«In der Praxis gibt es noch zu viel Kauf-mich-Werbung» KREATION Die Agentur am Flughafen ist bekannt für ihre erfolgreichen Dialogmarketing-Kampagnen. Davon zeugen 120 nationale und internationale Auszeichnungen und eine Vielzahl von ungewöhnlichen Direktmailings. Was ein gutes Mailing ausmacht, erklärt Creative Director und Inhaber René Eugster. Von SABINE FLACHSMANN MK Im Klartext heisst das, gute Werbung ist von der Höhe des Budgets abhängig? EUGSTER Ganz so einfach ist das nicht. Grundsätzlich ists und bleibts eine Frage der Idee, aber das Budget spielt dabei eine nicht unerhebliche Rolle. Ich stelle fest, dass es sehr viel extrem schlechte Werbung gibt. Offensichtlich ist bei vielen KMU das Werbebudget und das Vertrauen in aussergewöhnliche Ideen professioneller Partner so klein, dass damit keine professionellen Kampagnen produziert werden können. Das Ergebnis können Sie sowohl im 4 Dossier Briefkasten, im Regionalfernsehen wie im Kino sehen oder bei kleineren Rundfunksendern auch hören. Den Empfänger einer solchen Werbebotschaft interessiert das Budget des Werbetreibenden jedoch herzlich wenig. Er filtert sich die Botschaft heraus, die besonders interessant verpackt ist. MK Obwohl adressierte Werbung direkt im Briefkasten des Empfängers landet, wird ein grosser Teil der Mailings nicht einmal geöffnet. Woran liegt das? EUGSTER Ein Mailing steht und fällt mit der Idee. Die muss frisch, überraschend, einzigartig und schnörkellos sein und den Adressaten emotional ansprechen. In der Praxis gibt es leider noch jede Menge Kauf-mich-Werbung, in der Art, wie sie Ende der 60er-Jahre konzipiert und verschickt wurde. Natürlich braucht es für eine Wohnungsvermietung an bester Lage in Zürich keine wirklichen Ideen, weil die Nachfrage das Angebot übersteigt. Das ist jedoch die Ausnahme. Wir leben in einer Gesellschaft mit einem Überangebot auf fast allen Märkten. Es gibt zudem Produkte, die an sich langweilig sind und auch nicht unbedingt in der angebotenen Form gebraucht werden. Die Kommunikation mit einem potenziellen Kunden muss hier anders und speziell sein. Ich stosse zudem in vielen Mailings immer wieder auf banale Fehler, die sich vermeiden liessen. Das beginnt bereits bei Fehlern in der Adresse oder der Anrede. Als Jurymitglied in verschiedenen Gremien sehe ich anhand der eingereichten Arbeiten das gesamte Qualitätslevel und eben auch viele schlecht gemachte Mailings. Und Wettbewerbseinreichungen sind ja wortwörtlich nur die Spitze des Eisbergs. BIO Die Agentur am Flughafen AG im st.gallischen Altenrhein wurde 1993 von René Eugster gegründet. Der eidg. diplomierte Verkaufsleiter und Marketingplaner betreut gemeinsam mit einer Crew von acht Angestellten 40 Kunden. In den letzten 17 Jahren hat die Agentur rund 350 Kampagnen realisiert und wurde 120-mal ausgezeichnet. René Eugster ist verheiratet, Vater von drei Kindern und in der Freizeit ein passionierter Harleyfahrer und Freeskier. www.agenturamflughafen.ch © Unternehmermagazin LEADER MK Unternehmen wie auch private Konsumenten erhalten täglich eine Flut von Informationen. Ein grosser Teil davon ist adressierte Werbung, die meist ungefiltert im Papierkorb landet. Hat das gedruckte Mailing heute überhaupt noch eine Chance? RENÉ EUGSTER Das Mailing kämpft mit den gleichen Problemen wie andere Werbemittel auch. Ich denke hier zum Beispiel an die Fernsehwerbung, das Inserat oder auch an E-Mails. Reizüberflutung findet mittlerweile überall statt. Das Informationsverhalten und der Werbemarkt haben sich in den letzten Jahren jedoch grundlegend verändert. Reine Mailingkampagnen werden eher selten. In der Regel findet eine Vernetzung der gedruckten