Ist das richtig, was wir tun? - Evangelischen Altenhilfe Gesundbrunnen

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Sommer 2011 / 31. Jahrgang
GESUNDBRUNNEN
Thema Ist das richtig, was wir tun? – Ethik in der Altenpflege | Ethiker
Albert Schweitzer Brummig – aber mit gutem Herzen | Archiv Feinde und
Freunde alter Papiere | Palliative Pflegekultur Neues Konzept entwickelt
1/2011
MAGAZIN DER EVANGELISCHEN ALTENHILFE GESUNDBRUNNEN
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
Inhalt
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Freunde und Förderer,
Besinnung
Archiv
4
Führst du uns durch raue Wege,
gib uns auch die nöt‘ge Pflege
30
Von Feinden und Freunden
alter Papiere
Ethik in der Altenpflege
Friedhof
6
11
16
19
22
24
„Ich schaff das nicht mehr,
die Oma muss ins Heim“
Zeit für Ethik
Albert Schweitzer
Ist das richtig, was wir tun?
Ethische Fallbesprechungen
Auf dem Weg zu einer
palliativen Pflegekultur
Sterbende sind Lebende –
Haus Salem in Witzenhausen
32
33
Das Rätsel der Sandsteinkreuze
Protestantische Begräbniskultur
Freunde & Förderer
36
37
38
39
40
Mitglied Christa Wegner
Die Liebe zur Musik
Kalte Schnauze und Petticoats
Wir sagen Danke
Nachgeschaut
Personen
Gesundheit
41
Einen würdevollen Weg finden
Satire
42
Die Giftstoffe aus dem Körper schwemmen
26
29
34
Waltraud Lange: „Ich habe enormen Respekt vor alten Menschen“
Lea Müller: „Ein Jahr für mich und
für andere“
Lebenslinien – Bilder des Alters
Impressum
Herausgeber: Evangelische Altenhilfe Gesundbrunnen e.V., Brunnenstr. 23, 34369 Hofgeismar
Tel. (0 56 71 )88 20, Fax (0 56 71) 882 211, [email protected], www.gesundbrunnen.org
Konto 0208000, Evangelische Kreditgenossenschaft eG, BLZ 520 604 10
ViSdP: Barbara Heller, Leitende Pfarrerin, Redaktion: Christiane Gahr | Fotos: EAG, Paavo Blåfield, Fotolia, epd-bild
Schlussredaktion/Layout: Lothar Simmank, www.redbuero.de | Druck: Repro + Druck Boxan, Kassel
2
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
Christiane Gahr ist
Öffentlichkeitsreferentin
der Evangelischen Altenhilfe Gesundbrunnen
Ist das richtig, was wir tun? Das ist der Titel einer der Artikel in
diesem Gesundbrunnen-Heft, und Leitthema dieser Ausgabe.
Eine Frage, die wir uns häufig stellen – im Beruflichen und im
Privaten. Für den Bereich der Altenpflege wollen wir in dieser Ausgabe diskutieren, was für Themen, Situationen und Entscheidungsgrundlagen es gibt: Dr. Ursula Weidenfeld berichtet über die Sorgen
und Ängste, die Menschen bewegen, wenn sie einen pflegebedürftigen Angehörigen in professionelle Hände geben. Sie unterhält eine
Internet-Seite www.das-tut-man-nicht.de, auf der sich Angehörige und Profis austauschen. Barbara Heller beschäftigt sich mit der
Ethik als Kriterium für den Umgang mit der Problematik.
Aus der Praxis berichten Dr. Christiane Deuse, die die Pflegeoase in Witzenhausen besucht hat, einen speziellen Wohnbereich
für schwerstpflegebedürftige Menschen mit Demenz. Karl-Heinz
Risto entwickelte für die Evangelische Altenhilfe ein Modell zur
strukturierten Lösung von Konfliktsituationen in Altenpflegeeinrichtungen. Er stellt es in diesem Heft vor.
Aus der Praxis berichtet auch Martin Bleckmann – allerdings mit
einem ganz anderen Blickwinkel: Was mit der Hilfe und der finanziellen Unterstützung durch Ihre Spenden in unseren Einrichtungen
geschieht, lesen Sie am Ende des Heftes.
Hat sich Ihre Adresse geändert?
Haben Sie Anmerkungen zum
Versand des Heftes? Möchten
Sie den „Gesundbrunnen“
nicht mehr bekommen?
Dann melden Sie sich bei uns:
Ev. Altenhilfe Gesundbrunnen,
Telefonzentrale, Brunnenstr. 23,
34369 Hofgeismar, Tel. (0 56 71)
882-0, E-Mail: telefonzentrale@
gesundbrunnen.org
Ich wünsche Ihnen eine anregende und unterhaltsame Lektüre!
Über Rückmeldungen und Ideen von Ihnen würde ich mich freuen!
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Christiane Gahr
Unser Titelbild zeigt Natalie
Borberg aus Bad Herfeld
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
3
thema
Besinnung
Besinnung
„Jesu geh voran, auf der Lebensbahn“
heißt das Gesangbuchlied 391 von
Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf
(1700-1760)
Führst du uns durch raue Wege,
gib uns auch die nöt‘ge Pflege
Viele empfinden die Wege als rau, die sie in Wie sieht die nötige Pflege aus?
die Altenpflege führen. Das gilt zunächst für die
Eine Antwort lässt sich in der Geschichte vom
Menschen, die sich entscheiden, in ein Heim zu barmherzigen Samariter finden (LK 10,30-37).
ziehen. Für jede Familie und jeSie beginnt mit einem gefährlichen,
den Einzelnen ist es ein rauer Weg,
sehr rauen Weg, führt durch große
der vom Leben in den eigenen vier
Not und endet mit guter Pflege.
Wänden in eines unserer Häuser
Gerade in letzter Zeit wird sogar öfführt, weil mehr Hilfe und Pflege
fentlich darum gestritten, wo denn
gebraucht wird, als zu Hause zu
die barmherzigen Samariter geblieleisten ist. Das ist kein besonderes
ben sind. Und die Diakonie wird
Kennzeichen dieser Zeit, sondern
hinterfragt, ob sie denn noch das
gehört einfach zum Alter dazu. Das
tut, was ihr aufgetragen ist.
Altwerden selbst ist oft ein rauer
Ist die Diakonie heute eher der
Weg, und es wäre nicht ehrlich, das
Wirt, der gegen Bezahlung die Pflezu leugnen.
ge übernimmt als der barmherzige
Und dann sind da die vielen
Samariter? Und müsste sie nicht
Menschen, die in Alten- und Pfleviel mehr der Samariter sein, der
Barbara Heller
geheimen arbeiten, in der Pflege, in
die Armen und Hilfsbedürftigen
ist Leitende Pfarrerin
der Hauswirtschaft, in der Verwal- der Evangelischen Alten- auf der Straße sucht und findet und
tung, in der handwerklichen und
die Pflege dann anderen überlässt?
hilfe Gesundbrunnen
technischen Betreuung der Häuser.
So wird gefragt.
Und nicht zu vergessen, die, die ehNatürlich ist die Diakonie der
renamtlich eine Aufgabe übernommen haben. Sie Wirt, der gegen Bezahlung pflegt. Sie braucht
alle – und sogar die Pfarrer, die in diesen Häusern die Beiträge der Pflegeversicherung und auch den
Dienst tun – beklagen die rauen Wege. Dass der Eigenbeitrag der Bewohner und ihrer Familien,
wirtschaftliche Druck immer stärker wird, dass die um das zu leisten, was eine gute Pflege erfordert.
Zeit immer knapper zu werden scheint, die man Und der barmherzige Samariter ist die Diakonie
gern für andere einsetzen würde. Dass die Sorge auch, der die Not sieht und tut, was notwendig ist.
wächst, wie das geschafft werden kann, was eigent- Wenn sie neue Heimplätze schafft und wenn sie
lich gut und notwendig wäre. Und so kommt die- die Pflege weiterentwickelt, damit sie den wachser Wunsch wirklich aus tiefem Herzen: „Führst senden Anforderungen gerecht wird. Und zuweidu uns durch raue Wege, gib uns auch die nöt‘ge len findet sich die Diakonie auch in der Rolle des
Pflege.“
armen Wanderers wieder, der unter die Räuber
4
GESUNDBRUNNEN 1 | 10
„Befiehl dem Herrn deine Wege!
gefallen istist
und geschlagen
und verletzt auf Hilfe dafür,unser
dass der Wirt
ihn weiter pflegt, als er am
Das
die
Aufforderung,
Leben
hofft. Wenn Pflegesätze nicht erhöht werden, wo nächsten Tag weiterzieht. Er hat alles getan, was
es notwendig wäre. Dann, wenn zum Beispiel die in seiner Macht stand. Und dann übernimmt der
in
Gottes Hände zu geben.“
gesamte Altenpflege immer wieder öffentlich ver- Wirt seinen Teil. Er trägt die Verantwortung und
leumdet und beschuldigt wird. Das sind die Schläge, die alle Altenpfleger treffen.
Jesus hat Geschichten erzählt vom wirklichen
Leben und von wirklichen Menschen. Und so
können wir davon ausgehen, dass wir uns in ihnen
wiederfinden. Und dass wir uns wiedererkennen
in den Menschen, die er beschreibt: in den Rettern
und Helfern, in den Opfern und, wenn wir ehrlich sind, dann manchmal auch in den gleichgültigen Zuschauern oder sogar in den Tcitern. Jesus
erzählt, damit wir aus seinen Gleichnissen lernen.
Lassen Sie uns also anschauen, was geschieht. Ein
Mensch liegt halb tot am Straßenrand, ausgeplündert und verletzt. Er kann sich nicht selbst helfen.
Zwei Wanderer kommen vorbei, nacheinander.
Angesehene Bürger, von denen man annehmen
könnte, sie seien fromm, anständig und hilfsbereit. Sie sehen den Verletzten – und gehen vorüber.
Sie tun so, als hätten sie nichts gesehen. Oder
als hätte das keine Bedeutung, was sie gesehen haben. Dass da einer in Not ist und dringend Hilfe
braucht. Oder als könnte man da nichts machen:
„Es ist schrecklich, wenn es jemandem so schlecht
geht, aber man kann daran eben nichts ändern.“
Oder als könnten sie leider nichts tun, da
müsste schon jemand anderes kommen, mit anderen und besseren Möglichkeiten, als man sie selbst
hat. Alle diese Überlegungen sind mir wohlvertraut. Und dann kommt der Samariter. Er sieht.
Und für ihn hat es eine Bedeutung, was er sieht.
Er hat Mitleid. Es jammert ihn, heißt es. Und er
ist davon überzeugt, dass man etwas tun kann.
Dass er etwas tun kann. Und so handelt er. Er
versorgt die Wunden und verbindet sie. Er hebt
den Verletzten auf sein Tier und bringt ihn in eine
Herberge und versorgt ihn auch da. Und er sorgt
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weiß, dass der Samariter ihn fragen wird nach dem
Verletzten, wenn er wieder vorbeikommt. Beide
werden gebraucht in dieser Geschichte, damit
dem Mann geholfen wird. Der Samariter kann
ihn beruhigt abgeben. Und der Wirt bekommt
ausreichend Geld für die Pflege. Hinzusehen und
ernst zu nehmen, was wir sehen. Das gilt für einen Menschen, der erkennt, dass er Unterstützung
und professionelle Pflege braucht, und für seine
Angehörigen und Nachbarn. Es ist unverschämt,
Angehörigen vorzuwerfen, sie würden jemanden
abschieben ins Heim. Die meisten Menschen in
Deutschland werden zuhause gepflegt. Es ist im
Gegenteil verantwortlich und braucht oft viel Mut
aller Beteiligten, zu entscheiden, dass die Übersiedlung ein notwendiger Schritt ist.
Hinsehen und ernst nehmen, was wir sehen.
Das gilt für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Sie sollen hinsehen - und sie sollen angesehen werden. Die rauen Zeiten und die rauen Wege gehen
an den Mitarbeitern nicht spurlos vorüber. Es ist
notwendig, noch einmal neu darüber nachzudenken, was Pflege bei uns heißen soll. Pflege für die
Menschen, die bei uns leben. Und eben auch Pflege der Menschen, die bei uns arbeiten. Dafür gibt
uns das Gleichnis ein gutes Vorbild: Genau hinsehen. Ernst nehmen, was wir sehen. Überlegen,
was insgesamt getan werden muss für die Zukunft
der Altenpflege. Und das tun, wozu wir selbst in
der Lage sind.
„Geh hin und tue desgleichen“, sagt Jesus am
Ende der Geschichte vom barmherzigen Samariter. Das ist es übrigens, was Jesus unter Nächstenliebe versteht: Hinsehen und das ernst nehmen,
was man sieht. Das tun, was in unserer Macht
steht.
Barbara Heller
5
Ethik in der Altenpflege
Ethik in der Altenpflege
„Ich schaff das nicht mehr,
die Oma muss ins Heim“
Wer ins Heim muss, ist arm
dran. Das ist eine der Stereotypen in der Konversation unter
älteren Menschen. Der Umzug aus der eigenen Wohnung
oder der Wohnung der Kinder
in eine Betreuungseinrichtung
wird gleichgesetzt mit: Der
Arme, der hat ja niemanden
mehr. Oder mit: Die Ärmste,
die Schwiegertochter will sich
nicht mehr die Mühe machen.
Oder, im schlimmsten Fall: Mit
dem geht es zu Ende.
Viele sind überfordert
Ins Heim müssen? Auf unserer Webseite www.das-tut-mannicht.de spielen Fragen um die
alten Eltern und das Heim eine
zentrale Rolle. Auf der Webseite geht es um ethische und
moralische Alltagsfragen. Und
darum, wie man sie anständig
löst. Zu den „unanständigen“
Lösungen des Lebens gehört es
im allgemeinen Verständnis, die
alten Eltern ins Altersheim zu
stecken, um sich selbst zu entlasten. Aber ist das wirklich so?
Viele Töchter und Söhne,
die uns schreiben, fühlen sich
überfordert mit der Aufgabe,
die hochbetagten Eltern zu betreuen, zu pflegen und zu umsorgen. Von „sich mal eben
entlasten“ ist da nicht so oft die
Rede wie von Übermüdung,
Überanstrengung und Überforderung.
6
Freiheit zu Haus
Warum wollen die meisten
Menschen nicht ins Heim? Sie
wollen im Kreis ihrer Familie
alt werden. Sie stellen es sich
insgesamt angenehmer vor, von
Ein Internetportal bietet Angehörigen und Profis
Raum für ethischen und moralischen Austausch
ihren Angehörigen gepflegt zu
werden, als in einem institutionalisierten Haus anonymer
„und nach der Uhr“ betreut
zu werden. Sie schätzen die eigenen Freiheitsgrade in der
Familie höher ein als in einem
Altersheim. Und sie glauben,
dass die Angehörigen mit den
Schwächen und Krankheiten
des Alters liebevoller und angemessener zurechtkommen als
das Pfleger und Betreuer können. Daneben spielen natürlich
auch die Kosten eine Rolle.
Die meisten Kinder wollen,
dass es ihren Eltern gut geht. Sie
möchten, dass sie sich wohlfühlen, dass sie gelassen und gesund
alt werden können. Sie sind
auch bereit, viel dafür zu tun,
dass es so kommt.
Kleister, der die Gesellschaft zusammenhält
„Er hat es nie so haben wollen: Pflegeschwestern, die ihn
reinigen; ein grüner Herr, der ihn ehrenamtlich unterhält;
eine ehemalige Kollegin, die ihn treu besuchen muss; Kinder, denen er Mühe bereitet; eine Ehefrau, die nun ihm in den Mantel hilft.
Er hat es nie so haben wollen, doch
er hätte es jederzeit verteidigt. Das ist
der Kleister, der unsere Gesellschaft
zusammenhält, hätte er gesagt.“
Aus: Katja Thimm: Vatertage. Eine
deutsche Geschichte. Erschienen bei S.
Fischer, Frankfurt am Main 2011, S. 287
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
Konsequenzen für die Familie
Was aber, wenn Liebe, Fürsorge, Verantwortungsbewusstsein nicht ausreichen, um die
Verpflichtungen zu übernehmen, die die Betreuung alter
Menschen mit sich bringen?
Dann fühlen sich die alten Eltern und die (meist ebenfalls älteren) Kinder schlecht.
Was kann man tun, was tut
man nicht, wenn man in eine
solche Situation geraten ist?
Darüber diskutieren viele Nutzer der Webseite www.das-tutman-nicht.de. Darüber hat eine
der Gründerinnen der Seite, im
August 2010 mit den Führungskräften der GesundbrunnenEinrichtungen diskutiert. Denn
aus dem, was man tun kann und
dem, was geächtet ist, ergeben
sich nicht nur Konsequenzen
für das Familienleben. Von den
guten und schlechten Gefühlen,
mit denen Menschen in eine
Betreuungseinrichtung ziehen,
ist auch das Personal der Einrichtung unmittelbar betroffen.
Schuldgefühle
Schwestern und Pfleger, Ärzte und Geschäftsführer und fragen sich häufig, warum sie ein
so schlechtes Ansehen haben,
wenn sie in Senioreneinrichtungen tätig sind. Sie lesen die
Fragen und die Antworten auf
der Webseite, und finden das
wieder, was ihnen in der tägli-
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
chen Arbeit begegnet: Angehörige sind unglücklich darüber,
wie ihre Eltern und Großeltern
im Heim leben müssen. Sie sind
entsetzt, wenn sie den Eindruck
bekommen, dass trotz der hohen
Kosten niemand wirklich für die
alten Leute und ihre Nöte da ist.
Ein Chefarzt sagte uns einmal:
„Sehen Sie, die meisten alten
Menschen kommen zu uns ins
Heim, weil die Angehörigen es
zu Hause nicht mehr schaffen.
Dann stehen dieselben Angehörigen vor uns und werfen uns
vor, dass wir es manchmal auch
nicht zu 100 Prozent schaffen.
