Meditation zum Zentralmosaik

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Berühre mich nicht!
Eben hat Maria aus Magdala erkannt, wer ihr im Garten begegnet ist. Vor ihr steht noch der
Topf mit der wohlriechenden Salbe, mit der sie nach jüdischem Brauch den toten Jesus von Nazareth
behandeln wollte. Doch frühmorgens am dritten Tag fand sie das Grab leer vor. Voller Schreck eilte
sie zu Simon Petrus.
Dieser und ein weiterer Jünger eilten gemeinsam mit Maria zurück zum Grab und entdeckten
darin nichts weiter als die Leinenbinden. Doch es hält die beiden Jünger nicht auf dem Friedhof, sie
eilen schnurstracks zurück zu den andern Jüngern, erzählen das Gesehene, doch verstehen nicht.
Noch nicht, wie es das Johannesevangelium berichtet.
Maria aus Magdala hingegen bleibt beim Gartengrab zurück und weint. Und während sie sich
in das Grab hinein beugt, erblickt sie die Engel, die ganz offenbar von den beiden Jüngern in ihrer
Hast übersehen wurden. Und sie klagt den Engeln über den Verlust des geliebten Leichnams Jesu,
von dem sie nicht einmal richtig Abschied nehmen konnte kurz nach dessen Tod.
Doch in dem Augenblick erscheint der Auferstandene hinter ihr. Aber Maria erkennt ihn zuerst nicht, meint vielmehr, der Gärtner stünde hinter ihr. Erst als Jesus sie mit ihrem Namen anspricht, realisiert sie, wer dies ist, gehen ihr buchstäblich die Augen auf. Und sie will ihren Jesus umarmen. Doch dieser natürlichsten Geste wehrt dieser nun aber:
„Fass mich nicht an! Denn noch bin ich nicht hinaufgegangen zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott“, lautet seine Antwort. Warum weist er Maria zurück?
„Noli me tangere“ – „berühre mich nicht“, so heißt dieser Moment. Und so werden auch in
der Kunstwissenschaft die weit verbreiteten Darstellungen dieser Begegnung genannt. So auch die
spatmittelalterliche Altartafel von Martin Schongauer, einst für die Dominikanerkirche seiner Heimatstadt Colmar im Elsass gemalt.
Im idyllisch gezeichneten Ostergarten will die kauernde Maria den wieder gefundenen Jesus
bei sich halten. Doch der Auferstandene ist schon im Begriff, das Bild nach rechts zu verlassen, gezeichnet von Marter und Tod, doch bekleidet mit dem purpurnen Tuch des Königs, als Sieger des
Lebens.
Geheimnisvoll ist der Moment, darauf deuten die gelb-goldnen Rosen, Zeichen für die Verschwiegenheit. Was hier geschieht, ist eine intime, ja innige Szene. Doch die Auferstehung drängt
nach Außen – Granatapfel und Vögel sind deren Zeichen. Bald werden es die Jünger wissen, Jesus ist
auferstanden! Er wird sich ihnen zeigen und sie werden es weiter erzählen. Bis heute, bis in die Gegenwart.
Doch auf dem Bild von Martin Schongauer ist Jesus noch ganz kurz bei Maria. Noch ist sie in
diesem Moment die einzige, die begreift, oder vielmehr im Begriff ist, zu begreifen. Noch begreift sie
nicht ganz, meint, die Auferstehung sei die einfache Fortsetzung von Jesu Leben, seine Wiederbelebung, und will ihn da rum fest halten, berühren, drücken.
Doch Jesus ist bereits nicht mehr von dieser Welt. Er ist bereit, zu Gott aufzusteigen. Paulus,
der Apostel der Völker, wird das wenig später mit dem Bild eines „neuen Kleides“ erklären. Der Auferstandene ist neu bekleidet. Auferstehen meint den Tod durch etwas Neues besiegen, meint nicht
weiter leben, sondern neu leben. Neu leben bei Gott, mit Gott.
Darum geht Jesus auf dein Bild auch weg, darum soll ihn Maria nicht berühren. Das Leben
nach dem Tode findet nicht hier statt, sondern nach dem Tod leben wir bei Gott. Darum muss Maria
ihren Meister ziehen lassen. Darum müssen wir unsere Angehörigen ziehen lassen. Doch Maria und
wir dürfen uns der Auferstehung gewiss sein, denn Christus hat sie ja mit ihrem eigenen Namen angesprochen, ist ihr begegnet: „Maria!“ Und so wird er auch uns dereinst mit unserem Namen anreden.
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