Sommer 2011 / 31. Jahrgang GESUNDBRUNNEN Thema Ist das richtig, was wir tun? – Ethik in der Altenpflege | Ethiker Albert Schweitzer Brummig – aber mit gutem Herzen | Archiv Feinde und Freunde alter Papiere | Palliative Pflegekultur Neues Konzept entwickelt 1/2011 MAGAZIN DER EVANGELISCHEN ALTENHILFE GESUNDBRUNNEN GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Inhalt Editorial Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freunde und Förderer, Besinnung Archiv 4 Führst du uns durch raue Wege, gib uns auch die nöt‘ge Pflege 30 Von Feinden und Freunden alter Papiere Ethik in der Altenpflege Friedhof 6 11 16 19 22 24 „Ich schaff das nicht mehr, die Oma muss ins Heim“ Zeit für Ethik Albert Schweitzer Ist das richtig, was wir tun? Ethische Fallbesprechungen Auf dem Weg zu einer palliativen Pflegekultur Sterbende sind Lebende – Haus Salem in Witzenhausen 32 33 Das Rätsel der Sandsteinkreuze Protestantische Begräbniskultur Freunde & Förderer 36 37 38 39 40 Mitglied Christa Wegner Die Liebe zur Musik Kalte Schnauze und Petticoats Wir sagen Danke Nachgeschaut Personen Gesundheit 41 Einen würdevollen Weg finden Satire 42 Die Giftstoffe aus dem Körper schwemmen 26 29 34 Waltraud Lange: „Ich habe enormen Respekt vor alten Menschen“ Lea Müller: „Ein Jahr für mich und für andere“ Lebenslinien – Bilder des Alters Impressum Herausgeber: Evangelische Altenhilfe Gesundbrunnen e.V., Brunnenstr. 23, 34369 Hofgeismar Tel. (0 56 71 )88 20, Fax (0 56 71) 882 211, [email protected], www.gesundbrunnen.org Konto 0208000, Evangelische Kreditgenossenschaft eG, BLZ 520 604 10 ViSdP: Barbara Heller, Leitende Pfarrerin, Redaktion: Christiane Gahr | Fotos: EAG, Paavo Blåfield, Fotolia, epd-bild Schlussredaktion/Layout: Lothar Simmank, www.redbuero.de | Druck: Repro + Druck Boxan, Kassel 2 GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Christiane Gahr ist Öffentlichkeitsreferentin der Evangelischen Altenhilfe Gesundbrunnen Ist das richtig, was wir tun? Das ist der Titel einer der Artikel in diesem Gesundbrunnen-Heft, und Leitthema dieser Ausgabe. Eine Frage, die wir uns häufig stellen – im Beruflichen und im Privaten. Für den Bereich der Altenpflege wollen wir in dieser Ausgabe diskutieren, was für Themen, Situationen und Entscheidungsgrundlagen es gibt: Dr. Ursula Weidenfeld berichtet über die Sorgen und Ängste, die Menschen bewegen, wenn sie einen pflegebedürftigen Angehörigen in professionelle Hände geben. Sie unterhält eine Internet-Seite www.das-tut-man-nicht.de, auf der sich Angehörige und Profis austauschen. Barbara Heller beschäftigt sich mit der Ethik als Kriterium für den Umgang mit der Problematik. Aus der Praxis berichten Dr. Christiane Deuse, die die Pflegeoase in Witzenhausen besucht hat, einen speziellen Wohnbereich für schwerstpflegebedürftige Menschen mit Demenz. Karl-Heinz Risto entwickelte für die Evangelische Altenhilfe ein Modell zur strukturierten Lösung von Konfliktsituationen in Altenpflegeeinrichtungen. Er stellt es in diesem Heft vor. Aus der Praxis berichtet auch Martin Bleckmann – allerdings mit einem ganz anderen Blickwinkel: Was mit der Hilfe und der finanziellen Unterstützung durch Ihre Spenden in unseren Einrichtungen geschieht, lesen Sie am Ende des Heftes. Hat sich Ihre Adresse geändert? Haben Sie Anmerkungen zum Versand des Heftes? Möchten Sie den „Gesundbrunnen“ nicht mehr bekommen? Dann melden Sie sich bei uns: Ev. Altenhilfe Gesundbrunnen, Telefonzentrale, Brunnenstr. 23, 34369 Hofgeismar, Tel. (0 56 71) 882-0, E-Mail: telefonzentrale@ gesundbrunnen.org Ich wünsche Ihnen eine anregende und unterhaltsame Lektüre! Über Rückmeldungen und Ideen von Ihnen würde ich mich freuen! Mit freundlichen Grüßen Ihre Christiane Gahr Unser Titelbild zeigt Natalie Borberg aus Bad Herfeld GESUNDBRUNNEN 1 | 11 3 thema Besinnung Besinnung „Jesu geh voran, auf der Lebensbahn“ heißt das Gesangbuchlied 391 von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-1760) Führst du uns durch raue Wege, gib uns auch die nöt‘ge Pflege Viele empfinden die Wege als rau, die sie in Wie sieht die nötige Pflege aus? die Altenpflege führen. Das gilt zunächst für die Eine Antwort lässt sich in der Geschichte vom Menschen, die sich entscheiden, in ein Heim zu barmherzigen Samariter finden (LK 10,30-37). ziehen. Für jede Familie und jeSie beginnt mit einem gefährlichen, den Einzelnen ist es ein rauer Weg, sehr rauen Weg, führt durch große der vom Leben in den eigenen vier Not und endet mit guter Pflege. Wänden in eines unserer Häuser Gerade in letzter Zeit wird sogar öfführt, weil mehr Hilfe und Pflege fentlich darum gestritten, wo denn gebraucht wird, als zu Hause zu die barmherzigen Samariter geblieleisten ist. Das ist kein besonderes ben sind. Und die Diakonie wird Kennzeichen dieser Zeit, sondern hinterfragt, ob sie denn noch das gehört einfach zum Alter dazu. Das tut, was ihr aufgetragen ist. Altwerden selbst ist oft ein rauer Ist die Diakonie heute eher der Weg, und es wäre nicht ehrlich, das Wirt, der gegen Bezahlung die Pflezu leugnen. ge übernimmt als der barmherzige Und dann sind da die vielen Samariter? Und müsste sie nicht Menschen, die in Alten- und Pfleviel mehr der Samariter sein, der Barbara Heller geheimen arbeiten, in der Pflege, in die Armen und Hilfsbedürftigen ist Leitende Pfarrerin der Hauswirtschaft, in der Verwal- der Evangelischen Alten- auf der Straße sucht und findet und tung, in der handwerklichen und die Pflege dann anderen überlässt? hilfe Gesundbrunnen technischen Betreuung der Häuser. So wird gefragt. Und nicht zu vergessen, die, die ehNatürlich ist die Diakonie der renamtlich eine Aufgabe übernommen haben. Sie Wirt, der gegen Bezahlung pflegt. Sie braucht alle – und sogar die Pfarrer, die in diesen Häusern die Beiträge der Pflegeversicherung und auch den Dienst tun – beklagen die rauen Wege. Dass der Eigenbeitrag der Bewohner und ihrer Familien, wirtschaftliche Druck immer stärker wird, dass die um das zu leisten, was eine gute Pflege erfordert. Zeit immer knapper zu werden scheint, die man Und der barmherzige Samariter ist die Diakonie gern für andere einsetzen würde. Dass die Sorge auch, der die Not sieht und tut, was notwendig ist. wächst, wie das geschafft werden kann, was eigent- Wenn sie neue Heimplätze schafft und wenn sie lich gut und notwendig wäre. Und so kommt die- die Pflege weiterentwickelt, damit sie den wachser Wunsch wirklich aus tiefem Herzen: „Führst senden Anforderungen gerecht wird. Und zuweidu uns durch raue Wege, gib uns auch die nöt‘ge len findet sich die Diakonie auch in der Rolle des Pflege.“ armen Wanderers wieder, der unter die Räuber 4 GESUNDBRUNNEN 1 | 10 „Befiehl dem Herrn deine Wege! gefallen istist und geschlagen und verletzt auf Hilfe dafür,unser dass der Wirt ihn weiter pflegt, als er am Das die Aufforderung, Leben hofft. Wenn Pflegesätze nicht erhöht werden, wo nächsten Tag weiterzieht. Er hat alles getan, was es notwendig wäre. Dann, wenn zum Beispiel die in seiner Macht stand. Und dann übernimmt der in Gottes Hände zu geben.“ gesamte Altenpflege immer wieder öffentlich ver- Wirt seinen Teil. Er trägt die Verantwortung und leumdet und beschuldigt wird. Das sind die Schläge, die alle Altenpfleger treffen. Jesus hat Geschichten erzählt vom wirklichen Leben und von wirklichen Menschen. Und so können wir davon ausgehen, dass wir uns in ihnen wiederfinden. Und dass wir uns wiedererkennen in den Menschen, die er beschreibt: in den Rettern und Helfern, in den Opfern und, wenn wir ehrlich sind, dann manchmal auch in den gleichgültigen Zuschauern oder sogar in den Tcitern. Jesus erzählt, damit wir aus seinen Gleichnissen lernen. Lassen Sie uns also anschauen, was geschieht. Ein Mensch liegt halb tot am Straßenrand, ausgeplündert und verletzt. Er kann sich nicht selbst helfen. Zwei Wanderer kommen vorbei, nacheinander. Angesehene Bürger, von denen man annehmen könnte, sie seien fromm, anständig und hilfsbereit. Sie sehen den Verletzten – und gehen vorüber. Sie tun so, als hätten sie nichts gesehen. Oder als hätte das keine Bedeutung, was sie gesehen haben. Dass da einer in Not ist und dringend Hilfe braucht. Oder als könnte man da nichts machen: „Es ist schrecklich, wenn es jemandem so schlecht geht, aber man kann daran eben nichts ändern.“ Oder als könnten sie leider nichts tun, da müsste schon jemand anderes kommen, mit anderen und besseren Möglichkeiten, als man sie selbst hat. Alle diese Überlegungen sind mir wohlvertraut. Und dann kommt der Samariter. Er sieht. Und für ihn hat es eine Bedeutung, was er sieht. Er hat Mitleid. Es jammert ihn, heißt es. Und er ist davon überzeugt, dass man etwas tun kann. Dass er etwas tun kann. Und so handelt er. Er versorgt die Wunden und verbindet sie. Er hebt den Verletzten auf sein Tier und bringt ihn in eine Herberge und versorgt ihn auch da. Und er sorgt GESUNDBRUNNEN 1 | 11 weiß, dass der Samariter ihn fragen wird nach dem Verletzten, wenn er wieder vorbeikommt. Beide werden gebraucht in dieser Geschichte, damit dem Mann geholfen wird. Der Samariter kann ihn beruhigt abgeben. Und der Wirt bekommt ausreichend Geld für die Pflege. Hinzusehen und ernst zu nehmen, was wir sehen. Das gilt für einen Menschen, der erkennt, dass er Unterstützung und professionelle Pflege braucht, und für seine Angehörigen und Nachbarn. Es ist unverschämt, Angehörigen vorzuwerfen, sie würden jemanden abschieben ins Heim. Die meisten Menschen in Deutschland werden zuhause gepflegt. Es ist im Gegenteil verantwortlich und braucht oft viel Mut aller Beteiligten, zu entscheiden, dass die Übersiedlung ein notwendiger Schritt ist. Hinsehen und ernst nehmen, was wir sehen. Das gilt für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie sollen hinsehen - und sie sollen angesehen werden. Die rauen Zeiten und die rauen Wege gehen an den Mitarbeitern nicht spurlos vorüber. Es ist notwendig, noch einmal neu darüber nachzudenken, was Pflege bei uns heißen soll. Pflege für die Menschen, die bei uns leben. Und eben auch Pflege der Menschen, die bei uns arbeiten. Dafür gibt uns das Gleichnis ein gutes Vorbild: Genau hinsehen. Ernst nehmen, was wir sehen. Überlegen, was insgesamt getan werden muss für die Zukunft der Altenpflege. Und das tun, wozu wir selbst in der Lage sind. „Geh hin und tue desgleichen“, sagt Jesus am Ende der Geschichte vom barmherzigen Samariter. Das ist es übrigens, was Jesus unter Nächstenliebe versteht: Hinsehen und das ernst nehmen, was man sieht. Das tun, was in unserer Macht steht. Barbara Heller 5 Ethik in der Altenpflege Ethik in der Altenpflege „Ich schaff das nicht mehr, die Oma muss ins Heim“ Wer ins Heim muss, ist arm dran. Das ist eine der Stereotypen in der Konversation unter älteren Menschen. Der Umzug aus der eigenen Wohnung oder der Wohnung der Kinder in eine Betreuungseinrichtung wird gleichgesetzt mit: Der Arme, der hat ja niemanden mehr. Oder mit: Die Ärmste, die Schwiegertochter will sich nicht mehr die Mühe machen. Oder, im schlimmsten Fall: Mit dem geht es zu Ende. Viele sind überfordert Ins Heim müssen? Auf unserer Webseite www.das-tut-mannicht.de spielen Fragen um die alten Eltern und das Heim eine zentrale Rolle. Auf der Webseite geht es um ethische und moralische Alltagsfragen. Und darum, wie man sie anständig löst. Zu den „unanständigen“ Lösungen des Lebens gehört es im allgemeinen Verständnis, die alten Eltern ins Altersheim zu stecken, um sich selbst zu entlasten. Aber ist das wirklich so? Viele Töchter und Söhne, die uns schreiben, fühlen sich überfordert mit der Aufgabe, die hochbetagten Eltern zu betreuen, zu pflegen und zu umsorgen. Von „sich mal eben entlasten“ ist da nicht so oft die Rede wie von Übermüdung, Überanstrengung und Überforderung. 6 Freiheit zu Haus Warum wollen die meisten Menschen nicht ins Heim? Sie wollen im Kreis ihrer Familie alt werden. Sie stellen es sich insgesamt angenehmer vor, von Ein Internetportal bietet Angehörigen und Profis Raum für ethischen und moralischen Austausch ihren Angehörigen gepflegt zu werden, als in einem institutionalisierten Haus anonymer „und nach der Uhr“ betreut zu werden. Sie schätzen die eigenen Freiheitsgrade in der Familie höher ein als in einem Altersheim. Und sie glauben, dass die Angehörigen mit den Schwächen und Krankheiten des Alters liebevoller und angemessener zurechtkommen als das Pfleger und Betreuer können. Daneben spielen natürlich auch die Kosten eine Rolle. Die meisten Kinder wollen, dass es ihren Eltern gut geht. Sie möchten, dass sie sich wohlfühlen, dass sie gelassen und gesund alt werden können. Sie sind auch bereit, viel dafür zu tun, dass es so kommt. Kleister, der die Gesellschaft zusammenhält „Er hat es nie so haben wollen: Pflegeschwestern, die ihn reinigen; ein grüner Herr, der ihn ehrenamtlich unterhält; eine ehemalige Kollegin, die ihn treu besuchen muss; Kinder, denen er Mühe bereitet; eine Ehefrau, die nun ihm in den Mantel hilft. Er hat es nie so haben wollen, doch er hätte es jederzeit verteidigt. Das ist der Kleister, der unsere Gesellschaft zusammenhält, hätte er gesagt.“ Aus: Katja Thimm: Vatertage. Eine deutsche Geschichte. Erschienen bei S. Fischer, Frankfurt am Main 2011, S. 287 GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Konsequenzen für die Familie Was aber, wenn Liebe, Fürsorge, Verantwortungsbewusstsein nicht ausreichen, um die Verpflichtungen zu übernehmen, die die Betreuung alter Menschen mit sich bringen? Dann fühlen sich die alten Eltern und die (meist ebenfalls älteren) Kinder schlecht. Was kann man tun, was tut man nicht, wenn man in eine solche Situation geraten ist? Darüber diskutieren viele Nutzer der Webseite www.das-tutman-nicht.de. Darüber hat eine der Gründerinnen der Seite, im August 2010 mit den Führungskräften der GesundbrunnenEinrichtungen diskutiert. Denn aus dem, was man tun kann und dem, was geächtet ist, ergeben sich nicht nur Konsequenzen für das Familienleben. Von den guten und schlechten Gefühlen, mit denen Menschen in eine Betreuungseinrichtung ziehen, ist auch das Personal der Einrichtung unmittelbar betroffen. Schuldgefühle Schwestern und Pfleger, Ärzte und Geschäftsführer und fragen sich häufig, warum sie ein so schlechtes Ansehen haben, wenn sie in Senioreneinrichtungen tätig sind. Sie lesen die Fragen und die Antworten auf der Webseite, und finden das wieder, was ihnen in der tägli- GESUNDBRUNNEN 1 | 11 chen Arbeit begegnet: Angehörige sind unglücklich darüber, wie ihre Eltern und Großeltern im Heim leben müssen. Sie sind entsetzt, wenn sie den Eindruck bekommen, dass trotz der hohen Kosten niemand wirklich für die alten Leute und ihre Nöte da ist. Ein Chefarzt sagte uns einmal: „Sehen Sie, die meisten alten Menschen kommen zu uns ins Heim, weil die Angehörigen es zu Hause nicht mehr schaffen. Dann stehen dieselben Angehörigen vor uns und werfen uns vor, dass wir es manchmal auch nicht zu 100 Prozent schaffen. Es sind die Schuldgefühle von Töchtern und Söhnen, die bei uns manchmal aggressiv abgeladen werden.