THEMA DER WOCHE BERLINER MORGENPOST | 24. WOCHE S3 „Viel auftreten ist das A und O“ Buchhaltung und Marketing dürfen Musiker aber auch nicht vergessen Der Music Pool Berlin ist die zentrale Anlaufstelle für Musiker, Label- und Agenturgründer, die eine professionelle Laufbahn anstreben. Gefördert wird er aus Mitteln der Europäischen Union und vom Musicboard Berlin. Mit Andrea Goetzke, Festivalbookerin und Mitgründerin des Pools, sprach Dagmar Trüpschuch. GVL, die Lizenzfragen und die ganze Bürokratie: Wenn ich zum Beispiel eine Tour buche, mit vielen kleinen Auftritten – da müssen Rechnungen geschrieben und beim Finanzamt eingereicht werden. Diese kleinteiligen Geldflüsse, die mit dem Musikgeschäft zu tun haben, sind allein schon sehr unübersichtlich. Da können wir helfen, indem wir Struktur reinbringen. PICTURE ALLIANCE Berliner Morgenpost: Was bietet der Music Pool an Starthilfe an? Worauf sollten Musiker Andrea Goetzke: Einam Anfang ihrer Laufmal bieten wir die kos- Bookerin bahn ganz besonders achtenlose Orientierungs- Andrea Goetzke ten? beratung, hier kann man eine Stunde lang alles fragen, was Viele denken nicht über die Karman wissen möchte. Die Berater riereplanung nach, denken nicht vermitteln die Musiker bei spe- an das ganze wirtschaftliche ziellen Fragen weiter in die Fach- Drumherum, wie Buchhaltung, beratung. Hier informieren Ex- Existenzgründung, Marketing. perten beispielsweise über Gema, Wenn man sich professionell Künstlersozialkasse oder Steu- etablieren möchte, muss man ern. Wir bieten auch Coachings sich diesen Fragen stellen. Viele an, wenn Musiker tiefergehend sind am Anfang auch zu perfeküber ein Thema reden möchten. tionistisch, da muss der Song fünf Zudem haben wir noch Work- Mal gemastert werden, dabei wäshops zu ganz verschiedenen re es wichtiger, einen guten Song Themen des Musikgeschäfts und einfach mal auf die Bühne zu Community-Abende, die in wech- bringen. selnden Bars stattfinden. Hier sitzen Experten auf dem Podium, Was empfehlen Sie? zum Beispiel Booking-Agenten, Die Leute sollten eher in Netzdie Musikern alle Frage rund ums werken denken, sich ihre eigene Booking beantworten. Diese Ver- kleine Szene aufbauen, indem sie anstaltungen dienen auch der Orte finden, an denen sie gerne Vernetzung der Szene unterei- spielen. Sie sollten sich Bands sunander. Die Idee des Pools ist, die chen, die sie supporten und die Expertise, die in der Stadt ist, zu- sie mit auf Tour nehmen. Sie sollsammenzubringen und für alle ten versuchen, mit ihrer eigenen kleinen Szene zu wachsen und Musiker verfügbar zu machen. sich nicht alleine durchboxen. Warum sollten sich Musiker an Sie Letzten Endes ist das Musikbusiness ein Beziehungsgeschäft. Für wenden? Weil sie bei uns niedrigschwellig ein Festival bekommen wir so vieFachinformationen und Kontakte le Mails von Bands, da hilft es, bekommen, die in dem unüber- wenn man von einer schon mal schaubaren Musikgeschäft nicht was gehört hat. Es ist sehr wichtig so leicht zugänglich sind. Da sind live zu spielen. Viel vor Publikum beispielsweise die Verwertungs- auftreten, ist nach wie vor das A gesellschaften, also Gema und und O. Sie spielt in fünf Bands, coacht darüber hinaus andere Musiker und kann inzwischen gut von ihrer künstlerischen Arbeit leben stellte es ins Netz, verkaufte einzelne Songs und verschenkte die CD nach Konzerten. Auch das zweite Album nahm er im Heimstudio auf. Das schickte er dann an alle möglichen Labels. „Ich glaube es waren 50.