wunderbar ausgehörte halbe Note, die das Drehmoment aufnimmt und angestaute Energie abführt. Einschwingen, Ausschwingen. Miles Davis, Thelonius Monk hätten ohne ein Wort darüber zu verlieren, angefangen über ein solches Thema zu improvisieren. Soviel steht fest. Vielfalt zeigen Christoph Maria Wagner hat es aufgeschrieben. Herausgekommen ist eine knapp halbstündige, alles andere als ‚aus den Fingern’ geschöpfte Musik, die ihr Thema (gegen die Gepflogenheiten der Szene) fast klassisch variierend durchführt und in der Folge eine packende Hörgeschichte entwickelt, wenn sich das Orchester, zumal im Blech, bemerkbar macht, sich aufzulehnen scheint: Konzert noch einmal als Wett-Streit aufgefasst. Wenn etwas zu kritisieren wäre, dann dies, dass das Kompakte, das Ekstatische dieses Klavierkonzerts, noch nicht konsequent genug deutlich geworden ist, was sicher auch der schluckenden Akustik der Hagener Stadthalle geschuldet ist. – Nur eben, in jedem Fall war klar, dass hier eine „authentische“ Handschrift vorliegt. Für Florian Ludwig tatsächlich das unabdingbare Kriterium, das ein „Komponist für Hagen“ mitbringen muss, weshalb er in der Vergangenheit einerseits vergleichsweise gut eingeführte Komponisten wie Gordon Kampe, Detlev Glanert, Moritz Eggert vorgestellt hat, andererseits aber auch einen katholisierenden Chorkomponisten wie Wolfram Buchenberg und mit Jon Lord den ehemaligen Keyboarder von „Deep Purple“. Unkonventionell sein, Vielfalt zeigen – das schafft den Mehrwert.