www.eintreten.at 2/2012 Droge Mensch – Motivation durch Beziehung Alexander van Dellen, Institut für Praktische Theologie, Universität Innsbruck A m 30. Januar 2012 sprach im KaiserLeopold-Saal an der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck der renommierte Neurowissenschafter, Arzt und Psychotherapeut Dr. Joachim Bauer vor ca. 350 interessierten Zuhörerinnen und Zuhörern. Der Gastvortrag stand unter dem Thema „Kinder und Jugendliche erreichen – Motivation stärken. Schule und Erziehung aus Sicht der Hirnforschung“ und fand auf Einladung der Institute für Praktische und Systematische Theologie sowie der KPH Edith Stein statt. Im folgenden Beitrag werden wesentliche Aussagen seines Vortrags wiedergegeben. den Schmerz, Ekel und andere Affekte übertragen. Bauer führt dazu folgendes Beispiel an: „Wenn ein Lehrer ein Problem mit einem Schüler hat, strahlt er das aus. Der Jugendliche nimmt das intuitiv wahr und verschanzt sich hinter Abneigung und Desinteresse. Würde sich der Lehrer jedoch mit anderen Kollegen über sein Problem mit diesem Schüler austauschen, bekäme er innerliche Distanz und könnte dadurch dem Schüler neutraler begegnen. Das würde wiederum dessen Reaktion positiv beeinflussen.“ Motivation durch Beziehung „Motivation gibt es immer nur in Zusammenhang mit Beziehung“. Diese These stellte Professor Bauer an den Beginn seiner Ausführungen. Die Neurowissenschaft bestätigt, dass es für Kinder und Jugendliche besonders wichtig ist, soziale Akzeptanz und Wertschätzung zu erfahren – sowohl von Lehrern als auch von Eltern. So ergaben neurobiologische Studien, dass Kinder, denen man nichts zutraut, auch keine Leistungen erbringen, obwohl in ihnen Potential vorhanden wäre. Erst durch die persönliche Zuwendung zwischen Eltern und Kindern bzw. Lehrerinnen/Lehrern und Schülerinnen/ Schülern entfalte sich der für das Motivationssystem wichtige Botenstoff-Cocktail aus Dopamin (Energie- und Leistungsbereitschaft), Opioiden (Wohlfühlbotenstoffe) und Oxytocin (das Kooperations- und Vertrauenshormon). Um eine vertrauensförderliche neuronale Aktivierung zu erreichen, genügt bereits ein freundlicher Blickkontakt. Diese Vorgänge können auch durch bildgebende Verfahren beobachtet werden: Wird ein Mensch motiviert, lassen sich positive Auswirkungen im Mittelhirn feststellen. Motivation ist demnach nicht nur ein subjektiv erlebtes Gefühl, sondern hat eine biologische Ursache. Neurowissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge wird auch durch Musik und Bewegung Dopamin freigesetzt. Aus diesem Grunde dürfen für Bauer an Schulen die Unterrichtsfächer Musik und Sport nicht reduziert werden. Spiegelung und Resonanz Spiegelung und Resonanz bilden für den Freiburger Neurowissenschafter den Kern von Beziehung. Allein schon durch Zusehen oder Zuhören sind unsere neuronalen Zellen, die Spiegelneuronen, aktiv. Durch sie ahmen Menschen unbewusst die Handlungen anderer nach. Für die Schule bedeute dies, dass Lehrende durch die Art und Weise, wie sie den Unterricht gestalten, aktivieren oder ermüden können. „Ein engagierter und motivierter Lehrer, der den Unterrichtsstoff mit Begeisterung zu vermitteln versteht, kann sich darauf verlassen, dass er mit seiner Begeisterung die Schülerinnen und Schüler anstecken wird“, erklärt Bauer. Würde hingegen ein Lehrer/eine Lehrerin ständig das Gähnen unterdrücken, würde die Klasse binnen weniger Minuten ebenfalls müde werden, denn auch Körpersprache werde gespiegelt und wirke ansteckend. Ebenso wer-2- Soziale Ausgrenzung und Schmerz Erfahren Kinder und Jugendliche soziale Ausgrenzung oder erleiden Schmerz, werden Stresssysteme im Gehirn aktiviert, was