Werbung mit verschiedenen elektronischen Werbeplattformen statt. Das heisst, im Mailing wird eine Internetadresse oder eine Telefonnummer genannt, die zur direkten Interaktion auffordern. Oder das Mailing wird flankierend als Verstärker oder für den Direktabschluss eingesetzt. Grundsätzlich ist Werbung dann erfolgreich, wenn sie in der Masse auffällt und speziell ist. Das gilt in besonderem Masse für das Mailing. Dafür braucht es nicht nur eine gute Idee, sondern auch ein entsprechendes Budget. Beides ist nicht immer vorhanden. Marketing & Kommunikation 10/10 MK Wie lassen sich Fehler vermeiden … EUGSTER Bei einem TV-Spot weiss ein Unternehmen, dass es für Konzept und Realisierung eine professionelle Agentur beauftragen muss. Bei einem Mailing besteht vielfach die Meinung, das könne die Marketing- oder Kommunikationsabteilung mit Unterstützung eines Grafikers oder der Druckerei selbst erledigen. Das Resultat sieht dann entsprechend aus. Agenturen arbeiten in der Regel mit dem Ausschlussverfahren: Was gab es schon, welche Idee könnte neu sein und sie hinterfragen ein Konzept. Oftmals wird nicht beachtet, dass sich das Mailing mit vielen anderen Werbedrucksachen auf dem Tisch des Empfängers behaupten muss. So mag für den Werbetreibenden in seiner Branche zwar das eine oder andere Mailing überraschend sein, im Benchmarkt auf dem Tisch des Empfängers hebt es sich jedoch nicht ab. MK … und die Mailingqualität verbessern? EUGSTER Positiv auffallen ist demzufolge das Grundlegende bei einem Mailing. Das beginnt bereits bei der Verpackung. Eine ungewöhnliche Kuvertform, Prägungen oder der Versand einer Einladung in einer Spezialverpackung fallen zumindest auf und wecken die Neugier, die dann in der Dramatisierung des Inhalts nicht abbrechen darf. Es braucht eine spannende Geschichte, die konsistent durchgezogen wird. MK Dialogmarketing gehört zu den Spezialgebieten der Agentur am Flughafen. Wo gibt es Unterschiede zur klassischen Werbung und warum konzentrieren Sie sich auf diesen Bereich? EUGSTER Es ist richtig, dass wir uns auf die Kommunikation im Dialog konzentrieren. Das ist nicht nur eine spannende Aufgabe, sondern immer wieder auch eine Herausforderung. Die Qualität unserer Arbeit wird von den Auftraggebern am Response, z.B. an den Bestellungen, gemessen. Kommunikation, bei der vom Adressaten etwas an den Absender zurückkommt, ist zwar sehr herausfordernd, macht jedoch viel Spass. Herkömmliche, klassische Werbung (sofern es diese Disziplinendifferenzierung bei führenden Agenturen noch gibt) ist und war nie unser Ziel, obwohl auch diese Werbung Marketing & Kommunikation 10/10 Die Agentur am Flughafen AG hat für Scherrer Transport einen Newsletter konzipiert, der auf Wunsch der Empfänger auf eine LKW-Plane gedruckt und für sie zu einer Einkaufstasche verarbeitet wird. den Dialog mit dem Empfänger sucht. Messbar ist der Erfolg reiner Imagekisten in der Regel nur unter erschwerten Umständen, weil es oftmals bereits an einer konkreten Zielsetzung oder am Budget fürs Controlling fehlt. MK Die Agentur am Flughafen hat zahlreiche nationale und internationale Preise für ihre Kampagnen erhalten. Im Ranking von Fischer’s Archiv, das jährlich die besten Agenturen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz auflistet, rangieren Sie als führende Schweizer Agentur auf Platz 5. Wie profiliert sich Ihre Agentur im Markt und was machen Sie anders als andere? EUGSTER Wir lieben es, tolle Geschichten zu entdecken und sie fesselnd zu erzählen. Aber davon abgesehen unterscheiden wir uns als Agentur für Dialogmarketing allem voran beim Denkansatz. Unsere Kundenzielgruppe sind in erster Linie nicht