Es sind die Schuldgefühle von
Töchtern und Söhnen, die bei
uns manchmal aggressiv abgeladen werden.“
Nicht alles ist perfekt
Eine Pflegerin sagte in einem solchen Gespräch: „Es ist
eben einfacher, über die Pflege
von Angehörigen zu reden, als
sie selbst zu leisten. Manchmal
habe ich das Gefühl, dass das
Reden und Anklagen der Ersatz
dafür ist.“
Führungskräfte und Mitarbeiter in Alten- und Pflegeheimen sind sich sehr bewusst, dass
sie nicht alles perfekt hinbekommen. Manche reden auch
sehr offen über die Defizite im
Pflegebereich. In den meisten
Betreuungseinrichtungen aber
arbeiten Menschen, die ihren
Dr. Ursula Weidenfeld ist Mitbegründerin des Internetportals
www.das-tut-man-nicht.de,
auf dem sich Betroffene zur
Pflegethematik austauschen
können. Sie besuchte die
Evangelische Altenhilfe Gesundbrunnen als Referentin einer
Klausurtagung im Sommer 2010.
„Zu den ‚unanständigen‘
Lösungen des Lebens gehört
es im allgemeinen Verständnis, die alten Eltern ins
Altersheim zu stecken, um
sich selbst zu entlasten.
Aber ist das wirklich so?“
Dr. Ursula Weidenfeld
Beruf ernst nehmen, und sich
bemühen, der Verantwortung,
dem Fürsorgeauftrag gerecht zu
werden. Sie sind auch kritikfähig, doch sehen sie sich oft aus
schiefen Motiven heraus kritisiert. Vielen Angehörigen gehe
es ja gar nicht um einen echten Missstand. Bei den professionellen Altenhelfern würden
die Schuldgefühle der Familien abgeladen – je größer die
7
Ethik in der Altenpflege
Ethik in der Altenpflege
Meine Mutter bewohnt eine Einliegerwohnung in unserem Haus. Früher hatte ich ihr immer versprochen, sie im Alter zu pflegen. Bei der
Finanzierung unseres Hauses hat sie uns deshalb stark unterstützt. Seit
einem Jahr leidet sie an Demenz und die Verantwortung für sie überfordert mich, obwohl wir von einem Pflegedienst unterstützt werden.
Ich bin verzweifelt und würde meine Mutter am liebsten in ein Heim
geben, obwohl sie das nie wollte. Tut man das?
Im Internetforum
www.das-tut-man-nicht.de
diskutieren Betroffene
über Fälle aus der Praxis
seien, desto aggressiver werde
verlangt, dass die Omi abends
doch immer ihren Fliederblütentee bekommen muss, damit
sie schlafen kann. Und dass sie
den hartnäckig angebotenen
Hagebuttentee schon immer gehasst hat.
Keineswegs spannungsfrei
Dabei wird in den Familien
gelegentlich schon einmal verdrängt, dass Hagebutten oder
Fliederblüten auch im eigenen
Haushalt zum Kriegsgebiet werden können. Wenn die Omi
nämlich abends immer den Fliederblütentee haben muss, dann
ist es für die Schwiegertochter
auch nicht immer die reine Freude, die Extraviertelstunde dafür
aufzubringen, die der Hilfskraft
im Altenheim selbstverständlich
abverlangt wird. Denn auch das
Leben mehrerer Generationen
in einem Haus oder in einem
Haushalt ist keineswegs spannungsfrei. Auch hier werden Erwartungen enttäuscht, auch hier
gibt es unterschiedliche Auffassungen über das, was zu tun ist
und wann es zu tun ist.
Mit diesem Argument allein
dürfen sich Pflegekräfte allerdings nicht entlasten. Wer die
Kritik oder die Fragen von Be-
8
Antwort von Inge Jens:
wohnern und Angehörigen immer in die Kiste „Entlastungsaggression“ packt, wird blind
für die Fehler und Unaufmerksamkeiten, die sich schnell im
Umgang mit Schutzbefohlenen
einschleichen. Je schlechter es
denen geht, je weniger sie selbst
aufbegehren können, desto
wichtiger ist es, sensibel für ihre
Nöte und Bedürfnisse zu bleiben. Oft sind es die Angehörigen, die die am besten kennen,
die sich die Zeit nehmen, den
Sorgen der alten Leute auf den
Grund zu gehen.
Wo sind die Grenzen?
Genau das aber sind die Fälle, die bei www.das-tut-mannicht.de diskutiert werden.
Was muss man als anständiger
Mensch tun, wenn die Eltern
oder Schwiegereltern nicht
mehr alleine leben können –
und wenn es, aus welchen Gründen auch immer, nicht möglich
ist, die Eltern aufzunehmen?
Kann man den alten Eltern, die
in der Erwartung sind, in den
Haushalt der Kinder ziehen zu
können, die Aufnahme verweigern? Wo sind die Grenzen für
die eigene Verantwortung? Die
Rundfunkpfarrerin des Südwestrundfunks, Lucie Panzer,
würde immer für eine selbstbewusste Entscheidung plädieren.
„Dann wird der Mann Vater
und Mutter verlassen und sich
an seien Frau binden“, heiße
es selbst in der Bibel (Matthäus 19,3). Und das bedeute, dass
man zwar Verantwortung für
die Eltern übernehmen müsse,
aber nicht um jeden Preis. Die
Kinder – auch die Schwiegerkinder – entscheiden über das
Verhältnis von Nähe und Distanz. Sie müssen sich einig werden. So wird der Konflikt mit
der Schwiegertochter schnell zu
einer Herausforderung an die
Beziehung der beiden Partner.
Wenn der Sohn sich seiner Mutter stärker verpflichtet fühlt als
der eigenen Frau, kracht es.
Mit Entscheidungen leben
Und wenn‘s nicht geht:
Muss ich dann in ein Heim?
Den wohlfeilen Ausweg aus einem solchen Dilemma gibt es
nicht, das Gefühl, der eigenen
Mutter gegenüber etwas versäumt zu haben, bleibt. Wird
für die Mutter am Ende ein
Heimplatz gesucht und gefunden, müssen sich die Angestellten darauf einstellen, eine kritische Begleiterin zu bekommen.
Die Frau wird vermutlich sehr
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wach verfolgen, ob es der Mutter im Heim tatsächlich besser
geht. Sie wird fragen, ob die Betreuung wirklich professioneller
und die Beschäftigung sinnvoller ist. Schon die Entscheidung
ist ihr nicht leicht gefallen – mit
der Entscheidung zu leben, wird
kaum einfacher.
Wünsche ernst nehmen
Sind die Herausforderungen
der Pflege schon hart genug,
wird es noch problematischer,
wenn
Lebensentscheidungen
für die Eltern getroffen werden
müssen. Darf man es hinnehmen, wenn der alte, des Lebens
müde Vater nach dem Tod der
Mutter die für ihn möglicherweise lebensrettende Herz-Operation verweigert? Das muss man
aushalten, urteilt Werner Vogel,
Chefarzt und ärztlicher Direktor des Zentrums für Geriatrie
in Hofgeismar: „Man muss den
Wunsch des Vaters sehr ernst
nehmen und seinen Willen natürlich respektieren. Man würde unethisch und sogar rechtswidrig handeln, wenn man ihn
gegen seinen Willen einweisen
und operieren (lassen) würde.
Das Problem ist allerdings bei
der vermutlich bestehenden
Einsamkeit und reaktiven De-
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
Ich denke, die Frage, ob „man“ seine Mutter ins Heim
gibt, ist wenig hilfreich. Fragen Sie sich vielmehr, ob
Sie bei der häuslichen Pflege bereits alle Möglichkeiten
bedacht haben, andere Hilfsquellen außer den eigenen
physischen und psychischen Kräften zu mobilisieren.
Dass ein Pflegedienst bei Demenzkranken von geringem Nutzen ist, gilt inzwischen als gesichert. Die Pflegepersonen wechseln viel zu häufig, so dass Kontinuität
Inge Jens (84),
schrieb gemein- und Gleichartigkeit nicht gewährleistet sind.
Die konkrete Frage sollte deshalb lauten: ist es
sam mit ihrem
möglich, einen oder zwei Menschen zu finden (und
heute an Dezu bezahlen), die ein ausreichende Versorgung zuhaumenz erkrankse sicherstellen, ohne Sie zu überfordern? Dabei ist das
ten Ehemann
Walter Jens den Kriterium nicht die eigene Verzweiflung, sondern die
Bestseller „Frau physische Kraft, die man zu einer Pflege nun einmal
Thomas Mann“ benötigt. Mit der Verzweiflung umzugehen, kann man
lernen, die physische Kraft hingegen muss einem zur
Verfügung stehen, obwohl man sich vieles für den „richtigen“ Umgang mit
der Kranken aneignen kann. Wie denn auch die Bereitschaft, unkonventionelle Lösungen mit zu bedenken, selbst wenn sie zunächst eher belastend
als hilfreich wirken, erlernbar ist. Als hauptsächlich belastete Pflegeperson
müssen Sie sich klarmachen, dass weder Ihrer Mutter noch Ihnen selbst
geholfen ist, wenn Sie sich überfordern und gar zusammenbrechen.
Verantwortung umfasst nicht nur den Bereich der physischen Versorgung, sondern auch den der realitätsentsprechenden planenden Überlegung. Um da den rechten Weg zu finden, sollten Sie den Mut haben, zumindest mit Freunden offen über das Problem zu sprechen und eventuell
auch für sich selbst professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen von
Menschen, die Ihre konkrete Situation und Ihr soziales Umfeld kennen.
Erschweren Sie sich Ihre Entscheidungsfindung nicht durch den Blick auf
das unvermeidliche Gerede im näheren und weiteren sozialen Umfeld.
Im Vordergrund steht eine für alle Beteiligten sinnvolle und notwendige
Entscheidung. Heim ist nicht gleich Heim. Sich hier kundig zu machen,
gehört auch zu einer verantwortungsbewussten Pflege. Sich hier kundig zu
machen, gehört auch zu einer verantwortungsbewussten Pflege. Und das
können nicht nur Sie und ich, das kann sogar „man“ tun.
Inge Jens
9
Ethik in der Altenpflege
Ethik in der Altenpflege
Zeit für Ethik
Die Grenzen der Belastbarkeit waren überschritten
„Die Konvention verlangt, dass man ein schlechtes Gewissen bekommt, wenn man beschließt, ein enges Familienmitglied ins Heim zu geben. Und natürlich verunsichert eine
solche Entscheidung. Gleichzeitig schadet es nicht, Konventionen in Frage zu stellen.
Das dörfliche Seniorenheim verfügt über qualifiziertes Personal unter guten Arbeitsbedingungen. (…) Dort kennt man den Vater, und nicht erst, seit er krank ist. Dort sieht man in
ihm die ganze Person, jemanden mit einem langen Leben, mit einer Kindheit und Jugend,
jemanden, der den Namen August Geiger vor mehr als achtzig Jahren
bekommen hat und nicht erst mit Beginn der Krankheit. (…)
Zu Hause war eine Betreuung auf diesem Niveau trotz intensiver Unterstützung durch die Familie nicht möglich gewesen. (…) Ständig die
Frage: Was kommt als Nächstes? Die Grenzen der Belastbarkeit waren
überschritten. Zu allem Überfluss fühlte sich der Vater ja auch zu Hause nicht mehr daheim.“
Aus: Arno Geiger: Der alte König in seinem Exil.
Erschienen im Hanser Verlag, München 2011, S. 133 f.
pression angesichts des erlittenen Verlustes und der Krankheit
komplexer: Lebenswille und
Lebensqualität könnten sich
positiver darstellen, wenn die
Beschwerden mit vertretbarem
Aufwand medizinisch gelindert
werden könnten. Wenn der Patient sich bei klarem Verstand gegen (aufwändige) medizinische
Maßnahmen entscheidet, hat er
ein unbedingtes Recht darauf.“
Operation – ja oder nein?
Für die erwachsenen Kinder ist ein solches Recht schwer
auszuhalten. Sie sehen den Verfall des Vaters, und sie glauben
den Ärzten, die die Operation
als unkompliziert hinstellen. Es
ist kein Wunder, dass sie sich
gekränkt und zurückgewiesen
fühlen, weil der trauernde Vater
möglicherweise keine Lust mehr
10
hat weiterzuleben – oder zumindest nicht bereit ist, eine Operation auf sich zu nehmen.
Freundliche Etiketten
Schuldgefühle,
Kränkungen, Vorwürfe – für viele überschatten sie die letzten Jahre mit
den Eltern. Egal, ob die Eltern
zu Hause gepflegt werden oder
in einem Altersheim leben, die
Kinder fühlen sich oft unvollkommen und undankbar. Ein
Eindruck, der phasenweise mit
hoher Wahrscheinlichkeit der
Realität in jeder Familie entspricht, in der alte Menschen
gepflegt werden. Dort aber wird
das von allen Seiten mit freundlichen Etiketten beklebt: Für
ältere Menschen, die alleine leben, gibt es kaum etwas statuserhöhenderes als die Aussage „Ich
ziehe zu den Kindern, wenn ich
nicht mehr alleine leben kann“.
Mit kaum einer Aussage kann
man mehr Mitgefühl unter den
Altersgenossen hervorrufen, als
wenn man sagt: „Ich habe mich
in einer Seniorenresidenz eingekauft“. Aus diesem Statusgefälle
leiten sich für viele dann alle anderen Schlüsse ab: Zu Hause ist
gut, im Heim ist schlecht. Defizite zu Hause sind hinzunehmen, im Heim sind sie anzuklagen und dann abzustellen.
Im Kern ist das auch richtig:
In dem Moment, in dem Leistungen monetarisiert werden,
wird auch die Dienstleistung zu
einer realen und messbaren Größe. Nur, dass man dieser Professionalität dann eben nicht auch
noch mit dem eigenen Maßstab
– Liebe, Verantwortung, Verpflichtung – begegnen darf.
Dr. Ursula Weidenfeld
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
„Holt die Alten aus den Heimen“ – das könnte der Slogan
einer neuen Bürgerbewegung
werden. Unterstützt von bekannten Kritikern „institutionalisierter Pflege“ wie Klaus Dörner fordern viele, endlich mit
der Priorität der ambulanten
Versorgung ernst zu machen.
Dahinter steckt ein tiefes Misstrauen gegen Heime.
Werden hier nicht schwache
und hilfsbedürftige Menschen
am Ende ihres Lebens aus der
Gemeinschaft ausgeschlossen?
Führen die speziellen Heimangebote für Menschen mit besonderen, ähnlichen Beeinträchtigungen zu einer „Konzentration
der Unerträglichkeit“, wie Dörner es nennt? Ist nicht grundsätzlich „Massenhaltung“ mit
den Menschenrechten unvereinbar? Kann ein Pflegebedürftiger
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
„Holt die Alten aus den Heimen“
– der Slogan einer neuen Bürgerbewegung?
im Heim wirklich hoffen, dass
seine individuellen Bedürfnisse
berücksichtigt werden und dass
er weiter teilhaben kann an der
Gemeinschaft von Nachbarn
und Gemeinde? (s. Klaus Dörner: Leben und sterben, wo ich
hingehöre, Neumünster 2007)
Das sind zum Teil berechtigte Fragen, sehr schwerwiegende
Behauptungen und zum Teil
auch Unterstellungen. Altenheime werden sich gegen letztere zu
Recht verwahren.
Umso mehr scheint es angezeigt, sich darüber zu verständigen, wie die Versorgung
Pflegebedürftiger in Heimen zu
gestalten ist.
Wie kann fachlich nachgewiesen und mit gutem Gewissen
begründet werden, dass die Versorgung im Altenheim nach wie
vor, und auch in Zukunft, ein
angemessenes und gutes Angebot ist? Folgende Fragen sind zu
klären:
• Was muss getan werden?
• Was nutzt den Pflegebedürftigen am meisten?
• Worauf wollen wir uns in
der Gesellschaft für den Fall
der Pflegebedürftigkeit verständigen?
• Welche Prinzipien sollen gelten?
• Was ist eine gute Pflegekraft,
was eine gute Heimleitung?
11
Ethik in der Altenpflege
Letztlich geht es um ethische
Fragen. Jede dieser Fragen kann
auf eine philosophisch-ethische
Tradition zurückgeführt werden und dient gleichzeitig ganz
praktisch der Klärung der anstehenden gesellschaftlichen Fragen.
Damit Altenheime sich an
diesem gesellschaftlichen Klärungsprozess intensiv beteiligen
und ihre Kompetenz, ihre Erfahrungen und ihre Ideen für
Wenn Pflegequalität
daran gemessen wird,
dass die Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen respektiert und ihre
Individualität berücksichtigt wird, entscheidet sich
„gute Pflege“ genau an
diesen Fragen.
die weitere Entwicklung einbringen können, ist es notwendig, sich im eigenen Interesse
auch mit ethischen Fragen auseinanderzusetzen. Dabei gibt es
vier gute Gründe, angewandte
Ethik in ihr Aufgabenspektrum
aufzunehmen.
Gute Pflege
„Jetzt müssen wir Ihren Vater für einige Zeit auf die rechte
12
Ethik in der Altenpflege
Seite drehen, damit seine linke
Hüfte nicht so belastet wird. Er
soll doch kein Druckgeschwür
bekommen und sich auflliegen“ spricht die Pflegekraft zum
Angehörigen und meint es gut.
Gut im Sinne einer optimalen
Pflege.
Aber: Wäre es gut, den
Mann, der im Sterben liegt, in
dieser Weise „fachgerecht zu lagern“? Die Familie hat wahrgenommen, dass er, wenn er auf
der linken Seite liegt, am leichtesten atmen kann und in jeder
anderen Position schweratmig
wird und sich unwohl zu fühlen
scheint. Deshalb bitten die Angehörigen, vom Lagerungsplan
abzuweichen, auch wenn dieser
der Vermeidung von Druckgeschwüren dient.
Banale Alltagsfragen?
