Neue Z}rcer Zeitung ZÜRICH UND REGION Freitag, 03.03.2000 Nr.53 47 Humor als Mittel des kritischen Patriotismus Elsie Attenhofer, das Cabaret Cornichon und die NS-Zeit Das Cabaret Cornichon wurde 1934 in Zürich gegründet, um Schweizer Werte gegen den faschistischen Ungeist im In- und Ausland zu verteidigen. Im Ensemble, aber auch in einem eigenen Theaterstück kämpfte Elsie Attenhofer gegen Anpassung und Antisemitismus. Später verwahrte sie sich auch gegen auf den ersten Blick ähnliche Kritik der Nachgeborenen. tmn. Vermutlich im Frühjahr 1943 nahm Elsie Attenhofer, die im vergangenen Jahr verstorbene grosse alte Dame des Schweizer Cabarets, an einer Feier der Landeslotterie teil. Deren Direktor Oskar Haegi äusserte, als das Gespräch auf die Judenverfolgungen kam, er sei gegen Grausamkeiten; erschiessen, das gehe an, aber ohne Folterungen. «Weshalb erschiessen?» fragte Attenhofer entsetzt. «Weil sie Untermenschen sind.» Sie sei schwanger, erwiderte Attenhofer, und ihr Kind werde im Schauspieler Kurt Horwitz einen jüdischen Paten erhalten; so sei ihr auch klar, wer hier den Untermenschen stelle, Horwitz oder Haegi. Mit diesen Worten erhob sich die Künstlerin und verliess die Tafel; die übrigen Gäste blieben, wie sie sich später mit Bitterkeit erinnern sollte. Dieses Erlebnis war ein Anlass für Attenhofers Zeitstück «Wer wirft den ersten Stein?». Eine Schweizerin heiratet 1938 einen jüdischen Arzt und folgt ihm nach Frankreich; als die Deportationen 1942 einsetzen, wird sie von ihm und ihrem Kind getrennt, kann aber schliesslich mit letzterem in die Schweiz fliehen, wo ihr Bruder seine frühere antisemitische Rhetorik bereut. Die damalige NZZ sah «mehr weltanschauliches Bekenntnis als künstlerische Leistung» in dem Stück; vielleicht deshalb, formal aber wegen des verwendeten Dialekts verzichtete das Zürcher Schauspielhaus auf das ihm angebotene Stück, so dass die Uraufführung nach Verzögerungen erst im Oktober 1944 in Basel stattfand. Die folgende Tournee war erfolgreich, und zumindest als Zeitzeugnis ist das Drama weiterhin sehr lesenswert. Es lehrt die einen, dass der Schweizer Antisemitismus nicht erst heute mit deutlichen Worten angeprangert wird; und zeigt den anderen, was «man» 1943 alles wissen konnte. Attenhofer stützte sich auf Zeitungsartikel und mündliche Informationen; ihre Protagonisten sprechen von Lagern im Osten, aus denen niemand lebend zurückkommt, von «Ausrotten» und «Vergasen». Die Anfänge des «Cornichons» Attenhofers Bühnenwirken gegen den Ungeist © 2000 Neue Zürcher Zeitung AG hatte schon zehn Jahre zuvor begonnen, als Max Werner Lenz sie für das Cabaret Cornichon entdeckte, das er im Frühjahr 1934 mit Walter Lesch zusammen gegründet hatte. Finanziell unterstützte sie entscheidend der Deutsche Otto Weissert, und eine grosse Zahl – später – illustrer Namen trat im Lauf der folgenden Jahre auf die Bühne des «Hirschen», dem engen «Dampfbad» im Zürcher Niederdorf: Emil Hegetschwiler, Karl Meier, Mathilde Danegger, Trudi Stössel, Zarli Carigiet, Heinrich Gretler, Alfred Rasser, Trudi Schoop, Voli Geiler, Margrit Rainer, Schaggi Streuli, Peter W. Staub und andere; die Bühnenbilder malten Künstler wie Alois Carigiet und Hans Fischer, am Flügel sass Tibor Kasics. Für Lesch war von Anfang an klar: «Das Cabaret muss tendenziös, muss oppositionell, muss politisch sein.» Anlass der Gründung und Hauptgegner waren die Fröntler und ihre ideologischen Hintermänner in Deutschland und Italien. Keineswegs verschont wurden aber helvetische Unsitten, wie