30. November 2010 Verbrauchergerechte Kennzeichnung von regionalen Lebensmitteln Positionspapier des Verbraucherzentrale Bundesverbandes und der Verbraucherzentralen Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. – vzbv Markgrafenstr. 66 10969 Berlin [email protected] www.vzbv.de vzbv Kennzeichnung von regionalen Lebensmitteln 30.11.2010 Laut aktuellen Marktforschungsergebnissen bevorzugen Verbraucher zunehmend regionale Produkte (Dorandt 2005; Nestlé/Allensbach 2009). Nach der 2010 veröffentlichten Befragung des Forsa-Institutes im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) achten inzwischen 65 Prozent beim Kauf ihrer Lebensmittel immer oder meistens auf die regionale Herkunft, wobei mit „regionaler Herkunft“ nicht nur der Ort oder die Region der Verarbeitung und/oder Herstellung gemeint ist, sondern auch die Herkunft der Rohstoffe. Häufig besteht auch die Erwartung, dass regionale Erzeugnisse zusätzliche Produktqualitäten wie „mehr Frische“, „ohne Gentechnik“, „Ökoqualität“ oder „artgerechte Tierhaltung“ gewährleisten sollen. Verbraucher werden derzeit in vielfältiger Weise mit regionalen Herkunfts- und Qualitätsangaben umworben und sollen für diese Produkte zudem häufig mehr bezahlen. Daher müssen Regionalangaben korrekt und wahr sein. Sie sind derzeit jedoch rechtlich nur ungenügend geregelt, und es bestehen vielfältige Möglichkeiten der Verbrauchertäuschung. Die regionale Herkunft und beworbene Qualitäten sind sogenannte Vertrauenseigenschaften, deren Wahrheitsgehalt Verbraucher weder am Lebensmittel noch im Handel oder über andere Informationsquellen selbst überprüfen können. 1. Regionalkennzeichnung kann irreführen In einer Piloterhebung hatte die Verbraucherzentrale Hessen 2009 im Rhein-MainGebiet verteilte Hauswurfsendungen und Zeitungsbeilagen im Hinblick auf Regionalwerbung gesichtet. Es wurden insgesamt 17 Flyer von sechs Handelsunternehmen 1 mit Werbung für insgesamt 318 angebliche Regionalprodukte herangezogen. In der Bewertung zeigten sich die Facetten der Irreführung, die sich auch auf andere Regionen übertragen lassen: Bei 14 Flyern fehlte jeder räumliche und geographische Bezug. Für die Verbraucher wird in den meisten Fällen nicht klar, auf welche Region sich die Regionalwerbung bezieht. Drei Werbeflyer (alle Rewe) warben mit ganzen Seiten „Obst und Gemüse aus Hessen“. Hierbei wurde ein räumlich begrenzter Regionalbezug hergestellt. Auf Nachfrage bei Rewe, stellte sich jedoch heraus, dass ein Teil der beworbenen Produkte in angrenzenden Bundesländern erzeugt wurde 2 . Das deutet auf ein fehlendes unabhängiges Kontrollsystem für den Herkunftsnachweis bei Rewe hin. Nur ein „regional“ beworbenes Produkt war mit einem Herkunftssiegel, dem Länderzeichen „Geprüfte Qualität - Hessen“ gekennzeichnet, das die regionale Herkunft durch neutrale Prüfinstitute und Sachverständige regelt (siehe auch. Abschnitt 2 Länderzeichen). 21 Produkte waren mit einer Produktbezeichnung versehen, die einen Orts- oder Regionalbezug nennt, unter anderem Selters Mineralwasser, Sylter Salatfrische, Wetterauer-Gold-Apfelwein, Rhöner Fruchtwein, Elsässer Flammkuchen, Pfälzer Saumagen. Bei diesen Bezeichnungen können Verbraucher meist nur vermuten, ob es sich um örtlich bezogene Herstellungs- oder Herkunftsangaben oder um besondere Zubereitungsverfahren beziehungsweise Rezepturen handelt. 1 Es wurden Hauswurfsendungen und Zeitungsbeilagen der Handelsunternehmen Rewe, Real, toom, tegut, Edeka und Plus mit Outlets in Frankfurt und in den umgebenden Gemeinden vom Jan. 2009 bis Dez. 2009 ausgewertet. 