Ein banales Beispiel, die Entscheidung eigentlich klar? Ist es
nicht selbstverständlich, dass
jemand selbst bestimmen kann,
auf welcher Seite er liegt, nämlich auf der, die ihm angenehm
und gewohnt ist?
Die Praxis der Altenpflege
ist geprägt von scheinbar banalen Alltagsfragen. Grund dafür
ist, dass der Ort von Pflege und
Therapie und der Wohn- und
Lebensraum zusammenfallen.
Eine Verständigung muss gefunden werden zwischen pro-
fessionellen Erfordernissen und
Überzeugungen und persönlichen Wünschen und Bedürfnissen. Wenn Pflegequalität
aber daran gemessen wird, dass
die Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen respektiert und
ihre Individualität berücksichtigt wird, entscheidet sich „gute
Pflege“ genau an diesen Fragen.
Ethische Reflexion
Erst die ethische Reflexion
macht aus Pflegetechnik und
Pflegestandards gute Pflege. Jeweils in der aktuellen Situation
ist zu entscheiden, was an medizinisch-pflegerisch Machbarem
zu diesem Zeitpunkt wirklich
im Sinne des Pflegebedürftigen
und ethisch verantwortbar ist.
Das wird im Zusammenhang
der oben geschilderten Szene
deutlich. Daneben gibt es viele andere Fragen bis hin zum
Therapieabbruch. Es geht um
Themen wie selbstbestimmte
Ernährung trotz Mangelrisikos
oder Adipositas, selbstbestimmte Mobilität trotz Sturzgefährdung, Entscheidungen für oder
gegen die Einweisung ins Krankenhaus.
Eine konsequent am Willen
und Wohlbefinden des Pflegebedürftigen
ausgerichtete
Pflege muss bereit sein, fachliches Handeln zu „relativieren“,
das heißt in Relation zu ihrem
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
Adressaten zu setzen. Das fällt
Pflegekräften nicht leicht, wenn
pflegestandardkonformes Handeln als entscheidend für positive Transparenzberichte gilt.
Zufriedene Mitarbeiter
„Ich bin total entsetzt! Bei
Herrn K. soll die Versorgung
abgebrochen werden. Keine
Nahrung mehr und noch nicht
mal Flüssigkeit. Das haben
Hausarzt und Ehefrau heute
Morgen beschlossen. Herr K.
wird ja schon eine ganze Weile
über Sonde ernährt. Vielleicht
erholt er sich ja doch wieder.
Wir hatten doch in der letzten
Erst die ethische
Reflexion macht aus
Pflegetechnik und Pflegestandards gute Pflege.
Zeit den Eindruck, dass er wieder zu Kräften kommt. Aber wir
haben ja nichts zu sagen. Uns
fragt ja keiner, obwohl wir doch
am meisten mit ihm zu tun haben.“
Es stimmt, aus rechtlicher
Sicht haben die Pflegekräfte
„nicht zu sagen“. Sie hätten aber
durchaus etwas zu sagen zur aktuellen Situation und zu ihrer
Einschätzung des Bewohners.
Und sie hätten das Interesse,
davon zu hören, wie es zu der
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
Entscheidung gekommen ist.
Zu wünschen wäre auch hier
eine Verständigung – auch darüber, wie die letzte Lebensphase
gemeinsam zu gestalten ist. Die
ethische Fallbesprechung in der
Altenpflege bietet die Möglichkeit einer solchen Verständigung. Sie steht ganz im Dienst
des Pflegebedürftigen und trägt
gleichzeitig entscheidend zur
Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen in der Pflege bei. Oft
sind sie es, die in bestimmten
Situationen als erste ein diffuses Unwohlsein empfinden und
den Eindruck haben, irgendetwas sei nicht in Ordnung oder
so „nicht richtig“.
Fallbesprechungen
Alle an der Pflege Beteiligten
und für den Pflegebedürftigen
Verantwortlichen nehmen an
der ethischen Fallbesprechung
teil: Pflegekräfte, Angehörige
und Betreuer, Ärzte und behandelnde Therapeuten. Das eröffnet Chancen einer umfassenden
Betrachtung und Beurteilung
der Situation. Selten gibt es
eine einzige „richtige“ Lösung
für eine problematische Situation. Vielmehr geht es um ein
gemeinsames Abwägen und die
Verständigung über ein möglichst angemessenes Vorgehen.
Der gemeinsame Beratungsprozess und die Einbeziehung
aller Beteiligten tragen dazu bei,
dass die getroffenen Vereinbarungen von allen getragen werden. Pflegekräfte werden dabei
in ihrer Kompetenz gewürdigt
und erfahren sich als verantwortlich Mitwirkende und
nicht lediglich als Ausführende
ärztlicher oder gesetzlicher Vorgaben.
Schutz der Pflegekräfte und
der Einrichtung
„Danke, dass Sie mich zur
Toilette gebracht haben. Jetzt
lassen Sie mich bitte allein. Ich
klingele dann.“ Und dann klingelt die alte Dame doch nicht
sofort, sondern steht alleine
auf, fällt und bricht sich den
Oberschenkel. Die Krankenkasse verklagt die Einrichtung
auf Regress. In erster Instanz
verliert die Einrichtung mit der
Begründung, die Pflegekraft
hätte aufgrund der vorliegenden
Sturzgefährdung bleiben oder
sich zumindest in unmittelbarer
Hörweite halten müssen.
Auch wenn die Klage in
zweiter Instanz vom Oberlandesgericht München abgewiesen wurde (Az. 8 U 3041/09),
der Schock sitzt tief: Wie sollen
Pflegekräfte sich bei Sturzgefährdung zukünftig verhalten?
Wozu sollen Einrichtungen ihre
Mitarbeiterinnen anweisen? Soll
13
Ethik in der Altenpflege
der Wunsch der Pflegebedürftigen gelten oder die Forderung
der Kassen?
Die ethische Beurteilung einer Situation in der Pflege darf
nicht auf das Gegenüber von
Pflegekraft und Pflegebedürftigem reduziert werden. Denn die
Pflegekraft handelt im Auftrag
der Einrichtung, diese im Auftrag der Pflegekassen, diese wiederum im Auftrag des Staates.
Neben die pflegeethische Frage,
die Frage nach dem Sollen der
Neben die pflegeethische
Frage, die Frage nach dem
Sollen der Pflegekraft,
muss die ethische Frage
nach der Verantwortung
und dem Sollen der
Einrichtung treten.
Pflegekraft, muss die ethische
Frage nach der Verantwortung
und dem Sollen der Einrichtung
(und ihrer Vertreter) treten.
Die Vorgaben des SGB XI
sind sehr weitreichend. Die
Umsetzung hat der Gesetzgeber weitestgehend den Kassen
übertragen. Der Spielraum der
Pflegeeinrichtungen ist entsprechend eng. Eigene – auch
ethisch begründete – Zielvorga-
14
Ethik in der Altenpflege
ben für die Pflege sind von Pflegeeinrichtungen innerhalb oder
gar neben diesen Vorgaben nur
schwer umsetzbar.
Recht auf Selbstbestimmung
Die ethische Reflexion der
vor Ort Handelnden muss also
auch zum Ziel haben, für Mitarbeiterinnen wie für Bewohnerinnen und ihre Angehörigen
deutlich zu machen, wie unter
den gegebenen Bedingungen
das Können einer Einrichtung
und ihrer Mitarbeitenden aussieht. Diesem Können sind angesichts bestehender Personalschlüssel enge Grenzen gesetzt.
Eine 1:1-Betreuung ist nicht
möglich, so sehr sie oft den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen entgegenkäme. Andererseits
muss auch da, wo eine enge Begleitung gewährleistet wird, wie
im oben genannten Beispiel, ein
Recht auf Selbstbestimmung
geachtet werden, das auch die
Selbstgefährdung
beinhalten
kann. Beides, die Rahmenbedingungen der Pflege wie die
fachlich und ethisch begründeten Leitlinien, sollten transparent gemacht werden. Diese
Transparenz dient dem Schutz
aller Beteiligten.
Ethik der Altenpflege beteiligen, Ethik-Netzwerke gründen,
Mitarbeitende ethisch schulen
ethische Fallbesprechungen einführen, machen sie deutlich,
dass es ihnen in erster Linie um
das Wohlergehen der Bewohnerinnen und Bewohner geht.
Das ist der Grund dafür, sich
mit zentralen ethischen Themen
zu befassen und für die Einrichtungen Orientierungshilfen zu
erarbeiten. Wenn also die Altenheime die angewandte Ethik
in ihren „Leistungskatalog“ aufnehmen, tun sie etwas für die
Menschen, die sich ihnen als
Pflegebedürftige, Angehörige
oder auch als Mitarbeiter anvertrauen, für sich selbst und nicht
zuletzt auch für die Gesellschaft.
Also: „Holt die Ethik in die
Heime!“
Barbara Heller, Leitende
Pfarrerin der Evangelischen
Altenhilfe Gesundbrunnen
Image der Altenpflege
Wenn Altenheime sich an
der Weiterentwicklung einer
Es geht um das Wohlergehen der Bewohner – wie hier im Ev. Altenzentrum Hospital in Bad Hersfeld
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
15
Ethik in der Altenpflege
Ethik in der Altenpflege
thema
„Dass einer ein so gutes Herz haben und so brummig sein kann ...“
Albert Schweitzer – den Erfinder der „Ehrfurcht
vor dem Leben“ mit anderen Augen sehen
Biografische Daten
• 1875 geboren in Kaysersberg/Elsass
• 1893-1899 Studium der Theologie, Philosophie und Musik in Straßburg und Paris
• 1899 Promotion zum Dr. phil.
• 1900 Lizentiaten-Examen
(Dr. theol.); danach Vikariat
• 1902 Habilitation an der theologischen Fakultät Straßburg
• 1903-1906 Direktor des
Thomasstifts in Straßburg
• 1905-1912 Medizinstudium
• 1913 Promotion zum Dr. med.;
Ausreise nach Afrika (mit Ehefrau
Helene)
• 1913-1917 Aufenthalt in Lambarene
• 1921/1922 Konzert- und Vortrags
reisen in Europa
• 1924-1927 Aufbau eines neuen
Tropenhospitals in Lambarane
• 1949 Festrede zum 200. Geburtstag
Goethes in den USA
• 1951 Friedenspreis des deutschen
Buchhandels; Paracelsus-Medaille
• 1953 Friedensnobelpreis in Oslo
• 1955 Fertigstellung des Lepradorfs
• 1957 Aufrufe gegen die Gefahren
der Kernwaffenversuche
• 1959-1965 Letzter Lambarene
Aufenthalt
• 1965 14. Januar: 90. Geburtstag,
Besucher aus aller Welt; Abschluss
der kritischen Ausgabe J. S. Bachs
Präludien und Fugen für Orgeln;
4. September: Albert Schweitzer
stirbt; er wird in Lambarene beigesetzt
16
Großer Ethik-Lehrer und menschliches Vorbild: Albert Schweitzer
Mit dreißig Jahren beschließt Albert
Schweitzer im Jahr 1905, Medizin zu
studieren. Familie und Freunde sind
entsetzt. Was soll das? Dem jungen
Lehrer der Theologie fehlt nur noch
der Ruf auf eine Professorenstelle. Er
ist Doktor der Philosophie und der
Theologie, daneben ein anerkannter
Orgelmusiker der regelmäßig Konzerte gibt.
Was hat ihn aus der Bahn geworfen? Eine unglückliche Liebe? Die
plötzliche Angst, es könne doch nicht
klappen mit der Hochschullaufbahn?
Gerade die, die ihm nahe stehen,
sind voller Unverständnis und versuchen, seinen Entschluss ins Wanken
zu bringen. „Überhaupt, wie viel habe
ich damals darunter gelitten, dass so
viele Menschen sich das Recht neh-
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
men wollten, alle Türen und Läden
zu meinem Inneren aufzureißen!“, berichtet der viel Kritisierte später über
diese Zeit.
Er bleibt bei seiner Entscheidung,
die dem Ziel dient, sich zukünftig
einem „unmittelbaren menschlichen
Dienen“ zu widmen und als Missionsarzt nach Westafrika zu gehen.
Das Medizinstudium fällt dem
„späten Studenten“ schwer, zumal er
weiterhin theologische Vorlesungen
hält und predigt, schriftstellerisch tätig ist und auch seine Konzerttätigkeit
fortführt. Er bewältigt ein ungeheures
Arbeitspensum. Kein Wunder, dass er
rückblickend bemerkt: „Nun begann
Jahre hindurch ein Ringen mit der
Müdigkeit.“
Dennoch bringt er alles zum gewünschten Abschluss: Das Medizinstudium mit dem dritten Doktortitel,
die Autorentätigkeit mit entsprechenden Veröffentlichungen und das Werben um finanzielle Unterstützung mit
Spenden, die für ein Jahr den Betrieb
des Urwaldspitals sichern sollen. Bis
zum Schluss bleiben einige Mitglieder der Pariser Missionsgesellschaft
skeptisch, ob dieser kritische Theologe geeignet ist, und sei es als Arzt,
für sie nach Afrika zu gehen. Er kann
die meisten durch persönliche Gesprächen überzeugen, nachdem er
eine Glaubensprüfung abgelehnt hat.
Er muss versprechen, seine Aufgabe
auf die medizinische Tätigkeit zu beschränken und sich aller Art von Verkündigung und Lehre zu enthalten.
Und dann ist es soweit: Am 26. März
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
1913 geht er mit seiner Frau Helene
an Bord, um nach Afrika aufzubrechen.
Ehrfurcht vor dem Leben –
während Krankheit, Gleichgültigkeit und Krieg herrschen
Es ist nicht der Glaubensheld,
getragen von einer frommen Gemeinschaft, der hier zu einem gottgefälligen und segensreichen Wirken
aufbricht. Es ist ein sehr eigenständiger und eigenwilliger Denker, der
in verschiedenen Fachgebieten schon
eine Karriere hinter sich hat und nun
das Leben eines Geisteswissenschaftlers und Künstlers gegen das eines
praktizierenden Arztes und Krankenhausorganisators tauscht, für mehr als
fünfzig Jahre.
Und dabei bleibt er der eigenständige und eigenwillige Denker. Während des ersten Afrikaaufenthaltes
und der anschließenden Internierung
während der Zeit des ersten Weltkriegs – als Deutsche gelten er und
seine Frau in der französischen Kolonie als „Feinde“ – arbeitet er an einer
Kulturphilosophie. Er will verstehen
und erklären, was in Europa passiert
ist und in dem schrecklichen Kriegsgeschehen gipfelt. Er beschreibt diese Entwicklung als „Niedergang der
Kultur“ und sieht ihre Ursache auch
im Versagen der Philosophie. Doch
das Beschreiben des Niedergangs
reicht ihm nicht. Er sucht nach einem
Neuanfang: „Warum nur Kritik an
der Kultur? Warum sich damit begnügen, uns als Epigonen zu analysieren?
Buchtipp
Es ist fast zu
viel für ein
einziges Leben, was der
Tropenarzt,
evangelische
Pfarrer, Philosoph und
begnadete
Organist Albert Schweitzer leistete. Der Pfarrerssohn aus
dem Elsass startet eine vielversprechende wissenschaftliche Karriere als Theologe, obwohl er auch
Musikwissenschaftler hätte werden
können. Doch mit dreißig Jahren
beginnt er Medizin zu studieren.
Seine Berufung sieht er in Zentralafrika – er will sich als Arzt dem
„unmittelbaren menschlichen Dienen“ weihen und baut in Lambarene (Gabun) ein Urwaldhospital
auf.
Zur weltbekannten Ikone wurde der Friedensnobelpreisträger
mit Schnauzbart und Tropenhelm
durch seine Lehre von der „Ehrfurcht vor dem Leben“ und den
Kampf gegen die Atombombe. Was
trieb Albert Schweitzer an? Warum
wurde er gleichzeitig bewundert
und belächelt? Die Biografie von
Lothar Simmank sucht reportageartig nach den Spuren eines großen
Protestanten, der in das dritte Jahrtausend hinein wirkt.
Lothar Simmank: Der Arzt.
Wie Albert Schweitzer Not
linderte. Wichern Verlag, Berlin
2008, 9,95 Euro (auch als Hörbuch/Audio-CD erhältlich)
17
Ethik in der Altenpflege
Warum nicht auch aufbauende Arbeit?“
Schweitzer sucht nach einer Kraft,
die eine Umkehr und einen Neuanfang
möglich macht. Und er wird fündig.
Nicht am Schreibtisch und nicht während seiner ärztlichen Tätigkeit, sondern auf einer mehrtägigen Flussfahrt:
„Am Abend des dritten Tages, als wir
bei Sonnenuntergang gerade durch eine
Herde Nilpferde hindurchfuhren, stand
urplötzlich, von mir nicht geahnt und
nicht gesucht, das Wort „Ehrfurcht vor
dem Leben“ vor mir. Das eiserne Tor
hatte nachgegeben; der Pfad im Dickicht war sichtbar geworden. Nun war
ich zu der Idee vorgedrungen, in der
Welt- und Lebensbejahung und Ethik
miteinander enthalten sind!“
Man möge an dieser Stelle nicht irren: Schweitzers Erkenntnis verdankt
sich nicht der primär ästhetischen Erfahrung eines Naturerlebens, „Flusslandschaft mit Nilpferden im Sonnenuntergang“. Er idealisiert weder die
Natur noch die Tierwelt (obwohl es
wunderbare Naturbeschreibungen von
ihm gibt und er als Mitbegründer des
europäischen Tierschutzes gilt). Wiederholt berichtet er von der Lebensgefahr, die gerade von den Nilpferden für
diejenigen ausgeht, die den Fluss befahren. Mehrfach ringt er als Arzt um das
Leben von Schwerverletzten, die einem
Angriff dieser Tiere zum Opfer gefallen
sind. Doch er erkennt den Lebenswillen aller dort am Fluss: Den eigenen,
den der Afrikaner, den der Nilpferde.