sie in allen Lagern blosszustellen waren. Attenhofer beschrieb später ihre Haltung als kritische, radikale Mitte, und dies dürfte für das ganze Cabaret gegolten haben, auch wenn etwa Lesch der SP verbunden war. Gleichzeitig war er ein Duzfreund und Verbindungsbruder Heinrich Rothmunds, der später beanspruchte, das Cabaret protegiert zu haben. Diplomatische Interventionen Als im Frühling 1939 das Programm «Aschpiraziönli» zwei unheilbare Grössenwahnsinnige präsentierte, intervenierten deutsche und italienische Diplomaten umgehend wegen dieser offensichtlichen Blossstellung ihrer Staatshäupter. Der Sketch musste auf Bitten des Zürcher Stadtpräsidenten abgesetzt werden. Dieser Eingriff blieb aber die Ausnahme, auch weil das «Cornichon» nach Kriegsbeginn feine Anspielungen der direkten Attacke auf die Achsenmächte vorzog. Die Essiggurkenvögel auf der Bühne, das Wahrzeichen des «Cornichons», erhielten ein Bändelchen um den Schnabel. Gleichwohl galt das Cabaret Blatt 1 Neue Z}rcer Zeitung ZÜRICH UND REGION mit seinen differenzierten sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten als Ventil der Zensur, welche die gedruckten Medien stärker traf. So zählten Vertreter des Zürcher Nachrichtendiensts und deutsche Informanten weiterhin zu den Stammgästen im «Hirschen», und nicht selten folgten Proteste wie diejenige des deutschen Botschafters vom Mai 1942: Improvisierend hatte ein Schauspieler angesichts eines Hitler-Porträts gefragt, was er mit ihm machen solle – «ufhänke oder ad Wand stelle?» 1944 konnte Lesch optimistisch festhalten, dass das «Cornichon» seine Hauptaufgabe erfüllt hatte: «Bestand und Ausbau der Demokratie, das freie Wort, die freie Kritik nach innen und aussen werden der Verteidigung nicht mehr so dringend bedürfen.» Tatsächlich erwies sich – ohne hautnahe Bedrohung, ohne Zensur – die Nachkriegszeit als schwieriges Pflaster für diese Art Cabaret. Der Witz wurde umständlicher, die zuvor von aussen genährte Einigkeit bekam Risse, das Ensemble löste sich auf, und der 1948 erfolgte Umzug in das Theater am Neumarkt beschleunigte das Ende: 1951 wurde das letzte Programm gezeigt. Gegen die Kritik der Nachgeborenen Gegen Kriegsende schrieb Elsie Attenhofer ihrem Mann, dem späteren ETH-Rektor Karl Schmid: «Unsere alten Hasen in Bern (Verzeihung) sind in ihrer Schwäche und Labilität dort nicht mehr am Platze. Man wird sie einmal zur Verantwortung ziehen, auch was ihr antisemitisches Gebaren betrifft.» 1989 bezog sie diese Forderung erneut auf Rothmund und von Steiger. Ihr eingangs erwähntes Theaterstück steht in der Bibliothek von Yad Vashem. Mit ihren Freunden vom Cornichon stellte sie die «Kehrseite der helvetischen Medaille» vor: Geldgier, Kriegsprofit, Anpasser, die «beschämende Flüchtlingspolitik». Die berüchtigte Rede des Aussenministers von 1940 quittierte das Ensemble mit der Aufforderung: «Me sött de Pilet-go-lah!» Dieselbe Elsie Attenhofer hat aber schon früh wiederholt und deutlich gegen die «Besserwisser» protestiert, «die glauben, die damalige Generation des Versagens und der Habgier beschuldigen zu müssen; die Anpasser ‹noch und noch› unter den Bürgerlichen finden; den Widerstandswillen der Armee bezweifeln und die geistige Landesver- © 2000 Neue Zürcher Zeitung AG Freitag, 03.03.2000 Nr.53 47 teidigung als ‹hohlen Bluff› abtun – alles ohne je ein Rezept anzufügen, wie man es hätte besser machen können» (NZZ 16. 8. 