“ Nicht alles ist perfekt Eine Pflegerin sagte in einem solchen Gespräch: „Es ist eben einfacher, über die Pflege von Angehörigen zu reden, als sie selbst zu leisten. Manchmal habe ich das Gefühl, dass das Reden und Anklagen der Ersatz dafür ist.“ Führungskräfte und Mitarbeiter in Alten- und Pflegeheimen sind sich sehr bewusst, dass sie nicht alles perfekt hinbekommen. Manche reden auch sehr offen über die Defizite im Pflegebereich. In den meisten Betreuungseinrichtungen aber arbeiten Menschen, die ihren Dr. Ursula Weidenfeld ist Mitbegründerin des Internetportals www.das-tut-man-nicht.de, auf dem sich Betroffene zur Pflegethematik austauschen können. Sie besuchte die Evangelische Altenhilfe Gesundbrunnen als Referentin einer Klausurtagung im Sommer 2010. „Zu den ‚unanständigen‘ Lösungen des Lebens gehört es im allgemeinen Verständnis, die alten Eltern ins Altersheim zu stecken, um sich selbst zu entlasten. Aber ist das wirklich so?“ Dr. Ursula Weidenfeld Beruf ernst nehmen, und sich bemühen, der Verantwortung, dem Fürsorgeauftrag gerecht zu werden. Sie sind auch kritikfähig, doch sehen sie sich oft aus schiefen Motiven heraus kritisiert. Vielen Angehörigen gehe es ja gar nicht um einen echten Missstand. Bei den professionellen Altenhelfern würden die Schuldgefühle der Familien abgeladen – je größer die 7 Ethik in der Altenpflege Ethik in der Altenpflege Meine Mutter bewohnt eine Einliegerwohnung in unserem Haus. Früher hatte ich ihr immer versprochen, sie im Alter zu pflegen. Bei der Finanzierung unseres Hauses hat sie uns deshalb stark unterstützt. Seit einem Jahr leidet sie an Demenz und die Verantwortung für sie überfordert mich, obwohl wir von einem Pflegedienst unterstützt werden. Ich bin verzweifelt und würde meine Mutter am liebsten in ein Heim geben, obwohl sie das nie wollte. Tut man das? Im Internetforum www.das-tut-man-nicht.de diskutieren Betroffene über Fälle aus der Praxis seien, desto aggressiver werde verlangt, dass die Omi abends doch immer ihren Fliederblütentee bekommen muss, damit sie schlafen kann. Und dass sie den hartnäckig angebotenen Hagebuttentee schon immer gehasst hat. Keineswegs spannungsfrei Dabei wird in den Familien gelegentlich schon einmal verdrängt, dass Hagebutten oder Fliederblüten auch im eigenen Haushalt zum Kriegsgebiet werden können. Wenn die Omi nämlich abends immer den Fliederblütentee haben muss, dann ist es für die Schwiegertochter auch nicht immer die reine Freude, die Extraviertelstunde dafür aufzubringen, die der Hilfskraft im Altenheim selbstverständlich abverlangt wird. Denn auch das Leben mehrerer Generationen in einem Haus oder in einem Haushalt ist keineswegs spannungsfrei. Auch hier werden Erwartungen enttäuscht, auch hier gibt es unterschiedliche Auffassungen über das, was zu tun ist und wann es zu tun ist. Mit diesem Argument allein dürfen sich Pflegekräfte allerdings nicht entlasten. Wer die Kritik oder die Fragen von Be- 8 Antwort von Inge Jens: wohnern und Angehörigen immer in die Kiste „Entlastungsaggression“ packt, wird blind für die Fehler und Unaufmerksamkeiten, die sich schnell im Umgang mit Schutzbefohlenen einschleichen. Je schlechter es denen geht, je weniger sie selbst aufbegehren können, desto wichtiger ist es, sensibel für ihre Nöte und Bedürfnisse zu bleiben. Oft sind es die Angehörigen, die die am besten kennen, die sich die Zeit nehmen, den Sorgen der alten Leute auf den Grund zu gehen. Wo sind die Grenzen? Genau das aber sind die Fälle, die bei www.das-tut-mannicht.de diskutiert werden. Was muss man als anständiger Mensch tun, wenn die Eltern oder Schwiegereltern nicht mehr alleine leben können – und wenn es, aus welchen Gründen auch immer, nicht möglich ist, die Eltern aufzunehmen? Kann man den alten Eltern, die in der Erwartung sind, in den Haushalt der Kinder ziehen zu können, die Aufnahme verweigern? Wo sind die Grenzen für die eigene Verantwortung? Die Rundfunkpfarrerin des Südwestrundfunks, Lucie Panzer, würde immer für eine selbstbewusste Entscheidung plädieren. „Dann wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seien Frau binden“, heiße es selbst in der Bibel (Matthäus 19,3). Und das bedeute, dass man zwar Verantwortung für die Eltern übernehmen müsse, aber nicht um jeden Preis. Die Kinder – auch die Schwiegerkinder – entscheiden über das Verhältnis von Nähe und Distanz. Sie müssen sich einig werden. So wird der Konflikt mit der Schwiegertochter schnell zu einer Herausforderung an die Beziehung der beiden Partner. Wenn der Sohn sich seiner Mutter stärker verpflichtet fühlt als der eigenen Frau, kracht es. Mit Entscheidungen leben Und wenn‘s nicht geht: Muss ich dann in ein Heim? Den wohlfeilen Ausweg aus einem solchen Dilemma gibt es nicht, das Gefühl, der eigenen Mutter gegenüber etwas versäumt zu haben, bleibt. Wird für die Mutter am Ende ein Heimplatz gesucht und gefunden, müssen sich die Angestellten darauf einstellen, eine kritische Begleiterin zu bekommen. Die Frau wird vermutlich sehr GESUNDBRUNNEN 1 | 11 wach verfolgen, ob es der Mutter im Heim tatsächlich besser geht. Sie wird fragen, ob die Betreuung wirklich professioneller und die Beschäftigung sinnvoller ist. Schon die Entscheidung ist ihr nicht leicht gefallen – mit der Entscheidung zu leben, wird kaum einfacher. Wünsche ernst nehmen Sind die Herausforderungen der Pflege schon hart genug, wird es noch problematischer, wenn Lebensentscheidungen für die Eltern getroffen werden müssen. Darf man es hinnehmen, wenn der alte, des Lebens müde Vater nach dem Tod der Mutter die für ihn möglicherweise lebensrettende Herz-Operation verweigert? Das muss man aushalten, urteilt Werner Vogel, Chefarzt und ärztlicher Direktor des Zentrums für Geriatrie in Hofgeismar: „Man muss den Wunsch des Vaters sehr ernst nehmen und seinen Willen natürlich respektieren. Man würde unethisch und sogar rechtswidrig handeln, wenn man ihn gegen seinen Willen einweisen und operieren (lassen) würde. Das Problem ist allerdings bei der vermutlich bestehenden Einsamkeit und reaktiven De- GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Ich denke, die Frage, ob „man“ seine Mutter ins Heim gibt, ist wenig hilfreich. Fragen Sie sich vielmehr, ob Sie bei der häuslichen Pflege bereits alle Möglichkeiten bedacht haben, andere Hilfsquellen außer den eigenen physischen und psychischen Kräften zu mobilisieren. Dass ein Pflegedienst bei Demenzkranken von geringem Nutzen ist, gilt inzwischen als gesichert. Die Pflegepersonen wechseln viel zu häufig, so dass Kontinuität Inge Jens (84), schrieb gemein- und Gleichartigkeit nicht gewährleistet sind. Die konkrete Frage sollte deshalb lauten: ist es sam mit ihrem möglich, einen oder zwei Menschen zu finden (und heute an Dezu bezahlen), die ein ausreichende Versorgung zuhaumenz erkrankse sicherstellen, ohne Sie zu überfordern? Dabei ist das ten Ehemann Walter Jens den Kriterium nicht die eigene Verzweiflung, sondern die Bestseller „Frau physische Kraft, die man zu einer Pflege nun einmal Thomas Mann“ benötigt. Mit der Verzweiflung umzugehen, kann man lernen, die physische Kraft hingegen muss einem zur Verfügung stehen, obwohl man sich vieles für den „richtigen“ Umgang mit der Kranken aneignen kann. Wie denn auch die Bereitschaft, unkonventionelle Lösungen mit zu bedenken, selbst wenn sie zunächst eher belastend als hilfreich wirken, erlernbar ist. Als hauptsächlich belastete Pflegeperson müssen Sie sich klarmachen, dass weder Ihrer Mutter noch Ihnen selbst geholfen ist, wenn Sie sich überfordern und gar zusammenbrechen. Verantwortung umfasst nicht nur den Bereich der physischen Versorgung, sondern auch den der realitätsentsprechenden planenden Überlegung. Um da den rechten Weg zu finden, sollten Sie den Mut haben, zumindest mit Freunden offen über das Problem zu sprechen und eventuell auch für sich selbst professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen von Menschen, die Ihre konkrete Situation und Ihr soziales Umfeld kennen. Erschweren Sie sich Ihre Entscheidungsfindung nicht durch den Blick auf das unvermeidliche Gerede im näheren und weiteren sozialen Umfeld. Im Vordergrund steht eine für alle Beteiligten sinnvolle und notwendige Entscheidung. Heim ist nicht gleich Heim. Sich hier kundig zu machen, gehört auch zu einer verantwortungsbewussten Pflege. Sich hier kundig zu machen, gehört auch zu einer verantwortungsbewussten Pflege. Und das können nicht nur Sie und ich, das kann sogar „man“ tun. Inge Jens 9 Ethik in der Altenpflege Ethik in der Altenpflege Zeit für Ethik Die Grenzen der Belastbarkeit waren überschritten „Die Konvention verlangt, dass man ein schlechtes Gewissen bekommt, wenn man beschließt, ein enges Familienmitglied ins Heim zu geben. Und natürlich verunsichert eine solche Entscheidung. Gleichzeitig schadet es nicht, Konventionen in Frage zu stellen. Das dörfliche Seniorenheim verfügt über qualifiziertes Personal unter guten Arbeitsbedingungen. (…) Dort kennt man den Vater, und nicht erst, seit er krank ist. Dort sieht man in ihm die ganze Person, jemanden mit einem langen Leben, mit einer Kindheit und Jugend, jemanden, der den Namen August Geiger vor mehr als achtzig Jahren bekommen hat und nicht erst mit Beginn der Krankheit. (…) Zu Hause war eine Betreuung auf diesem Niveau trotz intensiver Unterstützung durch die Familie nicht möglich gewesen. (…) Ständig die Frage: Was kommt als Nächstes? Die Grenzen der Belastbarkeit waren überschritten. Zu allem Überfluss fühlte sich der Vater ja auch zu Hause nicht mehr daheim.“ Aus: Arno Geiger: Der alte König in seinem Exil. Erschienen im Hanser Verlag, München 2011, S. 133 f. pression angesichts des erlittenen Verlustes und der Krankheit komplexer: Lebenswille und Lebensqualität könnten sich positiver darstellen, wenn die Beschwerden mit vertretbarem Aufwand medizinisch gelindert werden könnten. Wenn der Patient sich bei klarem Verstand gegen (aufwändige) medizinische Maßnahmen entscheidet, hat er ein unbedingtes Recht darauf.“ Operation – ja oder nein? Für die erwachsenen Kinder ist ein solches Recht schwer auszuhalten. Sie sehen den Verfall des Vaters, und sie glauben den Ärzten, die die Operation als unkompliziert hinstellen. Es ist kein Wunder, dass sie sich gekränkt und zurückgewiesen fühlen, weil der trauernde Vater möglicherweise keine Lust mehr 10 hat weiterzuleben – oder zumindest nicht bereit ist, eine Operation auf sich zu nehmen. Freundliche Etiketten Schuldgefühle, Kränkungen, Vorwürfe – für viele überschatten sie die letzten Jahre mit den Eltern. Egal, ob die Eltern zu Hause gepflegt werden oder in einem Altersheim leben, die Kinder fühlen sich oft unvollkommen und undankbar. Ein Eindruck, der phasenweise mit hoher Wahrscheinlichkeit der Realität in jeder Familie entspricht, in der alte Menschen gepflegt werden. Dort aber wird das von allen Seiten mit freundlichen Etiketten beklebt: Für ältere Menschen, die alleine leben, gibt es kaum etwas statuserhöhenderes als die Aussage „Ich ziehe zu den Kindern, wenn ich nicht mehr alleine leben kann“. Mit kaum einer Aussage kann man mehr Mitgefühl unter den Altersgenossen hervorrufen, als wenn man sagt: „Ich habe mich in einer Seniorenresidenz eingekauft“. Aus diesem Statusgefälle leiten sich für viele dann alle anderen Schlüsse ab: Zu Hause ist gut, im Heim ist schlecht. Defizite zu Hause sind hinzunehmen, im Heim sind sie anzuklagen und dann abzustellen. Im Kern ist das auch richtig: In dem Moment, in dem Leistungen monetarisiert werden, wird auch die Dienstleistung zu einer realen und messbaren Größe. Nur, dass man dieser Professionalität dann eben nicht auch noch mit dem eigenen Maßstab – Liebe, Verantwortung, Verpflichtung – begegnen darf. Dr. Ursula Weidenfeld GESUNDBRUNNEN 1 | 11 „Holt die Alten aus den Heimen“ – das könnte der Slogan einer neuen Bürgerbewegung werden. Unterstützt von bekannten Kritikern „institutionalisierter Pflege“ wie Klaus Dörner fordern viele, endlich mit der Priorität der ambulanten Versorgung ernst zu machen. Dahinter steckt ein tiefes Misstrauen gegen Heime. Werden hier nicht schwache und hilfsbedürftige Menschen am Ende ihres Lebens aus der Gemeinschaft ausgeschlossen? Führen die speziellen Heimangebote für Menschen mit besonderen, ähnlichen Beeinträchtigungen zu einer „Konzentration der Unerträglichkeit“, wie Dörner es nennt? Ist nicht grundsätzlich „Massenhaltung“ mit den Menschenrechten unvereinbar? Kann ein Pflegebedürftiger GESUNDBRUNNEN 1 | 11 „Holt die Alten aus den Heimen“ – der Slogan einer neuen Bürgerbewegung? im Heim wirklich hoffen, dass seine individuellen Bedürfnisse berücksichtigt werden und dass er weiter teilhaben kann an der Gemeinschaft von Nachbarn und Gemeinde? (s. Klaus Dörner: Leben und sterben, wo ich hingehöre, Neumünster 2007) Das sind zum Teil berechtigte Fragen, sehr schwerwiegende Behauptungen und zum Teil auch Unterstellungen. Altenheime werden sich gegen letztere zu Recht verwahren. Umso mehr scheint es angezeigt, sich darüber zu verständigen, wie die Versorgung Pflegebedürftiger in Heimen zu gestalten ist. Wie kann fachlich nachgewiesen und mit gutem Gewissen begründet werden, dass die Versorgung im Altenheim nach wie vor, und auch in Zukunft, ein angemessenes und gutes Angebot ist? Folgende Fragen sind zu klären: • Was muss getan werden? • Was nutzt den Pflegebedürftigen am meisten? • Worauf wollen wir uns in der Gesellschaft für den Fall der Pflegebedürftigkeit verständigen? • Welche Prinzipien sollen gelten? • Was ist eine gute Pflegekraft, was eine gute Heimleitung? 