Und er erkennt diesen Lebenswillen als
gleichwertig an.
Schweitzers Erkenntnis ist die
Frucht seines Denkens. „Die unmittelbarste Tatsache des Bewusstseins des
Menschen lautet: „Ich bin Leben, das
leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Er setzt seinem Willen zum
Leben, seiner Sehnsucht nach dem Weiterleben und der Angst vor der Vernich-
18
Ethik in der Altenpflege
Ist das richtig,
was wir tun?
tung oder dem Schmerz, der das Leben
beeinträchtigen kann, dem Willen zum
Lenen „um ihn herum“ gleich, ob er
sich äußern kann oder stumm bleibt.
Damit sind alle Grenzen aufgehoben, die aufgrund von Nationalität,
Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, einer Rasse oder einer Religion gezogen
wurden, ja sogar die Grenze zwischen
Mensch und Tier.
Damit ist für Schweitzer auch klar,
was geboten ist: „Zugleich erlebt der
denkend gewordene Mensch die Nötigung, allem Willen zum Leben die gleiche Ehrfurcht vor dem Leben entgegenzubringen wie dem eigenen. Er erlebt
das andere Leben in dem seinen. Als
gut gilt ihm: Leben erhalten, Leben fördern, entwickelbares Leben auf seinen
höchsten Wert bringen; als böse: Leben
vernichten, Leben schädigen, entwickelbares Leben niederhalten. Dies ist
das denknotwendige, absolute Grundprinzip des Sittlichen.“
Pessimist im Erkennen Optimist im Wollen und Hoffen
Noch einmal sei betont: Der, der
hier die Ehrfurcht vor dem Leben lehrt,
sogar über die Grenze der eigenen Spezies hinaus, ist kein Naturromantiker.
Er beobachtet Grausamkeit, Schmerz,
Leiden und Tod in der Natur wie in
der Menschheitsgeschichte in einer Fülle, die einen resignieren lassen müsste.
Der letzte Abschnitt seiner autobiographischen Skizzen „Aus meinem Leben
und Denken“ beginnt mit den Sätzen:
„Zwei Erlebnisse werfen ihre Schatten
auf mein Dasein. Das eine besteht in
der Einsicht, dass die Welt unerklärlich
geheimnisvoll und voller Leid ist; das
andere darin, dass ich in eine Zeit des
geistigen Niedergangs der Menschheit
hineingeboren bin.“
In diesem Sinn begreift er sein eigenes Tun als ebenso notwendig, wie in
Ethische Fallbesprechungen in der Altenpflege
geben Hilfestellung in kritischen Situationen
der Wirkung letztlich „bescheiden“. Er
will Schmerz und Angst, denen er begegnet, lindern.
Und genau dazu sieht er alle Menschen gerufen, die an sich erfahren haben, wie grausam es ist, körperlichem
Weh und Angst unterworfen zu sein
und deshalb die Sehnsucht teilen, vom
Schmerz frei zu werden. Er nennt sie,
und damit uns alle, die „Brüderschaft
der vom Schmerz Gezeichneten“. Aus
dem Teilen dieses gleichen Schicksals
erwächst die gemeinsame Verantwortung.
Was anderes ist es, das Hospizbewegung und Palliativpflege fordern, aber
auch die, die gegen die Formen der
modernen, „industriellen“ Massentierhaltung protestieren? Seine Rede von
der Ehrfurcht vor dem Leben macht
Schweitzer zu einem bedeutenden
Ethik-Lehrer und menschlichen Vorbild. Auch, und vielleicht gerade, wenn
einer, der ein so gutes Herz hat, manchmal sehr brummig ist – wie Schweitzer einen geretteten Pelikan von dem
„Doktor“ erzählen lässt.
Barbara Heller
Die Zitate sind den Büchern
‚Zwischen Wasser und Urwald’,
‚Aus meinem Leben und Denken’ und
‚Ein Pelikan erzählt aus seinem Leben’
von Albert Schweitzer entnommen
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
In Einrichtungen der Altenhilfe sind Probleme wie diese bekannt: Herr K., 63 Jahre, wurde
nach schwerem Herzinfarkt viel
zu spät vom Notarzt reanimiert.
Nach zehn Tagen ist sein Zustand stabil: Herr K. ist jetzt
ein vollkommener Pflegefall.
Als er ins Pflegeheim kommt,
ten nicht selten zu Unklarheiten
oder Unstimmigkeiten darüber,
was in einer schwierigen Pflegesituation „das Beste“ sei.
Woran können sich die
Pflegenden orientieren?
Was ist gut und richtig? Der
moderne Wertepluralismus und
Karl-Heinz Risto, Diakonisches
Aus- und Fortbildungszentrum
mit schwerem Leiden, Demenz
und Siechtum konfrontiert.
Rechtliche Unsicherheiten tun
ein Übriges. Wer schützt Einrichtungen vor Regressforderungen
der Kassen. Welche PDL kann
sich noch im Begriffsdickicht der
Diskussion um die Patientenverfügung orientieren?
Was sind „Ethische
Fallbesprechungen
in der Altenpflege“?
Beratungsrunde an einem Tisch zum Wohle der Bewohner
stellt sich die Frage dauerhafter künstlicher Ernährung und
Flüssigkeitszufuhr. Die Ehefrau
und auch die vier Söhne sind
ratlos.
Situationen wie diese führen
fast regelmäßig für alle Beteiligten zu Schwierigkeiten: Unzufriedene Pflegekräfte, aufgebrachte
Angehörige, die dauernd Gespräche einfordern und Drohungen
aussprechen. Auch abgesehen von
solchen extremen Vorkommen:
Bei der Pflege alter Menschen
kommt es zwischen den Beteilig-
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
eine fehlende Wertorientierung
erfordern eine hohe Fähigkeit zur
Reflexion und Kommunikation
der Werthaltungen von Pflegenden und Einrichtungen. Dürfen
wir alles, was wir können? Die
ethischen Fragen im Zusammenhang von Gesundheit und
Krankheit sind trotz gewachsener medizinischer Möglichkeiten
nicht einfacher geworden. Wie
können sich Pflegende entlasten?
Die Anforderungen an die stationäre Pflege steigen beständig.
Pflegekräfte sind immer häufiger
Ein neues Verfahren bietet Hilfestellung in kritischen Situationen im
Altenheim-Alltag: „Ethische Fallbesprechungen in der Altenpflege“ (EFA)
werden derzeit von Karl-Heinz Risto
am Diakonischen Aus- und Fortbildungszentrum DAFZ in Hofgeismar
eingeführt. Der evangelische Theologe,
Supervisor und Master Angewandte
Ethik hat das Verfahren zusammen mit
der Leitenden Pfarrerin Barbara Heller
entwickelt.
Grundsätzlich gilt: Ethikberatung erfolgt nur auf Anfrage! Es handelt sich
um ein freiwilliges Angebot. Ergebnis
einer Einzelfallberatung ist eine Empfehlung, keine Handlungsanweisung.
Im Vordergrund steht der gleichberechtigte Gesprächsgang im Beratungsprozess.
19
Ethik in der Altenpflege
Im Falle moralischer Unsicherheit ist eine Verständigung
aller Beteiligten und Betroffenen
über die Maßstäbe guten und
richtigen Handelns geboten.
Das Instrument der „Ethischen
Fallbesprechung“ verspricht hier
Abhilfe. Und das nicht bloß als
klärende Verständigung über die
Normen und Werte, die in dieser
Situation zu beachten sind, sondern in der Mehrzahl der Fälle
auch als eine konkrete Empfehlung für nächste Schritte.
Wie sieht das konkret aus?
Frau K. erlitt in der Vergangenheit mehrere Schlaganfälle.
Ihr fällt die Nahrungsaufnahme
sehr schwer, durch heftiges Verschlucken ist sie bereits mehrmals in Atemnot geraten. Von
den Pflegekräften wird sie als
kaum kommunikationsfähig beschrieben. Die Einrichtung lädt
den Sohn und die behandelnde
Ärztin zu einem Gespräch ein, in
dem über eine PEG-Anlage (Magensonde) beraten werden soll.
Die Einrichtung befürwortet die
PEG zur Risikovermeidung. Der
Sohn, zugleich der Betreuer, und
die Ärztin lehnen das hingegen
ab. Dabei bezieht sich der Sohn
auf eine Patientenverfügung, die
jedoch der Einrichtung nicht vorliegt.Nach 14 Tagen befürwortet
auch die Ärztin aufgrund des hohen Gewichtsverlusts eine PEG
Anlage, der Sohn ist weiterhin
dagegen.
Welche ethischen Konfliktfelder tun sich im dieser Situation auf?
• Fehlende Kenntnis des Patientenwillens;
• Verunsicherung der Pflegenden bzw. der gesetzlichen
Vertreter;
20
Ethik in der Altenpflege
• Achtung des Selbstbestimmungsrechtes bei zunehmender Abhängigkeit des alten
Menschen;
• Kommunikationsprobleme
und Konflikte zwischen den
Beteiligten, widerstreitende
Wert- und Zielvorstellungen;
• Allgemeine Rechtsunsicherheit vor allem in Fragen der
Therapiebegrenzung am Lebensende.
Ethische Konflikte führen
schnell zu moralischen Urteilen
und Verurteilungen: „Die Pflege respektiert den Willen der
Bewohnerin nicht“! „Der Sohn
nimmt Schmerzen und Leiden
seiner Mutter in Kauf“! Die Methode der Ethischen Fallbesprechung kann verhindern, dass es
zu solcher moralischen SchwarzWeiß-Malerei kommt.
Ethische Fallbesprechungen Wie geht denn das?
Anstatt übereinander oder
hinter dem Rücken zu reden,
kommen alle Beteiligten an einen Tisch. Sie beraten sich gemeinsam vor Ort und werden
dabei durch einen externen Moderator, eine Moderatorin unterstützt. Die Moderation gibt
keine inhaltlichen Ratschläge,
wie etwa nun mit der Situation von Frau K. umzugehen sei,
vielmehr sorgt sie für ein offenes,
faires und konstruktives Gespräch. Alle Beteiligten werden
gehört. Sie können ihre Fragen
und Sorgen und ihre Sichtweise darlegen. Am Ende steht eine
gemeinsame Empfehlung. Kein
Beteiligter soll genötigt werden,
etwas zu tun oder zu lassen, was
gegen seine fachlichen oder moralischen Grundsätze verstößt.
Aber durch das bessere Hören
und Verstehen der anderen Seite
kommt es zu einer Annäherung
über die Werte und Grundsätze,
die für anstehende Maßnahmen
zu berücksichtigen sind.
Bedenken und Einwände
Jetzt könnte man fragen:
Was denn noch alles?! Ethische
Fallbesprechungen benötigen
Zeit: Pflegekräfte, aber auch
Ärzte werden für eine Stunde
– manchmal auch etwas länger
– gebunden. Allerdings ist dies
zeit in der Regel gut investiert.
Die Vermeidung einer solchen
Besprechung kann aber viel
mehr Zeit fordern.
Zusätzlich halten manche
Ärzte halten es für bedenklich,
wenn sich andere Berufsgruppen in Entscheidungen einmischen, für die der behandelnden
Arzt – unter Umständen auch
vor Gericht – die Verantwortung zu tragen hat. Hier ist es
sinnvoll, zu differenzieren, wer
Entscheidungsträger ist: Der
Arzt für die Indikation; der Patient oder sein Vertreter aber
entscheidet über die angebotene
Therapie.
Ethische Fallbesprechungen
beraten auf beiden Entscheidungsebenen: Sie versuchen, die
Basis, auf der ein Arzt die Indikation stellt, so gut wie möglich
zu erweitern und zu fundieren.
Das größere Gewicht liegt allerdings auf der zweiten Ebene: ein
möglichst eindeutiges Bild davon zu entwickeln, was ein Patient mutmaßlich selber möchte.
Ziel der Fallbesprechung ist die
Stärkung der Patienten- bzw.
Bewohnerrechte.
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
Damit die Ethische Fallbesprechung gelingt
Es gibt ein Konzept für den
Ablauf der ethischen Entscheidungsfindung. Wenn folgende
vier Stufen eingehalten werden,
ist gewährleistet, dass alle Aspekte der Situation gewürdigt
werden:
•Bestimmung des ethischen
Problems – im Falle von Frau
K. ein Konflikt zwischen dem
Wunsch nach fürsorglichem
Handeln und der mutmaßlichen Selbstbestimmung.
• Analyse der pflegerischen,
medizinischen,
sozialen,
weltanschaulichen und einrichtungsbezogenen
Gesichtspunkte.
• Entwicklung und Bewertung von Maßnahmen unter
Berücksichtigung ethischer
Normen und Werte
• Formulierung eines Votums
einschließlich der Zusammenfassung der wichtigsten
Gründe, die zu der Empfehlung geführt haben.
Grundprinzipien ethischen
Handelns in der Pflege
Wille und Wohl der Bewohner stehen natürlich an erster
Stelle in einer Ethischen Fallbesprechung. Aber ist das immer
zu erkennen? Hier kann eine
Orientierung an den Grundprinzipien pflegerischen und
medizinischen Handelns helfen,
Vorschläge und Maßnahmen
abzuwägen und zu einer angemessenen Empfehlung zu gelangen. Medizinische und pflegerische Handlungen sollen
• den Willen des Bewohners
respektieren: Prinzip der Autonomie;
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
• zum Nutzen des Bewohners
sein: Prinzip des Wohltuns;
• keinen Schaden zufügen:
Nicht-Schadens-Prinzip;
• den Werten aller Betroffenen
gerecht werden: Prinzip der
Gerechtigkeit.
Lösungswege für Frau K.
Was hat der Beratungsprozess geleistet? In der Fallbesprechung berichtete der Sohn
ausführlich über einschneidende Lebenserfahrungen seiner
Mutter (langdauerndes Versterben des Ehemannes im Krankenhaus) und den Folgerungen,
die sie daraus gezogen hat. Er
konnte glaubhaft machen, dass
sie mithilfe ihres Gemeindepfarrers eine „Christliche Patientenverfügung“ aufgesetzt hat, die
ihr ein ähnliches Schicksal wie
dem Ehemann ersparen sollte.
Ärztin und Pflegekräfte sahen
daraufhin eine wichtige Voraussetzung für eine PEG-Anlage
(mutmaßlicher Patientenwille)
als nicht mehr gegeben an. Die
Einrichtungsleitung vergewisserte sich hierüber durch einen
Anruf beim zuständigen Betreuungsgericht. Frau K. wurde
dann so weit wie möglich oral
versorgt und palliativ betreut.
Sie verstarb nach 14 Tagen.
Das sind die „hard facts“.
Daneben sind aber auch die
zwischenmenschlichen Faktoren nicht zu unterschätzen. Das
Unbehagen an einer Situation
oder einem Vorgehen kann und
darf formuliert werden:
• Wertvorstellungen, moralische Bedenken und Befürchtungen können ausgesprochen und besprochen werden;
• Verstehen der Situation
durch Darstellung aus unterschiedlicher Sicht;
• Therapie- und Pflegeziele
können hinterfragt und erklärt werden;
• Unsichere Rechtsfragen werden erörtert;
• Durch die Erhellung der
Konflikte unter den Beteiligten entsteht emotionale Entlastung;
• Praxisorientierte Entscheidungsfindung.
Ergebnis
Gut, dass sie drüber gesprochen haben. Aber nicht nur im
Fall von Frau K. ist das nicht
alles, was eine Ethische Fallbesprechung leisten kann. Sie
kann auch helfen, dass sich die
Pflegenden und die Einrichtung
gegenüber Kontrollinstanzen
wie dem MDK oder der Heimaufsicht absichern können. Das
Ergebnis der Fallbesprechung
wird – oft mithilfe eines Frage- und Protokollbogens – der
allgemeinen Dokumentation
beigefügt.
Die Bereitschaft zum Konsens ist erstaunlich hoch, das
ist die Erfahrung, die sich nach
zahlreichen Ethischen Fallbesprechungen in den Einrichtungen der Ev. Altenhilfe Gesundbrunnen ergibt. Entscheidend
trägt wohl der systematische
Perspektivenwechsel zu dem die
Methode einlädt, dazu bei.Bei
allen Beteiligten entsteht eine
erhöhte Achtsamkeit und mehr
Bereitschaft zur Übernahme
von Verantwortung.
Karl-Heinz Risto
21
Ethik in der Altenpflege
Ethik in der Altenpflege
Auf dem Weg zu einer
palliativen Pflegekultur
Lebensqualität auch in der
Sterbephase – das will die
Evangelische Altenhilfe Gesundbrunnen in ihren Einrichtungen erreichen. In einer Broschüre stellt sie nun vor, wie der
Weg zu diesem Ziel aussehen
kann. „Auf dem Weg zu einer
palliativen Pflegekultur“ ist der
Titel des Heftes, das im März
im Rahmen eines Fachtages
einer breiteren Öffentlichkeit
vorgestellt wurde. Artikel von
Fachleuten und Berichte aus der
Praxis verdeutlichen anschaulich, was eine solche Kultur erreichen will.
Palliativ bedeutet schmerzlindernd. Palliative Pflegekultur
meint jedoch mehr. Es geht um
die Gestaltung eines Umfelds,
das in der Lage ist, die Bedürfnisse eines Menschen in seiner
letzten Lebensphase wahrzunehmen und zu befriedigen –
eine Herausforderung an Räume, Personal und Angehörige.
Bis zuletzt zu Hause
Wenn in der Zeitung zu lesen ist, wie viele Menschen in
Deutschland im Krankenhaus
oder im Altenheim sterben, löst
das immer wieder große Betroffenheit aus. Schließlich ist
bekannt, dass es ein weit verbreiteter Wunsch ist, nach Möglichkeit bis zum Lebensende in
den eigenen vier Wänden zu
bleiben.