95). Dies schrieb eine Frau, für welche dieselbe Drohung galt, die 1938 von deutscher Seite gegen den «Cornichon»-Gründer Lenz, das «grosse Schwein», ausgestossen worden war: «Wenn wir kommen, dann hängt er.» Attenhofers Protest muss nachdenklich stimmen und erklärt sich aus der Entsagung, aber auch der Erfüllung, welche die entbehrungsreichen Kriegsjahre ihrer Biographie bescherten. Galt und gilt die Kritik der «Besserwisser» nicht genau den Aspekten, die Attenhofer selbst damals bemängelte? Sie hätte wohl erwidert, dass sie konkrete Entscheidungsträger «in oberen Gremien» angeprangert habe, nicht aber das Volk, die Nation, die damalige Generation. Zwar verstand sie, dass das einstige Pathos für die Nachgeborenen komisch klingen konnte; aber anders als dem «Cornichon» fehlten den späteren Kritikern Humor und Selbstironie, und das rückte diese, für Attenhofer, in die Nähe der destruktiven Kritik von Rechts- und Linksextremen in der Zwischenkriegszeit. Schliesslich dürfte sie bezweifelt haben, dass die Vorwürfe von einer positiven Vision legitimiert würden, von Werten, die sie generell verschwinden sah. Für sie war der Kampf gegen alle «Ismen» getragen vom Bekenntnis zur demokratischen Schweiz und der Bereitschaft, handkehrum auch deren positiven Seiten zu loben. Entsprechend traurig pflegte Attenhofer den greisen Lenz zu zitieren, der 1967 zurückblickte: «Der Begriff ‹Vaterland› hatte seine Gültigkeit. Wenn ich heute schreiben wollte: ‹um mängs i dr Schwyz wärs ewig schad› – ich würde riskieren, lächerlich gemacht zu werden.» Elsie Attenhofer war stolz auf die damalige Schweiz, ungeachtet aller Schuldverstrickungen, die sie nicht beschönigen wollte. Die Jüngeren sind bekanntlich zurückhaltender: Ist Kollektivstolz nicht ein ebenso fragwürdiges Konzept wie Kollektivschuld? Auf ihre eigene Leistung aber durfte die Kabarettistin stolz sein; und ihre Warnung vor Selbstgerechtigkeit behalte man im Ohr, gerade wenn man über die dunkleren Seite einer Vergangenheit urteilt. Elsie Attenhofer: Cabaret Cornichon. Erinnerungen an ein Cabaret. Schaffhausen, 2. Aufl. 1994; dies.: Réserve du Patron. Im Gespräch mit K. Stäfa 1989 (vergriffen); Kein einig Volk. Fünf schweizerische Zeitstücke 1933–1945. Bern 1993. Blatt 2 Neue Z}rcer Zeitung ZÜRICH UND REGION Freitag, 03.03.2000 Nr.53 47 Das «Cornichon» in der NZZ tmn. Nach dem ersten Auftritt des neuen Cabarets attestiert Edwin Arnet in der NZZ vom 2. Mai 1934, der Schweizer Charakter des «Cornichon» bestehe «in der weitherzigen Sucht, nicht chauvinistisch schweizerisch zu sein», wünscht sich aber in seiner – im Vergleich zu anderen Verrissen – moderaten Kritik mehr Humor statt symbolschwangeren und manchmal gequälten Tiefsinn. Nach einigen Programmänderungen ist es schon zwei Wochen später eine «Lust», über Leschs «angriffige, hämmernde, lächelnde Kleinkunstbühne» zu berichten. Und im Herbst 1934 ist für die NZZ klar, dass das «Cornichon» das schweizerische literarische Kabarett geworden ist, das kunstvoll und erfrischend Hiebe «nach allen Richtungen der politischen Windrose» austeilt. «Lesch hat das Schwebende, Lenz das Schlagende» – das ergebe eine brüderliche Kombination von feinen Anspielungen und politischen Hieben, die am stärksten «nach Norden» ausgeteilt würden. Das jeweils neue Programm dieser «senkrechten Truppe Schweizer» wird fortan sehr positiv, oft auch euphorisch begrüsst: «heiter, bissig, burlesk, dazwischen einmal geschwätzig, dann wieder lyrisch, teils sozial, teils bieder-ulkig» und stets gegen das «geistige Korsett in allen Bezirken». (Selbst-)Ironie verfeinere die Satire, und stets entdecke man dahinter etwas