11 Ethik in der Altenpflege Letztlich geht es um ethische Fragen. Jede dieser Fragen kann auf eine philosophisch-ethische Tradition zurückgeführt werden und dient gleichzeitig ganz praktisch der Klärung der anstehenden gesellschaftlichen Fragen. Damit Altenheime sich an diesem gesellschaftlichen Klärungsprozess intensiv beteiligen und ihre Kompetenz, ihre Erfahrungen und ihre Ideen für Wenn Pflegequalität daran gemessen wird, dass die Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen respektiert und ihre Individualität berücksichtigt wird, entscheidet sich „gute Pflege“ genau an diesen Fragen. die weitere Entwicklung einbringen können, ist es notwendig, sich im eigenen Interesse auch mit ethischen Fragen auseinanderzusetzen. Dabei gibt es vier gute Gründe, angewandte Ethik in ihr Aufgabenspektrum aufzunehmen. Gute Pflege „Jetzt müssen wir Ihren Vater für einige Zeit auf die rechte 12 Ethik in der Altenpflege Seite drehen, damit seine linke Hüfte nicht so belastet wird. Er soll doch kein Druckgeschwür bekommen und sich auflliegen“ spricht die Pflegekraft zum Angehörigen und meint es gut. Gut im Sinne einer optimalen Pflege. Aber: Wäre es gut, den Mann, der im Sterben liegt, in dieser Weise „fachgerecht zu lagern“? Die Familie hat wahrgenommen, dass er, wenn er auf der linken Seite liegt, am leichtesten atmen kann und in jeder anderen Position schweratmig wird und sich unwohl zu fühlen scheint. Deshalb bitten die Angehörigen, vom Lagerungsplan abzuweichen, auch wenn dieser der Vermeidung von Druckgeschwüren dient. Banale Alltagsfragen? Ein banales Beispiel, die Entscheidung eigentlich klar? Ist es nicht selbstverständlich, dass jemand selbst bestimmen kann, auf welcher Seite er liegt, nämlich auf der, die ihm angenehm und gewohnt ist? Die Praxis der Altenpflege ist geprägt von scheinbar banalen Alltagsfragen. Grund dafür ist, dass der Ort von Pflege und Therapie und der Wohn- und Lebensraum zusammenfallen. Eine Verständigung muss gefunden werden zwischen pro- fessionellen Erfordernissen und Überzeugungen und persönlichen Wünschen und Bedürfnissen. Wenn Pflegequalität aber daran gemessen wird, dass die Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen respektiert und ihre Individualität berücksichtigt wird, entscheidet sich „gute Pflege“ genau an diesen Fragen. Ethische Reflexion Erst die ethische Reflexion macht aus Pflegetechnik und Pflegestandards gute Pflege. Jeweils in der aktuellen Situation ist zu entscheiden, was an medizinisch-pflegerisch Machbarem zu diesem Zeitpunkt wirklich im Sinne des Pflegebedürftigen und ethisch verantwortbar ist. Das wird im Zusammenhang der oben geschilderten Szene deutlich. Daneben gibt es viele andere Fragen bis hin zum Therapieabbruch. Es geht um Themen wie selbstbestimmte Ernährung trotz Mangelrisikos oder Adipositas, selbstbestimmte Mobilität trotz Sturzgefährdung, Entscheidungen für oder gegen die Einweisung ins Krankenhaus. Eine konsequent am Willen und Wohlbefinden des Pflegebedürftigen ausgerichtete Pflege muss bereit sein, fachliches Handeln zu „relativieren“, das heißt in Relation zu ihrem GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Adressaten zu setzen. Das fällt Pflegekräften nicht leicht, wenn pflegestandardkonformes Handeln als entscheidend für positive Transparenzberichte gilt. Zufriedene Mitarbeiter „Ich bin total entsetzt! Bei Herrn K. soll die Versorgung abgebrochen werden. Keine Nahrung mehr und noch nicht mal Flüssigkeit. Das haben Hausarzt und Ehefrau heute Morgen beschlossen. Herr K. wird ja schon eine ganze Weile über Sonde ernährt. Vielleicht erholt er sich ja doch wieder. Wir hatten doch in der letzten Erst die ethische Reflexion macht aus Pflegetechnik und Pflegestandards gute Pflege. Zeit den Eindruck, dass er wieder zu Kräften kommt. Aber wir haben ja nichts zu sagen. Uns fragt ja keiner, obwohl wir doch am meisten mit ihm zu tun haben.“ Es stimmt, aus rechtlicher Sicht haben die Pflegekräfte „nicht zu sagen“. Sie hätten aber durchaus etwas zu sagen zur aktuellen Situation und zu ihrer Einschätzung des Bewohners. Und sie hätten das Interesse, davon zu hören, wie es zu der GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Entscheidung gekommen ist. Zu wünschen wäre auch hier eine Verständigung – auch darüber, wie die letzte Lebensphase gemeinsam zu gestalten ist. Die ethische Fallbesprechung in der Altenpflege bietet die Möglichkeit einer solchen Verständigung. Sie steht ganz im Dienst des Pflegebedürftigen und trägt gleichzeitig entscheidend zur Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen in der Pflege bei. Oft sind sie es, die in bestimmten Situationen als erste ein diffuses Unwohlsein empfinden und den Eindruck haben, irgendetwas sei nicht in Ordnung oder so „nicht richtig“. Fallbesprechungen Alle an der Pflege Beteiligten und für den Pflegebedürftigen Verantwortlichen nehmen an der ethischen Fallbesprechung teil: Pflegekräfte, Angehörige und Betreuer, Ärzte und behandelnde Therapeuten. Das eröffnet Chancen einer umfassenden Betrachtung und Beurteilung der Situation. Selten gibt es eine einzige „richtige“ Lösung für eine problematische Situation. Vielmehr geht es um ein gemeinsames Abwägen und die Verständigung über ein möglichst angemessenes Vorgehen. Der gemeinsame Beratungsprozess und die Einbeziehung aller Beteiligten tragen dazu bei, dass die getroffenen Vereinbarungen von allen getragen werden. Pflegekräfte werden dabei in ihrer Kompetenz gewürdigt und erfahren sich als verantwortlich Mitwirkende und nicht lediglich als Ausführende ärztlicher oder gesetzlicher Vorgaben. Schutz der Pflegekräfte und der Einrichtung „Danke, dass Sie mich zur Toilette gebracht haben. Jetzt lassen Sie mich bitte allein. Ich klingele dann.“ Und dann klingelt die alte Dame doch nicht sofort, sondern steht alleine auf, fällt und bricht sich den Oberschenkel. Die Krankenkasse verklagt die Einrichtung auf Regress. In erster Instanz verliert die Einrichtung mit der Begründung, die Pflegekraft hätte aufgrund der vorliegenden Sturzgefährdung bleiben oder sich zumindest in unmittelbarer Hörweite halten müssen. Auch wenn die Klage in zweiter Instanz vom Oberlandesgericht München abgewiesen wurde (Az. 8 U 3041/09), der Schock sitzt tief: Wie sollen Pflegekräfte sich bei Sturzgefährdung zukünftig verhalten? Wozu sollen Einrichtungen ihre Mitarbeiterinnen anweisen? Soll 13 Ethik in der Altenpflege der Wunsch der Pflegebedürftigen gelten oder die Forderung der Kassen? Die ethische Beurteilung einer Situation in der Pflege darf nicht auf das Gegenüber von Pflegekraft und Pflegebedürftigem reduziert werden. Denn die Pflegekraft handelt im Auftrag der Einrichtung, diese im Auftrag der Pflegekassen, diese wiederum im Auftrag des Staates. Neben die pflegeethische Frage, die Frage nach dem Sollen der Neben die pflegeethische Frage, die Frage nach dem Sollen der Pflegekraft, muss die ethische Frage nach der Verantwortung und dem Sollen der Einrichtung treten. Pflegekraft, muss die ethische Frage nach der Verantwortung und dem Sollen der Einrichtung (und ihrer Vertreter) treten. Die Vorgaben des SGB XI sind sehr weitreichend. Die Umsetzung hat der Gesetzgeber weitestgehend den Kassen übertragen. Der Spielraum der Pflegeeinrichtungen ist entsprechend eng. Eigene – auch ethisch begründete – Zielvorga- 14 Ethik in der Altenpflege ben für die Pflege sind von Pflegeeinrichtungen innerhalb oder gar neben diesen Vorgaben nur schwer umsetzbar. Recht auf Selbstbestimmung Die ethische Reflexion der vor Ort Handelnden muss also auch zum Ziel haben, für Mitarbeiterinnen wie für Bewohnerinnen und ihre Angehörigen deutlich zu machen, wie unter den gegebenen Bedingungen das Können einer Einrichtung und ihrer Mitarbeitenden aussieht. Diesem Können sind angesichts bestehender Personalschlüssel enge Grenzen gesetzt. Eine 1:1-Betreuung ist nicht möglich, so sehr sie oft den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen entgegenkäme. Andererseits muss auch da, wo eine enge Begleitung gewährleistet wird, wie im oben genannten Beispiel, ein Recht auf Selbstbestimmung geachtet werden, das auch die Selbstgefährdung beinhalten kann. Beides, die Rahmenbedingungen der Pflege wie die fachlich und ethisch begründeten Leitlinien, sollten transparent gemacht werden. Diese Transparenz dient dem Schutz aller Beteiligten. Ethik der Altenpflege beteiligen, Ethik-Netzwerke gründen, Mitarbeitende ethisch schulen ethische Fallbesprechungen einführen, machen sie deutlich, dass es ihnen in erster Linie um das Wohlergehen der Bewohnerinnen und Bewohner geht. Das ist der Grund dafür, sich mit zentralen ethischen Themen zu befassen und für die Einrichtungen Orientierungshilfen zu erarbeiten. Wenn also die Altenheime die angewandte Ethik in ihren „Leistungskatalog“ aufnehmen, tun sie etwas für die Menschen, die sich ihnen als Pflegebedürftige, Angehörige oder auch als Mitarbeiter anvertrauen, für sich selbst und nicht zuletzt auch für die Gesellschaft. Also: „Holt die Ethik in die Heime!“ Barbara Heller, Leitende Pfarrerin der Evangelischen Altenhilfe Gesundbrunnen Image der Altenpflege Wenn Altenheime sich an der Weiterentwicklung einer Es geht um das Wohlergehen der Bewohner – wie hier im Ev. Altenzentrum Hospital in Bad Hersfeld GESUNDBRUNNEN 1 | 11 GESUNDBRUNNEN 1 | 11 15 Ethik in der Altenpflege Ethik in der Altenpflege thema „Dass einer ein so gutes Herz haben und so brummig sein kann ...“ Albert Schweitzer – den Erfinder der „Ehrfurcht vor dem Leben“ mit anderen Augen sehen Biografische Daten • 1875 geboren in Kaysersberg/Elsass • 1893-1899 Studium der Theologie, Philosophie und Musik in Straßburg und Paris • 1899 Promotion zum Dr. phil. • 1900 Lizentiaten-Examen (Dr. theol.); danach Vikariat • 1902 Habilitation an der theologischen Fakultät Straßburg • 1903-1906 Direktor des Thomasstifts in Straßburg • 1905-1912 Medizinstudium • 1913 Promotion zum Dr. med.; Ausreise nach Afrika (mit Ehefrau Helene) • 1913-1917 Aufenthalt in Lambarene • 1921/1922 Konzert- und Vortrags reisen in Europa • 1924-1927 Aufbau eines neuen Tropenhospitals in Lambarane • 1949 Festrede zum 200. Geburtstag Goethes in den USA • 1951 Friedenspreis des deutschen Buchhandels; Paracelsus-Medaille • 1953 Friedensnobelpreis in Oslo • 1955 Fertigstellung des Lepradorfs • 1957 Aufrufe gegen die Gefahren der Kernwaffenversuche • 1959-1965 Letzter Lambarene Aufenthalt • 1965 14. Januar: 90. Geburtstag, Besucher aus aller Welt; Abschluss der kritischen Ausgabe J. S. Bachs Präludien und Fugen für Orgeln; 4. September: Albert Schweitzer stirbt; er wird in Lambarene beigesetzt 16 Großer Ethik-Lehrer und menschliches Vorbild: Albert Schweitzer Mit dreißig Jahren beschließt Albert Schweitzer im Jahr 1905, Medizin zu studieren. Familie und Freunde sind entsetzt. Was soll das? Dem jungen Lehrer der Theologie fehlt nur noch der Ruf auf eine Professorenstelle. Er ist Doktor der Philosophie und der Theologie, daneben ein anerkannter Orgelmusiker der regelmäßig Konzerte gibt. Was hat ihn aus der Bahn geworfen? Eine unglückliche Liebe? Die plötzliche Angst, es könne doch nicht klappen mit der Hochschullaufbahn? Gerade die, die ihm nahe stehen, sind voller Unverständnis und versuchen, seinen Entschluss ins Wanken zu bringen. „Überhaupt, wie viel habe ich damals darunter gelitten, dass so viele Menschen sich das Recht neh- GESUNDBRUNNEN 1 | 11 men wollten, alle Türen und Läden zu meinem Inneren aufzureißen!“, berichtet der viel Kritisierte später über diese Zeit. Er bleibt bei seiner Entscheidung, die dem Ziel dient, sich zukünftig einem „unmittelbaren menschlichen Dienen“ zu widmen und als Missionsarzt nach Westafrika zu gehen. Das Medizinstudium fällt dem „späten Studenten“ schwer, zumal er weiterhin theologische Vorlesungen hält und predigt, schriftstellerisch tätig ist und auch seine Konzerttätigkeit fortführt. Er bewältigt ein ungeheures Arbeitspensum. Kein Wunder, dass er rückblickend bemerkt: „Nun begann Jahre hindurch ein Ringen mit der Müdigkeit.“ Dennoch bringt er alles zum gewünschten Abschluss: Das Medizinstudium mit dem dritten Doktortitel, die Autorentätigkeit mit entsprechenden Veröffentlichungen und das Werben um finanzielle Unterstützung mit Spenden, die für ein Jahr den Betrieb des Urwaldspitals sichern sollen. Bis zum Schluss bleiben einige Mitglieder der Pariser Missionsgesellschaft skeptisch, ob dieser kritische Theologe geeignet ist, und sei es als Arzt, für sie nach Afrika zu gehen. Er kann die meisten durch persönliche Gesprächen überzeugen, nachdem er eine Glaubensprüfung abgelehnt hat. Er muss versprechen, seine Aufgabe auf die medizinische Tätigkeit zu beschränken und sich aller Art von Verkündigung und Lehre zu enthalten. Und dann ist es soweit: Am 26. März GESUNDBRUNNEN 1 | 11 1913 geht er mit seiner Frau Helene an Bord, um nach Afrika aufzubrechen. Ehrfurcht vor dem Leben – während Krankheit, Gleichgültigkeit und Krieg herrschen Es ist nicht der Glaubensheld, getragen von einer frommen Gemeinschaft, der hier zu einem gottgefälligen und segensreichen Wirken aufbricht. Es ist ein sehr eigenständiger und eigenwilliger Denker, der in verschiedenen Fachgebieten schon eine Karriere hinter sich hat und nun das Leben eines Geisteswissenschaftlers und Künstlers gegen das eines praktizierenden Arztes und Krankenhausorganisators tauscht, für mehr als fünfzig Jahre. Und dabei bleibt er der eigenständige und eigenwillige Denker. Während des ersten Afrikaaufenthaltes und der anschließenden Internierung während der Zeit des ersten Weltkriegs – als Deutsche gelten er und seine Frau in der französischen Kolonie als „Feinde“ – arbeitet er an einer Kulturphilosophie. Er will verstehen und erklären, was in Europa passiert ist und in dem schrecklichen Kriegsgeschehen gipfelt. Er beschreibt diese Entwicklung als „Niedergang der Kultur“ und sieht ihre Ursache auch im Versagen der Philosophie. Doch das Beschreiben des Niedergangs reicht ihm nicht. Er sucht nach einem Neuanfang: „Warum nur Kritik an der Kultur? Warum sich damit begnügen, uns als Epigonen zu analysieren? Buchtipp Es ist fast zu viel für ein einziges Leben, was der Tropenarzt, evangelische Pfarrer, Philosoph und begnadete Organist Albert Schweitzer leistete. Der Pfarrerssohn aus dem Elsass startet eine vielversprechende wissenschaftliche Karriere als Theologe, obwohl er auch Musikwissenschaftler hätte werden können. Doch mit dreißig Jahren beginnt er Medizin zu studieren. Seine Berufung sieht er in Zentralafrika – er will sich als Arzt dem „unmittelbaren menschlichen Dienen“ weihen und baut in Lambarene (Gabun) ein Urwaldhospital auf. Zur weltbekannten Ikone wurde der Friedensnobelpreisträger mit Schnauzbart und Tropenhelm durch seine Lehre von der „Ehrfurcht vor dem Leben“ und den Kampf gegen die Atombombe. Was trieb Albert Schweitzer an? Warum wurde er gleichzeitig bewundert und belächelt? Die Biografie von Lothar Simmank sucht reportageartig nach den Spuren eines großen Protestanten, der in das dritte Jahrtausend hinein wirkt. Lothar Simmank: Der Arzt. Wie Albert Schweitzer Not linderte. Wichern Verlag, Berlin 2008, 9,95 Euro (auch als Hörbuch/Audio-CD erhältlich) 17 Ethik in der Altenpflege Warum nicht auch aufbauende Arbeit?“ Schweitzer sucht nach einer Kraft, die eine Umkehr und einen Neuanfang möglich macht. Und er wird fündig. Nicht am Schreibtisch und nicht während seiner ärztlichen Tätigkeit, sondern auf einer mehrtägigen Flussfahrt: „Am Abend des dritten Tages, als wir bei Sonnenuntergang gerade durch eine Herde Nilpferde hindurchfuhren, stand urplötzlich, von mir nicht geahnt und nicht gesucht, das Wort „Ehrfurcht vor dem Leben“ vor mir. Das eiserne Tor hatte nachgegeben; der Pfad im Dickicht war sichtbar geworden. Nun war ich zu der Idee vorgedrungen, in der Welt- und Lebensbejahung und Ethik miteinander enthalten sind!