22
Die Evangelische Altenhilfe Gesundbrunnen entwickelte
ein Konzept: „Auf dem Weg zu einer palliativen Pflegekultur“
Die Broschüre kostet 7,50 Euro (zzgl. Versand) und ist erhältlich bei
der Ev. Altenhilfe Gesundbrunnen, Brunnenstr. 23, 34369 Hofgeismar, Tel. 0 56 71 / 882 - 226, [email protected]
Doch es muss kein Zeichen
von Lieblosigkeit oder sozialer
Kälte sein, wenn dieser Wunsch
für 75 Prozent der Sterbenden
nicht in Erfüllung geht. Wir
sind ein Leben lang gewohnt, in
Zeiten gesundheitlicher Krisen
professionelle Hilfe in Anspruch
zu nehmen. Und genau das tun
die Familien, die für ihre schwer
kranken und pflegebedürftigen
Angehörigen Hilfe, Besserung
oder wenigstens Linderung des
Leidens in Krankenhäusern und
Pflegeheimen suchen. Insofern
sind Pflegeheime, wenn ein
Mensch zuhause nicht mehr angemessen versorgt und betreut
werden kann, der „richtige“ Ort
für Schwerkranke und Sterbende, um sie bis zum Lebensende
zu begleiten. Damit die Häuser
der Evangelischen Altenhilfe
Gesundbrunnen die „richtigen
Orte“ für Schwerkranke und
Sterbende sein können, haben
wir langjährige Erfahrungen
ausgewertet, aktuelles Fachwis-
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sen ergänzt und die vielfältigen
Kontakte genutzt, die zu Angehörigen, Ehrenamtlichen, Ärzten, Seelsorgern und Hospizgruppen schon bestanden, um
ein Konzept zu entwickeln für
eine palliative Pflegekultur. Jede
Einrichtung kann nun überprüfen, was in der Praxis schon
verwirklicht wird und welche
Elemente es noch zu ergänzen
und einzuführen gilt. Es geht
dabei um eine kontinuierliche
fachliche Verbesserung, aber vor
allem um eine gemeinsame Haltung.“ (Barbara Heller in: Auf
dem Weg zu einer palliativen
Pflegekultur)
ten und stationären Angeboten
auch im ländlichen Raum eine
Palliativversorgung sicher gestellt werden kann. In Fachartikeln geht es um Schmerztherapie, Mundpflege und um die
Methode der ethischen Fallbesprechung, die eine Möglichkeit
darstellt, Konflikte zu lösen oder
wenigstens zu entschärfen. Die
Aussegnung Verstorbener wird
als Ritual einer Abschiedskultur
beschrieben. Auch die historischen Wurzeln, die medizinischpflegeriche Entwicklungen und
die Grenzen palliativer Pflege
finden ihren Niederschlag im
Heft.
Eine Herausforderung
Auf 58 Seiten werden in der
Broschüre die Ziele dieser Kultur beschrieben und gezeigt, wie
viel davon Einrichtungen der
Evangelischen Altenhilfe Gesundbrunnen bereits erreicht
haben. In verschiedenen Artikeln wird aufgezeigt, wie einzelne Einrichtungen sich auf
die Herausforderung, Sterbende
palliativ zu begleiten, eingestellt
haben: bei der Gestaltung spezieller Räume und Wohnbereiche,
mit der Erstellung besonderer
Dienstpläne, durch den Ausbau
von Netzwerken.
So wird unter anderem
am Beispiel des Hospiznetzes
Waldhessen gezeigt, wie durch
eine Vernetzung von ambulan-
Wegpunkte auf sechs Seiten
In einer sechseitigen Broschüren-Einlage werden nochmal die Wegpunkte hin zu
einer Palliativen Pflegekultur
kompakt wie in einem Leitfaden benannt. Aufgegliedert in
verschiedene Themenbereiche
werden die einzelnen Aspekte
des Themas greifbar gemacht.
Einrichtungen können sich so
selbst überprüfen, einen IstStand analysieren und Ziele für
die Weiterentwicklung ausmachen.
„Die Einführung einer palliativen Pflegekultur verlangt
jedoch noch mehr. Die Mitarbeiter aller an der Versorgung
beteiligten Berufsgruppen brauchen fachliche Unterstützung
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
für die angemessene Begleitung
von Schwerstkranken und Sterbenden. Was ist in der Betreuung zu beachten, etwa wenn
Gespräche kaum noch möglich
sind? Welche besonderen Bedürfnisse sind bei der Verpflegung zu berücksichtigen? Gibt
es spezielle Anforderungen an
Mitarbeitende in der Hauswirtschaft oder Haustechnik?
Diese Art der Reflexion des
eigenen beruflichen Handelns
erscheint zuweilen aufwändig,
führt jedoch zu einer besonderen, von uns gewünschten Qualität der Arbeit.“ (Barbara Heller
in: Auf dem Weg zu einer palliativen Pflegekultur“)
Auch Lehrinhalte und -wege
werden beschrieben: Zum Beispiel, wie die palliative Begleitung in die Ausbildung von
Fachkräften integriert ist, welche Fortbildungen am DAFZ
angeboten werden – vom Zertifikatkurs Palliative Care über
einen 40-stündigen Lehrgang
„Palliative Begleitung alter
Menschen“ bis hin zu Fortbildungen mit Spezialthemen wie
etwa der Ernährung. Sie sollen
Mitarbeitern helfen, besser auf
die besonderen körperlichen,
psychischen, sozialen und spirituellen Bedürfnisse der Betroffenen und ihrer nächsten Angehörigen eingehen zu können.
Christiane Gahr
23
Ethik in der Altenpflege
Ethik in der Altenpflege
Sterbende sind Lebende
Es ist in der Tat ein Wohnzimmer. Obwohl hier die Betten
von sechs schwerstpflegebedürftigen, immobilen Demenzkranken in einem Raum stehen.
Und obwohl es die letzte Station
ihres Lebens ist. Die Pflegeoase
im Ev. Altenhilfezentrum Haus
Salem in Witzenhausen ist ein
Ort der Gemeinschaft und darum ein Ort des Lebens.
Rein optisch gesehen ist es
die Wand, die den Raum zum
Wohnzimmer macht. Sandfarbene Tapete mit dezent-rotem
Muster, eine Uhr mit Pendel,
eine Anrichte davor aus dunklem Holz. Darauf eine Orchidee, ein Bilderrahmen, ein
Radio. Die Wand mag fünf
Quadratmeter messen und
steht frei im Raum. Sie verleiht
diesem Teil des Zimmers eine
gemütliche, heimelige Note –
Wohnzimmer-Atmosphäre.
Welcher Tag ist heute?
Es ist der Teil der Pflegeoase, wo Gemeinschaft stattfindet. Hier steht der ovale Tisch,
blickt man von den orangeroten
Pflegesesseln aus auf die Terrasse. Hier sitzt Karin Stange mit
drei Damen und einem Herrn
in gelassener Runde und liest
vor. Zuerst aus der Zeitung, so
haben die Bewohner der Pflegeoase für heute entschieden.
Danach werden sie das Märchen
vom tapferen Schneiderlein hö-
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ren und gemeinsam mit der
Betreuerin singen. Sie lachen
zusammen, auch wenn sie nicht
wissen, welcher Tag heute ist,
ob sie Besuch bekommen, warum sie eigentlich hier sind und
vielleicht vergessen haben, wie
die Frau neben ihnen am Tisch
noch gleich heißt.
Hier ist ihr Reich
Zwei Plätze sind leer. Frau
Wildner (Namen von der Redaktion geändert) kommt erst
gegen Mittag an den Tisch, weil
ihre Kräfte weiter nicht reichen.
Bis dahin bleibt sie im Bett, das
hinter weißen Schiebevorhängen unter einem Sternenhimmel steht. Hier ist ihr Reich:
ein Schrank, ein Schränkchen
gehören dazu und einige private
Schätze. Das können die Fotos
von Kindern und Enkeln sein,
ein Teddybär oder ein Kalender.
So wie sie hat jeder hier
in diesem 110 Quadratmeter
großen Raum sein Eckchen,
wo er für sich sein kann und
doch nicht allein ist. Sie hört
die Stimmen der anderen, das
Hereinkommen der Reinigungskräfte, das Gespräch beim
Schichtwechsel, die Nachrichten aus der Tageszeitung, das
Singen ihrer Mitbewohner.
Wenn Frau Wildner gegen
Mittag das Bett verlässt, erscheint sie in den Kleidern, die
sie gerne trägt. Je nach Vorliebe
ein Rock oder eine Hose, ein
Pullover oder eine Bluse, dezent
oder kräftig gefärbt.
Sie wird an den Tisch geschoben, an dem es Mittagessen
gibt. Monique Langlet isst mit.
Sie ist eine von drei Pflegekräften, die sich bewusst für diesen
Arbeitsplatz entschieden haben
und von denen von morgens bis
abends immer einer da ist. Sie
hat im Blick, dass Frau Tennbusch heute noch nicht mehr
als ein halbes Glas Saft getrunken hat. Sie merkt gleich, wenn
einer ihrer Schützlinge unruhig
wird oder Schmerzen bekommt.
Dass die Pflegekräfte auf veränderte Bedürfnisse sofort reagieren können, ist Teil des
Konzepts, das in der Schweiz
entwickelt wurde.
In der „Pflegeoase“ im Haus Salem in Witzenhausen
begleitet man sterbenskranke Menschen mit Demenz
Fast familiäres Konzept
Patricia Hüther, Leiterin des
Altenhilfezentrums, hat es für
das Haus Salem entdeckt und
zwei Jahre lang dafür gekämpft,
bis die Pflegeoase im November
2007 als Modellversuch Wirklichkeit wurde. Sie hofft sehr,
dass dieses kleinräumige, fast
familiäre Konzept dauerhaft
Bestand haben wird. „Das ist
genau das, was wir für demente
Bewohner brauchen“, sagt sie.
Ab einem bestimmten Stadium suchen die Demenzkranken
in diesem letzten Lebensabschnitt die Gemeinschaft. Und
die finden sie in besonderer
Form an diesem Ort, der nur
zu einem Zweck eingerichtet
ist: zum Wohlfühlen. Wohler
fühlen sich die Bewohner beim
Essen, wenn Monique Langlet
nicht nur daneben sitzt. Wenn
sie mitisst und zu Recht sagen
kann, dass der Schokoladenpudding gut schmeckt, wenn
sie Frau Langendorf zum Essen
ermuntert.
Wer hier sitzt, hat immer
Gesellschaft. Auch weil die
Pflegekraft hier zum Beispiel
den Schreibkram erledigt und
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GESUNDBRUNNEN 1 | 11
sagt: „Das mache ich bei Ihnen,
und Sie passen auf, dass alles
stimmt.“ Darum greift Frau
Tennbusch nur hin und wieder
nach dem langen weißen Frottee-Tuch, das sie zum Essen um
den Hals trägt, und wischt damit hin und her über den sauberen Tisch. Meist hat sie anderes
zu tun.
Nach Tagesform und Kraft
Inzwischen hat sich der Tisch
geleert, haben sich die Bewohner in ihre Ecken zurückgezogen. Die eine früher, die andere
später – je nach Tagesform und
Kraft. Herr Müller schläft zur
Zeit nebenan, in einem der beiden Ausweichzimmer. Das Ausweichzimmer kann auch Sterbezimmer sein. Wenn am Ende
des Lebensweges viele Angehörige da sind oder wenn das Sterben mit großer Unruhe verbunden ist. Mancher Mitbewohner
ist auch in seinem Eckchen in
der Pflegeoase eingeschlafen.
Aber das gehört dazu. An einem
Ort wie diesem besonders. Auch
weil es ein Ort des Lebens ist.
Dr. Christiane Deuse
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Personen
Personen
„Ich habe enormen Respekt
vor alten Menschen“
Waltraud Lange (61) wuchs in Niedermeiser mit sechs Geschwistern
auf. 1973 kam sie als Pflegehelferin
ins Alte Else-Steinbrecher-Haus, im
Oktober des Jahres begann sie am
Gesundbrunnen ihre Ausbildung
zur Altenpflegerin.
Zum geriatrischen Krankenhaus
am Krähenberg kam sie im Anerkennungsjahr und blieb dort 14 Jahre.
Ab Mitte 1976 leitete sie die Station
IVb. Nach einem Fernstudium der
Evangelischen Erwachsenenbildung
wurde Waltraud Lange 1990 angestellte Dozentin des Diakonischen
Fortbildungszentrums am Gesundbrunnen. Heimleiterin des Neuen
Brunnenhauses wurde sie 1996.
2003 übernahm sie das Qualitätsmanagement für den Heimbereich
Hofgeismar und ein Jahr später für
alle Häuser der Evangelischen Altenhilfe. Nach fast 38 Arbeitsjahren in
der Altenhilfe am Gesundbrunnen,
trat sie im Dezember vergangenen
Jahres in den Vorruhestand. Zum
Abschied erhielt sie die Gesundbrunnenmedaillie. Waltraud Lange hat zwei erwachsene Kinder. Sie
singt gerne und schreibt Märchen.
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Sie waren in der Evangelischen Altenhilfe als Pflegerin,
Dozentin, Heimleiterin und
QM-Beauftragte tätig – immer für etwa sieben oder aber
zweimal sieben Jahre. Warum
die vielen Wechsel? Wurde ihnen die Arbeit immer irgendwann langweilig?
Waltraud Lange: Spätestens
wenn ich den Eindruck hatte, jetzt kommen keine neuen
Projekte, kein neues Kribbeln
mehr, habe ich nach einer neuen
Herausforderung gesucht. Am
Krähenberg war viel Aufbauarbeit zu leisten. Erstmal musste
ich mich als Anfängerin selbst
fachlich festigen. Dann wurde
ich Stationsleiterin mit der Aufgabe, ein Team zu leiten – für
mich eine neue Sache. Ich habe
aus dem Bauch heraus geleitet,
manche Sachen haben geklappt
und mit manchen bin ich auf
die Nase gefallen. Bis ich durch
Fortbildungen die theoretischen
Kenntnisse hatte und merkte,
das kann ich auch anders steuern. Es dauerte ein paar Jahre,
dann hatte ich mein Team, das
arbeitete eigenständig, hatte eine
Struktur. Es gab sogar schon
eine Kladde mit Ablaufregeln.
Dann kam ein spannendes Projekt Anfang der 80er Jahre: die
Pflegedokumentation. Die durfte ich mit aufbauen. Und als das
dann lief, habe ich gedacht, jetzt
kann mal was Neues kommen.
Wie kamen Sie zur Evangelischen Altenhilfe?
Lange: Ich hatte mit meinem
Mann in Niedermeiser mit dem
Bau eines Hauses begonnen, damit unsere beiden Kinder Platz
hatten. Ich bin dann zum Arbeitsamt gegangen, die haben
mich zur Altenhilfe geschickt.
Bevor mein erstes Kind zur Welt
kam, hatte ich eine Ausbildung
zur Kinderkrankenschwester begonnen. Im März 1973 habe ich
dann als Pflegehelferin im ElseSteinbrecher-Haus angefangen,
wurde aber schon nach wenigen
Wochen von Pfarrer Nöding
angesprochen, ich solle doch
die Ausbildung zur Altenpflegerin machen. Das habe ich dann
auch gemacht.
Wie war der Unterricht für
Sie? Nach der Schwesternausbildung wussten Sie doch
schon fast alles.
Lange: Ja, vieles wusste ich.
Aber es gab auch viel Neues.
Mit alten Menschen umzugehen, ist was ganz anderes als
mit Kindern. Hier ging es darum, Menschen individuell zu
begleiten, die bereits ein Leben
gelebt haben, auch wenn sie teilweise nicht mehr repräsentieren
können, was sie mal waren. Ich
wollte ja ursprünglich Kindergärtnerin werden. Erst in der Altenpflege habe ich gemerkt, dass
das noch mehr mein Ding ist,
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Fast vier Jahrzehnte war sie für die Evangelische
Altenhilfe Gesundbrunnen in verschiedenen
Funktionen tätig. Mit einem Interview verabschiedet sich Waltraud Lange in den Ruhestand.
arbeiten. Mir fehlten aber die
theoretischen Voraussetzungen.
Ich war keine Schulschwester. Durch ein Fernstudium in
Evangelischer Erwachsenenbildung wurde ich Dozentin.
Nach 37 Jahren in der Altenhilfe: Verabschiedung von Waltraud Lange (Mitte)
durch Pfarrerin Barbara Heller und
Dr. Dietrich Köhling
weil ich mit Menschen zu tun
habe, die mir gleichberechtigt
oder sogar ein ganzes Stück voraus sind. Ich habe enormen Respekt vor alten Menschen. Und
sie dabei zu unterstützen, auch
im Alter ein selbstbestimmtes
Leben zu führen, fand ich superspannend. Das stand auch im
Mittelpunkt der Ausbildung.
Später wurden Sie selbst
Dozentin. Wie kam das?
Lange: Das Fortbildungszentrum war 1986 gegründet worden, und ich hatte dort schon
in einigen Kursen mitgearbeitet,
zum Beispiel „Die Pflege von
Schlaganfallpatienten“ – ein
Schwerpunkt am Krähenberg.
Ich habe gemerkt, die Wissensvermittlung liegt mir einfach.
Von Pfarrerin Kutzbach wurde
ich angesprochen, ob ich mir
vorstellen könnte, im DFZ zu
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Die Lehre lag Ihnen, warum
dann der Wechsel zur Heimleiterin im Neuen Brunnenhaus?
Lange: Erwachsenenbildung
ist etwas Spannendes. Erwachsene bringen Erfahrungen mit,
daran lässt sich anknüpfen. Für
mich ging nur das: aus der eigenen Erfahrung lernen. Die Ziele
in der Pflege sind klar, aber den
eigenen Weg dahin muss jeder
selbst finden. Ich habe mich als
Mitsuchende verstanden, die aus
eigener Erfahrung unterstützen
kann. Aber nach einigen Jahren
habe ich gemerkt, ich kann nicht
mehr mitreden. Es war die Zeit
des Umbruchs zu einer aktivierenden Pflege. Die Praxis fehlte
mir jetzt. Dann kamen 1996 mit
dem Pflegeversicherungsgesetz
eine neue Pflegedefinition und
neue Einstufungen. Das war
eine Herausforderung. Da wollte ich bei der Umsetzung mit dabei sein. Deshalb habe ich mich
als Heimleiterin beworben.