Besinnliches, nachdem man sich an «lachenden Wahrheiten und Frechheiten» ergötzt habe. Musik und Bühnenbild ergäben mit den Texten und Darstellern ein künstlerisch geschlossenes Ganzes, ein «Ensemble von Untadeligen», das neue Schauspieler erstaunlich schnell integriere. Über die Jahre werde das Cabaret stämmiger, origineller und künstlerisch anspruchsvoller, ohne darob die Frische der Jugend zu verlieren. Kritische Töne gibt es selten, so am 16. November 1936, weil die gegen die Schweiz gerichtete und undifferenzierte Selbstironie beinahe in Selbstmord kippe: «Freilich, die Diktatoren kommen in den CornichonSongs nicht gut weg, aber da die Demokratie ebenso schlecht wegkommt, bleibt für uns Helveter kein Plus übrig.» Angesichts der zahlreichen gedankenlosen Lä- © 2000 Neue Zürcher Zeitung AG sterer der Demokratie sollten die Aufrechten, zu denen das offene, träfe «Cornichon» zweifellos zähle, «mit einem recht bewussten und systematischen Lob der Vorzüge unserer Demokratie antworten». Lenz reagiert mit einer Zuschrift: Arnet habe sich zu Unrecht in der Persiflage eines Lokalredaktors wiedererkannt und im «Drang nach der Garderobe» erst noch das letzte Bild verpasst, das im reklamierten Sinn «aufwärtsreissend» gewesen sei. Bei aller notwendigen Unbeschwertheit des Kabarettisten bekennt Lenz sich, als ernster Schweizer, durchaus zu «Einsatz und Verantwortung». So würdigt die NZZ schon bald wieder, etwa im Krisenherbst 1938, die gut eidgenössische, «wache Gesinnungstüchtigkeit», welche die Abwehr fremder Ideologien als Gebot der Zeit zum Ausdruck bringe und insofern «aufbauende Zeitkritik» übe. Der Kriegsausbruch schafft neue Objekte des Spotts, etwa Hamsterer oder Wendehälse, aber auch den patriotischen Kitsch, die «fatale Sennenchäpplipropaganda» und manche «Blase der nationalen Selbstgerechtigkeit», die heilsam aufgestochen werde. «Frecher, witziger und wortspielwütiger» als 1941 sei das Ensemble selten gewesen: «Da heute auch der helvetische Schnabel nicht frei und ohne Selbstzensur nach Herzenslust trällern darf, so schärft dies wiederum den Witz, die Kunst der Anspielung harmlos und doch treffsicher zu üben.» Die überwiegend wohlwollenden und dankbaren Urteile werden nur hin und wieder von Vorbehalten unterbrochen, wenn etwa ein Rezensent 1943 befürchtet, das «Cornichon» stürze sich zulasten des «poetischen Charmes» voreilig und unnötig in «destruktive Nachkriegsnarrenfreiheit». Es zerdehne einzelne Stücke und suche anderswo den billigen Applaus mit abgedroschenen Witzen über Pilet-Golaz oder zur Zensur. Trotzdem würdigt die NZZ das «Cornichon» auch 1951, in dessen letztem Jahr, als «erfrischend heilsame Arznei inmitten unseres weltpolitisch umdüsterten Alltags». Blatt 1 Neue Z}rcer Zeitung ZÜRICH UND REGION Freitag, 03.03.2000 Nr.53 47 Das Cornichon-Drehorgellied In Nazedonien, Nazedonien, wo die Ururarier wohnien, dort im Reich der tausend Jährchen und der rassereinen Pärchen, wacht ein Lenker, gross und stark, über Butter, Blut und Quark. ... Und der Führer, dräuend späht er nach dem bösen Attentäter, denn es ist doch ohne Frage jemand schuld an aller Plage. Und natürlich, siehe da, schon ist die Entdeckung da: Isidor, der stets entartet, hat auch dieses abgekartet. Und zur Strafe für den Hass nimmt er ab ihm Geld und Pass. Und das Volk, wenn auch entfettet, fühlt sich immerhin gerettet. Und die Moral von der Geschicht also heisst sie kurz und schlicht: wenn der böse Jud nicht wär, ach, wär das Regieren schwer. (1938) © 2000 Neue Zürcher Zeitung AG Blatt 1