“ Man möge an dieser Stelle nicht irren: Schweitzers Erkenntnis verdankt sich nicht der primär ästhetischen Erfahrung eines Naturerlebens, „Flusslandschaft mit Nilpferden im Sonnenuntergang“. Er idealisiert weder die Natur noch die Tierwelt (obwohl es wunderbare Naturbeschreibungen von ihm gibt und er als Mitbegründer des europäischen Tierschutzes gilt). Wiederholt berichtet er von der Lebensgefahr, die gerade von den Nilpferden für diejenigen ausgeht, die den Fluss befahren. Mehrfach ringt er als Arzt um das Leben von Schwerverletzten, die einem Angriff dieser Tiere zum Opfer gefallen sind. Doch er erkennt den Lebenswillen aller dort am Fluss: Den eigenen, den der Afrikaner, den der Nilpferde. Und er erkennt diesen Lebenswillen als gleichwertig an. Schweitzers Erkenntnis ist die Frucht seines Denkens. „Die unmittelbarste Tatsache des Bewusstseins des Menschen lautet: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Er setzt seinem Willen zum Leben, seiner Sehnsucht nach dem Weiterleben und der Angst vor der Vernich- 18 Ethik in der Altenpflege Ist das richtig, was wir tun? tung oder dem Schmerz, der das Leben beeinträchtigen kann, dem Willen zum Lenen „um ihn herum“ gleich, ob er sich äußern kann oder stumm bleibt. Damit sind alle Grenzen aufgehoben, die aufgrund von Nationalität, Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, einer Rasse oder einer Religion gezogen wurden, ja sogar die Grenze zwischen Mensch und Tier. Damit ist für Schweitzer auch klar, was geboten ist: „Zugleich erlebt der denkend gewordene Mensch die Nötigung, allem Willen zum Leben die gleiche Ehrfurcht vor dem Leben entgegenzubringen wie dem eigenen. Er erlebt das andere Leben in dem seinen. Als gut gilt ihm: Leben erhalten, Leben fördern, entwickelbares Leben auf seinen höchsten Wert bringen; als böse: Leben vernichten, Leben schädigen, entwickelbares Leben niederhalten. Dies ist das denknotwendige, absolute Grundprinzip des Sittlichen.“ Pessimist im Erkennen Optimist im Wollen und Hoffen Noch einmal sei betont: Der, der hier die Ehrfurcht vor dem Leben lehrt, sogar über die Grenze der eigenen Spezies hinaus, ist kein Naturromantiker. Er beobachtet Grausamkeit, Schmerz, Leiden und Tod in der Natur wie in der Menschheitsgeschichte in einer Fülle, die einen resignieren lassen müsste. Der letzte Abschnitt seiner autobiographischen Skizzen „Aus meinem Leben und Denken“ beginnt mit den Sätzen: „Zwei Erlebnisse werfen ihre Schatten auf mein Dasein. Das eine besteht in der Einsicht, dass die Welt unerklärlich geheimnisvoll und voller Leid ist; das andere darin, dass ich in eine Zeit des geistigen Niedergangs der Menschheit hineingeboren bin.“ In diesem Sinn begreift er sein eigenes Tun als ebenso notwendig, wie in Ethische Fallbesprechungen in der Altenpflege geben Hilfestellung in kritischen Situationen der Wirkung letztlich „bescheiden“. Er will Schmerz und Angst, denen er begegnet, lindern. Und genau dazu sieht er alle Menschen gerufen, die an sich erfahren haben, wie grausam es ist, körperlichem Weh und Angst unterworfen zu sein und deshalb die Sehnsucht teilen, vom Schmerz frei zu werden. Er nennt sie, und damit uns alle, die „Brüderschaft der vom Schmerz Gezeichneten“. Aus dem Teilen dieses gleichen Schicksals erwächst die gemeinsame Verantwortung. Was anderes ist es, das Hospizbewegung und Palliativpflege fordern, aber auch die, die gegen die Formen der modernen, „industriellen“ Massentierhaltung protestieren? Seine Rede von der Ehrfurcht vor dem Leben macht Schweitzer zu einem bedeutenden Ethik-Lehrer und menschlichen Vorbild. Auch, und vielleicht gerade, wenn einer, der ein so gutes Herz hat, manchmal sehr brummig ist – wie Schweitzer einen geretteten Pelikan von dem „Doktor“ erzählen lässt. Barbara Heller Die Zitate sind den Büchern ‚Zwischen Wasser und Urwald’, ‚Aus meinem Leben und Denken’ und ‚Ein Pelikan erzählt aus seinem Leben’ von Albert Schweitzer entnommen GESUNDBRUNNEN 1 | 11 In Einrichtungen der Altenhilfe sind Probleme wie diese bekannt: Herr K., 63 Jahre, wurde nach schwerem Herzinfarkt viel zu spät vom Notarzt reanimiert. Nach zehn Tagen ist sein Zustand stabil: Herr K. ist jetzt ein vollkommener Pflegefall. Als er ins Pflegeheim kommt, ten nicht selten zu Unklarheiten oder Unstimmigkeiten darüber, was in einer schwierigen Pflegesituation „das Beste“ sei. Woran können sich die Pflegenden orientieren? Was ist gut und richtig? Der moderne Wertepluralismus und Karl-Heinz Risto, Diakonisches Aus- und Fortbildungszentrum mit schwerem Leiden, Demenz und Siechtum konfrontiert. Rechtliche Unsicherheiten tun ein Übriges. Wer schützt Einrichtungen vor Regressforderungen der Kassen. Welche PDL kann sich noch im Begriffsdickicht der Diskussion um die Patientenverfügung orientieren? Was sind „Ethische Fallbesprechungen in der Altenpflege“? Beratungsrunde an einem Tisch zum Wohle der Bewohner stellt sich die Frage dauerhafter künstlicher Ernährung und Flüssigkeitszufuhr. Die Ehefrau und auch die vier Söhne sind ratlos. Situationen wie diese führen fast regelmäßig für alle Beteiligten zu Schwierigkeiten: Unzufriedene Pflegekräfte, aufgebrachte Angehörige, die dauernd Gespräche einfordern und Drohungen aussprechen. Auch abgesehen von solchen extremen Vorkommen: Bei der Pflege alter Menschen kommt es zwischen den Beteilig- GESUNDBRUNNEN 1 | 11 eine fehlende Wertorientierung erfordern eine hohe Fähigkeit zur Reflexion und Kommunikation der Werthaltungen von Pflegenden und Einrichtungen. Dürfen wir alles, was wir können? Die ethischen Fragen im Zusammenhang von Gesundheit und Krankheit sind trotz gewachsener medizinischer Möglichkeiten nicht einfacher geworden. Wie können sich Pflegende entlasten? Die Anforderungen an die stationäre Pflege steigen beständig. Pflegekräfte sind immer häufiger Ein neues Verfahren bietet Hilfestellung in kritischen Situationen im Altenheim-Alltag: „Ethische Fallbesprechungen in der Altenpflege“ (EFA) werden derzeit von Karl-Heinz Risto am Diakonischen Aus- und Fortbildungszentrum DAFZ in Hofgeismar eingeführt. Der evangelische Theologe, Supervisor und Master Angewandte Ethik hat das Verfahren zusammen mit der Leitenden Pfarrerin Barbara Heller entwickelt. Grundsätzlich gilt: Ethikberatung erfolgt nur auf Anfrage! Es handelt sich um ein freiwilliges Angebot. Ergebnis einer Einzelfallberatung ist eine Empfehlung, keine Handlungsanweisung. Im Vordergrund steht der gleichberechtigte Gesprächsgang im Beratungsprozess. 19 Ethik in der Altenpflege Im Falle moralischer Unsicherheit ist eine Verständigung aller Beteiligten und Betroffenen über die Maßstäbe guten und richtigen Handelns geboten. Das Instrument der „Ethischen Fallbesprechung“ verspricht hier Abhilfe. Und das nicht bloß als klärende Verständigung über die Normen und Werte, die in dieser Situation zu beachten sind, sondern in der Mehrzahl der Fälle auch als eine konkrete Empfehlung für nächste Schritte. Wie sieht das konkret aus? Frau K. erlitt in der Vergangenheit mehrere Schlaganfälle. Ihr fällt die Nahrungsaufnahme sehr schwer, durch heftiges Verschlucken ist sie bereits mehrmals in Atemnot geraten. Von den Pflegekräften wird sie als kaum kommunikationsfähig beschrieben. Die Einrichtung lädt den Sohn und die behandelnde Ärztin zu einem Gespräch ein, in dem über eine PEG-Anlage (Magensonde) beraten werden soll. Die Einrichtung befürwortet die PEG zur Risikovermeidung. Der Sohn, zugleich der Betreuer, und die Ärztin lehnen das hingegen ab. Dabei bezieht sich der Sohn auf eine Patientenverfügung, die jedoch der Einrichtung nicht vorliegt.Nach 14 Tagen befürwortet auch die Ärztin aufgrund des hohen Gewichtsverlusts eine PEG Anlage, der Sohn ist weiterhin dagegen. Welche ethischen Konfliktfelder tun sich im dieser Situation auf? • Fehlende Kenntnis des Patientenwillens; • Verunsicherung der Pflegenden bzw. der gesetzlichen Vertreter; 20 Ethik in der Altenpflege • Achtung des Selbstbestimmungsrechtes bei zunehmender Abhängigkeit des alten Menschen; • Kommunikationsprobleme und Konflikte zwischen den Beteiligten, widerstreitende Wert- und Zielvorstellungen; • Allgemeine Rechtsunsicherheit vor allem in Fragen der Therapiebegrenzung am Lebensende. Ethische Konflikte führen schnell zu moralischen Urteilen und Verurteilungen: „Die Pflege respektiert den Willen der Bewohnerin nicht“! „Der Sohn nimmt Schmerzen und Leiden seiner Mutter in Kauf“! Die Methode der Ethischen Fallbesprechung kann verhindern, dass es zu solcher moralischen SchwarzWeiß-Malerei kommt. Ethische Fallbesprechungen Wie geht denn das? Anstatt übereinander oder hinter dem Rücken zu reden, kommen alle Beteiligten an einen Tisch. Sie beraten sich gemeinsam vor Ort und werden dabei durch einen externen Moderator, eine Moderatorin unterstützt. Die Moderation gibt keine inhaltlichen Ratschläge, wie etwa nun mit der Situation von Frau K. umzugehen sei, vielmehr sorgt sie für ein offenes, faires und konstruktives Gespräch. Alle Beteiligten werden gehört. Sie können ihre Fragen und Sorgen und ihre Sichtweise darlegen. Am Ende steht eine gemeinsame Empfehlung. Kein Beteiligter soll genötigt werden, etwas zu tun oder zu lassen, was gegen seine fachlichen oder moralischen Grundsätze verstößt. Aber durch das bessere Hören und Verstehen der anderen Seite kommt es zu einer Annäherung über die Werte und Grundsätze, die für anstehende Maßnahmen zu berücksichtigen sind. Bedenken und Einwände Jetzt könnte man fragen: Was denn noch alles?! Ethische Fallbesprechungen benötigen Zeit: Pflegekräfte, aber auch Ärzte werden für eine Stunde – manchmal auch etwas länger – gebunden. Allerdings ist dies zeit in der Regel gut investiert. Die Vermeidung einer solchen Besprechung kann aber viel mehr Zeit fordern. Zusätzlich halten manche Ärzte halten es für bedenklich, wenn sich andere Berufsgruppen in Entscheidungen einmischen, für die der behandelnden Arzt – unter Umständen auch vor Gericht – die Verantwortung zu tragen hat. Hier ist es sinnvoll, zu differenzieren, wer Entscheidungsträger ist: Der Arzt für die Indikation; der Patient oder sein Vertreter aber entscheidet über die angebotene Therapie. Ethische Fallbesprechungen beraten auf beiden Entscheidungsebenen: Sie versuchen, die Basis, auf der ein Arzt die Indikation stellt, so gut wie möglich zu erweitern und zu fundieren. Das größere Gewicht liegt allerdings auf der zweiten Ebene: ein möglichst eindeutiges Bild davon zu entwickeln, was ein Patient mutmaßlich selber möchte. Ziel der Fallbesprechung ist die Stärkung der Patienten- bzw. Bewohnerrechte. GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Damit die Ethische Fallbesprechung gelingt Es gibt ein Konzept für den Ablauf der ethischen Entscheidungsfindung. Wenn folgende vier Stufen eingehalten werden, ist gewährleistet, dass alle Aspekte der Situation gewürdigt werden: •Bestimmung des ethischen Problems – im Falle von Frau K. ein Konflikt zwischen dem Wunsch nach fürsorglichem Handeln und der mutmaßlichen Selbstbestimmung. • Analyse der pflegerischen, medizinischen, sozialen, weltanschaulichen und einrichtungsbezogenen Gesichtspunkte. • Entwicklung und Bewertung von Maßnahmen unter Berücksichtigung ethischer Normen und Werte • Formulierung eines Votums einschließlich der Zusammenfassung der wichtigsten Gründe, die zu der Empfehlung geführt haben. Grundprinzipien ethischen Handelns in der Pflege Wille und Wohl der Bewohner stehen natürlich an erster Stelle in einer Ethischen Fallbesprechung. Aber ist das immer zu erkennen? Hier kann eine Orientierung an den Grundprinzipien pflegerischen und medizinischen Handelns helfen, Vorschläge und Maßnahmen abzuwägen und zu einer angemessenen Empfehlung zu gelangen. Medizinische und pflegerische Handlungen sollen • den Willen des Bewohners respektieren: Prinzip der Autonomie; GESUNDBRUNNEN 1 | 11 • zum Nutzen des Bewohners sein: Prinzip des Wohltuns; • keinen Schaden zufügen: Nicht-Schadens-Prinzip; • den Werten aller Betroffenen gerecht werden: Prinzip der Gerechtigkeit. Lösungswege für Frau K. Was hat der Beratungsprozess geleistet? In der Fallbesprechung berichtete der Sohn ausführlich über einschneidende Lebenserfahrungen seiner Mutter (langdauerndes Versterben des Ehemannes im Krankenhaus) und den Folgerungen, die sie daraus gezogen hat. Er konnte glaubhaft machen, dass sie mithilfe ihres Gemeindepfarrers eine „Christliche Patientenverfügung“ aufgesetzt hat, die ihr ein ähnliches Schicksal wie dem Ehemann ersparen sollte. Ärztin und Pflegekräfte sahen daraufhin eine wichtige Voraussetzung für eine PEG-Anlage (mutmaßlicher Patientenwille) als nicht mehr gegeben an. Die Einrichtungsleitung vergewisserte sich hierüber durch einen Anruf beim zuständigen Betreuungsgericht. Frau K. wurde dann so weit wie möglich oral versorgt und palliativ betreut. Sie verstarb nach 14 Tagen. Das sind die „hard facts“. Daneben sind aber auch die zwischenmenschlichen Faktoren nicht zu unterschätzen. Das Unbehagen an einer Situation oder einem Vorgehen kann und darf formuliert werden: • Wertvorstellungen, moralische Bedenken und Befürchtungen können ausgesprochen und besprochen werden; • Verstehen der Situation durch Darstellung aus unterschiedlicher Sicht; • Therapie- und Pflegeziele können hinterfragt und erklärt werden; • Unsichere Rechtsfragen werden erörtert; • Durch die Erhellung der Konflikte unter den Beteiligten entsteht emotionale Entlastung; • Praxisorientierte Entscheidungsfindung. Ergebnis Gut, dass sie drüber gesprochen haben. Aber nicht nur im Fall von Frau K. ist das nicht alles, was eine Ethische Fallbesprechung leisten kann. Sie kann auch helfen, dass sich die Pflegenden und die Einrichtung gegenüber Kontrollinstanzen wie dem MDK oder der Heimaufsicht absichern können. Das Ergebnis der Fallbesprechung wird – oft mithilfe eines Frage- und Protokollbogens – der allgemeinen Dokumentation beigefügt. Die Bereitschaft zum Konsens ist erstaunlich hoch, das ist die Erfahrung, die sich nach zahlreichen Ethischen Fallbesprechungen in den Einrichtungen der Ev. Altenhilfe Gesundbrunnen ergibt. Entscheidend trägt wohl der systematische Perspektivenwechsel zu dem die Methode einlädt, dazu bei.Bei allen Beteiligten entsteht eine erhöhte Achtsamkeit und mehr Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung. Karl-Heinz Risto 21 Ethik in der Altenpflege Ethik in der Altenpflege Auf dem Weg zu einer palliativen Pflegekultur Lebensqualität auch in der Sterbephase – das will die Evangelische Altenhilfe Gesundbrunnen in ihren Einrichtungen erreichen. In einer Broschüre stellt sie nun vor, wie der Weg zu diesem Ziel aussehen kann. „Auf dem Weg zu einer palliativen Pflegekultur“ ist der Titel des Heftes, das im März im Rahmen eines Fachtages einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Artikel von Fachleuten und Berichte aus der Praxis verdeutlichen anschaulich, was eine solche Kultur erreichen will. Palliativ bedeutet schmerzlindernd. Palliative Pflegekultur meint jedoch mehr. Es geht um die Gestaltung eines Umfelds, das in der Lage ist, die Bedürfnisse eines Menschen in seiner letzten Lebensphase wahrzunehmen und zu befriedigen – eine Herausforderung an Räume, Personal und Angehörige. Bis zuletzt zu Hause Wenn in der Zeitung zu lesen ist, wie viele Menschen in Deutschland im Krankenhaus oder im Altenheim sterben, löst das immer wieder große Betroffenheit aus. Schließlich ist bekannt, dass es ein weit verbreiteter Wunsch ist, nach Möglichkeit bis zum Lebensende in den eigenen vier Wänden zu bleiben. 