Waren Sie als Heimleiterin
auch die Mitsuchende?
Lange: Grundsätzlich ja.
Aber hier war meine Aufgabe
die Förderung der Wohnbereichsleitungen, sehr individuell
mitunter. Die eine hatte Schwierigkeiten, den Dienst so zu
strukturieren, dass sie mit den
vorgegebenen Stunden auskam.
Einer anderen musste ich eher
vermitteln, dass die Mitarbeiter keine Roboter sind, sondern
Menschen, die sie wertschätzen
muss. Und es gab viel zu verwalten, bei einem Haus mit 100 Bewohnern und 70 Mitarbeitern.
Zu viel.
Aber die Stelle habe ich nicht
freiwillig aufgegeben. 2002
hatte die Geschäftsleitung entschieden, die Heimleitungen
in Hofgeismar aufzugeben und
eine Gesamtleitung einzurichten. An die Spitze der Häuser
sollte eine Pflegedienstleitung
und die Wohnbereichsleitungen
sollten abgeschafft werden. Das
war nicht einfach und hat viel
Unmut erzeugt. Für mich hat es
sich gut gefügt: Es wurde eine
Beauftragte für das Qualitätsmanagement gesucht.
Gut gefügt als Qualitätsmanagement-Beauftragte? Wollten Sie sich unbeliebt machen?
Lange: Ich hatte überhaupt
keine Sorge, mich unbeliebt zu
machen. Mein Vorteil war, ich
war ja durch meine Jahre im
Fortbildungszentrum in allen
Häusern bekannt wie ein bunter Hund. Dort sind ja fast alle
27
Personen
Personen
„Ein Jahr für mich und für andere“
Mitarbeiter mal gewesen. Und
die EAG hat eine hohe Personalbeständigkeit. Da wussten also
viele, was meine Herzensangelegenheit ist: Dass es den Mitarbeitern gut geht, damit sie gute
Arbeit machen können. Dass
ihre Arbeit einen Rahmen hat,
damit sie ihre Ziele erreichen
können. Dass sie das prüfen
können und sagen können, ich
gehe zufrieden nach Hause.
Das Qualitätsmanagement
war anfangs sehr umstritten.
Zu Recht?
Lange: Nur zum Teil hätte man es anders machen können. Die Einführung von neuen
Strukturen ist immer unbeliebt,
aber ich hätte mir einem Vorlauf
gewünscht, in dem die Mitarbeiter motiviert werden. Es ist viel
Abwehr entstanden, weil den
Mitarbeitern nicht klar geworden ist, was sie von einem QMS
haben. Sie haben viel Arbeit damit erlebt, ohne zu wissen, was
ihnen das bringt.
Wo liegen die Vorteile von
Qualitätsmanagement?
Lange: Die täglichen Rangeleien um die Frage, was ist wie
richtig, die haben sie zwangsläufig, wenn sie in einem Team
arbeiten. In Grenzen können
sie das vermindern, indem ein
Team ganz rigoros geleitet wird.
So war das ja früher die Regel. Es
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heißt immer, es war früher familiär. Das stimmt auch. Aber der
Hausvater hieß ja nicht umsonst
„Vater“. Der sagte, was ist, und
die Kinder machten oder machten auch nicht – wie in der Familie. QM schafft dagegen eine
Struktur, innerhalb derer die
Mitarbeiter viel mehr Sicherheit
im Handeln gewinnen können.
Sie haben in der Altenhilfe
gepflegt, geleitet, gelehrt, verwaltet und beraten. Was taten
Sie am liebsten?
Lange: Da habe ich oft drüber nachgedacht. Wenn ich mich
jetzt entscheiden müsste, dann
steht an erster Stelle meine Arbeit am Krähenberg. Die Arbeit
in der Rehabilitation fand ich
für mich am erfüllendsten. Hier
ging es ganz konkret darum, mit
den Menschen, die etwa durch
einen Schlaganfall aus ihrem Leben gerissen wurden, persönlich
herauszukriegen: Wie kannst du
mit deinem Handicap ein Leben
führen, mit dem du wieder zufrieden sein kannst? Ein super
spannender Prozess. In der Pflege dieser Menschen waren die
Erfolge erfahrbar. Die Pflege war
aber in allen meinen Tätigkeiten
immer mein Schwerpunkt geblieben. Alte Menschen zu unterstützen, ein menschenwürdiges, möglichst selbstbestimmtes
Leben zu führen, dieses Ziel war
immer die Grundlage. Ich hätte
auch keine andere Arbeit machen wollen.
Gibt es etwas, dass Sie als Ihr
schönstes Erlebnis ansehen?
Lange: Es gab viele schöne
Erlebnisse. Das schönste? Sie
sind auch so unterschiedlich.
Schön fand ich, wenn es gelungen ist, jemanden ein Stück
weiter zu bringen. Zu sehen, wie
selbstbewusst sie dann wieder
werden, wie die ganz anders dastehen, so gerade. Ich kann das
nicht auf ein Erlebnis festlegen,
egal ob es jetzt Bewohner waren oder Mitarbeiter oder eine
am Boden zerstörte Angehörige. Ganz schön auf einem ganz
anderen Gebiet war das Theater
spielen. Es gab mal so eine Theatergemeinschaft, das war auch
am Krähenberg. Wir haben zu
Weihnachten oder zu Mitarbeiterfeiern kleine Stücke vorgespielt, das habe ich auch sehr
gern gemacht.
Fragen: Roland Müller
Lea Müller absolviert ein Freiwilliges
Soziales Jahr (FSJ) im Albert-Klingender-Haus in Hofgeismar. Für einen
Motto-Tag unter dem Titel „freiwillig
etwas bewegen“ schrieb sie diesen
Also bewarb ich mich beim Zentrum für Frei- Bericht.
Die Schule war zu Ende, aber der Ausbildungsbeginn erst in einem Jahr – wie sollte ich diese Zeit
am sinnvollsten überbrücken? Die Lösung war ein
Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ). Und zwar am besten in meinem zukünftigen Beruf, der Altenpflege.
willigen-, Friedens- und Zivildienst in Kassel für
ein FSJ, und gleichzeitig auch bei der Evangelischen Altenhilfe in Hofgeismar. Ich wollte durch
das FSJ neue Erfahrungen sammeln und herausfinden, ob meine Entscheidung, eine Ausbildung
als Altenpflegerin zu machen, die richtige ist.
So kam ich in das Albert-Klingender-Haus der
Evangelische Altenhilfe Hofgeismar. Dort bin ich
von meinen neuen Kollegen sehr freundlich aufgenommen worden. Meine Aufgabe ist es, den
Tagesablauf der Bewohner zu begleiten. Morgens
hole ich sie aus dem Bett, helfe ihnen beim Waschen und Anziehen, begleite sie zum Frühstück.
Bewohner, die es alleine nicht können, reiche ich
das Essen und Trinken. Bei einigen Bewohnern
wird der Blutdruck gemessen, diese Aufgabe darf
ich unter Aufsicht einer Pflegefachkraft übernehmen.
Zwischendurch betreue ich die Bewohner, lese
mit ihnen, wir spielen zusammen oder gehen bei
schönem Wetter spazieren. Ich mache Früh- und
Spätschicht, wöchentlich im Wechsel. Alle 14
Tage arbeite ich auch an den Wochenenden.
Das FSJ ist nun bald zu Ende. Ich habe in diesem Jahr viel über andere, aber auch über mich
gelernt. Während dieser Zeit stellte ich fest, wie
dankbar die Bewohner sind, wenn man für sie
da ist, ihnen Hilfe und Betreuung anbietet. Man
lernt aber auch mit Demenz und mit Sterbenden
umzugehen.
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GESUNDBRUNNEN 1 | 11
Verena Brockhaus und Lea Müller
In diesem Jahr konnte ich nicht nur anderen
Menschen helfen, sondern auch sie haben mir geholfen, mich weiter zu entwickeln, meine eigene
Persönlichkeit zu stärken. Meine Entscheidung,
Altenpflegerin zu werden, hat sich als richtig erwiesen. Es ist ein Jahr für andere, aber auch ein
Jahr für mich gewesen.
Lea Müller
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Archiv
Archiv
Von Feinden und Freunden alter Papiere
Der Archivar kämpft gegen Staub und Licht,
um seine Schätze für die Nachwelt zu erhalten.
Auch die Bestände der Evangelischen Altenhilfe
Gesundbrunnen müssen fachgerecht gesichert
werden.
Jahr der Erstanschaffung einer
Schreibmaschine) bis etwa Mitte der 1950er Jahre bestand. In
den Ordnern befanden sich wieder einzelne Akten, wie die von
Pfarrer Weiß. In diesem Zustand ließen sich die Akten aber
nicht archivieren.
Archivaufbau ist zuerst Sucharbeit. Für die evangelische
Altenhilfe führte die Siche in
die Gebäudekeller am Gesundbrunnen. Der Leiter des technischen Dienstes, Herr Kosniowski, scheute dabei auch
nicht die dunkelsten Winkel
und fand so die Aufnahmebücher des Männerheims II, die
in einem Schrank verborgen
waren, deren Tür sich Dank einer Versorgungsleitung nur einen Spalt breit öffnen ließ. Im
Keller des Verwaltungsgebäudes
lagen normale Ordner, wie der
abgebildete mit der Nummer 1
und dem Titel: „Personal“. Von
diesen gab es 20 Stück in einer
Ordnung, die von 1924 (dem
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Archivaufbau ist Reinigungsarbeit. Denn zu den Feinden
von Papier zählen: Staub, nebst
allen Viechern, die sich darin
wohlfühlen. Dagegen wurden
diese Ordner, die Akten und
Papiere abgesaugt und mit unterschiedlichsten Bürsten abgestaubt.
Zu den Feinden von Papier
zählen auch: rostendes Metall,
ausdünstendes Plastik und Säure etwa in den Aktendeckeln.
Dagegen mussten die Schriften aus den Akten herausgenommen und in einen neuen
nichtsauren Aktendeckel mit
einer Plastikbindung, die nicht
ausdünstet, umgebettet werden.
Metall und Plastik musste entfernt werden. Und weil es sehr
viele verschiedene Tackerklammern gibt, kamen auch verschiedene Entklammerer zum
Einsatz und wenn nichts anders
half, dann eine Spatel. Zu den
Feinden von Papier zählt auch
das Licht. Deshalb kamen die
Akten zuletzt in einen – selbstverständlich säurefreien – Archivkartoon. Das ist der bewahrende Teil eines Archivaufbaus.
Genauso wichtig aber ist die
Nutzung. Sie wollen zum Beispiel etwas über Pfarrer Weiß
wissen. Dafür schauen Sie zunächst in das sogenannte Findbuch, in dem alle Akten eines
Bestandes verzeichnet sind. Sie
schauen in die Gliederung dieses Buches, sehen dort: „Personalangelegenheiten – Pfarrerinnen und Pfarrer“ und blättern
dorthin. Sie kennen nun die Bezeichnung der Akte Weiß: „ArchEAG, H-A/4“. Ausgeschrieben: Archiv der Evangelischen
Altenhilfe Gesundbrunnen, Bestand Hofgeismar A, Akte Nr. 4.
So könnten Sie die Akte nun zur
Ansicht bestellen.
Das Findbuch sagt Ihnen aber
noch mehr. Es nennt Ihnen
den Zeitraum, den die Akte
abdeckt. In dem Beispiel ist
es „1943 (1945)“. Das bedeutet zu Pfarrer Weiß enthält die
Akte nur Schriften aus dem Jahr
1943. Einzelne Dokumente
stammen aus dem Jahre 1945,
haben aber mit Weiß nichts zu
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
Das Archiv ist
angekommen
Sitz des Archivs ist das alte
Albert-Klingender-Haus in Hofgeismar
Das Archiv der EAG hat
seit Februar diesen Jahres
eigene Räume: Ein Magazinraum für die fertigen
Akten, ein Bearbeitungsraum für die Akten und ein
Leseraum. Sie liegen im ersten Stock des alten AlbertKlingender-Hauses
(im
alten Männerheim 2) im
ehemaligen Marstall, also
in dem Gebäude, in dem
die Altenpflegeschule heute
ihre Unterrichtsräume hat.
tun, deshalb steht diese Jahreszahl in runder Klammer. Im
Findbuch wird auch der Inhalt
der Akte grob beschrieben.
Sie wissen jetzt, wenn Sie sich
nicht gerade für die Beerdigung
von Pfarrer Weiß interessieren,
finden Sie dort nichts. Solche
Enttäuschungen sind normal,
wenn man mit Archivgut arbeitet. Sind Sie flexibel, würden
Sie sich jetzt einfach für Pfarrer
Möhl interessieren. Denn bereits an den Laufzeiten der beiden Möhl-Akten („1898-1928“
und „1927-1930“) erkennen
Sie, dass diese Akten etwas mehr
zu bieten haben.
Roland Müller
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
Arbeitsgeräte eines Archivars: Pinzetten, Pinsel und Gummihandschuhe gehören unbedingt dazu
31
Friedhof
Friedhof
Bezahlt hat die Anfertigung dieser Erinnerungskreuze die Verwaltung des Hessischen Siechenhauses unter Vorsitz von Pfarrer Fürer. In
seinem Auftrag kümmerte sich die Gärtnerei der
Einrichtung auch um die Pflege der zugehörigen
Gräber. Und das bei einem viel kleineren Haushaltsvolumen als heute! Die gesetzlichen Vorgaben
und die Anforderungen der Geldgeber waren damals längst nicht so eng und ließen eine derartige
Großzügigkeit noch zu. Die, die wegen Alter oder
Krankheit in den Heimen am Gesundbrunnen zusammen gewohnt hatten und dort auch gestorben
waren, sollten nach ihrem Tode nicht in Vergessenheit geraten!
Das Rätsel
der Sandsteinkreuze
Auf dem Friedhof Gesundbrunnen, im Bereich
der Rasengräber rechts von der Kapelle, steht seit
einigen Monaten ein besonderes Denkmal: Sieben Kreuze aus Sandstein, schulterhoch, zu einem
Halbkreis angeordnet, davor eine Bank. In die
Kreuze sind Namen eingemeißelt, viele Namen.
Manche kommen einem bekannt vor, andere sind
fremd. Einige sind auch schon ganz verwittert, so
dass man sie nicht mehr lesen kann. Außerdem
trägt jeder Stein oben eine Jahreszahl, die früheste „1951“ die letzte „1955“. Was bedeutet dieses
Denkmal? An wen erinnern die Namen?
Früher standen die Sandsteinkreuze an verschiedenen Stellen des Friedhofs. In den siebziger
Jahren wurden sie an der Stelle, wo sie sich jetzt
befinden, nebeneinandergelegt. Die Ruhefrist der
Verstorbenen, deren Namen aufgeführt sind, war
ja abgelaufen, der Platz wurde anderweitig gebraucht. Außerdem waren die Kreuze nicht mehr
standfest. Seit sie im Gras lagen, aber wuschen Regen und Schnee die eingemeißelten Namen und
Jahreszahlen aus. Gras und Zweige legten sich darauf. Die Steine fingen an zu bröckeln.
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Ihre Form gleicht anderen, die auf diesem
Friedhof anzutreffen sind: Flache Sandsteinkreuze,
die inneren Winkel leicht abgerundet. Aber während die anderen den Namen eines Pfarrers enthalten, der im Dienst einer kirchlichen Einrichtung am Gesundbrunnen stand, oder den eines
früheren Mitarbeiters der Evangelischen Altenhilfe, enthalten diese zwanzig und mehr Namen.
Gab es damals im jährlichen Abstand Epidemien,
die so viele Menschen hinrafften? Haben Unfälle
oder Naturkatastrophen zum Tod der Menschen
geführt? Sind hier vielleicht späte Kriegsopfer in
Massengräbern begraben?
Nichts dergleichen! Die aufgeführten Namen
beziehen sich auf Bewohner des Hessischen Siechenhauses, wie die Evangelische Altenhilfe damals hieß. Sie waren oft zu arm, um einen eigenen Grabstein zu bezahlen. Deshalb wurden die
mittellosen Heimbewohner, die im Laufe eines
Jahres gestorben und meist auch nebeneinander
beigesetzt waren, auf einem gemeinsamen großen
Grabkreuz erwähnt. Im nächsten Jahr gab es an
anderer Stelle dann ein neues Sandsteinkreuz.
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
Die im September vorgenommene Aufstellung
der alten Sandsteinkreuze und ihre Anordnung
zu einem gemeinsamen Denkmal knüpft an diese
Tradition an. Je zur Hälfte haben sich die Friedhofsverwaltung und die Evangelische Altenhilfe
die Kosten geteilt. Der Bereich, der für die pflegeleichten Rasengräber zur Verfügung steht, soll-
te durch einen geeigneten Blickpunkt aufgewertet werden. Die Altenhilfe konnte dafür auf ein
Spendenkonto zurückgreifen, das als „Inge-MellFonds“ besteht und mehr als genug Geld enthielt.
In diesem Fonds werden seit längerem Spenden
angesammelt, die für eine würdevolle Bestattung
auch völlig mittelloser Heimbewohner herangezogen werden können.
Mit seinem Namen erinnert der Fonds an eine
geistig behinderte Frau, die über fünfzehn Jahre
im Andreas-Möhl-Haus wohnte und in dieser Zeit
vielen noch schwächeren Heimbewohnern geholfen hat. Als sie starb, gab es keinerlei Ersparnisse,
noch konnten Angehörige für die Kosten eines
anständigen Begräbnisses eintreten. Eine spontane Spendenaktion unter Mitarbeitern und Bewohnern ermöglichte, dass sie ihrer christlichen
Einstellung entsprechend feierlich beerdigt wurde.