2 Persönliche Mitteilung der Rewe vom 23.7.2009 2 vzbv Kennzeichnung von regionalen Lebensmitteln 30.11.2010 Weiterhin wurden Firmennamen und Markenbezeichnungen wie Weihenstephaner (Milch), Rhöngut (Schinken), Berchtesgadener Land (Milch) und Hochstädter (Apfelwein) gefunden, die einen Orts- oder Regionsbezug herstellen. Auch bei diesen Produkten liefert die Bezeichnung kaum eine Orientierung, ob sie sich auf den Verarbeitungsort oder die Herkunft der Rohstoffe oder auf beides bezieht. Bis auf eine Ausnahme konnte man bei 318 regional gekennzeichneten beziehungsweise. beworbenen Lebensmitteln nicht erkennen, ob die Lebensmittel oder. deren Zutaten aus der ausgelobten Region stammen oder ob beispielsweise nur die Verarbeitung regional erfolgte. 2. Länderzeichen: Regionale Herkunfts- und Qualitätszeichen Einige Bundesländer haben eigene Länderzeichen als eingetragene Marken entwickelt, die besondere Anforderungen an Herkunft und Qualität der gekennzeichneten Lebensmittel stellen. Die Verbraucherzentralen gaben 2009 eine Transparenzuntersuchung über diese öffentlich mitfinanzierten Landesprogramme in Auftrag. Die Ergebnisse zeigen, dass die regionale Herkunft dieser Produkte nicht durchgängig sichergestellt ist, als Qualitätszeichen sind sie wenig ambitioniert und die Vorschriften für die Zeichennutzung sind vage und wenig transparent. Beispielsweise sind die Vorgaben für verarbeitete Regionalprodukte sehr unterschiedlich. So verlangt „Geprüfte Qualität Thüringen“ nur einen Anteil von 50,1 Prozent der Zutaten aus regionaler Herkunft, während Fleischerzeugnisse „Gesicherte Qualität Baden Württemberg“ zu 100 Prozent aus dem Bundesland stammen müssen (Zühlsdorf, Franz 2010). Zu bemängeln ist, dass die Anforderungen an die Produktqualität nur selten über die gesetzlichen Standards beziehungsweise Marktstandards hinausgehen. Auch die Kontrollen und Sanktionen der regionalen Herkunftsangaben der Länderzeichen sind sehr unterschiedlich geregelt. Den Anforderungen einer unabhängigen Kontrolle werden sie häufig nicht gerecht. Eine Bewertung der Wirksamkeit der Kontrollsysteme ist kaum möglich und die Dokumentation der Kontrolle unübersichtlich und wenig transparent. Die Länderzeichen nutzen zudem meist die jeweiligen Landesfarben und –zeichen, um sich einen amtlichen Charakter zu geben. Dadurch werden die Verbrauchererwartungen hinsichtlich Herkunft und Qualität noch zusätzlich erhöht. 3. Abmahnungen und Gerichtsverfahren Marke „Mark Brandenburg“ Ende 2007 wurde die Campina GmbH & Co. KG von der Verbraucherzentrale Berlin wegen irreführender Werbung abgemahnt. Das Unternehmen hatte unter der Bezeichnung „Mark Brandenburg“ in Berlin und den neuen Bundesländern Milch vertrieben. Diese stammte jedoch aus Nordrhein-Westfalen und wurde in Köln abgefüllt. Die Campina GmbH & CO. KG verpflichtete sich außergerichtlich dazu, keine Molkereiprodukte mit der Bezeichnung „Mark Brandenburg“ zu verkaufen, wenn sie nicht aus der genannten Region stammen. Speisequark „frisch aus unserer Region“ und „Faire Milch“ Edeka-Südwest bot unter seiner Marke "Gut & Günstig" unter anderem in Stuttgart und Konstanz Speisequark mit dem Hinweis "Frisch aus unserer Region" an. Hersteller waren die Hochwald-Nahrungsmittelwerke in Saarbrücken (Saarland). Diese Werbung wurde von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg abgemahnt. Das Landgericht 3 vzbv Kennzeichnung von regionalen Lebensmitteln 30.11.2010 Offenburg stellte mit der Entscheidung vom 26.März.2008 3 fest, dass es sich um eine irreführende Werbung im Sinne des § 5 UWG handelt und verurteilte Edeka zur Unterlassung. Das Gericht stellte klar, dass bei der Definition von „Region“ die Auffassung der Verbraucher und nicht die der Unternehmen zugrunde zu legen ist. Es urteilte, dass die Bezeichnung "Frisch aus unserer Region" nicht vom Unternehmen auf dessen Absatzgebiet und damit auf den gesamten südwestdeutschen Raum bezogen werden darf. Zudem stellte das Gericht fest, dass das Produkt vor allem deshalb als "frisch" beworben werden darf, wenn es über kurze Wege transportiert wird. Auch die Werbung für die „Faire Milch“ der Milchverwertungsgesellschaft MVS wurde von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg abgemahnt. Kritisiert wurde die Angabe, die Milch stamme „aus Ihrer“ Region“ und „die heimische Produktion spart unnötige Transportwege“. Eine solche Kennzeichnung und Bewerbung ist nicht zulässig, wenn diese Milch in Stuttgart angeboten wird, die Milch jedoch im Allgäu erzeugt und im hessischen Schlüchtern verarbeitet wurde. Das Unternehmen hat eine Unterlassungserklärung abgegeben. Diese rechtlichen Auseinandersetzungen machen deutlich, dass eine gesetzlich verbindliche Definition für Regionalangaben notwendig ist. 4. Bestehende EU-Regelungen zur Herkunftskennzeichnung Eine verpflichtende nationale Herkunftsangabe bei Lebensmitteln wird derzeit auf europäischer Ebene im Rahmen der Überarbeitung des allgemeinen Lebensmittelkennzeichnungsrechts (EG-Verordnungsvorschlag zur Lebensmittelinformation) diskutiert. In einigen Bereichen wie beispielsweise bei Rindfleisch, Eiern und den meisten Obst- und Gemüsearten ist sie bisher schon obligatorisch. Bei der kleinräumigeren, regionalen Herkunftskennzeichnung gibt es zurzeit erst wenige Regelungsansätze 4 . Die geschützte Ursprungsbezeichnung (g. U.) setzt voraus, dass entsprechende Lebensmittel in einem abgegrenzten geographischen Gebiet erzeugt, verarbeitet und hergestellt wurden. Die Verkehrsbezeichnung derart geschützter Produkte weist auf den Herkunftsort hin und bietet Verbraucher eine sichere Orientierung. Beispiele für Produkte mit g. U. sind Allgäuer Emmentaler, Altenburger Ziegenkäse oder etwa Feta. Die geschützte geographische Angabe (g. g. A.) gewährleistet eine Verbindung zwischen mindestens einer der Produktionsstufen – der Erzeugung, Verarbeitung oder Herstellung - und dem Herkunftsgebiet. So findet zum Beispiel beim Schwarzwälder Schinken nur die Herstellung (Würzen, Pökeln, Räuchern) im Schwarzwald statt. Die Schweinehaltung und Schlachtung können dagegen in anderen Regionen stattfinden. Die garantiert traditionelle Spezialität (g. t. S.) bezieht sich nicht auf einen geographischen Ursprung, sondern hebt die traditionelle 3 LG Offenburg, Urteil vom 26.03.2008 – Az.: 5 O114/07 KfH 4 EU-Verordnung Nr. 2081/92 und Nr. 510/2006 vom 31.3.2006 4 vzbv Kennzeichnung von regionalen Lebensmitteln 30.11.2010 Zusammensetzung des Produkts oder ein traditionelles Herstellungsund/oder Verarbeitungsverfahren hervor. Es wird deutlich, dass nur die geschützte Ursprungsbezeichnung (g. U.) den Verbrauchererwartungen gerecht wird und klar über die Herkunft in der gesamten Kette von der Erzeugung bis zum Endprodukt informiert. Die geschützte geographische Angabe (g. g. A.) birgt hingegen erheblichen Raum für Täuschungen (normative Irreführung). Das Siegel "garantiert traditionelle Spezialität" enthält als solches zwar keinen Herkunftsbezug. Um eine mögliche Täuschung über die Herkunft bei Verkehrsbezeichnungen mit Ortsbezug jedoch auszuschließen (zum Beispiel bei "Frankfurter Würstchen"), sollten derartige Fälle ebenfalls immer mit einem eindeutigen Hinweis auf den Rezepturbezug ergänzt werden. 5. Markenrecht Gemäß Markengesetz (MarkenG), § 126 ff, können Anbieter geographische Herkunftsangaben als Marke schützen lassen. Derartig geschützte Produkte können auch besondere Eigenschaften oder Qualitäten aufweisen, die dann vom Anbieter eingehalten werden müssen. Im Gegensatz zum EU-Herkunftsschutz (g. U./g. g. A.) sind für eingetragene Marken keine verbindlichen Regeln vorgegeben, dass bestimmte Produktionsschritte in der genannten Region stattfinden müssen. Die Regelungen im Markenrecht dienen in erster Linie den Anbietern und sind zur Orientierung für Verbraucher kaum praxistauglich, da diese gezwungen sind, sich zu jeder einzelnen Marke aufwändig zu informieren. Außerdem bestehen im Markenrecht bisher lediglich Zulassungspflichten, aber keine Pflicht zur unabhängigen Kontrolle. 