22 Die Evangelische Altenhilfe Gesundbrunnen entwickelte ein Konzept: „Auf dem Weg zu einer palliativen Pflegekultur“ Die Broschüre kostet 7,50 Euro (zzgl. Versand) und ist erhältlich bei der Ev. Altenhilfe Gesundbrunnen, Brunnenstr. 23, 34369 Hofgeismar, Tel. 0 56 71 / 882 - 226, [email protected] Doch es muss kein Zeichen von Lieblosigkeit oder sozialer Kälte sein, wenn dieser Wunsch für 75 Prozent der Sterbenden nicht in Erfüllung geht. Wir sind ein Leben lang gewohnt, in Zeiten gesundheitlicher Krisen professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Und genau das tun die Familien, die für ihre schwer kranken und pflegebedürftigen Angehörigen Hilfe, Besserung oder wenigstens Linderung des Leidens in Krankenhäusern und Pflegeheimen suchen. Insofern sind Pflegeheime, wenn ein Mensch zuhause nicht mehr angemessen versorgt und betreut werden kann, der „richtige“ Ort für Schwerkranke und Sterbende, um sie bis zum Lebensende zu begleiten. Damit die Häuser der Evangelischen Altenhilfe Gesundbrunnen die „richtigen Orte“ für Schwerkranke und Sterbende sein können, haben wir langjährige Erfahrungen ausgewertet, aktuelles Fachwis- GESUNDBRUNNEN 1 | 11 sen ergänzt und die vielfältigen Kontakte genutzt, die zu Angehörigen, Ehrenamtlichen, Ärzten, Seelsorgern und Hospizgruppen schon bestanden, um ein Konzept zu entwickeln für eine palliative Pflegekultur. Jede Einrichtung kann nun überprüfen, was in der Praxis schon verwirklicht wird und welche Elemente es noch zu ergänzen und einzuführen gilt. Es geht dabei um eine kontinuierliche fachliche Verbesserung, aber vor allem um eine gemeinsame Haltung.“ (Barbara Heller in: Auf dem Weg zu einer palliativen Pflegekultur) ten und stationären Angeboten auch im ländlichen Raum eine Palliativversorgung sicher gestellt werden kann. In Fachartikeln geht es um Schmerztherapie, Mundpflege und um die Methode der ethischen Fallbesprechung, die eine Möglichkeit darstellt, Konflikte zu lösen oder wenigstens zu entschärfen. Die Aussegnung Verstorbener wird als Ritual einer Abschiedskultur beschrieben. Auch die historischen Wurzeln, die medizinischpflegeriche Entwicklungen und die Grenzen palliativer Pflege finden ihren Niederschlag im Heft. Eine Herausforderung Auf 58 Seiten werden in der Broschüre die Ziele dieser Kultur beschrieben und gezeigt, wie viel davon Einrichtungen der Evangelischen Altenhilfe Gesundbrunnen bereits erreicht haben. In verschiedenen Artikeln wird aufgezeigt, wie einzelne Einrichtungen sich auf die Herausforderung, Sterbende palliativ zu begleiten, eingestellt haben: bei der Gestaltung spezieller Räume und Wohnbereiche, mit der Erstellung besonderer Dienstpläne, durch den Ausbau von Netzwerken. So wird unter anderem am Beispiel des Hospiznetzes Waldhessen gezeigt, wie durch eine Vernetzung von ambulan- Wegpunkte auf sechs Seiten In einer sechseitigen Broschüren-Einlage werden nochmal die Wegpunkte hin zu einer Palliativen Pflegekultur kompakt wie in einem Leitfaden benannt. Aufgegliedert in verschiedene Themenbereiche werden die einzelnen Aspekte des Themas greifbar gemacht. Einrichtungen können sich so selbst überprüfen, einen IstStand analysieren und Ziele für die Weiterentwicklung ausmachen. „Die Einführung einer palliativen Pflegekultur verlangt jedoch noch mehr. Die Mitarbeiter aller an der Versorgung beteiligten Berufsgruppen brauchen fachliche Unterstützung GESUNDBRUNNEN 1 | 11 für die angemessene Begleitung von Schwerstkranken und Sterbenden. Was ist in der Betreuung zu beachten, etwa wenn Gespräche kaum noch möglich sind? Welche besonderen Bedürfnisse sind bei der Verpflegung zu berücksichtigen? Gibt es spezielle Anforderungen an Mitarbeitende in der Hauswirtschaft oder Haustechnik? Diese Art der Reflexion des eigenen beruflichen Handelns erscheint zuweilen aufwändig, führt jedoch zu einer besonderen, von uns gewünschten Qualität der Arbeit.“ (Barbara Heller in: Auf dem Weg zu einer palliativen Pflegekultur“) Auch Lehrinhalte und -wege werden beschrieben: Zum Beispiel, wie die palliative Begleitung in die Ausbildung von Fachkräften integriert ist, welche Fortbildungen am DAFZ angeboten werden – vom Zertifikatkurs Palliative Care über einen 40-stündigen Lehrgang „Palliative Begleitung alter Menschen“ bis hin zu Fortbildungen mit Spezialthemen wie etwa der Ernährung. Sie sollen Mitarbeitern helfen, besser auf die besonderen körperlichen, psychischen, sozialen und spirituellen Bedürfnisse der Betroffenen und ihrer nächsten Angehörigen eingehen zu können. Christiane Gahr 23 Ethik in der Altenpflege Ethik in der Altenpflege Sterbende sind Lebende Es ist in der Tat ein Wohnzimmer. Obwohl hier die Betten von sechs schwerstpflegebedürftigen, immobilen Demenzkranken in einem Raum stehen. Und obwohl es die letzte Station ihres Lebens ist. Die Pflegeoase im Ev. Altenhilfezentrum Haus Salem in Witzenhausen ist ein Ort der Gemeinschaft und darum ein Ort des Lebens. Rein optisch gesehen ist es die Wand, die den Raum zum Wohnzimmer macht. Sandfarbene Tapete mit dezent-rotem Muster, eine Uhr mit Pendel, eine Anrichte davor aus dunklem Holz. Darauf eine Orchidee, ein Bilderrahmen, ein Radio. Die Wand mag fünf Quadratmeter messen und steht frei im Raum. Sie verleiht diesem Teil des Zimmers eine gemütliche, heimelige Note – Wohnzimmer-Atmosphäre. Welcher Tag ist heute? Es ist der Teil der Pflegeoase, wo Gemeinschaft stattfindet. Hier steht der ovale Tisch, blickt man von den orangeroten Pflegesesseln aus auf die Terrasse. Hier sitzt Karin Stange mit drei Damen und einem Herrn in gelassener Runde und liest vor. Zuerst aus der Zeitung, so haben die Bewohner der Pflegeoase für heute entschieden. Danach werden sie das Märchen vom tapferen Schneiderlein hö- 24 ren und gemeinsam mit der Betreuerin singen. Sie lachen zusammen, auch wenn sie nicht wissen, welcher Tag heute ist, ob sie Besuch bekommen, warum sie eigentlich hier sind und vielleicht vergessen haben, wie die Frau neben ihnen am Tisch noch gleich heißt. Hier ist ihr Reich Zwei Plätze sind leer. Frau Wildner (Namen von der Redaktion geändert) kommt erst gegen Mittag an den Tisch, weil ihre Kräfte weiter nicht reichen. Bis dahin bleibt sie im Bett, das hinter weißen Schiebevorhängen unter einem Sternenhimmel steht. Hier ist ihr Reich: ein Schrank, ein Schränkchen gehören dazu und einige private Schätze. Das können die Fotos von Kindern und Enkeln sein, ein Teddybär oder ein Kalender. So wie sie hat jeder hier in diesem 110 Quadratmeter großen Raum sein Eckchen, wo er für sich sein kann und doch nicht allein ist. Sie hört die Stimmen der anderen, das Hereinkommen der Reinigungskräfte, das Gespräch beim Schichtwechsel, die Nachrichten aus der Tageszeitung, das Singen ihrer Mitbewohner. Wenn Frau Wildner gegen Mittag das Bett verlässt, erscheint sie in den Kleidern, die sie gerne trägt. Je nach Vorliebe ein Rock oder eine Hose, ein Pullover oder eine Bluse, dezent oder kräftig gefärbt. Sie wird an den Tisch geschoben, an dem es Mittagessen gibt. Monique Langlet isst mit. Sie ist eine von drei Pflegekräften, die sich bewusst für diesen Arbeitsplatz entschieden haben und von denen von morgens bis abends immer einer da ist. Sie hat im Blick, dass Frau Tennbusch heute noch nicht mehr als ein halbes Glas Saft getrunken hat. Sie merkt gleich, wenn einer ihrer Schützlinge unruhig wird oder Schmerzen bekommt. Dass die Pflegekräfte auf veränderte Bedürfnisse sofort reagieren können, ist Teil des Konzepts, das in der Schweiz entwickelt wurde. In der „Pflegeoase“ im Haus Salem in Witzenhausen begleitet man sterbenskranke Menschen mit Demenz Fast familiäres Konzept Patricia Hüther, Leiterin des Altenhilfezentrums, hat es für das Haus Salem entdeckt und zwei Jahre lang dafür gekämpft, bis die Pflegeoase im November 2007 als Modellversuch Wirklichkeit wurde. Sie hofft sehr, dass dieses kleinräumige, fast familiäre Konzept dauerhaft Bestand haben wird. „Das ist genau das, was wir für demente Bewohner brauchen“, sagt sie. Ab einem bestimmten Stadium suchen die Demenzkranken in diesem letzten Lebensabschnitt die Gemeinschaft. Und die finden sie in besonderer Form an diesem Ort, der nur zu einem Zweck eingerichtet ist: zum Wohlfühlen. Wohler fühlen sich die Bewohner beim Essen, wenn Monique Langlet nicht nur daneben sitzt. Wenn sie mitisst und zu Recht sagen kann, dass der Schokoladenpudding gut schmeckt, wenn sie Frau Langendorf zum Essen ermuntert. Wer hier sitzt, hat immer Gesellschaft. Auch weil die Pflegekraft hier zum Beispiel den Schreibkram erledigt und GESUNDBRUNNEN 1 | 11 GESUNDBRUNNEN 1 | 11 sagt: „Das mache ich bei Ihnen, und Sie passen auf, dass alles stimmt.“ Darum greift Frau Tennbusch nur hin und wieder nach dem langen weißen Frottee-Tuch, das sie zum Essen um den Hals trägt, und wischt damit hin und her über den sauberen Tisch. Meist hat sie anderes zu tun. Nach Tagesform und Kraft Inzwischen hat sich der Tisch geleert, haben sich die Bewohner in ihre Ecken zurückgezogen. Die eine früher, die andere später – je nach Tagesform und Kraft. Herr Müller schläft zur Zeit nebenan, in einem der beiden Ausweichzimmer. Das Ausweichzimmer kann auch Sterbezimmer sein. Wenn am Ende des Lebensweges viele Angehörige da sind oder wenn das Sterben mit großer Unruhe verbunden ist. Mancher Mitbewohner ist auch in seinem Eckchen in der Pflegeoase eingeschlafen. Aber das gehört dazu. An einem Ort wie diesem besonders. Auch weil es ein Ort des Lebens ist. Dr. Christiane Deuse 25 Personen Personen „Ich habe enormen Respekt vor alten Menschen“ Waltraud Lange (61) wuchs in Niedermeiser mit sechs Geschwistern auf. 1973 kam sie als Pflegehelferin ins Alte Else-Steinbrecher-Haus, im Oktober des Jahres begann sie am Gesundbrunnen ihre Ausbildung zur Altenpflegerin. Zum geriatrischen Krankenhaus am Krähenberg kam sie im Anerkennungsjahr und blieb dort 14 Jahre. Ab Mitte 1976 leitete sie die Station IVb. Nach einem Fernstudium der Evangelischen Erwachsenenbildung wurde Waltraud Lange 1990 angestellte Dozentin des Diakonischen Fortbildungszentrums am Gesundbrunnen. Heimleiterin des Neuen Brunnenhauses wurde sie 1996. 2003 übernahm sie das Qualitätsmanagement für den Heimbereich Hofgeismar und ein Jahr später für alle Häuser der Evangelischen Altenhilfe. Nach fast 38 Arbeitsjahren in der Altenhilfe am Gesundbrunnen, trat sie im Dezember vergangenen Jahres in den Vorruhestand. Zum Abschied erhielt sie die Gesundbrunnenmedaillie. Waltraud Lange hat zwei erwachsene Kinder. Sie singt gerne und schreibt Märchen. 26 Sie waren in der Evangelischen Altenhilfe als Pflegerin, Dozentin, Heimleiterin und QM-Beauftragte tätig – immer für etwa sieben oder aber zweimal sieben Jahre. Warum die vielen Wechsel? Wurde ihnen die Arbeit immer irgendwann langweilig? Waltraud Lange: Spätestens wenn ich den Eindruck hatte, jetzt kommen keine neuen Projekte, kein neues Kribbeln mehr, habe ich nach einer neuen Herausforderung gesucht. Am Krähenberg war viel Aufbauarbeit zu leisten. Erstmal musste ich mich als Anfängerin selbst fachlich festigen. Dann wurde ich Stationsleiterin mit der Aufgabe, ein Team zu leiten – für mich eine neue Sache. Ich habe aus dem Bauch heraus geleitet, manche Sachen haben geklappt und mit manchen bin ich auf die Nase gefallen. Bis ich durch Fortbildungen die theoretischen Kenntnisse hatte und merkte, das kann ich auch anders steuern. Es dauerte ein paar Jahre, dann hatte ich mein Team, das arbeitete eigenständig, hatte eine Struktur. Es gab sogar schon eine Kladde mit Ablaufregeln. Dann kam ein spannendes Projekt Anfang der 80er Jahre: die Pflegedokumentation. Die durfte ich mit aufbauen. Und als das dann lief, habe ich gedacht, jetzt kann mal was Neues kommen. Wie kamen Sie zur Evangelischen Altenhilfe? Lange: Ich hatte mit meinem Mann in Niedermeiser mit dem Bau eines Hauses begonnen, damit unsere beiden Kinder Platz hatten. Ich bin dann zum Arbeitsamt gegangen, die haben mich zur Altenhilfe geschickt. Bevor mein erstes Kind zur Welt kam, hatte ich eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester begonnen. Im März 1973 habe ich dann als Pflegehelferin im ElseSteinbrecher-Haus angefangen, wurde aber schon nach wenigen Wochen von Pfarrer Nöding angesprochen, ich solle doch die Ausbildung zur Altenpflegerin machen. Das habe ich dann auch gemacht. Wie war der Unterricht für Sie? Nach der Schwesternausbildung wussten Sie doch schon fast alles. Lange: Ja, vieles wusste ich. Aber es gab auch viel Neues. Mit alten Menschen umzugehen, ist was ganz anderes als mit Kindern. Hier ging es darum, Menschen individuell zu begleiten, die bereits ein Leben gelebt haben, auch wenn sie teilweise nicht mehr repräsentieren können, was sie mal waren. Ich wollte ja ursprünglich Kindergärtnerin werden. Erst in der Altenpflege habe ich gemerkt, dass das noch mehr mein Ding ist, GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Fast vier Jahrzehnte war sie für die Evangelische Altenhilfe Gesundbrunnen in verschiedenen Funktionen tätig. Mit einem Interview verabschiedet sich Waltraud Lange in den Ruhestand. arbeiten. Mir fehlten aber die theoretischen Voraussetzungen. Ich war keine Schulschwester. Durch ein Fernstudium in Evangelischer Erwachsenenbildung wurde ich Dozentin. Nach 37 Jahren in der Altenhilfe: Verabschiedung von Waltraud Lange (Mitte) durch Pfarrerin Barbara Heller und Dr. Dietrich Köhling weil ich mit Menschen zu tun habe, die mir gleichberechtigt oder sogar ein ganzes Stück voraus sind. Ich habe enormen Respekt vor alten Menschen. Und sie dabei zu unterstützen, auch im Alter ein selbstbestimmtes Leben zu führen, fand ich superspannend. Das stand auch im Mittelpunkt der Ausbildung. Später wurden Sie selbst Dozentin. Wie kam das? Lange: Das Fortbildungszentrum war 1986 gegründet worden, und ich hatte dort schon in einigen Kursen mitgearbeitet, zum Beispiel „Die Pflege von Schlaganfallpatienten“ – ein Schwerpunkt am Krähenberg. Ich habe gemerkt, die Wissensvermittlung liegt mir einfach. Von Pfarrerin Kutzbach wurde ich angesprochen, ob ich mir vorstellen könnte, im DFZ zu GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Die Lehre lag Ihnen, warum dann der Wechsel zur Heimleiterin im Neuen Brunnenhaus? Lange: Erwachsenenbildung ist etwas Spannendes. Erwachsene bringen Erfahrungen mit, daran lässt sich anknüpfen. Für mich ging nur das: aus der eigenen Erfahrung lernen. Die Ziele in der Pflege sind klar, aber den eigenen Weg dahin muss jeder selbst finden. Ich habe mich als Mitsuchende verstanden, die aus eigener Erfahrung unterstützen kann. Aber nach einigen Jahren habe ich gemerkt, ich kann nicht mehr mitreden. Es war die Zeit des Umbruchs zu einer aktivierenden Pflege. Die Praxis fehlte mir jetzt. Dann kamen 1996 mit dem Pflegeversicherungsgesetz eine neue Pflegedefinition und neue Einstufungen. Das war eine Herausforderung. Da wollte ich bei der Umsetzung mit dabei sein. Deshalb habe ich mich als Heimleiterin beworben. Waren Sie als Heimleiterin auch die Mitsuchende? Lange: Grundsätzlich ja. Aber hier war meine Aufgabe die Förderung der Wohnbereichsleitungen, sehr individuell mitunter. Die eine hatte Schwierigkeiten, den Dienst so zu strukturieren, dass sie mit den vorgegebenen Stunden auskam. Einer anderen musste ich eher vermitteln, dass die Mitarbeiter keine Roboter sind, sondern Menschen, die sie wertschätzen muss. Und es gab viel zu verwalten, bei einem Haus mit 100 Bewohnern und 70 Mitarbeitern. Zu viel. Aber die Stelle habe ich nicht freiwillig aufgegeben. 