Friedemann Seiler, freier Autor, bis zum
Ruhestand Pfarrer im Heimbereich Hofgeismar
„Mit Fried und Freud ich fahr dahin“ – Protestantische Begräbniskultur
Ein Skelett mit Sense in der Linken
öffnet mit der anderen Hand einen
Vogelkäfig und der Vogel steigt aus
einer Waldrandidylle in den Himmel
auf. So zeigt es ein Gemälde auf der
kupfernen Gedenktafel der Johanna
Henriette Francke aus der Mitte des
18. Jahrhundert: Der Tod ist hier der
Befreier aus einem die Seele beengenden Leben.
Wie eine Ausstellung des Museums
für Sepulkralkultur in Kassel zeigte,
rückte die Reformation die Person
des Verstorbenen ins Zentrum einer
Beerdigung. Drängten sich zuvor die
Toten in größtmöglicher Nähe zu
den schützenden Heiligen in den Kirchen und um sie herum, so konnten
die Reformatoren ungerührt dem Rat
der Mediziner folgen, die angesichts
der Pest Friedhöfe außerhalb der Orte
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
empfahlen. Luther stellte sich einen
solchen Friedhof als einen „feinen,
stillen Ort“ vor, „wohin man mit Andacht gehen und stehen kann“. An
Epitaph vom Grab der Johanna
Henriette Francke (Halle, 18. Jh.)
den umgebebenden Wänden könne
man „andachterweckende Bilder und
Gemälde malen lassen“. Aus solchen
Friedhofsmauern wurden im Laufe der
Zeit Arkadenhallen und Grufthäuser
für die Reichen. Biblische Szenen und
Verse neben den Familiendarstellungen erinnerten noch pflichtschuldig
an Luthers Bildungsauftrag. Niederes
Volk wurde im Inneren der Friedhöfe meist ohne Grabzeichen begraben.
Särge waren der Ort für traumlosen
Schlaf, wer es konnte, ließ sie deshalb
bequem auskleiden.
Bis zum 4. September sind im Sepulkralmuseum derzeit unter dem
Titel „Schauspiel des Tatsächlichen“
Katastrophenfotos zu sehen, die der
mexikanische Fotograf Enrique Metindes für Zeitungen machte. Geöffnet:
Di-So 10-17 Uhr, Mi bis 20 Uhr.
33
Ausstellung
Freunde und Förderer
„Lebenslinien – Bilder des Alters“
Liebe Freunde
und Förderer,
mit dieser Ausgabe haben
wir die Seiten, auf denen wir
über die Aktivitäten des Freundes- und Fördererkreises informieren, neu gegliedert. In der
Rubrik „Freunde und Förderer“
berichten Menschen, warum
sie Mitglied im Freundes- und
Förderkreis sind und welche
Projekte ihnen besonders am
Herzen liegen. Auch über die
Mitgliederentwicklung informieren wir Sie, stellen Ihnen
neue Mitglieder vor.
„Gesundbrunnen“, denn diese
wird unseren Mitgliedern und
Spendern kostenfrei zugestellt.
Schirmherr oder
Schirmherrin gesucht
Für Ihre Unterstützung bedanke ich mich auch im Namen der Bewohner und Mitarbeiter, und freue mich über Ihr
Interesse an unserer Arbeit.
Neun neue Mitglieder haben sich
dem Freundes- und Förderkreis seit
Januar 2011 angeschlossen. Eine gute
Nachricht, denn wir brauchen Fördermitglieder, damit die hilfreichen
sozialen Angebote weitergeführt werden können.
Herzlichst
Ihr
Martin Bleckmann
Unter dem Motto „Nachgeschaut“ schreiben Spender
über bestimmte Förderprojekte, die sie unterstützt und vor
Ort selbst besucht haben. Darüber hinaus informieren wir
unter der Überschrift „Wir sagen DANKE“ auch weiterhin
über Projekte, die dank Ihrer
Unterstützung durchführt werden können.
„Lebenslinien – Bilder der Alltags“,
so heißt eine Ausstellung, die ab dem
18. Juni 2011 im Altenzentrum Hospital in Bad Hersfeld (Hospitalgasse
1 - 3) zu sehen ist. Es handelt sich dabei
um Portraits, die der aus Finnland
34
stammende Kasseler Fotograf Paavo
Blåfield für die Evangelische Altenhilfe Gesundbrunnen gemacht hat.
Sie entstanden im Evangelischen
Altenhilfezentrum in Ahnatal, im
Altenzentrum Hospital in Bad Hersfeld
und im Hospiz Kassel, alles Einrichtungen der Evangelischen Altenhilfe
Gesundbrunnen. Die Bilder sind im
neu gestalteten Foyer des Hauses zu
sehen. Heimleiter Ronald Loot und
sein Team freuen sich auf Besucher!
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
Dieser Zeitschrift haben
wir zu Teilen einen neuen Abschnitt im Mittelteil beigefügt. Wenn Sie ein besonderes Projekt fördern möchten,
einmalig oder regelmäßig, finden Sie dort einen geeigneten
Vordruck. Ebenso, wenn Sie
noch nicht Mitglied im Freundes- und Förderkreis sind, es
aber gern werden möchten. So
sichern Sie sich auch weiterhin den Bezug der Zeitschrift
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
Sie können konkret und spürbar helfen: Werden Sie „Schirmherr
oder Schirmherrin“ für ein besonders
Angebot. Spenden Sie für eine Therapieeinheit – vielleicht in der tiergestützten Therapie, mit einer direkten
Spende oder über den Mitgliedsbeitrag des Freundes- und Förderkreises.
Martin Bleckmann ist bei der
Ev. Altenhilfe Gesundbrunnen
zuständig für den Bereich
Spenden und Fundraising.
Er ist auch Vorsitzender der
Freundes- und Förderkreises.
Und das Besondere für Sie: Als
Fördermitglied senden wir Ihnen
zweimal im Jahr kostenfrei unsere
Zeitschrift Gesundbrunnen zu, und
laden Sie zu unserem jährlichen Dankeschön-Fest nach Hofgeismar ein.
Sie werden gebraucht und wir freuen
uns auf Sie - Werden Sie Schirmherr
oder Schirmherrin für die gute Sache,
nach dem Motto: „Helfen, wo Hilfe
gebraucht wird.“
35
Freunde und Förderer
Freunde und Förderer
„Die gehören dort eigentlich nicht
hin – aber mir gefällt das“
Christa Wegner hat über Jahrzehnte als Lehrerin
an der Altenpflegeschule in Hofgeismar gearbeitet und ist seit 26 Jahren Mitglied im Freundesund Förderkreis
dies klar und mit überzeugenden Worten: Das Wissen, wie
sehr Bewohnern und Mitarbeitern diese Hilfe zugute kommt.
Christa Wegner betrachtet die
Margeriten auf ihrem Rasen.
Zwei Inseln haben sich dort gebildet – haben sich selbst durch
Flugsamen ausgesät. „Die gehören dort eigentlich nicht hin“,
sagt sie. „Aber ich will auch
keinen Golfrasen haben – und
mir gefällt es.“ Während unseres Gesprächs denke ich immer
wieder: Ja, das ist eine Haltung,
die charakteristisch für sie ist:
Die Dinge in ihrer Gestalt annehmen und wertschätzen.
Seit über 26 Jahren gehört
Christa Wegner zum Kreis der
Freunde und Förderer der Evangelischen Altenhilfe. Was hat sie
damals veranlasst, dem Förderkreis beizutreten? Sie begründet
36
Sie weiß, wovon sie spricht.
Fast 20 Jahre – von 1978 bis
1997 – war sie Lehrerin für
Pflegeberufe an der Altenpflegeschule der Evangelischen Altenhilfe Gesundbrunnen. Sie weiß
um die oft hehren Beweggründe
der Menschen, die die Ausbildung zur Altenpflegefachkraft
wählen. Sie kennt die befriedigenden und auch die schweren
Momente, die in der anspruchsvollen Arbeit auftreten. Sie beobachtet die Entwicklungen in
der Altenpflege und sieht, dass
immer mehr Menschen an Demenz erkranken, und dass sie
mit besonderer Fürsorge und
speziellen Fachkenntnissen versorgt werden müssen.
Früher, als sie in der beruflichen Verantwortung stand,
wollte sie mit der Unterstützung des Freundes- und Förderkreises zeigen: Ja, ich setze mich
auch an dieser Stelle für unsere Arbeit ein. Heute ist es die
praktische Unterstützung für
Bewohner und Mitarbeiter, die
für sie im Vordergrund steht.
Sie weiß, dass es eine Vielzahl
von Angeboten gibt, die ohne
die Unterstützung der Freunde
und Förderer nicht finanzierbar
wären, gerade auch Projekte für
demenziell erkrankte Bewohner.
Darin sieht sie auch eine
besondere Form der Unterstützung für die Arbeit der Mitarbeiter. Die Projekte, die gefördert
werden und den Bewohnern zugute kommen, sind immer auch
Ausdruck von Wertschätzung
für die Mitarbeiter. Schließlich
sind sie oft aus Projektideen der
Mitarbeiter entstanden, sagt sie.
Besonders am Herzen liegen
ihr dabei die Gartenprojekte, ist
sie doch selber der Natur und
ihrem Garten verbunden. Wie
auch die Bewohner oft früher
eng mit der Gartenarbeit verbunden waren. So hat jedes Projekt seine eigene Bedeutung und
Wirkung. So wie die Margeriten
auf dem Rasen.
Martin Bleckmann
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
Die Liebe zur Musik und ein Vermächtnis
Duch Ihre Spenden ermöglicht:
Musiktherapie im Albert-Klingender-Haus
Ein Leben lang führte eine geübte Hand den Bogen über die
Geige – Johanna Wissmann war
examinierte Geigenlehrerin und
Berufsmusikerin. Ihr Beruf, ihre
Berufung war es, als die Liebe
zur Musik und zum Instrument
weiterzugeben. Auch im Ruhestand, später in ihrem Zimmer
im Albert-Klingender-Haus in
Hofgeismar, spielte sie oft auf
ihrem Instrument.
Sie lebte die Liebe zur klassischen Musik – auch als die
Kräfte spürbar nachließen. Bald
schon konnte sie die geliebte Violine nicht mehr spielen, so wurde aus der aufmerksamen Musikerin eine noch aufmerksamere
Zuhörerin. Jeder, der an ihrem
Wohnraum vorbeikam, konnte
klassische Musik von Beethoven,
Vivaldi und ihrem Lieblingskomponisten Wolfgang Amadeus Mozart vernehmen.
Neun Jahre, von August
2001 bis zu ihrem Tod im
Herbst 2010, lebte Johanna
Wissmann im Albert-Klingender-Haus. Ihre Kinder, ihre Familie und ihre Freunde griffen
die Liebe zur Musik auf: Anlässlich ihrer Beerdigung baten
sie um Spenden für die Evangelische Altenhilfe, Spenden für
musiktherapeutische Angebote.
Mit großem Erfolg: Über 1.000
Euro kamen zusammen.
Jetzt konnte Winfried Groh,
Pflegedienstleiter im AlbertKlingender-Haus, den Wunsch
der Verstorbenen und der Spen-
Der Geige galt Johanna Wissmanns Liebe
der umsetzen: Ab Juni 2011 gibt
es ein regelmäßiges musiktherapeutisches Angebot im AlbertKlingender-Haus. Und so wirkt
die Liebe zur Musik, in der und
mit der Johanna Wissmann gelebt hat weiter.
Dank gilt allen Spenderinnen und Spendern, die dies ermöglicht haben.
Ethik im Freundes-und Förderkreis – Wir haben ein besonderes Verhältnis
Als Vorstand der Freunde und Förderer ist es uns eine
Verpflichtung, das Geld, das Sie uns mit ihren Spenden anvertrauen, sorgsam und wirksam für die Bewohner einzusetzen. Die Grundsätze, nach denen wir dies tun, lassen
sich benennen. Wir fühlen uns einem christlichen Menschenbild verpflichtet, und darüber hinaus orientieren wir
uns an den ethischen Grundregeln für das Spendenwesen
des Deutschen Fundraising Verbandes, dem ich als Mitglied
angehöre. Dieser hat 19 Grundregeln formuliert (vgl. www.
fundraising.de), von denen ich drei benennen möchte:
1. Transparenz: Wir treten als Vorstand dafür ein, dass
unser Wirken jederzeit für Sie transparent ist und sind
jederzeit zur Rechenschaft über unser Tun als Vorstand
der Freunde und Förderer bereit.
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
2. Datenschutz: Wir geben uns anvertraute Informationen oder Daten ohne Einverständnis der Betroffenen
nicht an Dritte weiter.
3. Verwendung der Mittel: Wir setzen uns für die ordnungsgemäße, effiziente und effektive Verwendung der
eingeworbenen Spendenmittel ein.
Ja, wir haben ein besonderes Verhältnis: Durch ihre Spenden sind wir in der Lage, für die Bewohner der Ev. Altenhilfe Gutes zu tun. Dies ist uns eine Verpflichtung. Ihnen,
den Bewohnern und Mitarbeitern gegenüber.
Matrin Bleckmann,
1. Vorsitzender
37
Freunde und Förderer
Freunde und Förderer
Kalte Schnauze und Petticoats
Ein Abend der besonderen Art war das Jahrestreffen der Freunde und Förderer im Februar
Mit Schaschlik, Hawaii-Toast
und Buttercremetorte nahm
der kulinarische Rahmen des
Jahrestreffens der Freunde und
Förderer der Ev. Altenhilfe Gesundbrunnen im Februar diesen
Jahres eine entscheidende Rolle
ein: Chefkoch Reiner Schweißhelm und sein Team sorgten für
Original-Fünfziger-Jahre-Flair
auf dem Teller. Ganz nach dem
Motto der Dankeschön-Veranstaltung „Pack die Badehose
ein“ war aber auch für optische
und akkustische Abwechslung
gesorgt.
Susanne Baake, verantwortlich für die Festhalle, verzauberte mit einer bunten 50er JahreDekoration den Saal: Da lag der
Rührfix neben einem Filmplakat
Der burts
Ein Mensch kriegt eine schöne Torte.
Drauf stehn in Zuckerguß die Worte:
„Zum heutigen Geburtstag Glück!“
Der Mensch ißt selber nicht ein Stück,
Doch muss er in gewaltigen Keilen
Das Wunderwerk ringsum verteilen.
Das „Glück“, das „heu“, der „Tag“
verschwindet,
Und als er nachts die Torte findet,
Da ist der Text nur mehr ganz kurz.
Er lautet nämlich nur noch: .. „burts“..
Der Mensch, zur Freude jäh entschlossen,
Hat diesen Rest vergnügt genossen.
Eugen Roth
38
Wir sagen Danke
Für die Gesundheit
in die Pedale treten
Was in Steinbach-Hallenberg seit sechs
Monaten regelmäßig „getreten“ wird, ist
ein Trainingsgerät namens MOTOmed:
Es dient dazu, spielerisch die Beweglichkeit aufrechtzuerhalten oder zu verbessern.
Herz, Kreislauf und Stoffwechsel werden
angeregt und trainiert. Nach eigenem Fahrplan können die Bewohner sich – auch aus
dem Rollstuhl heraus – an das Gerät setzen
und in die Pedale treten. Ob mit leichter
Unterstützung durch einen Motor oder
nur mit Muskelkraft. So kann die Muskelkraft selbstbestimmt trainiert werden.
Welf Kerner (am Flügel) und Martin Bleckmann sangen Evergreens
mit Peter Alexander oder Peter
Kraus, im Ausschank gab es Eierlikör und Kröver Nacktarsch.
Freiwillige und fleißige Hände
sorgten aufmerksam und mit
Übersicht dafür, dass auf den
Tischen rechtzeitig auf- und abgedeckt wurde und hinter den
Kulissen alles planmäßig lief.
Zu ihnen gehörten auch die
Assistentinnen der Geschäftsleitung Annette Humburg und
Bianca Hense, die in stilechten
Kostümen für ein Glanzlicht
des Abends sorgten: In einem
kleinen Sketch führten sie vor,
was passiert, wenn Welten aufeinanderprallen. Als Mütter
verglichen sie Kindheit in den
Fünfzigern und heute geht: Sozusagen Lederhose und „HinkeKästchen“ gegen Tennisstunde
und Computerspiele.
Moderiert von Christiane
Gahr, ebenfalls stilecht in Petticoat und Häkeljäckchen, sorgte
Welf Kerner für die musikalische
Zeitreise: Am Flügel spielte und
sang er Evergreens von Lolita bis
Ivo Robic, zeitweise unterstützt
von Martin Bleckmann, der mit
„Man müsste nochmal Zwanzig
sein“ oder „Man müsste Klavier
spielen können“ die Vortragskunst der Fünfziger wieder aufleben ließ.
Gedichte und Geschichten
von Heinz Erhard und Eugen
Roth lockerten Zwerchfell und
Stimmung, und spätestens als
zum Ausklang des Abends spontan Besucherin Ilse Hancken auf
die Bühne kam und den „burts“
von Eugen Roth vortrug, war
klar: Engagement und Freude
an der Sache stecken an.
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
Training mit dem MOTOmed
Heimleiterin Petra Unkart beobachtet,
dass sich oft kleine Gruppen zusammenfinden, um unter Anleitung gemeinsam zu
trainieren. Wie nach einer Trainingsfahrt
wird über die Vorzüge des Geräts gefachsimpelt – und auch, wie viele Kilometer
zurückgelegt wurden. Damit wird das Trainingsgerät zum Treffpunkt. Das MOTOmed ist fester Bestandteil der Prophylaxe
und Therapie im Haus geworden. Vielleicht kann man in Zukunft in SteinbachHallenberg mit dem Einsatz am Gerät auch
Energie gewinnen, scherzt Petra Unkart.
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
Nachgeschaut – ein Förderer besucht die
Maltherapie in der Tagespflege Hofgeismar
„Eine Zufriedenheit mit sich
selbst!“
Herman Josef Rapp war bis zu seiner Pensionierung stellvertretender Leiter des Forstamts Reinhardshagen. Im September 2010 übernahm er
im Rahmen des Jahresfestes eine Versteigerung zugunsten des Brunnentempelchens.
