Risiko-Assessment im Maßregelvollzug Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe Zürich, 21. Mai 2010 Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 1 Maßregelvollzug Regelvollzug (Justizvollzugsanstalten) Maßregelvollzug (Maßregelvollzugskliniken / Forensische Kliniken) Maßregelvollzug Sache der deutschen Bundesländer (16 MVollzGesetze) Sozial- oder Gesundheitsministerien als Oberste Aufsichtsbehörde Ziel: Besserung und Sicherung Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 2 Unterbringung im Maßregelvollzug nach § 63 StGB Voraussetzungen: Psychische Störung zum Tatzeitpunkt Einsichts- und / oder Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt vermindert oder gar aufgehoben (Verminderte Schuldfähigkeit /Schuldunfähigkeit) (§ 21 StGB / § 20 StGB) Täter zeigt hohes Risiko für zukünftige Straftaten, gilt als gefährlich für die Allgemeinheit Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 3 Unterbringung im Maßregelvollzug nach § 63 StGB Charakteristika: Schuldprinzip greift nicht (§ 20 StGB) / nur teilweise (§ 21 StGB) Fortbestehende Gefährlichkeit einzige Unterbringungsgrundlage Aufenthalt im Maßregelvollzug damit prinzipiell unbefristet Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Juristisch) bei fortbestehender Gefährlichkeit „Sicherungsverwahrung durch die Hintertür“ Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 4 Psychische Störung zum Tatzeitpunkt §§ 20 / 21 StGB (Schuldunfähigkeit / verminderte Schuldfähigkeit): Krankhafte seelische Störung (Psychosen / Hirnorganische Störungen / Suchterkrankungen) Tiefgreifende Bewusstseinsstörung („Affekttaten“) Schwachsinn (Intelligenzminderungen) Schwere Andere Seelische Abartigkeit (Persönlichkeitsstörungen / Paraphilien / Pyromanie) Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 5 Risikoeinschätzungen im Maßregelvollzug Störungsprognosen / Behandlungsprognosen Gefährlichkeitsprognosen Entlassprognosen Lockerungsprognosen (intramural) Lockerungsprognosen (extramural) Prognose des Entweichungs- / Fluchtrisikos Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 6 Risikoeinschätzungen im Maßregelvollzug Störungsprognosen / Behandlungsprognosen Gefährlichkeitsprognosen Entlassprognosen Lockerungsprognosen (intramural) Lockerungsprognosen (extramural) Prognose des Entweichungs- / Fluchtrisikos Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 7 Störungsprognosen / Behandlungsprognosen Psychische Störung zum Tatzeitpunkt hob Einsichts- / Steuerungsfähigkeit ganz (§20 StGB) oder teilweise (§21 StGB) auf besteht weiterhin Kenntnisse über Verlauf und Behandelbarkeit psychischer Störungen (Klinische Psychologie / Psychiatrie) Gefahr (!!): Gleichsetzung: Psychiatrische Diagnose / Gefährlichkeit Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 8 Störungsprognosen Psychische Störungen im Maßregelvollzug Rheinland-Pfalz (Weißenthurm / Alzey / Klingenmünster) (Stand 01.Januar 2009) Psychosen 25 % Persönlichkeitsstörungen 17 % Hirnorganische Störungen 4% Intelligenzminderungen 2% Psychose und Sucht 7% Persönlichkeitsstörung und Sucht 6% Sonstige 14 % Abhängigkeitserkrankungen (§ 64 StGB) 25 % Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 9 Risikoeinschätzungen im Maßregelvollzug Störungsprognosen / Behandlungsprognosen Gefährlichkeitsprognosen / Rückfallprognosen Entlassprognosen (langfristig / bedingt) Lockerungsprognosen (intramural) (kurzfristig / bedingt) Lockerungsprognosen (extramural) (kurzfristig / bedingt) Prognose des Entweichungs- / Fluchtrisikos Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 10 Gefährlichkeitsprognosen Entlassprognose (langfristig / bedingt) jährliche Stellungnahmen an Strafvollstreckungsbehörden nach § 67e StGB „Allgemeinheit“ als potentielles Opfer Kriminalprognostische Kenntnisse (Forensische Psychologie / Psychiatrie; Kriminologie) Gefahr (!): Scheinrelevanzen, „Übersehen“ wichtiger Faktoren Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 11 Entlassprognosen Einweisungsdelikte in den Maßregelvollzug Rheinland-Pfalz (Weißenthurm / Alzey / Klingenmünster) (Stand 01.Januar 2009) Körperverletzung 27 % Sexualdelikte 25 % Tötungsdelikte 12 % Brandstiftung 9% Raub 8% BTM-Verstöße 7% Eigentumsdelikte 7% Sonstige 5% Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 12 Risikoeinschätzungen im Maßregelvollzug Störungsprognosen Gefährlichkeitsprognosen Entlassprognosen (langfristig / bedingt) Lockerungsprognosen (intramural) (kurzfristig / bedingt) Lockerungsprognosen (extramural) (kurzfristig / bedingt) Prognose des Entweichungs- / Fluchtrisikos Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 13 Gefährlichkeitsprognosen Lockerungsprognose (intramural) (kurzfristig / bedingt) Verlegung in weniger gesicherten Bereich Ausführungen (mit Personal) im Klinikgelände Ausgänge (Alleine / Mitpatienten / Angehörige) im Klinikgelände Mitarbeiter / Mitpatienten / Angehörige (JVA Remscheid!) als potentielle Opfer Kriminalprognostische Kenntnisse (Forensische Psychologie / Psychiatrie; Kriminologie) Gefahr (!): „Übersehen“ wichtiger Faktoren Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 14 Risikoeinschätzungen im Maßregelvollzug Störungsprognosen Gefährlichkeitsprognosen Entlassprognosen (langfristig / bedingt) Lockerungsprognosen (intramural) (kurzfristig / bedingt) Lockerungsprognosen (extramural) (kurzfristig / bedingt) Prognose des Entweichungs- / Fluchtrisikos Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 15 Gefährlichkeitsprognosen Lockerungsprognose (extramural) (kurzfristig / bedingt) Ausführungen „vor den Zaun“ Einzelausgänge Beurlaubungen Mitarbeiter / „Allgemeinheit“ als potentielle Opfer Kriminalprognostische Kenntnisse (Forensische Psychologie / Psychiatrie; Kriminologie) Gefahr (!): „Übersehen“ deliktrelevanter Faktoren; „Übersehen“ einer Fluchtgefahr Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 16 Risikoeinschätzungen im Maßregelvollzug Störungsprognosen Gefährlichkeitsprognosen Entlassprognosen Lockerungsprognosen (intramural) Lockerungsprognosen (extramural) Prognose des Entweichungs- / Fluchtrisikos Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 17 Prognose des Entweichungs- / Fluchtrisikos bei allen intra- und extramuralen Lockerungen extrem hohe Sicherheitsstandards machen Entweichungen unwahrscheinlich (Gefahr Geiselnahme steigt!) Mitarbeiter / „Allgemeinheit“ als potentielle „Opfer“ Kenntnisse über Prognose menschlichen Verhaltens (Psychologie) Gefahr (!): Missachtung aktueller Zustand, „Leere Versprechungen“ Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 18 Prognostisches Handwerkszeug Störungsprognosen / Behandlungsprognosen: Kenntnisse über Verlauf und Behandelbarkeit psychischer Störungen Gefährlichkeitsprognosen: Entlassprognosen: diverse kriminalprognostische Instrumente für verschiedene Delikt- und Störungsgruppen (DITTMANN-Liste / FOTRES / STATIC-99 / HCR-20 / SVR-20 / SORAG / VRAG…) Lockerungsprognosen: keine spezifischen Instrumente zur Erfassung der Gefährlichkeit innerhalb kürzerer Zeiträume Prognose des Fluchtrisikos: keine spezifischen Instrumente; LIVELT-Checkliste Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 19 Lockerungen im MVollzG Rheinland-Pfalz: § 9 Lockerung des Vollzugs, Urlaub (1) Dem untergebrachten Patienten sollen Lockerungen des Vollzugs oder Urlaub gewährt werden, wenn zu erwarten ist, dass dadurch das Ziel der Unterbringung gefördert wird. Sie können auch zur Erledigung persönlicher Angelegenheiten oder aus anderen wichtigen Gründen gewährt werden. Die S. 1 und 2 gelten nicht, wenn zu befürchten ist, dass der untergebrachte Patient die eingeräumten Möglichkeiten missbrauchen, insbesondere sich oder die Allgemeinheit gefährden oder sich der weiteren Vollstreckung der Maßregel entziehen wird. Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 20 Patienten haben ein Anrecht darauf („sollen“) gelockert zu werden, wenn davon auszugehen ist, dass die Lockerung dem Vollzugsziel (Besserung und Sicherung) dient während der Lockerung keine Straftaten begangen werden die gewährte Lockerung nicht zur Flucht genutzt wird Lockerungen als therapeutisches Mittel! Lockerung auch prinzipiell gefährliche Straftäter! Lockerung unabhängig von Anlaßstraftat! Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 21 „Prognostischer Alltag“ im Maßregelvollzug: Lockerungsprognosen („Kann man diesen Patienten heute rauslassen?“) Gefährlichkeit?? Fluchtgefahr?? Positive Entlassprognose setzt negative Gefährlichkeitsprognosen bei höhergradigen Lockerungen voraus!! Lockerungen als prognostisches Kriterium für Entlassung! Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 22 „Störfaktoren“ bei Lockerungsprognosen: „Beliebtheit eines Patienten“ Spannungen / Störungen innerhalb des Behandlungsteams („Machtkämpfe“) Persönliche Moral- und Wertvorstellungen („Kinderschänder dürfen nicht gelockert werden!“) „Platzgründe“ „Belegungsdruck“ „Prognostischer Blick“ Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 23 Gefährlichkeitsprognose: Prognose der Fluchtgefahr: verschiedene Methoden (intuitiv, klinisch, statistisch) Einschätzung der Missbrauchsgefahr (z. Bsp. Flucht) mehr oder weniger intuitiv standardisierte Prognoseinstrumente (z. B. FOTRES, HCR-20, SVR-20) für verschiedene Delikt- und Störungsgruppen spezifische bzw. standardisierte Instrumente zur Vorhersage von Fluchttendenzen existieren nicht Kriterienlisten zur Einschätzung des Rückfallrisikos (z.B. „DITTMANN“-Liste; ILRV von NEDOPIL) Kriterienkataloge zur Vorhersage von Lockerungsmissbräuchen ansatzweise (z. B. NEDOPIL „Liste der Lockerungshindernisse“) Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 24 Gefährlichkeitsprognose: Prognose der Fluchtgefahr: intensive universitäre wenig wissenschaftliches Interesse/ Begleitforschung (z. B. SEIFFERT kaum Begleitforschung, keine primär et al: Essener Prospektive forensische (Forschungs-) Prognosestudie; URBANIOK et al: Problematik Zürcher Forensikstudie) Betonung der Notwendigkeit einer adäquaten ambulanten Nachsorge zur Rückfallverhinderung Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe Nach Entlassung kein Thema mehr 25 Gefährlichkeitsprognose: Prognose der Fluchtgefahr: Rückfall während Unterbringung / Beurlaubung mit starkem öffentlichem und politischem „Druck“ verbunden (eher deliktabhängig) starker öffentlicher und politischer Druck auf Einrichtung und dortige Verantwortungsträger bei Flucht (eher täterabhängig) Rückfall auch nach Entlassung nur während Zeit der Unterbringung im Maßregelvollzug oder während aus dem Maßregelvollzug möglich einer Beurlaubung möglich Rückfall als kriminelles Delikt (allgemein oder einschlägig) Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe Flucht / Entweichung ist kein kriminelles Delikt, sondern Verstoß gegen Absprachen und Regeln 26 Gefährlichkeitsprognose: Prognose der Fluchtgefahr: Rückfall eher aus forensischkriminologischer Dynamik heraus erklärbar (forensischkriminologisches Forschungsinteresse!) oft eher mit normalpsychologischer Handlungstheorie oder aus einer akuten Störungssymptomatik heraus erklärbar Lockerungsmissbrauch eher allgemeinpsychologischer „Regelverstoß“ bzw. „Vertragsbruch“ (keine primär forensische (Forschungs-) Problematik Tendenz: Rückfälle eher zeitnah, eher vorhersehbar („erwartet“) Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe Tendenz: Lockerungsmissbräuche eher zeitfern nach Gewährung, häufig subjektiv „unerwartet“ nach langer Phase erfolgreicher Durchführung 27 Gefährlichkeitsprognose: Prognose der Fluchtgefahr: Bedingungen für Rückfall eher bekannt Bedingungen oft unbekannt Anträge zur Gewährung von Erstellung von Gutachten zur Lockerungen und Einschätzung des Gefährlichkeit primär Aufgabe von Fluchtrisikos eher Arbeitsresultat des kriminalprognostisch Gesamtteams ausgebildeten Psychologen und Ärzten, Gesamt-Team bleibt eher „außen vor“ Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 28 „Flucht“ / Entweichung äußerst geringe Basiswahrscheinlichkeit für Ereignis Flucht / Lockerungsmissbrauch Sehr viel geringer als „Basisrate“ für kriminelle Rückfälligkeit MAHLER (2000): bei 99.515 Lockerungen in 190 Fällen Flucht (ca. 0,2 %) von denen 19 zu einem Delikt führten (10%) Jährliche Stichtagserhebung für den Maßregelvollzug in Deutschland (2004): 0,38 % Dies obwohl: - Intuitive Prognosestellung - Keine evaluierten Instrumente - Keine Begleitforschung Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 29 Prognosen der Teams („keine Flucht“) höchst valide fest definierter und überschaubarer Zeitraum täglicher Patientenkontakt (Bedingungen kontrollierbar) Spannungen unter Patienten, psychotische Symptome… Liebeskummer, Heimweh, Suchtdruck, Depressionen… Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 30 Sicherheit von Verhaltensprognosen steigt mit: Kürze des Prognosezeitraums „Kenntnis des Patienten“ Möglichkeit zur Kontrolle verhaltensbestimmender Faktoren Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 31 Fluchtrisiko: Ansatz von KUHLMANN / STUCKMANN (2005): Patientenvariablen: Subjektiver Eindruck / Gefühl Beziehungsgestaltung Zuverlässigkeit von Absprachen Einhalten von Regeln und Strukturen Erreichbarkeit des Patienten in Krisen Kompromissfähigkeit Umgang mit deliktrelevanten Dingen / eigenen Gefühlen Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 32 KUHLMANN / STUCKMANN (2005) Mitarbeitervariablen: Menschenbild Kenntnis psychiatrischer Erkrankungen Soziale Kompetenz Kriseninterventionskenntnis Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 33 Kriterien: Entweichung / „Flucht“: §63-Patienten: frühere Entweichungen, Entweichungsversuche oder Bewährungsverstöße (MAHLER et al, 2000) häufig Persönlichkeitsstörung (MAHLER et. al, 2000) hoher Wert für Psychopathy nach der PCL-R (HARE) (NEDOPIL, 2005) Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 34 Entweichungen / „Flucht“: §64-Patienten: Alkoholproblematik (VON DER HAAR, 2005): Bedürfnis nach Freiheit Gefühl, alles sei sinnlos Unsicherheiten bzgl. der Partnerin unbefriedigte sexuelle Bedürfnisse Ärger über das Team Verlangen nach Alkohol unüberlegter „Kurzschluss“ Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 35 QUINSEY, 2002: Flucht / Fluchtversuche zuvor Keine Übernahme von Verantwortung für das eigene Verhalten Verleugnung früherer Gewalttätigkeiten Abbruch der Beziehung zum Pflegepersonal / Bezugspfleger Beschwerden über das therapeutische Team Geringe Compliance mit pharmakologischer Behandlung Weigerung an nicht-medizinischer Therapie teilzunehmen Verleugnung jedweder Probleme Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 36 QUINSEY, 2002: Angst, Verärgerung, Frustration Schlechte Coping-Fähigkeiten Sozialer Rückzug Fehlende Rücksicht auf Andere Zunehmende Inaktivität Antisoziale Einstellungen / Werte Fehlende Empathie Geringe Compliance mit Sicherheitsmassnahmen Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 37 QUINSEY, 2002: Manische Symptomatik