Grosskonzerne, sondern Klein- und Mittelbetriebe, die das Besondere suchen. Verglichen mit dem Detailhandel würde ich sagen, wir sind eine Boutique für KMU. Ein grosser Vorteil der KMU ist, dass wir im direkten Kontakt zum Firmeninhaber oder zum Geschäftsführer stehen und unsere Ideen und Geschichten dadurch nicht weichgespült werden können. Es macht einen Unterschied, ob ich ein Konzept einem Mitarbei- ter oder dem Verantwortlichen persönlich präsentieren oder ein Beratungsgespräch führen kann. Als Agenturinhaber kann ich mir auch schlechte Arbeit nicht leisten. Auf Hilfe oder Unterstützung durch ein Mutterhaus, wie das bei grossen Agenturen sehr oft der Fall ist, können wir ebenfalls nicht zählen. MK Worauf führen Sie den Erfolg zurück? EUGSTER Bei vielen Ideen müssen wir bei der Durchsetzung hartnäckig sein und bei den Kunden Überzeugungsarbeit leisten, weil sie neu und im Markt nicht vergleichbar sind. Unsere – in nationalen und internationalen Wettbewerben ausgezeichneten – Arbeiten sind deshalb vielfach «Kampfmailings», weil wir für sie einige Widerstände überwinden mussten. Den Erfolg der Agentur führe ich deshalb auch auf unser «Unangepasstsein» zurück. Bei einer solchen Arbeitsweise sind Konfrontation und Reibung an der Tagesordnung. Die 120 Auszeichnungen, die wir bisher erhalten haben, aber vor allem die vielen langjährigen Kundenbeziehungen aufgrund derer Markterfolge, sind dabei wohltuende Bestätigungen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. MK In vielen Unternehmen sitzt der Werbefranken nicht mehr so locker. Das Internet hat sich als Informations- und Werbeplattform zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz entwickelt. Welche Trends und Entwicklungen sind im Dialogmarketing festzustellen? EUGSTER Menschen sind nach wie vor für haptische Reize empfänglich. Das Papiermailing wird deshalb auch in Zukunft nicht verschwinden. Dort, wo die schnelle Kommunikation gefragt ist, macht eine Verlagerung in den elektronischen Bereich jedoch Sinn. Heute sind viele Kampagnen so konzipiert, dass sie die Vorteile unterschiedlicher Medien miteinander kombinieren und den jeweiligen Bedürfnissen der Adressaten anpassen. Kuverts, gefüllt mit Konfetti oder einem Luftballon, haben jedoch endgültig ausgedient. Im Vordergrund sollte eine frische, ungewöhnliche Idee stehen, die die Botschaft entsprechend dramatisiert und auf den Punkt bringt. MK Zum Beispiel? EUGSTER Ich nenne hier die von uns entwickelte Mailingaktion des Textilverbandes an Oberstufenlehrkräfte. Bei der aktuellen Aktion kann das textile Mailing ins Wasser gelegt werden, wo es sich auflöst. Von der Infokarte bleibt für den Jugendlichen ein gestickter Schlüsselanhänger übrig. Solche ungewöhnlichen Ideen sprechen auch junge Leute an, die vorwiegend über SMS oder Facebook kommunizieren. Nach wie vor ein grosses Thema, über das viel gesprochen wird, ist Print on demand. Damit besteht die Möglichkeit, dem Adressaten ein Mailing mit Angeboten zuzusenden, die ihn auch wirklich interessieren. In der Praxis werden solche Möglichkeiten leider noch viel zu wenig genutzt. Es gibt demzufolge noch viel ungenutztes Potenzial. MK Welche Zielsetzungen und Visionen haben Sie für die nächsten Jahre? EUGSTER Uns interessiert der Kunde und für den wollen wir erfolgreiche Kampagnen entwickeln. Das ist und bleibt unsere Vision. Wachstumsziele im klassischen Sinne haben wir keine. Auch die Eröffnung von Filialen in London, New York oder Shanghai ist nicht geplant. Im Vordergrund der jeweiligen Projekte steht die Idee, die immer wieder frisch und überraschend sein soll. Das wird uns auch in Zukunft weiter fordern. n Dossier 5