Versteigert wurden damals Bilder, die die
Kunsttherapeutin Doris Haas mit Gästen
der Tagespflege am Gesundbrunnen gemalt
hatte. Jetzt besuchte Rapp die Gruppe.
Martin Bleckmann sprach mit ihm darüber. Zu Besuch bei der Maltherapie
Herr Rapp, Sie haben heute haben in der Tagespflege
Hofgeismar „nachgeschaut“ und sich über das Projekt
„Maltherapie“ selbst ein Bild gemacht. Was können Sie
berichten?
Rapp: Letztes Jahr war ich dabei, als das Malprojekt im
Entstehen war. Ich war damals sehr angetan davon, was alles
gemacht wurde für die Teilnehmer. Mir ist aber auch wichtig,
dass die Dinge weitergeführt werden, dass sie nachhaltig sind,
wie man heute sagt. Und das ist in diesem Fall so, dieses Projekt
läuft gut. Diese Verlässlichkeit für alle Teilnehmer finde ich besonders wichtig.
Wie haben Sie die Situation erlebt? Was hat Sie beeindruckt?
Rapp: Die Professionalität, mit der es die Leiterin der Maltherapie es versteht, die Einzelnen zu motivieren. Und die Ergebnisse können sich wirklich sehen lassen. Beeindruckend
auch, wie Frau Ganter-Shaw, die Leiterin der Tagespflege, das
Projekt unterstützt und dafür Werbung macht. Das Engagement spürt man auch durchweg im Kreis. Die Atmosphäre ist
besonders.
Wenn ich Besuchergruppen durch den Reinhardswald führe,
die mit Fotoapparat, Zeichenblock oder Malkasten in der Natur
Motive suchen und ganz versunken und vertieft den Augenblick
festhalten wollen, dann spüre ich so etwas wie Zufriedenheit bei
dem einzelnen, da werden die Sinne angesprochen. So eine ruhige Zufriedenheit mit sich selbst habe ich auch in dieser Malgemeinschaft gespürt. Da sind die Spendengelder gezielt und
gut eingesetzt.
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Freunde und Förderer
Neuer Spender – Hofgeismars Chefkoch
wurde Mitglied im Freundes- und Förderkreis
„Es hat gar nicht weh getan…“
Gesundheit
Freunde und Förderer ermöglichten Bewohner-Wunsch
Ein Opernbesuch!
Reiner Schweißhelm ist Leiter der Zentralküche der Ev. Altenhilfe Gesundbrunnen in Hofgeismar. Martin Bleckmann
spach mit dem neuen Freundes-und Förderkreis-Mitglied.
Herr Schweißhelm, was hat Sie bewogen, Fördermitglied zu werden?
Schweißhelm: Kann ich gar nicht so
genau sagen, warum ich jetzt beigetreten bin, oder erst jetzt.
Ich sehe ja, wenn ich in den Wohnbereichen unterwegs bin,
was dort alles gemacht wird – zum Beispiel die Angebote mit
den Hunden, das kommt einfach gut an. Eigentlich hatte ich es
schon länger vor, aber man denkt dann auch nicht mehr daran.
Und das Ausfüllen der Eintrittserklärung hat gar nicht weh getan. Im Gegenteil: Ich freue mich, dabei zu sein. Für mich ist
dies auch ein Zeichen, das ich setzen will.
Ein Zeichen wofür?
Schweißhelm: Für die Bewohner, für die Projekte. Nennen
Sie es für die gute Sache. Eigentlich für alle, die mich kennen.
Es ist auch ein Zeichen für die Kollegen, die sich mit den Projekten für die Bewohner einsetzen. Auch ein Zeichen in meinem
privaten Umfeld, dass ich – und wir als Küchenteam – unsere
Arbeit gern machen und viel erreicht haben. Auf diesem Weg
will ich helfen.
Gibt es Projekte, die Sie besonders fördern möchten?
Schweißhelm: Den Einsatz der Tiere, also die tiergestützte
Therapie, habe ich schon erwähnt. Ja, dann auch die Urlaube
mit den Bewohnern, die unterstützt werden. Das ist nur möglich mit viel ehrenamtlichem Einsatz und mit Unterstützung
der Freunde und Förderer.
Nach diesem Interview verabschiedete er sich in den Urlaub – ein
besonderer Urlaub: Wie schon im vergangenen Jahr begleitet er eine
Gruppe von Bewohnern, die an der Küste Ferien machen. Er kocht
mit und für die Gruppe und hilft, wo „Not am Mann“ ist – ehrenamtlich und als Privatperson.
40
Einen würdevollen Weg finden
Der Wille des Kranken ist maßgebend für
den Beginn, die Weiterführung oder auch
den Abbruch medizinischer Maßnahmen
Liebe Leser,
Gertrud Iwersen ist seit frühster
Jugend Opern-Liebhaberin
Verdis „Otello“ stand auf dem Spielplan,
als Mitte April neun Bewohnerinnen und
Bewohner der Evangelischen Altenhilfe
und sechs Betreuende die Vorstellung des
Kasseler Staatstheaters besuchten. Festlich
gekleidet und voll freudiger Erwartung traf
man sich zur Fahrt nach Kassel am Café
Gesundbrunnen.
Die tragische Handlung der Oper, basierend auf Shakespeares gleichnamigem
Werk, und die dazugehörige dramatische
Musik Verdis, die oft mit der Kompositionskunst Wagners verglichen worden ist,
schlugen uns in Bann. Die eingeblendete
deutsche Übersetzung der gesungenen Texte sorgte dafür, dass die Handlung auch im
Detail nachvollziehbar war. In der Pause
konnten wir uns stärken und auf dem Vorplatz zum Opernhaus den wunderschönen
Frühlingsabend genießen. Auf dem Weg
nach Hause hörten wir innerlich noch immer die Klänge von Verdis Musik.
Pfrin. Anne Hammann
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
die moderne Medizin hilft,
Krankheiten zu heilen oder,
wenn dies nicht möglich ist, zumindest ihre belastenden Auswirkungen erträglich zu halten.
Höhere Lebenserwartung und
bessere Lebensqualität sind das
Resultat der Heilkunst, die sich
in den Dienst des Lebens stellt.
Ihre Ausübung ist an strenge
rechtliche Regeln gebunden,
die allerdings den Rahmen nur
grob im Sinne von Ge- und Verboten setzen. Feinere Überlegungen darüber, was getan oder
unterlassen werden sollte, sind
Gegenstand der Ethik, also des
Teilgebiets der Philosophie, welches sich mit den „guten Sitten“
beschäftigt.
Die „Bioethik“ und speziell
die „Medizinethik“ behandeln
unter anderem Fragen am Beginn und Ende des Lebens. Zentrale Werte wie der des Lebens
bzw. der Gesundheit spielen dabei eine wichtige Rolle. Andererseits warnt der frühere Limburger Bischof Franz Kamphaus
vor der Wertediskussion, da sie
im Zusammenhang mit dem
Leben die Möglichkeit des Minder- oder Unwerts einschließt.
Der Mensch habe nicht „Wert“,
sondern „Würde“. Die Würde
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
ist nicht teil- oder quantifizierbar, sondern nach dem Grundgesetz „unantastbar“, mit dem
Leben bedingungslos verbunden. Da das Alter zum Leben
dazugehört, ist ihm die gleiche
unabänderliche Würde eigen
wie anderen Lebensabschnitten
einschließlich dem werdenden
Leben.
Angesichts rascher wissenschaftlicher Fortschritte sind die
Grenzen zwischen rechtlichen
und ethischen Fragen fließend.
Der Schutz des Lebens hat dabei höchste Priorität, gefolgt
vom Recht zur Selbstbestimmung des Individuums bzw. seines rechtlichen Vertreters über
medizinische Maßnahmen. In
(Vorsorge-)Vollmachten
und
(Patienten-) Verfügungen wird
das
Selbstbestimmungsrecht
auch dort wirksam, wo die ausdrückliche Zustimmung des
Betroffenen nicht möglich ist.
Eine Patientenverfügung hilft
dem behandelnden Arzt im
Gespräch mit Angehörigen,
den mutmaßlichen Willen des
Kranken oder Sterbenden zu
ermitteln. Der Wille des Kranken ist maßgebend für den Beginn, die Weiterführung oder
auch den Abbruch medizinischer Maßnahmen. Ärztliche
Prof. Dr. Werner Vogel
ist ärztlicher Direktor
des Evangelischen
Krankenhauses Gesundbrunnen in Hofgeismar
Hilfe kann durchaus im Sinne
des Patienten darin bestehen,
dass man eben nicht alles medizinisch Machbare durchführt,
sondern den natürlichen Verlauf
der Krankheit oder des Sterbeprozesses zulässt. Diese Frage ist
heute bei den vielen Möglichkeiten der apparativen Medizin
nicht immer leicht zu beantworten.
Eine umfassend aufklärendes
Gespräch über Nutzen und Risiken, also das Für und Wider von
medizinischen
Maßnahmen,
hilft Kranken und Angehörigen dabei, einen vernünftigen,
würdevollen Weg zu finden, der
als heilsam erlebt werden kann,
auch wenn Heilung nicht mehr
möglich ist.
Vor der Intensivmedizin
braucht man keine Angst zu
haben, denn sie kann auch für
sehr alte Menschen ein Segen
sein. Sie aber um jeden Preis
einzusetzen, nur um Leben
zu verlängern, ist ethisch und
rechtlich angreifbar. Leben zu
bewahren kann auch bedeuten,
dem Abschiednehmen Raum zu
gewähren, wenn die Zeit dazu
gekommen ist.
Herzlich,
Ihr Prof. Dr. Werner Vogel
41
Satire
EAG im Überblick
Die Evangelische Altenhilfe Gesundbrunnen widmet sich
der Pflege und Rehabilitation alter Menschen. Sie betreibt
24 Altenheime in Hessen und Thüringen, sechs davon am
Stammsitz in Hofgeismar. An mehreren Standorten unterhält sie ambulante Dienste, Einrichtungen des betreuten
Wohnens und Tagespflegen. Zum Angebot gehören auch
zwei Hospize, ein geriatrisches Krankenhaus und ein Diakonisches Aus- und Fortbildungszentrum mit eigener Altenpflegeschule. Weitere Infos unter www.gesundbrunnen.org
Die Giftstoffe aus dem
Körper schwemmen
Jetzt sagen sie ja, man muss was tun. Das ist
auch keine Frage, dass heutzutage niemand mehr
im Café rumsitzen darf, obwohl es jetzt so viele
davon gibt, die auch wirklich nett sind und wo
man viele junge Leute sieht mit sehr interessanten Kleidern. Aber als älterer Mensch darf man
die nicht betreten, weil dann alle denken, man
sitzt bloß rum und behält womöglich seinen Hut
auf und isst riesige Sahnetorten und man belastet
die Krankenkassen und wird bald pflegebedürftig
vom Rumsitzen im Café, anstatt sich zu bewegen
und Power und Energie anzusparen, die einem
helfen, mit geschmierten Gelenken durchs Leben
zu kommen, wenn man mal nicht mehr kann.
„Geschmierte Gelenke“. Das stand neulich in
meiner Tageszeitung und das war mir, ehrlich gesagt, ein bißchen eklig. Aber man soll keine Hemmungen haben, schrieben sie da. Auch wenn man
nicht mehr die Jüngste ist, ist es nie zu spät, den
„Bandscheiben Nahrung zu geben“ und die „Giftstoffe aus dem Körper zu schwemmen“. Sie machen es einem ja nicht leicht, das muß ich sagen,
das klingt alles sehr unangenehm. Ich habe auch
nicht richtig verstanden, womit ich nun meine
Bandscheiben ernähre, damit sie das Gift aus mir
raus schwemmen. Aber jedenfalls haben sie sehr
eindringlich beschrieben, dass man massenhaft
Kalorien verbrennt und das Fett sofort verschwindet und die Muskeln wieder wachsen und viele
Sauerstoffe transportiert werden, wenn man sich
bewegt und dass man sofort anfangen soll und
sich nicht genieren soll, weil man sonst den Herzmuskel erschlaffen lässt und vorzeitig altert.
42
Ahnatal: Ev. Altenhilfezentrum Ahnatal,
Casselbreite 5, 34929 Ahnatal, 05609 80360
Ich weiß immer nicht, wann man eigentlich
nun altern soll. Immer sagen sie einem, alles, was
schmeckt und unterhaltsam ist, läßt einen vorzeitig altern. Aber keiner sagt, wann eigentlich mal
richtige Zeit ist, um alt zu werden, denn jetzt ist
es ja mit dem Spaziergang zu dem Teich mit den
Enten nicht hat mehr getan, sondern man soll ins
Fitnessstudio gehen, damit man sich gleich richtig
bewegt und nicht die Power irgendwo hinlenkt,
wo sie nichts zu suchen hat und dann womöglich
einen Körperteil ernährt, der gar nicht gemeint ist.
Ich sehe das alles ein und dass man nicht mehr
ins Café geht oder vor dem Fernseher hockt, dass
weiß nun heutzutage jede Rentnerin und keine
gibt zu, dass sie überhaupt jemals irgendwo sitzt,
sondern alle bewegen sich ununterbrochen - aber
Fitnessstudio? „Muckibude“ sagt mein Großneffe
dazu. Ich dachte immer, das ist was für Bodybuilder und das ist doch eher unpassend in unserem
Alter, sich so ausgezogen zu zeigen und sich die
Muskeln so einzuölen. Aber vielleicht haben die
das gemeint, als sie von den „geschmierten Gelenken“ geschrieben haben?
Ulla Lessmann ist freie Journalistin,
Moderatorin und Schriftstellerin. Sie
veröffentlicht Krimis und Satiren.
Als Journalistin und Moderatorin arbeitet sie für die Sendung
„In unserem Alter“ im WDR4,
die sich an ein älteres Zielpublikum richtet.
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
Bad Hersfeld: Altenzentrum „Hospital“,
Hospitalgasse 1-3, 36251 Bad Hersfeld, 06621 50460
Kirchhain: Ev. Altenhilfezentrum „Haus Elisabeth“,
Mozartstr. 9, 35274 Kirchhain, 06422 938030
Bad Wildungen: Ev. Altenhilfezentrum
„Haus Victorquelle“, Feldmannstraße 1,
34537 Bad Wildungen, 05621 78750
Korbach: Ev. Altenhilfezentrum Korbach,
Enserstr. 27, 34497 Korbach, 05631 97590
Birstein: Ev. Altenhilfezentrum Birstein,
Rosengarten 2, 63633 Birstein, 06054 421
Breitungen: Ev. Altenhilfezentrum
„Haus Werragarten“, Frauenbreitunger Weg,
98597 Breitungen, 036848/40590
Fulda: Ev. Alten- und Pflegeheim „Haus Emmaus“,
Gerloser Weg 11, 36039 Fulda, 0661 902110
Herleshausen: Ev. Alten- und Pflegeheim
„Haus St. Elisabeth“, Schulstr. 22, 37293 Herleshausen,
05654 92310
Hofgeismar: • Ev. Altenhilfe Gesundbrunnen,
Brunnenstraße 27, 34369 Hofgeismar, 05671 882 193
• Ev. Krankenhaus Gesundbrunnen,
Am Krähenberg 1, 34369 Hofgeismar, 05671 50720
• Diakonisches Aus- und Fortbildungszentrum für
Altenarbeit, Gesundbrunnen 12, 34369 Hofgeismar,
05671 882 650
• Ev. Altenpflegeschule am Gesundbrunnen,
Gesundbrunnen 12a, 34369 Hofgeismar, 05671 882610
Kassel: Ev. Altenhilfezentrum „Am Stiftsheim“,
Ahrensbergstr. 21, 34131 Kassel, 0561 93290
• Hospiz Kassel, Konrad-Adenauer-Str. 1, 34131 Kassel
0561 3169765
GESUNDBRUNNEN 1 | 11
Landau-Bad Arolsen: „Wohnen und Pflege am Park“,
Pflege- und Seminarhotel, Schloss Landau,
34454 Landau-Bad Arolsen, 05696 97990
Lippoldsberg: Ev. Altenhilfezentrum Lippoldsberg,
Brauhausstr. 5, 37194 Lippoldsberg, 05572 948620
Ludwigsau-Reilos: Ev. Altenhilfezentrum Ludwigsau-Reilos, Brückenstr. 1, 36251 Ludwigsau-Reilos, 06621 92590
Marburg: Ev. Altenpflegeheim „Elisabethenhof“,
Am Rotenberg 60, 35037 Marburg, 06421 93500
• St. Elisabeth-Hospiz Marburg, Am Rotenberg 60,
35037 Marburg, 06421 935040
Philippsthal: Ev. Altenhilfezentrum
„Haus Kreuzberg“, Im Küchengarten 1,
36269 Philippsthal, 06620 92000
Steinbach-Hallenberg: Ev. Altenhilfezentrum
Steinbach-Hallenberg, Brunnenstr. 2,
98587 Steinbach-Hallenberg, 036837 47411
Witzenhausen: Ev. Altenhilfezentrum „Haus Salem“,
Am Johannisberg 4, 37213 Witzenhausen,
05542 5036300
Zierenberg: Ev. Alten- und Pflegeheim Zierenberg,
Falkenweg 11, 34289 Zierenberg, 05606 51850
43
ev. Altenhilfe gesundbrunnen
geMeinnützige
gMbh hofgeisMAr
Die Evangelische Altenhilfe Gesundbrunnen
betreibt 24 Alten- und Pflegeheime bzw.
Altenhilfezentren, ein geriatrisches Krankenhaus, ein Aus- und Fortbildungszentrum, zwei
Hospize und einige ambulante Pflegedienste.
Ausführliche Informationen zu den einzelnen Einrichtungen
finden Sie im Heft oder unter www.gesundbrunnen.org
Menschlichkeit Pflegen
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