Floride psychiatrische Symptomatik Flacher Affekt Ungewöhnliche Denkinhalte Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 38 Lockerungsmissbrauch allgemein: SCHOTT, 2005: Bindungstheoretische Sicht von Lockerungsmissbräuchen Risikofaktoren: Verlust der Beziehungskonstanz (Therapeutenwechsel / Stufenkonzepte) Offen gezeigte Hoffnungslosigkeit („Hopfen und Malz verloren“, „nicht therapierbar“, „Langzeitpatient“…) Negative Arbeitseinstellung des Teams („wir wissen nicht mehr weiter“, „ich kann nicht mehr“…) Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 39 Lockerungsmissbrauch allgemein: SCHOTT, 2005: Bindungstheoretische Sicht von Lockerungsmissbräuchen: Protektive Faktoren: Gute therapeutische Beziehung Verlässlichkeit anderer Bezugspersonen Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 40 „Konstruktion“ der LIVELT: Einteilung bekannter Prädiktoren in die Bereiche: Anamnestische (statische) Faktoren Klinische (aktuelle) Faktoren Behandlungsverlauf seit Aufnahme (postdeliktische Entwicklung) Stationsalltag Stationsklima Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 41 Anamnestische Faktoren: Entweichung oder Flucht in der Vorgeschichte bzw. Versuche Lockerungs-und/oder Bewährungsversagen in der Vorgeschichte Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 42 Klinische Faktoren: Floride psychiatrische Symptomatik (bes. manische und produktiv-schizophrene Symptomatik Persönlichkeitsstörung, insbes. Dissozialer Ausprägung Ausgeprägte Psychopathie i. S. von HARE (PCL-R-Wert?) Ungewöhnliche Denkinhalte Ausgeprägter Suchtdruck / „Craving“ (Alkohol / Drogen) Angst, Verärgerung und Frustration in verstärktem Maße Depressive Symptomatik / Gefühl von Sinnlosigkeit Unbefriedigte sexuelle Bedürfnisse Unsicherheiten bzgl. der Partnerin Fehlende Coping-Strategien Flacher Affekt Zunehmende Inaktivität Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 43 Behandlungsverlauf: Fehlende therapeutische Beziehung Fehlende Beziehungskonstanz durch häufige Therapeuten- / Stationswechsel Häufige Beschwerden über das Behandlungsteam Geringe Compliance bei pharmakologischer Behandlung Weigerung zur Teilnahme an nicht medizinischer Therapie Fehlende Übernahme von Verantwortung für eigenes Verhalten (z. B. „Opferstandpunkt“) Fehlende Empfindungen von Reue Fehlende Schuldgefühle Verleugnung von Problemen Verleugnung / Verharmlosung früherer Lockerungsmissbräuche Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 44 Stationsalltag: Abbruch der Beziehung zu Bezugspersonen / Angehörigen des Behandlungsteams Unzuverlässigkeit bei Absprachen Probleme bei der Einhaltung von Regeln und Strukturen Fehlende / mangelnde Kompromissfähigkeit Erschwerte emotionale / kognitive Erreichbarkeit in Krisen Mangelnde Berücksichtigung der Interessen Anderer; Rücksichtslosigkeit Fehlendes Verständnis für Sicherheitsmaßnahmen (z. B. Fesselung) Probleme bei der Einhaltung von Regeln und Strukturen Ausgeprägtes Bedürfnis nach Freiheit Ausgeprägtes Bedürfnis, etwas Aufregendes erleben zu wollen Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 45 Stationsklima: Nach außen getragene Hoffnungslosigkeit des Teams bzgl. der weiteren Entwicklung des Patienten Wahrnehmung einer arbeitsbezogenen Hoffnungslosigkeit / Resignation bei Teammitgliedern durch den Patienten Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 46 LIVELT-Kritik: Vorwissenschaftliche Sammlung retrospektiv gewonnener Kriterien Liste nicht evaluiert / operationalisiert Methodische Probleme (sehr geringe Basiswahrscheinlichkeit, Stichprobengröße) „Lockerungsmissbrauch“ sehr unspezifisches Konstrukt „Prognosescore“ oder „Cut-Off-Wert“ nicht berechenb Reines Screening-Verfahren Christoph Schmitt, Diplom-Psychologe 47