“ Von einem kam ein positives Feedback, Clouds Hill – ein Label, das IndieBands betreut. Geld von der Gema JOHANNA RUEBEL zerte vor größerem Publikum zu organisieren. Da hilft es oftmals, als Vorband einer bekannteren Gruppe spielen zu können. Der finanzielle Aufwand, über einen längeren Zeitraum auf Tour zu sein, wird teilfinanziert. Das Programm „Stipendien und Residenzen“ unterstützt die Künstler direkt und soll ihnen helfen, ihre musikalischen Ideen verwirklichen zu können. „Es gibt deutschlandweit keine andere Institution, die Stipendien an Popkünstler und -künstlerinnen vergibt“ sagt Katja Lucker. Allein in diesem Jahr hätten sich 250 Musiker für ein Stipendium beworben – 22 wurden vergeben mit einer Summe zwischen 4000 und 10.000 Euro. Bedingung: Die Musiker müssen in Berlin ihren Lebensmittelpunkt haben und eine Profi-Karriere anstreben. In den Genuss eines Stipendiums kam 2014 auch der Musiker Florian Boss, Künstlername Allie. „Erst hatte ich mich für eine Residenzförderung in Los Angeles beworben, bekam sie aber nicht.“ Im Jahr darauf klappte es mit einem Stipendium. Davon kaufte sich Allie Equipment, drehte ein Video und finanzierte vom Rest seinen Lebensunterhalt. „Für die Songwirting-Phase“, sagt er. In Vorbereitung auf sein viertes Album „Allie“, mit dem er am 17. Juni im „Antje Öklesund“ seine Releaseparty feiert. Die Musik: elektronisch, sphärisch, verträumt schön – eher nicht tanzbar. Seine Werkzeuge: Musikbeauftragte Katja Lucker hat das Musicboard Berlin gegründet Stimme, akustische Gitarre, Samples und Effekte. Allie griff mit 16 Jahren das erste Mal zur Gitarre und gründete mit seinem Bruder in einer kleinen Stadt in Nordrhein-Westfalen eine Punkrockband. Vor acht Jahren kam er nach Berlin – um Sozialarbeit zu studieren. „Ich habe mich nach dem Abitur nicht getraut, gleich professionell Musik zu machen“, sagt er. Für ein Auslandssemester ging er nach New York. „Ich wollte in die Musikszene, und ich wollte auftreten, solo mit Gitarre“, sagt der 27-Jährige. Der Erfolg dort habe ihn motiviert. „Seit zwei Jahren bin ich mit dem Studium fertig und konzentriere mich nur noch auf die Musik.“ Sein erstes Album nahm er zu Hause auf, Hier kam er mit elektronischer Musik in Kontakt. Sein drittes Album spielte er dann bereits mit Synthesizer ein. „Meine Einnahmequellen sind jedoch Auftrittsgagen und Gema-Ausschüttungen“, sagt er. Eine Zusatzquelle seien Verträge mit Verlagen, über die seine Musik an Werbung oder Film verkauft wird. Allie ist viel auf Tournee, hat schon ganz Europa bespielt. Zudem fährt er als Support für größere Bands mit. „Hunderte Mails habe ich dafür geschrieben, um vielleicht 30 Antworten zu bekommen.“ Ab Herbst ist er wieder auf Europatour, um sein neues Album vorzustellen, das er über Motor Music veröffentlicht, ein bekanntes Label, das sich auch um den Vertrieb und die Promotion kümmert. Allie zahlt dafür. „Ich profitiere von den Kontakten“, sagt er. Für ihn ist dies ein weiterer Schritt in die Öffentlichkeit. Denn es ist das Publikum, das die Musiker für ihre harte Arbeit belohnt – mit Applaus, Eintrittsgeldern und CD-Käufen. Musikalisches Berlin Vielfältig Die Hochschule für Musik Hanns Eisler bietet Studiengänge von Gesang über Streichinstrumente, Holz- und Blechblasinstrumente bis zu Musikwissenschaften und Komposition an. Instrumental Die Fakultät Musik an der Universität der Künste (UdK) lehrt die künstlerische Instrumentalausbildung, bildet Dirigenten und Komponisten aus und hat den Studiengang Tonmeister in ihrem Programm. Jazzig Das Jazz-Institut Berlin ist eine Kooperation der Hochschule für Musik Hanns Eisler und der UdK mit dem Bachelorstudiengang Jazz sowie dem Masterstudiengang Jazz-Arrangement/Komposition. Poppig An der Akademie Deutsche Pop wird Musikproduktion und Komposition gelehrt. Einschreiben kann man sich auch ohne Abitur. Neu Ab September ist Berlin um eine weitere Musikhochschule reicher: Am British & Irish Modern Music Institute (BIMM) kann der Bachelor in Bass, Schlagzeug, Gesang, Songwriting und Musikwirtschaft gemacht werden. dag