Angst, Depression und vor allem Aggression zur Folge hat. In diesem Zusammenhang rekurriert Bauer auf die interessante Entdeckung der amerikanischen Hirnforscherin Naomi Eisenberger, die nachgewiesen hat, dass bei sozialer Ausgrenzung dasselbe Zentrum im Gehirn aktiv wird, in dem sich auch körperlicher Schmerz zeigt. Körperlicher oder seelischer Schmerz verursache demnach immer Aggression, wobei diese bei Mädchen eher nach innen, bei Burschen nach außen gerichtet sei. Für die Pädagogik bedeute dies, dass gerade bei Leistungsabfall oder disziplinären Schwierigkeiten mit den betreffenden Schülern und Schülerinnen immer wieder das persönliche Gespräch gesucht werden sollte. Öffentliches Bloßstellen vor der Klasse führe zu Demotivation und Aggression. Wenn psychischer Schmerz zu lange anhält, besteht die Gefahr, dass Jugendliche auf andere Weise versuchen, das Motivationssystem positiv zu beeinflussen, beispielsweise durch Drogen, wie Alkohol, Nikotin oder Kokain. So konnte laut Bauer nachgewiesen werden, dass Kokain dasselbe System im Hirnstamm und Hypothalamus anspricht wie positive menschliche Zuwendung. Gegenwärtig sieht Bauer jedoch vor allem die Computer- und Internetsuchtsucht vieler Jugendlicher als große Herausforderung. So haben Studien gezeigt, dass bereits 10% aller Jugendlichen in Deutschland internetsüchtig sind. Diese Tatsache sei ein Ausdruck für fehlende reale Beziehungen. „Viele Jugendliche schließen Facebook-Freundschaften, da sie nur dort das Gefühl bekommen, wahr- und ernst genommen zu werden“. 2/2012 www.uibk.ac.at/theol Folgerungen für die pädagogische Praxis Zusammenfassend zieht Joachim Bauer folgende Schlüsse für Eltern und Lehrer/Lehrerinnen: Es gibt keine Motivation ohne Beziehung: Positive menschliche Zuwendung schließt auch das Gespräch zwischen Eltern und Kindern ein. „Dafür nehmen sich aber immer weniger die Zeit“, konstatiert Bauer. Häufig würde lediglich das Nötigste kommuniziert, so etwa: Hast du deine Schultasche dabei? Oder: Welche Note hast du bekommen? Dabei sei erwiesen, dass das gemeinsame Essen von Eltern und Kindern in direktem Zusammenhang mit deren schulischem Erfolg stehe. Der Freiburger Neurowissenschafter bezeichnet die Unterhaltungen, die dabei entstehen als beziehungsstiftenden Akt: „Schon ein 20-minütiges gemeinsames Frühstück als Zeichen der Zuwendung zeigt Kindern und Jugendlichen, dass sie ihren Eltern wichtig sind“. Kinder und Jugendliche wollen wahrgenommen, jedoch nicht verwöhnt werden. Sie sind bereit, für Anerkennung viel zu tun: Für die Schule bedeutet dies die Notwendigkeit pädagogischer Grundhaltungen, wie Respekt und Wertschätzung, aber auch Führung und Orientierung, was für Bauer nicht mit „Kuschelpädagogik“ verwechselt werden darf, sondern auch das klare Aufzeigen von Grenzen beinhaltet. Bauer sieht in der Einführung von Ganztagsschulen eine große Chance für die Stärkung der Beziehung zwischen Schülern/Schülerinnen und Lehrern/Lehrerinnen sowie für die Beschäftigung der Kinder und Jugendlichen mit Musik, Kunst, Tanz, Theater und Sport. Er warnt in diesem Zusammenhang jedoch vor der zusätzlichen Ausweitung der Lehrpläne in den theoretischen Fächern. Abschließend plädiert Bauer für eine Stärkung der Beziehung sowohl in der Familie als auch in der Schule, die nur durch individuelle Zuwendung erreicht werden kann und betont, dass der Mensch als kooperationsorientiertes Wesen in sich das Potential hat, mit bereits kleinen Maßnahmen sinnstiftende und solidarische Strukturen zu schaffen. In seinem Gastvortrag bezog sich Joachim Bauer auf folgende seiner Bücher: „Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneuronen“ (2005); „Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren“ (2006); „Lob der Schule. Sieben Perspektiven für Schüler, Lehrer und Eltern“ (2007) sowie sein neu erschienenes Buch „Schmerzgrenze. Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt“ (2011). Zur Person von Joachim Bauer Joachim Bauer, geboren 1951 in Tübingen, ist Facharzt für Innere Medizin sowie für Psychiatrie und arbeitet an der medizinischen Universitätsklinik in Freiburg im Breisgau als Oberarzt an der Abteilung für Psychosomatische Medizin. Neben seiner ärztlichen Tätigkeit leitet Bauer immer wieder Teilprojekte in neurowissenschaftlichen Forschungsbereichen der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie. Ein Schwerpunkt seines Forschungsinteresses bildet der Bereich Schule, wobei sich Professor Bauer vor allem für Fragen der seelischen und körperlichen Gesundheit in der Schule – insbesondere der Lehrergesundheit – interessiert. Seine zahlreichen Publikationen fußen auf den neuesten Erkenntnissen von Gen- und Hirnfor- Gemeinsame Mahlzeiten Manche mögen darüber staunen: Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass zu Hause mit den Eltern oder einem Elternteil eingenommene Mahlzeiten sich positiv auf den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen auswirken. Eines der ältesten menschlichen Rituale ist das Essen in der Gruppe. Was sich hier abspielt, ist weit mehr als die Abfütterung der beteiligten Personen. Wo man es sich gemeinsam schmecken lässt, kommen die wichtigsten Eigenschaften ins Spiel, die den Menschen zum Menschen machen: Freude an Geselligkeit, Erleben von Zusammenhalt, Sehen und Gesehenwerden, wechselseitige Anteilnahme, Miteinander-Teilen, Miteinander-Sprechen. So gesehen, ist der fördernde Einfluss gemeinsamer Mahlzeiten auf die Entwicklung Heranwachsender kein Wunder. Kinder, die mindestens siebenmal in der Woche mit Familienangehörigen essen, haben – wie sich in einer Studie zeigte – gegenüber Kindern, die dies nur zweimal oder noch seltener tun, signifikant bessere Schulnoten; außerdem weisen sie ein niedrigeres Drogenrisiko und eine signifi- schung und wollen für den Alltag des Menschen nutzbar gemacht werden. Dabei geht es ihm um die Bedeutung zwischenmenschlicher Beziehungserfahrungen, Lebensstile, aber auch um die Art, wie wir selbst Beziehungen gestalten und welchen Einfluss diese auf die Gesundheit unseres Körpers haben. Aus theologischer bzw. religionspädagogischer Sicht finden sich in seinen Forschungserkenntnissen viele Anknüpfungspunkte. Ein kleiner Auszug aus seinem Buch „Lob der Schule. Sieben Perspektiven für Schüler, Lehrer und Eltern.“ möchte diesbezüglich zum Weiterdenken einladen: kant bessere Allgemeinverfassung auf. Eltern sollten sich darum bemühen, mit ihren Kindern mindestens einmal täglich gemeinsam zu essen. Dabei sollten Medien (insbesondere Fernsehen, Handy und Computer) wenigstens dreißig Minuten lang abgeschaltet sein. Die Eltern sollten die Mahlzeit dazu nutzen, sich bei ihren Kindern nach deren Befinden, Erlebnissen, Gedanken zu erkundigen, aber auch die Möglichkeit wahrnehmen, ihrerseits zum Ausdruck zu bringen, was ihnen wichtig ist, und nachzufragen, ob die Tochter/der Sohn zum Beispiel eine verabredete Aufgabe erledigt hat. Für viele Familien dürfte sich die Chance des gemeinsamen Essens auf den Abend beschränken. Sehr hilfreich ist es, wenn ein Elternteil (zum Beispiel der Vater) auch morgens – wenigstens kurz – mit dem Kind zusammensitzt (zum Beispiel frühstückt) und es mit einer Ermutigung in den Tag entlässt. (Joachim Bauer: „Lob der Schule. Sieben Perspektiven für Schüler, Lehrer und Eltern.“ München 32007, S. 101f.). -3-