2002 hatte die Geschäftsleitung entschieden, die Heimleitungen in Hofgeismar aufzugeben und eine Gesamtleitung einzurichten. An die Spitze der Häuser sollte eine Pflegedienstleitung und die Wohnbereichsleitungen sollten abgeschafft werden. Das war nicht einfach und hat viel Unmut erzeugt. Für mich hat es sich gut gefügt: Es wurde eine Beauftragte für das Qualitätsmanagement gesucht. Gut gefügt als Qualitätsmanagement-Beauftragte? Wollten Sie sich unbeliebt machen? Lange: Ich hatte überhaupt keine Sorge, mich unbeliebt zu machen. Mein Vorteil war, ich war ja durch meine Jahre im Fortbildungszentrum in allen Häusern bekannt wie ein bunter Hund. Dort sind ja fast alle 27 Personen Personen „Ein Jahr für mich und für andere“ Mitarbeiter mal gewesen. Und die EAG hat eine hohe Personalbeständigkeit. Da wussten also viele, was meine Herzensangelegenheit ist: Dass es den Mitarbeitern gut geht, damit sie gute Arbeit machen können. Dass ihre Arbeit einen Rahmen hat, damit sie ihre Ziele erreichen können. Dass sie das prüfen können und sagen können, ich gehe zufrieden nach Hause. Das Qualitätsmanagement war anfangs sehr umstritten. Zu Recht? Lange: Nur zum Teil hätte man es anders machen können. Die Einführung von neuen Strukturen ist immer unbeliebt, aber ich hätte mir einem Vorlauf gewünscht, in dem die Mitarbeiter motiviert werden. Es ist viel Abwehr entstanden, weil den Mitarbeitern nicht klar geworden ist, was sie von einem QMS haben. Sie haben viel Arbeit damit erlebt, ohne zu wissen, was ihnen das bringt. Wo liegen die Vorteile von Qualitätsmanagement? Lange: Die täglichen Rangeleien um die Frage, was ist wie richtig, die haben sie zwangsläufig, wenn sie in einem Team arbeiten. In Grenzen können sie das vermindern, indem ein Team ganz rigoros geleitet wird. So war das ja früher die Regel. Es 28 heißt immer, es war früher familiär. Das stimmt auch. Aber der Hausvater hieß ja nicht umsonst „Vater“. Der sagte, was ist, und die Kinder machten oder machten auch nicht – wie in der Familie. QM schafft dagegen eine Struktur, innerhalb derer die Mitarbeiter viel mehr Sicherheit im Handeln gewinnen können. Sie haben in der Altenhilfe gepflegt, geleitet, gelehrt, verwaltet und beraten. Was taten Sie am liebsten? Lange: Da habe ich oft drüber nachgedacht. Wenn ich mich jetzt entscheiden müsste, dann steht an erster Stelle meine Arbeit am Krähenberg. Die Arbeit in der Rehabilitation fand ich für mich am erfüllendsten. Hier ging es ganz konkret darum, mit den Menschen, die etwa durch einen Schlaganfall aus ihrem Leben gerissen wurden, persönlich herauszukriegen: Wie kannst du mit deinem Handicap ein Leben führen, mit dem du wieder zufrieden sein kannst? Ein super spannender Prozess. In der Pflege dieser Menschen waren die Erfolge erfahrbar. Die Pflege war aber in allen meinen Tätigkeiten immer mein Schwerpunkt geblieben. Alte Menschen zu unterstützen, ein menschenwürdiges, möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen, dieses Ziel war immer die Grundlage. Ich hätte auch keine andere Arbeit machen wollen. Gibt es etwas, dass Sie als Ihr schönstes Erlebnis ansehen? Lange: Es gab viele schöne Erlebnisse. Das schönste? Sie sind auch so unterschiedlich. Schön fand ich, wenn es gelungen ist, jemanden ein Stück weiter zu bringen. Zu sehen, wie selbstbewusst sie dann wieder werden, wie die ganz anders dastehen, so gerade. Ich kann das nicht auf ein Erlebnis festlegen, egal ob es jetzt Bewohner waren oder Mitarbeiter oder eine am Boden zerstörte Angehörige. Ganz schön auf einem ganz anderen Gebiet war das Theater spielen. Es gab mal so eine Theatergemeinschaft, das war auch am Krähenberg. Wir haben zu Weihnachten oder zu Mitarbeiterfeiern kleine Stücke vorgespielt, das habe ich auch sehr gern gemacht. Fragen: Roland Müller Lea Müller absolviert ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Albert-Klingender-Haus in Hofgeismar. Für einen Motto-Tag unter dem Titel „freiwillig etwas bewegen“ schrieb sie diesen Also bewarb ich mich beim Zentrum für Frei- Bericht. Die Schule war zu Ende, aber der Ausbildungsbeginn erst in einem Jahr – wie sollte ich diese Zeit am sinnvollsten überbrücken? Die Lösung war ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ). Und zwar am besten in meinem zukünftigen Beruf, der Altenpflege. willigen-, Friedens- und Zivildienst in Kassel für ein FSJ, und gleichzeitig auch bei der Evangelischen Altenhilfe in Hofgeismar. Ich wollte durch das FSJ neue Erfahrungen sammeln und herausfinden, ob meine Entscheidung, eine Ausbildung als Altenpflegerin zu machen, die richtige ist. So kam ich in das Albert-Klingender-Haus der Evangelische Altenhilfe Hofgeismar. Dort bin ich von meinen neuen Kollegen sehr freundlich aufgenommen worden. Meine Aufgabe ist es, den Tagesablauf der Bewohner zu begleiten. Morgens hole ich sie aus dem Bett, helfe ihnen beim Waschen und Anziehen, begleite sie zum Frühstück. Bewohner, die es alleine nicht können, reiche ich das Essen und Trinken. Bei einigen Bewohnern wird der Blutdruck gemessen, diese Aufgabe darf ich unter Aufsicht einer Pflegefachkraft übernehmen. Zwischendurch betreue ich die Bewohner, lese mit ihnen, wir spielen zusammen oder gehen bei schönem Wetter spazieren. Ich mache Früh- und Spätschicht, wöchentlich im Wechsel. Alle 14 Tage arbeite ich auch an den Wochenenden. Das FSJ ist nun bald zu Ende. Ich habe in diesem Jahr viel über andere, aber auch über mich gelernt. Während dieser Zeit stellte ich fest, wie dankbar die Bewohner sind, wenn man für sie da ist, ihnen Hilfe und Betreuung anbietet. Man lernt aber auch mit Demenz und mit Sterbenden umzugehen. GESUNDBRUNNEN 1 | 11 GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Verena Brockhaus und Lea Müller In diesem Jahr konnte ich nicht nur anderen Menschen helfen, sondern auch sie haben mir geholfen, mich weiter zu entwickeln, meine eigene Persönlichkeit zu stärken. Meine Entscheidung, Altenpflegerin zu werden, hat sich als richtig erwiesen. Es ist ein Jahr für andere, aber auch ein Jahr für mich gewesen. Lea Müller 29 Archiv Archiv Von Feinden und Freunden alter Papiere Der Archivar kämpft gegen Staub und Licht, um seine Schätze für die Nachwelt zu erhalten. Auch die Bestände der Evangelischen Altenhilfe Gesundbrunnen müssen fachgerecht gesichert werden. Jahr der Erstanschaffung einer Schreibmaschine) bis etwa Mitte der 1950er Jahre bestand. In den Ordnern befanden sich wieder einzelne Akten, wie die von Pfarrer Weiß. In diesem Zustand ließen sich die Akten aber nicht archivieren. Archivaufbau ist zuerst Sucharbeit. Für die evangelische Altenhilfe führte die Siche in die Gebäudekeller am Gesundbrunnen. Der Leiter des technischen Dienstes, Herr Kosniowski, scheute dabei auch nicht die dunkelsten Winkel und fand so die Aufnahmebücher des Männerheims II, die in einem Schrank verborgen waren, deren Tür sich Dank einer Versorgungsleitung nur einen Spalt breit öffnen ließ. Im Keller des Verwaltungsgebäudes lagen normale Ordner, wie der abgebildete mit der Nummer 1 und dem Titel: „Personal“. Von diesen gab es 20 Stück in einer Ordnung, die von 1924 (dem 30 Archivaufbau ist Reinigungsarbeit. Denn zu den Feinden von Papier zählen: Staub, nebst allen Viechern, die sich darin wohlfühlen. Dagegen wurden diese Ordner, die Akten und Papiere abgesaugt und mit unterschiedlichsten Bürsten abgestaubt. Zu den Feinden von Papier zählen auch: rostendes Metall, ausdünstendes Plastik und Säure etwa in den Aktendeckeln. Dagegen mussten die Schriften aus den Akten herausgenommen und in einen neuen nichtsauren Aktendeckel mit einer Plastikbindung, die nicht ausdünstet, umgebettet werden. Metall und Plastik musste entfernt werden. Und weil es sehr viele verschiedene Tackerklammern gibt, kamen auch verschiedene Entklammerer zum Einsatz und wenn nichts anders half, dann eine Spatel. Zu den Feinden von Papier zählt auch das Licht. Deshalb kamen die Akten zuletzt in einen – selbstverständlich säurefreien – Archivkartoon. Das ist der bewahrende Teil eines Archivaufbaus. Genauso wichtig aber ist die Nutzung. Sie wollen zum Beispiel etwas über Pfarrer Weiß wissen. Dafür schauen Sie zunächst in das sogenannte Findbuch, in dem alle Akten eines Bestandes verzeichnet sind. Sie schauen in die Gliederung dieses Buches, sehen dort: „Personalangelegenheiten – Pfarrerinnen und Pfarrer“ und blättern dorthin. Sie kennen nun die Bezeichnung der Akte Weiß: „ArchEAG, H-A/4“. Ausgeschrieben: Archiv der Evangelischen Altenhilfe Gesundbrunnen, Bestand Hofgeismar A, Akte Nr. 4. So könnten Sie die Akte nun zur Ansicht bestellen. Das Findbuch sagt Ihnen aber noch mehr. Es nennt Ihnen den Zeitraum, den die Akte abdeckt. In dem Beispiel ist es „1943 (1945)“. Das bedeutet zu Pfarrer Weiß enthält die Akte nur Schriften aus dem Jahr 1943. Einzelne Dokumente stammen aus dem Jahre 1945, haben aber mit Weiß nichts zu GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Das Archiv ist angekommen Sitz des Archivs ist das alte Albert-Klingender-Haus in Hofgeismar Das Archiv der EAG hat seit Februar diesen Jahres eigene Räume: Ein Magazinraum für die fertigen Akten, ein Bearbeitungsraum für die Akten und ein Leseraum. Sie liegen im ersten Stock des alten AlbertKlingender-Hauses (im alten Männerheim 2) im ehemaligen Marstall, also in dem Gebäude, in dem die Altenpflegeschule heute ihre Unterrichtsräume hat. tun, deshalb steht diese Jahreszahl in runder Klammer. Im Findbuch wird auch der Inhalt der Akte grob beschrieben. Sie wissen jetzt, wenn Sie sich nicht gerade für die Beerdigung von Pfarrer Weiß interessieren, finden Sie dort nichts. Solche Enttäuschungen sind normal, wenn man mit Archivgut arbeitet. Sind Sie flexibel, würden Sie sich jetzt einfach für Pfarrer Möhl interessieren. Denn bereits an den Laufzeiten der beiden Möhl-Akten („1898-1928“ und „1927-1930“) erkennen Sie, dass diese Akten etwas mehr zu bieten haben. Roland Müller GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Arbeitsgeräte eines Archivars: Pinzetten, Pinsel und Gummihandschuhe gehören unbedingt dazu 31 Friedhof Friedhof Bezahlt hat die Anfertigung dieser Erinnerungskreuze die Verwaltung des Hessischen Siechenhauses unter Vorsitz von Pfarrer Fürer. In seinem Auftrag kümmerte sich die Gärtnerei der Einrichtung auch um die Pflege der zugehörigen Gräber. Und das bei einem viel kleineren Haushaltsvolumen als heute! Die gesetzlichen Vorgaben und die Anforderungen der Geldgeber waren damals längst nicht so eng und ließen eine derartige Großzügigkeit noch zu. Die, die wegen Alter oder Krankheit in den Heimen am Gesundbrunnen zusammen gewohnt hatten und dort auch gestorben waren, sollten nach ihrem Tode nicht in Vergessenheit geraten! Das Rätsel der Sandsteinkreuze Auf dem Friedhof Gesundbrunnen, im Bereich der Rasengräber rechts von der Kapelle, steht seit einigen Monaten ein besonderes Denkmal: Sieben Kreuze aus Sandstein, schulterhoch, zu einem Halbkreis angeordnet, davor eine Bank. In die Kreuze sind Namen eingemeißelt, viele Namen. Manche kommen einem bekannt vor, andere sind fremd. Einige sind auch schon ganz verwittert, so dass man sie nicht mehr lesen kann. Außerdem trägt jeder Stein oben eine Jahreszahl, die früheste „1951“ die letzte „1955“. Was bedeutet dieses Denkmal? An wen erinnern die Namen? Früher standen die Sandsteinkreuze an verschiedenen Stellen des Friedhofs. In den siebziger Jahren wurden sie an der Stelle, wo sie sich jetzt befinden, nebeneinandergelegt. Die Ruhefrist der Verstorbenen, deren Namen aufgeführt sind, war ja abgelaufen, der Platz wurde anderweitig gebraucht. Außerdem waren die Kreuze nicht mehr standfest. Seit sie im Gras lagen, aber wuschen Regen und Schnee die eingemeißelten Namen und Jahreszahlen aus. Gras und Zweige legten sich darauf. Die Steine fingen an zu bröckeln. 