6. Forderungen Für die Kennzeichnung und Werbung mit den Begriffen „Region“, „Nähe“ und „Heimat“ im Zusammenhang mit Lebensmitteln und Agrarerzeugnissen bedarf es eines rechtlich verbindlichen Systems, damit die regionale Herkunft und besondere Qualitäten abgesichert und nachvollziehbar erkennbar werden. Nur so lassen sich Täuschung und Irreführung vermeiden und bewusste Kaufentscheidungen für regionale Lebensmittel treffen. In der Kennzeichnung und Werbung (Flyer, Wurfsendungen, Internet etc.) zur regionalen Herkunft von Lebensmitteln muss zwingend die betreffende Region genannt werden, aus der die beworbenen Produkte stammen. Aus der Kennzeichnung und Werbung muss eindeutig hervorgehen, auf welche Produktionsschritte sich die regionale Kennzeichnung und Bewerbung bezieht, beispielsweise nur auf die Verarbeitung, die Herstellung, die Rohstoffe oder ob nur die Rezeptur einen Bezug zur genannten Region aufweist. Dasselbe gilt für Marken mit regionalem oder Ortsbezug. Anbieter, die regionale Lebensmittel kennzeichnen und/oder bewerben, müssen für die Herkunft ein unabhängiges Kontrollsystem nachweisen. Die Kontrollsysteme der Anbieter sind in ein staatliches Kontrollsystem einzubinden – analog zum Öko-Kontrollsystem –, das unabhängig die Herkunftsangaben effektiv kontrolliert. Monoprodukte müssen zu 100 Prozent und zusammengesetzte Lebensmittel mindestens zu 95 Prozent der Zutaten aus der genannten Region stammen. Ist 5 vzbv Kennzeichnung von regionalen Lebensmitteln 30.11.2010 der Prozentanteil geringer, muss die Kennzeichnung klar und eindeutig erkennen lassen, auf welche wertgebende Zutat des Lebensmittels sich die Regionalkennzeichnung bezieht (zum Beispiel Rheinischer Reibekuchen mit Kartoffeln aus dem Rheinland). In diesem Sinne müssen auch die staatlichen Länderzeichen angepasst werden. Beworbene Qualitäten der Regionalprodukte müssen deutlich über dem gesetzlichen Standard liegen, rechtlich definiert und kontrolliert werden. Bei Verstößen sind seitens des Gesetzgebers wirksame Sanktionen vorzusehen. Literatur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulrike Höfken, Sylvia KottingUhl, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 16/13999 zur EU-Lebensmittelinformationsverordnung, Deutscher Bundestag Drucksache 16/14073,16. Wahlperiode vom 23. 09. 2009 Benner, Eckhard; Profeta, Adriano; Wirsig, Alexander: „Die EU-Übergangsregelung zum Herkunftsschutz bei Agrarprodukten und Lebensmitteln aus dem Blickwinkel der Transaktions- und der Informationsökonomie“, Schriften der Ges. für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaues e.V., Bd. 44, 2009: 423 - 434 Büro für Technikfolgenabschätzung des Dt. Bundestages: „Potentiale zum Ausbau der regionalen Nahrungsmittelversorgung“. Büro für Technikfolgenabschätzung des Dt. Bundestages, TAB Arbeitsbericht Nr. 88 (Zusammenfassung) Okt. 2003 Dorandt, Stefanie Dr.: „Analyse des Konsumenten- und Anbieterverhaltens am Beispiel von regionalen Lebensmitteln“, Ernährungs-Umschau 52 (2005) S.418 ff Ermann, Ulrich: „Regionalprodukte – Vernetzung und Grenzziehungen bei der Regionalisierung von Nahrungsmitteln“, Franz Steiner Verlag 2005 Forsa-Umfrage im Auftrag des BMELV zur biologischen Vielfalt, BMELV 2010 Kriterien beim Lebensmitteleinkauf“; Nestle/Allensbach 2009, Eine repräsentative Studie mit Befragungen von Verbrauchern allgemein und von bewussten Verbrauchern Markengesetz (Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen) vom 25.10.1994 (BGBl. I S. 3082, 1995 I S. 156, 1996 I S. 682), in Kraft getreten am 01.11.1994, 01.01.1995 bzw. 20.03.1996 zuletzt geändert durch Gesetz vom 31.07.2009 (BGBl. I S. 2521) m. W.v. 01.10.2009 Piloterhebung „Regionalwerbung im Handel“ Verbraucherzentrale Hessen, Datenblatt Feb. 2010 Zühlsdorf, Anke Dr.; Franz, Annabell: „Ergebnisbericht über die Durchführung einer Transparenzerhebung der regionalen Landesprogramme“ im Auftrag der Verbraucherzentralen; Frankfurt, Feb. 2010 6