32 Ihre Form gleicht anderen, die auf diesem Friedhof anzutreffen sind: Flache Sandsteinkreuze, die inneren Winkel leicht abgerundet. Aber während die anderen den Namen eines Pfarrers enthalten, der im Dienst einer kirchlichen Einrichtung am Gesundbrunnen stand, oder den eines früheren Mitarbeiters der Evangelischen Altenhilfe, enthalten diese zwanzig und mehr Namen. Gab es damals im jährlichen Abstand Epidemien, die so viele Menschen hinrafften? Haben Unfälle oder Naturkatastrophen zum Tod der Menschen geführt? Sind hier vielleicht späte Kriegsopfer in Massengräbern begraben? Nichts dergleichen! Die aufgeführten Namen beziehen sich auf Bewohner des Hessischen Siechenhauses, wie die Evangelische Altenhilfe damals hieß. Sie waren oft zu arm, um einen eigenen Grabstein zu bezahlen. Deshalb wurden die mittellosen Heimbewohner, die im Laufe eines Jahres gestorben und meist auch nebeneinander beigesetzt waren, auf einem gemeinsamen großen Grabkreuz erwähnt. Im nächsten Jahr gab es an anderer Stelle dann ein neues Sandsteinkreuz. GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Die im September vorgenommene Aufstellung der alten Sandsteinkreuze und ihre Anordnung zu einem gemeinsamen Denkmal knüpft an diese Tradition an. Je zur Hälfte haben sich die Friedhofsverwaltung und die Evangelische Altenhilfe die Kosten geteilt. Der Bereich, der für die pflegeleichten Rasengräber zur Verfügung steht, soll- te durch einen geeigneten Blickpunkt aufgewertet werden. Die Altenhilfe konnte dafür auf ein Spendenkonto zurückgreifen, das als „Inge-MellFonds“ besteht und mehr als genug Geld enthielt. In diesem Fonds werden seit längerem Spenden angesammelt, die für eine würdevolle Bestattung auch völlig mittelloser Heimbewohner herangezogen werden können. Mit seinem Namen erinnert der Fonds an eine geistig behinderte Frau, die über fünfzehn Jahre im Andreas-Möhl-Haus wohnte und in dieser Zeit vielen noch schwächeren Heimbewohnern geholfen hat. Als sie starb, gab es keinerlei Ersparnisse, noch konnten Angehörige für die Kosten eines anständigen Begräbnisses eintreten. Eine spontane Spendenaktion unter Mitarbeitern und Bewohnern ermöglichte, dass sie ihrer christlichen Einstellung entsprechend feierlich beerdigt wurde. Friedemann Seiler, freier Autor, bis zum Ruhestand Pfarrer im Heimbereich Hofgeismar „Mit Fried und Freud ich fahr dahin“ – Protestantische Begräbniskultur Ein Skelett mit Sense in der Linken öffnet mit der anderen Hand einen Vogelkäfig und der Vogel steigt aus einer Waldrandidylle in den Himmel auf. So zeigt es ein Gemälde auf der kupfernen Gedenktafel der Johanna Henriette Francke aus der Mitte des 18. Jahrhundert: Der Tod ist hier der Befreier aus einem die Seele beengenden Leben. Wie eine Ausstellung des Museums für Sepulkralkultur in Kassel zeigte, rückte die Reformation die Person des Verstorbenen ins Zentrum einer Beerdigung. Drängten sich zuvor die Toten in größtmöglicher Nähe zu den schützenden Heiligen in den Kirchen und um sie herum, so konnten die Reformatoren ungerührt dem Rat der Mediziner folgen, die angesichts der Pest Friedhöfe außerhalb der Orte GESUNDBRUNNEN 1 | 11 empfahlen. Luther stellte sich einen solchen Friedhof als einen „feinen, stillen Ort“ vor, „wohin man mit Andacht gehen und stehen kann“. An Epitaph vom Grab der Johanna Henriette Francke (Halle, 18. Jh.) den umgebebenden Wänden könne man „andachterweckende Bilder und Gemälde malen lassen“. Aus solchen Friedhofsmauern wurden im Laufe der Zeit Arkadenhallen und Grufthäuser für die Reichen. Biblische Szenen und Verse neben den Familiendarstellungen erinnerten noch pflichtschuldig an Luthers Bildungsauftrag. Niederes Volk wurde im Inneren der Friedhöfe meist ohne Grabzeichen begraben. Särge waren der Ort für traumlosen Schlaf, wer es konnte, ließ sie deshalb bequem auskleiden. Bis zum 4. September sind im Sepulkralmuseum derzeit unter dem Titel „Schauspiel des Tatsächlichen“ Katastrophenfotos zu sehen, die der mexikanische Fotograf Enrique Metindes für Zeitungen machte. Geöffnet: Di-So 10-17 Uhr, Mi bis 20 Uhr. 33 Ausstellung Freunde und Förderer „Lebenslinien – Bilder des Alters“ Liebe Freunde und Förderer, mit dieser Ausgabe haben wir die Seiten, auf denen wir über die Aktivitäten des Freundes- und Fördererkreises informieren, neu gegliedert. In der Rubrik „Freunde und Förderer“ berichten Menschen, warum sie Mitglied im Freundes- und Förderkreis sind und welche Projekte ihnen besonders am Herzen liegen. Auch über die Mitgliederentwicklung informieren wir Sie, stellen Ihnen neue Mitglieder vor. „Gesundbrunnen“, denn diese wird unseren Mitgliedern und Spendern kostenfrei zugestellt. Schirmherr oder Schirmherrin gesucht Für Ihre Unterstützung bedanke ich mich auch im Namen der Bewohner und Mitarbeiter, und freue mich über Ihr Interesse an unserer Arbeit. Neun neue Mitglieder haben sich dem Freundes- und Förderkreis seit Januar 2011 angeschlossen. Eine gute Nachricht, denn wir brauchen Fördermitglieder, damit die hilfreichen sozialen Angebote weitergeführt werden können. Herzlichst Ihr Martin Bleckmann Unter dem Motto „Nachgeschaut“ schreiben Spender über bestimmte Förderprojekte, die sie unterstützt und vor Ort selbst besucht haben. Darüber hinaus informieren wir unter der Überschrift „Wir sagen DANKE“ auch weiterhin über Projekte, die dank Ihrer Unterstützung durchführt werden können. „Lebenslinien – Bilder der Alltags“, so heißt eine Ausstellung, die ab dem 18. Juni 2011 im Altenzentrum Hospital in Bad Hersfeld (Hospitalgasse 1 - 3) zu sehen ist. Es handelt sich dabei um Portraits, die der aus Finnland 34 stammende Kasseler Fotograf Paavo Blåfield für die Evangelische Altenhilfe Gesundbrunnen gemacht hat. Sie entstanden im Evangelischen Altenhilfezentrum in Ahnatal, im Altenzentrum Hospital in Bad Hersfeld und im Hospiz Kassel, alles Einrichtungen der Evangelischen Altenhilfe Gesundbrunnen. Die Bilder sind im neu gestalteten Foyer des Hauses zu sehen. Heimleiter Ronald Loot und sein Team freuen sich auf Besucher! GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Dieser Zeitschrift haben wir zu Teilen einen neuen Abschnitt im Mittelteil beigefügt. Wenn Sie ein besonderes Projekt fördern möchten, einmalig oder regelmäßig, finden Sie dort einen geeigneten Vordruck. Ebenso, wenn Sie noch nicht Mitglied im Freundes- und Förderkreis sind, es aber gern werden möchten. So sichern Sie sich auch weiterhin den Bezug der Zeitschrift GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Sie können konkret und spürbar helfen: Werden Sie „Schirmherr oder Schirmherrin“ für ein besonders Angebot. Spenden Sie für eine Therapieeinheit – vielleicht in der tiergestützten Therapie, mit einer direkten Spende oder über den Mitgliedsbeitrag des Freundes- und Förderkreises. Martin Bleckmann ist bei der Ev. Altenhilfe Gesundbrunnen zuständig für den Bereich Spenden und Fundraising. Er ist auch Vorsitzender der Freundes- und Förderkreises. Und das Besondere für Sie: Als Fördermitglied senden wir Ihnen zweimal im Jahr kostenfrei unsere Zeitschrift Gesundbrunnen zu, und laden Sie zu unserem jährlichen Dankeschön-Fest nach Hofgeismar ein. Sie werden gebraucht und wir freuen uns auf Sie - Werden Sie Schirmherr oder Schirmherrin für die gute Sache, nach dem Motto: „Helfen, wo Hilfe gebraucht wird.“ 35 Freunde und Förderer Freunde und Förderer „Die gehören dort eigentlich nicht hin – aber mir gefällt das“ Christa Wegner hat über Jahrzehnte als Lehrerin an der Altenpflegeschule in Hofgeismar gearbeitet und ist seit 26 Jahren Mitglied im Freundesund Förderkreis dies klar und mit überzeugenden Worten: Das Wissen, wie sehr Bewohnern und Mitarbeitern diese Hilfe zugute kommt. Christa Wegner betrachtet die Margeriten auf ihrem Rasen. Zwei Inseln haben sich dort gebildet – haben sich selbst durch Flugsamen ausgesät. „Die gehören dort eigentlich nicht hin“, sagt sie. „Aber ich will auch keinen Golfrasen haben – und mir gefällt es.“ Während unseres Gesprächs denke ich immer wieder: Ja, das ist eine Haltung, die charakteristisch für sie ist: Die Dinge in ihrer Gestalt annehmen und wertschätzen. Seit über 26 Jahren gehört Christa Wegner zum Kreis der Freunde und Förderer der Evangelischen Altenhilfe. Was hat sie damals veranlasst, dem Förderkreis beizutreten? Sie begründet 36 Sie weiß, wovon sie spricht. Fast 20 Jahre – von 1978 bis 1997 – war sie Lehrerin für Pflegeberufe an der Altenpflegeschule der Evangelischen Altenhilfe Gesundbrunnen. Sie weiß um die oft hehren Beweggründe der Menschen, die die Ausbildung zur Altenpflegefachkraft wählen. Sie kennt die befriedigenden und auch die schweren Momente, die in der anspruchsvollen Arbeit auftreten. Sie beobachtet die Entwicklungen in der Altenpflege und sieht, dass immer mehr Menschen an Demenz erkranken, und dass sie mit besonderer Fürsorge und speziellen Fachkenntnissen versorgt werden müssen. Früher, als sie in der beruflichen Verantwortung stand, wollte sie mit der Unterstützung des Freundes- und Förderkreises zeigen: Ja, ich setze mich auch an dieser Stelle für unsere Arbeit ein. Heute ist es die praktische Unterstützung für Bewohner und Mitarbeiter, die für sie im Vordergrund steht. Sie weiß, dass es eine Vielzahl von Angeboten gibt, die ohne die Unterstützung der Freunde und Förderer nicht finanzierbar wären, gerade auch Projekte für demenziell erkrankte Bewohner. Darin sieht sie auch eine besondere Form der Unterstützung für die Arbeit der Mitarbeiter. Die Projekte, die gefördert werden und den Bewohnern zugute kommen, sind immer auch Ausdruck von Wertschätzung für die Mitarbeiter. Schließlich sind sie oft aus Projektideen der Mitarbeiter entstanden, sagt sie. Besonders am Herzen liegen ihr dabei die Gartenprojekte, ist sie doch selber der Natur und ihrem Garten verbunden. Wie auch die Bewohner oft früher eng mit der Gartenarbeit verbunden waren. So hat jedes Projekt seine eigene Bedeutung und Wirkung. So wie die Margeriten auf dem Rasen. Martin Bleckmann GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Die Liebe zur Musik und ein Vermächtnis Duch Ihre Spenden ermöglicht: Musiktherapie im Albert-Klingender-Haus Ein Leben lang führte eine geübte Hand den Bogen über die Geige – Johanna Wissmann war examinierte Geigenlehrerin und Berufsmusikerin. Ihr Beruf, ihre Berufung war es, als die Liebe zur Musik und zum Instrument weiterzugeben. Auch im Ruhestand, später in ihrem Zimmer im Albert-Klingender-Haus in Hofgeismar, spielte sie oft auf ihrem Instrument. Sie lebte die Liebe zur klassischen Musik – auch als die Kräfte spürbar nachließen. Bald schon konnte sie die geliebte Violine nicht mehr spielen, so wurde aus der aufmerksamen Musikerin eine noch aufmerksamere Zuhörerin. Jeder, der an ihrem Wohnraum vorbeikam, konnte klassische Musik von Beethoven, Vivaldi und ihrem Lieblingskomponisten Wolfgang Amadeus Mozart vernehmen. Neun Jahre, von August 2001 bis zu ihrem Tod im Herbst 2010, lebte Johanna Wissmann im Albert-Klingender-Haus. Ihre Kinder, ihre Familie und ihre Freunde griffen die Liebe zur Musik auf: Anlässlich ihrer Beerdigung baten sie um Spenden für die Evangelische Altenhilfe, Spenden für musiktherapeutische Angebote. Mit großem Erfolg: Über 1.000 Euro kamen zusammen. Jetzt konnte Winfried Groh, Pflegedienstleiter im AlbertKlingender-Haus, den Wunsch der Verstorbenen und der Spen- Der Geige galt Johanna Wissmanns Liebe der umsetzen: Ab Juni 2011 gibt es ein regelmäßiges musiktherapeutisches Angebot im AlbertKlingender-Haus. Und so wirkt die Liebe zur Musik, in der und mit der Johanna Wissmann gelebt hat weiter. Dank gilt allen Spenderinnen und Spendern, die dies ermöglicht haben. Ethik im Freundes-und Förderkreis – Wir haben ein besonderes Verhältnis Als Vorstand der Freunde und Förderer ist es uns eine Verpflichtung, das Geld, das Sie uns mit ihren Spenden anvertrauen, sorgsam und wirksam für die Bewohner einzusetzen. Die Grundsätze, nach denen wir dies tun, lassen sich benennen. Wir fühlen uns einem christlichen Menschenbild verpflichtet, und darüber hinaus orientieren wir uns an den ethischen Grundregeln für das Spendenwesen des Deutschen Fundraising Verbandes, dem ich als Mitglied angehöre. Dieser hat 19 Grundregeln formuliert (vgl. www. fundraising.de), von denen ich drei benennen möchte: 1. Transparenz: Wir treten als Vorstand dafür ein, dass unser Wirken jederzeit für Sie transparent ist und sind jederzeit zur Rechenschaft über unser Tun als Vorstand der Freunde und Förderer bereit. GESUNDBRUNNEN 1 | 11 2. Datenschutz: Wir geben uns anvertraute Informationen oder Daten ohne Einverständnis der Betroffenen nicht an Dritte weiter. 3. Verwendung der Mittel: Wir setzen uns für die ordnungsgemäße, effiziente und effektive Verwendung der eingeworbenen Spendenmittel ein. Ja, wir haben ein besonderes Verhältnis: Durch ihre Spenden sind wir in der Lage, für die Bewohner der Ev. Altenhilfe Gutes zu tun. Dies ist uns eine Verpflichtung. Ihnen, den Bewohnern und Mitarbeitern gegenüber. Matrin Bleckmann, 1. Vorsitzender 37 Freunde und Förderer Freunde und Förderer Kalte Schnauze und Petticoats Ein Abend der besonderen Art war das Jahrestreffen der Freunde und Förderer im Februar Mit Schaschlik, Hawaii-Toast und Buttercremetorte nahm der kulinarische Rahmen des Jahrestreffens der Freunde und Förderer der Ev. Altenhilfe Gesundbrunnen im Februar diesen Jahres eine entscheidende Rolle ein: Chefkoch Reiner Schweißhelm und sein Team sorgten für Original-Fünfziger-Jahre-Flair auf dem Teller. Ganz nach dem Motto der Dankeschön-Veranstaltung „Pack die Badehose ein“ war aber auch für optische und akkustische Abwechslung gesorgt. Susanne Baake, verantwortlich für die Festhalle, verzauberte mit einer bunten 50er JahreDekoration den Saal: Da lag der Rührfix neben einem Filmplakat Der burts Ein Mensch kriegt eine schöne Torte. Drauf stehn in Zuckerguß die Worte: „Zum heutigen Geburtstag Glück!“ Der Mensch ißt selber nicht ein Stück, Doch muss er in gewaltigen Keilen Das Wunderwerk ringsum verteilen. Das „Glück“, das „heu“, der „Tag“ verschwindet, Und als er nachts die Torte findet, Da ist der Text nur mehr ganz kurz. Er lautet nämlich nur noch: .. „burts“.. Der Mensch, zur Freude jäh entschlossen, Hat diesen Rest vergnügt genossen. Eugen Roth 38 Wir sagen Danke Für die Gesundheit in die Pedale treten Was in Steinbach-Hallenberg seit sechs Monaten regelmäßig „getreten“ wird, ist ein Trainingsgerät namens MOTOmed: Es dient dazu, spielerisch die Beweglichkeit aufrechtzuerhalten oder zu verbessern. Herz, Kreislauf und Stoffwechsel werden angeregt und trainiert. Nach eigenem Fahrplan können die Bewohner sich – auch aus dem Rollstuhl heraus – an das Gerät setzen und in die Pedale treten. Ob mit leichter Unterstützung durch einen Motor oder nur mit Muskelkraft. So kann die Muskelkraft selbstbestimmt trainiert werden. Welf Kerner (am Flügel) und Martin Bleckmann sangen Evergreens mit Peter Alexander oder Peter Kraus, im Ausschank gab es Eierlikör und Kröver Nacktarsch. Freiwillige und fleißige Hände sorgten aufmerksam und mit Übersicht dafür, dass auf den Tischen rechtzeitig auf- und abgedeckt wurde und hinter den Kulissen alles planmäßig lief. Zu ihnen gehörten auch die Assistentinnen der Geschäftsleitung Annette Humburg und Bianca Hense, die in stilechten Kostümen für ein Glanzlicht des Abends sorgten: In einem kleinen Sketch führten sie vor, was passiert, wenn Welten aufeinanderprallen. Als Mütter verglichen sie Kindheit in den Fünfzigern und heute geht: Sozusagen Lederhose und „HinkeKästchen“ gegen Tennisstunde und Computerspiele. Moderiert von Christiane Gahr, ebenfalls stilecht in Petticoat und Häkeljäckchen, sorgte Welf Kerner für die musikalische Zeitreise: Am Flügel spielte und sang er Evergreens von Lolita bis Ivo Robic, zeitweise unterstützt von Martin Bleckmann, der mit „Man müsste nochmal Zwanzig sein“ oder „Man müsste Klavier spielen können“ die Vortragskunst der Fünfziger wieder aufleben ließ. Gedichte und Geschichten von Heinz Erhard und Eugen Roth lockerten Zwerchfell und Stimmung, und spätestens als zum Ausklang des Abends spontan Besucherin Ilse Hancken auf die Bühne kam und den „burts“ von Eugen Roth vortrug, war klar: Engagement und Freude an der Sache stecken an. GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Training mit dem MOTOmed Heimleiterin Petra Unkart beobachtet, dass sich oft kleine Gruppen zusammenfinden, um unter Anleitung gemeinsam zu trainieren. Wie nach einer Trainingsfahrt wird über die Vorzüge des Geräts gefachsimpelt – und auch, wie viele Kilometer zurückgelegt wurden. Damit wird das Trainingsgerät zum Treffpunkt. Das MOTOmed ist fester Bestandteil der Prophylaxe und Therapie im Haus geworden. Vielleicht kann man in Zukunft in SteinbachHallenberg mit dem Einsatz am Gerät auch Energie gewinnen, scherzt Petra Unkart. GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Nachgeschaut – ein Förderer besucht die Maltherapie in der Tagespflege Hofgeismar „Eine Zufriedenheit mit sich selbst!“ Herman Josef Rapp war bis zu seiner Pensionierung stellvertretender Leiter des Forstamts Reinhardshagen. Im September 2010 übernahm er im Rahmen des Jahresfestes eine Versteigerung zugunsten des Brunnentempelchens. Versteigert wurden damals Bilder, die die Kunsttherapeutin Doris Haas mit Gästen der Tagespflege am Gesundbrunnen gemalt hatte. Jetzt besuchte Rapp die Gruppe. Martin Bleckmann sprach mit ihm darüber. Zu Besuch bei der Maltherapie Herr Rapp, Sie haben heute haben in der Tagespflege Hofgeismar „nachgeschaut“ und sich über das Projekt „Maltherapie“ selbst ein Bild gemacht. Was können Sie berichten? Rapp: Letztes Jahr war ich dabei, als das Malprojekt im Entstehen war. Ich war damals sehr angetan davon, was alles gemacht wurde für die Teilnehmer. Mir ist aber auch wichtig, dass die Dinge weitergeführt werden, dass sie nachhaltig sind, wie man heute sagt. Und das ist in diesem Fall so, dieses Projekt läuft gut. Diese Verlässlichkeit für alle Teilnehmer finde ich besonders wichtig. Wie haben Sie die Situation erlebt? Was hat Sie beeindruckt? Rapp: Die Professionalität, mit der es die Leiterin der Maltherapie es versteht, die Einzelnen zu motivieren. Und die Ergebnisse können sich wirklich sehen lassen. Beeindruckend auch, wie Frau Ganter-Shaw, die Leiterin der Tagespflege, das Projekt unterstützt und dafür Werbung macht. Das Engagement spürt man auch durchweg im Kreis. Die Atmosphäre ist besonders. Wenn ich Besuchergruppen durch den Reinhardswald führe, die mit Fotoapparat, Zeichenblock oder Malkasten in der Natur Motive suchen und ganz versunken und vertieft den Augenblick festhalten wollen, dann spüre ich so etwas wie Zufriedenheit bei dem einzelnen, da werden die Sinne angesprochen. So eine ruhige Zufriedenheit mit sich selbst habe ich auch in dieser Malgemeinschaft gespürt. Da sind die Spendengelder gezielt und gut eingesetzt. 39 Freunde und Förderer Neuer Spender – Hofgeismars Chefkoch wurde Mitglied im Freundes- und Förderkreis „Es hat gar nicht weh getan…“ Gesundheit Freunde und Förderer ermöglichten Bewohner-Wunsch Ein Opernbesuch! Reiner Schweißhelm ist Leiter der Zentralküche der Ev. Altenhilfe Gesundbrunnen in Hofgeismar. Martin Bleckmann spach mit dem neuen Freundes-und Förderkreis-Mitglied. Herr Schweißhelm, was hat Sie bewogen, Fördermitglied zu werden? Schweißhelm: Kann ich gar nicht so genau sagen, warum ich jetzt beigetreten bin, oder erst jetzt. Ich sehe ja, wenn ich in den Wohnbereichen unterwegs bin, was dort alles gemacht wird – zum Beispiel die Angebote mit den Hunden, das kommt einfach gut an. Eigentlich hatte ich es schon länger vor, aber man denkt dann auch nicht mehr daran. Und das Ausfüllen der Eintrittserklärung hat gar nicht weh getan. Im Gegenteil: Ich freue mich, dabei zu sein. Für mich ist dies auch ein Zeichen, das ich setzen will. Ein Zeichen wofür? Schweißhelm: Für die Bewohner, für die Projekte. Nennen Sie es für die gute Sache. Eigentlich für alle, die mich kennen. Es ist auch ein Zeichen für die Kollegen, die sich mit den Projekten für die Bewohner einsetzen. Auch ein Zeichen in meinem privaten Umfeld, dass ich – und wir als Küchenteam – unsere Arbeit gern machen und viel erreicht haben. Auf diesem Weg will ich helfen. Gibt es Projekte, die Sie besonders fördern möchten? Schweißhelm: Den Einsatz der Tiere, also die tiergestützte Therapie, habe ich schon erwähnt. Ja, dann auch die Urlaube mit den Bewohnern, die unterstützt werden. Das ist nur möglich mit viel ehrenamtlichem Einsatz und mit Unterstützung der Freunde und Förderer. Nach diesem Interview verabschiedete er sich in den Urlaub – ein besonderer Urlaub: Wie schon im vergangenen Jahr begleitet er eine Gruppe von Bewohnern, die an der Küste Ferien machen. Er kocht mit und für die Gruppe und hilft, wo „Not am Mann“ ist – ehrenamtlich und als Privatperson. 40 Einen würdevollen Weg finden Der Wille des Kranken ist maßgebend für den Beginn, die Weiterführung oder auch den Abbruch medizinischer Maßnahmen Liebe Leser, Gertrud Iwersen ist seit frühster Jugend Opern-Liebhaberin Verdis „Otello“ stand auf dem Spielplan, als Mitte April neun Bewohnerinnen und Bewohner der Evangelischen Altenhilfe und sechs Betreuende die Vorstellung des Kasseler Staatstheaters besuchten. Festlich gekleidet und voll freudiger Erwartung traf man sich zur Fahrt nach Kassel am Café Gesundbrunnen. Die tragische Handlung der Oper, basierend auf Shakespeares gleichnamigem Werk, und die dazugehörige dramatische Musik Verdis, die oft mit der Kompositionskunst Wagners verglichen worden ist, schlugen uns in Bann. Die eingeblendete deutsche Übersetzung der gesungenen Texte sorgte dafür, dass die Handlung auch im Detail nachvollziehbar war. In der Pause konnten wir uns stärken und auf dem Vorplatz zum Opernhaus den wunderschönen Frühlingsabend genießen. Auf dem Weg nach Hause hörten wir innerlich noch immer die Klänge von Verdis Musik. Pfrin. Anne Hammann GESUNDBRUNNEN 1 | 11 die moderne Medizin hilft, Krankheiten zu heilen oder, wenn dies nicht möglich ist, zumindest ihre belastenden Auswirkungen erträglich zu halten. Höhere Lebenserwartung und bessere Lebensqualität sind das Resultat der Heilkunst, die sich in den Dienst des Lebens stellt. Ihre Ausübung ist an strenge rechtliche Regeln gebunden, die allerdings den Rahmen nur grob im Sinne von Ge- und Verboten setzen. Feinere Überlegungen darüber, was getan oder unterlassen werden sollte, sind Gegenstand der Ethik, also des Teilgebiets der Philosophie, welches sich mit den „guten Sitten“ beschäftigt. Die „Bioethik“ und speziell die „Medizinethik“ behandeln unter anderem Fragen am Beginn und Ende des Lebens. Zentrale Werte wie der des Lebens bzw. der Gesundheit spielen dabei eine wichtige Rolle. Andererseits warnt der frühere Limburger Bischof Franz Kamphaus vor der Wertediskussion, da sie im Zusammenhang mit dem Leben die Möglichkeit des Minder- oder Unwerts einschließt. Der Mensch habe nicht „Wert“, sondern „Würde“. Die Würde GESUNDBRUNNEN 1 | 11 ist nicht teil- oder quantifizierbar, sondern nach dem Grundgesetz „unantastbar“, mit dem Leben bedingungslos verbunden. Da das Alter zum Leben dazugehört, ist ihm die gleiche unabänderliche Würde eigen wie anderen Lebensabschnitten einschließlich dem werdenden Leben. Angesichts rascher wissenschaftlicher Fortschritte sind die Grenzen zwischen rechtlichen und ethischen Fragen fließend. Der Schutz des Lebens hat dabei höchste Priorität, gefolgt vom Recht zur Selbstbestimmung des Individuums bzw. seines rechtlichen Vertreters über medizinische Maßnahmen. In (Vorsorge-)Vollmachten und (Patienten-) Verfügungen wird das Selbstbestimmungsrecht auch dort wirksam, wo die ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen nicht möglich ist. Eine Patientenverfügung hilft dem behandelnden Arzt im Gespräch mit Angehörigen, den mutmaßlichen Willen des Kranken oder Sterbenden zu ermitteln. Der Wille des Kranken ist maßgebend für den Beginn, die Weiterführung oder auch den Abbruch medizinischer Maßnahmen. Ärztliche Prof. Dr. Werner Vogel ist ärztlicher Direktor des Evangelischen Krankenhauses Gesundbrunnen in Hofgeismar Hilfe kann durchaus im Sinne des Patienten darin bestehen, dass man eben nicht alles medizinisch Machbare durchführt, sondern den natürlichen Verlauf der Krankheit oder des Sterbeprozesses zulässt. Diese Frage ist heute bei den vielen Möglichkeiten der apparativen Medizin nicht immer leicht zu beantworten. Eine umfassend aufklärendes Gespräch über Nutzen und Risiken, also das Für und Wider von medizinischen Maßnahmen, hilft Kranken und Angehörigen dabei, einen vernünftigen, würdevollen Weg zu finden, der als heilsam erlebt werden kann, auch wenn Heilung nicht mehr möglich ist. Vor der Intensivmedizin braucht man keine Angst zu haben, denn sie kann auch für sehr alte Menschen ein Segen sein. Sie aber um jeden Preis einzusetzen, nur um Leben zu verlängern, ist ethisch und rechtlich angreifbar. Leben zu bewahren kann auch bedeuten, dem Abschiednehmen Raum zu gewähren, wenn die Zeit dazu gekommen ist. Herzlich, Ihr Prof. Dr. Werner Vogel 41 Satire EAG im Überblick Die Evangelische Altenhilfe Gesundbrunnen widmet sich der Pflege und Rehabilitation alter Menschen. Sie betreibt 24 Altenheime in Hessen und Thüringen, sechs davon am Stammsitz in Hofgeismar. An mehreren Standorten unterhält sie ambulante Dienste, Einrichtungen des betreuten Wohnens und Tagespflegen. Zum Angebot gehören auch zwei Hospize, ein geriatrisches Krankenhaus und ein Diakonisches Aus- und Fortbildungszentrum mit eigener Altenpflegeschule. Weitere Infos unter www.gesundbrunnen.org Die Giftstoffe aus dem Körper schwemmen Jetzt sagen sie ja, man muss was tun. Das ist auch keine Frage, dass heutzutage niemand mehr im Café rumsitzen darf, obwohl es jetzt so viele davon gibt, die auch wirklich nett sind und wo man viele junge Leute sieht mit sehr interessanten Kleidern. Aber als älterer Mensch darf man die nicht betreten, weil dann alle denken, man sitzt bloß rum und behält womöglich seinen Hut auf und isst riesige Sahnetorten und man belastet die Krankenkassen und wird bald pflegebedürftig vom Rumsitzen im Café, anstatt sich zu bewegen und Power und Energie anzusparen, die einem helfen, mit geschmierten Gelenken durchs Leben zu kommen, wenn man mal nicht mehr kann. „Geschmierte Gelenke“. Das stand neulich in meiner Tageszeitung und das war mir, ehrlich gesagt, ein bißchen eklig. Aber man soll keine Hemmungen haben, schrieben sie da. Auch wenn man nicht mehr die Jüngste ist, ist es nie zu spät, den „Bandscheiben Nahrung zu geben“ und die „Giftstoffe aus dem Körper zu schwemmen“. Sie machen es einem ja nicht leicht, das muß ich sagen, das klingt alles sehr unangenehm. Ich habe auch nicht richtig verstanden, womit ich nun meine Bandscheiben ernähre, damit sie das Gift aus mir raus schwemmen. Aber jedenfalls haben sie sehr eindringlich beschrieben, dass man massenhaft Kalorien verbrennt und das Fett sofort verschwindet und die Muskeln wieder wachsen und viele Sauerstoffe transportiert werden, wenn man sich bewegt und dass man sofort anfangen soll und sich nicht genieren soll, weil man sonst den Herzmuskel erschlaffen lässt und vorzeitig altert. 42 Ahnatal: Ev. Altenhilfezentrum Ahnatal, Casselbreite 5, 34929 Ahnatal, 05609 80360 Ich weiß immer nicht, wann man eigentlich nun altern soll. Immer sagen sie einem, alles, was schmeckt und unterhaltsam ist, läßt einen vorzeitig altern. Aber keiner sagt, wann eigentlich mal richtige Zeit ist, um alt zu werden, denn jetzt ist es ja mit dem Spaziergang zu dem Teich mit den Enten nicht hat mehr getan, sondern man soll ins Fitnessstudio gehen, damit man sich gleich richtig bewegt und nicht die Power irgendwo hinlenkt, wo sie nichts zu suchen hat und dann womöglich einen Körperteil ernährt, der gar nicht gemeint ist. Ich sehe das alles ein und dass man nicht mehr ins Café geht oder vor dem Fernseher hockt, dass weiß nun heutzutage jede Rentnerin und keine gibt zu, dass sie überhaupt jemals irgendwo sitzt, sondern alle bewegen sich ununterbrochen - aber Fitnessstudio? „Muckibude“ sagt mein Großneffe dazu. Ich dachte immer, das ist was für Bodybuilder und das ist doch eher unpassend in unserem Alter, sich so ausgezogen zu zeigen und sich die Muskeln so einzuölen. Aber vielleicht haben die das gemeint, als sie von den „geschmierten Gelenken“ geschrieben haben? Ulla Lessmann ist freie Journalistin, Moderatorin und Schriftstellerin. Sie veröffentlicht Krimis und Satiren. Als Journalistin und Moderatorin arbeitet sie für die Sendung „In unserem Alter“ im WDR4, die sich an ein älteres Zielpublikum richtet. GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Bad Hersfeld: Altenzentrum „Hospital“, Hospitalgasse 1-3, 36251 Bad Hersfeld, 06621 50460 Kirchhain: Ev. Altenhilfezentrum „Haus Elisabeth“, Mozartstr. 9, 35274 Kirchhain, 06422 938030 Bad Wildungen: Ev. Altenhilfezentrum „Haus Victorquelle“, Feldmannstraße 1, 34537 Bad Wildungen, 05621 78750 Korbach: Ev. Altenhilfezentrum Korbach, Enserstr. 27, 34497 Korbach, 05631 97590 Birstein: Ev. Altenhilfezentrum Birstein, Rosengarten 2, 63633 Birstein, 06054 421 Breitungen: Ev. Altenhilfezentrum „Haus Werragarten“, Frauenbreitunger Weg, 98597 Breitungen, 036848/40590 Fulda: Ev. Alten- und Pflegeheim „Haus Emmaus“, Gerloser Weg 11, 36039 Fulda, 0661 902110 Herleshausen: Ev. Alten- und Pflegeheim „Haus St. Elisabeth“, Schulstr. 22, 37293 Herleshausen, 05654 92310 Hofgeismar: • Ev. Altenhilfe Gesundbrunnen, Brunnenstraße 27, 34369 Hofgeismar, 05671 882 193 • Ev. Krankenhaus Gesundbrunnen, Am Krähenberg 1, 34369 Hofgeismar, 05671 50720 • Diakonisches Aus- und Fortbildungszentrum für Altenarbeit, Gesundbrunnen 12, 34369 Hofgeismar, 05671 882 650 • Ev. Altenpflegeschule am Gesundbrunnen, Gesundbrunnen 12a, 34369 Hofgeismar, 05671 882610 Kassel: Ev. Altenhilfezentrum „Am Stiftsheim“, Ahrensbergstr. 21, 34131 Kassel, 0561 93290 • Hospiz Kassel, Konrad-Adenauer-Str. 1, 34131 Kassel 0561 3169765 GESUNDBRUNNEN 1 | 11 Landau-Bad Arolsen: „Wohnen und Pflege am Park“, Pflege- und Seminarhotel, Schloss Landau, 34454 Landau-Bad Arolsen, 05696 97990 Lippoldsberg: Ev. Altenhilfezentrum Lippoldsberg, Brauhausstr. 5, 37194 Lippoldsberg, 05572 948620 Ludwigsau-Reilos: Ev. Altenhilfezentrum Ludwigsau-Reilos, Brückenstr. 1, 36251 Ludwigsau-Reilos, 06621 92590 Marburg: Ev. Altenpflegeheim „Elisabethenhof“, Am Rotenberg 60, 35037 Marburg, 06421 93500 • St. Elisabeth-Hospiz Marburg, Am Rotenberg 60, 35037 Marburg, 06421 935040 Philippsthal: Ev. Altenhilfezentrum „Haus Kreuzberg“, Im Küchengarten 1, 36269 Philippsthal, 06620 92000 Steinbach-Hallenberg: Ev. Altenhilfezentrum Steinbach-Hallenberg, Brunnenstr. 2, 98587 Steinbach-Hallenberg, 036837 47411 Witzenhausen: Ev. Altenhilfezentrum „Haus Salem“, Am Johannisberg 4, 37213 Witzenhausen, 05542 5036300 Zierenberg: Ev. Alten- und Pflegeheim Zierenberg, Falkenweg 11, 34289 Zierenberg, 05606 51850 43 ev. Altenhilfe gesundbrunnen geMeinnützige gMbh hofgeisMAr Die Evangelische Altenhilfe Gesundbrunnen betreibt 24 Alten- und Pflegeheime bzw. Altenhilfezentren, ein geriatrisches Krankenhaus, ein Aus- und Fortbildungszentrum, zwei Hospize und einige ambulante Pflegedienste. Ausführliche Informationen zu den einzelnen Einrichtungen finden Sie im Heft oder unter www.gesundbrunnen.org Menschlichkeit Pflegen